Charles Dickens
Skizzen aus dem Londoner Alltagsleben
Charles Dickens

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Siebentes Kapitel

Eine Fahrt mit dem Dampfschiffe.

Herr Percy Noakes war ein Student der Rechte und bewohnte ein paar Zimmer des vierten Stockes von einem jener Häuser in Grey's-Inn-Square, welche eine weite Aussicht über die Gärten mit ihren gewöhnlichen Anhängseln, – aufgedonnerte Kindermädchen und Stadtkinder mit krummen Beinen, – beherrschen.

Herr Percy Noakes war, was man gewöhnlich »einen verteufelt guten Burschen« nennt. Er hatte einen großen Kreis von Bekannten und speiste selten auf eigene Kosten. Mit den Papa's sprach er über Politik, schmeichelte der Eitelkeit der Mama's, spielte gegen die Töchter den Liebenswürdigen, arrangirte für die Söhne Lustbarkeiten und tollte mit den Kleineren herum. Gleich jenen Mustern von Vollkommenheit – den dienstlosen Bedienten,– war er stets »bereit, sich überall nützlich zu machen.« Wenn eine alte Dame, deren Sohn sich in Indien befand, einen Ball gab, so machte Herr Percy Noakes den Ceremonienmeister; ließ sich eine junge Dame heimlich trauen, so vertrat Herr Percy Noakes die Vaterstelle; beschenkte eine jugendliche Gattin ihren Gemahl mit einem blühenden Cherub, so war Herr Percy Noakes entweder Taufpathe oder Stellvertreter des Taufpathen, und wenn irgend ein Familienmitglied eines seiner Bekannten starb, so durfte man sicherlich darauf rechnen, Herrn Percy Noakes in der zweiten Trauerkutsche, mit einem weißen Taschentuche vor den Augen, zu sehen, weinend und schluchzend, – nach seinem eigenen passenden und bezeichnenden Ausdrucke – »wie auf den Wink.«

Man wird sich wohl leicht vorstellen können, daß derlei zahlreiche Abhaltungen eigentlich nicht gerade darauf berechnet waren, Herrn Percy Noakes' Fachstudien zu befördern. Unser Student hatte sich auch schon vollkommen davon überzeugt und deßhalb nach reiflicher Ueberlegung beschlossen, lieber gar nicht zu studiren, – ein lobenswerther Entschluß, dem er auch mit höchst preiswürdiger Consequenz getreu blieb.

Sein Wohnzimmer bot ein buntes Chaos von Ball- und Boxhandschuhen, Karrikaturen, Albums, Einladungs- und Visitenkarten, Rappieren, Ballonraketen, Kartenspielen, Zeichenpapier, Kreide, Gummi-elasticum und fünfzigerlei anderen ungewöhnlichen Gegenständen dar, welche in der merkwürdigsten Verwirrung untereinander lagen.

Stets hatte er irgend Etwas für irgend Jemand zu thun, oder irgend eine Lustpartie zu arrangiren, worin er auch seine Hauptforce hatte. Er sprach immer erstaunlich geschwind, war lebhaft, witzig und achtundzwanzig Jahre alt.

»Ein herrlicher Gedanke, auf Ehre,« sagte Herr Percy Noakes bei seinem Morgenkaffee zu sich selbst, als ihm der Vorschlag einer Dame beifiel, in deren Hause er den gestrigen Abend zugebracht hatte. »Ein prächtiger Gedanke! – Frau Stubbs!« rief nun der Student mit erhobener Stimme.

»Hier, Sir,« erwiederte eine schmutzige, alte Frau von etwas blühendem Aussehen, die, ein Gefäß mit Kehricht und Kohlen in der Hand, aus dem Schlafzimmer heraustrat; es war die Aufwärterin.

»Haben Sie gerufen, Sir?«

»Ja, Frau Stubbs; ich gedenke auszugehen. Wenn der Schneider kommen sollte, so würden Sie wohl am besten thun – ja, Sie würden am besten thun, ihm zu sagen, ich sei verreist und käme vor vierzehn Tagen nicht zurück; sollte der Schuhmacher kommen, so sagen Sie ihm, ich hätte seine Adresse verloren, sonst würde ich ihm die kleine Rechnung schon längst bezahlt haben; er soll sie dann nur da lassen; wenn aber Herr Hardy nach mir fragen sollte – Sie kennen doch Herrn Hardy?«

»Den possierlichen Herrn, Sir?«

»Ja, denselben. Wenn also Herr Hardy nach mir fragen sollte, so sagen Sie ihm, daß ich zu Frau Taunton, wegen der Wasserpartie, gegangen sei.«

»Schon recht, Sir.«

»Und sollte mich irgend einer meiner Freunde aufsuchen und etwa wegen des Dampfschiffes fragen, so sagen Sie ihm nur, daß er heute Nachmittag um fünf Uhr hier sein solle, Frau Stubbs.«

»Sehr wohl, Sir.«

Herr Percy Noakes bürstete seinen Hut aus, wischte die Brosamen mit einem seidenen Taschentuche von seinen Inexpressibles, dressirte seine Haare mit den Fingern zu höchst anziehenden Locken und eilte fort zu Frau Taunton, welche mit ihren Töchtern den obern Theil eines Hauses in Great-Malborough-Street bewohnte. Diese Dame war eine noch ziemlich gut aussehende Wittwe von fünfzig Jahren, mit der Gestalt einer Riesin und dem Herzen eines Kindes. Das Jagen nach Lustpartieen und allerlei andern Mitteln, die Zeit todtzuschlagen, schien der einzige Zweck ihres Daseins; dabei war sie in ihre beiden Töchter, welche eben so lebenslustig, wie sie, waren, völlig vergafft.

Ein einstimmiges freudiges Willkommen empfing Herrn Percy Noakes, der, nach den gewöhnlichen Begrüßungen an dem Arbeitstischchen der Damen, mit all' der Leichtigkeit eines Hausfreundes ungenirt Platz nahm. Frau Taunton war eifrig damit beschäftigt, ungeheuer breite Maschen und Bänder auf einen großen Hut zu setzen, wo man sie nur immer anbringen konnte; Miß Emilie Taunton häkelte ein Uhrband und Miß Sophia saß am Piano und übte ein neues Lied ein, ein Gedicht des Offiziers, oder des Polizeicommissärs, oder des Zollbeamten, oder eines andern gleich interessanten Kunstfreundes.

»Sie gutes Geschöpf!« sagte Frau Taunton zu dem galanten Percy. »Sie sind in der That eine gute Seele! Nicht wahr, Sie kommen wegen der Wasserpartie?«

»Fast möchte ich sagen, Sie hätten's errathen,« erwiederte Herr Noakes triumphirend.

»Nun kommt her, Mädchen, ich will euch den ganzen Plan mittheilen.«

Miß Emilie und Miß Sophia hüpften mit jener Art von Balletschritten zum Tische heran, die gewisse Damen für so bezaubernd halten, – einem Mitteldinge zwischen Hüpfen und Galoppiren.

»Nun,« fuhr Herr Percy Noakes fort, »wir werden wohl am besten thun, wenn wir ein Comité von zehn Personen niedersetzen, um alle Arrangements zu treffen und die ganze Partie zu leiten. Dann schlage ich vor, daß die Kosten von diesen Zehn gemeinschaftlich bestritten werden.«

»Vortrefflich, in der That!« sagte Frau Taunton, welcher dieser Theil des Arrangements vollkommen zusagte.

»Ferner ist mein Plan, daß jeder dieser Zehn das Recht haben soll, fünf Personen einzuladen. Dieses Comité muß dann auf meinem Zimmer eine Versammlung halten, um alle Vorbereitungen zu treffen und die einzuladenden Personen zu benennen: jedes Mitglied des Comités hat das Recht, über die vorgeschlagenen Personen abzustimmen, und Eine schwarze Kugel soll ausschließen. Dieß wird uns im Voraus eine angenehme Gesellschaft zusichern, verstehen Sie?«

»Wie Sie doch Alles so einzurichten wissen!« unterbrach ihn Frau Taunton.

»Charmant!« sagte die liebliche Emilie.

»Man sollte gar nicht glauben!« bemerkte Sophia.

