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Eilftes Kapitel.

Diesen Abend gab es große Neuigkeiten für die regelmäßigen Kunden des Maibaums; denn sobald einer derselben eintrat, um den ihm angewiesenen Sitz im Kaminwinkel einzunehmen, theilte ihm John mit höchst nachdrücklicher Langsamkeit und einem apoplektischen Flüstern die Thatsache mit, daß Herr Chester allein in dem großen Zimmer oben sey und die Ankunft des Herrn Geoffrey Haredale erwarte, dem er einen Brief (ohne Zweifel drohenden Inhalts) durch den hin und wieder auf Besuch kommenden Barnaby zugesendet habe.

Für ein kleines Häufchen rauchender Plauderer, bei denen selten ein neuer Gegenstand der Unterhaltung zur Sprache kömmt, war dieß eine wahrhaftige Gottesgabe. Da ging ein gutes, düster aussehendes Geheimniß unter demselben Dache vor – recht eigentlich in's Haus und an den Herd gebracht, so daß man sich dessen ohne die geringste Mühe erfreuen konnte. Es war außerordentlich, welchen Reiz und Hochgenuß dieß dem Trinken verlieh, und wie es den Duft des würzigen Tabaks erhöhete. Jeder rauchte seine Pfeife mit einem Gesichte voll ernster und feierlicher Wonne, wobei er seinen Nachbar mit einer Art stummer Beglückwünschung ansah. Ja, man fühlte, es sey ein besonders festlicher Abend, so daß in Folge eines Vorschlages von Seite des kleinen Solomon Daisy jeder (John mit eingeschlossen) seine sechs Pence für eine Kanne Flip Ein Getränk aus Branntwein und Zucker bestehend. vor sich hinlegte, welches angenehme Getränk in aller Eile gebraut und mitten unter sie auf das Backsteinpflaster des Fußbodens gesetzt wurde – einmal, damit man es vor dem Feuer möchte sieden und zischen hören, und dann, daß ein lieblicher Geruch unter ihnen aufsteige, sich mit den kräuselnden Wolken des Tabakrauches aus ihren Pfeifen vermische und sie alle in eine eigenthümliche köstliche Atmosphäre hülle, welche sie ganz von der Welt abschlösse. Sogar die Möbeln der Gaststube schienen mildere und tiefere Farben anzunehmen; die Decken und die Wände sahen dunkler und polirter, und die Vorhänge röther als gewöhnlich aus; das Feuer loderte hell und hoch auf, und die Heimchen in dem Herdsteine zirpten mit ganz ungewöhnlicher Behaglichkeit.

Zwei waren jedoch anwesend, die nur geringen Antheil an der allgemeinen Zufriedenheit nahmen. Von diesen war der Eine Barnaby, welcher in dem Kaminwinkel schlief, oder wenigstens that, als ob er schliefe, damit ihm nicht mit Fragen zugesetzt würde; der Andere Hugh, welcher gleichfalls schlief und in dem vollen Glanze der prasselnden Flamme auf der gegenüberstehenden Bank ausgestreckt lag.

Das Licht, das auf diese schlummernde Gestalt fiel, zeigte sie in allen ihren muskulösen und schönen Verhältnissen. Es war die eines jungen Mannes, von gesundem, athletischem Bau und riesiger Kraft, dessen sonnverbranntes Gesicht und schwarzer Hals, mit pechschwarzen Haaren bewachsen, einem Maler als Modell hätten dienen können. Lose in das schlechteste und gröbste Gewand gehüllt, an welchem hie und da Heu und Strohhalme – von seinem gewöhnlichen Lager herrührend – hingen, wie sie sich auch mit seinen ungekämmten Haaren vermischten, war er in einer mit seinem Anzug wetteifernden nachlässigen Stellung eingeschlafen. Das ungeordnete Aeußere des Mannes nebst dem einigermaßen wilden Trotze, der auf seinen Zügen lag, gab ihm ein malerisches Aussehen, welches sogar die Blicke der Maibaumstammgäste, die ihn doch gut kannten, auf sich zog, und den langen Parkes zu der Aeußerung veranlaßte, Hugh sehe diesen Abend mehr als je einem schuftigen Wilddiebe gleich.

»Vermuthlich wartet er hier,« sagte Solomon, »um Herrn Haredale das Pferd abzunehmen.«

»Das ist es, Sir,« versetzte John Willet. »Ihr wißt, er ist nicht oft im Haus., Es ist ihm wohler unter Pferden als unter Menschen. Ich sehe sogar ihn selbst als ein Stück Vieh an.«

Diesen Ausspruch mit einem Achselzucken begleitend, der anzudeuten schien, »wir können nicht erwarten, daß Jedermann uns gleiche,« steckte John seine Pfeife wieder in den Mund und tauchte wie ein Mann, der seine Ueberlegenheit über den gewöhnlichen Troß des Menschengeschlechts fühlt.

