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Achtunddreißigstes Kapitel.

Der Sekretär legte die Hand vor seine Augen, um sie gegen das Licht der Lampe zu schützen, und schaute Hugh einige Augenblicke mit gerunzelter Stirne an, als erinnerte er sich, ihn kürzlich gesehen zu haben, ohne daß es ihm übrigens beifiel, wo oder bei welcher Gelegenheit. Diese Ungewißheit war jedoch nur von kurzer Dauer, denn noch ehe Hugh ein Wort gesprochen hatte, klärte sich Gashford's Gesicht auf, und er sagte:

»Ja, ja, ich entsinne mich. Es ist ganz recht, John; Ihr braucht nicht zu warten. Ihr könnt bleiben. Dennis.«

»Gehorsamer Diener, Herr,« sagte Hugh, als Grueby verschwunden war.

»Euer Freund,« entgegnete der Secretär in seiner glattesten Weise. »Was bringt Euch hieher? Wir haben doch hoffentlich nichts zurückgelassen?«

Hugh ließ ein kurzes Gelächter erschallen, steckte die Hand in seine Brusttasche und brachte einen der Zettel zum Vorschein, der, weil er die ganze Nacht auf der Straße gelegen, ganz beschmutzt war. Nachdem er denselben mit seiner schweren Hand auf dem Knie geglättet hatte, legte er ihn auf das Pult des Secretärs.

»Weiter nichts, als dieß. Herr. Ihr seht, es fiel in gute Hände.«

»Was soll das?« fragte Gashford, den Fetzen mit der Miene eines vollkommen natürlichen Erstaunens umwendend. »Wo habt Ihr das Papier her, mein guter Bursche? Was soll es bedeuten? Ich verstehe nichts von alle dem.«

Ein wenig verblüfft durch diese Aufnahme schaute Hugh von dem Secretär auf Dennis, welcher aufgestanden und gleichfalls an den Tisch getreten war, von wo aus er, scheinbar sehr zufrieden über dessen Benehmen und Außenseite, den Fremden verstohlen betrachtete. In dem Benehmen des Secretärs eine stumme Appellation an ihm selbst erkennend, schüttelte Herr Dennis dreimal den Kopf, als wollte er sagen: »Nein. Er weiß nicht das Geringste davon. Ich kann's bezeugen und will einen Eid darauf ablegen.« Dann verbarg er sein Profil gegen Hugh mit einem langen Zipfel seines müßigen Halstuches und nickte, hinter diesem Schirm hervorkichernd, dem Verfahren des Secretärs seinen vollsten Beifall zu.

»Es steht darauf, wer es finde, solle hieher kommen, oder nicht?« fragte Hugh. »Ich selber kann nicht lesen, aber ich zeigte es einem Freunde, und der sagte mir so.«

»Das steht allerdings darauf,« sagte Gashford, die Augen weit öffnend; »und es ist in der That der merkwürdigste Umstand, der mir je vorgekommen. Wie ist dieses Papier in Eure Hände gelangt, mein guter Freund?«

»Herr Gashford,« schnaubte der Henker leise, »ein Bursche gegen ganz Newgate!«

Ob Hugh ihn hörte, ob er aus diesem Benehmen schloß, daß man sich über ihn lustig mache, oder ob er bemerkte, worauf der Secretär abzielte – genug, er platzte mit einemmale in seiner derben Weise heraus.

»Nun,« sagte er, indem er die Hand ausstreckte und den Wisch wieder an sich nahm, »was liegt an dem Zettel oder an dem, was darin sieht. Ihr wißt nichts davon, Herr – ich auch nicht und der da auch nicht. (Er blickte dabei auf Dennis.) Keiner von uns weiß, was er bedeutet und wo er herkömmt; somit wäre das abgemacht. Nun möchte ich aber auch gegen die Katholiken mitthun; ich bin ein Kein-Pabstthum-Mann und bereit, mich einzuschwören. Deßhalb bin ich hergekommen.«

»Setzt ihn auf die Liste, Herr Gashford,« sagte Dennis beifällig. »So muß man die Sache traktiren – gleich mit einemmale auf's Ziel los, und kein Gesalbader.«

»Was könnt' es nützen, weit ab vom Ziele zu schießen, alter Knabe, he?« rief Hugh.

»Ganz meine Ansicht!« versetzte der Henker. »Das ist der rechte Bursche für meine Abtheilung, Herr Gashford. Hinein mit ihm, Sir – hinein mit ihm in die Liste. Ich möcht' ihm zu Gevatter stehen, wenn er in einem Freudenfeuer, angezündet aus den Trümmern von England, getauft wird.«

Mit diesen und anderen vertraulichen Ausdrücken von gleich schmeichelhafter Art klopfte ihn Dennis kräftig auf den Rücken – eine Begrüßung, die zu erwiedern Hugh nicht flau war.

»Kein Pabstthum, Bruder!« rief der Henker.

»Kein Habthum. Bruder!« entgegnete Hugh.

