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Dreißigstes Kapitel.

Ein bekanntes Sprichwort erkennt die Existenz einer gewissen lästigen Menschenklasse an, die die ganze Hand nehmen will, wenn man ihr einen Finger bietet. Wir wollen dabei nicht auf die erlauchten Beispiele jener heroischen Geißeln der Menschheit hindeuten, deren liebenswürdiger Lebenspfad von ihrer Geburt an bis zum Sarge durch Blut, Feuer und Zerstörung lief, und die zu keinem bessern Zwecke geschaffen zu seyn scheinen, als die Völker zu lehren, daß, wie der Mangel des Kummers und der Sorge Wohlbehagen ist, so auch die von ihrem Daseyn gereinigte Erde eine Wohnstätte des Segens seyn könnte. Mit solchen großartigen Beispielen haben wir zur Zeit nichts zu thun, weßhalb wir uns einfach auf den alten John Willet beziehen wollen. Der alte John war längst im Besitze eines wohlgemessenen Fingers von Joe's Freiheit und hatte in der Patrolle-Angelegenheit gar hübsch dessen ganze Hand erfaßt; dadurch wurde er aber so groß und despotisch, daß sein Eroberungsdurst keine Grenzen mehr kannte. Je mehr sich der gute Joe fügte, desto absoluter wurde der alte John. Die Hand war bald gar nichts mehr, denn er griff weiter und weiter nach den übrigen Gliedmaßen, beschnitt in möglichst vergnüglicher Weise das einemal hier einen Auswuchs, nahm das anderemal dort eine Freiheit im Reden oder Handeln unter die Scheere, und benahm sich überhaupt in seinem kleinen Wirkungskreise mit solcher Machtvollkommenheit und Majestät, wie nur der glorreichste Tyrann alter oder neuer Zeit, dem an öffentlicher Straße eine Denksäule errichtet wurde.

Wie große Männer durch ihre Schmeichler und Höflinge zum Mißbrauch ihrer Macht gedrängt werden (wenn anders ein Drängen nöthig ist, was übrigens nicht oft der Fall seyn wird), so ließ sich auch der alte John zu Ausübung seines Ansehens durch den Beifall und die Bewunderung seiner Maibaumstammgäste stacheln, welche in den Zwischenräumen, welche ihnen die Abendpfeife und der Abendkrug ließen, bedächtig ihre Köpfe schüttelten und zu sagen pflegten, Herr Willet sey noch ein Vater von ächtem altenglischem Schlage, der keine Spur von den neuerfundenen Ideen oder dem neumodischen Zeug an sich habe, sondern sie ganz an ihre eigenen Väter gemahne, als sie selbst noch Knaben gewesen, und daß er überhaupt gar nicht irren könne, wie es denn auch gut wäre, wenn es mehr seines Gleichen im Lande gäbe, was aber leider nicht der Fall sey, nebst vielen andern derartigen originellen Bemerkungen. Dann gaben sie auch Joe herablassend zu verstehen, daß Alles nur zu seinem Besten geschehe und er eines Tages noch dankbar dafür seyn werde; und insbesondere pflegte ihm Herr Cobb zu vertrauen, daß ihn sein Vater, als er selbst noch in Joe's Alter gewesen, eben so gut mit Fußtritten, Ohrfeigen, Kopfnüssen oder ähnlichen kleinen Ermahnungen regalirt habe, als ob dieß zu seinen übrigen gewöhnlichen Pflichten und Lebensaufgaben gehörte; dabei konnte er mit ungemein bedeutungsvollen Blicken die Bemerkung machen, er verdanke es nur dieser vernünftigen Erziehung, daß er der Mann geworden sey, als welchen er sich gegenwärtig ausspreche, was allerdings genug Wahrscheinlichkeit für sich hatte, da er ohne Frage der dümmste Tropf in der ganzen Gesellschaft war. Kurz, nie wurde ein junger unglücklicher Bursche so mißhandelt, gehetzt, gequält, gebissen und gewaschen – so unablässig bedrängt und lebensüberdrüssig gemacht, als der arme Joe Willet unter der liebevollen Behandlung des alten John und den Einflüsterungen von dessen wohlmeinenden Freunden.

