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10.

»Es ist gesagt worden«, sprach er dann weiter, »daß unter Hardings Präsidentschaft alles verkäuflich war, ausgenommen die Kuppel des Kapitols. Das ist mehr als ein Witz, es ist beinahe Wahrheit. Daugherty war natürlich nicht allein in diesem Ausverkauf von Rechten, Vorteilen, Immunität gegen gerichtliche Verfolgung und greifbarem Eigentum der Nation, eine ganze Anzahl anderer arbeitete mit ihm. Da war zuerst Fall. Man hat ihn ja jetzt nach so langer Zeit zu einem Jahre Gefängnis verurteilt. Wegen passiver Bestechung. Der einzige Fall, den man ihm nachweisen konnte. Er und Daugherty waren keine Freunde, mehr Rivalen, die sich gegenseitig ins Geschäft pfuschten. Und was hatten sie zu verschachern? Ich will nur ein paar Posten aufzählen, denn meine Zeit ist kostbar.

Die Rechte für die Wasser- und sonstigen Kräfte in den Indianer-Reservationen und auf allem Regierungslande – Wert viele Milliarden Dollars.

Die Waldbestände in den Indianer-Reservationen und auf dem Regierungslande – Wert ebenfalls viele Milliarden von Dollars.

Die Weiderechte in den Indianer-Reservationen und auf Regierungsland – verpachtet an Viehzüchter im Westen. Wert Millionen von Dollars.

Hunderte und Tausende von anderen Rechten in Alaska und den Vereinigten Staaten.

Aber Falls Hauptstreich war die Verschacherung von Ölrechten. Ob sich das Öl in Neumexiko fand, in Texas, Wyoming, Montana oder in Kalifornien oder Alaska, war ganz gleich. Die Ölspekulanten waren seine Freunde. Well, man hat Daugherty nach dem Tode des Präsidenten unter Anklage gestellt, zweimal ist gegen ihn verhandelt worden und in beiden Fällen konnte sich die Jury nicht einigen. Sie wissen, unter unserem Jurysystem kann ein Angeklagter nur einstimmig verurteilt werden. Wenn auch nur eine einzige Stimme dagegen ist, muß er freigelassen werden, verstehen Sie, freigelassen, nicht freigesprochen. Auch bei der zweiten Verhandlung kam es zu keiner Einigung der Jury. Das war nicht überraschend. Ein großer Mann oder sein Verteidiger hat immer einen Freund unter den Geschworenen, mit dem man ein Abkommen treffen kann. Man hatte ihn auch nur wegen einer Sache, wegen der Verschacherung der Oil-Leases, angeklagt. Er hätte wegen hundert anderer Dinge angeklagt werden können, zum Beispiel, weil er das Haupt eines Whiskyringes war. Aber als oberster Beamter des Justizministeriums hatte er seine eigenen Geheimagenten, die er mit allen Vollmachten ausrüsten konnte. Es war also ein leichtes für ihn, durch Haussuchungen oder, wenn er das vorzog, insgeheim durch Diebstahl und wenn nötig und erforderlich auch durch Mord alle Beweismittel gegen sich in seine Hände zu bringen und die Mitwisser oder Mittäter zu beseitigen. Was blieb dann für die Gerichts übrig?

Einen getreuen Helfer hatte er in seinem Bruder Mal Daugherty. Auch der ging straffrei aus. Erst jetzt haben sie ihn in Ohio wegen einer ganz anderen Sache wieder unter Anklage gestellt, weil er als Bankpräsident Schwindeleien begangen und die Bank zu Grunde gerichtet hat. Ich bin neugierig, was dabei herauskommen wird. Er hat Geld, und das ist so gut wie ein gewonnener Prozeß.«

Sein Blick ruhte von neuem auf Alderman Purnell. Der hielt den seinen aber auf den Boden geheftet und fühlte an seinem Mittelfinger herum, als wenn er ihn im Gelenk knacken wollte.

