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Nach dem Christtage ist das neue Jahr der angenehmste Zeitpunkt in allen zwölf Monaten. Es ist eine weinerliche Gattung von Leuten, welche das neue Jahr mit Wachen und Fasten beginnen, wie wenn sie als Hauptleidtragende bei dem Leichenbegängnisse des Alten Dienst zu thun hätten. Wir glauben, es ist für das alte Vergangene und für das neu Beginnende ein weit größeres Compliment, wenn man bis in den hellen Tag hinein sitzen bleibt und den alten Burschen lustig schlafen gehen und den jungen erwachen sieht.
In dem verflossenen Jahre muß nothwendig Manches vorgekommen sein, worauf wir mit Lächeln und mit Lust, wenn nicht mit dem Gefühle des herzlichsten Dankes, zurückblicken können. Und dem neuen müssen wir dagegen nach Recht und Billigkeit das Zutrauen schenken, daß es ein gutes sein werde, bis es sich unsers Zutrauens unwürdig gezeigt hat.
So sehen wir die Sache an, und ungeachtet unseres Respekts vor dem alten Jahre, von dessen wenigen übrig gebliebenen Lebensaugenblicken mit jedem Worte, welches wir schreiben, einer dahingeht, – sitzen wir hier an unserem Kamin in der letzten Nacht des Jahres achtzehnhundert sechsunddreißig und schreiben diesen Aufsatz mit einem so muntern Gesichte nieder, als wenn nichts Besonderes passirt wäre oder passiren könnte, was unsern Gleichmuth zu erschüttern vermöchte.
Fiaker und Wägen rasseln lärmend nach einander Straße auf Straße ab und führen ohne Zweifel ihren schöngeputzten Inhalt in das Gewimmel der Assembleen; lautes wiederholtes Klopfen an dem Hause mit den grünen Läden gegenüber verkündet der ganzen Nachbarschaft, daß jedenfalls heute in der Straße große Gesellschaft gegeben wird; und wir sahen durch das Fenster und durch den Nebel, bis es endlich so dunkel wurde, daß wir nach Licht schellten und unsere Vorhänge herabließen, während Pastetenbäcker mit grünen Körben auf den Köpfen, Möbelzerschellende Frachtwägen mit Rohrstühlen und französischen Lampen nach den zahlreichen Gebäuden eilten, wo zu Ehren des Tages heute das Jahresfest gefeiert wird.
Wir können uns eine solche Gesellschaft recht gut vorstellen, – vielleicht eben so gut, als ob wir in gehöriger Gala eben an der Thüre des Assemblee-Zimmers angemeldet würden.
Nehmen wir zum Beispiel das Haus mit den grünen Läden. Wir wissen, daß dort heute getanzt wird, denn am Morgen, beim Frühstück, sahen wir einen Bedienten den Fußteppich wegnehmen, und wenn es noch eines weiteren Berichtes bedarf und wir die Wahrheit sagen sollen, so sahen wir auch, wie eine der jungen Damen sich von einer anderen an dem Fenster neben dem Bett das Haar machen ließ, und zwar auf eine so ungewöhnlich prächtige Weise, daß diese sich nur durch einen Hausball rechtfertigen läßt.
Der Besitzer des Hauses mit den grünen Läden bekleidet ein öffentliches Amt; wir sehen dieß aus dem Schnitt seines Rockes, an dem Knoten seiner Halsbinde und an seinem selbstgefälligen Gang; – die sehr grünen Läden selbst haben ein Sommersethouseähnliches Ansehen.
Horch! ein Cabriolet! Da kommt ein junger Schreiber aus der Kanzlei des Hausbesitzers; ein ganz netter junger Mann, mit starker Hinneigung zu Schnupfen und Hühneraugen; er kommt in Stiefeln mit Vordertheilen von schwarzem Tuch, in der Rocktasche hat er seine Schuhe, welche er in diesem Augenblicke in dem Vorzimmer anzieht. Jetzt wird er von dem Bedienten, der in dem Gange steht, einem Andern im blauen Rocke angekündigt, – dieser ist ein verkleideter Bureaudiener.
Der Mann an dem ersten Treppengeländer geht ihm bis zu der Thüre des Gesellschaftszimmers voran. »Herr Tupple!« ruft er. »Wie geht es Ihnen, Herr Tupple?« sagt der Hausherr und geht von dem Kamin, vor welchem er politisirend und sich wärmend gestanden hatte, auf ihn zu. »Meine Liebe, das ist Herr Tupple, (ein freundlicher Gruß von den Damen des Hauses); Tupple, meine ältere Tochter. Liebe Julie, Herr Tupple; Tupple, meine andere Tochter, mein Sohn, Sir.« Tupple reibt sich die Hände und lächelt, als wäre es ein Kapitalspaß, bückt und dreht sich in Einem fort, bis die Vorstellung der gesammten Familie vorbei ist, dann gleitet er zierlich auf einen Stuhl an der Ecke des Sopha's und eröffnet eine höchst mannigfaltige Unterhaltung mit den jungen Damen über das Wetter, das Theater, das alte Jahr, die jüngste Mordthat, den letzten Luftballon, über Damenärmel, die Festivitäten der Jahreszeit und über eine Menge anderer sonstiger Gemeinplätze eines seichten Geschwätzes.
