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Sechstes Kapitel.

Ueber alle Maßen erstaunt durch die sonderbaren Vorfälle, die so ungestüm und hastig einander folgten, blickte der Schlosser halb versteinert auf die schaudernde Gestalt im Stuhle, und würde sie wohl noch viel länger angestiert haben, wäre ihm nicht durch Mitleid und Menschlichkeit die Zunge gelöst worden.

»Ihr seyd unwohl,« sagte Gabriel. »Ich will eine Nachbarin herbeirufen.«

»Nicht um die Welt,« versetzte sie, indem sie mit zitternder Hand ihm zuwinkte, aber noch immer das Antlitz weggewendet hielt. »Es ist genug, daß Ihr da gewesen seyd, um dieß mit anzusehen.«

»Nein, mehr als genug – oder weniger,« sagte Gabriel.

»Sey es d'rum, sey es d'rum,« erwiederte sie. »Wie Ihr wollt. Ich bitte, stellt keine Fragen an mich.«

»Nachbarin,« sagte der Schlosser nach einer Pause, »ist dieß ehrlich, vernünftig oder überhaupt nur gerecht gegen Euch selbst? Muß ich mich eines solchen zu Euch versehen, die Ihr mich so lang gekannt und in allen Dingen meinen Rath nachgesucht habt – zu Euch, die Ihr schon als Mädchen einen kräftigen Geist und ein starkes Herz besessen?«

»Ach, wohl war mir beides nöthig,« versetzte sie. »Ich werde alt an Jahren und an Kummer. Vielleicht ist dieß, im Vereine mit den erstandenen allzuvielen Heimsuchungen, Schuld daran, daß sie schwächer sind, als sie sonst zu seyn pflegten. Sprecht nicht weiter davon.«

»Wie kann ich sehen, was ich gesehen habe, und schweigen?« entgegnete der Schlosser. »Wer war dieser Mann, und warum hat sein Kommen diese Veränderung in Euch hervorgebracht?«

Sie antwortete nicht, sondern klammerte sich an den Stuhl, als fürchte sie, zur Erde zu sinken.

»Ich bediene mich der Freiheit eines alten Bekannten, Marie,« sagte der Schlosser, »der es immer gut mit Euch meinte und es vielleicht auch, wo er konnte, zu beweisen suchte. Wer ist dieser Galgenvogel und was hat er mit Euch zu schaffen? Wer ist dieses Gespenst, das sich nur in dunkeln Nächten und in grausigem Wetter schauen läßt? Wie kennt, und warum umspukt er dieses Haus, durch Spalten und Ritzen flüsternd, als bestände zwischen ihm und Euch ein Verhältniß, von dem man nicht einmal laut sprechen darf? Wer ist er?«

»Ja, wohl dürft Ihr sagen, er umspukt dieses Haus,« entgegnete die Wittwe mit matter Stimme. »Sein Schatten hat auf demselben und auf mir geruht in Licht und Finsterniß, um Mittag und um Mitternacht. Und nun ist er endlich sogar körperlich gekommen!«

»Aber er hätte nicht mehr körperlich gehen sollen,« entgegnete der Schlosser etwas gereizt, »wenn Ihr mir nur den freien Gebrauch meiner Arme und Beine gelassen hättet. Was ist das für ein Räthsel?«

»Eines, das immer bleiben muß, wie es ist,« antwortete sie aufstehend. »Ich darf es nicht wagen, mehr als dieß zu sagen.«

»Nicht wagen?« wiederholte der verwunderte Schlosser.

»Dringt nicht in mich,« versetzte sie. »Ich bin krank und jede Lebenskraft scheint in mir erstorben zu seyn. Nein – nein! Rührt mich auch nicht an.«

Gabriel, der sich genähert hatte, um ihr Beistand zu leisten, trat bei diesem heftigen Ausruf zurück und sah sie mit stummem Erstaunen an.

