Charles Dickens
Skizzen aus dem Londoner Alltagsleben
Charles Dickens

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel

Frau Joseph Porter.

Höchst großartig waren die Vorbereitungen zu Rose Villa, Clapham Rise, und nicht gering die Sorge, welche den Besitzer, Herrn Gattleton (einen Börsenmakler in besonders comfortabeln Umständen), und seine interessante Familie beschäftigten, als endlich der Tag zur Darstellung einer Privatkomödie herannahte, worauf man sich schon seit Monaten vorbereitet und gefreut hatte.

Die ganze Familie war von der Liebhabertheatermanie angesteckt. Das Haus, sonst die Zierlichkeit und Niedlichkeit selbst, war, um sich des bezeichnenden Ausdruckes Herrn Gattleton's zu bedienen, »völlig zu den Fenstern hinausgeworfen«; der große Speisesaal, seiner Meubeln und Zierrathen beraubt, stellte ein fremdartiges Gemengsel von Wellen, Schiffen, Felsen, Coulissen, Wolken, Lampen, Brücken, Donner, Blitz, Laubwerk und Blumen, Dolchen und Schwertern und all' dergleichen Geschichten vor, wie man sie im Theaterleben unter dem umfassenden Namen »Requisiten« begreift. Die Schlafzimmer waren mit Scenerie angefüllt und die Küchen zu Werkstätten von Zimmerleuten geworden. Proben fanden jeden andern Abend im Conversationszimmer statt und alle Sopha's des Hauses hatten mehr oder weniger unter der Beharrlichkeit und Lebhaftigkeit gelitten, womit Herr Sempronius Gattleton und Miß Lucina die Erstickungsscene in »Othello« wiederholt probirten; – man hatte nämlich beschlossen, diese Tragödie für den ersten Theil der Abendunterhaltung zu wählen.

»Wenn wir uns nur noch ein ganz klein wenig mehr perfektionirt haben werden, so denke ich, soll es wundervoll gehen,« sagte Herr Sempronius am Schlusse der hundert und fünfzigsten Probe zu seinem Corps dramatique.

In Betracht der kleinen Unannehmlichkeit, sämmtliche durch das Spiel veranlaßte Kosten auf sich zu nehmen, war Herr Sempronius einstimmig zum Regisseur erwählt worden.

»Evans,« fuhr Herr Gattleton junior gegen einen großen, magern, blassen, jungen Herrn, mit sehr großem Barte fort: »Evans, auf mein Wort, Sie spielen den Roderigo ganz magnifik.«

»Magnifik!« wiederhallte es von den drei Miß Gattleton's; denn Herr Evans galt bei allen Damen seiner Bekanntschaft für »zu lieb«. Er hatte ein so interessantes Aeußere und einen so liebenswürdigen Bart – von seinem Flötenblasen und Verseschreiben in Albums gar nicht einmal etwas zu erwähnen!

Der interessante Roderigo verbeugte sich unter süßem Lächeln.

»Aber ich glaube fast,« meinte der Regisseur weiter, »Sie sind noch nicht ganz perfekt in dem – Fallen – in der Gefechtscene, wo Sie rückwärts – Sie verstehen schon?«

»Es ist allerdings sehr schwierig,« sagte Herr Evans gedankenvoll; »ich habe mich seit Kurzem in unserm Comptoir ziemlich im Hinfallen geübt; allein es thut so weh. Da ich rückwärts fallen muß, so wissen Sie wohl selbst, daß man sich da den Kopf bedeutend aufschlägt.«

»Aber nehmen Sie sich nur in Acht, daß Sie keine Coulisse mit umreißen,« sagte Herr Gattleton sen., welcher als Souffleur angestellt worden war und an der Darstellung eben so viel Antheil nahm, als der Jüngste von der Gesellschaft. »Die Bühne ist sehr enge, wie Sie wissen.«

