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6.

Dreifinger-Jack und die beiden Journalisten hatten den Vorgang mit Interesse beobachtet, ihn aber ebenfalls nur als etwas angesehen, das in der Hauptsache nur die unmittelbar dabei Beteiligten anging. Es war ihnen natürlich völlig klar, daß das Mädchen einer der gewöhnlichen Vampyre war, wie man sie zu jeder Zeit in Lokalen dieser Art antrifft, wo sie ihre Künste gegen jeden, bei dem sie den Besitz von reichlichen Geldmitteln festgestellt haben, in tausenderlei Form spielen lassen.

Meist freilich werden ihre Geschäfte in diesen Lokalen nur vorbereitet, um später im geeigneten Augenblicke und vielleicht mit Hilfe ihres niemals sehr weit entfernten Beschützers zur Ausführung gebracht zu werden. Carrie aber, wie Jim sie genannt hatte, war dreister gewesen und hatte diese Zurückhaltung nicht geübt. Sie mußte sich sehr sicher gefühlt und den Mann für betrunkener gehalten haben, als er in Wirklichkeit war, denn es hatte sicher nicht in ihrer Absicht gelegen, es hier zu einer solchen Szene kommen zu lassen. Das konnte sie bei dem Besitzer des Lokals keineswegs beliebt machen. Indessen hatte wohl kein einziger im Saale den Diebstahl bei seiner Ausführung beobachtet und hätte daher auch nicht bezeugen können, daß das Mädchen ihn begangen oder etwa der Mann, wie sie behauptete. Auf jeden Fall war sie im Besitz der Beute geblieben und das war eine Lösung, die vermutlich den meisten der anwesenden Gäste zusagte.

»Wollen Sie sich von der Polizei sehen lassen?« fragte Tilton Dreifinger-Jack.

»Sie meinen, weil ich auf der Liste stehe?« fragte dieser zurück. »Das macht nichts aus. Wenn sie wirklich kommt, ist es wegen der andern Sache. Mir gilt das einstweilen nicht. Aber ich werde morgen meine Adresse wechseln, denn gar zu leicht darf man es der Polizei auch nicht machen. Werde mich eine Zeitlang damit begnügen, außerhalb Chikagos zu wohnen, denn Landstreicherei ist ein Delikt, das nur die örtlichen Behörden etwas angeht. Außerhalb Chikagos kann die Polizei nicht an mich heran, und daß sie mich in der Stadt findet, ist nicht sehr wahrscheinlich. Es müßte schon der reine Zufall sein. Aber trotzdem, wie ich schon sagte, es wird uns immer schwerer gemacht, einen Penny auf ehrliche Weise zu verdienen. Nehmen Sie an, da war vergangene Woche Jack Oakie hier, der Filmstar, wissen Sie. Er zeigte sich in einem Lichtspielhause dem verehrten Publikum. Well, er, oder eigentlich sein Manager, Marty Martyn, erhielt Besuch von ein paar Leuten, die ihn sehr höflich darauf aufmerksam machten, daß etwas recht Unangenehmes gegen Oakie geplant sei. Sie könnten es aber verhindern, wenn er seine Einnahme für das Auftreten eines Abends an eine wohltätige Gesellschaft abgeben würde –«

»Die natürlich aus Ihnen und Ihren Freunden bestand«, bemerkte Dorsey, indem er seine Brille zurechtsetzte und lächelte.

»Ihr Scharfsinn ist bewundernswert«, bemerkte Dreifinger-Jack, »aber das ist eine Seite der Frage, über die ich Ihren Vermutungen lieber freien Spielraum lasse. Well, der Manager wollte das nicht einsehen. Man findet das häufig bei Leuten von auswärts. Er erhielt deshalb am nächsten Tage den Besuch von anderen Leuten, die nicht mehr ganz so höflich waren und ihm sagten, daß wir in Chikago bestimmten und er nur die Wahl hätte, das Geld entweder an die erwähnte wohltätige Gesellschaft zu zahlen, oder es für das Begräbnis seines Mannes aufzuwenden.«

»Und der Erfolg?« fragte Dorsey.

