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Einundvierzigstes Kapitel.

Aus der Werkstatt zum golden Schlüssel schallte ein so heiterer und gutgelaunter klingelnder Ton, daß man sich bei der behaglichen Musik des Gedankens an einen fröhlichen Arbeiter nicht erwehren konnte. Niemand, der in einem verdrießlichen, eintönigen Tagewerk forthämmerte, hätte dem Stahl und Eisen so herzliche Töne entlocken können; dieß war nur einem wohlgemuthen, kräftigen, ehrlichen Burschen möglich, der alles von der besten Seite nahm und wohlwollend gegen alle Welt war. Selbst als Kupferschmied hätte er musikalisch seyn müssen; und wäre er in einem holpernden Frachtwagen voll Stabeisen gesessen – ich glaube, er hätte auch in dieses Geklingel einige Harmonie bringen müssen.

Tink, tink, tink – klar, wie ein Silberglöckchen und deutlich zwischen jeder Pause in dem wilden Straßenlärm durchklingelnd, als wollte es sagen: »was kümmere ich mich darum? Nichts soll mich verstimmen; ich bin einmal fest entschlossen, glücklich zu seyn!« Weiber keiften, Kinder balgten sich, schwere Karren rollten vorbei, schreckliches Geschrei schallte aus den Lungen der Zeitungsverkäufer – und doch machte es immer wieder fort, nicht höher, nicht tiefer, nicht lauter, nicht 1eiser, ohne sich der Beachtung auch nur ein klein wenig mehr aufzudringen, weil es durch den stärkeren Lärm erstickt wurde – tink, tink, tink, tink.

Es war eine vollkommene Verkörperung der leisen, kleinen Stimme, frei von Schnupfen, Heiserkeit, Rauhheit, oder sonstigem Unwohlseyn; die Fußgänger bewegten sich langsamer und zeigten sich geneigt, in ihrer Nähe zu weilen, die Nachbarn, welche am Morgen verdrießlich aufgestanden waren, fühlten einen Anflug von guter Laune, während sie darauf horchten, und wurden allmälig ganz heiter; Mütter tanzten bei dem Schalle mit ihren Kindlein, und immer noch erscholl dasselbe magische Tink, tink, tink aus der Werkstatt zum goldenen Schlüssel.

Wer anders als der Schlosser hätte eine solche Musik machen können? Ein Sonnenstrahl leuchtete durch das offene Fenster und fiel, die dunkle Werkstatt mit einem breiten Lichtstrahle kreuzend, geradezu auf den Arbeiter, als würde er von dessen sonnigem Herzen angezogen. Da stand er vor seinem Ambos, das Gesicht über und über leuchtend von Geschäftigkeit und Frohsinn, die Aermel zurückgeschlagen, die Perücke der glänzenden Stirne entnommen – der behaglichste, freieste und glücklichste Mann auf der ganzen Welt. Neben ihm saß eine geleckte Katze, schnurrend und blinzelnd im Lichte, und hin und wieder, wie im Uebermaß der Behaglichkeit, in ein müßiges Schläfchen verfallend. Toby schaute von einem hohen Fenster nieder – ein strahlendes Lächeln von seinem breiten nußbraunen Gesichte an bis zu seinen kohlschwarz gebrannten Schuhschnallen. Sogar die umherhängenden Schlösser hatten etwas Fideles in ihrem Rost und schienen, wie gichtische Gentlemen von kräftigem Wesen, über ihre Gebrechen zu scherzen. Da war auch nicht eine Spur von sauertöpfischer Strenge in dem ganzen Raum. Es schien unmöglich, daß einer der zahlreichen Schlüssel in eine knauserige Geldkiste oder in das Schloß einer Gefängnißthüre passen könnte. Bier- und Weinkeller, Zimmer mit lodernden Feuern, Büchern, luftigem Geplauder und frohem Gelächter – diese schienen in ihre Wirkungssphäre zu gehören. Orte des Mißtrauens, der Grausamkeit und des Zwanges würden sie für immer vierfach verschlossen haben.

Tink, tink, tink. Der Schlosser hielt endlich inne und wischte sich die Stirne. Das Schweigen weckte die Katze, die, sachte hinunterspringend, nach der Thüre kroch und mit Tigerblicken einen Vogelkäfig an einem nahen Fenster bewachte. Gabriel erhob den Toby an seinen Mund und that einen kräftigen Zug.