»Da brauchen Sie keine Sorge zu haben,« erwiederte Herr Evans mit großer Selbstgefälligkeit; »ich werde im Hinfallen den Kopf in die Höhe halten und dann wird wohl nichts Schaden leiden.«

»Aber hört' Mal,« fiel der Regisseur die Hände reibend ein; »mit Masaniello werden wir entschieden Furore machen. Harleigh singt ihn bewundernswürdig!«

Jedermann theilte diese Ansicht. Herr Harleigh lächelte und sah dabei etwas tölpelhaft aus – was an ihm keine ungewöhnliche Sache war – summte: »O seht, wie herrlich strahlt der Morgen«, und ward dabei eben so roth, als die Fischermütze, die er aufprobirte.

»Laß't Mal sehen,« fuhr der Regisseur fort, an den Fingern herzählend, »wir werden haben: – drei tanzende Bäuerinnen, außer Fenella, und vier Fischer. Da haben wir ja unsern Burschen, Tom, der kann ein paar Segeltuchhosen von mir und ein gewürfeltes Hemd von Bab anziehen und eine rothe Nachtmütze aufsetzen, so stellt er auch einen vor; – das sind fünf. Bei den Chören können wir natürlich alle hinter den Coulissen mitsingen und bei der Marktscene in Mänteln und dergleichen auf- und abgehen. Wenn die Revolte vorkommt, muß Tom, so schnell er kann, mit einer Holzaxt auf der einen Seite hinein und auf der andern immer wieder heraus rennen. Der Effekt wird wahrhaft elektrisch sein; es wird gerade aussehen, als ob eine große Zahl solcher Leute da wäre; und beim Ausbruch des Vesuvs werden wir das rothe Feuer anzünden, die Theebretter zusammenschlagen und hallohen und alle Art von Lärm machen – dann wird's sicher gehen; es kann gar nicht fehlen.«

»Sicher! Sicher!« riefen alle Schauspieler una voce – und Herr Sempronius Gattleton eilte fort, um die schwarzen Striche, welche er sich mit angebranntem Kork in das Gesicht gemalt hatte, abzuwaschen und die »Aufstellung« einiger von den Liebhabern gemalten und »nicht genug zu bewundernden« Scenerien zu beaufsichtigen.

Frau Gattleton war eine gutmüthige, alltägliche alte Seele, außerordentlich für ihren Gatten und ihre Kinder eingenommen und kannte nur drei Dinge, die ihr widerwärtig waren. Erstens hatte sie eine natürliche Antipathie gegen Jedermanns unverheirathete Töchter, zweitens eine eingefleischte Furcht vor Allem, was den Anstrich des Lächerlichen hatte, und endlich drittens und letztens – fast eine natürliche Folge dieser beiden Gefühle – sah sie nur mit dem größten Abscheu auf Frau Joseph Porter, auf der andern Seite der Straße. Die guten Leute von Clapham und dessen Nachbarschaft hatten in der That auch nicht wenig Respekt vor der bösen Zunge dieser bissigen Wespe; deßhalb wurde Frau Joseph Porter auch geschmeichelt und flattirt und gehätschelt und eingeladen, etwa aus demselben Grunde, warum ein armer Schriftsteller, welcher keinen Heller in der Tasche hat, den Zwei-Penny-Postmann mit der größten Höflichkeit behandelt.

»Ich mache mir nichts daraus, Mama,« sagte Miß Emma Porter, im Gespräche mit ihrer verehrten Mutter, und bestrebte sich, möglichst gleichgültig auszusehen; – »wenn sie mich auch eingeladen hätten, so wissen Sie ja wohl, daß weder Sie noch Papa mir erlaubt haben würden, an einer solchen öffentlichen Produktion Theil zu nehmen.«

»Gerade, wie ich es von deinem hohen Schicklichkeitsgefühle erwartet hatte,« erwiederte die Mutter. »Es freut mich sehr, zu bemerken, wie richtig du eine solche Aufführung zu würdigen weißt.«

Miß Porter hatte übrigens, im Vorbeigehen gesagt, kaum eine Woche vorher, und zwar vier Tage nacheinander, auf einer maskirten Darstellung eines Jahrmarktes sich selbst hinter einem Ladentische öffentlich producirt, wo ungefähr vier Dutzend Mädchen mit Fremden schäkerten und allen und jeden getreuen Vasallen Seiner Majestät, welche geneigt waren, es sich einen Shilling kosten zu lassen, Gelegenheit gaben, sie die Verkäuferinnen spielen zu sehen.