»Well, die Leute sind vielfach so kleinlich und das erschwert uns unser Geschäft so sehr. In diesem Falle packten Manager und Künstler schleunigst ihre Koffer und reisten ab.«

»Verlangen Sie von allen Künstlern, die nach Chikago kommen, diese – Versicherungsgelder?«

»Unser Geschäft ist ziemlich gut organisiert und soweit wir aus den Zeitungen von ihrem Auftreten Kenntnis erhalten, unterhandeln wir mit ihnen. In der Regel bezieht sich das aber nur auf die freien Veranstaltungen, denn die Theater und Lichtspielhäuser sind ja fast alle bei uns versichert und zahlen monatlich.«

»Ich kann mir nicht denken, daß Sie von den Künstlern große Einnahmen beziehen«, meinte Tilton. »Seit wir das Radio haben, geht doch kaum noch jemand in Vorträge und Konzerte.«

»Danach können wir uns nicht richten«, entgegnete Dreifinger-Jack freimütig, »wenn wir erst die Zahlungsfähigkeit unserer Kunden abschätzen wollten, würden wir nicht weit kommen.«

Er wollte wohl noch etwas hinzufügen, hielt aber inne, denn die Eingangstüre war eben aufgestoßen worden und mehrere Männer, die man an ihrem ganzen Auftreten unschwer als Detektive erkennen konnte, mit einem Polizisten in Uniform und dem Fremden, der Carries Opfer geworden war, traten ein.

»Hallo, Jim«, begrüßte einer der Detektive, der den übrigen gegenüber wohl einen höheren Rang einnehmen mochte, den Manager. »Hier ist ein Mann, der behauptet, ein Mädchen hier habe ihm beim Tanze sein Geld gestohlen. Mehrere Tausend Dollars, die er für Vieh eingenommen hat, das er von Texas hierher verschifft und in den Stockyards verkauft hat.«

Sie waren an die Bar herangetreten, hinter der Jim sich mit der gleichgültigsten Miene von der Welt eine Zigarre ansteckte.

»Ja, das hat er auch hier behauptet«, entgegnete er in einem Tone, der seine Zweifel an dieser Tatsache genügend zum Ausdruck brachte. »Indessen das Mädchen sagte das Gegenteil. Er habe sie bestehlen wollen, aber sie habe es bemerkt.«

»Wo ist das Mädchen?« fragte der erste Sprecher wieder.

»Das Mädchen? Nun, das ist gerade zur Türe hinaus. Wenn Sie zwei Minuten eher gekommen wären, hätten Sie sie noch sehen müssen.«

»Wer war es?«

»Wer es war? Well, da fragen Sie mich zu viel. Ich kenne sie nicht. Sie sagte, sie wollte zur Polizei gehen, um Anzeige zu machen.«

Der Detektiv gab ihm einen Wink mit den Augen. Er wußte ganz genau, wie die Sache lag, denn Dinge dieser Art kamen zu häufig in Chikago vor, als daß er darüber irgendwie hätte im Zweifel sein können.

»Wird sich hüten!« schrie der Viehzüchter, der inzwischen beträchtlich nüchterner geworden war, in dem sich aber die Aufregung über den Verlust seines Geldes entsprechend erhöht zu haben schien. »Und Sie stecken mit ihr unter einer Decke. Anstatt ihr das Geld abzunehmen, lassen Sie mich durch Ihre Rowdys von Kellnern hinauswerfen.«

»Das war nötig, denn Sie schrien hier herum wie ein Verrückter«, rief Jim, jetzt auch heftiger werdend. »Das kann hier nicht geduldet werden, denn hier ist ein anständiges Lokal.«

»Schönes anständiges Lokal! Eine ganz gemeine Diebeshöhle ist's!«

»Halt!« gebot der Detektiv streng. »Keine Beschimpfungen hier. Wenn Sie gegen die Bewirtschaftung hier zu klagen haben, dann gehen Sie zum Richter.«

»Er soll froh sein, wenn das Mädchen inzwischen nicht schon zum Richter gegangen ist«, sagte Jim mit nicht mißzuverstehender Betonung, »denn mir scheint, sie war in ihrem Recht.«

Der Detektiv sah sich im Saale um. Es war ihm völlig klar, daß der Fall für die Polizei aussichtslos war. Das Mädchen war verschwunden und wenn er auch Jims Beteuerungen, daß er sie nicht kenne, nach ihrem Werte einschätzte, so wußte er doch, daß er von ihm über ihre Persönlichkeit keinen Aufschluß erhalten würde.