»Laßt mich meinen Weg allein gehen,« sagte sie mit dumpfer Stimme, »und mögen die Hände eines ehrlichen Mannes heute nicht die meinigen berühren.«

Als sie nach der Thüre gegangen war, wandte sie sich um, und fügte mit stärkerem Nachdruck bei: »Dieß ist ein Geheimniß, das ich nothgedrungen Euch anvertraue. Ihr seyd ein zuverlässiger Mann, und seyd so gut und freundlich gegen mich gewesen – bewahrt es. Wenn man oben irgend einen Lärm gehört hat, so sucht eine Ausflucht – sagt Alles, nur nicht, was Ihr wirklich gesehen habt, und laßt uns nie ein Wort oder einen Blick wechseln, um diesen Vorfall wieder zurückzurufen. Euch vertraue ich mich. Vergeßt es nicht, daß auf Euch meine Zuversicht sieht. Ihr könnt Euch keine Vorstellung machen, wie viel ich Euch vertraue.«

Sie heftete noch einmal für einen Moment ihre Augen auf ihn, worauf sie sich entfernte und ihn allein ließ.

Gabriel, der nicht wußte, was er davon denken sollte, starrte mit einem Gesichte voll unheimlicher Ueberraschung auf die Thüre. Jemehr er über den Vorfall nachdachte, desto weniger fühlte er sich im Stande, eine günstige Deutung zu finden. Zeuge zu seyn, wie diese Wittwe, von der man glaubte, sie habe viele Jahre ein einsames und zurückgezogenes Leben geführt, und die durch ihren stillen, duldenden Charakter die gute Meinung und Achtung aller Bekannten gewonnen, hatte – in einem geheimnißvollen Verkehr mit einem nichts Gutes ahnen lassenden Manne stand, über dessen Erscheinen sie sich entsetzte, und dessen Flucht sie Vorschub leistete: dieß war eine Entdeckung, die ihn eben so sehr schmerzte, als verblüffte. Ihr Vertrauen auf seine Verschwiegenheit und seine stumme Zustimmung vermehrte noch seine Betrübniß. Hätte er kühn gesprochen, auf seinen Fragen beharrt, sie zurückgehalten als sie aufstand, um das Zimmer zu verlassen, oder nur irgend eine Art von Prostestation eingelegt, statt stillschweigend einzuwilligen, wie er, das fühlte er wohl, gethan hatte, so wäre er ruhiger gewesen.

»Warum ließ ich sie sagen, es sey ein Geheimniß, das sie mir anvertraut habe?« sagte Gabriel, indem er mit einer Jammermiene auf das Feuer blickte und seine Perücke auf die andere Seite schob, um sich gemächlicher im Kopfe kratzen zu können. »Ich bin so langsam, als der alte John selbst. Warum sagte ich nicht mit Festigkeit: Ihr habt kein Recht zu solchen Geheimnissen, und ich verlange von Euch daß Ihr mir sagt, was dieß bedeutet – statt dazustehen und sie wie ein altes Mondkalb anzugaffen! Aber so ist meine Schwäche. Gegen Männer kann ich im Nothfall entschieden auftreten, aber Weiber können mich nach Belieben um ihren Finger wickeln.«

Während dieser Betrachtungen nahm er seine Perücke ab, wärmte sein Schnupftuch am Feuer und begann damit sein kahles Haupt zu reiben und zu poliren, bis es wieder glänzte.

»Und doch,« sagte der Schlosser, unter diesem beschwichtigenden Prozeß ruhiger werdend und sich einem Lächeln hingebend,»vielleicht steckt erst nichts dahinter. Jeder betrunkene Prahlhans, der es versucht hätte, in ihr Haus einzudringen, würde eine so ruhige Seele, wie sie ist, in Schrecken gesetzt haben. Aber dann« – und dieß war allerdings das Verblüffendste – »wie kam es, daß er Einfluß über sie hat? Wie kam sie dazu, sein Entkommen zu begünstigen? und was noch mehr als Alles ist, was steckt wohl dahinter, daß sie nicht sagte, es sey ein plötzlicher Schrecken und weiter nichts? Es ist traurig, wenn man in einer einzigen Minute Anlaß erhält, Mißtrauen in eine Person zu setzen, die man so lange gekannt hat, und die noch obendrein ein alter Schatz ist. Aber trotz alle dem, was kann ich anders thun? – Ist das nicht Barnaby, der draußen ist?«

»Ja!« rief er, hereinsehend und mit dem Kopfe nickend. »Gewiß ist es Barnaby – wie habt Ihr es so gleich errathen?«

»Aus deinem Schatten,« sagte der Schlosser.

