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Drittes Kapitel.

Mit solchen Gedanken trug sich der Schlosser jedoch erst, als er in dem behaglichen Winkel saß und sich langsam von einem angenehmen Augenübel erholte – angenehm, weil es in dem Winde seinen Grund hatte, der ihm in die Augen geblasen, und es daher eine Maßregel der Gesundheitspolizei und eine gebieterische Pflicht wurde, sich gegen das Unwetter zu schützen. Aus dem gleichen Grunde fühlte er sich auch veranlaßt, einen kleinen Husten ärger zu machen und die Erklärung abzugeben, daß es ihm ganz elend sey. Derartige Gedanken begleiteten ihn auch noch eine volle Stunde nachher, als das Nachtessen bereits vorüber war und er mit glänzendem, jovialem Gesichte in demselben warmen Winkel saß, auf das Grillengezirp des kleinen Solomon Daisy horchend, und selbst keine unwichtige oder unrespektirte Rolle unter den geselligen Schwätzern spielend, welche um das Feuer des Maibaumes versammelt waren.

»Ich möchte wünschen, daß er ein ehrlicher Mann ist, weiter sage ich nicht,« sprach Solomon, als Schluß zu unterschiedlichen Spekulationen über den Fremden, hinsichtlich dessen Gabriel seine Notizen mit denen der Gesellschaft verglichen und so ferne Gelegenheit zu einer ernsten Discussion gegeben hatte; »ich möchte wünschen, daß er ein ehrlicher Mann ist.«

»Hoffentlich ist dieß bei uns Allen der Fall?« bemerkte der Schlosser.

»Nein,« sagte Joe.

»Nicht?« rief Gabriel.

»Nein. Der elende Feigling hat mich mit seiner Peitsche geschlagen, als er zu Pferde und ich zu Fuß war; es wäre mir daher lieber, er wiese sich als das aus, wofür ich ihn halte.«

»Und das wäre, Joe?«

»Für nichts Gutes, Herr Varden. Ihr mögt Euren Kopf schütteln,  aber ich sage, für nichts Gutes, und will sagen, für nichts Gutes, und würde noch hundertmal sagen, für nichts Gutes, wenn ich ihn dadurch veranlassen könnte, umzukehren und die Tracht Prügel zu holen, die er verdient.«

»Halt' dein Maul, Bürschlein,« sagte John Willet.

»Ich mag nicht, Vater. Es ist rein Eure Schuld, daß er sich herausnahm, mich in einer solchen Weise zu behandeln. Er sah, daß man mit mir umging, wie mit einem Kinde, daß man mir zu reden verbot, wie einem Narren – und da faßte er sich ein Herz und wischte einem Kerl aus, der, wie er dachte und auch denken durfte, keine Spur von Grütze im Kopf hat. Aber da ist er im Irrthum, wie er mir erfahren soll, und zwar ehe noch eine lange Zeit darüber verstreicht.«

»Weiß denn der Junge auch, was er sagt?« rief der erstaunte John Willet.

,« entgegnete Joe, »ich weiß recht wohl, was ich sage und sagen will – besser als Ihr, wenn Ihr mich sprechen hört. Von Euch will ich mir's zur Noth gefallen lassen, aber ich kann die Verachtung nicht ertragen, welche mir Eure Behandlung jeden Tag von Andern zuzieht. Seht auf andere junge Leute meines Alters. Haben sie keine Freiheit, keinen Willen, kein Recht zu sprechen? Müssen sie auch wie stumme Hunde dasitzen und sich überall herum zurechtweisen lassen, bis sie bei Alt und Jung zum Gegenstand des Gelächters werden? Ich bin in ganz Chigwell zum Sprichwort geworden, und ich sage Euch – es ist jedenfalls ehrlicher, wenn ich es jetzt sage, als wenn ich warte, bis Ihr todt seyd, und ich Euer Geld eingethan habe – ich sage Euch, daß man mich mit Gewalt dazu treibt, über kurz oder lang solche Bande zu drehen, und wenn dieß der Fall ist, so habt Ihr nicht mir, sondern keinem andern Menschen als Euch selbst Vorwürfe darüber zu machen.«

John Willet war so erstaunt über die Gereiztheit und Kühnheit seines hoffnungsvollen Sohnes, daß er ganz betäubt dasaß und in gar komischer Weise nach dem Kessel hinstierte, vergeblich bemüht, seine trägen Gedanken zu sammeln und eine passende Antwort zusammen zu bringen. Die kaum weniger bestürzten Gäste befanden sich in der gleichen Verlegenheit, bis sie sich endlich unter leisen, halbausgedrückten Condolenzen und Rathschlägen zum Aufbruche anschickten, da sie um diese Zeit schon ein wenig den Branntwein im Kopfe spürten.