Immerhin wollte er aber doch seine Pflicht tun und wandte sich daher an die Gäste.

»Ladies and Gentlemen! Sie haben vermutlich alle den Vorgang mit angesehen, über den sich der Mann hier beklagt. Hat zufällig jemand von Ihnen bemerkt, wie der Diebstahl ausgeführt wurde und wer ihn begangen hat?«

Niemand meldete sich, und nach einer Weile fuhr er fort:

»Kennt jemand von Ihnen das Mädchen, mit dem der Mann getanzt hat?«

Das gleiche Schweigen.

Der Detektiv hatte nichts anderes erwartet. Er war nicht im Zweifel darüber, daß die meisten ihm zum mindesten über die Persönlichkeit des Mädchens hätten Auskunft geben können, aber Erfahrung hatte ihm gelehrt, daß es ihm nicht gelingen würde, auch nur einen von ihnen zum Sprechen zu bringen. Das erschwert der Polizei ihre Arbeit so ungemein, auch in den Fällen, wo sie bereit wäre, energisch vorzugehen. Die Gangster sind aber unerbittlich und Zeugen leben selten bis zu einer Gerichtsverhandlung.

»Well, Sie sehen, Mister – wie war noch gleich Ihr Name? – Johnson? – Well, Mr. Johnson, Sie sehen, wie die Sache liegt. Sie können nicht beweisen, daß das Mädchen Ihnen Ihr Geld gestohlen hat und – well – mag sein, daß es auch günstig für Sie ist, daß sie Ihnen nichts beweisen kann. Sie kennen sie auch nicht und ich kann Ihnen nicht einmal Hoffnung darauf machen, daß wir herausfinden werden, wer sie ist.«

»Wenn sich alles so verhält, wie der Mann sagt, so ist ihm schließlich nur recht geschehen. Warum begeht er die Dummheit, mit so viel Geld auszugehen und sich mit einem Mädchen einzulassen, das er nicht kennt«, bemerkte Jim, indem er seine Zigarre aus dem einen Mundwinkel in den andern schob. »So hirnverbrannt ist doch niemand, und deshalb habe ich über die Sache noch immer meine eigene Ansicht.«

»Ich denke, wir können hier nichts mehr tun«, erklärte der Detektiv. »Sie kommen wohl besser noch einmal mit zum Büro; der Capitain wird noch mit Ihnen sprechen wollen.«

Der Mann erhob keinen Einspruch. Er hatte wohl längst eingesehen, daß er hier keine Hilfe finden würde und sich mit dem Verlust seines Geldes abfinden müsse, so gut oder so schlecht es ging.

»Well, es scheint, Carrie hat ein gutes Geschäft gemacht«, bemerkte Dreifinger-Jack, als sich die Tür kaum hinter den Polizeibeamten und dem Bestohlenen geschlossen hatte.

Das drückte seine Auffassung von der Sachlage aus.

»In einer Beziehung hat Jim recht«, meinte Dorsey. »Ein Narr und sein Geld werden schnell voneinander getrennt.«

Auf der Bar erschienen jetzt wieder die Whiskykrüge und Bierflaschen, und bald war an allen Tischen die Unterhaltung aufs neue im Gange, als ob sie nie unterbrochen worden wäre.

Eine Viertelstunde mochte so vergangen sein, Dreifinger-Jack hatte seine Mitteilungen wieder ausgenommen und als seine Blicke dabei, wie schon ein paarmal vorher, auf Piggy Donnovan fielen, bemerkte er:

»Sehen Sie sich da drüben meinen Freund Piggy an, wie der sich um Ramona del Barranca bemüht.«

Er nahm einen langen Schluck aus seinem Glase, das ihm soeben der Kellner gebracht hatte, nachdem er das letzte noch vor dem Erscheinen der Polizei vorsichtigerweise geleert hatte.

