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Achtes Kapitel.

Sobald Sim Tappertit das Haus des Schlossers im Rücken hatte, legte er sein vorsichtiges Wesen ab, nahm dafür das eines windbeutelnden, schwadronirenden, unsteten Burschen an, der alle Welt todtschlagen und im Nothfall sogar auffressen will, und eilte, so schnell er konnte, durch die dunkeln Straßen.

Hin und wieder blieb er einen Augenblick stehen, um an seine Tasche zu klopfen und sich zu überzeugen, daß sich der Hauptschüssel noch wohlbehalten dort befinde; dann sputete er sich wieder weiter, Barbican zu, und bog in eine der engsten von den engen Straßen ein, welche von diesem Mittelpunkte ausgehen, indem er jetzt seinen Schritt ermäßigte und sich den Schweiß von der Stirne wischte, als ob das Ende seines Spazierganges nahe sey.

Es war kein sehr gewählter Ort für mitternächtliche Ausflüge, denn er hatte einen in der That mehr als zweifelhaften Charakter und eine keineswegs einladende Außenseite. Von der Hauptstraße, welche Sim eingeschlagen hatte, und die an sich schon wenig besser als ein Gäßchen war, führte ein niedriger Thorweg nach einem finsteren, ungepflasterten Hof ohne weiteren Ausgang und voll sumpfiger Dünste. Nach diesem verwahrlosten Orte tastete sich des Schlossers vagabundischer Lehrling seinen Weg, blieb vor einem Hause stehen, von dessen verwitterter und moderiger Vorderseite das rohe Abbild einer Flasche wie ein am Galgen hängender Uebelthäter herunterpendelte, und stieß dreimal mit seinem Fuße auf ein eisernes Gitter. Nachdem Herr Tappertit eine Weile vergeblich auf eine Beantwortung seines Zeichens gelauscht hatte, wurde er ungeduldig und stieß auf's Neue dreimal gegen das Gitter.

Es folgte eine abermalige Pause, dießmal aber nicht von langer Dauer. Der Grund schien sich unter seinen Füßen zu öffnen, und ein zottiges Haupt kam zum Vorschein.

»Ist es der Hauptmann?« fragte eine Stimme so rauh als der Kopf.

»Ja,« antwortete Herr Tappertit mit hochmüthiger Herablassung; »wer sollte es sonst seyn?«

»Es ist schon so spät, daß wir Euch ganz aufgaben,« versetzte die Stimme, als ihr Eigenthümer Halt machte, um das Gitter wieder zu schließen und zu befestigen. »Ihr seyd spät daran. Sir.«

»Voran!« sagte Herr Tappertit mit düsterer Majestät, »und verschiebt Eure Bemerkungen, bis sie von Euch verlangt werden. Vorwärts!«

Dieses letztere Commandowort war vielleicht etwas theatralisch und unnöthig, da die Treppe sehr enge, steil und schlüpfrig war, so, daß jede Uebereilung oder jeder falsche Tritt in den gähnenden Schlund eines unten stehenden Wasserfasses hätte führen müssen. Weil indeß Herr Tappertit, wie einige andere große Befehlshaber, kräftige Effekte und Entfaltung persönlichen Muths liebte, so rief er abermals in der barschesten Stimme, welche er aufzubieten vermochte: »Vorwärts!« und stieg mit gekreuzten Armen und zusammengekniffenen Brauen in den Keller hinunter. Hier befand sich in einer Ecke ein kleiner Kupferkessel, ein paar Stühle, ein Tisch, eine Bank, ein knisterndes Feuer und ein Feldbett, auf dem eine rauhe, aus Lappen zusammengeflickte Decke lag.

»Willkommen, edler Hauptmann!« rief eine schlanke Gestalt, als ob sie eben aus dem Schlafe aufführe.

Der Hauptmann nickte, mit dem Kopfe. Als er sodann seinen Ueberrock abgelegt hatte, stand er in aller seiner Würde da, den Sprecher beäugelnd.

»Was gibt es heute Nacht Neues?« fragte er, nachdem er ihm bis in die Tiefe seiner Seele geschaut hatte.

»Nichts Besonderes,« versetzte der Andere, sich streckend, was eigentlich schrecklich mit anzusehen war, da er ohnedieß schon ziemlich zu den längsten Personen gehörte – »wie kömmt es, daß Ihr so spät erst eintrefft?«

»Geht Euch nichts an,« war die kurze Antwort, welcher ihn der Capitän würdigte. »Ist der Saal zugerüstet?«

»Ja,« versetzte der Andere.