»Oho,« rief Barnaby, über seine Schulter sehend. »Es ist ein lustiger Bursche, dieser Schatten, und hält immer bei mir aus, obgleich ich thöricht bin. Wir treiben allerhand Possen miteinander, laufen, rennen und purzeln auf dem Grase. Bisweilen ist er halb so groß als ein Kirchthurm, bisweilen aber auch so klein wie ein Zwerg. Das eine Mal geht er vor mir, das andere Mal hinter mir, und dann stiehlt er sich auch sachte an meiner Seite fort, bald rechts, bald links, macht immer Halt, wenn ich Halt mache, und meint wohl, ich könne ihn nicht sehen, obgleich ich ein scharfes Auge auf ihn habe. Oh! er ist ein lustiger Bursche. Sagt mir – ist er auch närrisch? Ich denke wohl, daß er es seyn muß.«

»Warum?« fragte Gabriel.

»Weil er nie müde wird, mich zu necken, sondern den ganzen Tag in einem fort macht. – Warum kommt Ihr nicht?«

»Wohin?«

»Die Treppe hinauf. Halt – wo ist sein Schatten? Ei, Ihr seyd ja ein weiser Mann; sagt mir das.«

»Neben ihm, Barnaby; vermuthlich neben ihm,« entgegnete der Schlosser.

»Nein!« versetzte Barnaby den Kopf schüttelnd. »Rathet noch einmal.«

»Vielleicht spazieren gegangen?«

»Er hat seinen Schatten mit einem Frauenzimmer ausgetauscht,« flüsterte der Andere ihm leise zu, worauf er mit einem triumphirenden Blick zurücktrat. »Ihr Schatten ist immer bei ihm, und der seinige bei ihr. Das ist doch ein Spaß, denke ich, he?«

»Barnaby,« sagte der Schlosser mit einem ernsten Blick; »komm hierher, Junge.«

»Ich verstehe; ich weiß schon, was Ihr sagen wollt,« erwiederte er, in der Ferne stehen bleibend. »Aber ich bin schlau; ich schweige. Nur zu Euch sage ich es. Seyd Ihr fertig?«

Mit diesen Worten nahm er das Licht und schwang es mit einem wilden Lachen über seinen Kopf.

»Sachte – gemach,« sagte der Schlosser, der seinen ganzen Einfluß aufbot, um ihn zu beruhigen. »Ich dachte, du hättest geschlafen.«

»Ich habe auch geschlafen,« entgegnete er mit weit offenen Augen. »Große Gesichter kamen und gingen – jetzt vor meinen Augen und dann eine Meile weit weg – niedrige Orte, durch die ich kriechen mußte, mochte ich nun wollen oder nicht – hohe Kirchthürme, um daran herunterzufallen – sonderbare Gestalten, mit Hals und Fersen zusammengekauert, die auf dem Bette saßen – das heißt schlafen, he?«

»Träumen, träumen, Barnaby,« sagte der Schlosser.

»Träumen?« echoete der Andere mit weicher Stimme, indem er näher trat. »Das sind keine Träume.«

»Was sind sie sonst, wenn sie dieß nicht sind?« versetzte der Schlosser.

»Ich träumte,« sagte Barnaby, indem er seinen Arm in Vardens Arm legte und dem Schlosser dicht in's Gesicht sah, als er flüsternd antwortete: »ich träumte eben erst, daß etwas – es war die Gestalt eines Mannes – mich verfolgte – mir leise nachkam – nicht von mir ablassen wollte – aber immer sich versteckend und duckend, wie eine Katze in dunkeln Ecken, wartend bis ich vorbeikäme; dann kroch es hervor und kam mir sachte nach. – Habt Ihr mich je laufen sehen?«

»O, du weißt, schon oft.«

»Aber nie so, wie ich in diesem Traume lief. Und immer huschte es mir nach, um mich zu erwürgen. Näher, näher, näher – Ich eilte schneller – hüpfte – sprang aus dem Bett und nach dem Fenster – und da, in der Straße drunten – Aber er wartet auf uns. Wollt Ihr kommen?«

»Was war auf der Straße drunten, lieber Barnaby?« fragte Varden, welcher meinte, es lasse sich zwischen diesem Gesichte und dem, was sich wirklich zugetragen hatte, ein Zusammenhang auffinden.

