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Vierundvierzigstes Kapitel.

Als sich der Haufen verlief und, in einzelne Gruppen vertheilt, nach verschiedenen Richtungen abzog, blieb auf dem Schauplatze des eben stattgehabten Tumults nur ein einziger Mann zurück. Dieser Mann war Gashford, der, durch seinen Fall zerquetscht und weit tiefer durch die erlittene öffentliche Brandmarkung verletzt, unter Verwünschungen und Racheandrohungen auf- und abhinkte.

Es lag nicht in der Natur des Secretärs, seinen Grimm blos in Worten zu erschöpfen; denn während er den Geifer seiner Bosheit in diesen Ergüssen ausströmen ließ, behielt er unablässig ein paar Menschen im Auge, die auf die erschreckende Kunde von dem ausgerückten Militär mit den übrigen verschwunden, dann aber wieder zurückgekehrt und nunmehr im Mondlicht sichtbar waren, wie sie in nicht großer Entfernung auf und ab gingen und mit einander plauderten.

Er trat ihnen nicht näher, sondern wartete geduldig auf der dunkeln Seite der Straße, bis sie ihres Herumlungerns müde waren und sich entfernten. Dann folgte er ihnen von ferne, ohne sich jedoch diesen Anschein zu geben, oder von ihnen gesehen zu werden.

Sie gingen die Parlamentsstraße hinauf, an der Saint Martins-Kirche vorbei, und über Saint Giles nach Tottenham Court-Road, auf dessen Westseite damals ein Platz lag, den man die Green Lanes nannte – ein abgelegener Strich von nicht sehr gewählter Art, der in freies Feld führte. Große Aschenhaufen, stehende Sümpfe, von hohem Schilf und Wasserlinsen überwachsen, zerbrochene Schlagbäume und die noch stehenden Pfosten von längst als Brennholz verbrauchten Verzäunungen, die mit ihren vorspringenden, rostigen Nägeln jeden unachtsamen Spaziergänger in Gefahr brachten – dieß waren die Hauptzüge der Landschaft: während hin und wieder ein Esel oder ein rauhhaariges Pferd, an einen Pfahl gebunden, von dem rauhen und dürftigen Rasen das kurze Gras abweidete und die Scene vervollständigen half. Schon hieraus konnte man, wenn es auch nicht die Häuser genügend dargethan hätten, entnehmen, wie gar arm die Leute seyn mußten, die in den gebrechlichen umliegenden Hütten wohnten, und wie tollkühn es für einen anständig gekleideten Mann, der Geld bei sich trug, gewesen wäre, anders als bei hellem Tage allein diese Gegend zu besuchen.

Indeß hat auch die Armuth so gut als der Reichthum ihre Grillen und Liebhabereien. Einige von diesen Hütten waren mit Erkern versehen, bei andern die morschen Wände mit falschen Fenstern bemalt; Eine hatte eine nachgemachte Uhr an einem gebrechlichen, vier Fuß hohen Thurme, der eigentlich den Schornstein bildete, und Jede hatte auf seinem kleinen Vorgrund ein roh gearbeitetes Kanapee oder eine Laube. Die Bewohner derselben handelten mit Knochen, Lumpen, zerbrochenem Glas, alten Rädern, Vögeln und Hunden. Die unterschiedlichen Aufbewahrungsorte der Letztern füllten die Gärten an, entsandten gerade nicht die einladendsten Wohlgerüche in die Luft und erfüllten dieselbe mit dem Bellen, Kläffen und Heulen ihrer Insassen.

Nach diesem abgelegenen Orte folgte der Secretär den Beiden, die er nicht aus dem Auge gelassen hatte, und sah, wie sie sich wohlbehalten in einer der schlechtesten Hütten, die nur eine einzige und dazu noch sehr kleine Stube enthielt, einquartirten. Er wartete außen, bis sie ihre Stimmen zu einem mißtönigen Gesange vereinigten und ihm so die Ueberzeugung gaben, daß sie sich lustig machten; dann näherte er sich vermittelst einer wackeligen Planke, die über den vornliegenden Graben führte, der Thüre und klopfte mit der Hand an.

»Herr Gashford?« sagte der Mann, welcher öffnete, indem er in augenscheinlicher Ueberraschung die Pfeife aus seinem Munde nahm. »Ei, wer hätte sich auch einer solchen Ehre hier versehen? Herein spaziert, Herr Gashford – nur herein spaziert, Sir.«

Gashford bedurfte keiner zweiten Einladung und trat mit gnädiger Miene herein. Auf dem rostigen Kaminroste brannte ein Feuer (denn trotz des ziemlich weit vorgerückten Frühjahrs waren doch die Nächte noch kalt) und neben demselben saß Hugh, der eine Pfeife rauchte, auf einem Schemel. Dennis rückte einen Stuhl, den einzigen, der zu haben war, für den Secretär vor das Kamin und nahm wieder auf dem Schemel Platz, den er nur verlassen hatte, um dem Gaste zu öffnen.