»Der Kamerad – ist er da?«

»Und auch eine Partie von den Uebrigen – Ihr hört sie?«

»Sie kegeln?« sagte der Hauptmann unmuthig. »Leichtsinniges Volk!«

Es konnte kein Zweifel hinsichtlich der Unterhaltung stattfinden, welcher sich diese rücksichtslosen Geister hingegeben hatten, denn selbst in der dumpfen und erstickenden Atmosphäre des Gewölbes schallte der Lärm wie ein ferner Donner. Jedenfalls aber mochte die Wahl eines solchen Ortes für was immer für eine Erholung sonderbar erscheinen, wenn die andern Keller dem einen, in welchem dieses kurze Gespräch stattfand, ähnlich waren; denn der Fußboden bestand aus festgetretener Erde. Wand und Dach aus feuchten, nackten Backsteinen, mit Spuren von Schnecken austapezirt, und die Luft war ungesund und verdorben. Der unter den übrigen Dünsten am meisten vorherrschende Geruch mochte darauf hindeuten, daß der Ort vor nicht gar langer Zeit als Käsemagazin benutzt wurde – ein Umstand, den die überall herumhängende schmierige Feuchtigkeit und die angenehme Zugabe von Ratten erklären mochte. Außerdem war er natürlich sehr feucht, und kleine Bäume von Schwämmen und Schimmel sproßten in jedem moderigen Winkel.

Der Eigenthümer dieser bezaubernden Freistätte und der Besitzer des vorerwähnten zottigen Kopfes – denn er trug eine alte Knotenperücke, die so nackt und muffig wie ein wohlgebrauchter Herdbesen aussah – war inzwischen herangekommen; er stand ein wenig bei Seite, rieb sich die Hände, wackelte mit seinem struppigen Kinn und lächelte schweigend vor sich hin. Seine Augen waren geschlossen; wären sie aber auch weit offen gewesen, so hätte man doch aus dem achtsamen Ausdrucke seines Gesichtes, das er ihnen zukehrte – blaß und ungesund, wie von einem solchen unterirdischen Aufenthalte zu erwarten stand – und aus einem gewissen ängstlichen Heben und Zittern der Augenlider entnehmen können, daß er blind war.

»Selbst Stagg hat geschlafen,« sagte der lange Kamerad, auf die eben genannte Person hindeutend.

»Gesund, Hauptmann, gesund!« rief der blinde Mann. »Was befiehlt mein edler Capitän zu trinken – Brantwein, Rum oder Usquebaugh? Eingeweihtes Schießpulver oder flammendes Oel? Nennt es immer, Eichenherz, und wir schaffen es Euch, wäre es auch Wein aus eines Bischofs Keller oder geschmolzenes Gold aus König Georg's Münze.«

»Seht zu, daß es etwas Starkes ist,« sagte Herr Tappertit hochmüthig, »und macht rasch. So lange Ihr dafür besorgt seyd, mögt Ihr es aus des Teufels Keller holen, wenn es Euch beliebt.«

»Kühn gesagt, edler Hauptmann!« entgegnete der blinde Mann. »Gesprochen wie der Preis der Lehrlinge. Ha, ha! Aus des Teufels Keller! Ein prächtiger Spaß! Der Hauptmann scherzt. Ha, ha, ha!«

»Ich will Euch was sagen, mein feiner Bursche,« erwiederte Herr Tappertit, indem er den Wirth beäugelte, als derselbe nach einem Schranke ging und eine Flasche sammt Glas so sicher herausnahm, als sey er im vollen Besitze seines Augenlichtes, »wenn Ihr einen solchen Randal macht, so werdet Ihr finden, daß der Hauptmann weit entfernt ist, zu scherzen; merkt Euch das.«

»Er hat seine Augen auf mich geheftet!« rief Stagg, indem er auf seinem Rückwege inne hielt und that, als wolle er sein Gesicht mit der Bouteille schützen. »Ich fühle sie, obgleich ich sie nicht sehen kann. Wendet sie ab, edler Hauptmann; wendet sie ab, denn sie sind so durchdringend, wie Bohrer.«

Herr Tappertit lachte grimmig seinem Kameraden zu und entsandte noch einen Blick – eine Art von Augenschraube, unter deren Einfluß der Blinde große Angst und Qual zu leiden behauptete; dann befahl er ihm in sanfterem Tone, näher zu kommen und sein Maul zu halten.