»Ich habe es schon gesehen«, entgegnete Dorsey. »Ist er Ihr Freund?«

»Wir waren Partner vor einiger Zeit«, antwortete Dreifinger-Jack. »Aber wir kamen später in Gegensätze und ich gründete meinen eigenen Gang. Piggy möchte immer befehlen. Alles soll so gehen, wie er es bestimmt und dabei macht er doch nur einen Fehler nach dem anderen. Da hatten wir vor einiger Zeit eine Sache in Kalifornien. Es handelte sich um einen reichen Mann, den wir entführt hatten und irgendwo in den Bergen versteckt hielten. Das Geschäft hätte fünfzig- oder hunderttausend Dollar eingebracht. Aber weil die Angehörigen entgegen der strengen Weisung Piggys Anzeige bei der Polizei gemacht hatten, geriet er in Wut und erschoß den Mann.

So hatten wir unsere ganze Arbeit und die Auslagen umsonst gehabt. Piggy ist viel zu schnell mit dem Revolver und schießt einen Mann lieber nieder, als daß er ihn leben läßt. Es ist ja richtig, ein toter Mund kann nichts mehr verraten, aber wenn die Sache mal schief geht, was ja auch vorkommen kann, so ist doch immer noch ein Unterschied, ob Sie fünfzehn oder fünfundzwanzig Jahre oder die Schlinge um den Hals bekommen. Das wollte er nicht einsehen. Er geht immer aufs Ganze, ohne Überlegung. Das ist immer das sicherste, meint er. Bei ihm ist Überlegung Feigheit, und Feigheit rennt einen Gangster stets ins Unheil, vielleicht hat er recht, denn manche verfahrene Sache ist schon durch Entschlossenheit, die vor nichts zurückschreckt, gewonnen worden. Aber er geht zu weit darin und das ist auch wieder falsch. In diesem Falle wäre der Mord nicht nötig gewesen. Piggy behauptete aber doch, als Abschreckung für andere, die sonst nur ermutigt würden, ebenfalls bei der Polizei Hilfe zu suchen. Das hätte er ihnen verleiden müssen, oder das ganze Geschäft wäre uns verdorben worden. Er hatte unzweifelhaft recht, denn in den meisten andern Fällen, die wir schon durchgeführt hatten, waren die Leute schon so klug gewesen, die Summen, die wir forderten, nach einigem Handeln zu zahlen, ohne uns Schwierigkeiten zu machen.«

»Wir lesen aber doch so häufig in den Zeitungen von solchen Entführungen«, warf Dorsey ein.

»Well, ganz geheim lassen sich diese Sachen nicht halten. Es sind doch immer reiche Leute, mit denen wir es zu tun haben; Leute in hohen Stellungen, deren Verschwinden nicht unbemerkt bleibt. Es läßt sich also auch nicht verhindern, daß die Zeitungen Wind davon bekommen. Etwas Genaues erfahren sie aber von den Verwandten so wenig wie die Polizei, denn die Leute wissen jetzt schon, daß plaudern gefährlich ist. Insofern hatte Piggy also recht. Aber es war nicht der Grund, weswegen er den Mann erschoß. Der lag wo anders. Ich hatte ihn nämlich stark im Verdacht, uns andern gegenüber falsches Spiel zu treiben. So kam es zu einem Streit und wir trennten uns. Ich war nämlich überzeugt davon und bin es noch, daß er im geheimen Einverständnis mit einem Verwandten des Entführten gehandelt hatte, einem Vetter, der sich infolge verfehlter Ölspekulationen in großen Geldschwierigkeiten befand und dem daran lag, das Geld seines Vetters in seine Verwaltung zu bekommen. Das ist dann auch geschehen, denn es waren nur zwei minderjährige Kinder vorhanden und er wurde ihr Vormund. Wir hatten dadurch das Lösegeld für den Entführten verloren, aber ich bin sicher, daß Piggy seinen Teil reichlich von dem Verwandten erhalten hat. Seine Gründe für den Mord, die er angab, waren nur faule Ausrede. Und Sie können keine Geschäfte mit Leuten machen, die gegen Sie nicht ehrlich sind.«

Eine tiefe Entrüstung gegen Unehrlichkeit selbst unter Dieben drückte sich in der letzteren Bemerkung aus.