Dann, als der Meister gerade stand, den Kopf zurückgeworfen und die stattliche Brust vorgestreckt, konnte man sehen, daß seine untern Partieen in Soldatenkleidern steckten. Ein Blick auf die Wand zeigte dem Zuschauer an mehreren Nägeln eine Blechhaube sammt Federbusch, einen Säbel, eine Schärpe und einen Scharlachrock, woraus jeder in derartigen Dingen Kundige entnehmen konnte, daß die Uniform den Schnitt und die Auszeichnung eines Sergeanten bei den königlichen Ost-Londoner Freiwilligen hatte. Der Schlosser stellte den leeren Krug wieder auf den Sims, von wo aus derselbe zuvor auf ihn herniedergelächelt hatte, überschaute seine Armatur mit lachendem Auge, neigte dann den Kopf zur Seite, als ob er alles in einen Brennpunkt zusammenfassen wollte, und begann endlich, auf seinen Hammer gelehnt, folgendermaßen:

»Ich erinnere mich wohl noch der Zeit, wo ich fast toll wurde vor lauter Begier, einen Rock von dieser Farbe zu tragen. Und wie wurde ich gefeuert und geschäumt haben, wenn mich einer (mit Ausnahme meines Vaters) für die Mühe, die ich mir gab, einen Narren geheißen hätte; aber doch, was muß ich nicht in der That für ein Narr gewesen seyn!«

»Ach,« seufzte Frau Varden, die unbemerkt eingetreten war. »Freilich ein Narr. Ein Mann von deinem Alter, Varden, sollte wenigstens jetzt gescheidter seyn.«

»Ei, was du doch für ein lächerliches Weib bist, Martha,« sagte der Schlosser, sich mit heiterer Stimme umwendend.

»Natürlich,« versetzte Frau Varden, die plötzlich ungemein steif wurde. »Ich kann freilich nichts anderes seyn. Ich weiß das, Varden. Danke gar schön.«

»Ich wollte sagen –« begann der Schlosser.

»Ja,« entgegnete seine Gattin, »ich weiß, was du sagen wolltest. Du sprichst ja offen genug, um verstanden zu werden, Varden. Es ist sehr freundlich von dir, daß du dich dabei meiner Fassungsgabe anbequemst – zuverlässig.«

»Bst, bst, Martha,« erwiederte der Schlosser, »thu' nicht gleich empfindlich über Nichts. Ich wollte sagen, es sey sonderbar von dir, daß du über die Freiwilligen losziehst, die doch nur den Zweck haben, dich und die übrigen Weiber, wie auch unsere Heimstätten insgesammt im Fall der Noth zu vertheidigen.«

»Es ist unchristlich,« rief Frau Varden, ihren Kopf schüttelnd.

»Unchristlich?« entgegnete der Schlosser. »Ei, was zum Teufel –«

Frau Varden schaute zur Decke hinauf, als erwarte sie, daß in Folge dieser Gottlosigkeit alsbald die Himmelsbettstatt im zweiten Stock nebst dem besten Besuchszimmer in dem ersten herniederstürze; da aber kein so augenfälliges Gericht eintrat, so holte sie einen tiefen Seufzer und bat ihren Gatten im Tone der Ergebung, nur fortzufahren und immerhin sich so gotteslästerlich als nur möglich auszudrücken, weil er wisse, welche Freude sie daran habe.

Der Schlosser that einen Augenblick, als schiene er geneigt, zu willfahren, schluckte es aber mit Gewalt wieder hinunter und erwiederte milde:

»Ich wollte sagen, wie um aller Welt willen du es unchristlich nennen kannst? Was würde da unchristlicher seyn, Martha – ruhig die Hände in den Schoos zu legen und unsere Häuser durch eine fremde Armee ausplündern zu lassen, oder wie Männer hinzugehen und sie fortzujagen? Das wäre mir ein sauberes Christenthum, wenn ich in den Kaminwinkel kröche und zuschaute, wie ein Haufen schnurrbärtiger Wilder Dolly davon trüge – oder dich?«

Als er sagte »oder dich«, verzog sich Frau Varden's Mund unwillkürlich zu einem Lächeln. Es lag etwas Schmeichelhaftes in dieser Vorstellung.

»Wenn es so stünde, dann allerdings« – zimperte sie.

