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21.

Es war gegen Mittag, als Tilton das Reporterzimmer der Tribune betrat. Mehrere seiner Kollegen saßen an Schreibmaschinen, um ihre Berichte herunterzuhämmern, während andere vermutlich unterwegs waren, um ihre verschiedenen Assignements (bestimmte Aufträge eines Reporters) zu bearbeiten. Sie blickten bei seinem Eintritt nicht auf. Die Zeit drängte, die Setzerjungen warteten auf Copy für die Frühausgabe der Abendnummer.

Nur Miß Morgan lächelte ihm freundlich zu und sagte:

»Da kommt der Mann, der uns den Scoop bringt.«

»Kann ich Mr. Rogers sprechen?« fragte Tilton.

Er hatte keine Zeit, auf eine Neckerei, die Miß Morgan wichtiger schien als alles andere, einzugehen. Sein Bericht mußte unter allen Umständen noch in die Frühausgabe und er würde lang werden.

»Kommen Sie, Tilton«, sagte der Re-write-Mann, der an seinem Pulte saß und eifrig Fahnenabzüge korrigierte, jetzt aber aufstand. »Rogers wollte mit Ihnen sprechen, sobald Sie zurückkämen.«

Sie betraten das Zimmer des Editors und hatten eine längere Unterredung mit ihm.

»Können wir ihm zweitausend Worte geben, William?« wandte er sich an den Re-write-Wann. »Der Anfang muß unbedingt auf die erste Seite. Wenn nötig, stellen Sie etwas anderes zurück.«

»Ich kann ihm sechshundert Worte auf der ersten Seite geben. Fortsetzung auf der fünften Seite.«

»All right, Tilton. Werfen Sie sich ins Zeug, als wenn zwei Dutzend Gläubiger hinter Ihnen her wären, und arbeiten Sie das menschliche Interesse gut heraus, was ja eigentlich selbstverständlich ist und ich Ihnen kaum zu sagen brauche, versetzen Sie auch den Prohibitionsbeamten einige Hiebe, die die großen Bootlegger niemals antasten, aber armen Frauen und kleinen Sündern gegenüber Heldentaten verrichten. Übrigens, Sie können den Bericht zeichnen, die ganze Sache stammt von Ihnen und Sie sind seit gestern ein berühmter Mann. Ich sag's ja immer, ein Journalist muß Glück haben.«

»Mein Glück wäre vielleicht noch größer gewesen, wenn mich Piggys Leute gestern auf den Platz gebracht hätten«, bemerkte Tilton boshaft.

»Unbedingt«, gab der Editor zu, »aber der Mensch soll nicht unbescheiden sein und nicht immer alles haben wollen. Das erinnert mich nebenbei daran, das Johnson mich eben angerufen hat. Lyle hat die Kerle zu je einem Jahre Gefängnis verurteilt. Das gibt Ihnen zunächst eine Atempause.«

»Soweit die Verhafteten in Frage kamen«, unterbrach ihn Tilton. »Ich gäbe aber etwas darum, wenn ich wüßte, ob nicht schon andere bereit sind, ihre Stelle einzunehmen. Ich kann nicht gerade behaupten, daß es ein angenehmes Gefühl ist, herumzugehen und jeden Augenblick zu erwarten, einer Kugelspritze zum Ziel zu dienen.«

»Well, ich denke mir, Piggy wird für eine Zeitlang abgeschreckt sein«, meinte der Editor beschwichtigend.

»Das sind diese Leute niemals. Sie gehen einfach drauf los. Und der Verlauf, den die Dinge bisher immer genommen haben, gibt ihnen darin recht.«

Der Editor ging nicht weiter darauf ein.

»Lyle ist Kandidat für den Bürgermeisterposten. Das kann uns aber gleichgültig sein und man muß sagen, er hat den rechten Weg eingeschlagen, sich bei den Wählern in Gunst zu setzen. Freilich hat er jetzt alle Gangster und Racketeers, die mehr als dreißigtausend Speakeasy und alle anderen, die aus der Prohibition Vorteile ziehen, gegen sich und man muß abwarten, was dabei herauskommt. Die Kerle haben sich schuldig erklärt. Sie konnten nichts anderes tun, denn sie waren überführt. Aber sie hatten es doch verdammt eilig damit, daß ich glaube, sie wollten nur eine weitere Untersuchung verhindern, die wahrscheinlich noch ganz andere Dinge ans Tageslicht gebracht hätte. Der Verteidiger hatte bereits den Antrag auf ihre Entlassung aus der Haft gegen Bürgschaft gestellt. Den lehnte Lyle aber ab mit dem Hinweis, daß die Verhandlung sofort stattfinden würde. Damit war dem Anwalt der Wind aus den Segeln genommen. – Noch eins. Wissen Sie, daß man den Mörder Lingles gefaßt hat?«