»Da, sieh nur!« sagte Frau Porter aus dem Fenster sehend; »da trägt man so eben zwei Stücke Ochsenfleisch und einen Schinken hinein, die augenscheinlich blos zu Sandwichs-Butterschnitten bestimmt sind; und Thomas, der Pastetenbäcker, sagt, es seien zwölf Dutzend Pasteten bestellt, Gelee's und Gallerien gar nicht einmal zu rechnen. Das muß ich sagen! – denk' dir nun noch die Miß Gattletons in ihren närrischen Kleidern dazu.«

»O, es ist zu lächerlich!« sagte Miß Porter und wollte sich fast vor Lachen ausschütten.

»Ich will mir übrigens doch den Spaß machen, ihnen die Sache ein wenig zu verleiden,« sagte Frau Porter und ging alsbald fort, um ihren liebenswürdigen Vorsatz auszuführen.

»Schön, meine liebe Frau Gattleton,« sagte Frau Joseph Porter – nachdem sie eine Zeitlang bei einander gesessen und geplaudert hatten, und diese durch unermüdliches Forschen und Fragen endlich Alles, was sie über die beabsichtigte Theatervorstellung zu wissen wünschte, aus ihr herausgelockt hatte – »schön, meine Liebe. Lassen Sie die Leute sagen, was sie wollen: es ist ja, wie wir wissen, nur zu wahr, daß sie den besten Willen zum Lästern haben, denn gewisse Leute sind gar zu bösartig. – Ach, meine liebe Miß Lucina, wie geht's Ihnen? – Ich erzählte so eben Ihrer lieben Mama, daß ich gehört hätte–«

»Was?« fragte Desdemona.

»Frau Porter meint wegen der Vorstellung, meine Liebe,« sagte Frau Gattleton; »sie theilte mir so eben mit – ich sage es nicht gerne – daß – –«

»O, lassen Sie es – bitte; reden wir von etwas Anderem,« unterbrach sie Frau Porter; »es ist zu lächerlich – eben so lächerlich wie die Bemerkung des jungen – wie heißt er doch geschwind – daß er sich wundern müsse, wie Miß Caroline mit solchem Fuß und solchen Knöcheln die Eitelkeit haben könnte, die Fenella zu spielen.«

»Höchst impertinent, wer es auch gesagt haben mag,« bemerkte Frau Gattleton aufbrausend.

»Allerdings, meine Liebe,« stimmte die schadenfrohe Frau Porter mit ein; »daran ist gar kein Zweifel. Denn, wenn ich sagte, daß Miß Caroline Fenella spiele, so folgt ja noch ganz und gar nicht daraus, daß sie sich einbildet, einen hübschen Fuß zu haben; und dann, was das für Laffen sind – diese jungen Menschen, denken Sie nur, hatten sogar die Unverschämtheit, zu behaupten, daß – –«

Es ist unmöglich zu sagen, wie weit die angenehme Frau Porter ihren liebenswürdigen Vorsatz noch mit so vielem Glücke verfolgt haben würde, wenn nicht das Eintreten des Herrn Thomas Balderstones, Frau Gattleton's Bruder, in der Familie unter dem vertraulichen Namen »Onkel Tom« bekannt, der Unterhaltung eine andere Wendung gegeben und zugleich die Frau Porter auf einen trefflichen Operationsplan für den Vorstellungsabend gebracht hätte.