Barnaby sah ihm in's Gesicht, murmelte etwas Unzusammenhängendes vor sich hin, schwang das Licht abermals über seinem Kopfe, lachte, drückte den Arm des Schlossers  fester an sich und führte ihn die Treppe hinauf.

Sie traten in ein unscheinbares Gemach, spärlich ausgestattet mit Stühlen, deren Spindelbeine ihr Alter verriethen, und anderem ziemlich werthlosem Mobiliar, aber nett und reinlich gehalten. Hier lehnte in einem Armstuhle vor dem Feuer, blaß und durch den Blutverlust geschwächt, Edward Chester, der junge Gentleman, welchen wir Tags zuvor den Maibaum zuerst haben verlassen sehen; er streckte die Hand gegen den Schlosser aus und bewillkommnete ihn als seinen Retter und Freund.

»Sprecht nicht weiter, Sir, sprecht nicht weiter,« sagte Gabriel. »Ich glaube, ich würde für einen Jeden in solcher Lage das Gleiche gethan haben, vor Allem aber für Euch, Sir. Eine gewisse junge Dame,« fügte er mit einigem Stocken bei, »hat uns manche Gefälligkeit erwiesen, und da fühlen wir natürlich – hoffentlich findet Ihr doch nichts Beleidigendes darin, Sir?«

Der junge Mann schüttelte lächelnd den Kopf, rückte jedoch, wie im Schmerze, auf seinem Stuhle.

»Es hat nicht viel auf sich,« sagte er in Erwiederung auf den theilnehmenden Blick des Schlossers; »ein bloßes Unwohlseyn, das wohl eben so gut in der eingesperrten Stubenluft, als in meiner leichten Wunde oder in dem Blutverlust seinen Grund haben mag. Setzt Euch, Herr Varden.«

»Wenn ich so kühn seyn darf, Herr Edward, mich auf Euren Stuhl zu lehnen,« entgegnete der Schlosser, indem er seinem Worte die That folgen ließ und sich über ihn hinbeugte, »so will ich hier stehen bleiben, damit wir leiser sprechen können. Barnaby ist diesen Abend nicht in seiner ruhigsten Stimmung, und bei solchen Gelegenheiten thut ihm das Reden niemals gut.«

Sie blickten Beide nach dem Gegenstande dieser Bemerkung hin, der sich auf der andern Seite des Herdes einen Stuhl genommen hatte, ausdruckslos vor sich hinlächelte und mit einem Strange Zwirn, den er zwischen den Fingern hielt, spielte.

»Bitte, theilt mir ausführlich mit, Sir,« fuhr Varden noch leiser fort, »was gestern Abend vorgefallen ist. Ich habe meine Gründe, um zu fragen. Ihr habt den Maibaum allein verlassen?«

»Und ging allein nach Hause, bis ich nahezu den Ort erreicht hatte, wo Ihr mich fandet, als ich den Hufschlag eines galoppirenden Pferdes hörte.«

»Hinter Euch?« fragte der Schlosser.

»In der That, ja – hinter mir. Es war ein einzelner Reiter, der mich bald einholte, sein Pferd anhielt und mich um den Weg nach London fragte.«

»Hoffentlich wart Ihr doch auf Eurer Hut, Sir, da Euch nicht unbekannt sein kann, wie viel Raubgesindel die Straßen in allen Richtungen unsicher macht?« sagte Varden.

»Wohl! aber ich war nur mit einem Stock vorgesehen, da ich unklugerweise meine Pistolen in ihren Halftern bei dem Sohne des Wirths zurückgelassen hatte. Ich gab ihm die gewünschte Weisung. Ehe übrigens die Worte meinen Lippen entflogen waren, ritt er wüthend auf mich zu, als habe er die Absicht, mich unter die Hufe seines Pferdes zu treten. Während ich zur Seite wich, glitt ich aus und fiel, Ihr fandet mich mit diesem Stiche, etlichen garstigen Quetschungen und ohne meine Börse – in welcher er allerdings wenig genug für seine Mühe fand. Und nun, Herr Varden,« fügte er bei, indem er dem Schlosser die Hand drückte, »wißt Ihr, mit Ausnahme des Dankes, den ich gegen Euch fühle, so viel als ich.«