Narbengesicht Al hatte anscheinend auch keine Bemerkung von ihm erwartet, denn er fuhr fort:

»Einer von Daughertys Freunden und Mithelfer war Colonel Miller, der Verwalter des feindlichen Eigentums. Das war ein außerordentlich einträglicher Posten. Da muß ich mit den paar Millionen Dollars, die mir aus den Riesensummen, die ich einnehme, am Ende verblieben sind, beschämt zur Seite treten, von Anfang seiner Tätigkeit an begann Miller seine Betrügereien. Das feindliche Eigentum wurde für ein Butterbrot verschleudert. Es waren ja nur die Deutschen und Österreicher, die man beraubte. Beschwerden waren ganz nutzlos mit Harding als Präsident und Daugherty als Justizminister. Was sich Miller privatim für das feindliche Eigentum zahlen ließ, wird niemals festgestellt werden.

Als der Krieg dann aufhörte und diese Einnahmequelle versiegte, bot sich eine andere, die deutschen und österreichischen Firmen stellten Anträge auf Auszahlung des Kapitals, das man von ihnen in Händen hatte. Es waren große Firmen und das amerikanische System von Graft war ihnen nicht unbekannt. Sie sandten ihren Vertreter zu Miller. Der erklärte ihnen, daß er ihre Anträge zwar entgegennehmen wolle, es würde aber sehr lange Zeit in Anspruch nehmen, bis man sie prüfen könne. Ein Jahr oder auch anderthalb. Wenn der Vertreter dann nach seinem Hotel zurückkehrte, sandte ihm Miller einen Geheimagenten nach. Der hatte den Auftrag, sich mit ihm bekannt zu machen, ihn im Laufe des Gesprächs zu fragen, welche Aussichten er in bezug auf seinen Antrag habe und wenn er dann die regelmäßige Antwort erhielt, daß der Mann überall gegen eine feste Mauer anrenne, ihm vorzuschlagen, sich doch einmal an Mr. Thurston, einen Rechtsanwalt in Boston, zu wenden.

Die Leute waren intelligent genug, zu wissen, was dieser Rat bedeutete. Sie zahlten Thurston vierzigtausend und fünfzigtausend Dollar, die dieser mit Miller teilte. Jeder Anspruch, der eine beschleunigte Behandlung erfuhr, kam durch Thurston. Man hat Miller verurteilt, aber nicht für den hundertsten Teil dessen, für das er hätte verurteilt werden müssen.«

Auf Alderman Purnells Gesicht hatte sich ein Schatten gelegt. Er fühlte sich unruhig unter der Aufzählung dieser Betrügereien seitens seines Besuchers, denn er ahnte, was kommen würde.

»Soll ich Ihnen noch ein paar von den einträglichen Geschäften Daughertys und seiner Freunde nennen. Es wäre vielleicht nicht nötig, denn sie sind hinreichend bekannt aus den Anklagen, die Senator Wheeler im Senat gegen Daugherty erhoben hat, aber es ist vielleicht ganz heilsam, sie noch einmal zu wiederholen. Er ließ sich bezahlen für die Abänderung der Urteile föderierter Richter, denn nur über diese hatte er die Kontrolle; für die Niederschlagung oder Abweisung zivilrechtlicher Ansprüche und Strafverfolgungen gegen große Industrien, die stets irgendwie gegen das Gesetz anrennen; er erhob Anklagen oder bedrohte Firmen, die sich seinen Geldforderungen widersetzen, mit solchen; er milderte, oder erließ reichen Verbrechern Gefängnisstrafen; er verkaufte Richter- und andere Stellen; verkaufte Whisky aus Regierungslagerhäusern für eigene Rechnung und Nutzen; erteilte Erlaubnis zum Whiskyverkauf an Bootlegger und schützte sie dabei durch seine Beamten; er erließ Drohungen gegen alle möglichen Behörden und ihr Leiter in seiner Eigenschaft als höchster juristischer Ratgeber der Regierung und verfügte zu seinen Gunsten über Eigentum, das aus irgendwelchem Grunde beschlagnahmt worden war. Hauptsächlich das Eigentum von Bootleggern, die sich seinen Schutz nicht erkauft hatten. Genügt das?«

Er brannte sich eine neue Zigarette an. Man konnte sehen, daß Al immer erregter geworden war, während der Alderman, der zuerst Neigung gezeigt hatte, ihn etwas von oben herab zu behandeln, viel weniger selbstsicher geworden war.

