Charles Dickens
Skizzen aus dem Londoner Alltagsleben
Charles Dickens

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Zwanzigstes Kapitel

Trödel-Läden. (Brokers' and Marine-Store Shops.)

Wenn wir die Behauptung aufstellen, daß ein Trödel-Laden ein seltsamer Ort ist, und daß eine authentische Geschichte – wenn eine möglich wäre – der darin enthaltenen Gegenstände den Stoff zu mancher amüsanten und zu mancher melancholischen Erzählung zu liefern vermöchte, so müssen wir auch näher bezeichnen, welche Art von Trödelbuden wir darunter verstehen. Vielleicht denken sich unsere Leser unter dem Ausdrucke: »Brokers' Shop« große hübsche Waarengewölbe, mit einer langen Reihe von polirten Tischen, Chiffoniers von Rosenholz, Waschtischen von Mahagony, nebst Bettstellen mit Füßen und zum Hängen, im Vordergrund verschiedene Garnituren geschmackvoller Sessel und andere Gerätschaften für eine elegante Zimmerausstattung. Vielleicht bilden sie sich auch wohl ein, wir meinen damit die Niederlage einer bescheidenern Classe von Gerätschaften aus zweiter Hand. Dann wird sie ihre Einbildungskraft natürlich in jene Straße an der Rückseite von Long-Acre führen, die fast gänzlich aus Trödelmagazinen besteht, wo man durch ganze Wälder trügerisch glänzender Möbeln spazieren kann, welche durch die zahlreichste Auswahl prächtiger roth- blau- und gelber Kaminteppiche mit den hübschesten Dessins belebt werden, allenfalls einer Postkutsche in vollem Gallopp oder einem fremden Thier, das ohne Zweifel ursprünglich einen Hund vorstellen sollte, mit einer Menge buntfarbigem Wollengarn im Maul, welches entfernt einem Blumenkorbe ähnlich sieht.

Dieß ist, beiläufig gesagt, ziemlich der Lieblingsartikel junger Frauen der niedrigern Stände, welche einen ersten Stock zu möbliren haben – sie sind ganz in Staunen versunken und die Wahl wird ihnen schwer, was sie am meisten bewundern sollen. Der Hund ist freilich sehr hübsch, aber sie haben ja schon einen auf dem guten Theebrett und noch zwei andere auf dem Kaminmantel; an dieser Postkutsche ist aber so etwas Nobles, und die Passagiere auf der Außenseite – alle in Hüten – geben ihr ein so solides Ansehen!

Die Waaren sind hier alle nach dem Geschmacke, oder vielmehr nach dem Beutel solcher Leute eingerichtet, die spottwohlfeil kaufen wollen. Da sind die herrlichst aussehenden Pembroke-Tische, die man je erblickt hat; das Holz ist eben so grün wie die Bäume im Park und von den Blättern darf man eben so gewiß sein, daß sie noch im Laufe des Jahres abfallen, wie bei diesen. Da ist ferner die größte Auswahl von Zelt- und Deckelbettstellen, aus gebeiztem Holze, und unzählige Arten jenes Hauptbedürfnisses der Gesellschaft – einer Sophabettstelle. Eine Deckelbettstelle ist ein plumpes, ehrliches Möbelstück, man kann sie nur schlecht in eine Commode verkleiden, hat auch schon zuweilen den unglücklichen Versuch gemacht, ihr die Gestalt eines Bücherschrankes zu geben: man gebe ihr Verzierungen, welche man will, die Deckelbettstelle scheint alle Verstellung zu hassen, und lediglich nur für eine Deckelbettstelle gelten zu wollen und für nichts anderes. Im Bewußtsein ihrer gänzlichen Unentbehrlichkeit und ihres entschiedenen Nutzens, verschmäht sie es, als eine Zierde irgendwo gelten zu wollen. – Wie verschieden ist dagegen das Betragen einer Sophabettstelle! Sich ihrer wirklichen Brauchbarkeit schämend, strebt sie einen Artikel des Luxus und der Gentilität darzustellen, ein Unterfangen, in welchem sie sich übrigens abscheulich irrt. Sie genießt weder das Ansehen eines Sophas, noch hat sie die Tugenden eines Bettes; wer eine Sophabettstelle in seinem Hause hält, hat die Absicht, einen vorsätzlichen und absichtlichen Betrug zu begehen – wir fragen, ob Ihr Jemand wohl schwerer beleidigen könntet, als wenn Ihr Euch nur entfernt merken ließet, daß Ihr mit dem wirklichen Gebrauche dieses Geräthes bekannt seid.

