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11.

Narbengesicht Al lehnte sich in seinen Stuhl zurück.

»Lassen Sie mich vorher Ihnen noch etwas erzählen, was Sie interessieren wird«, bemerkte Alderman Purnell, offenbar bemüht, seinen Besucher in bessere Stimmung zu versetzen. »Es betrifft Ihren Freund Bug Moran. Er erhielt vor ein paar Tagen eine Schiffsladung Whisky von Detroit. Das Motorboot landete bei der Mohawk Werft und dort warteten neun Lastautos auf den Transport. Die Küstenwache kreuzte indessen vor den Piers in Süd-Chikago und als sich dort nichts ereignete, kam ihr wohl eine Ahnung, daß ihr Kapitän sie aus guten Gründen nach einer Richtung gesandt hatte, wo sie keinen Schaden anrichten konnte. Well, es warteten aber auch noch zwei andere Leute auf den Transport, zwei Beobachter, die Pater Bennet ausgesandt hatte.«

»Er wird sie nicht mehr lange aussenden«, versetzte Narbengesicht Al. »Dieser gute Mann sollte sich lieber um seinen und nicht um unsern Spiritus kümmern.«

»Ich weiß«, entgegnete Purnell. »Man hat ihn bereits mit dem Tode bedroht und eines schönen Tages wird man die Drohung ausführen. Es wird eine Dummheit sein, denn wenn ein Priester getötet wird, so gibt das ein ungeheures Geschrei im Lande, viel mehr noch als im Falle Lingle; aber es wird Leute geben, die da glauben, es ist unvermeidlich. Der Ku Klux Klan und der Distriktanwalt haben ihm ihren Schutz zugesagt.«

Narbengesicht Al wiegte den Kopf hin und her. Das zeigte, welchen Wert er diesem Schutze beimaß.

»Well, die beiden Kerle beobachteten, wie das Boot entladen wurde. Die Kisten wurden von Polizeibeamten aus dem Boote in die Lastautos befördert und ein Polizeikommissar notierte ihre Anzahl. Man entdeckte die Spione und forderte sie auf zu helfen. Gegen gleiche Bezahlung, zehn Dollar und eine Flasche Whisky. Sie weigerten sich, sprangen in ihr Auto und sausten davon, freilich nicht schnell genug, um nicht einen von Morans Leuten Zeit zu lassen, auf das Trittbrett zu springen und mitzufahren. Er bedrohte sie mit dem Revolver, kam aber nicht zum Schießen, denn die im Auto setzten ein rasendes Tempo auf, so daß er genug zu tun hatte, sich auf dem Trittbrett festzuhalten. Die Straßen in dieser Gegend sind, wie Sie wissen, nicht im besten Stande. Es gelang ihm auch nur für eine kurze Zeit, sich zu halten, dann stürzte er ab. Die Spitzel fuhren direkt nach der Polizeistation und machten dort Anzeige, berichteten alles, was sie gesehen hatten.«

»Die Esel«, sagte Al Capone mit mitleidiger Geringschätzung.

»Natürlich waren sie Esel«, bestätigte Purnell. »Als ob die Polizei mit solchen Leuten nicht fertig zu werden wüßte. Der Polizeileutnant nahm sie sich auch gehörig vor und sagte ihnen rundweg, daß er ihre Anzeige nicht annehme. Die Polizisten wollten sich ein paar Dollars verdienen und es müßten schon andere kommen, ihnen das zu verderben. Darauf ließ er sie durchsuchen und hinauswerfen. Buchstäblich hinauswerfen und nicht zu sanft.

Well, als sie ihr Auto wieder bestiegen hatten, sprang ein anderer Mann auf das Trittbrett und bedrohte sie mit dem Revolver. Diesmal gelang es ihnen nicht, ihn abzuschütteln. Er befahl ihnen, zurück nach der Mohawk Werft zu fahren. Als sie dort ankamen, war die Werft leer, das Motorboot und die Lastautos waren verschwunden und nichts deutete darauf hin, daß der nächtliche Friede in dieser Nacht dort überhaupt gestört worden wäre.

Sie war aber doch nicht so leer, wie es den Anschein hatte. Man zwang die Kerle, auszusteigen, und sie sahen sich plötzlich von einem Dutzend wütender Polizisten umringt, die sie mit ihren Revolvern bedrohten.