»Dieser Bursche, Sir,« sagte John, sie nach einer Weile wieder herausnehmend und mit dem Wassersacke nach dem Schlafenden deutend, »hat zwar alle seine Fähigkeiten bekommen – in einer oder der andern Weise, auf Flaschen gezogen und eingestöpselt, wenn ich so sagen darf – –«

»Sehr gut!« sagte Parkes, mit dem Kopfe nickend. »Ein sehr guter Ausdruck, Johnny. Ihr seyd diesen Abend rüstig und gut im Zuge, wie ich sehe.«

»Nehmt Euch in Acht,« sagte Herr Willet, nicht sehr empfänglich für dieses Compliment,« daß ich nicht Euch in den Zug nehme, Sir, wozu ich mich gewiß herablassen will, wenn Ihr mich wieder in meinen Bemerkungen unterbrecht. – Dieser Bursche, wollte ich sagen, hat zwar alle seine Fähigkeiten – in der einen oder der andern Weise auf Flaschen gezogen und eingestöpselt, aber er besitzt nicht mehr Einbildungskraft, als Barnaby. Und warum das?«

Die drei Freunde schüttelten wechselseitig die Köpfe und deuteten durch diese Bewegung an, ohne sich mit einem Oeffnen der Lippen bemühen zu müssen: »Bemerkt ihr, welch einen philosophischen Geist unser Freund hat?«

»Warum nicht?« sagte John, mit der offenen Hand leicht auf den Tisch schlagend. »Weil sie nicht herausgezogen wurden, als er noch ein Knabe war. Darum. Was würden wir Alle seyn, wenn nicht unsere Väter unsere Fähigkeiten aus uns herausgezogen hätten? Was wäre aus meinem Jungen, dem Joe, geworden, wenn ich nicht seine Fähigkeiten aus ihm herausgezogen hätte – merkt Ihr, was ich damit sagen will, meine Herren?«

»Ah! wir begreifen,« rief Parkes. »Fahrt nur fort uns zu belehren, Johnny.«

»Daraus folgt denn,« sagte Herr Willet, »daß dieser Bursche, dessen Mutter mit noch sechs andern, als er noch ein kleiner Knabe war, gehangen wurde, weil sie falsche Banknoten ausgegeben hatten – und es ist eine Lust, wenn man denkt, wie viele ähnlichen Gelichters alle sechs Wochen haufenweise für derartige Verbrechen baumeln müssen, da es von der Wachsamkeit unserer Regierung Zeugniß gibt – daß dieser Bursche, welcher nun sich selbst überlassen war und Kühe hüten, die Vögel wegscheuchen und was weiß ich alles für etliche Pence thun mußte, um sein Leben durchzuschlagen, dann Pferdehirt wurde und im Laufe der Zeit auf dem Dachboden unter einer Streu schlafen durfte, statt unter Hecken und Heuschobern, bis er es endlich zum Stallknecht im Maibaum brachte, wo er Kost, Wohnung und einen kleinen Jahreslohn kriegt – daß dieser Bursche, der weder lesen noch schreiben kann, nie mit Jemand anders verkehrte, als mit dem Vieh, und nie anders lebte, als wie das Vieh, unter dem er sich aufhielt, selber auch ein Vieh ist. Demgemäß,« fügte Herr Willet bei, der jetzt zu einem logischen Schlusse kam, »muß er auch wie ein Vieh behandelt werden.«

»Willet,« sagte Solomon Daisy, der einige Ungeduld über das Eingreifen eines so unwürdigen Gegenstandes in ihr interessantes Thema an den Tag gelegt hatte, »verlangte Herr Chester, als er diesen Morgen ankam, das große Zimmer?«

»Er deutete mir an, Sir,« sagte John, »daß er ein großes Gelaß haben wolle. Ja! Gewiß!«

»Wohlan dann, so will ich Euch etwas sagen,« entgegnete Solomon leise und mit bedeutsamer Miene. »Er und Herr Haredale sind im Begriffe, einen Zweikampf darin auszufechten.«

Bei dieser beunruhigenden Annahme sah er männiglich auf Herrn Willet. Herr Willet seinerseits blickte nach dem Feuer und dachte über die Folgen nach, welche ein solcher Vorfall für seinen Gasthof nach sich ziehen könnte.

»Nun,« sagte John, »ich weiß nicht – ich meine – ich erinnere mich, daß er, als ich das letztemal droben war, die Lichter auf den Kaminsims gestellt hatte.«

»Es ist so klar,« erwiederte Solomon. »als daß unserem Parkes die Nase im Gesicht sitzt« – Herr Parkes, der eine große Nase hatte, rieb sie, und schnitt ein Gesicht, als betrachte er das für eine persönliche Anspielung – »sie wollen in jenem Zimmer mit einander fechten. Ihr wißt aus den Zeitungen, wie oft es unter Gentlemen vorkömmt, in den Kaffeehäusern ohne Sekundanten mit einander zu fechten. Einer von ihnen wird in diesem Hause verwundet oder gar getödtet.«

»So hat also wohl Barnaby eine Herausforderung überbringen müssen, he?« sagte John.