»Wenn es so stünde?« wiederholte der Schlosser, »Nun, so weit könnte es alsbald kommen. Sogar der Miggs könnte es auf die Nähte gehen. So ein schwarzer Tambourinspieler, mit einem großen Turban auf dem Kopfe, könnte sie mit fortnehmen, und er würde meiner Ansicht nach am schlimmsten dabei fahren, wenn er nicht ganz fest gegen Kratzen und Ausschlagen wäre. Ha, ha, ha! Ich wollte dem Tambourinspieler wohl verzeihen und mich keineswegs drein mengen – der arme Bursche!«

Und damit lachte der Schlosser wieder so heftig, daß ihm die Thränen in die Augen traten – sehr zu Frau Vardens Entrüstung, welche den Raub einer so guten Protestantin und eines so achtbaren Charakters, als Miggs war, durch einen heidnischen Neger als einen Umstand betrachtete, woran schon der Gedanke herzbrechend und entsetzlich war.

Das von Gabriel ausgeführte Bild drohte in der That mit ernstlichen Folgen, und würde sie ohne Zweifel auch herbeigeführt haben, wenn nicht zum Glück in diesem Augenblick ein leichter Fußtritt über die Schwelle gehüpft und Dolly ihrem alten Vater in die Arme geflogen wäre.

»Das ist sie endlich!« rief Gabriel. »Und wie gut du aussiehst, Doll. Und warum so spät, mein Liebling?«

Wie gut sie aussah! Gut? Ei, wenn er alle lobspendende Beiwörter in dem ganzen Wörterbuch zusammengelesen haben würde, so hätte er nicht genug zu ihrem Lobe sagen können. Wann und wo gab es je in der Welt ein so rundes, schelmisches, stattliches, helläugiges, verlockendes, behexendes, gewinnendes und wahnsinnig machendes kleines Dirnchen, als Dolly? Was war die Dolly vor fünf Jahren gegen die Dolly von heute? Wie viele Wagenmacher, Sattler, Kunstschreiner und Meister von anderen nützlichen Künsten hatten aus Liebe zu ihr Väter, Mütter, Schwestern, Brüder, und die meisten davon ihre Bäschen verlassen? Wie viele unbekannte Gentlemen – vermuthlich von ungeheurem Vermögen, wo nicht gar mit hohen Titeln – hatten drüben an der Ecke nach der Dämmerung gelauert und Miggs, die Unbestechliche, mit goldenen Guineen zu verlocken gesucht, ihre Heirathsanträge in zierlich gefalteten Liebesbriefen zu überbringen? Wie viele trostlose Väter und vermögliche Gewerbsleute hatten dem Schlosser in gleicher Absicht ihre Aufwartung gemacht, schauerliche Dinge von ihren Söhnen erzählend, wie sie ihren Appetit verloren hätten, sich in dunkle Schlafkammern einschlössen, mit blassen Gesichtern in abgelegenen Vorstädten umherwanderten – und alles nur wegen Dolly Varden's Liebenswürdigkeit und Grausamkeit? Wie viele junge Männer, die vorher unvergleichlich gesetzt gewesen, waren aus demselben Grunde Wildfänge und gottlose Bursche geworden und hatten in dem Grame unerwiederter Liebe angefangen, Thürklopfer abzureißen und die Hütten rheumatischer Wächter umzureißen? Wie viele Rekruten hatte sie sowohl der königlichen Marine, als den Milizen geliefert, weil sie Seiner Majestät getreue Unterthanen zwischen dem achtzehnten und fünfundzwanzigsten Jahre in Verzweiflung stürzte? Wie viele junge Damen hatten öffentlich, mit Thränen in den Augen, versichert, sie käme ihnen viel zu klein, zu groß, zu keck, zu kalt, zu beleibt, zu dünn, zu blond, zu schwarz – kurz als alles, nur nicht schön vor? Wie viele alte Frauen hatten bei ihren Theevisiten dem Himmel gedankt, daß ihre Töchter nicht wären, wie sie, und die Hoffnung ausgesprochen, es möchte nicht noch zu bösen Häusern gehen, da einmal nichts Gutes dabei herauskommen könne, und sich gewundert, was doch die Leute an ihr fänden – bis sie regelmäßig zu dem Schlusse kamen, sie sey im Verblühen, oder habe nie geblüht, und sie sey mit einem Worte eitel Betrug und durchaus gar nicht das, wofür man sie ansehe?