Tilton hatte diese Vertraulichkeiten mit atemlosem Interesse angehört. Er war im Begriffe, nach dem Namen des Entführten und später Gemordeten zu fragen, obwohl ihm dieser nicht mehr zweifelhaft war, hielt diese Frage aber noch rechtzeitig zurück. Es wäre nicht richtig gewesen, dem Gangster ein zu großes Interesse an seinen Mitteilungen zu verraten. Wahrscheinlich würde er auch keine Auskunft erhalten haben, denn es hätte den Mann, der in der Empörung über das Verhalten seines früheren Partners ohnehin in seinen Offenbarungen schon weiter gegangen war, als er ursprünglich vermutlich beabsichtigt hatte, nur mißtrauisch gemacht. Er war überzeugt davon, jetzt den Mörder des Vaters von Dolores Carranza zu kennen. Freilich, über die Tragweite dieser Kenntnis täuschte er sich nicht. Daß er den beiden Journalisten diese Mitteilung gemacht, konnte der Mann nicht gut leugnen, wenn diese ihre Neutralität etwa vergessen und Schritte in der Angelegenheit unternehmen sollten, denn es waren eben zwei, die es behaupteten, gegenüber dem einen, falls dieser es etwa zu leugnen versuchen wollte. Tilton war aber sicher, daß der Mann erklären würde, er habe ihnen das allerdings erzählt, aber es sei unwahr. Er hätte sie nur zum Narren halten wollen, weil sie gar so begierig gewesen seien, Neuigkeiten aus der Gangsterwelt zu erfahren. Der Zeuge für den Mord war also wohl da, aber es war eine andere Sache, ihn auch vor Gericht zum Sprechen zu bringen und sich damit der geheimen Feme der Gangster auszusetzen.

Noch ehe er sich recht darüber klar war, was er tun sollte, wurde die Tür wieder geöffnet und ein Mann trat ein, dessen Erscheinen hier Dreifinger-Jack und einige andere Gäste, die ihn anscheinen kannten, in das höchste Staunen versetzte.

Er mochte dreißig oder auch fünfunddreißig Jahre alt sein. Genauer ließ sich sein Alter von seinem bartlosen breiten Gesicht, das man fast als viereckig hätte bezeichnen können, nicht abschätzen, von Gestalt war er massig und untersetzt und seine Schultern waren so hoch, daß man den Eindruck gewann, der Kopf sitze ohne Hals unmittelbar auf ihnen. Seine Brust war auffällig gewölbt, wie man es häufig bei Asthmakranken findet, obwohl alle andern Zeichen einer solchen Krankheit fehlten. Trotzdem machte er mit all der Massigkeit und Plumpheit seiner Gestalt nicht den Eindruck eines Kraftmenschen. Er trug einen dunklen Anzug und dazu passenden weichen Hut, dessen hintere Krempe hochgestellt war, während die vordere über die Stirn herabhing und die unter buschigen schwarzen Brauen hervorblickenden Augen beschattete.

Dem Manager und den Bartendern freundlich zuwinkend, ging er an der Bar vorüber und wählte sich einen leeren Tisch, an dem er sich niederließ.

»Sehen Sie sich den Mann da an«, flüsterte Dreifinger-Jack seinen beiden Tischgenossen zu. »Daß der es wagt hierherzukommen!«

»Wer ist es?«

»Jack Zuta.«

Der Name erklärte beiden allerdings das Erstaunen, das sein Erscheinen hier hervorgerufen. Er war ein bekannter Gangster, hatte früher mit Al Capone zusammengearbeitet und war dann auf die Gegenseite, zu Bug Morans Gang übergegangen. Vor kurzem war er verhaftet, aber bald wieder freigelassen worden. Nur war es bekannt geworden, daß er bei seinem Verhör zu viel geplaudert hatte, vielleicht war das nur eine Vermutung, vielleicht hatte man aber auch bei ihm den berüchtigten dritten Grad angewendet, mit dem die amerikanische Polizei es fast immer fertig bringt, Geständnisse aus Verhafteten herauszuholen, was sie aber bei Gangstern sonst meist rücksichtsvoll vermeidet. Unter dem Zwange dieser Methode hatte er dann möglicherweise mehr gesagt als gut für ihn war. Auf jeden Fall wußte er, daß sein Leben bedroht war, sobald er die Schwelle der Polizeistation verlassen, und daß er nicht ein paar Straßen weit kommen würde, bevor ihn die Rache des Konkurrenzganges erreichte.

