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Dreiundvierzigstes Kapitel.

Der andere Morgen, wie auch viele der nachfolgenden Tage verschafften dem Schlosser auch nicht die mindeste Lösung des Räthsels. Oft begab er sich nach Einbruch der Nacht in jene Straße und heftete seine Blicke auf das wohlbekannte Haus; aber so oft dieß auch geschah, stets sah er das einsame Licht durch die Fensterladenritzen schimmern, während innen alles so still, so lautlos und so unheimlich war, wie ein Grab. Da er Herrn Haredale's Gunst durch Ungehorsam gegen dessen gemessene Einschärfung nicht verscherzen wollte, so wagte er es nie, an die Thüre zu pochen, oder irgendwie seine Nähe kund zu thun. Aber stets, so oft ihn Neugierde und Interesse nach der Stelle zogen – was nicht selten vorkam – war auch das Licht zugegen.

Wenn er auch gewußt hätte, was innen vorging, so hätte er dadurch doch keinen Schlüssel zu diesen geheimnißvollen Nachtwachen erhalten. In der Dämmerung schloß sich Herr' Haredale ein und kam mit dem Anbruch des Tages wieder zum Vorschein.

Keine Nacht ließ er es fehlen, kam und ging allein, und wich auch um kein Haar von seinem Treiben ab.

Seine Wache hielt er folgendermaßen. Sobald es dunkel wurde, betrat er das Haus gerade so, wie damals, als ihn der Schlosser begleitet hatte, zündete Licht an, ging durch alle Gemächer und untersuchte sie auf's Genaueste. Sobald dieß geschehen war, kehrte er nach der Stube im Erdgeschoße zurück, legte Degen und Pistolen auf den Tisch und blieb dabei sitzen bis zum Morgen.

Er brachte gewöhnlich ein Buch mit sich und versuchte oft zu lesen; aber seine Gedanken oder Blicke konnten sich nie länger als fünf Minuten hintereinander damit beschäftigen. Das leichteste Geräusch draußen fesselte seine Aufmerksamkeit, jeder Tritt auf dem Pflaster schien ihm Herzklopfen zu machen.

Er war jedoch während dieser langen, einsamen Stunden nicht ganz ohne Erfrischung, denn in der Regel brachte er in der Tasche Brod, Fleisch und eine kleine Flasche Wein mit. Letzteren mischte er mit sehr viel Wasser und goß ihn in so erhitzter und fieberischer Weise hinunter, als wäre ihm die Kehle ausgetrocknet, wogegen er den festeren Nahrungsmitteln nur äußerst spärlich zusprach.

Wenn diese freiwillige Aufopferung seines Schlafes und seiner Bequemlichkeit, die – wie der Schlosser nach Erwägung der Sache zu glauben geneigt war – in irgend einer abergläubischen Hoffnung ihren Grund hatte, einen Traum oder ein Gesicht in Erfüllung gehen zu sehen, welches mit dem Ereignisse, über dem er so viele Jahre gebrütet, in Verbindung stand; und wenn er der Erscheinung irgend eines gespenstischen Gastes harrte, der zu einer Zeit umherwandelte, wenn andere Leute in ihren Betten schliefen – so zeigte er wenigstens keine Spur von Furcht oder Wankelmuth. Seine strengen Züge bekundeten die unbeugsamste Entschlossenheit; die gerunzelte Stirne und die zusammengepreßten Lippen deuteten auf ein tief gewurzeltes, entschiedenes Vorhaben; und wenn er bei einem Geräusch auffuhr und horchte, so geschah dieß nicht aus Furcht, sondern aus Erwartung, denn er griff dann nach seinem Schwerte, als ob die Stunde endlich gekommen wäre, hielt es fest in der geballten Faust und lauschte mit funkelnden Augen und begierigen Blicken, bis es verhallt war. Diese Täuschungen waren zahlreich, da sie sich fast bei jedem Laute wiederholten; aber seine Beharrlichkeit war nicht zu erschüttern. Jede Nacht harrte er auf seinem Posten aus – dieselbe ernste, schlaflose Schildwache; und stets entschwand die Nacht, der Morgen dämmerte auf und er mußte seine Wache erneuern.

