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Zweiunddreißigstes Kapitel.

Unglück kömmt nie allein, sagt ein Sprichwort. Man darf gar nicht zweifeln, daß Ungemache einen außerordentlich geselligen Charakter haben, und, da sie schaarenweise fliegen, ungemein geneigt sind, sich ganz nach ihrer Laune in Massen niederzulassen. Sie drängen sich dann um die Häupter einiger Wichte, bis auch kein Zoll mehr auf ihren unglücklichen Schädeln frei bleibt, und nehmen von Andern, die ihnen einen eben so guten Ruheplatz bieten könnten, so wenig Notiz, als ob diese gar nicht existirten. Möglich daß ein Flug von über London brütenden Sorgen sich nach Joseph Willet umsah und, da sie ihn nicht finden konnte, auf Gerathewohl dem ersten jungen Mann, der ihnen zusagte, nachstürzten, um sich seiner statt der entgangenen Beute zu bemächtigen. Wie dem übrigens seyn mag, so viel ist gewiß, daß sie an dem Tage vor Joe's Abreise Edward Chester so dicht umschwärmten und dermaßen summten, mit den Flügeln schlugen und ihm zusetzten, daß er sich höchst unglücklich fühlte.

Es war acht Uhr Abends, als er und sein Vater, Wein und Dessert vor sich, heute zum ersten Mal allein beieinander waren. Sie hatten zwar gemeinschaftlich gespeist, aber es war eine dritte Person während des Mahls zugegen gewesen, und seit gestern Abend bis zur heutigen Tafelzeit hatten sie sich mit keinem Auge gesehen.

Edward war stumm und zurückhaltend – dagegen Herr Chester heiterer als gewöhnlich, obgleich es nicht den Anschein hatte, als sey ihm viel darum zu thun, ein Gespräch mit einem Menschen zu eröffnen, dessen Stimmung so gar von der seinigen verschieden war, denn er bekundete die Heiterkeit seines Geistes nur durch sein Lächeln und durch funkelnde Blicke, ohne den Versuch zu machen, die Aufmerksamkeit des Andern zu wecken. So verblieben sie geraume Zeit – der Vater mit seiner gewohnten graziösen Nachlässigkeit auf dem Sopha ausgestreckt, der Sohn mit niedergeschlagenen Augen ihm gegenübersitzend, und, wie man deutlich sehen konnte, in unruhige und schmerzliche Gedanken vertieft.

»Mein lieber Edward,« begann endlich Herr Chester mit einem sehr gewinnenden Lachen, »dehne doch deinen einschläfernden Einfluß nicht auf die Flasche aus. Gib wenigstens diese herum und laß deinen Geist nicht ganz und gar zum Sumpfe werden.«

Edward bat um Verzeihung reichte die Flasche hin und versank in sein früheres Träumen.

»Es ist nicht recht von dir, daß du dein Glas nicht füllst,« sagte Herr Chester, indem er das seinige gegen das Licht hielt. »Der mäßige Genuß des Weines – denn das Uebermaaß macht den Menschen garstig – übt tausend angenehme Einflüsse. Er verleiht den Augen Glanz, klärt die Stimme und theilt den Gedanken und der Unterhaltung neue Lebhaftigkeit mit. Du solltest es versuchen, Ned.«

»Ach, Vater!« rief der Sohn, »wenn – –«

»Mein guter Junge,« fiel ihm der Vater hastig in's Wort, indem er sein Glas niedersetzte und die Augbrauen mit einem Ausdrucke von Verblüffung und sogar von Entsetzen in die Höhe zog, »um's Himmels willen, nenne mich nicht mit diesem abgedroschenen und veralteten Namen. Habe doch einige Rücksicht für Delikatesse. Bin ich denn grau oder runzelig, gehe ich an Krücken und habe ich meine Zähne verloren, daß du mich in dieser Weise anredest? Guter Gott, wie so gar roh!«