Onkel Tom war sehr reich und für seine Neffen und Nichten außerordentlich eingenommen. Daraus folgte ganz natürlich, daß er in der Familie für einen Gegenstand von großer Wichtigkeit galt. Er war der gutmüthigste Mensch von der Welt; stets guter Laune und höchst redselig: Er bildete sich etwas darauf ein, bei allen Gelegenheiten Stulpenstiefeln zu tragen und nie ein schwarzes Seidenhalstuch umzubinden; auch that er sich am meisten darauf zu gut, daß er alle Hauptkomödien Shakespeares von Anfang bis zu Ende auswendig wußte. Die Folge seiner papageiartigen Gewohnheiten war, daß er nicht allein seinen Shakespeare stets im Munde führte, sondern daß er auch nie ein unrichtiges Citat des »Schwan von Avon« mit anhören konnte, ohne den unglückseligen Delinquenten auf der Stelle zurechtzuweisen. Er war dabei eine Art Spaßvogel und versäumte nie eine Gelegenheit, wo er einen Witz, oder was er wenigstens für einen hielt, anbringen konnte, wobei er unaufhörlich über Alles, was ihm lächerlich oder spaßhaft vorkam, lachte, bis ihm die Augen voll Wasser standen.

»Gut, Mädchens,« sagte Onkel Tom, nachdem die einleitenden Ceremonien des Küssens und Gutentagsagens vorüber waren. »Wie steht es mit euch? – Könnt ihr eure Sachen, he? – Liebe Lucina, zweiter Akt, erste Scene – Schlagwort – ›Schicksal bringen kann,‹ – wie weiter, he? – Vorwärts – ›O geb,‹«

»Ach ja,« sagte Miß Lucina, »ich erinnere mich –

›O geb' der Himmel
Daß unsre Lieb' und Wonne stets sich mehren,
Wie unsre Tage.‹«

»Du mußt hie und da eine Pause machen,« sagte der alte Herr, welcher seiner Meinung nach ein bedeutender Kritiker war. – »›Daß unsre Lieb' und Wonne stets sich mehre,‹ – Nachdruck auf dem letzten Worte ›mehre‹, – laut ›wie,‹ – ein, zwei, drei, vier; – dann wieder laut, ›unsere Tage‹; Nachdruck auf Tage. So muß es sein, meine Liebe; was den Nachdruck betrifft, da glaub' deinem Onkel. – Ach! Sem, mein Junge, wie geht dir's?«

»Sehr gut, danke Onkel,« erwiederte Sempronius, der so eben in's Zimmer getreten war und mit seinen kleinen Kreisen um jedes Auge, der Folge seines beständigen Bestreichens mit Kork ziemlich einer Ringeltaube ähnlich sah. »Natürlich sehen wir Sie am nächsten Donnerstage bei uns?«

»Natürlich, natürlich, mein lieber Junge.«

»Es ist sehr zu bedauern, Herr Balderstone,« nahm Frau Joseph Porter wieder das Wort, »daß Ihr Neveu Sie nicht zum Souffleur gemacht hat. Sie wären unbezahlbar gewesen.«

»Allerdings, ich schmeichle mir selbst, daß ich ganz erträglich dazu gepaßt hätte,« antwortete Onkel Tom.

»Ich muß Sie aber bitten, an jenem Abend neben Ihnen sitzen zu dürfen,« bemerkte Frau Porter, »Sie werden dann, wenn Ihre jungen Freunde hier ihre Sachen nicht recht machen, wohl die Güte haben, mich zu belehren. Ich bin höchst gespannt darauf.«

»Seien Sie überzeugt, daß es mir sehr viel Vergnügen machen wird, Ihnen, so weit es in meinen Kräften steht, meine Dienste zu widmen.«

»Also es ist ein Wort?«

»Zuverlässig!«

»Ich weiß zwar nicht recht, warum« – sagte Frau Gattleton zu ihren Töchtern, als sie des Abends um das Kaminfeuer saßen und ihre Rollen durchgingen, »aber es wäre mir gar nicht unlieb, wenn Frau Joseph Porter am Donnerstage nicht käme. Ich bin überzeugt, daß sie irgend Etwas im Schilde führt.«

»Sie kann uns doch nicht lächerlich machen;« bemerkte Herr Sempronius Gattleton stolz.