So ging es Wochen lang fort. Er hatte sich in Vauxhall eingemiethet, um daselbst den Tag zu verbringen und auszuruhen. Von hier aus bestieg er gewöhnlich, wenn die Fluth günstig war, ein Fährboot, um zu Wasser von Westminster nach der Londonbrücke gelangen und so die belebteren Straßen vermeiden zu können.

Eines Abends, kurz vor der Dämmerung, ging er wie gewöhnlich das Themseufer entlang, in der Absicht, sich durch Westminsterhall nach dem Palasthof zu begeben und dort ein Boot nach der Londonbrücke zu nehmen. Um die Parlamentsgebäude hatte sich ein großer Haufen Volks gesammelt, der die eintretenden und sich entfernenden Parlamentsmitglieder betrachtete und, je nach deren bekannten Ansichten, seinen Beifall oder seine Abneigung in etwas lärmenden Demonstrationen zu erkennen gab. Als er sich einen Weg durch das Gedränge bahnte, hörte er etlichemal den Ruf: »Kein Pabstthum!« der damals den Ohren der Meisten ziemlich bekannt war. Da er jedoch in den Rufenden blos Müßiggänger aus der niedrigsten Volksklasse erkannte, so achtete er nicht darauf, sondern ging in vollkommener Gleichgültigkeit weiter.

In Westminsterhall befanden sich viele kleine Gruppen von Personen: einige blickten nach den edeln Deckenverzierungen und nach den Strahlen der Abendsonne hinauf, welche quer durch die kleinen Fenster einfielen, allmälig trüber wurden und in dem unten sich anhäufenden Düster erstarben; Andere, lärmende Spaziergänger, Arbeiter, die von ihrem Tagewerk nach Hause gingen, oder sonstige Personen, die nur durcheilen wollten, weckten das Echo mit ihren Stimmen und verdunkelten bald in der Entfernung die kleine Thüre, durch welche sie in die Straße jenseits traten; wieder Andere gingen in emsigem Gespräch über politische und Privatangelegenheiten langsam und mit gesenkten Blicken auf und nieder und schienen, so viel man aus ihrer Haltung entnehmen konnte, von Kopf bis zu Füßen angelegentlichst zu lauschen. Hier machten ein Dutzend sich balgende Knirpse ein wahres Babel in die Luft; dort ging ein einzelner Mann, halb Geistlicher, halb Bettler, bei dem Hunger und Elend aus Blicken und Gang hervorleuchtete, auf und nieder; da kam ein Laufknabe dicht an ihm vorbei, der seinen Korb im Kreise schwenkte und mit seinem schrillen Pfeifen sogar die Dachziegel zu zersprengen schien, während ein folgsamer Schulknabe mitten im Spiel seinen Ball einsackte, weil er aus der Entfernung den Büttel heranhinken sah. Es war jene Zeit des Abends, wo man, wenn man die Augen schließt und wieder öffnet, die Dunkelheit einer Stunde in eine Sekunde zusammengedrängt zu sehen glaubt. Das glattgetretene Pflaster mit seinen staubigen Fußspuren hallte noch immer, bis zu den Wänden hinauf, unablässig von dem Scharren und Auftreten der Füße – Töne, die nur hin und wieder durch das donnernde Krachen erstickt wurden, wenn irgend ein schweres Thor in der Nähe zuschlug.

Herr Haredale achtete blos auf die Gruppen in seiner unmittelbaren Nachbarschaft, und auch dann nur in einer Weise, welche bekundete, daß seine Gedanken anderswo waren. So hatte er beinahe die ganze Halle zurückgelegt, als zwei Personen seine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Die eine derselben, ein Gentleman in elegantem Kostüme, trug ein Rohr in der Hand, welches sie im Gehen lustig hin und her schwenkte; die andere, eine gedrückte, kriechende, geschmeidige Gestalt, horchte auf die Worte des Andern, machte hin und wieder selbst eine bescheidene Ansicht geltend, zückte mit unterwürfigem Händereiben die Schultern bis an die Ohren oder antwortete je zuweilen durch eine Verbeugung des Kopfes, die zwischen dem Nicken des Beifalls und einer respektvollen Verneigung mitten inne stand.