Und doch, da war dieselbe Dolly Varden, so grillenhaft und so wählig, daß sie noch immer Dolly Varden war – dabei aber so lächelnd, mit so lieblichen Grübchen im Gesicht, und so unbekümmert um die fünfzig oder sechzig junge Bursche, denen in demselben Augenblicke aus lauter Verlangen, sie zu heirathen, die Herzen brechen wollten, als wären sie eben so viele Austern, die Liebesnöthen hatten und nachher aufgemacht wurden.

Wie also gesagt, Dolly umarmte ihren Vater, und nachdem sie der Mutter den gleichen Zärtlichkeitsbeweis gegeben hatte, begleitete sie Beide nach der kleinen Wohnstube, wo der Tisch bereits für das Mittagessen gedeckt war, und wo Miß Miggs – ein wenig steifer und knöcherner als vordem – sie mit einer Art hysterischem Keuchen empfing, das ein Lächeln vorstellen sollte. In die Hände dieser lieblichen Jungfrau übergab sie ihr Hütchen und ihre Mantille – (beides von einem schrecklich hinterlistigen und trugvollen Schnitte) – und dann begann sie mit einem Lachen, das mit des Schlossers Musik wetteiferte:

»Wie froh bin ich immer, wenn ich wieder zu Hause bin!«

»Und wie froh sind wir immer, Doll,« sagte ihr Vater, indem er ihr die schwarzen Locken von den leuchtenden Augen zurückstrich, »dich zu Hause zu haben. Gib mir einen Kuß.«

Wenn sonst Jemand männlichen Geschlechtes zugegen gewesen wäre (was übrigens nicht der Fall war), und Zeuge hätte seyn müssen, wie sie dem Wunsche ihres Vaters entsprach – nein, es hätte ihn in tiefster Seele erbarmen müssen.

»Es in mir nicht lieb, daß du nach dem Kaninchenhag gehst,« sagte der Schlosser. »Ich kann's nicht ausstehen, wenn ich dich aus den Augen verliere. Und was gibt es Neues dort, Doll?«

»Nun, ich dächte, Ihr wüßtet dieß bereits,« versetzte die Tochter. »Ich wette darauf, Ihr wißt es schon.«

»Der Tausend!« rief der Schlosser. »Und was denn?«

»Pah, pah,« sagte Dolly, »es kann Euch nicht unbekannt seyn. Ich verlange von Euch, daß Ihr mir sagt, warum Herr Haredale – ach, und wie mürrisch und verschlossen er wieder ist – seit mehreren Tagen schon vom Hause fort ist, und warum er umherwandert (wir wissen aus seinen Briefen, daß er sich an keiner bleibenden Stätte aufhält), ohne seiner Nichte ein Warum oder Weßwegen anzugeben.«

»Ich will darauf schwören, daß es Miß Emma nicht zu wissen verlangt,« entgegnete der Schlosser.

»Das weiß ich nicht« sagte Dolly; »aber ich verlange es zu wissen, um jeden Preis. Sagt mir's. Warum thut er so geheimnißvoll, und was ist's mit dieser Geistergeschichte, die Miß Emma von Niemand erzählt werden soll, obgleich sie mit seinem Weggehen in Verbindung zu stehen scheint. Nun, ich sehe, daß Ihr es wißt, sonst würdet Ihr nicht so roth werden.«

»Was es mit der Geschichte ist, was sie besagen soll, oder was sie damit zu schaffen hat, weiß ich eben so wenig als du, meine Liebe,« erwiederte der Schlosser; »vermuthlich ist's nichts weiter, als ein thörichter Schrecken von dem kleinen Solomon, hinter dem wahrscheinlich kein Sinn steckt. Was Herrn Haredale's Reise anbelangt, so hat sie, wie ich glaube –«

»Ja?« sagte Dolly.

»Wie ich glaube,« nahm der Schlosser wieder auf, indem er sie in die Wange kniff, »eine Geschäftsangelegenheit zum Zweck, Doll. Wovon sich's dabei handelt, das ist eine andere Frage. Lies den Blaubart und sey nicht allzu neugierig, Schätzchen. Verlaß dich darauf, es geht weder dich, noch mich etwas an – und da ist das Essen, das ich weit mehr am Platze finde, als ein solches Verhör.«