»Ich gehorche, Hauptmann,« rief Stagg, herantretend und einen Kelch füllend, ohne einen Tropfen zu verschütten, weil er den kleinen Finger an den Rand des Glases brachte und in dem Augenblicke inne hielt, als derselbe durch den Branntwein berührt wurde. »Trinkt, edler Gönner! Tod allen Meistern. Leben allen Lehrlingen, und Liebe allen schönen Damen! Trinkt, braver General, und wärmt Euer tapferes Herz!«

Herr Tappertit geruhte, das Glas aus seiner ausgestreckten Hand zu nehmen. Stagg ließ sich sodann auf ein Knie nieder und streichelte ihm mit der Miene demüthiger Bewunderung sanft die Waden.

»Ach, daß ich Augen hätte!« rief er, »um die symmetrischen Verhältnisse meines Hauptmanns schauen zu können. Ach, daß ich Augen hätte, um diese Zwillingsstörer der häuslichen Ruhe zu sehen!«

»Fort!« sagte Herr Tappertit, auf seine Lieblingsglieder niederschauend. »Packt Euch! Wollt Ihr gehen, Stagg?«

»Wenn ich nachher meine eigenen befühle,« rief der Wirth, vorwurfsvoll auf seine Waden klopfend, »so hasse ich sie. In Vergleichung mit den Musterbeinen meines edlen Hauptmanns sind sie so formlos, wie hölzerne Stelzfüße.«

»Die Euren?« rief Herr Tappertit. »Warum nicht gar. Sprecht nicht von diesen kostbaren alten Zahnstochern, in einem Athem mit meinen Beinen; das ist ein Bischen zu stark. Da, nehmt das Glas, Benjamin – voran. An's Geschäft!«

Mit diesen Worten kreuzte er abermals die Arme, runzelte die Stirne in düsterer Majestät und verschwand mit seinem Gefährten durch eine kleine Thüre am obern Ende des Kellers, Stagg seinen Privatbetrachtungen überlassend.

Das mit Sägemehl bestreute und düster beleuchtete Gewölbe, in welches sie jetzt traten, lag zwischen dem, aus welchem sie eben gekommen, und einem dritten, in welchem sich die Kegler unterhielten, wie aus dem zunehmenden Lärm und Geschrei zu erkennen war. Dieses hörte jedoch auf ein Zeichen des Kameraden plötzlich auf und machte einer Todtenstille Platz. Der eben genannte junge Gentleman ging nach einem kleinen Wandschrank, kehrte mit einem Schenkelknochen zurück, welches seiner Zeit einem eben so langen Individuum angehört haben mußte, und legte denselben in die Hände des Herrn Tappertit, welcher ihn als Scepter und Wunderstab entgegennahm. Nachdem Letzterer seinen dreieckigen Hut trotzig auf den Kopf gedrückt hatte, stieg er auf einen großen Tisch, auf dem ein Ehrensessel, lieblich mit ein paar Todtenschädeln verziert, zu seiner Aufnahme bereit stand,

Er hatte nicht sobald seinen Sitz eingenommen, als ein anderer junger Gentleman ein ungeheures, mit Klappen verschlossenes Buch unter dem Arme, erschien, vor dem Hauptmann eine tiefe Verbeugung machte und das Buch dem langen Kameraden einhändigte, worauf er wieder an den Tisch trat, diesem den Rücken zukehrte und nun wie ein Atlas dastand. Sofort stieg auch der lange Kamerad auf den Tisch, setzte sich mit viel Anstand und Ceremonie auf einen Stuhl, der niedriger als Herr Tappertit war, legte das große Buch so bedächtig auf die Schultern des stummen Kameraden, als wäre dieser nur ein hölzerner Pult, und schickte sich an, mit einer Feder von entsprechender Größe Aufzeichnungen zu machen.