Es lag zwar nichts sonderlich Merkwürdiges in diesem Paar, denn eine knechtische Huldigung gegen einen schönen Anzug und einen ditto Spazierstock – von den goldenen und silbernen Stäben als Zeichen der Würde gar nicht zu reden – ist eine zu gewöhnliche Erscheinung. Aber doch war etwas an dem wohlgekleideten Mann – ja, und deßgleichen auch an dem Andern, was in Herrn Haredale nicht die angenehmsten Gefühle weckte. Er zögerte, blieb stehen und würde wohl ganz auf die Seite getreten seyn, wenn nicht in demselben Augenblicke die beiden Andern sich rasch nach ihm umgewandt und gegen ihn angeprallt hätten, ehe er ihnen ausweichen konnte.

Der Gentleman mit dem Spazierstocke lüpfte seinen Hut und hatte bereits eine höfliche Entschuldigung begonnen, die Herr Haredale eiligst abmachen und dann weiter gehen wollte, als der Erstere plötzlich mit dem Ausrufe stehen blieb:

»Wie, Haredale? Bei Gott, das ist in der That merkwürdig!«

»Kein Anderer,« entgegnete Herr Haredale ungeduldig; »ja – ein –«

»Mein lieber Freund,« rief der Andere, ihn zurückhaltend; »warum in so großer Eile? Nur eine Minute, Haredale, um alter Bekanntschaft willen.«

»Meine Zeit drängt,« erwiederte dieser. »Keiner von uns hat diese Begegnung gesucht. Möge sie daher kurz seyn. Guten Abend!«

»Pfui, pfui!« versetzte Sir John (denn dieser war es), »warum so gar kurz angebunden? Wir sprachen von Euch. Ich hatte Euren Namen auf den Lippen – vielleicht habt Ihr ihn aussprechen hören. Nicht? – das thut mir leid, in der That, sehr leid. – Ihr kennt unsern Freund hier, Haredale? Es ist in der That ein höchst merkwürdiges Zusammentreffen.«

Der Freund, dem augenscheinlich gar nicht wohl bei der Sache zu Muthe war, hatte sich erdreistet, Sir John's Arm zu drücken und ihm noch andere bedeutungsvolle Winke zu geben, daß er gerne diese Vorstellung vermeiden möchte. Da dieß jedoch nicht in Sir John's Kram paßte, so that er, als bemerke er diese stummen Gegenvorstellungen gar nicht und neigte während des Sprechens seine Hand gegen ihn, um ihn besonderer Aufmerksamkeit zu empfehlen.

Der Freund wußte daher nichts Besseres zu thun, als sein gefälligstes Lächeln aufzubieten und eine versöhnende Verbeugung gegen Herrn Haredale zu machen, der jetzt seine Augen auf ihn heftete. Sobald er bemerkte, daß er erkannt war, streckte er, in linkischer und verlegener Weise, seine Hand aus, und seine Verwirrung wurde dadurch nicht gemildert, daß Haredale den beabsichtigten Händedruck verächtlich zurückwies.

»Herr Gashford!« sagte der Letztere mit Kälte. »Es ist also wirklich so, wie ich hören mußte. Ihr habt die Finsterniß um des Lichtes willen verlassen, Sir, und haßt Diejenigen, deren Ansichten Ihr früher theiltet mit der ganzen Bitterkeit eines Abtrünnigen. Nun, Ihr werdet jeder Sache Ehre machen, Sir. Ich wünsche Derjenigen, welcher Ihr Euch zur Zeit zugesellt habt, viel Glück zu ihrer Erwerbung.«

Der Sekretär rieb sich die Hände und verbeugte sich, als gedächte er, durch seine eigene Demüthigung den Gegner zu entwaffnen. Sir John Chester nahm mit seiner gewöhnlichen Ruhe eine Prise und wiederholte mit großer Heiterkeit:

»Nun, das ist in der That ein höchst merkwürdiges Zusammentreffen!«

»Herr Haredale,« sagte Gashford, verstohlen die Augen erhebend und sie dann wieder senkend, als sie dem festen Blick des Andern begegneten, »ist, wie ich überzeugt bin, zu gewissenhaft, zu edelmüthig und zu männlich, um einer Aenderung der Ansichten willen, die aus Ueberzeugung sproßt, Jemanden unwürdige Triebfedern unterzulegen, selbst wenn dieser Wechsel einen Zweifel gegen die Richtigkeit seiner eigenen Meinungen ausspricht. Herr Haredale ist zu gerecht, zu ehrenhaft und hat einen zu klaren moralischen Blick, um –«

»Ja, Sir?« entgegnete Herr Haredale mit einem sarkastischen Lächeln, als er bemerkte, daß der Sekretär in's Stocken gerieth. »Ihr wolltet sagen  –?«

Gashford zuckte demüthig die Achseln, sah wieder auf den Boden und blieb stumm.

»Nein, aber laßt uns wirklich,« fiel Sir John bei dieser Wendung ein, »laßt uns in der That einen Augenblick den sehr merkwürdigen Charakter dieser Begegnung betrachten. Haredale, mein lieber Freund, verzeiht, wenn ich der Ansicht bin, daß Ihr das Einzige des Falls nicht gehörig zu würdigen wißt. Da stehen jetzt ohne vorläufige Bestellung oder Einleitung drei alte Schulkameraden in Westminsterhall; drei alte Pensionäre aus einem merkwürdig langweiligen und düstern Seminar zu Saint Omers, wo Ihr, da ihr als Katholiken nothwendig im Ausland eure Schule machen mußtet, erzogen wurdet, und wohin ich, damals ein hoffnungsvoller junger Protestant, geschickt wurde, um die französische Sprache von einem geborenen Pariser zu lernen!«

»Fügt der Eigenthümlichkeit dieses Falles noch bei, Sir John,« sagte Herr Haredale,« daß eine Partie Eurer hoffnungsvollen Protestanten in diesem Augenblick sich vor diesem Gebäude dort drüben verbindet, um die Genehmigung des außerordentlichen und unerhörten Privilegiums zu hintertreiben, daß wir hier – in diesem Lande – unsere Kinder lesen und schreiben lernen lassen, während doch jährlich Tausende von uns in eure Kriegsdienste treten, um zu Erhaltung eurer Freiheit in's Ausland zu ziehen und schaarenweise in blutigen Schlachten zu fallen: ferner, daß Andere unter euch – wie ich höre, sollen es etliche Tausende seyn – gerade von diesem Menschen hier, diesem Gashford, verleitet werden, Alle, die meinem Glaubensbekenntnisse angehören, Wölfen und Raubthieren gleich zu achten. Fügt außerdem noch die nackte Thatsache hinzu, daß dieser Mensch in der Gesellschaft lebt, am hellen Tag über die Straßen geht – ich wollte sagen, das Haupt kühn erhebend, das thut er aber nicht – und es ist allerdings sonderbar, höchst sonderbar, das gebe ich zu.«

»Oh! Ihr beurtheilt unsern Freund zu hart,« versetzte Sir John mit einem einnehmenden Lächeln. »In der That. Ihr beurtheilt unsern Freund viel zu hart!«

»Laßt ihn nur fortmachen, Sir John,« sagte Gashford, an seinen Handschuhen reibend. »Laßt ihn nur fortmachen. Ich muß es ihm zu gute halten, Sir John. Ich fühle mich geehrt durch Eure gute Meinung, und kann der des Herrn Haredale wohl entrathen. Herr Haredale leidet selbst unter den Strafgesetzen mit; ich kann daher von ihm keine Geneigtheit erwarten.«

»Ihr besitzt meine Geneigtheit in so hohem Grade,« entgegnete Haredale mit einem bittern Blicke auf die dritte Person in ihrer Unterhaltung, »daß es mich freut, Euch in dieser Gesellschaft zu sehen. Ihr vereinigt in Eurer Person die Quintessenz dieser großen Association.«