Dolly hätte, trotz dem, daß das Essen bereits auf dem Tische stand, gerne noch Manches gegen diese summarische Abfertigung des Gegenstandes eingewendet, aber bei der Erwähnung des Blaubart legte sich Frau Varden mit der Versicherung in's Mittel, daß sie es mit ihrem Gewissen nie vereinigen könne, ruhig da zu sitzen und anzuhören, wie man ihrem Kinde das Lesen der Abenteuer eines Türken und Muselmannes anempfehle – geschweige denn eines fabelhaften Türken, denn ein solcher mußte ihrer Ansicht nach der genannte Potentat seyn. Sie hielt dafür, daß es in solchen aufgeregten und schrecklichen Zeiten, wie die gegenwärtigen, weit zweckmäßiger wäre, wenn Dolly regelmäßig auf den Donnerer subscribirte, wo sie doch Gelegenheit hätte, Lord George Gordon's Reden Wort für Wort zu lesen, denn gewiß würde sie hieraus weit mehr Trost und Beruhigung erholen, als aus hundert und fünfzig Blaubärten zusammengenommen. Zu Unterstützung ihres Vorschlages berief sie sich auf die anwesende Miß Miggs, welche hierauf ohne Weiteres versicherte, der Seelenfrieden, den sie der Lektüre dieses Blattes im Allgemeinen und eines Artikels aus der letzten Woche, der die Aufschrift hatte: »Großbrittanien in Blut getränkt,« in's Besondere verdanke, sey ganz unglaublich; derselbe Aufsatz, fügte sie bei, habe auch eine so tröstliche Wirkung auf das Gemüth ihrer verheiratheten Schwester auf dem goldenen Löwenhof Nr. 27, zweite Klingel rechter Hand, geübt, daß sie, gerade in delikaten Gesundheitsverhältnissen sich befindend und mit jedem Tag einen Zuwachs ihrer Familie erwartend, unmittelbar nach dem Lesen desselben in Krämpfe verfallen und seitdem immer von der Inquisition delirirt habe – zur großen Erbauung ihres Gatten und ihrer Freundinnen. Miß Miggs beliebte ferner zu sagen, daß sie allen verhärteten Gemüthern empfehlen wolle, Lord George selber zu hören, den sie zuvörderst wegen seines beharrlichen Protestantismus, dann wegen seiner Rednergabe, dann wegen seiner Augen, dann wegen seiner Nase, dann wegen seiner Beine, und schließlich wegen seiner Figur im Allgemeinen höchlich belobte, sintemal letztere ihrem Ermessen nach sich für jede Statue eines Fürsten oder Engels qualifiziren würde – eine Ansicht, welcher Frau Varden aus vollem Herzen beipflichtete.

Sobald Frau Varden einmal ihren Beitrag dazu gegeben hatte, blickte sie nach einer Büchse auf dem Kaminmantel, ganz in der Form eines sehr rothen Ziegelhauses mit gelbem Dache, das oben einen wirklichen Schornstein hatte, durch welchen freiwillige Subscribenten ihre Gaben an Silber, Gold oder Pencen in die Wohnstube hinunterfallen ließen; auch befand sich an der gewaltigen Thüre die Nachahmung eines Messingschildes, worauf ganz leserlich die Worte »protestantische Association« geschrieben waren. Danach blickte sie also hinauf und sagte, es mache sie höchst unglücklich, denken zu müssen, daß Varden von seinem ganzen Reichthum nie etwas in diesen Tempel habe fallen lassen, als einmal im Geheim – wie sie nachher gefunden – zwei Bruchstücke von einer Tabakspfeife, die ihn, wie sie hoffen möchte, jenseits nicht auf der Seele brennen sollten. Mit Schmerz müsse sie sagen, daß Dolly eben so saumselig in ihren Beiträgen sey, und sich lieber Bänder und solche Siebensachen kaufen, als die große Sache in ihrer dermaligen schweren Bedrängniß ermuthigen möge; sie bitte sie daher auf's Dringendste (denn sie fürchte, daß sich ihr Vater nie werde bewegen lassen) diesen wichtigen Punkt nicht auf die leichte Achsel zu nehmen, sondern das glänzende Beispiel der Miß Miggs nachzuahmen, welche ihren Lohn, so zu sagen, dem Pabste geradezu in's Gesicht würfe und ihm mit ihren Sparpfennigen Beulen in den Kopf schlüge.

