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Vierzehntes Kapitel.

Joe Willet ritt in seiner verzweifelnden Stimmung langsam weiter und malte sich aus, wie des Schlossers Töchterlein in endlosen Walzern dahinschwebte und sich ganz entsetzlich von kühnen Fremdlingen den Hof machen ließ – Gedanken, die ihm fast zu schwer wurden, um sie zu ertragen – als er plötzlich den Hufschlag eines Pferdes hinter sich hörte und beim Zurückblicken eines wohlberittenen Herrn ansichtig wurde, der in einem scharfen Trabe herankam. Als dieser Reiter den vom Maibaum eingeholt hatte, zügelte er sein Roß und nannte Joe beim Namen, welcher sofort der grauen Mähre die Sporen einlegte und sich an die Seite des Andern hielt.

»Ich dachte mir wohl, daß Ihr es wäret, Sir,« sagte der junge Willet, an seinen Hut langend. »Ein schöner Abend, Sir. Es freut mich, daß Ihr Euch wieder außer dem Hause blicken lassen dürft.«

Der Herr lächelte und nickte.

»Du bist wohl heute recht vergnügt gewesen, Joe? Ist sie noch immer so hübsch, wie sonst? Nun, du brauchst eben nicht zu erröthen.«

»Ich weiß nicht, ob ich überhaupt erröthete, Herr Edward,« entgegnete Joe; »wenn es aber wirklich der Fall war, so geschah es über den Gedanken, daß ich je so ein Thor seyn konnte, auf sie zu hoffen. Sie ist so weit aus meinem Bereiche, als – als der Himmel.«

»Nun, Joe, ich sollte doch meinen, daß es auch nicht aus dem – Kreise der Möglichkeit liegt, diesen zu erringen,« erwiederte Edward gut gelaunt. »Meinst du nicht?«

»Ach!« seufzte Joe. »Ihr habt gut reden, Sir. Mit kaltem Blute lassen sich leicht Sprichwörter machen, aber was nützt's? Reitet Ihr nach dem Maibaum, Sir?«

»Ja. Da ich noch nicht ganz zu Kräften gekommen bin, so gedenke ich dort zu übernachten, und dann morgen wieder gemächlich heimzureiten.«

»Wenn Ihr's nicht besonders eilig habt,« sagte Joe nach einem kurzen Schweigen, »und mit dem Schritte dieses armseligen Gaules vorlieb nehmen wollt, so macht es mir Freude, mit Euch nach dem Kaninchenhag zu reiten und Euer Pferd zu halten, wenn Ihr absteigt, Sir. Es wird Euch den Weg von dem Maibaum dahin und wieder zurück ersparen. Bei mir hat's keine Eile, da ich ohnehin noch zu früh daran bin.«

»Bei mir ist's derselbe Fall,« entgegnete Edward, »obgleich ich eben unwillkürlich so schnell ritt, vermuthlich um den Gang meines Thieres meinen Gedanken anzubequemen, die mit der Schnellpost reisten. Es ist mir lieb, Joe, den Weg gemeinschaftlich zu machen; wir wollen uns gegenseitig so gute Gesellschaft leisten, als es gehen will. Aber nur gutes Muths, gutes Muths! Du mußt mit unverzagtem Herzen an die Tochter des Schlossers denken, wenn du sie noch gewinnen willst.«

Joe schüttelte den Kopf; aber es lag etwas so Kräftigendes in der belebenden Hoffnungsfülle dieser Worte, daß sich sein Geist unter ihrem Einflusse hob und sogar der grauen Mähre etwas von seinem Feuer mitzutheilen schien, da sie jetzt aus ihrem nüchternen Schritt in einen sanften Trab überging, um es Edward Chester's Pferd gleich zu thun, und offenbar mit sich selbst sehr zufrieden darüber war, daß sie ihr Bestes thue.

Es war eine schöne, trockene Nacht, und die Mondsichel, die eben aufging, goß allenthalben die Ruhe und den Frieden aus, welche den Abendstunden ihren köstlichen Reiz verleiht. Die verlängerten Schatten der Bäume waren so sanft, als ob sie sich in stillem Wasser abspiegelten, und warfen ihren Teppich auf den Pfad der Wanderer, während der leichte Wind noch leiser als zuvor wehte, als wollte er mit der schlummernden Natur kosen. Nach und nach hörten sie zu sprechen auf und ritten in behaglichem Schweigen neben einander her.

»Der Maibaum ist ja diesen Abend ganz prächtig beleuchtet,« sagte Edward, als sie über den Feldweg ritten, auf dem ihnen durch die entlaubten Bäume das Wirthshaus sichtbar wurde.