»Wieder einmal?«

»Die Polizei behauptet es.«

»Wie oft hat sie es schon behauptet? Ich habe nicht nachgezählt.«

»Ich auch nicht.«

»Wer ist es diesmal?«

»Ein gewisser Leo Brothers aus St. Louis. Sieben Zeugen, die die Tat mit angesehen, haben ihn wiedererkannt. Das überzeugt mich davon, daß das Ganze nur wiederum eine falsche Nachricht von der Polizei ist, um das Publikum zu beschwichtigen. Sieben Tatzeugen erkennen einen Mann, den sie nur einmal flüchtig gesehen haben, niemals bestimmt wieder. Einige davon werden immer im Zweifel sein, ob er's wirklich ist. Es ist schon merkwürdig, daß sich die Polizei dazu einen Mann aus St. Louis gegriffen hat. Er scheint allerdings ein bekannter Gangster zu sein. Hat in St. Louis schon sechsundsechzigmal unter Anklage gestanden, ohne daß man ihn auch nur ein einziges Mal hätte verurteilen können. Well, ich bin sicher, es gelingt hier auch nicht. Nach ein paar Tagen hört man nichts mehr von der Sache, wie in den andern Fällen auch.«

Tilton und William kehrten nach dem Reporterzimmer zurück und begaben sich an ihre Arbeit.

Zehn Minuten ungefähr mochte Tilton wie besessen auf seine Maschine losgehämmert haben, denn sein Gehirn bildete die Sätze schneller, als seine Finger sie auf die Tasten übertragen konnten, als er an den Fernsprecher gerufen wurde.

Darauf hatte er gewartet. Unbewußt zumeist, aber doch mit Spannung, denn mitten in seiner hetzenden Arbeit, mitten in dem Wust von Sätzen, die sich in seinem Gehirn formten, war doch immer wieder der Gedanke, daß er verabredungsgemäß um diese Zeit einen Anruf von Dolores Carranza zu erwarten habe, durch alle anderen Gedanken durchgeblitzt.

Er hatte sich auch nicht getäuscht.

Es war Dolores.

Sie befand sich allein im Hause. Die Mutter der Mrs. Brown war nach dem Besuche im Hospital mit den Kindern bei ihr vorgefahren und hatte ihr alles erzählt, was sich mit ihrer Tochter im Gefängnis ereignet. Mrs. Brown würde noch ein paar Tage im Hospital zubringen müssen, die Kinder sollten solange bei der Großmutter bleiben. Der Mann wurde erst abends nach Arbeitsschluß zurückerwartet.

Sie erzählte ihm weiter, daß sie sich entschlossen habe, den Abendzug nach San Franziska, der um zehn Uhr ging, zu benützen; augenblicklich sei sie mit dem Packen ihrer beiden Koffer beschäftigt, die sie durch die Expreßgesellschaft nach dem Bahnhof in Chikago befördern lassen wolle, vor einer halben Stunde habe übrigens Piggy Donnovan sie angerufen. Er wollte sich für einige Zeit in seinen Stammlokalen nicht sehen lassen. Aus diesem Grunde sei es ihm auch unbekannt geblieben, daß sie am vorigen Abend nicht in dem Speakeasy aufgetreten war. Er habe gefragt, ob sie Tilton, einen Reporter der Tribune, kenne, was sie natürlich verneint habe. Darauf habe er sie aufgefordert, ihn am Nachmittage um fünf Uhr im Florida-Café in der Michigan Street zu treffen. Er scheine Verdacht gegen sie zu hegen, aber nicht sicher zu sein. Sie habe zugesagt, würde aber natürlich nicht hingehen, denn mit der Rolle, die sie hier gespielt habe, sei es jetzt zu Ende und sie fürchte sich vor ihm. Piggy brauche nicht mehr als einen Verdacht, um das Schlimmste zu tun. Sie teile das Tilton aber mit für den Fall, daß die Polizei es mit seiner Verhaftung ernst meine und er ihr einen Wink geben wolle.