»Oh, Ma'am,« sagte Miggs, »thut doch nicht auf dieß anspielen. Ich habe nicht im Sinne, daß es Jemand wissen soll. Solche Opfer, wie ich sie bringen kann, sind nichts weiter als ein Wittwenscherflein. 'S ist alles, was ich habe,« rief Miggs, in einen Strom von Thränen ausbrechend – denn sie kamen bei ihr nie einzeln – »aber es wird mir auf eine andere Weise wieder hereinkommen; ja, 's wird mir wieder hereinkommen.«

Dieß war allerdings sehr wahr, obschon vielleicht nicht in dem Sinne, in welchem es Miggs meinte. Da sie nie ermangelte, ihre Selbstverläugnung ihrer Gebieterin gehörig vor Augen zu stellen, so zog sie aus diesem Umstande so viele Gaben von Hauben, Kleidern und anderen Anzugsartikeln, daß im Ganzen das rothe Ziegelhaus wohl die beste Hypothek war, die sie für ihre kleinen Capitalien möglicherweise hätte auffinden können, da sie davon ihre sieben bis acht Prozent Interessen an Geld, und wenigstens fünfzig an Ehre und Reputation zog.

»Sie braucht nicht zu weinen, Miggs,« sagte Frau Varden, gleichfalls in Thränen; »sie braucht sich nicht zu schämen, obgleich Ihre arme Gebieterin auf derselben Seite steht.«

Miggs heulte bei dieser Bemerkung ganz besonders kläglich und sagte, sie wisse wohl, daß der Meister sie hasse. Es sey schrecklich, in Familien zu leben, wo man auf Abneigung stoße und nichts zur Zufriedenheit machen könne. Sie könne den Gedanken nicht ertragen, daß sie Anlaß zu Zwiespalt geben sollte, und auch ihr Herz lasse dieß nicht zu. Wenn es daher der Wunsch des Meisters sey, daß sie aus dem Hause solle, so sey es das Beste, wenn sie gehe; sie hoffe, er werde dann glücklicher seyn, und wünsche ihm alles Gute, namentlich aber, daß er Jemanden finden möge, der besser nach seinem Geschmack sey; freilich wäre es eine harte Prüfung, sagte sie, sich von einer solchen Gebieterin trennen zu müssen; aber sie könne alles über sich ergehen lassen, wenn sie in ihrem Innern sich keines Unrechts zeihen müsse, weßhalb sie auch bereit sey, sich sogar diesem zu unterziehen. Sie glaube nicht, fügte sie bei, daß sie die Trennung würde lange überleben können; aber da man sie hasse und mit scheelen Augen ansehe, so werde sie vielleicht der Tod in möglichster Bälde alles Weiteren überheben. Nach diesem rührenden Schluß vergoß Miß Miggs noch mehr Thränen und schluchzte erbärmlich.

»Kannst du dieß ertragen, Varden,« sagte seine Gattin mit feierlicher Stimme, indem sie Messer und Gabel niederlegte.

»Je nun, nicht besonders, meine Liebe,« versetzte der Schlosser; »aber ich versuche es, mich in guter Laune zu erhalten.«

»Verliert da keine Worte um meinetwillen, Ma'am,« schluchzte Miggs. »Es ist bei Weitem das Beste, wenn ich wandere. Ich möchte nicht bleiben – ah, barmherziger Himmel! – und Zwiespalt veranlassen, nicht um eine jährliche Goldmine und um einen Fund in Thee und Zucker.«

Damit der Leser nicht in Ungewißheit über den Grund von Miggs gewaltiger Aufregung bleibe, müssen wir ihm in der Stille mittheilen, daß die gute Jungfer es liebte, den Gesprächen zwischen Gabriel und seinem Weibe zuzuhorchen, und daß sie gerade bei dieser Gelegenheit den Scherz des Schlossers, hinsichtlich des schwarzen Fremden, der die Tambourine spielte, mit angehört hatte. Dieser Hohn hatte den grimmigsten Aerger in ihrer schönen Brust entflammt, und sie mußte sich in der angeführten Weise Luft machen. Nachdem übrigens die Angelegenheiten auf diese Höhe gekommen waren, gab der Schlosser, wie gewöhnlich, um des lieben Hausfriedens willen nach.