Nur der ehrliche Schlosser richtete ein paar Worte zusammenhängenden und verständigen Rathes an beide Partien, indem er John Willet angelegentlichst erinnerte, Joe habe das Mannesalter erreicht, weßhalb man bei ihm die Zügel nicht zu straff anziehen dürfe; zugleich ermahnte er aber auch Joe, die Launen seines Vaters zu ertragen und lieber den Versuch zu machen, ihm durch bescheidene Vorstellungen, als durch ein unzeitiges Rebelliren zu begegnen. Dieser Rath wurde hingenommen, wie es gewöhnlich bei solchen Rathschlägen zu gehen pflegt. Auf John Willet machte er einen fast eben so großen Eindruck, als auf das Wirthshauszeichen vor der Thüre, während Joe, der die Sache von der besten Seite nahm, sich zwar für sehr verpflichtet dafür erklärte, mehr, als er es ausdrücken konnte, zugleich aber höflich seine Absicht andeutete, daß er seinen eigenen Weg gehen wolle, ohne sich von Andern etwas einreden zu lassen.

»Ihr seyd immer ein gar guter Freund gegen mich gewesen, Herr Varden,« sagte er, als sie außerhalb des Portals standen und der Schlosser sich zur Heimreife anschickte, »und ich weiß, daß Ihr es wohl mit mir meint; aber es ist bald an der Zeit, daß ich mich von dem Maibaum trennen muß.«

»Rollende Steine sehen nie Moos an, Joe,« entgegnete Gabriel.

»Und Meilensteine auch nicht viel,« versetzte Joe. »Hier bin ich wenig besser, als ein Meilenstein, und sehe auch gerade so viel von der Welt.«

»Was willst du aber thun, Joe?« fuhr der Schlosser fort, indem er nachdrücklich sein Kinn streichelte. »Was könntest du werden? Bedenke nur, wohin willst du?«

»Ich muß mich eben dem Zufall anheimgeben, Herr Varden.«

»Ein schlimmes Ding, sich hierauf zu verlassen, Joe. Es gefällt mir nicht. Ich sage immer zu meinem Mädchen, wenn wir von einem Manne für sie sprechen, sie solle sich nie auf den Zufall verlassen, sondern sich zuvor überzeugen, ob der Freier rechtschaffen und treu ist, und dann wird sie von dem Zufall wenig zu befahren haben. Was treibst du dich da so um, Joe? Hoffentlich fehlt doch nichts an dem Geschirre?«

»Nein, nein!« sagte Joe, obgleich er fand, daß noch vieles an dem Schnallen- und Riemenwerk zu thun war. »Ist Miß Dolly ganz wohl?«

»Sie ist gesund, ich danke. Ihr Aussehen ist gut genug.«

»Das war es immer, Sir –«

»Gott sey Dank, ja!«

»Ich hoffe,« sagte Joe nach einigem Zögern. »Ihr werdet diese Geschichte nicht weiter erzählen, daß ich nämlich geschlagen wurde, wie ein Knabe, den sie so gar gerne aus mir machen möchten – jedenfalls nicht früher, als bis ich diesen Menschen wieder getroffen und meine Rechnung mit ihm ausgeglichen habe. Die Sache wird dann ein besseres Ansehen gewinnen.«

»Ei, wem sollte ich's denn sagen?« entgegnete Gabriel. »Hier herum weiß man es, und es wird mir wahrscheinlich niemand Anders in den Weg kommen, der sich darum kümmerte.«

»Das ist freilich wahr,« sagte der junge Bursche mit einem Seufzer. »Ich habe es ganz vergessen. Ja! das ist wahr!«

Mit diesen Worten erhob er sein Gesicht, welches sehr roth war – ohne Zweifel in Folge seiner Anstrengung bei dem vorgenannten Schnallen der Riemen – übergab dem alten Manne, der inzwischen auf seinen Sitz geklettert war, die Zügel, seufzte abermals und wünschte ihm gute Nacht.