»Was ist jetzt im Winde, Herr Gashford,« fragte er, wieder zu seiner Pfeife greifend und ihn von der Seite ansehend. »Gibt's Ordre aus dem Hauptquartier? Sollen wir anfangen? Wie steht's, Herr Gashford?«

»O, nichts, nichts,« versetzte der Secretär mit einem freundlichen Kopfnicken gegen Hugh. »Uebrigens ist das Eis schon einmal gebrochen. Wir haben heute einen kleinen Spaß gehabt, he, Dennis?«

»Einen gar kleinen,« brummte der Henker, »Nicht halb genug für mich.«

»Und eben so wenig für mich!« rief Hugh. »Gebt uns Etwas, wo Leben darin ist – wo Leben darin ist, Meister. Ha, ha.«

»Je nun, ich denke wohl,« sagte der Secretär mit seinem häßlichsten Gesichte und in den mildesten Tönen, »daß Ihr mit nichts zu schaffen haben möchtet, wo – wo Tod darin ist?«

»Ich wüßte nicht,« versetzte Hugh. »Ich harre nur auf Ordre und kümmere mich nicht darum, was es ist. Ich gewiß nicht.«

»Und ich auch nicht,« stimmte Dennis ein.

»Brave Burschen!« sagte der Secretär mit der Stimme eines Pastors, wenn er Jemanden wegen irgend einer ungewöhnlichen Großthat oder um einer edlen Handlung willen belobt. »Apropos« – und hier hielt er inne, um seine Hände zu wärmen; dann sah er plötzlich auf – »wer hat heute den Stein geworfen?«

Herr Dennis hustete und schüttelte den Kopf, als wollte er sagen: »das ist ein Geheimniß.« Hugh rauchte schweigend fort.

»Es war nicht übel!« sagte der Secretär, seine Hände wieder an's Feuer haltend. »Ich möchte den Mann wohl kennen.«

»Möchtet Ihr!« versetzte Dennis, nachdem er ihm in's Gesicht gesehen, um sich zu überzeugen, ob es ihm auch Ernst sey. »Möchtet Ihr wirklich den Mann kennen, Herr Gashford?«

»Zuverläßig,« entgegnete der Secretär.

»Nun denn, der Herr sey mit Euch,« sagte der Henker mit seinem heisersten Kichern, indem er mit seiner Pfeife auf Hugh deutete, »da sitzt er. Dieß ist der Mann. Potz Stern und Galgen. Herr Gashford,« fügte er flüsternd bei, indem er seinen Schemel dicht an den Secretär hinan rückte und ihn mit dem Ellenbogen anstieß. »Was das für ein interessanter Kumpan ist! Man muß ihn halten, als wäre er von ächter Bullenbeißerzucht. Wenn ich heute nicht gewesen wäre, so hätte er jenen Katholiken zu Boden geschlagen und in der nächsten Minute einen Tumult zu Wege gebracht.«

»Und warum nicht?« rief Hugh verdrießlich, da er diese letzte Bemerkung gehört hatte. »Was soll Gutes dabei herauskommen, wenn man eine Sache hinausschiebt? Man muß zuschlagen, so lange das Eisen warm ist; das ist meine Meinung.«

»Ah!« entgegnete Dennis, in einer Art von Mitleid über seines Freundes jugendliche Einfalt den Kopf schüttelnd; »aber gesetzt, das Eisen wäre noch nicht heiß, Bruder? Vor dem Zuschlagen muß man das Blut des Volkes in Gährung bringen – es muß aufgelegt seyn. Heute war's noch nicht ganz so weit, um sie aufreizen zu können, sage ich Euch. Hätte man Euch heute wollen gewähren lassen, so würdet Ihr den künftigen Spaß verdorben und uns zu Grunde gerichtet haben.«

»Dennis hat ganz Recht,« sagte Gashford geschmeidig – »hat vollkommen richtig geurtheilt. Dennis besitzt große Weltkenntniß.«

»Das sollte ich doch meinen, Herr Gashford. Für was hätte ich denn sonst so Vielen aus der Welt geholfen, he?« flüsterte der grinsende Henker hinter der vorgehaltenen Hand.