»Vielleicht noch mehr,« sagte Gabriel, indem er sich noch tiefer hinunterbeugte und mit einem vorsichtigen Blicke gegen ihren stummen Nachbar hinschaute, »vielleicht noch mehr, was den Räuber anbelangt. Wie sah er aus, Sir? Sprecht leise, wenn ich bitten darf. Barnaby meint's zwar nicht böse, aber ich hab' ihn schon öfters gesehen, als Ihr, und weiß daher, daß er uns jetzt belauscht, so wenig Ihr es auch glauben würdet.«

Es bedurfte einer starken Zuversicht zur Wahrheitsliebe des Schlossers, um diese Aeußerung glaubwürdig zu finden, denn Barnaby's ganzes Sinnen und Denken schien ausschließlich auf sein Spiel geheftet zu seyn. Ein Zug in dem Gesichte des jungen Mannes drückte auch diese Ansicht aus, denn Gabriel wiederholte, was er eben gesagt hatte, noch angelegentlicher als zuvor, und mit einem Blicke auf Barnaby fragte er nochmals, wie der Mann ausgesehen habe.

»Die Nacht war so dunkel,« entgegnete Edward, der Angriff so plötzlich und er so verhüllt und eingemummt, daß ich kaum hierüber Auskunft ertheilen kann. Es scheint, daß –«

»Nennt seinen Namen nicht, Sir,« erwiederte der Schlosser, dem Blicke des Andern gegen Barnaby folgend. »Ich weiß, daß er ihn sah. Jetzt möchte ich aber auch wissen, was Ihr gesehen habt.«

»Ich erinnere mich nur noch, daß ihm der Hut vom Kopfe flog, als er sein Pferd anhielt. Er fing ihn wieder auf und setzte ihn auf seinen Kopf, der, wie ich bemerkte, in ein schwarzes Tuch eingebunden war. Während ich im Maibaum war, kehrte ein Fremder ein, dessen ich übrigens nicht ansichtig wurde, denn ich saß aus besonderen Gründen seitwärts, und als ich aufstand, um das Zimmer zu verlassen, und umherschaute, wurde er durch den Schatten des Kamins vor meinen Blicken verborgen. Wenn aber er und der Räuber zwei verschiedene Personen sind, so waren ihre Stimmen höchst merkwürdig ähnlich, denn sobald er mich auf der Straße anredete, erkannte ich die Sprache wieder.«

»Es ist, wie ich fürchtete. Derselbe Mann war heute hier,« dachte der Schlosser, die Farbe wechselnd. »Was ist doch das für eine finstere Geschichte.«

»Halloh!« rief ihm eine heisere Stimme in's Ohr. »Halloh, Halloh, Halloh! Wau, Wau, Wau! Was gibt's da? Halloh!«

Der Sprecher – vor dem der Schlosser zurückfuhr, als wäre irgend ein ungewöhnlicher Spion zugegen – war ein großer Rabe, der, ohne von Edward oder ihm bemerkt zu werden, auf der Lehne des Armstuhles saß, mit höflicher Aufmerksamkeit zuhörte und sich das Ansehen gab, als habe er jedes bisher gesprochene Wort verstanden. Dabei drehte er seinen Kopf von dem Einen zu dem Andern, als wäre es seine Pflicht, als Schiedsrichter zwischen Beide zu treten, und als erschiene es ihm von der höchsten Wichtigkeit, ja keine Sylbe von ihrem leisen Verkehre zu verlieren.

»Da sehe man,« sagte Varden, in getheilter Verwunderung und Furcht vor dem Vogel. »Hat es je einen so schlauen Kobold gegeben? O, er ist ein fürchterlicher Bursche!«

Der Rabe drehte seinen Kopf auf die eine Seite, wobei sein helles Auge wie ein Diamant funkelte, und hielt für ein paar Sekunden ein gedankenvolles Schweigen ein; dann rief er mit einer so heiseren und ferne klingenden Stimme, daß sie eher aus seinen dicken Federn, als aus seinem Schnabel hervorzukommen schien:

»Halloh, Halloh, Halloh! Was gibt's da? Nur getrost! nicht niedergeschlagen! Wau, wau, wau! Ich bin ein Teufel, ein Teufel, ein Teufel, ein Teufel! Hurrah!«

Und dann, als frohlocke er über seinen höllischen Charakter, fing er an zu pfeifen.