»Ja, ja, ich denke, so wird es gehen,« erwiederte Herr Percy Noakes, der nun ganz in seinem Elemente war; »so wird es sich machen. Nun, verstehen Sie, werden wir nach Nore hinabfahren und wieder zurück, vorher aber ein regelmäßiges, kaltes, kapitales Mittagessen in der Cajüte herrichten lassen, damit Alles in bester Ordnung bereit ist und es keine Confusion gibt; das Frühstück wird auf dem Deck eingenommen, in jenem eingemachten, wie ein Theegarten aussehenden Platze am Steuerruder, – ich weiß nicht, wie man das Ding heißt. – Natürlich muß ein Boot eigens für die Gesellschaft gemiethet, auch Musik bestellt werden, wissen Sie; das Deck wird mit Kreide bestrichen, damit wir den ganzen Tag, wenn wir wollen, tanzen können, und dann, wissen Sie, muß Alles, was musikalisch ist, sich nützlich und angenehm machen – und – und – kurzum, ich hoffe zuverlässig, es wird einen gloriösen Tag geben, wissen Sie!«

Die Mittheilung dieses trefflichen Arrangements ward mit dem höchsten Entzücken aufgenommen und Frau Taunton, Emilie und Sophia konnten zu seinem Lobe nicht Worte genug finden.

»Dieß ist Alles ganz vortrefflich; nun aber sagen Sie mir, Percy,« nahm Frau Taunton das Wort, »wer sollen die zehn Herren sein?«

»O! ich habe eine Menge Kameraden, die über den Vorschlag ganz entzückt sein werden,« erwiederte Herr Percy Noakes; »natürlich muß ein Mahl dabei sein – –«

»Herr Hardy,« unterbrach ihn die Magd, einen Besuch ankündigend.

Miß Sophia und Miß Emilie nahmen hastig eine möglichst interessante Stellung an, so weit dieß noch in so kurzer Zeit geschehen konnte.

»Wie befinden Sie sich?« rief ein wohlbeleibter Herr von etwa vierzig Jahren in der Haltung eines tölpelhaften Hanswurstes und blieb unter der Thüre stehen.

Dieß war Herr Hardy, dessen wir vorhin schon auf die Autorität der Frau Stubbs, als des possierlichen Herrn, erwähnt haben.

Es war ein Astley-Cooperischer Joe Miller, ein Spaßmacher von Profession, ungemein frei mit verheiratheten Damen und ein Hauptgünstling aller jungen Männer; stets für die eine oder andere Partie engagirt, und sein Hauptvergnügen bestand darin, bei dergleichen Veranlassungen Einem ein Bein zu stellen. Er konnte komische Lieder singen, Vögel und Miethkutscher nachmachen, Stücke mit dem Kinn spielen und Konzerte auf der Maultrommel geben. Er pflegte stets ungeheuer viel zu essen und zu trinken, und war der Busenfreund des Herrn Percy Noakes. Er hatte ein rothes Gesicht, eine etwas heisere Stimme und lachte fürchterlich laut.

»Wie befinden Sie sich?« wiederholte der würdige Mann nähertretend und lachte dazu, als ob ein Morgenbesuch das possierlichste Ding von der Welt wäre; dabei schüttelte er den Damen die Hände so, als ob ihre Arme Pumpenschwengel wären.

»Sie sind gerade der Mann, wie wir ihn brauchen,« sagte Herr Percy Noakes, und setzte ihm das Warum auseinander.

»Ha! ha! ha!« lachte Hardy aus vollem Halse, nachdem er genau gehört hatte, wie die vorgeschlagene Excursion vor sich gehen sollte. »O, kapital, prächtig! Was wird das für ein köstlicher Tag werden! Was für ein Spaß! – Nun frage ich Sie aber, wann wollen Sie mit den Vorbereitungen anfangen?«

»Ich wüßte keine bessere Zeit, als jetzt gleich, – also gleich, wenn es Ihnen recht ist.«

»O, charmant!« riefen die Damen. »Bitte, machen Sie es so.«

Schreibmaterialien wurden alsbald herbeigeschafft und verschiedene Namen von Mitgliedern zu dem Comité erhielten ihre Zustimmung, nachdem zwischen Noakes und Hardy eben so viel darüber disputirt worden war, als ob von ihrer Entscheidung wenigstens das Schicksal von Nationen abhinge.

Sofort wurde beschlossen, daß am nächsten Mittwoch, Abends um acht Uhr, in Herrn Percy Noakes Wohnung eine Versammlung stattfinden solle, und man trennte sich.

Der bestimmte Abend kam, es schlug acht Uhr, und acht Mitglieder des Comités waren pünktlich auf ihrem Platze.

Herr Baggins, der Rechtsanwalt von Boswell-Court, schickte eine Entschuldigung an Herrn Samuel Briggs, der ditto von Furnivals-Inn schickte seinen Bruder, sehr zu seiner (des Bruders) Zufriedenheit und sehr zum Mißvergnügen Herrn Percy Noakes. Zwischen den Briggs und Tauntons bestand nämlich ein unversöhnlicher Haß, welcher gar nicht seines Gleichen hatte. Die Feindschaft zwischen den Montagues und Capulets war Nichts im Vergleich zu der, welche zwischen jenen beiden erlauchten Häusern obwaltete.

Frau Briggs war eine Wittwe mit drei Töchtern und zwei Söhnen: Herr Samuel, der Aelteste war ein Advokat, und Alexander, der Jüngste, bildete sich als Gehilfe seines Bruders in seinem Fache. Sie wohnten in Portland-Street, Oxford-Street, und kamen in dieselben Zirkel, wie die Tauntons – daher die gegenseitige Feindschaft.

Erschienen die Miß Briggs in großen Hüten, so würden sie durch die noch größeren der Miß Tauntons verdunkelt. Kam Frau Taunton in einer Haube mit allen Regenbogenfarben, so trug Frau Briggs sogleich eine Toque nach dem Muster eines Kaleidoskops. Hatte Miß Sophie Taunton ein neues Lied einstudirt, so producirten gewiß zwei Miß Briggs ein neues Duett. Einst hatten die Miß Tauntons mittelst einer Harfe einen augenblicklichen Triumph davongetragen, nun zogen aber die Miß Briggs mit drei Guitarren zu Felde und schlugen den Feind vollständig auf das Haupt. Kurz, der Eifersucht zwischen den beiden Parteien war kein Ende.

Da nun Herr Samuel Briggs eine bloße Maschine, eine Art selbsthandelnden, juristischen Spazierstockes war, – und bekannt wurde, daß die Partie durch Frau Tauntons, wenn auch nur entfernte, Mitwirkung zu Stande gekommen sei, so hatte es der weibliche Theil der Familie Briggs so einzuleiten gewußt, daß Herr Alexander statt seines Bruders der Versammlung anwohnen solle; der besagte Herr Alexander war verdientermaßen dafür berühmt, daß er alle Halsstarrigkeit eines Bankerotthofsadvokaten besaß, verbunden mit der Hartnäckigkeit jenes liebenswürdigen Thieres, das die Disteln benagt, und somit bedurfte er nicht vieler Aufmunterung. Er war speziell angewiesen, sich so streitig als möglich zu zeigen, und hauptsächlich unter allen Umständen für die Tauntons schwarz zu ballotiren.

Die Präliminarien der Abendverhandlungen wurden durch Herrn Percy Noakes eröffnet. Nachdem er die anwesenden Herren nicht ohne Erfolg zu einer Mischung von Branntwein und Wasser aufgefordert, setzte er den Gegenstand der Versammlung genau auseinander und schloß mit der Bemerkung, daß vor Allem zu der Wahl eines Präsidenten geschritten und diesem nothwendig eine gewisse Gewalt eingeräumt werden müsse – doch nicht ohne konstitutionelle Einschränkung – welchem dann die persönliche Direktion des ganzen Arrangements (das übrigens der Zustimmung des Comités unterliege) anvertraut werden solle. Ein blasser junger Mann, in grüner Halsbinde mit einer Brille von derselben Farbe, Mitglied der achtbaren Gesellschaft des »Innern Tempels,« erhob sich augenblicklich, um Herrn Percy Noakes dazu vorzuschlagen. Er kenne ihn schon lange und wolle so viel sagen, daß es gar keinen ehrenwertheren, vortrefflicheren und gutherzigeren Burschen gebe (hört! hört!). Der junge Mann, Mitglied einer Disputationsgesellschaft, ergriff diese Gelegenheit, sich in eine Untersuchung über den Zustand der englischen Gesetze von den Tagen Wilhelms des Eroberers bis auf unsere Zeiten einzulassen, erwähnte kurz den von den alten Druiden, verfaßten Codex, berührte oberflächlich die Rechtsprincipien der atheniensischen Gesetzgeber und schloß endlich mit einer glühenden Lobrede auf Pickenicks und constitutionelle Rechte.