Dieß war einmal der anerkannte und unumstößliche Stand der Dinge. Da jedoch John ein brennendes Verlangen trug, mit seiner Beharrlichkeit vor Herrn Chesters Augen zu prunken, so übertraf er an diesem Tage eigentlich sich selbst, indem er seinen Sohn und Erben in einer Weise stachelte und hetzte, daß man nicht wissen kann, wie es ausgefallen wäre, hätte nicht Joe das feierliche Gelübde gethan, seine Hände in den Taschen zu behalten, wenn sie nicht anderweitig beschäftigt waren. Doch auch der längste Tag hat ein Ende, und endlich kam Herr Chester die Treppe herunter, um sein Pferd zu besteigen, das reisefertig vor der Thüre stand.

Da der alte John gerade nicht um den Weg war, so lief Joe, der in dem Schenkstübchen über sein unglückliches Geschick und die mannigfaltigen Vorzüge von Dolly Varden Betrachtungen anstellte, hinaus, um dem Gaste die Bügel zu halten und ihm auf's Pferd zu helfen. Herr Chester saß schon im Sattel, und Joe war eben im Begriffe, ihm eine anständige Verbeugung zu machen, als der alte John aus dem Portale stürzte und seinen Sohn am Kragen packte.

»Nichts da, Musje,« rief John. »nichts da. Keine Patrollen brechen. Wie kannst du dich unterstehen, Bürschlein, ohne Erlaubniß aus dem Hause zu gehen? Gedenkst du allenfalls, dich davon zu machen und zum Verräther zu werden, he? Was soll das heißen, Musje?«

»Laßt mich gehen,« sagte Joe in bittendem Tone, als er das schadenfrohe Hohnlächeln über seine Schmach in dem Gesichte des Gastes bemerkte. »Das ist doch zu arg. Wer will sich denn davon machen?«

»Wer sich davon machen will?« rief John, ihn rüttelnd. »Je nun, du willst es, Bürschlein, du. Du bist der Knabe, Musje,« fügte John bei, ihn mit der einen Hand immer noch am Kragen packend und mit der andern die Abschiedsverbeugung gegen den Gast begleitend, »der in die Häuser schleicht und Zwiespalt zwischen edlen Gentlemen und ihren Söhnen anstiftet – oder nicht, he? Halt dein Maul, Bursche!«

Joe versuchte keine Erwiederung. Dieser Vorgang hatte seiner Entehrung die Krone aufgesetzt. Er entwand sich dem Griffe seines Vaters, schoß einen Zornblick auf den scheidenden Gast und kehrt in's Haus zurück.

»Wäre es nicht um ihretwillen,« dachte Joe, als er in der Gaststube die Arme auf den Tisch legte und seinen Kopf darauf stützte, »wäre es nicht wegen Dolly, von der ich es nicht ertragen könnte, wenn sie mich für den Schuft hielte, den man aus mir machen würde, wenn ich davon liefe, so sagt ich heute Nacht noch diesem Hause Valet.«

Da es bereits Abend war, so befanden sich Solomon Daisy, Tom Cobb und der lange Parkes gleichfalls in der Gaststube und waren vom Fenster aus Zeugen des ebengenannten Auftritts gewesen. Herr Willet kam bald nachher gleichfalls herein, nahm die Complimente der Gesellschaft mit großer Fassung entgegen, zündete seine Pfeife an und setzte sich in ihre Mitte.

»Wir wollen einmal sehen, meine Herren,« sagte John nach einer langen Pause, »wer hier im Hause Herr ist, und wer nicht. Wir wollen sehen, ob die Männer sich von den Knaben beherrschen  lassen müssen, oder ob es dem Manne zusieht, die Oberherrlichkeit über die Knaben zu führen.«

»Da habt Ihr obendrein ganz recht,« fügte Solomon Daisy mit einem gutheißenden Kopfnicken bei; »ganz recht, Johnny, sehr gut, Johnny. Wohlgesprochen, Herr Willet. Bravo, Sir.«

John erhob langsam seine Augen nach ihm, sah ihn eine geraume Weile an und gab schließlich zur unaussprechlichen Bestürzung seiner Zuhörer folgende Antwort:

»Wenn ich Ermuthigung von Euch brauche, so will ich sie Euch schon abverlangen. Vor der Hand brauche ich sie aber nicht. Sir. Ich kann hoffentlich ohne Euch fertig werden. Ich muß bitten, Sir, daß man mir nicht in's Geschirr greift.«

»Wer wird auch gleich alles übel nehmen, Johnny; ich meinte es nicht böse,« entschuldigte sich der Kleine.