›Vorwärts! Geradeaus!‹ befahlen die ihnen. ›Oder wir blasen euch euer verdammtes Gehirn aus dem Schädel!‹

Der Weg geradeaus führte auf den Pier und in das Wasser. Sie kennen ja wohl die Gegend dort. Die Werft ist nicht in Benützung, die vorhandenen Gebäude zerfallen. Selbst die Eisenbahn, der sie gehört, hat sich seit langer Zeit nicht darum gekümmert. Sie liegt ganz außerhalb allen Verkehrs und es gehört Mut und ein Revolver dazu, sich in der Nacht dorthin zu wagen. Man brauchte eine Dampfpfeife dazu, Hilfe herbeizurufen. Ein Platz wie geschaffen für ein bißchen Bier- und Whiskyschmuggel und nötigenfalls auch, um sich einen Zeugen vom Halse zu schaffen. Beides soll vorgekommen sein, wie Sie wohl gehört haben.«

Ein zynisches Lächeln legte sich bei dieser letzteren Bemerkung um seine Lippen. Wenn er aber eine Äußerung Capones erwartet hatte, so sah er sich getäuscht. Der warf nur den Stummel seiner Zigarette in den Aschbecher und wartete ruhig, bis Alderman Purnell fortfahren würde, vielleicht hatte er Gründe, auf die Sache nicht näher einzugehen.

Nachdem Alderman Purnell sich überzeugt hatte, daß Narbengesicht Al von der ihm gebotenen Gelegenheit zu einer Äußerung keinen Gebrauch machen würde, sprach er weiter.

»Well, an dem Pier können Schiffe mit einem Tiefgang bis zu vierzig Fuß anlegen und Lastautos unmittelbar an das Bollwerk heranfahren.

›Sie können uns hier morden‹, rief Hagney, der eine der beiden Kerle, ›aber, bei Gott, Sie werden dafür büßen müssen!‹

Der Ausruf Hagneys erinnerte Polizeikommissar Wynne, der die Gruppe anführte, an den Skandal, der entstanden war, als man die Leiche Sam Dales dort gefunden hatte.«

Purnell richtete seinen Blick, der jetzt etwas Stechendes, etwas wie eine unausgesprochene Drohung in sich hatte, auf seinen Besucher. Der hatte unverhüllte Drohungen ausgesprochen und es war ganz gut für ihn, daß auch er, Purnell, damit dienen konnte. Narbengesicht Al verstand das recht wohl, aber ein leichtes Zusammenziehen seiner Augenbrauen war alles, womit er von der Drohung Kenntnis nahm. Er blieb ruhig und sah dem Alderman forschend in das Gesicht.

»Well –?« fragte er, als dieser noch immer keine Anstalten machte, die Kunstpause abzukürzen und in seinen Mitteilungen fortzufahren.

Purnell sah, daß er seine Absicht erreicht hatte. Die kleine Pause hatte genügt, seine Worte in Narbengesicht Al einsinken zu lassen.

»Well«, antwortete er daher, »das genügte, um Wynne zur Besinnung zu bringen.

›Laßt sie leben, aber gebt ihnen einen Denkzettel, daß ihnen ihre Schnüffelei ein für allemal vergeht!‹ rief er.

Das wurde nun auch besorgt und so gründlich, daß die Kerle bewußtlos auf dem Pier liegen blieben. Nach einiger Zeit erholten sie sich aber wieder und da die Polizei sich geweigert hatte, ihre Anzeige anzunehmen, wandten sie sich an die Zeitungen. Damit war der neue Skandal fertig. Das war der Fehler, den Wynne gemacht hatte. Ich bin im allgemeinen kein Freund von Morden; wir haben entschieden zu viele davon in Chikago, aber es gibt doch Fälle, wo man kein Bedenken haben darf, bis ans böse Ende zu gehen. Hätte man später ihre Leichen gefunden, so wäre das Aufsehen viel geringer gewesen. Man hätte nur eben wieder zwei unaufgeklärte Morde zu verzeichnen gehabt. Jetzt aber waren die Urheber genannt und das Gericht konnte nicht anders, als Wynne und neun andere Polizeibeamte zu verhaften. Technisch wenigstens, denn sie wurden gegen eine Bürgschaft von je zehntausend Dollar, die sofort von befreundeter Seite erlegt wurde, gleich wieder auf freien Fuß gesetzt.«

»Das weiß ich doch aber alles«, warf Narbengesicht Al ein. »Ich lese doch auch Zeitungen.«

»Gewiß«, antwortete der Alderman, »aber der Schluß wird Ihnen neu sein. Man hat nämlich auch die beiden Zeugen verhaftet. Sie wissen, die Polizei hat das Recht, wichtige Zeugen in Verwahrungshaft zu nehmen, um ihr Erscheinen in den späteren Verhandlungen sicherzustellen. Das ist nun der Humor bei der ganzen Sache. Auch die Zeugen will man gegen eine Bürgschaft von zehntausend Dollar aus der Haft entlassen, nur ist niemand da, der sie für sie erlegt. Die angeschuldigten Polizisten sind also frei und ihre Ankläger sitzen fest. Und Sie können es der Polizei überlassen, die Sache endlos in die Länge zu ziehen. Für die nächsten sechs oder acht Monate werden sie das Gefängnis jedenfalls nicht verlassen.«

Das sei der Humor bei der Sache, hatte Alderman Purnell gemeint.