Der lang ersehnte Donnerstag kam endlich zu seiner Zeit, und brachte, wie Herr Gattleton senior philosophisch bemerkte, »kein Ungemach, das der Rede werth gewesen wäre.« Freilich war es noch zweifelhaft, ob Cassio die Kleider, welche er sich aus der Maskenniederlage für seine Rolle hatte bringen lassen, auch werde anziehen können. Nicht minder ungewiß war es, ob sich die erste Sängerin so weit von einem Grippanfall erholt hatte, daß sie auftreten konnte. Herr Harleigh, der Masaniello des Abends, war heiser und fühlte sich in Folge einer ansehnlichen Quantität Citronen und Kandiszucker, die er zu sich genommen hatte, um seiner Stimme aufzuhelfen, ziemlich unpaß, und zwei Flötisten, so wie der Violoncellospieler, ließen sich wegen heftigen Katarrhs entschuldigen. Was wollte dieß aber sagen? – die Zuschauer ja kamen alle, – Jedermann konnte seine Rolle, die Kleider waren mit Flittern und Flindern bedeckt; die weißen Federn nahmen sich wunderschön aus; Herr Evans hatte sein Hinfallen so eingeübt, daß er vom Kopf bis zum Fuße eine Beule und nun ganz perfekt war, und Jago war vollkommen überzeugt, daß er in der Erdolchungsscene entschiedenen Effekt machen müßte. Ein dilettirender tauber Herr, welcher die Flöte von selbst gelernt und die Gefälligkeit gehabt hatte, sich zu erbieten, sein Instrument mitzubringen, war eine höchst schätzenswerthe Zugabe zum Orchester. Miß Jenkins' Talent für das Piano war zu wohl bekannt, als daß ihre Leistung auch nur einen Augenblick in Zweifel gezogen werden konnte; Herr Cape hatte das Violin-Accompagnement sehr häufig mit ihr eingeübt, und Herr Brown, der, wenn er es nur ein paar Stunden vorher wisse, so artig war, sein Violoncello mitbringen zu wollen, führte seine Sache gewiß ohne Anstand ausnehmend wohl durch.

Sieben Uhr kam heran und damit auch das Auditorium; Alles, was in Clapham und der Nachbarschaft auf Rang und guten Ton Anspruch machen konnte, füllte das Theater. Da waren die Smiths, die Gubbinses, die Nixons, die Dixons, die Hicksons, Leute von allen Sorten und Namen, zwei Aldermänner, ein Sheriff in spe, Sir Thomas Glumper (der unter der letzten Regierung, zum Dank für die Einbringung einer Glückwunschadresse, als irgend Jemand, Gott weiß welchem Ungemach entronnen, war zum Ritter geschlagen worden); und zuletzt, aber nicht die Letzten, Frau Joseph Porter und Onkel Tom, die im Mittelpunkte der dritten Reihe von der Bühne saßen. Frau Porter unterhielt Onkel Tom mit allen möglichen Geschichten, und Onkel Tom unterhielt Jedermann durch sein unmäßiges Gelächter.

Kling, kling, kling! tönte des Souffleurs Glocke präcis acht Uhr und das Orchester brach los mit der Ouvertüre »die Geschöpfe des Prometheus.« Die Pianospielerin hämmerte mit höchst lobenswerther Beharrlichkeit darauf los, das Violoncello, welches in gewissen Intervallen einfiel, machte sich, wenn man billig sein wollte, recht brav. Das unglückselige Individuum übrigens, welches unternommen hatte, mit der Flöte »vom Blatte weg« zu accompagniren, bethätigte leider die vollkommene Wahrheit des alten fatalen Erfahrungssatzes »aus den Augen, aus dem Sinne;« denn da der gute Mann sehr kurzsichtig und in ansehnlicher Entfernung von seinen Noten placirt war, so passirte es ihm gar nicht selten, hie und da ein paar Noten an dem unrechten Orte zu blasen und die Andern aus dem Takte zu bringen.