»Es sollte ein Vertrauen zwischen uns bestehen,« entgegnete Edward, »und ich war im Begriffe, Sir, mit Euch vom Herzen zu sprechen, aber Ihr stoßt mich zurück, noch ehe ich angefangen habe.«

»Nein, Ned, sprich ja nicht in dieser monströsen Weise,« sagte Chester, indem er seine Hand flehentlich erhob. »Von deinem Herzen willst du sprechen? Weißt du nicht, daß das Herz ein sinnreicher Bestandtheil unseres Organismus ist – der Mittelpunkt der Blutgesäße und solcher Dinge – der mit deinen Worten oder deinen Gedanken in keiner nähern Verbindung stehen sollte, als dein Knie? Wie kannst du doch so gar gemein und abgeschmackt seyn? Solche anatomischen Anspielungen sollten allein den Herren Aerzten belassen bleiben. In Gesellschaft klingen sie durchaus nicht angenehm. Wahrhaftig, du überraschest mich, Ned.«

»Nun! Es gibt also nichts, was verwundet werden könnte, das man heilen oder auf das man Rücksicht nehmen müßte. Ich kenne Euer Glaubensbekenntniß Sir, und will nicht weiter fragen,« entgegnete der Sohn.

»Da hast du schon wieder Unrecht,« erwiederte Herr Chester, seinen Wein schlürfend. »Ich sage ausdrücklich, daß es solche Dinge gibt. Wem sollte das nicht bekannt seyn. Die Herzen der Thiere – der Rinder, der Schafe u. s. w. – werden gekocht und sollen von den niedrigen Volksklassen mit großem Wohlbehagen verzehrt werden. Den Menschen fährt bisweilen ein Degen, eine Kugel durch's Herz; wenn man aber von Herzen oder zum Herzen, von warmem kalten oder gebrochenen Herzen, von Herzensfülle oder Herzlosigkeit sprechen will – pah, das ist Unsinn, Ned.«

»Kein Zweifel, Sir,« versetzte der Sohn, als er bemerkte, daß der Andere inne hielt und auf Antwort wartete. »Kein Zweifel.«

»Da ist zum Beispiel Haredale's Nichte, deine gewesene Flamme,« sagte Herr Chester, als wolle er in ihr einen gelegentlichen Beleg geben. »Ohne Zweifel meintest du einmal, sie sey ganz Herz, und jetzt hat sie gar keines. Demungeachtet ist sie aber noch ganz dieselbe Person, Ned.«

»Nein, sie ist anders geworden, Sir,« rief Edward erröthend; »und, wie ich glaube, anders geworden durch niedrige Mittel.«

»Du hast eine kühle Verabschiedung erhalten – wie?« fragte der Vater. »Armer Ned! Ich sagte dir ja letzten Abend, wie es kommen würde. – Darf ich dich um den Nußknacker bitten?«

»Man hat ein Spiel mit ihr getrieben und sie auf die hinterlistigste Weise betrogen!« rief Edward, von seinem Sitze aufstehend. »Ich werde nie glauben, daß die Kunde von meiner wahren Lage, die ich ihr selbst mittheilte, diese Veränderung bewirkt hat. Ich weiß, man setzt ihr zu und foltert sie. Aber obgleich unser Bund gelöst und unwiederbringlich zerrissen ist, obgleich ich ihr Mangel an Festigkeit und Treue sowohl gegen sich selbst, als gegen mich vorwerfen muß, so kann und werde ich doch nie glauben, daß irgend ein niedriger Beweggrund oder ihr freier, ungebundener Wille sie veranlaßt hat, diesen Weg einzuschlagen – nie!«