Herr Alexander Briggs opponirte der Motion. Er habe zwar die höchste Achtung vor der Person Herrn Percy Noakes, allein er sei der Ansicht, daß der Präsident nicht mit ungeheurer Gewalt bekleidet werden dürfte – (O! O!). – Er glaube, daß, mit der vorgeschlagenen Ermächtigung ausgestattet, Herr Percy Noakes nicht unbefangen, unparteiisch und ehrenhaft genug handeln könnte; er bitte jedoch, ihn wohl zu verstehen, daß er dieß ohne die geringste persönliche Beziehung vorbringe.

Herr Hardy vertheidigte seinen ehrenwerthen Freund mit einer Stimme, die theilweise durch Erregung, theilweise in Folge des genossenen Grogs ziemlich unverständlich war. Es wurde sofort über den Vorschlag abgestimmt, und da blos Eine Stimme gegen ihn war, so wurde die Wahl für gültig und richtig erklärt, und Herr Percy Noakes nahm sofort den Präsidentenstuhl ein.

Nun ging es mit großer Raschheit an die Geschäfte. Der Präsident legte seinen Ueberschlag der muthmaßlichen Kosten vor, und jeder Anwesende unterzeichnete seinen Beitrag. Dann wurde der Vorschlag gemacht, daß »die Endeavour« zu der Partie gemiethet werden solle; Herr Alexander Briggs brachte das Amendement vor, daß das Wort »Fly« für das Wort »Endeavour« substituirt werden möchte; allein nach einigen Debatten ließ er sich bestimmen, sein Ansinnen wieder zurückzunehmen. Nun kam der wichtige Akt des Ballotirens. Ein Theekästchen wurde auf einem Tische in dem finstersten Winkel des Zimmers aufgestellt und Jeder mit zwei Damenbrettsteinen, einem schwarzen und einem weißen, versehen.

Der Präsident las dann mit großer Feierlichkeit die Namen folgender Gäste ab, welche er einzuführen vorschlug:

Frau Taunton mit zwei Töchtern, Frau Wigle, Herr Simson.

Ueber Alle wurde nach einander ballotirt, und es zeigte sich, daß Frau Taunton mit Töchtern hinausvotirt war.

Herr Percy Noakes und Herr Hardy sahen einander an.

»Haben Sie Ihre Liste fertig, Herr Briggs?« fragte der Präsident mit aller Würde eines zweiten Manners Sutton.

»Ja wohl,« erwiederte Alexander, und las folgende Namen ab:

»Frau Briggs und drei Töchter, Herr Samuel Briggs.«

Dieselbe Ceremonie wurde wiederholt und Frau Briggs mit drei Töchtern war hinausvotirt.

Herr Alexander Briggs sah ziemlich verblüfft aus, und der Rest der Gesellschaft schien durch den geheimnisvollen Gang der Abstimmung einigermaßen eingeschüchtert.

Das Ballotiren ging weiter, aber ein kleiner Umstand, den Herr Percy Noakes ursprünglich nicht vorhergesehen, brachte ihn zu der Ueberzeugung, daß sich sein System so, wie er es vorausgesetzt, nicht durchführen lasse. Jedermann wurde hinausvotirt.

Um sich zu rächen, hatte Herr Alexander Briggs bei jeder Ballotage von seinem Rechte Gebrauch gemacht und einen schwarzen Stein eingelegt, und das Ende vom Liede war, daß man nach drei Stunden unaufhörlichen Ballotirens fand, daß blos drei Herren würdig erkannt worden wären.

Was war nun in dieser Verlegenheit anzufangen. Entweder mußte der ganze Plan aufgegeben, oder ein Vergleich zu Stande gebracht werden. Man zog die letztere Alternative vor, und Herr Percy Noakes machte den Antrag, das Ballotiren ganz aufzugeben und jedem Herrn blos zur Pflicht zu machen, die Gesellschaft, welche er mitzubringen gedenke, anzugeben. Der Vorschlag wurde angenommen, die Tauntons und Briggs somit in den vorigen Stand wieder eingesetzt, – und so war die Sache wieder in Ordnung.

Der kommende Mittwoch wurde für das Abenteuer festgesetzt und einstimmig beschlossen, daß jedes Mitglied des Comités ein blaues Sarsenettband um den linken Arm tragen solle.

Aus Herrn Percy Noaks Bericht ergab es sich, daß das Boot der General-Dampfschifffahrts-Compagnie gehöre und am Zollhause liege; da er vorgeschlagen hatte, das Diner und die Weine von einem ausgezeichneten City-Restaurateur herbeizuschaffen, so wurde ausgemacht, daß er auch die Oberaufsicht über die Arrangements zu führen habe und sich deßhalb schon um sieben Uhr an Bord begeben müsse, die übrigen Mitglieder des Comités, so wie die ganze Gesellschaft sich aber um neun Uhr dort einfinden sollen. Es wurde nun noch mehr Branntwein und Wasser getrunken, allerlei Reden von verschiedenen anwesenden Rechtsbeflissenen gehalten, dem Präsidenten eine Dankadresse votirt und endlich die Versammlung aufgehoben.

Die Witterung war bisher herrlich gewesen und hielt sich auch prächtig. Der Sonntag war vorüber – und jetzt wurde Herr Percy Noakes ungewöhnlich rührig und rutschte zum großem Erstaunen der Schreiber und zum bedeutenden Nutzen der Holborn-Cabriolet-Kutscher unaufhörlich von der Dampfboot-Werfte hin und her. Der Dienstag kam; Herr Percy Noakes wurde immer ängstlicher; jeden Augenblick rannte er nach den Fenstern und schaute nach den Wolken; und Herr Hardy setzte durch die Einübung eines neuen komischen Liedes in des Präsidenten Wohnung die ganze Straße in Erstaunen und Schrecken.

Herrn Percy Noakes' Schlaf in dieser Nacht war höchst unruhig; zuweilen schlummerte er ein Bischen, dann fuhr er wieder in die Höhe, wälzte sich im Bette umher und hatte verwirrte Träume; bald sah er Dampfschiffe abfahren, bald auf gigantischen Uhrtafeln den Zeiger auf einem Viertel über neun Uhr stehen, bald erblickte er sogar Herrn Alexander Briggs' widerwärtiges Gesicht, wie es über dem Seitenbord des Fahrzeuges zum Vorschein kam und abscheuliche Fratzen schnitt, als wollte er Herrn Percy's fruchtlose Anstrengungen, es zu erreichen, verhöhnen. Er machte einen verzweifelten Versuch, an Bord zu kommen, und erwachte. Lieblich schien die helle Sonne in sein Schlafgemach, hastig sah er nach der Uhr, nicht ohne Besorgniß, seine schrecklichen Träume verwirklicht zu finden.

Es war eben fünf Uhr. Er überrechnete nun die Zeit – eine gute halbe Stunde brauchte er zum Ankleiden, und da es ein lieblicher Morgen war, so wollte er langsam nach Strand-Lane hinschlendern, dort ein Boot nehmen und mit der zurückkehrenden Fluth bis zum Zollhause fahren.