Sie habe die Absicht, das Haus noch vor fünf Uhr zu verlassen. Um diese Zeit kehre Mr. Brown von seiner Arbeit zurück. Sie habe alles mit ihm schon am Morgen geregelt. Es könne aber sein, daß Piggy, der ihr jetzt offenbar mißtraue und das noch mehr tun würde, wenn sie zu der verabredeten Zusammenkunft im Café nicht erschien, sie in ihrer Wohnung aufsuchte. Bisher habe er das nicht getan, denn sie hätte es ihm verboten, daran würde er sich jetzt wahrscheinlich nicht mehr kehren und dem wolle sie sich nicht aussetzen.

Es war Tilton ganz angenehm, daß sich ihm unter diesen Umständen eine Aussicht bot, mit Dolores Carranza ein paar Stunden, bis zum Abgang ihres Zuges, zusammen zu sein. Sein Dienst in der Redaktion war um vier Uhr beendet und so verabredete er mit ihr eine Zusammenkunft um fünf Uhr in einem anderen Café, das weit genug von der Michigan Street ablag, um auch eine Begegnung durch Zufall mit Piggy unwahrscheinlich zu machen.

Damit hängte er den Hörer wieder an und begab sich in das Zimmer des Editors, um ihm mitzuteilen, daß Piggy um fünf Uhr im Florida-Café in der Michigan Street sein würde.

»All right«, sagte der Editor. »Ich werde es sofort der Polizei melden. Ich glaube ja nicht, daß viel dabei herauskommt. Die Haussuchung hat nichts ergeben, wenigstens haben wir nichts von einem Erfolge gehört, was sonst unbedingt der Fall gewesen wäre. Seine verhafteten Leute bestreiten auch jede Verbindung mit ihm und solange Sie dem Gericht Ihre Zeugen nicht vorführen können oder wollen, fehlt alles Beweismaterial gegen ihn.«

»Nein, ich kann Miß Carranza nicht der Gefahr aussetzen, als Zeugin gegen einen Gangster aufzutreten«, entgegnete Tilton fest. »Denken Sie an den Fall der Mrs. Howard. Sie sollte morgen gegen den Millionär Nelson T. Bowles und seine Privatsekretärin Irma G. Loucke, die wegen Mordes seiner Frau angeklagt sind, als Zeugin auftreten, liegt aber im Hospital, da ein Mordversuch auf sie verübt wurde. Sie war auf der Hofseite aus ihrem Hause getreten, als ein Mann auf sie lossprang und rief: ›Diesmal kriege ich Sie!‹«

»Ich weiß«, nickte der Editor.

Ohne sich dadurch beirren zu lassen, fuhr Tilton fort:

»Als sie dann von einer Nachbarin, die durch ihr Schreien aufmerksam geworden war, gefunden wurde, war sie halb besinnungslos, hatte zwei Stichwunden über dem Herzen und eine schwere Kopfwunde, von einem Schlage mit einem stumpfen Werkzeuge herrührend. Der Täter war entkommen. Die Frau wird vielleicht sterben. Es war der zweite Angriff auf ihr Leben, vorigen Dezember drang ein unbekannter Mann in ihr Haus, schlug sie halb bewußtlos und drohte ihr mit dem Tode, wenn sie in der Verhandlung gegen Bowles gegen diesen aussagen würde. Und es sind nicht nur Millionäre, die sich so etwas leisten können. Ich erinnere Sie an den Fall in Kalifornien, wo ein Mann sich seiner Frau entledigen wollte. Er dingte sich einen Mörder, dem er zweitausend Dollar versprach, wobei er zwei, ganze zwei Dollar darauf anzahlte. Der Mann führte die Tat aus. Der Ehemann ist jetzt zu lebenslänglichem Zuchthaus und der Mörder zum Tode verurteilt worden. Für zwei Dollar. Nein, Rogers, solange sich Leute finden, die nicht mehr Verstand haben, als für ein paar Cents einen Mord zu begehen, werden Sie begreifen, daß ich Miß Carranza den Gefahren einer Zeugenschaft nicht aussetzen kann.«


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