»Du machst,« entgegnete sein Vater heiter, »daß ich über dein thörichtes Wesen erröthen muß, in welchem sich – freilich kennen wir uns selbst nie – wie ich demüthig hoffe, kein Zug von dem meinigen wiederstrahlt. Was die junge Dame anbelangt, so hat sie ganz natürlich und geziemend gehandelt, mein Theuerster, und, so viel ich von Haredale höre, nichts Anderes gethan, als was du ihr selbst vorgeschlagen hast. Ich sagte dir's voraus, obgleich hiezu kein großer Scharfsinn gehörte. Sie hielt dich für reich, oder wenigstens reich genug für sie, und muß jetzt erfahren, daß du arm bist. Die Ehe ist ein bürgerlicher Contrakt. Man heirathet, um in bessere Verhältnisse zu kommen, und sich in der Welt zeigen zu können: es handelt sich dabei um ein Haus, Möbel, Livereien, Dienerschaft, Equipage u. s. w. Da die Dame arm ist und du gleichfalls, so hat das Liedchen ein Ende. Unter solchen Rücksichten kannst du auf Nichts eingehen und dich daher mit keiner Trauungsceremonie befassen. Ich trinke in diesem Glase ihre Gesundheit und zolle ihrem ungemeinen Verstand alle Achtung. Es ist eine Lehre für dich. Schenke dir ein, Ned.«

»Es ist eine Lehre,« entgegnete der Sohn, »von der ich hoffentlich nie einen Nutzen ziehen mag, und wenn sie auch durch die Erfahrung vieler Jahre den –«

»O rede nicht wieder von Herzen,« fiel ihm der Vater in's Wort.

»– den Menschen aufgedrückt wurde, welche durch die Welt und ihre Heuchelei sich verderben ließen,« fuhr Edward mit Wärme fort. »Gott behüte mich vor einem solchen Wissen.«

»Na, Sir,« entgegnete der Vater, indem er sich ein wenig von dem Sopha aufrichtete und ihn fest ansah; »wir haben davon schon genug gehabt. Denke gefälligst an dein eigenes Interesse, deine Pflichten, deine moralischen Verbindlichkeiten, deine Obliegenheiten als Sohn, und was dergleichen mehr ist, worüber sich so gar vergnügliche und anziehende Betrachtungen anstellen lassen – oder du wirst's noch bereuen.«

»Ich werde es nie bereuen, daß ich mir meine Selbstachtung bewahrte,« sagte Edward. »Entschuldigt, wenn ich Euch versichere, daß ich mich nie auf Euer Geheiß derselben entschlagen werde und daß ich unter keinen Umständen den Pfad verfolgen will, den Ihr mir vorgezeichnet habt, und auf den Eure geheime Betheiligung bei dieser Trennung abzielt.«

Sein Vater richtete sich noch ein wenig weiter auf und schaute ihn an, als verlangte ihn zu wissen, ob dieß wirklich sein ernster und fester Entschluß sey; dann ließ er sich sachte wieder nieder und sagte mit der ruhigsten Stimme, indem er zugleich Nüsse speiste:

»Edward, mein Vater hatte einen Sohn, der gerade so thöricht war, wie du, und eben so gemeine und rebellische Grundsätze unterhielt; aber er enterbte ihn eines Morgens nach dem Frühstück und gab ihm seinen Fluch. Der Umstand fällt mir diesen Abend mit besonderer Klarheit bei. Ich erinnere mich, daß sich damals gerade Semmeln und eine Marmelade auf dem Tisch befanden. Er führte ein miserables Leben (ich meine nämlich der Sohn) und starb früh. Jedenfalls war es eine glückliche Erlösung, denn er hatte der Familie viele Unehre gemacht. Es ist ein trauriger Umstand, wenn es ein Vater nöthig findet, zu so kräftigen Maßregeln seine Zuflucht zu nehmen!«

»Allerdings,« versetzte Edward, »aber es ist auch traurig, wenn ein Sohn den Vater im besten und wahrsten Sinne lieben und sein Pflichtgefühl beobachten möchte, sich aber allenthalben zurückgestoßen und zum Ungehorsam gezwungen fühlt. Theurer Vater,« fügte er dringender, aber in sanfterem Tone bei, »ich habe oft und vielmal Erwägungen darüber angestell was zwischen uns vorgegangen ist, seit wir uns zum ersten Mal über diesen Gegenstand besprochen. Laßt Vertrauen zwischen uns Platz greifen – nicht blos dem Worte, sondern der That nach. Hört, was ich zu sagen habe.«