Er kleidete sich demnach an, nahm hastig ein kleines Frühstück ein und eilte fort. Die Straßen sahen so einsam und verlassen aus, als ob sie gestern Abend zum letzten Male angefüllt gewesen wären. Hier und da schloß ein frühzeitiger Lehrbursche mit trüben, schläfrigen Augen den Laden auf, zuweilen sah man auch einen Polizeidiener oder ein Milchweib langsam hinschleichen; die Mägde hatten noch nicht angefangen, die Thüren zu putzen oder Feuer aufzumachen, und London sah wie ausgestorben aus. An der Ecke einer Nachbargasse, nahe bei Templebar, war ein »Straßenfrühstück« eingerichtet. Der Kaffee kochte über einem Kohlenfeuer und große Stücke Butterbrod waren aufeinander gebeugt, gleich einer Lage Dielen in einem Bauhofe. Die Gesellschaft saß auf einer Bank, welche in doppelter Rücksicht, nämlich der Sicherheit und Bequemlichkeit wegen, gegen die Wand gestellt war. Zwei junge Männer, deren lärmende Fröhlichkeit und unordentliche Kleidung für ein Gelage von gestern Abend zeugten, bewirtheten drei »Damen« und einen irischen Arbeiter. Ein Schornsteinfegerjunge stand in einiger Entfernung und warf sehnsüchtige Blicke auf die einladenden Delikatessen, und ein Polizeidiener, auf der andern Seite der Straße, hielt die Gruppe im Auge. Das blasse Aussehen und der bunte Putz der bemitleidenswerthen, leicht gekleideten Mädchen kontrastirten mit dem lieblichen Sonnenlichte eben so sehr, wie ihre erzwungene Freundlichkeit mit der ausgelassenen Lustigkeit der beiden jungen Männer, welche bald die Mädchen neckten, bald zur Abwechslung dem Eigenthümer des wandernden Kaffeehauses »Eins auf's Dach gaben.«

Herr Percy Noakes schritt rasch vorüber, und als er in Strand-Lane einlenkte und einen Blick auf das funkelnde Wasser warf, so war es ihm, als habe er sich in seinem ganzen Leben nie so wichtig und so glücklich gefühlt.

»Ein Boot, Sir?« schrie einer der drei Schiffleute, welche ihre Kähne auslegten und von denen Jeder eine andere Weise pfiff. »Ein Boot, Sir?«

»Nein!« erwiederte Herr Percy Noakes ziemlich barsch, denn die Frage war in einer, seiner Würde gar nicht angemessenen Art an ihn gerichtet.

»Würden Sie vielleicht einen Kahn vorziehen, Sir?« fragte ein Zweiter zum unendlichen Vergnügen der andern »Wasserratte.«

Herr Percy Noakes erwiederte die Frage blos mit einem Blicke der tiefsten Verachtung.

»Wünschen Sie vielleicht an Bord eines Dämpfers gebracht zu werden, Sir?« fragte ein alter Spritzenfuhrmann sehr zutraulich; er hatte einen abgetragenen rothen Rock an, welcher ganz wie die Decke eines alten Adreßbuches aussah.

»Ja, aber schnell – nach der ›Endeavour‹ – beim Zollhause.«

»Endeavour?« schrie der Bursche, der den Andern vorhin lachen gemacht hatte. »Ja, die habe ich vor 'ner halben Stunde abfahren sehen.«

»Ich auch,« sagte ein Anderer; »die wird aber wohl schon lange untergegangen sein, denn es war eine herrliche Ueberladung, voll Weibsleute und Mannsleute.«

Herr Percy stellte sich, als ob er gar nicht höre, was sie sagten, und stieg in das Boot, welches der alte Mann endlich nach vielem Zerren und Schieben zum Einsteigeplatze herangebracht hatte.

»Stoßt ab,« rief Herr Percy Noakes, und leicht glitt das Boot den Fluß hinab.

Als Herr Percy auf der frisch abgeputzten Bank sich zurecht gesetzt hatte, rief der Schiffer an dem Landungsplatze ihm zu, er wolle Alles mit ihm wetten, daß er das Zollhaus in seinem Leben nicht erreichen werde.

»Gottlob, da ist das Boot!« rief der vergnügte Percy, als sie längs der Endeavour hinfuhren.

»Angehalten!« rief der Steward, und Herr Percy sprang an Bord.

»Sie werden, hoffe ich, Alles nach Wunsch finden, Sir. Das Schiff sieht diesen Morgen außerordentlich gut aus.«

»Ja, in der That, Sir,« erwiederte der Präsident von Entzücken fast außer sich.

Das Deck war gefegt, die Sitze ebenfalls; es waren Bänke für die Musik aufgeschlagen, ein Platz zum Tanzen eingerichtet, eine Menge Feldstühle umhergestellt und ein Segeltuch darüber gespannt. Herr Percy Noakes eilte in die Cajüte hinab, und traf hier des Pastetenbäckers Gehülfen und des Stewards Frau, welche das Diner auf zwei Tafeln der ganzen Länge der Cajüte nach arrangirten; dann zog Herr Percy Noakes seinen Rock aus und lief hin und her, zwar ohne Etwas zu thun, war aber nichts desto weniger völlig überzeugt, daß er Jedermann helfe; die Frau des Stewards lachte unmäßig und Herr Percy Noakes keuchte vor Anstrengung. Bald tönte die Glocke an dem Werfte der London-Brücke: ein Margate-Boot und ein Gravesend-Boot hielten zu gleicher Zeit an dem Landungsplatze, das Volk schrie, Träger rannten mit einer Last von Gepäcke die Treppen herab, welche Jeden, außer einem Träger, zu Boden gedrückt hätte, wankende Bretter mit eben angenagelten Leisten und Geländer wurden von dem einen Dampfboot nach dem andern hinübergelegt, die Passagiere sprangen darauf hin und sahen dabei wie ein Trupp Geflügel auf einer Hühnerstiege aus; endlich schwieg die Glocke, die Brücken wurden weggenommen, die Boote fuhren ab; das Ganze war ein höchst ergötzliches Durcheinander und ein so lustiger Lärm gewesen, wie man sich nur immer vorstellen kann.

Schnell verfloß die Zeit, es schlug halb Neun; die Pastetenbäckers-Gehülfen gingen nach Hause; das Diner war vollständig arrangirt, und Herr Percy Noakes schloß die Hauptcajüte und steckte den Schlüssel in die Tasche, damit er nachher auf einmal die erstaunte Gesellschaft mit all' den Herrlichkeiten überraschen könnte. Die Musikanten kamen an Bord, ebenso der Wein.

Zehn Minuten vor neun Uhr kam das Comité in pleno angeschifft. Herr Hardy war in eine blaue Jacke und Weste, weiße Beinkleider, Seidenstrümpfe und Tanzschuhe – in vollständiges Wassercostüm – gekleidet, hatte einen Strohhut auf dem Kopfe und ein ungeheures Perspectiv unter dem Arme; ferner kam der junge Mann mit der grünen Brille, in Nanking-Inexplicables, mit einer ditto Weste mit hellen Knöpfen, gleich dem Gemälde Pauls – nicht des Heiligen, sondern des von Virginia her Bekannten. Der Rest des Comités trug weiße Hüte, leichte Jacken, Westen und Beinkleider, und sah halb wie Kellner, halb wie westindische Pflanzer aus.

Endlich schlug es neun Uhr und die ganze Gesellschaft kam in Geschwadern angerudert. Herr Samuel Briggs, Frau Briggs und die Miß Briggs erschienen in einem Privatboote. Die drei Guitarren in ihren dunkelgrünen Kästen lagen sorgfältig im Hintergrunde des Bootes aufgestapelt, nebst zweien ungeheuren Portefeuilles voll Musikalien, mit welchen man nicht in einer Woche fertig geworden wäre und wenn man Tag und Nacht fortgespielt hätte. Die Tauntons kamen in demselben Augenblicke mit noch mehr Musik und einem Löwen an – einem Herrn mit einer Baßstimme und einem Anfluge von rothem Barte. Die Tauntons trugen Rosa, die Briggs Hellblau. Die Tauntons hatten künstliche Blumen auf ihren Hüten, – da waren nun freilich die Briggs entschieden im Vortheile – sie trugen Federn.

»Wie befinden Sie sich, meine Lieben?« sagten die Miß Briggs zu den Miß Tauntons (das Wort »lieb« ist unter den Mädchen häufig gleichbedeutend mit »elend«).

»Sehr gut, dank' Ihnen, Liebe,« erwiederten die Miß Tauntons; und darauf küßten sie einander, freuten sich unendlich, einander zu sehen und drückten sich die Hände, daß man hätte meinen sollen, die beiden Familien wären die besten Freunde von der Welt gewesen, statt daß jede die andere über Bord wünschte.

Herr Percy Noakes empfing die Gäste und verbeugte sich vor dem fremden Herrn, als ob er zu wissen wünschte, wer er wäre. Darauf hatte aber Frau Taunton gewartet, denn hier bot sich Gelegenheit dar, die Briggs zu verblüffen.