Doch, um wieder von dieser Abschweifung zurückzukommen, bitten wir zu bemerken, daß weder die eine noch die andere Art von diesen Trödel-Magazinen den Gegenstand dieser Skizze bilden soll. Die Niederlagen, welche wir im Auge haben, stehen unendlich weit unter denen, deren Aussehen wir eben kurz berührten. Unsere Leser haben gewiß schon oft in Nebenstraßen und in armseliger Nachbarschaft einen kleinen schmutzigen Laden beobachtet, in welchem das ungewöhnlichste und denkbar mannigfaltigste Gemisch alter, abgenutzter, erbärmlicher Artikel zum Verkaufe ausgestellt ist. Unsere Verwunderung, daß man sie je habe kaufen mögen, kann blos mit unserm Erstaunen über die Möglichkeit, daß sie je wieder verkauft werden könnten, verglichen werden. Auf einem Brette neben der Thüre sind ungefähr zwanzig Bücher aufgestellt, – alle von ungleicher Größe und Gestalt – und etwa eben so viele Weingläser; – verschiedene Schlösser und irdene Schüsseln, voll rostiger Schlüssel; zwei oder drei buntscheckige Kamin-Ornamente – natürlich zerbrochen; – die Reste eines Kronleuchters, jedoch ohne die Berlocken, ein runder Rahmen, gleich einem großen O (vielleicht eine alte Spiegelfassung); eine Flöte, an welcher blos das Mittelstück fehlt, – ein Frisireisen, und ein Dintengeschirr. Vor dem Ladenfenster steht etwa ein halbes Dutzend Stühle mit hohen Lehnen, welche die Rückendarre und den Beinfraß haben, ferner ein Ecktischchen, zwei oder drei sehr trübe Mahagoni-Tische mit eingekratzten Strichen, als hätte Einer Mathematik darauf gelernt; einige Zuckergläser, einige Apothekergläser mit goldenen Schilden, aber ohne Stöpsel, ein uneingerahmtes Portrait irgend einer Dame, die zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts glänzte, von einem Künstler, der gar nie glänzte; ein unzählbares Heer von Etcetera's jeder Art, nebst Flaschen, Schreibzeugen, Lumpen, Würfeln, Kamingittern, Thürklopfern, Feuereisen, alten Kleidern, Betten, einer Hausganglampe und einer Hausthüre.

Stellt Euch zu diesem regellosen Allerlei noch eine abscheuliche schwarze Puppe mit einem weißen Kinderrocke vor und zwei über der Thüre baumelnde Larven, wovon eine die Straße hinauf, die andere hinab sieht; eine Tafel, worauf mit mageren, langen, weißen Buchstaben, deren Höhe in gar keinem Verhältnisse zu ihrer Dicke steht, die Aufschrift: »Marine-Vorrathshändler ( dealer in marine stores)« zu lesen, – so habt Ihr genau die Gattung von Magazinen vor Euch, auf welche wir Eure Aufmerksamkeit zu lenken wünschen.

Obgleich man die verschiedenartige Mischung der Gegenstände, die wir zu beschreiben versucht haben, auf allen diesen Plätzen finden kann, so ist es doch merkwürdig, wie getreu und genau einige der geringern Artikel, die zum Verkaufe ausgesetzt sind – alte Kleider zum Beispiele – den Charakter der Nachbarschaft bezeichnen: Man nehme nur Drury-Lane und Covent-Garden.

Dieß ist in der That eine durchaus theatralische Nachbarschaft. Da findet man gewiß keinen Trägerjungen in der ganzen Umgebung, der nicht ein mehr oder weniger dramatischer Charakter wäre; die Laufbursche und die Söhne der Lichterhändler sind alle vollkommen »Theatertoll«; sie führen »Schauspiele in Waschküchen« auf, die eigens zu diesem Zwecke gemiethet werden und man wird sie stundenlange vor den Ladenfenstern stehen und ein großes Portrait mit großen Augen betrachten sehen, welches den Herrn Irgendjemand oder einen Andern von dem Royal-Coburg-Theater als »Tongo den Banditen« darstellt. Die Folge davon ist, daß sich kein einziger Marine-Store-Shop in der Nachbarschaft befindet, der nicht einige verschossene Herrlichkeiten einer Theatergarderobe zum Verkaufe ausgelegt hätte, wie z. B. drei oder vier paar beschmutzte braune Stiefel, mit überhängenden rothen Klappen; die bisher von einem »vierten Räuber« oder »fünften Volk« getragen wurden; einige rostige Schwerter, ein paar Panzerhandschuhe oder etliche glänzende Ornamente, die, wenn sie gelb statt weiß wären, für die Schilde der Sun-Brand-Versicherungsanstalt gehalten werden könnten. Es gibt auch mehrere solche Läden in den engen Straßen und schmutzigen Höfen (wie es deren viele in der Nähe unserer National-Theater gibt), die alle mit dergleichen lockenden Sachen reichlich versehen sind; wozu vielleicht noch ein buntes, mit Flitters besetztes Damenkleid, weiße Kränze, Theaterschuhe und eine Tiare, die einem blechenen Lampen-Reflektor ähnlich sieht, kommen. Der Trödler hat sie von einer beklagenswerthen Supernumerären oder einer Schauspielerin sechsten Ranges gekauft und nun zum Vortheile der nachwachsenden Generation zum Verkaufe ausgestellt, die auch nicht säumt, unter der Bedingung, gewisse wöchentliche Ratenzahlungen machen zu dürfen, deren ganzer Betrag das Zehnfache des Werthes nicht übersteigt, einen so vortheilhaften Handel einzugehen.