»Gute Nacht!« rief Gabriel. »Besinne dich besser über das, was wir eben besprochen haben, und sey nicht vorschnell, mein guter Freund. Ich nehme Antheil an dir und möchte nicht haben, daß du dich wegwürfest. Gute Nacht!«

Das freundliche Lebewohl mit großer Herzlichkeit erwiedernd, blieb Joe Willet außen stehen, bis das Rasseln der Räder in seinen Ohren verklungen war; dann schüttelte er traurig den Kopf und ging in's Haus zurück.

Gabriel Varden setzte seinen Weg nach London fort und dachte über dieß und das, namentlich aber über die glühenden Ausdrücke, in denen er sein Abenteuer erzählen und, so seine Einkehr in dem Maibaum genügend gegen seine Frau entschuldigen wollte, denn es handelte sich dabei um den Bruch einer gewissen feierlichen Uebereinkunft, die zwischen ihm und der genannten Dame stattgefunden hatte. Das Denken erzeugt übrigens nicht nur Gedanken, sondern hin und wieder auch Schläfrigkeit, und je mehr der Schlosser nachdachte, desto schläfriger wurde er.

Ein Mann kann sehr nüchtern seyn – oder wenigstens doch noch festen Fußes auf jenem neutralen Grunde stehen, der zwischen der vollkommenen Nüchternheit und einer kleinen Benebelung liegt – und doch eine starke Neigung fühlen, die Gegenwart mit andern Verhältnissen in Verbindung zu bringen, die durchaus in keiner Wechselbeziehung stehen, die Rücksichten auf Personen, Sachen, Zeit und Ort unter einander zu werfen und seine unzusammenhängenden Gedanken zu einer Art von geistigem Kaleidoscop zu mengen, woraus eben so unerwartete als flüchtige Zusammensetzungen hervorgehen. Dieß war auch bei Gabriel Varden der Fall, als er in seinem Halbschlummer dem mit der Straße vertrauten Pferde die Zügel ließ und so unbewußt der Heimath immer näher und näher kam. Einmal hatte er sich aufgerafft, als nämlich der Gaul vor dem Schlagbaume Halt machte, bis er geöffnet war, und dem Schlagwächter fröhlich gute Nacht zugerufen; aber er erwachte bei dieser Gelegenheit aus einem Traume, worin es ihm vorkam, als öffne er in dem Magen des Großmoguls ein Schloß, und selbst als er bereits wach war, verwechselte er den Schlagbaumwärter mit seiner vor zwanzig Jahren verstorbenen Schwiegermutter. Es darf daher Niemand Wunder nehmen, wenn er bald wieder einen Rückfall erlitt und sich schwerfällig weiter holpern ließ, ohne daß er wußte, wie er vorwärts kam.

Und jetzt näherte er sich der großen Stadt, die wie ein dunkler Schatten auf dem Boden vor ihm ausgestreckt lag, die träge Luft mit einem düstern trüben Lichte röthend – dem Wiederstrahle der Straßen- und Läden-Labyrinthe, in welchen sich geschäftige Menschen umtrieben. In größerer Nähe begann jedoch dieser Hof zu erbleichen, während die veranlassenden Momente allmälig sich zu enthüllen anfingen. Lange Reihen ärmlich beleuchteter Straßen mit gelegentlichen lichteren Stellen, wo die Lampen sich um ein Square, einen Markt oder ein großes Gebäude mehr anhäuften, ließen sich unbestimmt verfolgen; nach einer Meile wurden diese deutlicher und die Lampen selbst sichtbar: kleine gelbe Lichtpunkte, die schnell nach einander ausgelöscht zu werden schienen, wenn irgend ein dazwischentretender Gegenstand sie den Blicken verbarg. Dann vernahm man Laute – das Schlagen der Kirchthurmuhren, fernes Gebell von Hunden, das Gesumme des gewerblichen Verkehrs in den Straßen; dann wurden auch die Umrisse bestimmter – hoch in die Luft aufschießende Thürme und Massen von ungleichen, mit Schornsteinen überladenen Dächern; dann ein lauterer Lärm, entschiedener und zahlreicher hervortretende Gestalten – und endlich die Stadt selbst – sichtbar in ihrer Dunkelheit durch das matte Eigenlicht, nicht durch das des Himmels.

Der Schlosser wußte jedoch durchaus nichts von seiner ganzen Nachbarschaft, sondern rumpelte noch immer, halb schlafend, halb wachend, fort, als ihn plötzlich ein lauter Schrei, in nicht großer Entfernung vor ihm, aufweckte.