»In der That prächtig, Sir,« entgegnete Joe, sich in seinem Steigbügel aufrichtend, um besser hinsehen zu können. »Lichter in der großen Stube und Feuer in dem besten Schlafgemach? Ei, da bin ich doch neugierig, was es für Gäste seyn mögen!«

»Ein von der Nacht überfallener Reiter vielleicht, der nach London zu reisen gedachte und sich durch die wunderbaren Erzählungen über meinen Freund, den Straßenräuber, abschrecken ließ, bei Nacht seinen Weg fortzusetzen,« meinte Edward.

»Es muß ein Reiter von Stand seyn, daß man ihm diese Bequemlichkeit zu Theil werden läßt. Obendrein Euer Bett, Sir!«

»Macht nichts, Joe. Jedes andere Zimmer ist gut für mich. Aber komm' – es schlägt neun Uhr. Wir müssen uns beeilen.«

Sie galoppirten so rasch, als es Joe's Zelter möglich war, vorwärts, und machten an dem kleinen Gebüsche Halt, wo der junge Willet am Morgen sein Thier angebunden hatte. Edward stieg ab, gab die Zügel seinem Gefährten und ging mit leichten Tritten auf das Haus zu.

Ein weiblicher Dienstbote harrte an einer Seitenpforte in der Gartenmauer und ließ ihn ohne Verzug ein. Er eilte den Terrassenweg hinan und über eine breite Treppenflucht, welche nach einer alten, düstern Halle führte, deren Wände mit rostigen Wappenschildern, Hirschgeweihen, Jagdgewehren und dergleichen Geräthen verziert waren. Hier machte er Halt, aber nicht auf lange; denn indem er sich umsah, als erwarte er, daß das Dienstmädchen ihm folge, und als wundere er sich, daß es nicht geschehe, erschien ein liebliches Mädchen, deren dunkle Locken im nächsten Augenblick an seiner Brust ruhten. Fast in demselben Moment legte sich eine schwere Hand auf ihren Arm; Edward fühlte sich zurückgestoßen, und Herr Haredale stand zwischen Beiden.

Er betrachtete den jungen Mann, ohne seinen Hut zu berühren, mit einem strengen Blicke, ergriff mit der einen Hand seine Nichte, und winkte mit der andern, in welcher er eine Reitpeitsche hielt, nach der Thüre. Der junge Mann richtete sich auf und erwiederte seinen Blick.

»Es ist sehr schön von Euch, Sir, mein Gesinde zu bestehen und heimlich und ungebeten wie ein Dieb in mein Haus zu schleichen,« sagte Herr Haredale. »Entfernt Euch, Sir, und kehrt nie wieder zurück!«

»Miß Haredale's Anwesenheit,« entgegnete der junge Mann, »und Eure Verwandtschaft mit ihr geben Euch eine Freiheit, die Ihr, wenn Ihr ein Ehrenmann seyd, nicht mißbrauchen werdet. Ihr habt mich gezwungen, einen solchen Weg zu gehen; die Schuld liegt an Euch – nicht an mir.«

»Es ist weder edelmüthig, noch ehrenvoll, und eben so wenig eines aufrichtigen Mannes würdig, Sir,« erwiederte der Andere,« die Liebe eines schwachen und vertrauenden Mädchens zu erschleichen, während Ihr im Gefühl Eures Unwerths vor ihrem Beschützer und Vormund zurückbebt und das Licht des Tages scheut. Weiter habe ich Euch nichts zu sagen, als daß ich Euch dieses Haus verbiete und von Euch augenblickliche Entfernung verlange.«

»Es ist weder großmüthig, noch ehrenhaft, und eben so wenig eines aufrichtigen Mannes würdig, den Spion zu spielen,« versetzte Edward. »Eure Worte legen mir ein schimpfliches Benehmen zur Last, aber ich weise sie mit der Verachtung zurück, die sie verdienen.«

»Ihr werdet finden,« entgegnete Herr Haredale ruhig,« daß Euer treuer Zwischenträger an dem Pförtchen, durch welches Ihr eintratet, wartet. Von Spioniren ist keine Rede, Sir, denn ich sah Euch durch das Pförtchen gehen und folgte Euch nach. Ihr hättet hören können, wie ich um Einlaß klopfte, wenn Ihr weniger schnell auf den Beinen gewesen oder länger im Garten geblieben wäret. Habt die Güte, Euch zu entfernen. Eure Anwesenheit ist beleidigend für mich und betrübend für meine Nichte.«

Mit diesen Worten schlang er seinen Arm um das erschreckte, weinende Mädchen und zog sie näher an sich. In dieser Handlung lag augenscheinlich ein wohlwollendes Gefühl und ein Ausdruck von Theilnahme an ihrem Kummer, obgleich im Uebrigen die Strenge seines Wesens nicht gemindert wurde.