Sobald der lange Kamerad diese Vorbereitungen getroffen hatte, sah er Herrn Tappertit an, worauf dieser den Knochen schwang und damit neunmal auf einen der Schädel schlug. Mit dem neunten Schlage tauchte ein dritter junger Gentleman aus der Thüre, die zur Kugelbahn führte, auf, verbeugte sich tief und harrte weiterer Befehle.«

»Lehrling!« sagte der gewaltige Hauptmann, »wer wartet außen?«

Der Lehrling antwortete, es sey ein Fremder da, der um Zulassung zu der geheimen Gesellschaft der Lehrlingsritter und um freie Theilnahme an ihren Rechten, Privilegien und Immunitäten bitte. Sofort schwenkte Herr Tappertit abermals seinen Knochen, gab damit dem andern Schädel einen wundervollen Klapps auf die Nase und rief: »Laßt ihn ein!« Nach diesen Worten verbeugte sich der Lehrling wieder, und entfernte sich, wie er gekommen war.

Bald nachher erschienen an derselben Thüre noch zwei Lehrlinge, einen dritten in ihrer Mitte, dessen Augen verbunden waren. Der Letztere trug eine Beutelperücke, einen Rock mit breiten Schößen und abgetragenem Bortenwerk, und einen Degen an der Seite in Gemäßheit der Gesetze, welche vorschrieben, daß die einzuführenden Candidaten sich dieses Gallaanzuges zu bedienen hätten, welcher denn auch des größern Eclats wegen fortwährend mit Lavendelgeist besprengt wurde. Einer der Führer dieses Novizen hielt eine rostige Arkebuse gegen dessen Ohr gerichtet, während der Andere bei seinem Näherkommen in blutdürstig anatomischer Weise mit einem sehr alten Säbel imaginäre Meineidige in Fetzen hieb.

Während sich diese Gruppe schweigend näherte, drückte Herr Tappertit seinen Hut fester auf den Kopf. Dann legte der Novize seine Hand auf die Brust und verbeugte sich vor ihm. Sobald er sich hinlänglich gedemüthigt hatte, befahl der Hauptmann die Binde zu entfernen, worauf er sich anschickte, den neuen Ankömmling zu beäugeln.

»Ha!« sagte der Hauptmann gedankenvoll, nachdem er diese Ordalie beendigt hatte. »Fahrt fort!«

»Mark Gilbert. Alter: neunzehn Jahre. Lehrling bei Thomas Curzon. Strumpfstricker im goldenen Vließ, Altgate. Liebt Curzon's Tochter. Kann nicht sagen, ob Curzon's Tochter ihn liebt. Hält es aber für wahrscheinlich. Curzon zupfte ihn letzten Dienstag am Ohre.«

»Wie?« rief der Capitän auffahrend.

»Erlaubt, weil ich nach seiner Tochter geschaut,« sagte der Novize.

»Zeichnet Curzon als angeklagt auf,« rief der Capitän. »Setzt ein schwarzes Kreuz vor dem Namen Curzon.«

»Mit Eurem Wohlnehmen,« sagte der Novize,« das ist noch nicht das Aergste – er nennt seinen Lehrling einen faulen Hund, und gibt ihm kein Bier, wenn er nicht nach seinem Gefallen arbeitet. Auch reicht er holländischen Käs, während er selbst Cheshire Käs ißt, Sir, und gestattet nur einen Sonntag im Monat zum Ausgehen.«

»Das ist ein unverantwortlicher Fall,« sagte Herr Tappertit mit Würde. »Setzt zwei schwarze Kreuze zu dem Namen Curzon.«

»Wenn die Gesellschaft,« entgegnete der Novize, ein übelsüchtiger, schiefgewachsener, schlotterbeiniger Bursche mit eingesunkenen, dicht bei einander liegenden Augen – »wenn die Gesellschaft sein Haus niederbrennen wollte – denn es ist nicht versichert – oder ihn tüchtig durchprügelte, wenn er Abends aus seinem Clubb nach Hause kömmt, oder mir Beihilfe leistete, seine Tochter zu entführen und sie im Fleet zu heirathen, möchte sie nun wollen oder nicht –«

Herr Tappertit schwang seinen gräulichen Commandostab als Ermahnung, ihn nicht zu unterbrechen, und befahl, den Namen Curzon mit drei schwarzen Kreuzen zu bezeichnen. »Womit gesagt werden will,« fügte er als gnädige Erklärung bei, »Rache, vollkommene und schreckliche Rache! Lehrling, liebst du die Constitution?«

Der Lehrling, welcher für diese Frage von seinen Begleitern die nöthigen Instructionen erhalten hatte, antwortete:

»Ich liebe sie.«

»Die Kirche, den Staat und alles Festbestehende – mit Ausnahme der Meister?« fuhr der Hauptmann fort.