Abgesehen davon muß man übrigens Herrn Brown die volle Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er Alles, was er that, wirklich bewundernswürdig that.

Die Ouvertüre war ganz einem Wettrennen der verschiedenen Instrumente zu vergleichen; zuerst kam das Piano mit einigen Takten, dann fiel das Violoncello ein, beide überholten aber weit die arme Flöte; nichts desto weniger blies der arme taube Herr sein Tu-Tu frisch darauf los, ohne zu wissen, daß er stets falsch daran war, bis er endlich an dem Applause des Auditoriums merkte, daß die Ouvertüre zu Ende sei. Jetzt ging ein ziemlicher Lärm und Scharren mit den Füßen auf der Bühne los, und man hörte ein Geflüster: »Das ist eine schöne Geschichte! – Was ist nun anzufangen? etc.« Das Auditorium applaudirte abermals, um den Spielenden Muth zu machen; dann hörte man, wie Herr Sempronius dem Souffleur mit sehr vernehmlicher Stimme befahl, »die Bühne klar zu machen und zu schellen.«

Kling, kling, kling! tönte die Glocke wieder; der Vorhang zuckte etwas in die Höhe, ging so weit auf um verschiedene gelbe Stiefeln, die umeinander liefen, zum Vorschein zu bringen, und blieb dann so in der Luft hängen.

Kling, kling, kling! tönte die Glocke nochmals. Nun wurde am Vorhang mit aller Gewalt gezerrt, aber er ging durchaus nicht weiter in die Höhe. Das Auditorium kicherte; Frau Porter sah Onkel Tom an und Onkel Tom sah Jedermann an, rieb sich die Hände und lachte aus Leibeskräften. Nachdem die kleine Glocke so oft ertönt hatte, als man etwa einen Theeküchenjungen, der eine lange Straße hinabgeht, schellen hört, stieg endlich, nach vielem Geflüster, Hämmern und Rufen nach Nägeln und Schnüren, der Vorhang in die Höhe und Herr Sempronius Gattleton als Othello präsentirte sich solo auf der Bühne.

Dreimal wiederholte sich der Applaus. Herr Sempronius applicirte seine rechte Hand auf die linke Brust, verbeugte sich gleich dem besten Tanzmeister und der Regisseur schritt vor und sagte: –

»Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen die Versicherung geben, wie es zu meinem größten Bedauern geschieht, daß ich genöthigt bin, Sie zu benachrichtigen, daß Jago, der diesen Abend den Herrn Wilson hätte spielen sollen – ich bitte um Entschuldigung, meine Damen und Herren; aber ich weiß gar nicht, wo mir der Kopf steht (Beifall) – ich meine nämlich Herrn Wilson, welcher den Jago hätte spielen sollen, abgehalten ist – das heißt, abgehalten worden ist – oder mit anderen Worten, meine Damen und Herren, daß ich so eben ein Billet von ihm erhalten habe, welches mich benachrichtiget, daß Jago für diesen Abend unvermeidlich durch den Postdienst verhindert ist. Unter diesen Umständen hat es – 's ist eben ein Liebhabertheater – ein – ein anderer Herr übernommen, die Rolle zu lesen. Ich muß daher um Ihre Geduld für einen kurzen Verzug bitten und baue auf die Nachsicht und Güte eines britischen Auditoriums.« (Uebertäubender Applaus.)

Herr Sempronius Gattleton tritt ab und der Vorhang fällt.