»Ah! ich bitte um Entschuldigung,« sagte die Generalin des Tauntoncorps mit einem nachlässigen Air – »Kapitän Helves – Herr Percy Noakes – Frau Briggs – Kapitän Helves.«

Herr Percy Noakes machte einen tiefen Bückling; der stattliche Kapitän that dasselbe, mit geziemender Wildheit, und die Briggs waren offenbar in den Sand gestreckt.

»Da unser Freund, Herr Wizzle, unglücklicherweise eine Abhaltung bekommen hat,« fuhr Frau Taunton fort, »so habe ich mir das Vergnügen gemacht, den Kapitän mitzubringen, dessen musikalische Talente sicher eine große Acquisition für die Gesellschaft sein werden.«

»Im Namen des Comités statte ich Ihnen den verbindlichsten Dank dafür ab, und Sie, Sir, heiße ich freundlich willkommen,« erwiederte Percy (abermalige Kratzfüße). »Aber ich bitte, nehmen Sie Platz! wollen Sie sich nicht nach dem hintern Theile des Boots bemühen? Kapitän, wollen Sie vielleicht Miß Taunton begleiten? – Miß Briggs, Sie werden wohl mir erlauben?«

»Wo mögen sie wohl den Offizier aufgegabelt haben?« fragte Frau Briggs ihre Tochter, Miß Kate Briggs, als sie der kleinen Gesellschaft folgten.

»Kann mir's nicht einbilden,« erwiederte Miß Kate, vor Aerger fast berstend; denn der stolze Blick, mit welchem der stattliche Kapitän auf die Gesellschaft herabsah, hatte ihr einen großen Begriff von seiner Wichtigkeit beigebracht.

Boot um Boot kam nun angefahren und brachte Gäste über Gäste. Mit den Einladungen hatte man es auf das Vortrefflichste gemacht, denn Herr Percy Noakes hatte es für ebenso nothwendig erachtet, die Zahl der jungen Herren genau mit der der jungen Damen in Uebereinstimmung zu bringen, gleich wie Messer und Gabeln im Verhältniß vorhanden sein müssen.

»Ist nun Jedermann an Bord?« fragte Herr Percy Noakes.

Das Comité (welches mit seinen blauen Armbändern aussah, als ob es zum Aderlassen geführt werden sollte) vertheilte sich und forschte herum, ob es wirklich so sei, und hinterbrachte endlich, daß man ohne Weiteres abfahren könne.

»Abgefahren!« rief der Kapitän von dem Radhäuschen herab.

»Abgefahren!« echoete der Junge, welcher an der Lucke stand, um die Ordre an den Maschinenmeister weiter zu geben. Und das Schiff fuhr ab mit jenem, den Dampfschiffen so eigenen, angenehmen Getöse, welches eine liebliche Mischung von Knarren, Rauschen, Blasen und Schnauben ist.

»Hoi-oi-oi-oi-oi-oi-i-i-i-i,« schrien auf einmal ein halbes Dutzend Stimmen aus einem Boote etwa eine Viertelmeile hinter dem Dämpfer.

»Langsam,« rief der Kapitän; »gehören diese Leute noch zu uns, Sir?«

»Noakes,« rief Hardy, der bisher nach jedem Gegenstande nahe und ferne durch sein großes Perspektiv gesehen hatte; »es sind wahrhaftig die Fleetwoods und die Wakefields mit zwei Kindern!«

»O, pfui, Kinder mitzunehmen!« sagte Jedermann; »wie rücksichtslos!«

»Ich meine, es würde ein Hauptspaß sein, wenn wir uns stellten, als sähen wir sie gar nicht – oder nicht?« meinte Hardy zum unermeßlichen Ergötzen der ganzen Gesellschaft.

Es wurde schleunig Kriegsrath gehalten und beschlossen, die Nachkommenden doch an Bord zu nehmen, nachdem sich Herr Hardy zuvor feierlich anheischig gemacht hatte, den ganzen Tag über die Kinder plagen zu wollen.

»Halt an!« rief der Kapitän.

»Halt an!« wiederholte der Junge. Zischend fuhr der Dampf hinaus, alle jungen Damen schrien pflichtmäßig im Tutti, und ließen sich erst durch die Versicherung des martialischen Helves beruhigen, daß das Auslaufen des Dampfes, um ein Schiff halten zu machen, selten großen Verlust an Menschenleben zur Folge habe.

Zwei Männer sprangen an die Seite des Bootes, angelten nach vielem Schreien und Fluchen den kleinen Kahn mit einem Haken, und Herr und Frau Fleetwood nebst Master Fleetwood, und Herr und Frau Wakefield nebst Miß Wakefield wurden glücklich auf's Deck gebracht. Das Mädchen war ungefähr sechs, der Junge vier Jahre alt; die erstere hatte ein weißes Kleidchen mit bunter Schärpe und einem kleinen, Hundeohren ähnlichen Spenzer an und einen Strohhut mit grünem Schleier, sechs Zoll lang und vierthalb breit, auf; der letztere aber trug ausdrücklich für diese Veranlassung ein Nankinröckchen, zwischen dessen Saum und dem Rande seiner Plaid-Socken zwei ziemlich krumme Beine sichtbar wurden. Auf dem Kopfe hatte er eine hellblaue Mütze mit goldener Borte und ditto Quaste und in der Hand ein angenagtes Stück Lebkuchen, womit er sein liebes Gesichtchen etwas Weniges beschmiert hatte.

Das Boot setzte sich nun abermals in Bewegung; die Musik spielte: »das Schiff streicht durch die Wellen«, der größere Theil unterhielt sich in fröhlichen Gruppen und die älteren Herren gingen paarweise eben so beharrlich und ernst auf dem Verdeck auf und ab, als ob sie einen Wettlauf um einen namhaften Einsatz abhielten. Munter flog der Dämpfer das Wasser hinab, die Herren bezeichneten die Docks, das Themse-Polizeibureau, nebst anderen öffentlichen Gebäuden, und die jungen Frauenzimmer legten besonderen Abscheu und Verschämtheit bei dem Anblicke der Kohlenballastträger an den Tag. Herr Hardy erzählte den verheiratheten Damen Geschichten, worüber sie sehr viel in ihre Taschentücher zu kichern hatten, ihm mit ihren Fächern auf die Finger klopften und erklärten, daß er ein nichtsnütziger Mann, eine boshafte Kreatur sei – und dergleichen; und Kapitän Helves gab mit höchst blutdürstiger Miene einige schwache Schilderungen von Schlachten und Zweikämpfen zum Besten, was ihm die Bewunderung der Damen und den Neid der Männer in hohem Grade zuzog.

Nun ging der Tanz los; Kapitän Helves tanzte eine Tour mit Miß Emilie Taunton und eine zweite mit Miß Sophia Taunton. Frau Taunton schwamm in Wonne. Heute schien sie einen vollständigen Sieg davon zu tragen; aber Wehe! – – Unbeständigkeit – dein Name ist Mann! – nachdem er seine Ehrentänze gethan, schloß er sich einzig Miß Julia Briggs an, mit welcher er nicht weniger als drei Touren nacheinander tanzte und von deren Seite er sich den ganzen Tag über nicht mehr entfernen zu wollen schien.

Nachdem Herr Hardy ein paar höchst brillante Fantasien auf der Maultrommel gespielt und mehrere Male den äußerst belustigenden Scherz wiederholt hatte, mehreren Comitémitgliedern listigerweise ein großes Kreuz mit Kreide auf den Rücken zu malen, sprach Herr Percy Noakes seine Hoffnung aus, daß einige musikalische Mitglieder durch den Genuß, welchen ihre Talente verschaffen würden, sich die Gesellschaft zu verpflichten geneigt sein möchten.

»Vielleicht,« sagte er auf höchst einschmeichelnde Weise, »wird uns Kapitän Helves das Vergnügen machen.«

Frau Tauntons Gesicht hellte sich wieder auf, denn der Kapitän sang blos Duette und konnte sie mit Niemand, als einer ihrer beiden Töchter singen.

»Allerdings,« sagte der Kriegsheld, »würde es mir zum großen Vergnügen gereichen, aber – –«

»O! bitte, bitte,« riefen alle jungen Damen.

»Miß Sophia, haben Sie etwas dagegen, mit mir ein Duett zu singen?«

»O! im Geringsten nicht,« erwiederte die junge Dame, in einem Tone, der nur zu klar bewies, daß sie so viel als möglich dagegen hatte.