Er bat deshalb inständig, daß ihn die Polizei doch wenigstens bis nach dem Loop bringen möge, wo er sich einigermaßen sicher glaubte. Der Polizeileutnant sah keinen Grund, ihm das abzuschlagen, da es ihm nur zu wohl bewußt war, wie sehr Zutas Befürchtungen begründet waren. Er rief noch drei Detektive und bestieg mit ihnen und Zuta ein Auto, das sich gleich darauf mit Höchstgeschwindigkeit in Bewegung setzte.

Schon nach wenigen Minuten bemerkten sie indessen, daß ein anderes Auto ihnen mit noch größerer Geschwindigkeit folgte. Und nun begann eine Jagd durch die Straßen, bei der es indessen bald ersichtlich war, daß sie ihren Verfolgern nicht entgehen konnten.

Nach kurzer Zeit kamen diese auch mit ihnen in eine Linie, und ohne ihre Fahrt zu verlangsamen, eröffneten sie aus ihrem Auto ein Maschinengewehrfeuer auf Zuta und seine Begleiter. Merkwürdigerweise blieben diese aber unverletzt, während der Führer eines im gleichen Augenblicke vorüberfahrenden Straßenbahnwagens getroffen und sofort getötet wurde. Die Angreifer, die niemand kannte, sausten davon.

Der Polizeileutnant erhielt von seinem Vorgesetzten eine scharfe Rüge, daß er Zuta begleitet hatte. Er hätte dazu kein Recht gehabt, die Aufgabe der Polizei wäre mit seiner Entlassung zu Ende gewesen.

Seit dieser Zeit hatte Zuta sich verborgen gehalten, oder es hatte doch niemand von seinem Verbleib Kenntnis gehabt. Jetzt erschien er hier in diesem Lokale, als ob seine Sicherheit etwas wäre, das ihm nicht die geringsten Sorgen bereitete.

Er hatte sich eine Flasche Champagner kommen lassen, was hier nicht auffiel, und trank von Zeit zu Zeit mit der Miene eines Mannes, der dieses Getränk zu würdigen versteht.

Von einem Tisch in einer der Kabinen erhob sich ein Mädchen und begab sich nach der Fernsprechzelle, wo es eine Zeitlang verblieb.

»Sollte mich wundern, wenn es heute nicht noch etwas gibt«, flüsterte Dreifinger-Jack den Zeitungsleuten zu, als es wieder zum Vorschein kam. »Die ist nicht umsonst da drin gewesen.«

Zuta hatte das offenbar nicht bemerkt oder dem Vorgange doch keine Bedeutung beigemessen. Er verblieb noch eine Weile auf seinem Platze, nickte hin und wieder einem Bekannten zu und erhob sich dann, wie gelangweilt, und schleuderte nach dem Piano, in das er einen Nickel warf. Es hatte kaum begonnen, einen lärmenden Jazzrhythmus herunterzuleiern, als die Eingangstür wieder aufgestoßen wurde und vier Männer von verwegenem Aussehen, mit Revolvern in den Händen hereinstürmten.

Ihre Blicke überflogen die anwesenden Gäste und entweder hatten sie von jemand einen Wink erhalten, oder Zuta selbst an dem Klavier erspäht, jedenfalls blitzten ihre Revolver auf und unter der Menge der auf ihn abgefeuerten Schüsse stürzte dieser tot zu Boden.

Im nächsten Augenblick waren die Attentäter schon wieder aus dem Lokal hinausgestürmt, in das mit ratterndem Motor draußen auf sie harrende Auto gesprungen und davongesaust Dieser Vorgang ist keine Erfindung des Autors, sondern hat sich, wie alle anderen, die hier geschildert sind, tatsächlich und in der Weise, wie hier beschrieben, zugetragen..

»Ja, unser Geschäft wird immer schwerer«, meinte Dreifinger-Jack philosophisch.

»Das ist der Segen der Prohibition«, sagte Tilton.


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