Suchen wir nun ein anderes von diesen bisherigen ganz verschiedenes Quartier auf, und beuten es zu demselben Zwecke aus. Man besuche einmal einen Marine-Store-Händler in jenem Reservoir von Koth, Völlerei, Freudenmädchen, Dieben, Austern, gebratenen Kartoffeln und gesalzenen Salmen – in Rattcliff-Highway. Hier findet man lediglich abgelegte Kleidungsstücke und Geräthschaften von Seeleuten; – grobe blaue Jacken mit Perlmutterknöpfen, olivenfarbige Hüte, grobe bunte Hemden und weite Leinwandbeinkleider, die etwa aussehen, als ob sie für ein paar Leiber statt für ein paar Beine gemacht worden wären, bilden hier die gewöhnlichen Artikel. Dann trifft man aber auch große Bündel baumwollener Taschentücher, in Farbe und Gestalt von all' denen, die man je vorher gesehen, etwa mit Ausnahme derer auf dem Nacken von drei jungen Damen, die uns vorhin begegnet sind, vollkommen verschieden. – Die Möbeln sind ganz dieselben, wie sonst wo, doch kommen noch die Modelle von ein paar Schiffen und einige alte Kupferstiche in noch ältern Rahmen – Seetreffen vorstellend – hinzu. Am Fenster stehen einige Kompasse und ein kleines Kästchen, welches silberne Uhren mit plumpen dicken Gehäusen und Tabaksdosen enthält, deren Deckel mit einem Schiffe oder Anker oder einer ähnlichen Trophäe verziert ist.

Ein Matrose, welcher sich lange am Lande aufhält, verpfändet oder verkauft gewöhnlich Alles, was er besitzt, und wenn er es nicht thut, so überhebt ihn ein guter Freund dieser Mühe. Jedenfalls kommt es nicht selten vor, daß er selbst wieder, ohne es zu wissen, dieselben Gegenstände um einen weit höhern Preis wieder kauft, als er das erste Mal darum gegeben hat.

Man widme endlich einem ähnlichen Gegenstand in einem Theile Londons einen Besuch, der mit den beiden vorhergehenden eben so wenig Aehnlichkeit hat, als diese selbst mit einander haben. Man gehe nach der Surrey-Seite und betrachte die Läden, wie man sie in der Nähe des Kings-Bench-Gefängnisses und in den »Rules« vorfindet. Wie verschieden sind diese, und wie treffend bezeichnen sie den Verfall gewisser unglücklicher Bewohner dieses Theiles der Hauptstadt! Gefangenschaft und Nachlässigkeit haben hier das Ihrige gethan. Da offenbart sich die Folge der Einbürgerung unter den lasterhaften Bewohnern des Schuldgefängnisses: die alten Freunde haben Einen verlassen, die Rückerinnerung an früheren Wohlstand hat sich verloren und mit ihr alle Gedanken an das Vergangene – alle Sorge für die Zukunft. Zuerst haben Uhren und Ringe, dann Mantel, Röcke und alle bessern Kleidungsstücke ihren Weg zum Pfandverleiher gefunden. Diese elende Aushülfe versiegte am Ende und der Verkauf einiger Kleinigkeiten an einen dieser Läden war noch der einzige Weg, um einen oder zwei Shillings zu erlangen, womit man das dringendste Bedürfniß des Augenblickes befriedigen kann. Kleiderschränke und Schreibtische, zu alt zum Verpfänden, aber zu gut, um sie zu behalten, Schießgewehre, Angelruthen, musikalische Instrumente – sind aus demselben Grunde im Anfange verkauft worden und das Opfer wurde kaum gefühlt. Aber der Hunger mußte gestillt werden, und was bereits zur Gewohnheit geworden war, wurde immer und immer wiederholt, sobald die Noth drängte. Geringere Artikel von Kleidungsstücken kommen nun daran – zuerst die des zu Grunde gerichteten Mannes, dann die seiner Frau und endlich auch die der Kinder, sogar der jüngsten – sie sind nach und nach Stück für Stück fortgewandert. Da liegen sie nun sorglos untereinander geworfen, bis ein Käufer kommt, zwar alt, abgetragen und geflickt, aber Arbeit und Material zeugen von bessern Tagen, – und je älter sie sind, desto größer ist das Elend und die Dürftigkeit dessen, der sie einst getragen hat.



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