»Soll ich Ihnen accompagniren, meine Liebe?« fragte eine der Miß Briggs, blos in der Absicht, den Effekt zu stören.

»Sehr verbunden, Miß Briggs,« erwiederte Frau Taunton, scharf betont, denn sie durchschaute das Manöver; »meine Töchter singen stets ohne Accompagnement.«

»Und ohne Stimme,« kicherte Frau Briggs leise.

»Vielleicht,« sagte Frau Taunton, und wurde roth, wie ein Puter, denn sie errieth den Sinn der Bemerkung, obgleich sie diese nicht recht verstanden hatte; »vielleicht würde es auch für gewisse Leute gut sein, wenn ihre Stimmen nicht so laut wären, daß sie von andern Personen gehört werden könnten.«

»Und vielleicht würden gewisse Personen, wenn Herren, welche man gekapert hat, um gewisser Personen Töchtern die Cour zu machen, nicht so viel Artigkeit hätten, anderer Personen Töchtern ebenfalls Aufmerksamkeit zu erweisen,« entgegnete Frau Briggs, »nicht so geneigt sein, ihre Bosheit an den Tag zu legen, durch welche sie sich, Gott sei Dank! vor anderen Personen unterscheiden.«

»Personen!« stieß Frau Taunton aus.

»Ja, Personen, Ma'am!« erwiederte Frau Briggs.

»Unverschämt!«

»Kreatur!«

»Stille! Stille!« unterbrach sie Herr Percy Noakes, welcher einer von den Wenigen war, die das Gespräch überhört hatten. »Stille! – Bitte; Stille für das Duett.«

Nach ziemlich vielen Vorbereitungen durch Husten und Räuspern begann der Kapitän folgendes Duett aus der Oper »Paul und Virginie« in jenem grunzenden Tone, in welchem gewisse Leute, der Himmel weiß, wie tief, hinabfallen, ohne die entfernteste Aussicht, je wieder hinaufzukommen. Dieß nennt man in Privatzirkeln häufig eine Baßstimme.

»Der Oce-an – (sang der Kapitän) ver-kün-det
Hell leuchtend un-s den T-ag.
Dort vom Hai-n' her zarter Sa-ng –«

Hier wurde der Sänger durch ein jammervolles Angstgeschrei unterbrochen, das sich aus der Gegend des Radkastens am Steuerborde her hören ließ.

»Mein Kind!« kreischte Frau Fleetwood. »Mein Kind! es ist seine Stimme – ich kenne sie.«

Herr Fleetwood sprang in Begleitung von verschiedenen Herren dahin, wo das Geschrei herkam, und die ganze Gesellschaft brach in einen Schreckensruf aus. Jedermann glaubte, daß der kleine Unschuldige entweder mit dem Kopf in das Wasser oder mit den Beinen in die Maschinerie gekommen sein müsse.

»Was ist dir denn?« rief der geängstigte Vater, als er mit dem Kinde auf den Armen zurückkam.

»Oh! Oh! Oh!« schrie der kleine Dulder fortwährend.

»Was ist dir denn geschehen, liebes Kind!« fragte der Vater abermals – und streifte hastig den Nankinrock in die Höhe, um sich zu überzeugen, ob das Kind auch noch ein ganzes Bein hätte.

»Oh! Oh! – Ich bin so erschrocken.«

»Worüber denn, Lieber? worüber?« fragte die Mutter und suchte das süße Kind zu beruhigen.

»Oh! Er hat mir so fürchterliche Gesichter gemacht,« schrie der Knabe, und verfiel bei der bloßen Erinnerung wieder in Krämpfe.

»Er! – Wer?« rief Alles und drängte sich um das Kind.

»Oh! – der,« erwiederte das Kind und zeigte auf Hardy, welcher sich stellte, als sei er am meisten bekümmert.

Jetzt fiel auf einmal allen Anwesenden, mit Ausnahme der Fleetwoods und Wakefields die wahre Sachlage in die Hand. Der possenhafte Hardy hatte, um sein gegebenes Versprechen zu halten, nur darauf gewartet, bis das Kind an einem entlegenen Theile des Schiffes war, und hatte sich dann plötzlich mit den abscheulichsten Gesichtsverzerrungen vor dasselbe hingestellt und so das Kind halb zum Tode erschreckt. Er sah nun natürlich ein, daß er die gegen ihn vorgebrachte Beschuldigung läugnen müsse, und das unglückliche kleine Schlachtopfer ward demgemäß wieder auf den Boden gestellt und dafür, daß es seine Eltern so in Angst versetzt und ihnen ein Mährchen aufgebunden hatte, mit unterschiedlichen Püffen regalirt.

Nachdem diese kleine Störung vorüber war, begann der Kapitän abermals seinen Gesang, und Miß Emilie fiel gebührend ein. Das Duett wurde laut applaudirt, wenigstens verdiente die große Selbstständigkeit, mit welcher Jedes seine Stimme durchgeführt hatte, allerdings großen Beifall. Miß Emilie sang ihre Partie, ohne auf den Kapitän auch nur die geringste Rücksicht zu nehmen, und der Kapitän brüllte so barbarisch, daß er nicht die entfernteste Idee von dem haben konnte, was seine Mitsängerin that. Nachdem er nun noch die letzten wenigen Noten, etwa achtzehn oder neunzehn, auf eigene Rechnung durchgemacht, dankte er dem Zuhörerkreise für den Applaus mit derjenigen Art von Bescheidenheit, die gewisse Leute stets an den Tag legen, wenn sie glauben, Etwas gethan zu haben, was ihre Umgebung in Erstaunen gesetzt hätte, ob sie gleich nicht genau wissen, was.

Herr Percy Noakes, welcher so eben aus der Vordercajüte heraufgestiegen kam, wo er sich etwas mit Weinabziehen beschäftigt hatte, meinte nun: »es wäre eben sehr schön, wenn die Miß Briggs noch vor dem Diner etwas von ihrer Kunst zum Besten zu geben die Gefälligkeit haben wollten.«

Es erfolgte ein Beifallsgesumm, wie man es so häufig in Gesellschaften hört, wenn auch kein Mensch nur entfernt weiß, zu was er seine Zustimmung geben soll.

Die drei Miß Briggs blickten bescheiden auf ihre Mamma, die Mamma beistimmend auf ihre Töchter und Frau Taunton verächtlich auf sie Alle. Die Miß Briggs baten nun um ihre Guitarren, und mehrere Herren richteten im Diensteifer erklecklichen Schaden an den Kästen an. Dann war es in der That interessant, mit anzusehen, wie die drei kleinen Schlüssel zu vorbesagten Kästen producirt wurden und sich ein melodramatischer Schreckensruf hören ließ, als man eine Saite gesprungen fand; nun ging's an ein Schrauben und Ziehen und Winden und Stimmen, während dessen Frau Briggs den ihr nahe Stehenden die ungeheuern Schwierigkeiten, mit denen das Guitarrespiel verknüpft sei, auseinandersetzte und dabei auf die wundervolle Geschicklichkeit ihrer Töchter in dieser geheimnißvollen Kunst hindeutete. Frau Taunton flüsterte einem Nachbar zu, daß es einem dabei »übel werden« möchte, und die Miß Taunton's gaben sich das Ansehen, als ob sie auch Guitarre spielen könnten, es ihnen aber zu gering wäre.

Endlich begannen die Miß Briggs in vollem Ernste. Es war eine neue spanische Komposition für drei Singstimmen und drei Guitarren. Der Effekt war völlig elektrisch. Aller Augen waren auf den Kapitän gerichtet, von welchem man gehört hatte, daß er einst mit seinem Regiment durch Spanien marschirt sei und deßhalb natürlich mit dem Nationalgesang bekannt sein mußte. Er war ganz bezaubert. Dieß genügte; das Trio mußte wiederholt werden – der Beifall war allgemein und noch nie hatten die Taunton's eine so vollständige Niederlage erlitten.

»Bravo! Bravo!« rief der Kapitän. »Bravo!«

»Prachtvoll. Nicht war, Sir?« fragte Herr Samuel Briggs mit der selbstzufriedenen Miene eines Menageriedirektors.

Dieß waren so ungefähr die ersten Worte, welche man von ihm gehört, seit er gestern Abend Boswell-Court verlassen hatte.