Der Secretär lachte über diesen Scherz, wie es Dennis nur wünschen konnte; dann wandte er sich mit den Worten an Hugh:

»Ihr müßt bemerkt haben, daß Dennis' Politik ganz die meinige war. Ihr saht zum Beispiel, daß ich niederfiel, als mir zugesetzt wurde. Ich versuchte keinen Widerstand, weil ich keinen Ausbruch herbeiführen wollte. O mein Gott, nein!«

»Nein, bei Lord Harry!« rief Dennis mit polterndem Lachen. »Ihr ließt Euch ganz ruhig nieder, Herr Gashford – und obendrein hübsch auf den Bauch. Ich dachte bei mir selbst: ›'s ist Alles vorbei mit Herrn Gashford!‹ Bis auf den heutigen Tag habe ich nie Jemand so hübsch auf dem Bauche liegen sehen – ich meine nämlich einen Lebendigen. Gewiß und wahrhaftig. 's ist ein rauhhäriger Kamerad, dieser Papist, mit dem sich's nicht gut spaßen läßt.«

Des Secretärs Gesicht, als Dennis wieder in ein Gelächter ausbrach und die zusammengekniffenen Augen auf Hugh heftete, der seinem Beispiele folgte, hätte eine hübsche Statue zu dem Bilde eines Teufels abgeben können. Er blieb ruhig sitzen, bis sie wieder ernst wurden, und sagte dann, sich in der Stube umsehend:

»Wir haben's hier sehr traulich – so gar traulich. Dennis, daß ich wohl hier bleiben möchte, bis es kaum räthlich wäre, heimzugehen, wenn mich nicht Mylord ausdrücklich ersucht hätte, mit ihm zu Nacht zu speisen, und dazu ist es bald Zeit. Ich komme wegen eines kleines Geschäftchens – ja, so ist es – wie Ihr vermuthet habt. Es ist sehr schmeichelhaft für Euch und handelt davon – wenn wir nämlich je genöthigt seyn sollten – und Ihr wißt ja, wer kann so Etwas sagen – es ist eine gar unsichere Welt –«

»Das will ich meinen, Herr Gashford,« fiel ihm der Henker mit einem gravitätischen Kopfnicken in's Wort. »Was hab' nur ich für Unsicherheiten in Bezug auf das Daseyn in der Welt erleben müssen, und was sind nicht schon für unerwartete Dinge eingetroffen! – Ah du mein Himmel!«

Und im Gefühle, daß der Gegenstand zu weit über allen Ausdruck erhaben sey, dampfte er weiter und drückte das Uebrige durch Blicke aus.

»Ich sage,« nahm der Secretär langsam und nachdrücklich wieder auf, »wir können nicht wissen, was noch kommen mag; und wenn wir – gegen unsern Willen – zu gewaltsamen Maßregeln unsere Zuflucht nehmen müßten, so gedenkt Mylord, der, so weit es durch Worte geschehen kann, heute schrecklich gelitten hat. Euch Beiden in Anbetracht meiner Empfehlung – denn ich habe Euch als zuverlässige Männer, die über allen Verdacht und Argwohn erhaben sind, geschildert – das angenehme Geschäft zu übertragen, diesen Haredale zu züchtigen. Ihr mögt mit ihm oder mit seinem Eigenthum nach Gutdünken verfahren – nur keine Schonung gezeigt, kein Pardon gegeben und keine zwei Balken von seinem Hause gelassen, wie sie der Zimmermann zusammengefügt hat. Ihr könnt es ausplündern, verbrennen, ganz nach Willkür damit verfahren; aber nieder muß es – ganz dem Erdboden gleich gemacht werden, damit er und alle die Seinigen obdachlos seyen, wie neugeborene Kinder, die von ihren Müttern ausgesetzt wurden. Versteht Ihr mich?« sagte Gashford, inne haltend und seine Hände an einander drückend.

»Ob wir Euch verstehen, Herr?« rief Hugh. »Ihr sprecht doch jetzt deutlich. Nun, 's kommt doch jetzt einmal zu was Herzhaftem!«

»Ich wußte, daß Ihr gern darauf eingehen würdet,« sagte Gashford, ihm die Hand drückend; »ich dachte mir's wohl. Gute Nacht. Ihr braucht nicht aufzustehen, Dennis, denn ich finde den Weg wohl allein. Vielleicht komme ich sonst noch hierher und dann ist's mir lieb, wenn ich kommen und gehen kann, ohne Euch zu stören. Ich will mich auf dem Weg schon ausfinden. Gute Nacht!«

Er war fort und hatte die Thüre hinter sich zugedrückt. Die Beiden sahen sich gegenseitig mit beifälligem Kopfnicken an. Dennis schürte das Feuer.

»Das sieht doch einmal Etwas gleich!« sagte er.

»Allerdings!« rief Hugh; »die Sache ist ganz nach meinem Sinne.

»Ich habe mir über Herrn Gashford sagen lassen,« sprach der Henker gedankenvoll,« daß er ein merkwürdiges Gedächtniß und eine wunderbare Beharrlichkeit besitzt – daß er nie Etwas vergessen und nie Etwas vergeben hat. – Laßt uns seine Gesundheit trinken!«

Hugh willfahrte ohne Anstand. Bei diesem Toaste goß er nichts auf den Boden, denn der Secretär war ein Mann ganz nach ihrem Herzen, weßhalb seine Gesundheit mit einem vollen Glase ausgebracht wurde.



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