Abermals ein Doppelschlag! Was kommt doch für große Gesellschaft! – welch' unaufhörliches Gesumm der Unterhaltung, – das Kaffeegeschlürfe will gar kein Ende nehmen! – Wir sehen nun im Geiste Herrn Tupple auf dem Gipfel seiner Glorie. Er hat just die Tasse der wohlbeleibten alten Dame dem Bedienten hingereicht und schlüpft nun durch den Haufen der jungen Leute an der Thüre hindurch, um den andern Bedienten abzufassen und den Kuchenteller für die Tochter in Beschlag zu nehmen, bevor er aus dem Zimmer getragen wird; auf seinem Rückwege wirft er den jungen Damen einen so herablassenden und vertraulichen Blick des Einverständnisses und der Gönnerschaft zu, als wenn er seit ihrer Kindheit mit ihnen bekannt wäre.
Ein prächtiger Mann, dieser Herr Tupple – ein ganzer Damenmann! – und was für ein köstlicher Gesellschafter! – Und lachen kann er! – Nein, kein Mensch versteht Papa's Späße nur halb so gut, als Herr Tupple: er lacht bei jedem neuen Witz, daß er beinahe Krämpfe bekommt. Und was für ein angenehmer Tänzer! schwatzt in Einem fort, und so lustig und ausgelassen er auch Anfangs schien, ist er doch so romantisch und so gefühlvoll! Zum Küssen! Es ist nicht schön von den jungen Herren, welche über ihn spotten und sich das Ansehen geben, als verachten sie den jungen Mann; aber Jedermann weiß, daß der bloße Neid aus ihnen spricht, und sie brauchten sich nicht so viele Mühe zu geben, ihn auf alle Weise zu verkleinern, denn Mama sagt, er werde künftig jedes Mal zu Tische gebeten werden, wäre es auch nur, um mit den Leuten während der Gänge zu plaudern und sie zu beschäftigen, oder ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken, wenn es irgend eine unerwartete Verzögerung in der Küche gibt.
Bei dem Souper zeigt sich Herr Tupple von einer noch vortheilhafteren Seite, als den ganzen Abend über, und wenn Papa verlangt, daß Jedermann sein Glas füllen soll, um auf ein gutes neues Jahr anzustoßen, so ist es doch zum Todtlachen, wie Herr Tupple so drollig darauf besteht, alle jungen Damen müssen ihre Gläser voll haben, trotz ihrer wiederholten Versicherungen, daß sie durchaus nicht im Stande seien, sie zu leeren; nachher bittet er um Erlaubniß, ein paar Worte über die eben ergangene Aufforderung von Papa sagen zu dürfen, und hält eine so brillante und poetische Rede über das neue Jahr, wie man sich nur eine denken kann. Nachdem der Toast getrunken ist und die Damen sich zurückgezogen haben, verlangt Herr Tupple, daß jeder Herr ihm die Gefälligkeit erzeigen und sein Glas füllen möge, weil er einen Toast vorzuschlagen im Sinne habe; alle Herren rufen: »Hört, hört!« und lassen demgemäß die Flaschen herumgehen. Wenn Herr Tupple von dem Hausherrn vernimmt, daß alle gefüllt seien und man auf den Toast warte, steht er auf und bittet die Herren: sie mögen sich an den hohen Genuß erinnern, den ihnen der blendende Kreis von Schönheit und Reizen, durch welche heute Abend die Gesellschaft verherrlichet worden sei, bereitet habe, wie durch den bezaubernden Verein von Liebenswürdigkeit, der noch so eben in diesen Räumen gestrahlt habe, all' ihre Sinne gefangen genommen und ihre Herzen gefesselt worden seien. (Lauter Ruf: »Hört, hört!«) So sehr er (Tupple) auch aus andern Gründen die Abwesenheit der Damen zu beklagen sich gedrungen fühle, so könne er doch nicht umhin, einigen Trost in dem Gedanken zu finden, daß gerade ihre Abwesenheit ihn in den Stand setze, einen Toast auszubringen, welchen er unter anderen Umständen wohl hätte bei sich behalten müssen; – der Toast, welchen er vorschlagen zu dürfen bittet, gilt: – »den Damen!« (Großer Applaus.) Den Damen, unter welchen die bezaubernden Töchter ihres vortrefflichen Wirthes gleich hell durch Schönheit, Talent und Bildung strahlen. Er bittet, auszutrinken: »Auf das Wohl der Damen und auf ein glückliches neues Jahr für sie!« (Anhaltender Beifall; dazu hört man deutlich über den Köpfen den Lärm, wie die Damen unter sich die Cachucha tanzen).