Und abermals antwortete der Novize:

»Ich liebe sie.«

Nachdem er dieß gesprochen, horchte er demüthig auf den Hauptmann, der ihm in einer Rede, welche auf solche Anlässe vorbereitet war, mittheilte, »wie unter derselben Constitution (welche in einer eisernen Kiste irgendwo aufbewahrt würde, obgleich man nicht genau den Ort wisse, sonst würde er sich Mühe gegeben haben, eine Abschrift davon beizuschaffen) die Lehrlinge von Rechtswegen viele Feiertage gehabt, den Leuten zu Dutzenden die Schädel zerschlagen, ihren Meistern Trotz geboten und es sogar zu einigen glorreichen Mordthaten in den Straßen gebracht hätten – Privilegien, die ihnen allmälig entrissen worden seyen, indem man nunmehr statt dessen ein derartiges edles Streben nach Dieses »nach« ist weder syntaktisch nachvollziehbar noch findet es im englischen Original irgendeine Entsprechung. Auch ein »noch« statt »nach«, wenn es sich denn um einen Druckfehler handeln sollte, wäre aus dem Urtext nicht zu rechtfertigen. – Anm.d.Hrsg. allenthalben einenge; die herabwürdigenden Bande, die man ihnen auflege, seyen unzweifelhaft dem Neuerungsgeiste der Zeit zuzuschreiben, und sie hätten sich demgemäß verbunden, jeder Aenderung entgegen zu treten, solche ausgenommen, welche die Absicht hätten, jene guten alten englischen – Bräuche zurückzuführen, für welche sie stehen oder fallen wollten. Nachdem er die Weisheit eines solchen Rückschrittes durch das Bild jenes scharfsinnigen Fisches, des Krebses, und die nicht seltene Praxis der Esel und Maulthiere belegt hatte, ging er auf die Gemeinzwecke der Association über, welche kürzlich darin bestanden: Rache an ihren tyrannischen Meistern, an deren schändlichem und unerträglichem Unterdrückungssystem kein Lehrling auch nur einen Augenblick zweifeln könne, und Wiederherstellung der vorgenannten alten Rechte und Feiertage; sie wären zwar für keinen dieser Zwecke schon ganz reif, da ihre Anzahl kaum zwanzig betrüge, wollten sich aber dennoch verpflichten, sie im Nothfall mit Feuer und Schwert durchzuführen. Dann setzte er den Eid auseinander, welchen jedes Mitglied dieses kleinen Ueberrestes einer edlen Körperschaft geschworen hatte und den er als einen höchst fürchterlichen und nachdrücklichen schilderte, da er die Verpflichtung in sich schlösse, auf das Geheiß des Hauptmanns dem Lordmayor, dem Schwertträger und Kapellan, Widerstand entgegen zu setzen, dem Ansehen der Sheriffe zu trotzen und den Gerichtshof der Altermänner gering zu schätzen, um keinen Preis aber, falls die Zeit sich erfüllen und einen allgemeinen Aufstand der Lehrlinge zu Stande bringen sollte, Temple Bar zu beschädigen, da dieses streng constitutionell sey und daher immer mit Ehrfurcht betrachtet werden müsse. Nachdem Herr Tappertit sich über diese verschiedenen Hauptpunkte mit großer Kraft und Beredsamkeit ausgelassen und außerdem noch den Novizen belehrt hatte, daß diese Gesellschaft ihren Ursprung seinem eigenen kreisenden Gehirne und seinem überquellenden Gefühle gegen Schmach und Beeinträchtigung verdanke, fragte er, ob der Neuling Seelengröße genug besitze, sich diesen gewaltigen Verpflichtungen zu unterziehen, oder ob er zurücktreten wolle, so lange es noch in seiner Macht stehe.