»Und wie ist es mit dem Whiskyhandel?« sprach Narbengesicht Al dann weiter. »Ich weiß es, denn ich gehörte mit zu dem Ring, pendelte immer hin und her zwischen Chikago und Neuyork. Wir, ich meine die Händler, wünschten Schutz von den föderierten Beamten. Gegen Bezahlung natürlich, denn das war immer noch billiger, als wenn wir uns unsere Transporte von Hijackern rauben oder von den Prohibitionsleuten beschlagnahmen ließen. Mit der Polizei von Neuyork hatten wir uns bereits geeinigt, und auch bei den Washingtonleuten handelte es sich im Grunde nur um die Summe, die wir zahlen sollten. Einer ihrer Geheimagenten, Gaston B. Means, kam von Zeit zu Zeit nach Neuyork, um die Gelder in Empfang zu nehmen. Er wohnte im Vanderbilt-Hotel in einer Reihe der teuersten Zimmer.

Seine Methode war einfach. Er hatte Unteragenten, fünfundzwanzig Leute – Tipsters aus der Unterwelt. Die hatten uns zu beobachten und Means anzugeben, wieviel wir ungefähr umsetzten. Ruf Grund dieser Berichte entschieden Means' Vorgesetzte, wieviel Schutzgeld wir zahlen sollten. Also genau wie es jetzt ist. wir sollten aber das Geld nicht direkt an irgendeine Person zahlen, denn Zeugen müssen immer nach Möglichkeit ausgeschaltet werden. Means hatte deshalb zwei weitere Zimmer in einem anderen Stockwerk gemietet. Das Hotelregister führte irgendeinen anderen Namen als den Inhaber dieser Zimmer auf.

In dem einen dieser Zimmer, auf einem Tische in der Mitte, stand ein großes Goldfischglas mit glatten Wänden, so daß man leicht hineinsehen konnte. Wir wußten, daß sich Means im andern Zimmer aufhielt und durch ein Loch, das er in die Verbindungstüre gebohrt, alles beobachten konnte, was in dem einen Zimmer vorging, hätten aber niemals beschwören können, daß dem so war. Wir erhielten nun die Weisung, zu einer bestimmten Zeit in dem Zimmer zu sein, dessen Nummer uns genannt wurde; einzeln natürlich und in Abständen, so daß keiner dem anderen begegnete. Dort würden wir einen Platz angedeutet finden, um Geld niederzulegen.

Wenn wir dann in das Zimmer traten, sahen wir niemand. Aber das Goldfischglas fiel uns sofort in die Augen, denn es lag stets ein Haufen Geld darin, wir hatten die Weisung, niemals Banknoten von weniger als fünfhundert Dollar zu bringen. Die warfen wir dann in das Goldfischglas – soundsoviel Fünfhundertdollarnoten und soundsoviel Tausender. Und wir wußten, daß uns jede Sekunde scharfe Augen beobachteten, ob wir das Geld auch wirklich hineinlegten und nichts herausnahmen. Sobald wir dann wieder gegangen waren, kam Means in das Zimmer, schloß die Außentüre ab und überzeugte sich, ob wir auch den richtigen Betrag hineingelegt hätten. Und das war immer der Fall, es wäre gegen unser Interesse gewesen zu beschummeln. Das Geld nahm er heraus, aber so gegen zehntausend Dollar ließ er immer darin, so daß wir nicht im Zweifel sein konnten, wo wir unser Geld niederzulegen hatten.