»Warum weint denn das Weibsbild?« fragte er. »Was schwatzt sie denn eigentlich? Ich hasse sie nicht, wie überhaupt keinen Menschen. Trockne Sie ihre Augen, heitere Sie sich um's Himmels willen wieder auf, und mögen wir Alle glücklich seyn, so lange wir es können.«

Die vereinigten Mächte hatten Feldherrntakt genug, dieß für eine hinreichende Genugthuung von Seiten des Feindes zu betrachten; das Bekenntniß, daß er Unrecht gehabt, trocknete ihnen die Augen und ließ sie das Ganze aus dem besten Gesichtspunkte nehmen. Miß Miggs erklärte, daß sie keinen Groll im Herzen trage – nicht einmal gegen ihren größten Feind, den sie im Gegentheil nur noch um so mehr liebe, je mehr sie Verfolgungen von ihm auszustehen habe. Frau Varden belobte diesen demüthigen und versöhnlichen Geist höchlich und bedingte gelegentlich als Schlußartikel des Friedensvertrags, daß Dolly sie diesen Abend noch nach dem Clerkenweller Filialzweig der Association begleiten solle. Das war aber auch ein außerordentlicher Beleg für ihre große Klugheit und Politik, denn sie hatte dieß schon vom Anfang an im Auge gehabt, dabei aber ein geheimes Bedenken unterhalten, der Schlosser, der immer sehr kühn war, wenn es sich um Dolly handelte, könnte Einwendungen dagegen machen; Miß Miggs mußte daher den Hebel abgeben, um den Gatten in Nachtheil zu setzen. Das Manöver gelang so gut, daß Gabriel blos ein saures Gesicht machte, des kürzlichen Auftritts aber noch zu sehr eingedenk, kein Wort zu sagen sich getraute.

Der Zwist wurde schließlich damit ausgeglichen, daß Miggs von Frau Varden mit einem Kleide und von Dolly mit einer halben Krone beschenkt wurde, als hätte sie sich auf dem Pfad der Tugend und Sittlichkeit außerordentlich hervorgethan. Frau Varden, ihrer Gewohnheit gemäß, sprach die Hoffnung aus, Herr Varden werden sich das Vorgegangene zur Lehre dienen lassen und sich für die Zukunft eines edleren Betragens befleißigen. Inzwischen war jedoch das Essen kalt geworden, und da durch die Einleitungsscene der Appetit der betheiligten Parteien keineswegs sonderlich stimulirt worden war, so fügten sie sich eben geduldig in die Sachlage, »als gute Christen«, wie Frau Varden bemerkte.

Da auf diesen Abend große Parade der Ostlondoner Freiwilligen anberaumt war, so ging der Schlosser nicht wieder an's Geschäft, sondern hielt gemächlich, die Pfeife in dem Mund und den Arm um sein hübsches Töchterlein geschlungen, seine Siesta; dabei warf er von Zeit zu Zeit seiner Frau liebevolle Blicke zu, und war mit einem Worte vom Scheitel bis zur Sohle nur ein Bild lächelnden Frohsinns. Und als endlich die Zeit heranrückte, sich in seinen militärischen Ornat zu werfen, wobei ihm Dolly auf die liebevollste Weise half, Knöpfe und Schnallen zuzumachen, ihn auszubürsten und ihm in den engsten Rock hineinzuhelfen, den je ein sterblicher Schneider gemacht hatte – da war er in der That der stolzeste Vater in ganz England.

»Was es für eine gewandte Dirne ist!« sagte der Schlosser zu Frau Varden, die mit verschlungenen Armen daneben stand – auch etwas stolz auf ihren Gatten – während Miggs die Blechhaube und den Säbel hielt, letzteren auf Armslänge hinausstreckend, als traute sie nicht ganz, ob derselbe nicht Lust bezeugen könnte, Jemandem aus eigenem Antrieb in den Leib zu fahren; »aber heirathe mir nie einen Soldaten, meine liebe Dolly.«

Dolly fragte nicht warum, ja, sie sagte überhaupt gar nichts darauf, sondern beugte nur ihr Köpfchen tief nieder, um ihrem Vater die Schärpe zu knüpfen.

»Ich kann nie in diesen Rock schlüpfen« sagte der ehrliche Gabriel, »ohne an den armen Joe Willet zu denken. Ich habe Joe gern gehabt; er war immer mein Liebling. Armer Joe! Liebes Herzensmädel, knüpfe mich nur nicht so fest ein.«

Dolly lachte – freilich gar nicht wie sonst – es war das seltsamste kurze Lachen, das es geben konnte – und senkte ihren Kopf noch tiefer.

»Der arme Joe!« nahm der Schlosser, mit sich selber sprechend, wieder auf, »wenn er nur zu mir gekommen wäre. Ich hätte zuverlässig die Sache zwischen ihm und seinem Vater wieder in's Geleise gebracht. Ah! der alte John hat in der Art, wie er den Jungen behandelte, einen großen Fehler gemacht – einen gewaltigen Fehler. – Bist du mit der Schärpe noch nicht fertig, meine Liebe?«

Wie bitter übel diese Schärpe saß! Da war sie schon wieder los und hing auf den Boden hinunter, Dolly mußte niederknieen und wieder von Vorne anfangen.