Hierauf erwiederte der Novize, er wolle den Eid leisten, und wenn er daran ersticken müßte, weßhalb ihm sofort die Formel unter vielen und ausdrucksvollen Umständen vorgelesen wurde. Darunter gehörte namentlich die Beleuchtung der beiden Schädel mittelst einer in's Innere gesteckten Kerze und einer großen Anzahl von Schwenkungen mit dem Schenkelknochen, der verschiedenen gravitätischen Exercitien mit der Arkebuse und dem Säbel, und eines grauenhaften Gestöhnes unsichtbarer Lehrlinge draußen vor der Thüre gar nicht zu gedenken. Als endlich diese finsteren und grauenhaften Formalitäten vorüber waren, wurde der Tisch zur Seite gerückt, der Staatssessel entfernt, das Scepter in seinen gewöhnlichen Schrank eingeschlossen, die Verbindung der drei Keller durch Oeffnung der Thüre freigegeben, und die Lehrlingsritter schickten sich an, eine lustige Nacht durchzumachen.

Herr Tappertit aber, dessen Seele über den gemeinen Troß erhaben war, und der, um seiner Größe keinen Eintrag zu thun, nur hin und wieder sich dem Frohsinn ergeben durfte, warf sich mit der Miene eines Mannes, der dem Gewichte seiner Würde erliegt, auf eine Bank, und sah gleichgültigen Blicks auf Kegel, Karten und Würfel, an nichts denkend, als an des Schlossers Töchterlein und an die entartete Zeit, in welcher geboren zu werden er so unglücklich war.

»Mein edler Hauptmann ist kein Freund von Spiel, Gesang und Tanz,« sagte der Wirth, sich an seiner Seite niederlassend. »Trinkt, mein tapferer General!«

Herr Tappertit leerte das dargebotene Glas bis auf die Nagelprobe; dann steckte er die Hände in seine Taschen und ging mit finsterer Miene unter den Kegeln umher, während seine Jünger – so groß ist der Einfluß eines überlegenen Genius – in stummem Respekte vor seinen kleinen Schienbeinen, die begierige Kugel zurückhielten.

»Wäre ich doch geboren als Korsar, als Seeräuber, als ein Korsar der Wälder, als ein vornehmer Wegelagerer oder als Patriot – 's kömmt doch bei allen ziemlich auf das Gleiche heraus,« dachte Herr Tappertit, unter den neun Kegeln nachsinnend, »so befände ich mich doch in einer für mich passenden Stellung. Aber ein niedriges Daseyn hinzuschleppen, ohne von der Menschheit im Allgemeinen gekannt zu werden – doch Geduld! mein Ruhm wird nicht ausbleiben. Unablässig flüstert eine Stimme in meinem Innern: Größe! Ich werde dieser Tage einmal losbrechen, und wenn dieß geschieht, welche Macht der Erde vermöchte es, mich zu erdrücken? Ich fühle, wie mir die Seele bei diesem Gedanken zu Kopfe steigt. Mehr zu trinken her!«

»Der Novize,« fuhr Herr Tappertit – nicht gerade in einer Donnerstimme, denn, um die Wahrheit zu sprechen, sein Organ war dafür etwas zu schnarchend und schrill, aber demungeachtet mit großem Nachdruck – »wo ist er?«

»Hier! edler Capitän,« rief Stagg. »Ich fühle, daß mir ein Fremder zur Seite steht.«

»Hast du,« sagte Herr Tappertit, den Blick in die angedeutete Richtung wendend, wo jetzt in der That der neue Ritter in seinem gewöhnlichen Anzuge stand – »hast du den Schlüssel deiner Hausthüre in Wachs abgedrückt?«

Der lange Kamerad kam der Antwort zuvor, indem er den Abdruck von dem Sims, auf welchen er niedergelegt worden war, herunterlangte.

»Gut,« sagte Herr Tappertit,« denselben genau untersuchend, während athemloses Schweigen ringsumher herrschte; denn er hatte für die ganze Gesellschaft Nachschüssel verfertigt und vielleicht diesem unwürdigen und gemeinen Umstande einigermaßen seinen Einfluß zu danken, da oft von ähnlichen geringfügigen Verhältnissen auch Männer von Geist abhängig werden! – »das läßt sich leicht machen. Komm hieher, mein Freund.«

Mit diesen Worten winkte er den neuen Ritter beiseits, indem er zugleich die Wachsmatrize in seine Tasche steckte.

»Du liebst also,« sagte er, nachdem er einigemal mit ihm auf und ab gegangen war – »du liebst also die Tochter deines Meisters?«

»Ja,« antwortete der Lehrling. »Aber in allen Ehren. Keine Posse, müßt Ihr wissen.«

»Hast du,« versetzte Tappertit, indem er ihn am Handgelenk faßte und ihn mit einem Blicke ansah, der den tödtlichsten Groll ausgedrückt haben würde, wenn nicht ein zufälliges Schlucksen dazwischen gekommen wäre; – »hast du einen – einen Nebenbuhler?«

»Nicht, daß ich wüßte,« entgegnete der Lehrling.