»Vor-trefflich!« erwiederte der Kapitän, mit einem Schnörkel in der Stimme und einem militärischen Husten; – »vor-trefflich!«

»Ein sanftes, angenehmes Instrument!« sagte ein alter kahlköpfiger Herr, welcher sich den ganzen Morgen angestrengt hatte, durch ein Perspectiv zu sehen, in welchem Herr Hardy ein Glas mit einer schwarzen Oblate verklebt hatte.

»Haben Sie je ein portugiesisches Tambourin gehört?« fragte ihn der Possenreißer.

»Haben aber Sie jemals ein Tom-Tom gehört, Sir?« fragte in ernstem Tone der Kapitän, welcher keine Gelegenheit vorbeigehen ließ, mit seinen Reisen, es mochten nun wirkliche oder blos vorgebliche sein, zu renommiren.

»Wa-was für ein?« fragte Hardy, einige Schritte zurückprallend.

»Ein Tom-Tom.«

»Nein.«

»Auch kein Gum-Gum?«

»In meinem Leben nicht.«

»Was ist denn das, ein Gum-Gum?« fragten mehrere junge Damen begierig.

»Als ich in Ostindien war,« erwiederte der Kapitän – eine neue Entdeckung – er war in Ostindien gewesen – »als ich in Ostindien war, reiste ich mehrere tausend Meilen in's Land hinein und war dort bei einem meiner besten Freunde zum Besuche, nämlich bei dem Ram Chowdar Doß Azuph Al Bowlar – einem verteufelt guten Burschen. Wie wir nun eines Abends, unsere Hukahs rauchend, in der kühlen Verandah vor der Villa so beisammen sitzen, werden wir plötzlich nicht wenig durch das unerwartete Erscheinen von vierundvierzig seiner Kit-Magars (deren er eine sehr große Zahl hatte) in Staunen gesetzt, welche, von einer gleichen Anzahl Consumars begleitet, sich dem Hause in drohender Stellung nahten und ein Tom-Tom schlugen. Der Ram sprang auf –«

»Der wer?« fragte der kahle Herr, welcher sich außerordentlich für die Erzählung interessirte.

»Der Ram-Ram Chowdar –«

»So?« sagte der alte Herr. »Ich bitte um Entschuldigung; so, so, es fiel mir nicht gleich bei; bitte, fahren Sie fort.«

»– sprang auf, und zog eine Pistole! – ›Helves‹, sagte er, ›mein Junge‹ – er nannte mich immer nur mein Junge – ›Helves‹, sagte er, ›hören Sie das Tom-Tom‹? – ›Ich höre es‹, erwiderte ich. Sein zuvor blasses Antlitz bot nun den grauenhaftesten Anblick dar; sein Gesicht war fürchterlich verzerrt und er zitterte heftig am ganzen Leibe. – ›Sehen Sie das Gum-Gum‹? sagte er. ›Nein‹, antwortete ich, und sah mich überall ängstlich um. ›Sie sehen es nicht‹? fragte er. ›Nein, ich will verdammt sein, wenn ich es sehe‹, entgegnete ich; ›und zudem weiß ich ja nicht einmal was ein Gum-Gum ist‹. Ich glaubte in der That, der Mann würde zu Boden sinken. Er nahm mich bei Seite und sagte, mit dem Ausdrucke einer Angst, die ich in meinem Leben nicht vergessen werde, in leisem Flüstern zu mir – –«

»Das Mittagessen ist servirt, meine Damen,« unterbrach ihn hier des Stewards Frau.

»Wollen Sie mir wohl erlauben,« sagte der Kapitän, ließ unverzüglich die That dem Worte folgen und führte Miß Julia Briggs so ruhig nach der Cajüte, als ob die ganze Erzählung aus wäre.

»Welch' außerordentlicher Fall!« rief jener alte Herr aus, und blieb immer noch in seiner aufhorchenden Stellung.

»Was der für Reisen gemacht haben muß,« sagten die jungen Damen.

»Was das für ein sonderbarer Mann ist,« sagten die Herren, eigentlich ganz verwirrt über die Kühlheit der ganzen Geschichte.

»Ich hätte wohl wünschen mögen, daß er die Erzählung vollendet hätte,« bemerkte eine alte Dame. »Ich möchte doch wissen, was ein Gum-Gum eigentlich ist?«

»Beim Jupiter!« sagte Hardy, der bisher ganz in Staunen versunken gewesen war, »ich weiß zwar nicht, was es in Indien wohl sein mag, aber in England, glaube ich, hat ein Gum-Gum ungefähr dieselbe Bedeutung wie Windbeutel.«

»Wie abscheulich! wie neidisch!« riefen alle Damen, als sie, vollständig von dem Glauben an des Kapitäns erstaunliche Abenteuer eingenommen, nach der Cajüte gingen.

Helves blieb der Löwe des ganzen übrigen Tages – Unverschämtheit in Verbindung mit dem Wunderbaren sind zu jeder Gesellschaft der sicherste Freipaß.

Die Partie war unterdessen an dem Ziele ihrer Fahrt angelangt und man wendete nun das Boot zur Rückkehr. Der Wind, der den ganzen Tag über günstig gewesen, war ihnen nun geradezu entgegen; das Firmament hatte sich mehr und mehr umzogen, und Himmel, Wasser und Land nahmen ganz und gar die traurige, kranke Bleifarbe an, womit die Häusermaler zuerst die Thüren zu grundiren pflegen, bis diese endlich nach und nach eine gesundere Farbe bekommen. Es hatte bereits seit einer halben Stunde angefangen zu tröpfeln; jetzt begann es in allem Ernste herunterzumachen. Der Wind, welcher bisher nur etwas frisch gewesen war, wurde heftiger, und der Schiffer, welcher am Rade des Steuerruders stand, war der bestimmten Meinung, daß in Kurzem starke Windstöße zu erwarten seien; die Wirkung, welche sie bis jetzt schon auf das Schiff geäußert hatten, machte es gar nicht unwahrscheinlich, daß die Bewegung desselben sich unter dem Einflusse des wachsenden Sturmes auf eine höchst unangenehme Weise vermehren würde; alle Planken begannen zu krachen, als ob das Boot ein überladener Kleiderkorb wäre.

Die Seekrankheit ist wie die Gespensterfurcht, – Jedermann bangt davor, aber die Wenigsten gestehen es. Der größere Theil der Gesellschaft gab sich daher Mühe, auszusehen, als ob sie sich besonders wohl befänden, obgleich sich Alles bereits höchst miserabel fühlte.

»Regnet es nicht?« fragte der alte, vorerwähnte Herr, als Alle gewaltsam eingepreßt und eingekeilt an der Tafel saßen.

»Ich glaube so – ein wenig,« erwiederte Herr Percy Noakes, der von dem Geprassel der Regentropfen auf dem Deck kaum sein eigenes Wort hören konnte.

»Geht ein starker Wind?« fragte ein zweiter.

»Nein – ich glaube nicht,« antwortete Hardy, der alles Ernstes wünschte, daß er sich selbst davon überreden könnte, denn er saß nahe an der Thüre und wurde fast von seinem Sitze weggeblasen.

»Es wird sich bald wieder aufhellen,« sagte Herr Percy Noakes munter.

»O gewiß!« rief das ganze Comitée einstimmig nach.

»Kein Zweifel daran,« sagten die Uebrigen, deren Aufmerksamkeit nun so viel als möglich dem wichtigen Geschäfte des Essens, Tranchirens, Trinkens und dergleichen zugewendet war.

Die pochende Bewegung der Maschine war nur zu vernehmlich. Eine gewaltige kalte Hammelskeule am Ende der Tafel wurde wie Gelee auf der Platte herumgebeutelt, ein großer Lendenbraten sah aus, als ob er plötzlich von Gichtern befallen worden wäre, einige Zungen, die auf Platten lagen, welche eigentlich etwas zu groß für sie waren, machten die erstaunlichsten Evolutionen und hüpften hinüber und herüber von einem Ende zu dem andern, gleich einer Fliege in einem umgestürzten Weinglase. Endlich die Süßigkeiten, – diese zitterten und bebten und fuhren herum, daß es ganz unmöglich war, ihnen beizuspringen, und die Leute gaben auch in ihrer Verzweiflung alle Versuche auf; und die Taubenpasteten sahen aus, als ob die Vögel ihre Beine, welche herausstachen, wieder einzuziehen versuchten. Die Tafel schwankte und bäumte sich gleich einem fieberischen Pulse, die Füße sogar hatten leichte Convulsionen, Alles war in fortwährendem Rütteln und Schütteln und Knarren. Das Gebälke am Dache der Cajüte schien blos deßhalb da zu sein, um den Leuten Ohrfeigen zu geben, und mehrere ältliche Gentlemen wurden darüber sehr übellaunig.