»Pabstthum, Pabstthum,« sagte der Secretär mit seiner gewöhnlichen Milde.

»'s ist ganz das Gleiche!« rief Dennis. »Alles in Richtigkeit. Hinein mit ihm, Herr Gashford. Hinein mit Jedermann, hinein mit aller Welt! Es lebe der protestantische Glaube! Das ist die Losung des Tages, Herr Gashford!««

Der Secretär betrachtete Beide mit ungemein wohlwollendem Gesichte, während sie diese und andere Demonstrationen ihres Patriotismus kund gaben, und war eben im Begriffe, eine laute Bemerkung zu machen, als Dennis auf ihn zutrat, ihn mit dem Ellenbogen anstieß und ihm hinter der vor den Mund gehaltenen Hand zuflüsterte:

»Verderbt einem konstuznellen Beamten das Handwerk nicht, Herr Gashford. Ihr wißt, es gibt so volksthümliche Vorurtheile, und er ist vielleicht auch kein Freund davon. Wartet, bis er näher mit mir bekannt wird. Er ist ein hübschgebauter Bursche, nicht wahr?«

»In der That, ein gewaltiger Kerl!«

»Habt Ihr je, Herr Gashford,« flüsterte Dennis mit jener entsetzlichen Art von Bewunderung, womit allenfalls ein hungriger Kannibale seinen Busenfreund betrachten würde – »habt Ihr je« – und damit rückte er dem Ohre des Andern noch näher, indem er zugleich seinen Mund mit beiden hohlen Händen verschanzte – »einen solchen Hals gesehen? Nur nicht darnach hingeschaut! Das ist ein Hals zum Strecken, Herr Gashford.«

Der Secretär pflichtete dieser Ansicht mit der bestmöglichsten, Miene bei – es ist schwer, einen rein gewerblichen Geschmack, der bisweilen excentrisch ist, zu heucheln – und nachdem er dem Kandidaten etliche unwichtige Fragen vorgelegt hatte, schickte er sich an, ihn als Mitglied der großen Protestanten-Association von England einzuschreiben. Wenn indeß etwas Herrn Dennis Freude über den glücklichen Vollzug dieser Ceremonie übertreffen konnte, so war es das Entzücken, womit er die Kunde aufnahm, daß das neue Mitglied weder lesen noch schreiben konnte – ein paar Künste, die (wie Herr Dennis schwur) der größtmögliche Fluch für die civilisirte Gesellschaft wären und mehr gegen die gewerblichen Einkünfte und den Zweck des großen konstuznellen Amtes, das er zu begleiten die Ehre hätte, ankämpften, als die widerlichsten Umstände, die seine Einbildungskraft zu ersinnen im Stande sey.

Sobald die Anwerbung beendet und Hugh durch Gashford (in dessen eigenthümlicher Manier) über den friedlichen und streng gesetzlichen Zweck belehrt war, welchen die Gesellschaft, zu der er jetzt gehöre, im Auge habe. – während dieses Vorgangs stieß Herr Dennis den Secretär oft mit den Ellenbogen an und schnitt dabei unterschiedliche Gesichter – gab ihnen der Secretär zu verstehen, daß er jetzt allein zu seyn wünsche. Sie verabschiedeten sich daher ohne Zögerung und verließen gemeinschaftlich das Haus.

»Habt Ihr nicht Lust zu einem Spaziergang, Bruder?« fragte Dennis.

»Ei freilich!« entgegnete Hugh. »Wohin wollt Ihr?«

»Na, das ist gesellig,« sagte sein neuer Freund. »Welchen Weg wollen wir einschlagen? Besichtigen wir uns vielleicht ein Bischen die Thüren, an denen wir in Bälde tüchtig anklopfen werden – was meint Ihr, Bruder?«

Da Hugh nichts dagegen einzuwenden hatte, so gingen sie langsam nach Westminster hinab, wo eben die beiden Häuser des Parlaments ihre Sitzungen hielten. Sie schlenderten unter dem Gedränge der Wagen, Pferde, Diener, Sänftenträger, Fackeljungen und Müßiggänger aller Art umher, wobei Herr Dennis seinen neuen Freund auf die schwachen Seiten des Gebäudes aufmerksam machte und ihn belehrte, wie leicht es sey, in die Vorhalle und von da bis an die Thüre des Hauses der Gemeinen zu kommen, wo sie dann, wenn man in großen Schaaren aufzöge, die Mitglieder drinnen durch Gejubel und Geschrei nicht wenig erschrecken könnten – nebst manchem Andern ähnlichen Inhaltes, was Hugh mit augenscheinlicher Freude anhörte.

Er nannte ihm auch einige der ein- und ausgehenden Lords und Gemeinen mit Namen, ob sie Freunde der Papisten wären, oder nicht, und forderte ihn auf, sich ihre Livréen und Equipagen zu merken, damit er im Falle der Noth nicht fehl greife. Bisweilen zog er ihn dicht an den Schlag eines vorüberfahrenden Wagens, damit er im Scheine der Lampen das Gesicht des Eigenthümers erkennen möge, wie er denn überhaupt eine so genaue Bekanntschaft mit Personen und Localitäten zeigte, daß man wohl sah, er müsse dieß Alles fleißig studirt haben, was er in der That auch, sobald ihre Freundschaft vertrauter wurde, aufrichtig zugestand.