»Sehr wohl, Sir,« entgegnete John, der nach seiner letzten Großthat ungewöhnlich hartnäckig geworden war. »Gleichviel, Sir. Ich kann schon für mich selbst fest genug auftreten, Sir, glaube ich, ohne daß Ihr mich zu unterstützen nöthig hättet.«

Nachdem sich Herr Willet also hatte vernehmen lassen, heftete er seine Augen auf den Kessel und verfiel in eine Art von Rauchverzückung.

Die Heiterkeit der Gesellschaft war durch dieses unangenehme Benehmen von Seite ihres Wirths einigermaßen gedämpft, so daß einige Zeit kein lautes Wort gesprochen wurde. Endlich aber stand Herr Cobb auf, um die Asche aus seiner Pfeife zu klopfen, und wagte die Bemerkung zu machen, er hoffe, daß Joe hinfort seinem Vater in allen Stücken gehorchen lerne; er (Joe) habe heute gefunden, daß dieser nicht zu dem Leuteschlage gehöre, der mit sich spaßen lasse, und er (Cobb) wolle ihm, poetisch gesprochen, empfehlen, fürderhin auf den Wink des väterlichen Auges zu gehen.

»Und ich möchte Euch dagegen empfehlen, nicht mit mir zu sprechen,« erwiederte Joe, mit einem blutrothen Gesichte aufblickend.

»Halt dein Maul, Musje,« rief Herr Willet, sich aufraffend und nach ihm umsehend.

»Ich mag nicht, Vater,« rief Joe, mit der Faust auf den Tisch schlagend, so daß Gläser und Krüge erdröhnten; »es ist hart genug, daß ich mir solche Dinge von Euch gefallen lassen muß. Aber von Jemand Anders ertrage ich es durchaus nicht mehr. Ich sage Euch daher, Herr Cobb, Ihr redet nicht mehr mit mir.«

»Ei, wer bist denn du,« sagte Herr Cobb höhnend,« daß man nicht mit dir reden soll – he, Joe?«

Joe gab hierauf keine Antwort, sondern nahm mit einem Unheil verkündenden Kopfschütteln seine alte Stellung wieder auf, in welcher er bis zum Hausschluß friedlich verharrt haben würde, wenn nicht Herr Cobb, gestachelt durch die Verwunderung der Gesellschaft über die Anmaßung des jungen Menschen mit unterschiedlichen Hohnreden, die freilich zu stark waren, als daß sie Fleisch und Blut hätte ertragen können, fortgemacht haben würde. Den Groll und Aerger vieler Jahre in einem Moment zusammendrängend, stand Joe auf, warf den Tisch um, fiel über seinen langen Feind her, schlug mit aller Macht auf ihn los und endigte den Kampf damit, daß er ihn mit überraschender Schnelligkeit in eine Ecke gegen einen Haufen Spucknäpfe trieb, in welche sein Feind mit einem furchtbaren Krachen köpflings hineinstürzte, so daß er seiner vollen Länge nach betäubt und regungslos unter den Trümmern liegen blieb. Dann zog sich Joe, ohne die Complimente der Zuschauer über diesen erfochtenen Sieg abzuwarten, nach seinem Schlafgemach zurück, dessen Thüre er mit allem tragbaren Möbelwerk verbarrikadirte, weil er sich in Belagerungsstand versetzt wähnte.

»Endlich ist es geschehen,« sagte Joe, indem er sich auf sein Bett setzte und das glühende Gesicht abwischte. »Ich wußte es ja, daß es noch so weit kommen mußte. Jetzt ist der Maibaum keine Stätte mehr für mich. Ich bin ein unsteter Landstreicher – sie haßt mich für immer – es ist Alles vorbei!«



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