Für ein paar Augenblicke schaute er wie ein Mann umher, der in seinem Schlafe nach einem ganz fremden Lande versetzt worden ist; aber bald erkannte er die vertrauten Gegenstände, rieb sich träge die Augen aus und wäre vielleicht wieder eingeschlafen, wenn sich der Schrei nicht wiederholt hätte – aber nicht ein-, zwei- oder dreimal, sondern zu vielenmalen und stets mit möglichst erhöhter Heftigkeit. Hiedurch ganz erweckt wendete sich Gabriel, der ein kühner und nicht leicht einzuschüchternder Mann war, schnurgerade der Stelle zu, und trieb sein träges, kleines Pferd an, als gälte es Tod oder Leben.

Die Sache sah allerdings ernst genug aus, denn als er an dem Plane anlangte, von wo das Geschrei ausgegangen war, entdeckte er die Gestalt eines Mannes, der augenscheinlich leblos auf dem Wege lag, und über ihm eine andere Person mit einer Fackel in Hand, die sie mit wilder Ungeduld in der Luft schwang, und zu gleicher Zeit die Hülferufe verdoppelte, welche den Schlosser herbeigeführt hatten.

»Was gibt es hier zu thun?« fragte der alte Mann aussteigend. »Was gibt's hier – wie – Barnaby?«

Der Fackelträger schüttelte das lange, lose Haar aus den Augen, wandte sein Gesicht hastig nach dem Schlosser um und heftete den Blick mit einem Ausdruck auf ihn, der mit einemmale seine ganze Geschichte erzählte.

»Du kennst mich, Barnaby?« sagte Varden.

Er nickte – nicht ein- oder zweimal, sondern wohl ein paar Dutzendmale, und zwar mit einer fantastischen Uebertreibung, die seinen Kopf wohl eine Stunde in Bewegung erhalten haben würde, wenn nicht der Schlosser seinen Finger in die Höhe gehoben und den Andern mit einem ernsten Blicke ermahnt hätte, aufzuhören. Dann deutete er fragend auf die Leiche.

»Es ist Blut an ihm,« sagte Barnaby mit einem Schauder. »Das macht mich krank.«

»Woher kam das?« fragte Varden.

»Eisen, Eisen, Eisen!« versetzte der Andere wild, indem er seine Hand in einer Weise bewegte, als zückte er seinen Degen.

»Ist er beraubt?« fragte der Schlosser weiter.

Barnaby ergriff ihn bei der Hand und nickte »ja«; dann deutete er nach der Stadt.

»O!« sagte der alte Mann, indem er sich über den Leichnam beugte und beim Sprechen nach Barnaby's bleichem Gesichte zurücksah, in welchem etwas Seltsames aufzuckte, das nicht eben Verstand war. »Der Räuber hat in dieser Richtung Reißaus genommen, nicht wahr?«

»Nun gut, das braucht uns jetzt wenig zu kümmern. Leuchte mit deiner Fackel hieher – ein wenig weiter weg – so. Nun bleibe ruhig stehen, während ich untersuche, was er für Schaden genommen hat.«

Mit diesen Worten schickte er sich zu einer genauen Untersuchung der hingestreckten Gestalt an, während Barnaby, die Fackel auf die befohlene Weise haltend, stillschweigend zusah, festgebannt von Theilnahme oder Neugierde, aber doch von einem gewaltigen geheimen Entsetzen beklemmt, welches alle seine Nerven in convulsivische Bewegung setzte.