»Da ich mir denken kann, was es ist, und keinen Augenblick darüber im Unklaren bin, Edward,« entgegnete sein Vater kaltblütig, »so mag ich nicht darauf eingehen. Es ist in der That unmöglich. Ich bin überzeugt, du würdest mich in üble Laune versetzen, und dieß ist ein Gemüthszustand, den ich nicht ausstehen kann. Beabsichtigst du, meine Plane für deine zukünftige Stellung im Leben und für die Aufrechthaltung jenes Anstandes und würdigen Stolzes, der so lange der Hebel unserer Familie war, zu verderben – mit einem Wort, bist du entschlossen, deinen eigenen Weg zu gehen, so magst du es haben, und meinen Fluch dazu. Es thut mir sehr leid, aber es bleibt da keine andere Wahl.«

»Mag dann auch der Fluch über Eure Lippen kommen,« sagte Edward, »er wird nicht weiter als ein leerer Schall seyn. Ich glaube nicht, daß irgend ein Mensch auf Erden eine größere Macht hat, den Fluch auf dem Haupte seines Nebenmenschen – am allerwenigsten aber seines Kindes – haften zu machen, als er im Stande ist, mit einem gottlosen Wunsche nur einen Tropfen Regen oder eine Flocke Schnee aus den Wolken herabzurufen. Seht Euch vor, Sir, was Ihr thut.«

»Du bist so gar irreligiös, so außerordentlich pflichtvergessen und ein so schrecklicher Heide,« entgegnete sein Vater, »daß ich dich hier entschieden unterbrechen muß. Es ist durchaus unmöglich, daß wir auf diesem Fuße fortfahren. Wenn du mir den Gefallen erweisen willst, die Klingel zu ziehen, so wird dir der Bediente die Thüre weisen. Ich muß bitten, daß du nicht mehr unter dieses Dach zurückkehrst. So geh' denn, wenn kein moralisches Gefühl mehr in dir zurückgeblieben ist, und fahre auf meinen ausdrücklichen Wunsch zum Teufel. Guten Tag.«

Edward verließ das Zimmer, ohne ein weiteres Wort zu sprechen oder einen Blick zurückzusenden, und kehrte dem Hause für immer den Rücken.

Das Gesicht des Vaters war leicht geröthet und erhitzt, im Uebrigen aber blieb er ganz unverändert. Er zog die Klingel und redete den Diener folgendermaßen an:

»Peak – wenn der Gentleman, der eben herausging –«

»Entschuldigt, Sir, Herr Edward?«

»War denn mehr als einer da, du Tölpel, daß du fragst? – Wenn dieser Gentleman nach seiner Garderobe herschicken sollte, so kannst du sie ihm verabfolgen, hörst du? Sollte er je selber herkommen, so bin ich nicht zu Hause. Dieß sagst du ihm und schließest die Thüre.«


So flüsterte man sich denn bald allenthalben zu, daß Herr Chester sehr unglücklich mit seinem Sohne sey, der ihm viel Gram und Sorgen gemacht habe. Und die guten Leute, die dieß hörten, erzählten es weiter, konnten sich nicht genug über den Gleichmuth des alten Herrn wundern, und meinten, er müsse doch einen höchst liebenswürdigen Charakter haben, da er nach dieser schweren Prüfung doch noch so sanft, gefällig und ruhig sein könne. Und so oft in der Gesellschaft Edward's Name ausgesprochen wurde, schüttelte man den Kopf, legte den Finger an die Lippe, seufzte und machte ein ernstes Gesicht. Und Diejenigen, welche Söhne von seinem Alter hatten, wurden ganz zornig und entrüstet, und hofften um der Tugend willen, daß er todt seyn möchte. Und die Welt wälzte sich in ihrem gewöhnlichen Geleise um fünf Jahre weiter, welche Zeit unsere Erzählung mit Schweigen übergeht.



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