»Schweig mir nur mit deinem jungen Willet, Varden,« sagte sein Weib stirnerunzelnd. »Es gibt, glaube ich, noch Andere, die mehr verdienen, daß man von ihnen spricht.«

Miß Miggs schnaubte zu dem gleichen Endzweck gewaltig durch die Nase.

»Nein, Martha,« rief der Schlosser, »wir müssen ihn nicht zu hart beurtheilen. Wenn der Junge wirklich todt ist, so wollen wir wenigstens sein Andenken in Ehren halten.«

»Ein entlaufener Vagabund!« sagte Frau Varden.

Miß Miggs ertheilte in der vorbemerkten Weise ihre Zustimmung. »Entlaufen wohl, meine Liebe, aber kein Vagabund,« entgegnete der Schlosser in sanftem Tone. »Er hat sich ordentlich aufgeführt, der Joe – immer – und war ein hübscher, mannhafter Bursche. Nenne ihn doch keinen Vagabunden, Martha.«

Frau Varden hustete – und Miggs that deßgleichen.

»Es war ihm immer sehr darum zu thun, deine gute Meinung zu gewinnen, Martha, kann ich dir sagen,« sagte der Schlosser, indem er sich lächelnd das Kinn streichelte. »Ja, gewiß und wahrhaftig. Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen, daß er mich eines Abends im Maibaum zur Thüre hinausbegleitete und mich bat, ich möchte nicht sagen, daß man ihn wie einen Knaben behandle – er meinte, ich solle es hier zu Hause nicht sagen, obgleich ich mich entsinne, daß ich es damals nicht recht verstand. ›Und was macht Miß Dolly, Sir?‹ sagte Joe,« fuhr der Schlosser, in kummervollen Gedanken fort. »Ach! der arme Joe!«

»Nun, das gestehe ich,« rief Miggs. »O barmherziger Himmel!«

»Was gibt's denn jetzt wieder?« fragte Gabriel, indem er sich rasch nach ihr umwandte.

»Je nun, wenn da nicht Miß Dolly,« sagte die Zofe, indem sie sich niederbeugte, um dem Mädchen in's Gesicht zu sehen, »eine Fluth von Thränen losbrechen läßt! O Ma'am! O Sir! In der That, das greift mich so an,« rief die gefühlvolle Jungfer, indem sie ihre Hand in die Seite drückte, um das Klopfen ihres Herzens zu beschwichtigen, »daß Ihr mich mit einer Feder zu Boden schlagen könntet.«

Der Schlosser sah Miß Miggs zuerst in einer Weise an, als wünschte er, nur gleich eine Feder zur Hand zu haben, und riß dann die Augen weit auf, als Dolly forteilte und die sympathisirende junge Dame ihr nachfolgte. Dann wandte er sich an seine Gattin und stammelte:

»Ist Dolly unwohl? Habe ich etwas Unrechtes gethan? Ist es meine Schuld?«

»Deine Schuld?« rief Frau Varden vorwurfsvoll. »So; mache nur, daß du fortkömmst.«

»Was habe ich denn gethan?« sagte der arme Gabriel, »Wir haben ausgemacht, daß Herrn Edward's Name nie wieder erwähnt werden solle, und von ihm ließ sich doch nichts verlauten – oder?«

Frau Varden entgegnete bloß, daß es mit ihm nicht auszuhalten sey, und stürmte den beiden Andern nach. Der unglückliche Schlosser knüpfte sich selbst die Schärpe fest, gürtete sich den Säbel um, setzte sich seine Blechhaube auf und ging.

»Ich bin zwar kein großer Meister im Exerciren,« sagte er leise vor sich hin, »aber doch wird's mir dabei leichter werden, als hier. Jeder Mensch kömmt zu irgend einem Zwecke auf die Welt, und meine Aufgabe scheint darin zu bestehen, ehe ich mich's versehe, alle Weiber zum Weinen zu bringen. 'S ist doch ein Bischen hart!«

Dieß war jedoch vergessen, noch ehe er das Ende der Straße erreichte. Mit strahlendem Gesichte ging er weiter, den Nachbarn zuwinkend und wie einen milden Frühlingsregen seine freundlichen Grüße rings umher entsendend.



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