Wie er in diesem Augenblicke dastand, halb zurückbebend und halb vorwärts gebeugt, waren sowohl Gesicht als Gestalt in dem grellen Fackelschein so grell und deutlich beleuchtet, als ob es heller Tag wäre. Er mochte etwa dreiundzwanzig Jahre zählen, und war, obgleich etwas hager, doch hoch und stark gebaut. Sein reichliches, rothes Haar hing ihm unordentlich um Gesicht und Schulter, und gab seinen unruhigen Blicken einen ganz unheimlichen Ausdruck, der durch die Blässe seines Gesichtes und den glasigen Glanz seiner großen hervorquellenden Augen noch erhöht wurde. So abstoßend auch sein Anblick war, lag doch etwas Gutmüthiges, in seinem Antlitz, und sogar etwas Klagendes in seinem hagern, abgehärmten Aeußern. Doch die Abwesenheit der Seele ist noch weit schrecklicher bei einem lebenden Menschen, als bei einem todten, und dieses unglückliche Wesen entbehrte ihrer edelsten Kräfte. Sein grüner Anzug war hin und wieder – augenscheinlich von seinen eigenen Händen – schwerfällig mit prunkenden Borten aufgeputzt: am buntesten da, wo das Tuch am meisten abgenutzt oder beschmutzt, am ärmlichsten, wo es am besten war. Ein paar flitterige Manschetten hingen an seinen Handgelenken herunter, während sein Hals beinahe ganz bloß war. Den Hut hatte er mit einem Büschel Pfauenfedern ausstaffirt, die aber kahl und zerknickt waren und nachlässig gegen seinen Rücken herunterhingen. An seiner Seite stack der Stahlgriff eines alten Degens ohne Klinge oder Scheide, und einige zum Theil farbige Bandenden nebst etlichen armseligen Glasperlen vollendeten diesen Theil seines Anzugs. Die verwirrte Zusammenstellung des ganzen Fetzengemenges, welches seine Kleidung ausmachte, bekundete kaum in einem geringeren Grade, als sein hastiges und unruhiges Wesen, die Krankheit seines Geistes, und erhöhte noch durch den grotesken Gegensatz die eindrucksvolle Wildheit seiner Züge.

»Barnaby,« sagte der Schlosser nach einer raschen, aber sorgfältigen Beaugenscheinigung,  »dieser Mann ist nicht todt, hat aber eine Wunde in der Seite und liegt in Ohnmacht.«

»Ich kenne ihn, ich kenne ihn!« rief Barnaby, seine Hände zusammenschlagend.

»Du kennst ihn?« entgegnete der Schlosser.

»Bst!« sagte Barnaby, den Finger an seine Lippen legend. »Er ging heute aus, um zu freien. Ich nähme keine leichte Guinee, wenn er nicht wieder ausgehen könnte, zu freien, denn wenn dieß der Fall wäre, so würden gewisse Augen trübe werden, die jetzt so hell sind, wie – seht, wenn ich von Augen spreche, so kommen die Sterne zum Vorschein. Wem gehören diese Augen? Wenn es die Augen der Engel sind, warum blicken sie herunter und sehen zu, wie gute Menschen verwundet werden, und warum blinzeln und funkeln sie nur bei Nacht?«

»Nun, Gott helfe dem aberwitzigen Burschen,« murmelte der verwirrte Schlosser; »sollte er wohl diesen Herrn kennen? Seiner Mutter Haus ist nicht weit von hier, und ich thue wohl besser, wenn ich zusehe, ob sie mir wohl sagen kann, wer er ist. Mein guter Barnaby, hilf mir ihn in den Wagen legen, wir wollen ihn dann mit einander nach Hause fahren.«

»Ich kann ihn nicht anrühren!« rief der Geisteskranke mit einem Schauder, der seinen ganzen Körper krampfhaft zu durchzucken schien; »er ist blutig.«

»Ich weiß es, es liegt in seiner Natur,« murmelte der Schlosser. »Es ist zwar eine Grausamkeit, es von ihm zu verlangen, aber ich muß Hülfe haben. Barnaby – guter Barnaby – lieber Barnaby – wenn du diesen Herrn kennst, so beschwöre ich dich bei seinem Leben und dem Leben eines Jeden, der ihn liebt, hilf mir ihn aufheben und in den Wagen legen.«

»So bedeckt ihn, hüllt ihn dicht ein – laßt mich's nicht sehen – nicht riechen – das Wort nicht hören. Sprecht das Wort nicht aus – nein, thut's nicht!«

»Nein, nein, es soll nicht geschehen. Da – du siehst, er ist jetzt bedeckt. Gemach. So – so ist's recht!«

Sie brachten ihn mit Leichtigkeit auf den Wagen, denn Barnaby war stark und behend; aber während dieser ganzen Beschäftigung schauderte er vom Kopf bis zu den Füßen und befand sich augenscheinlich in einem so überwältigenden Zustande des Grausens, daß es der Schlosser kaum mit ansehen konnte.

Sobald dieß geschehen und der verwundete Mann mit Vardens eigenem Ueberrock, den er zu diesem Zweck abgenommen, bedeckt war, fuhren sie rasch weiter. Barnaby zählte inzwischen heiter die Sterne an dem Himmel ab, und Gabriel wünschte sich in seinem Innern Glück, jetzt ein Abenteuer aufgefunden zu haben, welches Frau Varden über die nächtliche Einkehr im Maibaume zum Schweigen bringen mußte, wenn anders bei Weibern Treue und Glauben zu finden war.



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