Das Auffallendste von Allem waren vielleicht die vielen Leute, die sich gruppenweise zu zweien oder dreien beisammen befanden und in der gleichen Absicht durch das Gedränge zu schleichen schienen. Für die Meisten derselben galt ein Kopfnicken, oder ein Blick von Hugh's Begleiter als hinreichende Begrüßung; hin und wieder kam aber Einer aus dem Haufen, stellte sich neben ihn hin und sprach, ohne seinen Kopf umzuwenden, oder sich das Ansehen zu geben, als rede er ihn an, mit leiser Stimme etliche Worte, die in derselben vorsichtigen Weise beantwortet wurden. Dann trennten sie sich wieder, als ob sie sich gar nicht kennten. Etliche dieser Menschen tauchten in dem Gedränge oft wieder unversehens neben Hugh auf, drückten im Vorbeigehen ihm die Hand, oder blickten ihm ernst in's Gesicht, ohne daß übrigens weder er noch sie gegenseitig ein Wort verloren.

Eben so merkwürdig dünkte es Hugh, daß er, so oft er in einem rechten Gewühl stand und zufällig die Augen niederschlug, jedesmal bemerken konnte, wie sich unter den seinigen durch, oder gerade vor ihm weg ein Arm ausstreckte, in die Hand oder die Tasche eines Nebenstehenden ein Papier schob, und so plötzlich sich wieder zurückzog, daß man unmöglich sagen konnte, woher er gekommen war; wenn er dann rasch umschaute, so vermochte er in keinem Antlitze auch nur die mindeste Spur von Verwirrung oder Ueberraschung zu entdecken. Auch traten sie oft auf ein Papier, dergleichen er eines in seiner Brusttasche führte; aber sein Gefährte flüsterte ihm zu, er solle es nicht anrühren oder aufheben – nicht einmal darnach hinsehen; und so ließen sie es liegen und gingen weiter.

Nachdem sie in dieser Weise die Straße und die Zugänge, welche zu dem Parlamentsgebäude führten, wohl zwei Stunden lang durchstrichen hatten, begaben sie sich weiter, bei welcher Gelegenheit Herr Dennis seinen Freund fragte, was er von all dem Gesehenen halte, und ob er auf ein hübsches Stück heißer Arbeit gefaßt sey, wenn es einmal so weit komme.

»Je heißer, desto besser,« entgegnete Hugh; »ich bin auf Alles vorbereitet.«

»Ich gleichfalls,« erwiederte sein Freund, »und so noch Viele unter uns.«

Dabei schüttelten sie sich mit einem tüchtigen Fluche und unter schrecklichen Verwünschungen über die Papisten die Hände.

Da sie indessen durstig geworden waren, so machte Dennis den Vorschlag, sich nach dem Stiefel zu begeben, wo es gute Gesellschaft und prächtigen Branntwein gebe. Hugh gab hiezu bereitwillig seine Zustimmung und sie verfügten sich ohne Zögerung nach dem genannten Orte.

Dieser Stiefel war eine einsame Kneipe auf den Feldern hinter dem Findelhause – in jener Periode ein äußerst abgelegener Ort, und nach Einbruch der Dunkelheit völlig unbesucht. Das Haus stand etwas von der Landstraße abgelegen und war nur durch einen engen, finstern Heckenweg zugänglich, so daß Hugh nicht wenig überrascht war, als er hier trinkende Gäste vorfand, die sich's ungemein wohl sein ließen. Noch mehr wunderte er sich aber, fast alle Gesichter hier zu finden, die ihm in dem Gedränge aufgefallen waren; da ihm jedoch sein Gefährte vor der Thüre zugeflüstert hatte, es gehöre im Stiefel nicht zum guten Tone, wenn man überhaupt auch nur die mindeste Neugierde über die Gesellschaft verrathe, so behielt er seine Entdeckung für sich, und that nicht dergleichen, als ob ihm Jemand bekannt vorkäme.

Ehe Dennis noch die Lippen an das Glas setzte, worin ihnen der Branntwein gebracht worden war, brachte er mit lauter Stimme die Gesundheit des Lord George Gordon, des Präsidenten der großen protestantischen Association, aus, welchen Toast Hugh gleichermaßen mit entsprechender Begeisterung erwiederte. Ein anwesender Spielmann, der als angestellter Minstrel der Gesellschaft seine Fidel erschallen zu lassen schien, spielte einen schottischen Tanz auf, und zwar in so belebenden Tönen, daß Hugh und sein Freund, die schon früher getrunken hatten, als geschehe es in Folge vorläufiger Verabredung, von ihrem Sitze aufstanden, um zur großen Bewunderung der versammelten Gäste einen extemporirten Kein-Pabstthum-Tanz aufzuführen.



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