So oft der Steward die Feuereisen aufhob, fielen sie auch sogleich wieder hin, und je mehr sich die Damen und Herren Mühe gaben, es sich auf ihren Sitzen bequem zu machen, desto mehr schienen die Sitze unter ihnen wegzuschlüpfen. Verschiedene ominöse Bitten um ein Gläschen Branntwein hörte man nun vorbringen, und das Befinden der Gesellschaft erlitt nach und nach höchst auffallende Veränderungen; man bemerkte sogar einen Herrn, welcher schleunig von der Tafel aufsprang, ohne daß man die Ursache davon einsehen konnte; – mit unglaublicher Schnelligkeit schoß er die Treppe hinauf und beschädigte dabei sich und den Steward, der zur selbigen Zeit herab kam, nicht wenig.

Das Tischtuch wurde abgenommen, das Desert aufgetragen und die Gläser gefüllt. Das Schwanken des Bootes wurde immer heftiger; mehreren Mitgliedern der Gesellschaft wurde es so öde und flau und sie sahen so trübselig und verstört aus, als ob sie eben erst aus dem Bette kämen. Der junge Herr mit der Brille, welcher seit einiger Zeit alle Augenblicke die Farbe gewechselt hatte, – bald blaß, bald roth geworden war, und dem schwankenden Lichte an der Seeküste glich – sprach plötzlich den Wunsch aus, eine Gesundheit auszubringen. Nach verschiedenen fruchtlosen Versuchen, das Gleichgewicht zu erhalten, brachte er es endlich so weit, sich an dem mittleren Tischfuße mit der linken Hand anzuklammern und fuhr nun folgendermaßen fort:

»Meine Damen und Herren! Es befindet sich ein Gentleman unter uns – ich möchte sagen ein Fremder« – hier schien ein quälender Gedanke den Redner zu ergreifen; er hielt einen Augenblick inne und sah ganz kurios aus – »dessen Talente, dessen Reisen, dessen Liebenswürdigkeit –«

»Entschuldigen Sie, Edkins,« unterbrach ihn hastig Herr Percy Noakes. – »Hardy, – was ist Ihnen?«

»Gar nichts,« erwiederte der possierliche Herr, der gerade noch Besinnung genug hatte, zwei Sylben hervorzustottern.

»Wollen Sie ein wenig Rum?«

»Nein,« erwiederte Hardy unwillig und sah etwa ebenso behaglich aus, als Temple-Bar in einem schottischen NebelSo viel als tüchtiges Regenwetter.; »was soll ich mit Rum thun?«

»Wollen Sie nicht auf's Deck gehen?«

»Nein!«

Dieß sagte er mit der Miene großer Entschlossenheit und mit einer Stimme, welche man leicht für die Nachahmung von irgend etwas Anderem halten konnte; sie war nämlich der eines Ferkels ebenso ähnlich als der eines Fagottes.

»Entschuldigen Sie, Edkins,« sagte der höfliche Percy; »ich glaubte, unserem Freunde wäre übel. Bitte, fahren Sie fort.«

Eine Pause.

»Bitte, machen Sie fort.«

»Herr Edkins hat sich bereits selbst fortgemacht,« rief Jemand.

»Entschuldigen Sie, Sir,« sagte der Steward und sprang zu Herrn Percy Noakes heran, »entschuldigen Sie, Sir; der Herr, welcher so eben auf das Deck kam, der mit der grünen Brille, ist sehr unwohl, glauben Sie mir; – und der junge Mann, der die Violine spielte, sagt, ob er gleich einigen Branntwein zu sich genommen, könne er nicht für die Folgen stehen. Er sagt, er habe eine Frau und zwei Kinder, deren ganze Existenz davon abhinge, wenn ihm ein Blutgefäß springe, und er müsse jeden Augenblick erwarten, daß es geschehe. Das Flageolet ist ebenfalls sehr übel geworden, befindet sich nun aber etwas besser, nur hat es noch eine schreckliche Transpiration.«

Alle Verstellung war jetzt nutzlos; die Gesellschaft taumelte auf dem Deck herum, die Herren sahen nach den Wolken, aber sonst nichts, und die Damen hüllten sich in ihre mitgebrachten Shawls und Mäntel, welche auf und unter den Sitzen im erbärmlichsten Zustande herumlagen.

Nie hatte man noch bei irgend einer Lustpartie so ein Blasen, Regnen, Schütteln und Stoßen ausgestanden. Es ließen sich verschiedene Klagen über Master Fleetwood hören, allein sie blieben bei der eigenen Unpäßlichkeit seiner natürlichen Beschützer völlig unbeachtet. Das interessante Kind schrie aus Leibeskräften, bis ihm endlich der Athem ausging, dann begann Miß Wakefield und schrie den übrigen Theil der Fahrt über an Einem fort.

Den possierlichen Herrn Hardy bemerkte man einige Stunden später in einer Stellung, welche seine Freunde auf die Vermuthung brachte, daß er eifrig damit beschäftigt wäre, die Schönheiten der Tiefe zu betrachten; nur fiel ihnen auf, daß sein Sinn für das Malerische ihn verleiten konnte, so lange in einer Lage zu verweilen, welche zu allen Zeiten höchst gefährlich ist, besonders aber für eine Person, die häufig mit Anfällen von starkem Blutandrange gegen den Kopf geplagt war.

Die Partie langte endlich etwa um zwei Uhr am Donnerstag Morgens – total kaput und abgeschlagen – wieder bei dem Zollhause an. Die Taunton's waren zu sehr deprimirt, um mit den Briggs' zu zanken, und den Briggs' war es zu miserabel, um die Taunton's zu ärgern. Einer von den Guitarrekästen ging auf dem Wege nach der Miethkutsche verloren, und Frau Briggs nahm keinen Anstand, die Taunton's zu beschuldigen, daß sie einen Träger bestochen hätten, ihn wegzuwerfen.

Herr Alexander Briggs sträubt sich seither stets dagegen, durch Ballotage abzustimmen, weil er aus persönlicher Erfahrung deren Nutzlosigkeit kennt, und wenn Herr Samuel Briggs um seine Meinung darüber befragt wird, so sagt er, er habe gar keine Meinung, weder über diesen Gegenstand noch über einen andern.

Herr Edkins – der junge Herr mit der grünen Brille – hält bei jeder Gelegenheit, wo es irgend thunlich ist, eine Rede, deren Eloquenz blos mit ihrer Länge einen Vergleich aushält. Im Falle, daß er nicht vorher noch zu einer Richterstelle gelangen sollte, wird er wohl als Sachwalter bei dem neuen Central-Criminal-Gerichtshofe prakticiren.

Kapitän Helves fuhr fort, Miß Julia Briggs die Cour zu machen, und hätte sie wohl auch geheirathet, wenn nicht der schlimme Fall eingetreten wäre, daß ihn Herr Samuel Amtshalber in Folge von Instruktionen, welche er von den Herren Scroggins und Payne erhielt, hätte festnehmen müssen. Der Kapitän hatte sich nämlich herabgelassen, die Forderungen dieses Hauses in der Stadt einzutreiben, war aber, wie dieses bei Militärs zuweilen vorkommt, nicht mit der nöthigen Accuratesse versehen, um Rechnung ablegen zu können, wie man sie in dem einfältigen Geschäftsschlendrian für nothwendig hält.

Frau Taunton beklagt nur, daß sie sich von ihm habe anführen lassen. Er hatte die Bekanntschaft dieser Familie an Bord eines Gravesend-Dampfschiffes gemacht, und deßhalb mußte man ihn doch für eine achtungswerthe Person halten.

Herr Percy Noakes ist noch eben so leichtsinnig und sorglos, wie zuvor. Wir haben ihn als einen Hauptliebling in seinen Privatzirkeln geschildert und wollen hoffen, daß er auch einen oder ein Paar gütig gesinnte Freunde im Publikum finden werde.



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