»Herr Haredale,« sagte Edward, »Euer Arm umfaßt jetzt diejenige, an die ich alle meine Gedanken und alle Hoffnungen meines Lebens gesetzt habe; denn um ihr auch nur das Glück einer Minute zu erkaufen, würde ich freudig in den Tod gehen. Dieses Haus ist der Schrein, der den köstlichsten Edelstein meines Daseyns birgt. Eure Nichte hat mir Treue zugeschworen, und ich leistete ihr denselben Eid. Was habe ich gethan, daß Ihr mich so geringschätzig behandelt und so unhöfliche Worte gegen mich gebraucht?«

»Ihr habt gethan, Sir, was ungeschehen hätte bleiben sollen,« antwortete Herr Haredale. »Ihr habt hier einen Liebesknoten geschürzt, der wieder zerrissen werden muß – merkt Euch, was ich sage – muß! Ich löse eure gegenseitigen Verpflichtungen. Ich verwerfe Euch und Alle von Eurer Verwandtschaft – den ganzen falschen, hohlen, herzlosen Troß!«

»Hochtönende Worte, Sir,« entgegnete Edward verächtlich.

»Inhaltsschwere und bedeutungsvolle Worte, wie Ihr finden werdet,« erwiederte der Andere. »Nehmt sie Euch zu Herzen.«

»Nun denn, so laßt auch Euch gesagt seyn,« versetzte Edward: »Euer kalter und finsterer Charakter, der jedes Herz in Eurer Nähe zum Erstarren bringt, die Liebe in Furcht verkehrt und Pflicht in Scheu umwandelt, hat uns gezwungen, den Weg des Geheimnisses einzuschlagen, so sehr er auch unserm Wesen und unsern Wünschen widerstrebt, denen er jedenfalls weit fremder ist, als Euern Gesinnungen, Sir. Ich bin weder falsch, noch hohl oder herzlos. Ein solcher Vorwurf lastet auf Euch, der Ihr Euch jämmerlicherweise unterfangt, in der Ueberzeugung von dem Gegentheil und unter dem Schutz von Verhältnissen, die ich vorhin angedeutet habe, solche beleidigende Worte auszustoßen. Ihr seyd nicht im Stande, ein Band zwischen uns zu lösen, denn ich werde meine Bewerbungen fortsetzen und baue auf die Treue und Ehre Eurer Nichte, daß sie Eure Bestrebungen vereiteln wird. Ich verlasse sie, mit voller Zuversicht zu ihrem Herzen, ohne Arg, dem Ihr nichts werdet anhaben können, und bedauere nur, daß ich sie unter so rauhen Händen wissen muß.«

Mit diesen Worten drückte er ihre kalte Hand an seine Lippen, warf abermals Herrn Haredale einen festen Blick zu und entfernte sich.

Wenige mit Joe gewechselten Worte erklärten demselben hinreichend, was vorgefallen war und erneuerten mit zehnfältigen Qualen die Verzweiflung dieses jungen Mannes. Sie bestiegen ihre Pferde und ritten stumm nach dem Maibaum, an dessen Thüre sie mit schwerem Herzen anlangten.

Der alte John sah hinter seinem rothen Vorhang hervor, als die Reiter nach Hugh riefen, und eilte sogleich hinaus, um dem jungen Herrn Chester den Steigbügel zu halten, bei welcher Gelegenheit er ihm mit großer Wichtigkeit mittheilte:

»Er liegt bereits behaglich im Bette – dem besten Bette. Ein ganz vortrefflicher Herr – der freundlichste und leutseligste Gentleman, mit dem ich je zu thun hatte.«

»Wer, Willet?« fragte Edward gleichgültig, als er abstieg.

»Euer würdiger Vater, Sir,« versetzte John. »Euer achtbarer und verehrungswürdiger Vater.«

»Was kann er damit meinen?« sagte Edward, mit der Miene der Unruhe und des Zweifels Joe ansehend.

»Was wollt Ihr damit sagen,« fragte Joe. »Seht Ihr nicht, daß Herr Edward Euch nicht versteht?«

»Ei, wußtet Ihr denn nichts davon, Sir,« versetzte John, die Augen weit aufsperrend. »Das ist doch recht sonderbar! Gott behüte, – er ist seit Mittag hier. Herr Haredale hat lange mit ihm gesprochen und sich erst vor einer Stunde entfernt.«

»Mein Vater, Willet?«

»Ja, Sir, so sagte er mir – ein schöner, schlanker, gerader Herr, in Grün und Gold. Er bewohnt Euer gewöhnliches Zimmer dort, Sir. Ohne Zweifel könnt Ihr noch zu ihm, Sir,« sagte John, indem er rückwärts in den Weg hinaustrat und nach dem Fenster hinauf sah. »Er hat seine Lichter noch nicht ausgelöscht, wie ich sehe.«

Edward schaute gleichfalls nach dem Fenster und murmelte hastig, es sey ihm anders gekommen – er habe etwas vergessen und müsse nach London zurückkehren. Dann bestieg er sein Pferd wieder und ritt davon, die beiden Willets, Vater und Sohn auf der Straße zurücklassend, die sich gegenseitig in stummem Erstaunen ansahen.



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