»Ich glaube mehr als halb, daß er die Wahrheit spricht. Auf mein Wort, es ist mir Ernst,« sagte Varden. »Schaut nur, wie er mich ansieht, als verstünde er, was ich sage.«

Der Vogel balancirte sich nun so zu sagen auf einer Zehe, bewegte seinen Körper in einer Art von ernstem Tanze auf und ab und rief: »Ich bin ein Teufel, ein Teufel, ein Teufel!« worauf er mit den Flügeln schlug, als wolle er vor Lachen bersten. Barnaby schlug die Hände zusammen und wälzte sich recht eigentlich im Uebermaß des Entzückens auf dem Boden.

»Sonderbare Kameradschaft, Sir,« sagte der Schlosser, den Kopf schüttelnd, und bald den Menschen bald den Vogel anschauend. »Das Thier hat noch den meisten Verstand.«

»In der That sonderbar,« entgegnete Edward, seinen Zeigefinger gegen den Raben ausstreckend, der in Anerkennung dieser Aufmerksamkeit alsbald mit seinem Eisenschnabel darnach fuhr. »Ist er alt?«

»Ein bloßes Knäblein noch., Sir,« antwortete der Schlosser. »Vielleicht einhundert und zwanzig Jahre, oder so etwas. Rufe ihn herunter, Barnaby, mein Guter!«

»Ihn rufen?« entgegnete Barnaby, sich auf dem Boden aufrichtend und ausdruckslos nach Gabriel hinstierend, indem er sich zugleich das Haar aus der Stirne strich. »Ja, wer kann ihn herunterbringen? Er ruft mich und zwingt mich, hinzugehen, wo er hin will. Er geht voraus, und ich folge. Er ist der Herr, und ich bin der Diener. Habe ich nicht recht, Greif?«

Der Rabe antwortete mit einem kurzen, behaglichen und vertraulichen Krächzen – einem höchst ausdrucksvollen Krächzen, welches anzudeuten schien: »Du brauchst diese Bursche nicht in unser Geheimniß zu ziehen. Genug, daß wir uns verstehen.«

»Ich ihn herunterrufen? –« rief Barnaby, nach dem Vogel deutend – »ihn, der nie schläft, oder auch nur einnickt? Ei, Ihr könnt zu jeder Zeit der Nacht in meiner dunklen Kammer seine Augen wie zwei Funken glühen sehen. Und jede Nacht, und die ganze Nacht dazu, wacht er hellauf, spricht mit sich selbst und denkt, was er morgen thun will, wohin wir gehen müssen, und was es zu stehlen, zu verbergen und zu begraben gibt. Ich ihn herunterrufen? Ha, ha, ha!«

Nach weiterer Erwägung schien jedoch der Vogel geneigt zu seyn, von selbst herunter zu kommen. Er musterte zuerst ein wenig den Boden, und nach einigen Seitenblicken auf die Anwesenden und nach der Decke flatterte er zur Erde und ging auf Barnaby zu – nicht hüpfend, laufend oder rennend, sondern in der Weise eines stutzerhaften Gentlemans mit außerordentlich engen Stiefeln, der rasch über lose Kieselsteine hinzutänzeln versucht. Dann trat er auf Barnaby's ausgestreckte Hand, genehmigte es, daß dieser ihn auf Armslänge vor sich hinhielt, ließ eine Reihenfolge von Tönen ausströmen, die ungefähr klangen, wie wenn acht oder zehn Dutzend lange Korke ausgezogen würden, und behauptete sodann abermals mit großer Bestimmtheit seine Abstammung aus dem höllischen Schwefelpfuhl.

Der Schlosser schüttelte den Kopf – vielleicht weil er einigermaßen bezweifelte, ob dieses Geschöpf wirklich nichts Anderes als ein Vogel sey – vielleicht aus Mitleid mit Barnaby, der sich inzwischen mit seinem schwarzen Kameraden auf dem Boden umherkugelte. Als er aber seine Augen von dem armen Burschen erhob, begegnete er denen von Barnaby's Mutter, welche in das Zimmer getreten war und schweigend zuschaute.