Das Auditorium war natürlich in der heitersten Laune; die ganze Sache war ja nur ein Spaß und demnach wartete man eine Stunde lang mit größter Geduld, während Alles sich einstweilen das herumgereichte Backwerk und die Limonade trefflich schmecken ließ. Nach der vorangegangenen Erklärung des Herrn Sempronius hätte man keinen so großen Verzug erwarten sollen; allein in dem Augenblicke, wo der Substitut des Jago mit seinem Anzuge fertig war und das Stück eben beginnen sollte, kam der Original-Jago unerwartet selbst an. Jener mußte sich daher nothwendig wieder aus- und dieser sich für seine Rolle anziehen, was wieder eine ansehnliche Zeit in Anspruch nahm, da er nur mit großer Schwierigkeit in die etwas zu engen Kleider hineinkommen konnte.

Endlich begann die Tragödie in vollem Ernste. Es ging Alles ziemlich gut von Statten, bis an die dritte Scene des dritten Aktes, in welchem Othello seine Rede an den Senat hält. Außer daß Jago, der seine Theaterstiefeln nicht hatte anziehen können, weil seine Füße durch Eile und Aufregung etwas angeschwollen waren, seine Rolle nicht anders als in gewöhnlichen Stiefeln spielen konnte, was mit seinen reichbordirten Pantalons freilich auffallend contrastirte, war bisher nichts Bemerkenswertes vorgekommen. – Als nun aber Othello in seiner Anrede an den Senat, welcher durch den Doge (einen Zimmermann) zwei Leute, welche man auf die Recommandation des Gärtners engagirt hatte, und durch einen Laufjungen höchst würdevoll repräsentirt wurde, an die Stelle kam:

»Erlauchte, mächt'ge, hochverehrte Herren,
Gebieter von bewährtem Edelmuth,
Daß ich die Tochter dieses Manns geraubt,
Das ist sehr wahr; rauh bin ich in dem Wort –«

fand Frau Porter die so ängstlich ersehnte Gelegenheit:

»Ist das so recht?« flüsterte sie Onkel Tom zu.

»Nein.«

»So sagen Sie's ihm doch.«

»Das will ich.«

»Sem!« rief Onkel Tom; »so ist's unrichtig, mein Junge.«

»Was ist unrichtig, Onkel?« fragte Othello, seine würdevolle Stellung ganz und gar vergessend.

»Du hast was ausgelassen. Nach: wahr, – ›Ich bin mit ihr vermählt.‹ –«

»Ach, ja!« sagte Sempronius und bemühte sich, seine Verwirrung zu verbergen, was ihm aber eben so wenig gelang, als den Zuschauern, welche sich die größte Mühe gaben, ihr halbunterdrücktes Kichern durch heftiges Husten zu verstecken –

– »ich bin mit ihr vermählt;
Das ist mein ganz Vergeh'n von Kopf zu Fuß: –
Doch weiter nichts.«

(Bei Seite.) »Warum souffliren Sie nicht, Vater?«

»Weil ich meine Brille verlegt habe,« sagte der arme Gattleton, fast verschmachtend vor Hitze und Anstrengung.

»Nun kommt: ›Rauh bin ich‹,« sagte Onkel Tom.

»Ja, ich weiß es,« entgegnete der unglückliche Regisseur und fuhr in seiner Rede fort.