»Übrigens«, fuhr er fort, »ich habe um drei Uhr eine Verabredung mit einem Reporter der Tribune. Das Blatt will meine Ansicht über die Prohibition hören. Well, ich werde sie ihm geben. Man muß die Presse immer unterstützen, meinen Sie nicht auch? – Was sind also nun die Geschäfte, die Sie mit mir besprechen wollten?«

»Ich erwarte diese Nacht einen Biertransport von Windsor. Er wird bei der Doran Werft landen. Ich möchte, daß Sie mir zunächst die Küstenwache vom Leibe halten, damit die nicht etwa eine Dummheit macht und mein Boot abfängt. Dann brauche ich einen Kommissar und ein Dutzend Polizisten, um den Stoff aus dem Schiff auf die Lastautos zu verladen.«

»Haben Sie selbst keine Leute dazu?«

»Doch. Aber bei einer so großen Lieferung – und um eine solche handelt es sich heute – ist mir die Polizei sicherer. Die Hijacker haben mir in der letzten Zeit zu viel Schaden zugefügt. Ich habe ihnen freilich, soweit es sich um die Moranleute handelte, in gleicher Münze heimgezahlt. Aber es gibt zu viele unabhängige Hijacker, die auf eigene Faust arbeiten, niemals auch nur eine einzige Kiste Bier oder Whisky importieren und an denen man sich deshalb auch niemals schadlos halten kann. Mit meinen Leuten kann ich da nichts machen, denn die haben ja schließlich für ihre Haut zu sorgen, aber die Polizei kann sie festnehmen und was ihnen dann bevorsteht, das wissen sie nur zu gut. Nein, ich ziehe die Polizei vor.«

»Das läßt sich leicht machen«, entgegnete Purnell, indem er seinen rechten Fuß, den er über den linken gekreuzt hatte, auf- und niederwippen ließ. »Ich spreche heute nachmittag mit Wynne. Wann brauchen Sie die Leute?«

»Sie sollten nicht später als um ein Uhr an der Werft sein.«

»Bezahlung ist die übliche?«

»Ja. Für die Polizei zehn Dollar der Mann und Bier, so viel er tragen kann. Für Sie, wie gewöhnlich, siebenhundert Dollar für die ersten zweihundert Kisten und einen Dollar für jede weitere.«

»Wieviel Kisten erwarten Sie?«

»Wenn ich alle landen kann, dreitausend.«

»All right.«

Alderman Purnell griff nach dem Fernsprecher, der vor ihm auf dem Schreibtisch stand und als sich das Amt meldete, nannte er eine Nummer.

»Hello«, sagte er, als eine Stimme vom andern Ende durchkam. »Bist du das, Mac? – All right, hier ist Alderman Purnell. Ich habe einen Tip für dich. Großer Biertransport von Detroit – soll in Süd-Chikago gelandet werden. – An welcher Werft? – Ich bin nicht ganz sicher, glaube aber Thompson. So weit werdet ihr sie ja nicht kommen lassen, denn ihr müßt sie doch auf dem Wasser abfangen. Oder wollt ihr sie etwa den Prohibitionsleuten auf dem Lande überlassen? – Zeit? – Well, es wird Mitternacht sein. – Die Nacht ist dunkel? Ja, glaubt ihr vielleicht, daß solche Transporte bei mondhellen Nächten unternommen werden. So bequem machen sie es euch nicht. Also halte deine Kräfte auf der Südseite der Stadt. Good by!«

Er hängte den Hörer wieder ab und wandte sich zu seinem Besucher.

»Das genügt. Mac weiß, was das bedeutet, und wird euch seine Leute aus dem Wege halten. Mit Wynne rede ich noch.«

Der Eintritt des Dieners unterbrach ihn, wenn er noch hätte etwas sagen wollen. Er überreichte dem Alderman auf einem Teller von japanischer Filigranarbeit eine Karte.

»Norman Tilton«, las Purnell laut und zu dem Diener gewendet, fügte er hinzu: »Sofort.«

Narbengesicht Al erhob sich und reichte dem Alderman die Hand.

»Wir haben ja alles besprochen, was zu besprechen war«, sagte er.

»Ich denke. Also leben Sie wohl.«

Al Capone schickte sich an, dem Diener zu folgen.

»Gehen Sie lieber hier hinaus«, versetzte Purnell. »Es ist besser, wenn er Sie nicht sieht.«


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