Ihr Gesicht war schneeweiß, sogar bis auf die Lippen, aber sie hatte ihre Aufregung gedämpft und zeigte ganz wieder ihre gewöhnliche ruhige Miene. Es kam Varden vor, als bebe sie vor seinen Blicken zurück, und als mache sie sich nur um den Verwundeten so viel zu schaffen, um seinen Augen besser ausweichen zu können.

Es sey Zeit zum Schlafengehen, sagte sie. Er werde morgen in seine Heimath gebracht werden, und sey bereits um eine volle Stunde länger auf gewesen, als er hätte sollen. In Gemäßheit dieses Winkes schickte sich der Schlosser an, aufzubrechen.

»Apropos,« sagte Edward, während er ihm die Hand drückte, und von ihm auf Frau Rudge, dann wieder nach ihm zurückblickte, »was war das für ein Lärm unten? Ich unterschied deutlich Eure Stimme und hätte schon zuvor fragen sollen, aber unsere anderweitige Unterhaltung ließ darauf vergessen. Was war es?«

Der Schlosser sah die Wittwe an und biß sich in die Lippen. Sie hielt sich an einem Stuhl und senkte die Augen zu Boden. Auch Barnaby – er lauschte.

»Irgend ein Tollkopf oder Trunkenbold, Sir,« antwortete Varden endlich, ohne jedoch den Blick von der Wittwe zu verwenden. »Er irrte sich im Hause und versuchte, den Eingang zu erzwingen.«

Sie athmete freier, stand aber völlig regungslos. Als der Schlosser gute Nacht sagte und Barnaby das Licht ergriff, um ihm die Treppe hinunterzuleuchten, entriß sie ihm dasselbe und befahl ihm – mit mehr Hast und Eifer, als bei einem so unbedeutenden Anlaß nöthig erscheinen mochte, sich nicht zu rühren. Der Rabe folgte ihnen, um sich zu überzeugen, daß unten Alles richtig sey, und als sie die Hausthüre erreicht hatten, stellte er sich auf der untersten Treppe auf und zog zahllose Stöpsel aus.

Mit zitternder Hand schob sie den Riegel zurück und drehte den Schlüssel um. Als sie die Hand auf die Klinke legte, sprach der Schlosser mit leiser Stimme:

»Ich habe diesen Abend eine Lüge gesagt – um Euretwillen, Marie, wegen alter Zeiten und der alten Bekanntschaft, denn für mich selbst würde ich nimmermehr so etwas gethan haben. Ich will hoffen, daß ich nichts Schlimmes that, oder zu Schlimmem Anlaß gab. Ihr habt mir einen Argwohn beigebracht, den ich nicht unterdrücken kann, und ich muß Euch offen gestehen, daß es mir leid thut, Herrn Edward hier lassen zu müssen. Nehmt Euch in Acht, daß er nicht zu Schaden kommt. Ich zweifle, daß es unter diesem Dache geheuer ist, und bin froh, daß er es so bald verlassen kann. Jetzt laßt mich gehen.«

Sie bedeckte einen Augenblick das Gesicht mit ihren Händen und weinte. Bald aber hatte sie den heftigen Drang, den sie augenscheinlich fühlte, ihm zu antworten, unterdrückt; sie öffnete die Thüre nicht weiter, als gerade nöthig war, ihn durchzulassen, und winkte ihm, sich zu entfernen.

Der Schlosser stand noch auf der Schwelle, als die Thüre bereits hinter ihm abgeschlossen und geriegelt war, und der Rabe, als geschehe es zur Förderung dieser Vorsichtsmaßregeln, bellte wie ein wachsamer Haushund.

»Im Bunde mit diesem Spitzbubengesicht, das von irgend einem Galgen gefallen seyn mag – vielleicht horcht und versteckt sich die Canaille hier – gestern Nacht Barnaby der Erste auf dem Platze – sollte sie, die sich immer eines so guten Namens erfreute, mitschuldig seyn an solchen geheimen Verbrechen?« sagte der Schlosser nachsinnend. »Vergebe mir der Himmel, wenn ich ihr Unrecht thue, und möge er mir andere Gedanken schenken – aber sie arm, die Versuchung groß, und wir hören mit jedem Tag eben so seltsame Dinge. – Ja, belle nur zu, mein Freund. Wenn sich's hier um eine Ruchlosigkeit handelt, so möchte ich darauf schwören, daß der Rabe dabei im Spiele ist.«



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