Kaum hat sich der Beifall, welcher auf den Toast folgt, gelegt, so sieht man, wie ein junger Herr in einer bunten Unterweste, der an dem unteren Ende des Tisches sitzt, immer unruhiger wird und heftige Zeichen eines geheimen Wunsches merken läßt, seinen Gefühlen durch eine Rede Luft machen zu wollen; – kaum nimmt dieß der kühne Tupple wahr, als er ihm den Rang abzulaufen und selbst Etwas zu sagen beschließt. Deßhalb steht er mit feierlicher, höchst wichtiger Miene auf und hofft, man werde ihm erlauben, einen zweiten Toast auszubringen. (Ungeteilte Zustimmung.) Herr Tupple fährt fort: Es ist gewiß, alle Anwesenden fühlen sich tief ergriffen von der Gastfreiheit, – er darf sagen, dem Glanz, – mit welchem sie heute Abend von ihren schätzbaren Wirthen empfangen worden sind. (Unbegrenzter Beifall.) Obgleich dieß das erste Mal ist, daß er das Vergnügen – das Glück – hat, an diesem Tische zu sitzen, so kennt er doch seinen Freund Dobble seit langer Zeit genau; durch Amtsgeschäfte ist er mit ihm in Verbindung gekommen; er wünscht, alle Anwesenden möchten Dobble so gut kennen als er. (Der Wirth hustet.) Er (Tupple) darf die Hand auf sein (Tupple's) Herz legen und kann getreulich versichern, daß es keinen besseren Mann, keinen besseren Gatten, keinen besseren Vater, keinen besseren Bruder, keinen besseren Sohn, keinen besseren Freund je in der Welt gegeben hat, als Dobble. (Lauter Ruf: »Hört!«) Heute Abend haben sie ihn in dem friedlichen Kreise der Seinigen gesehen, sie sollten ihn am Morgen sehen in seinen Amtsgeschäften. Ruhig und gefaßt bei den Morgenzeitungen, unerschütterlich bei der Unterzeichnung seines Namens, würdevoll in seinen Bescheiden auf unstatthafte Gesuche, unterwürfig in seinem Benehmen gegen Vorgesetzte, majestätisch in seinem Betragen gegen die Gerichtsboten. (Heiterkeit.) Wenn er den hohen trefflichen Eigenschaften des Herrn Dobble ein so verdientes Zeugniß gibt, was kann er denn in Bezug auf ein solches Wesen sagen, wie Frau Dobble? – Soll er sich auch über ihre Eigenschaften verbreiten? – Nein, er will die Gefühle seines Freundes Dobble nicht allzusehr in Anspruch nehmen, – er will die Gefühle seines Freundes – wenn er ihm erlauben will, ihn so zu nennen –, des Herrn Dobble junior, schonen. (Herr Dobble junior hat so eben den Mund bedeutend aufgesperrt, um eine besonders schöne Orange hineinzuschieben, hält plötzlich mit seiner Operation inne und gibt sich ein ganz eigenthümliches Ansehen von beträchtlicher Schwermuth.) Er will nur einfach sagen – und er ist gewiß, alle Zuhörer theilen bereitwillig seine Empfindungen, – daß sein Freund Dobble ein so ausgezeichneter Mann ist, als er je einen kannte, daß Frau Dobble weit über jeder Frau steht, welche er je gesehen (ausgenommen ihre Töchter), und er will damit schließen: »Das würdige Paar! möge es noch manches neue Jahr in Freude erleben!«
Die Gesundheit wird unter lautem Beifallrufen getrunken; Dobble bedankt sich, und die ganze Gesellschaft bricht auf, um die Damen in dem anderen Zimmer aufzusuchen. Die jungen Leute, welche vor Tische zu blöde zum Tanzen gewesen sind, wagen jetzt, ihre Worte anzubringen und engagiren sich; die Musiker zeigen unzweideutige Symptome, daß sie, während die Gesellschaft fort war, das neue Jahr angetrunken haben; – der Tanz dauert bis an den hellen Morgen des Neujahrstages.
Kaum hatten wir das letzte Wort des vorigen Satzes geschrieben, als der erste Glockenschlag der zwölften Stunde von dem benachbarten Kirchthurme erscholl. Es liegt etwas Hehres in dem Tone. Genau genommen mag er eigentlich nicht eindringlicher sein, als zu jeder andern Zeit, denn die Stunden stehlen sich so eilig davon, als sonst auch, und ihr Flug ist ungehemmt. Allein wir messen das Menschenleben nach Jahren, und es ist ein feierlicher Schall, welcher uns zuruft, daß wir abermals einen Grenzstein überschritten haben, der zwischen uns und dem Grabe steht. Bemänteln wir es uns aber, wie wir wollen, der Gedanke wird sich uns doch stets aufdrängen, daß, wenn die nächste Glocke abermals das Beginnen eines neuen Jahres verkündet, wir wohl eben so unempfindlich gegen die zeitliche Mahnung, welche wir so oft nicht beachtet haben, als taub für die warmen Gefühle sein können, welche jetzt in uns glühen.