»Wenn du aber einen hättest –« sagte Herr Tappertit »was würdest du mit ihm – he  –?«

Der Lehrling schnitt ein grimmiges Gesicht und ballte seine Fäuste.

»Es ist genug,« rief Herr Tappertit, »wir verstehen einander. Man beobachtet uns; ich danke dir.«

Mit diesen Worten schüttelte er die neue Bekanntschaft ab, ging einigemal hastig auf und nieder, rief dann den langen Kameraden zu sich und befahl ihm, sogleich eine Anzeige zu schreiben und an die Wand zu kleben, vermöge welcher ein gewisser Joseph Willet (gemeiniglich unter dem Namen Joe bekannt) von Chigwell in die Acht erklärt werden sollte. Es wurde damit allen Lehrlingsrittern verboten, unter was immer für Verhältnissen ihm Beistand zu leisten oder mit ihm zu verkehren; deßgleichen erhielten sie auch unter Androhung der Excommunication den Befehl, besagten Joseph zu belästigen, zu beschädigen, zu ärgern, zu beleidigen und Händel mit ihm anzufangen, wann und so oft sie, oder einer aus ihrer Mitte, zufällig mit ihm zusammentreffen sollten.

Nachdem er durch dieses energische Verfahren sein Gemüth erleichtert hatte, ließ er sich herab, die Festtafel mit seiner Gesellschaft zu beehren, und wie er nach und nach wärmer wurde, geruhte er sogar den Vorsitz zu übernehmen und die Gesellschaft mit einem Liede zu erfreuen. Und seine Heiterkeit steigerte sich mit der Zeit so sehr, daß er einwilligte, die Gesellschaft mit einem Hornpipe zu beglücken, welchen er bei der Musik einer Fidel (gespielt von einem genialen Mitgliede) mit so überraschender Behendigkeit und einer Pracht der Darstellung ausführte, daß seine Zuschauer ihre Bewunderung nicht enthusiastisch genug auszudrücken vermochten. Der Wirth aber schwor mit Thränen in den Augen hoch und theuer, daß er seine Blindheit nie so schmerzlich empfunden habe, als in diesem Augenblicke.

Sodann entfernte sich der Wirth – wahrscheinlich um im Stillen zu weinen – kehrte jedoch bald wieder mit der Nachricht zurück, daß es kaum noch eine Stunde bis zum Morgen wäre, und daß alle Hähne in Barbican bereits zu krähen angefangen hätten, als ob ihr Leben davon abhinge. Bei dieser Mitteilung standen die Lehrlingsritter hastig auf, stellten sich in eine Linie, defilirten nacheinander ab und zerstreuten sich in aller Eile, um sich nach ihren verschiedenen Wohnungen zu begeben, ihrem Führer die Ehre überlassend, zuletzt nach dem Gitter hinaufzusteigen.

»Gute Nacht, edler Hauptmann,« flüsterte der Blinde, als er das Gitter in der Hand hielt, um ihn hinaufzulassen. »Lebt wohl, braver General. Gott sey mit Euch, erlauchter Commandeur. Das Glück sey in Eurem Geleite – du ungebildeter, schwadronirender, hohlköpfiger, entenbeiniger Dummkopf!«

Nach diesen Abschiedsworten, welche er ganz kaltblütig beifügte, als er bei dem Schalle der sich entfernenden Fußtritte das Gitter über sich schloß, stieg er die Treppe hinunter, zündete Feuer unter dem kleinen Kessel an und ging ohne weitere Beihilfe an die Vorbereitungen zu seinem Tagesgeschäfte. Dieses bestand darin, an der Arena oben für den Preis von einem Penny Fleischbrühe, Suppen und würzige Puddings zu verkaufen, die er aus Brocken, wie sie des Abends haufenweise für ein ganz geringes Geld bei Fleet Market verkauft wurden, componirte. Dabei hatte er seine Kundschaft hauptsächlich seinen vielen Bekanntschaften zu verdanken, da der Hof ohne Durchgang und überhaupt auch kein Platz war, an welchem viele Personen Luft schöpfen, oder den sie zu einem angenehmen Spaziergang wählen mochten.



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