Means kassierte auf diese Weise täglich Summen von fünfundfünfzigtausend bis fünfundsechzigtausend Dollar. Ich habe das von ihm selbst, als ich ihn, nachdem das Banditennest in Washington in die Luft geflogen war, im Gefängnis besuchte. Und so, wie die Sache in Neuyork gehandhabt wurde, geschah das auch in anderen Staaten, in Massachusets, Connecticut, Rhode Island, New Jersey und Ost-Pennsylvanien. Bei jedem Besuch in Neuyork wählte Means aber ein anderes Hotel, das Pennsylvania-Hotel, das McAspin-Hotel und das Herald-Square-Hotel. Das Geschäft war aber keineswegs auf den Osten beschränkt; aus Chikago und St. Louis, Cincinnati, Detroit und San Franzisko wurden ebensolche Summen herausgeholt.

Well, das mag genug sein. Ich will nur noch ein paar merkwürdige und außerordentlich zeitgemäße Todesfälle erwähnen, die sich ereigneten, als die Untersuchung gegen den Gang in Washington schwebte. Da war zuerst C.F. Cramer, Attorney für die Kriegsteilnehmer, die nach Frankreich gegangen waren, ›um die Welt sicher für die Demokratie zu machen‹, was immer das heißen mochte. Dann Thurston, der Rechtsanwalt in Boston, der enorme Summen von den Deutschen und Österreichern erpreßt hatte – er starb plötzlich. Dann kam Jeß Smith, der Riesensummen für die Washingtoner Herren in Händen gehabt und geäußert hatte, er wolle alles verraten. Er wurde in seinem Zimmer im Wardman-Park-Hotel in Washington mit einer Kugel im Kopfe tot aufgefunden und man bezeichnete es als Selbstmord. Der nächste war John D. King, angeklagt mit Colonel Miller und Daugherty wegen Betrügereien in Verbindung mit der Verwaltung des feindlichen Eigentums. Auch er starb plötzlich in Neuyork. Dann folgte C.F. Hately, Geheimagent für das Justizdepartement. Er starb plötzlich in Washington. Und General Sawyer, der Leibarzt Holdings? Er starb plötzlich in Ohio. Colonel T.B. Felder – er starb wiederum plötzlich in Savannah, Georgia. Meinen Sie nicht, Alderman Purnell, daß es etwas Seltsames ist um all diese plötzlichen Todesfälle von Leuten, die den Überlebenden hätten so nachteilig werden können?

Soll ich fortfahren? Es ist nicht nötig. Die Leute sind tot und die anderen beseitigt, über sie waren nicht die einzigen, Alderman Purnell. Es ist noch eine ganze Anzahl da, die von der Explosion in Washington nur eine Zeitlang betäubt waren, allmählich aber aus ihrer Zurückgezogenheit wieder zum Vorschein kamen. Wissen Sie, Alderman Purnell, wie viele es sind? Und wissen Sie, wen ich meine? Sie wissen es ganz genau, denn es sind Ihre Freunde. Sagen Sie ihnen, sie sollen mich um Gottes willen in Ruhe lassen mit ihrem Versuch, mich wegen Steuerhinterziehung ins Gefängnis zu bringen. Ich habe Ihnen zu erkennen gegeben, wie weit ich in die Dinge eingeweiht bin und habe genaue Aufzeichnungen über noch mehr. Es gelingt ihnen auch nicht, mich ebenso plötzlich sterben zu lassen, wie die anderen. Das haben meine Freunde, die Gangsters, unzählige Male versucht, so daß ich mich schon gar nicht mehr an alle die einzelnen Versuche erinnern kann. Es ist ihnen nicht gelungen und wird den anderen Herren, die wieder anzufangen scheinen, sich sicher zu fühlen, noch weniger gelingen. Außerdem, wenn ich wirklich plötzlich sterben sollte, obwohl ich mich augenblicklich einer ausgezeichneten Gesundheit erfreue, und wenn irgendwelche Zweifel über meinen Tod bestehen sollten, so ist dafür gesorgt, daß meine Aufzeichnungen an die richtige Stelle gelangen. Ich habe sie nicht in meiner Wohnung, auch nicht in einem Bankfache, aber sie sind da und würden zur rechten Zeit zum Vorschein kommen. Deshalb habe ich Ihnen das alles erzählt, Alderman Purnell. Deshalb. – Und nun lassen Sie uns zum Geschäft übergehen.«


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