»Nebst einem Stück Papier darin, welches das Maß seines Degens angibt – ich wette eine Guinee,« antwortete der kleine Mann. »Wir wissen, zu welchem Schlag von Gentlemen Herr Haredale gehört, und Ihr habt uns mitgetheilt, was Barnaby nach seiner Zurückkunft von seinen Blicken sagte. Verlaßt Euch darauf, ich habe Recht. Denkt an mich.«

Der Flip hatte bis jetzt noch keinen rechten Wohlgeschmack gehabt. Der Tabak war vorher nur gemeines englisches Kraut gewesen in Vergleichung mit seinem jetzigen würzigen Dufte. Ein Duell in dem großen alten Zimmer droben, und das beste Bett für den Verwundeten!

»Wird es wohl mit Degen oder Pistolen losgehen?« fragte John.

»Das weiß der Himmel. Vielleicht mit beiden,« entgegnete Solomon. »Die Gentlemen tragen Degen, und können recht leicht, ja sogar sehr wahrscheinlich. Pistolen in ihren Taschen mitbringen. Wenn sie ohne Erfolg auf einander abgeschossen haben, so ziehen sie vom Leder, und dann geht's erst recht ernstlich an.«

Eine Wolke überflog Herrn Willet's Gesicht, wenn er an die zerbrochenen Fenster und die zerhauenen Möbeln dachte; als er aber erwog, daß doch wahrscheinlich eine der Partien am Leben bleiben würde, um den Schaden zu bezahlen, hellte es sich wieder auf.

»Und dann,« fuhr Solomon fort, die Anwesenden der Reihe nach in's Auge fassend, – »dann haben wir einen von jenen Flecken auf dem Boden, die nie wieder herausgehen. Wenn Haredale siegt, so dürft ihr euch darauf verlassen, daß es ein großer seyn wird; unterliegt er, so ist er vielleicht noch größer, denn er wird nicht nachgeben, bis er in Stücke gehauen ist. Da kennen wir ihn besser, he?«

»Allerdings besser!« flüsterten alle zusammen.

»Und was das Haften des Fleckens auf dem Boden anbelangt,« sagte Solomon, »so sage ich euch, er kann und wird nie wieder herausgehen. Ei, wißt ihr nicht, daß es in einem gewissen Hause, welches wir kennen, auch schon versucht wurde?«

»In dem Kaninchenhag?« rief John. »Nein, ist's wahr?«

»Ja, 's ist wahr – zuverlässig. Zwar haben's nur sehr Wenige gesehen, aber 's ist demungeachtet ausgekommen. Sie hobelten das Brett ab, aber er blieb. Sie hobelten tiefer, aber auch der Fleck ging tiefer. Sie legten neue Dielen, aber der große Fleck drang wieder durch und zeigte sich auf dem alten Platze. Und horcht – rückt näher – Herr Geoffrey machte dieses Zimmer zu seinem Studierzimmer und sitzt immer dort, wie ich mir sagen ließ, mit dem Fuße darauf; und er ist durch langes und vieles Nachdenken auf den Glauben gekommen, der Fleck werde nicht verschwinden, bis er den Mann findet, der die Unthat begangen hat.«

Als diese Erzählung zu Ende war und sie sich alle dichter um das Feuer drängten, ließ sich außen das Stampfen eines Pferdehufs vernehmen.

»Da kömmt er,« rief John auffahrend. »Hugh! Hugh!«

Der Schläfer half sich taumelnd auf die Beine und eilte seinem Herrn nach. John kam schnell wieder zurück und führte mit großer Ehrerbietigkeit (denn Herr Haredale war sein Grundherr) den langersehnten Gast ein, der, mit den schweren Stiefeln klirrend, in die Stube trat. Er betrachtete sich scharf die kratzfußende Gruppe und lüpfte in Anerkennung ihres tiefen Respekts seinen Hut.

»Ihr habt einen Fremden hier, der nach mir geschickt hat, Willet?« sprach er mit einer Stimme; die von Natur ernst und tief tönte. »Wo ist er?«

»In dem großen Zimmer droben, Sir,« antwortete John.

»Leuchtet mir dahin. Ich weiß, Eure Treppe ist finster. Gute Nacht, ihr Herrn!«

Er bedeutete dann dem Wirthe, voranzugehen und folgte ihm klirrend die Treppe hinauf. Der alte John leuchtete in seiner Aufregung auf Alles, nur nicht auf den Weg; und stolperte bei jeder zweiten Stufe.

»Halt,« sagte der neue Ankömmling, als er die obere Flur erreicht hatte. »Ich kann mich selbst ankündigen. Ihr braucht nicht zu warten.«

Er legte die Hand auf die Klinke, trat ein und warf die Thüre schallend zu. Herr Willet war keineswegs geneigt, allein dazustehen und zu horchen, zumal da die Wände sehr dick waren, weßhalb er mit größerer Behendigkeit, als er heraufgekommen war, wieder hinunterstieg und sich seinen Freunden anschloß.



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