Es würde nutzlos und ermüdend sein, die Menge von Unterbrechungen und Einflüsterungen zu nennen, durch welche Onkel Tom, der nun ganz in seinem Elemente war, und durch die unheilstiftende Frau Porter immer mehr angereizt wurde, die Fehler der Schauspieler korrigirte; es ist hinreichend, wenn wir sagen, daß, wenn er einmal sein Steckenpferd bestiegen hatte, kein Mensch ihn dahin bringen konnte, wieder abzusitzen, und daß er für die Dauer des ganzen Restes der Darstellung jeden Vortrag dadurch accompagnirte, daß er ihn in leisem Tone nachbrummte. Das Auditorium amüsirte sich köstlich, Frau Porter war höchst vergnügt und die Spielenden ganz außer Fassung. Onkel Tom war in seinem ganzen Leben nie so vergnügt gewesen, und Onkel Tom's Neffen und Nichten, obgleich die erklärten Erben seines großen Vermögens, hatten noch nie so herzlich gewünscht, daß er zu seinen Vätern versammelt sein möchte, als bei dieser denkwürdigen Veranlassung. Verschiedene andere Kleinigkeiten trugen noch dazu bei, den Eifer des Theaterpersonals zu dämpfen. Keiner der Schauspieler konnte in seinen spannenden Beinkleidern gehen, oder in den Wämsern die Arme bewegen; die Pantalons waren zu eng, die Stiefeln zu weit, und die Schwerter von allen Größen und Formen. Herr Evans, dessen natürliche Größe an sich schon zu hoch für die Scenerie war, trug ein schwarzes Sammtbarett mit ungeheuren weißen Federn, deren Glorie »in den Wolken« verloren ging, und seine Kopfbedeckung wäre schon ganz bequem gewesen, wenn nicht der fatale Umstand obgewaltet hätte, daß er sie, einmal aufgesetzt, nicht wieder abnehmen, und wenn er sie abgenommen hatte, nicht wieder aufsetzen konnte. Zudem fiel er, trotz aller seiner Vorübungen, mit Kopf und Schultern sauber durch eine der Seiten-Coulissen, wie ein Harlequin bei einer Weihnachts-Pantomime durch einen Reif springt.

Die Fortepianospielerin wurde in Folge der außerordentlichen Hitze im Saale gleich beim Anfange des Zwischenspiels ohnmächtig und überließ den »Masaniello« lediglich der Flöte und dem Violoncello. Das Orchester beklagte sich, daß Herr Harleigh keine Noten halte, und Herr Harleigh erklärte, daß man nach einem solchen Orchester gar nicht singen könne. Die Fischer, die zu der Vorstellung gedungen worden waren, revoltirten geradezu und erklärten bestimmt, daß sie nicht spielen würden, wenn man ihnen nicht mehr Schnaps verabfolgen ließe; nachdem man ihrem Begehren nachgegeben, traten sie in der Vesuv-Scene so natürlich als möglich betrunken auf. Das rothe Feuer am Schlusse des zweiten Aktes erstickte nicht allein nahezu das Auditorium, sondern setzte noch überdieß das Haus fast in Brand, und der Rest des Stücks mußte in einem dichten Nebel ausgespielt werden.

Kurz, die ganze Geschichte war, wie Frau Joseph Porter Jedermann triumphirend erzählte, »ein completer Mißgriff«. Das Auditorium ging um vier Uhr Morgens, erschöpft von Lachen, nach Hause, klagte über heftige Kopfschmerzen und roch abscheulich nach Schwefel und Pulver. Die Frauen Gattleton, Senior und Junior, gingen mit einer unbestimmten Idee zu Bette, in den ersten Tagen der folgenden Woche nach dem Schwanenflusse auszuwandern.

Rose-Villa ist nun wieder in sein altes Geleise zurückgekehrt und bietet wieder seinen gewohnten Anblick dar. Die Möbeln des Speisesaales stehen wieder an ihren alten Plätzen; die Tische sind eben so hell polirt, wie früher; die Roßhaarstühle stehen so regelmäßig an der Wand herum, als je, und das ganze Haus hat gegen die neugierigen Blicke der Frau Joseph Porter Fensterblenden erhalten.

Von Theatersachen ist nun bei den Gattletons keine Rede mehr, mit Ausnahme Onkel Tom's jedoch, der sich nicht entbrechen kann, zuweilen sein Erstaunen und Bedauern darüber auszudrücken, daß seine Neffen und Nichten ihren ehemaligen Eifer für die Schönheiten Shakspeare's und für Citate aus den Werken des unsterblichen Barden so gänzlich verloren zu haben schienen. –



 << zurück weiter >>