»Nun, da seyd Ihr im Irrthum,« sagte Sir John in seinem wohlwollendsten Tone. »Da seyd Ihr wirklich im Irrthum, was ein sehr merkwürdiger Umstand bei einem Manne von Eurer Genauigkeit und Pünktlichkeit ist, mein lieber Haredale. Ich gehöre nicht zu dieser Körperschaft – habe zwar alle Achtung vor ihren Mitgliedern, gehöre aber in der That nicht dazu, obgleich ich, was ich durchaus nicht in Abrede ziehen will, aus gewissenhafter Ueberzeugung ein Gegner der Emancipationsbill bin. Ich fühle, daß meine Pflichten dieß von mir fordern – es ist eine höchst unglückliche Nothwendigkeit, die mich einen bittern Kampf kostet. Wollt Ihr nicht dieses Fläschchen versuchen? Wenn Ihr nichts gegen ein paar Tropfen von diesem ungemein reinen Arom einzuwenden habt – Ihr werdet finden, daß es ein ausgesuchter Wohlgeruch ist.«

»Ich muß um Entschuldigung bitten, Sir John,« entgegnete Herr Haredale, indem er das Anerbieten mit einer Handbewegung ablehnte,« daß ich Euch unter die bescheidenen Werkzeuge zählte, die Einem auf Wegen und Stegen entgegentreten. Allerdings hätte ich Eurem Genie mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen sollen. Männer von Euren Anlagen schmieden im Geheim und in Sicherheit ihre Complotte und überlassen gefährliche Posten blöderen Köpfen.«

»Um Alles in der Welt keine Entschuldigung,« versetzte Sir John mit süßer Stimme; »alte Freunde wie Ihr und ich, müssen sich einige Freimüthigkeit zu gute halten, sonst hätte ja der Teufel sein Spiel dabei.«

Gashford, der die ganze Zeit über sehr unruhig gewesen war und nicht ein einzigesmal aufgeblickt hatte, wandte sich nun an Sir John und wagte etwas von Fortmüssen zu murmeln, da ihn Mylord wahrscheinlich erwarte.

»Ihr braucht nicht in Noth zu gerathen, mein ehrenwerther Herr,« sagte Haredale; »ich will mich beurlauben und es Euch leicht machen.«

Er war auch schon im Begriffe, dieses ohne weitere Umstände zu bethätigen, als er durch ein Getümmel und Gemurmel am obern Ende der Halle angehalten wurde. Er blickte in die Richtung, wo es herkam, und sah Lord George Gordon mit einem Haufen Volkes einherziehen.

In den Gesichtern der Beiden lauerte ein triumphirender Blick, obgleich von verschiedenem Ausdrucke, der Herrn Haredale veranlaßte, vor diesem Agitator nicht zu weichen, sondern zu bleiben, bis er vorüber wäre. Er richtete sich in seiner vollen Höhe, schlug die Hände auf dem Rücken zusammen und sah mit stolzer und verächtlicher Miene zu, während sich Lord George langsam (denn das Gedränge um ihn war groß) dem Orte näherte, wo sie standen.

Er hatte eben erst das Haus der Gemeinen verlassen und war geraden Wegs in die Halle herunter gekommen, seiner Gewohnheit gemäß Nachricht mitbringend über Alles, was diesen Abend über die katholische Frage gesagt, welche Petitionen zu ihren Gunsten eingebracht worden, wer sie unterstützt hatte, in welcher Sitzung die Bill verlesen werden sollte, und wenn es räthlich seyn würde, ihre eigene große protestantische Petition zu überreichen. Alles dieses theilte er dem ihn umringenden Haufen mit lauter Stimme und mit vielen linkischen Gestikulationen mit. Die am nächsten Stehenden machten gegenseitig Bemerkungen, murrten und erlaubten sich Drohungen; die Aeußersten riefen »Stille« und »Zurück«, oder drangen auf die Uebrigen ein und bemühten sich, gewaltsam einen andern Platz zu erkämpfen: und so trieben sie ungeordnet und regellos vorwärts, wie es bei einem Volksgedränge gewöhnlich der Fall ist.

Als sie ganz nahe an der Stelle waren, wo der Sekretär, Sir John und Herr Haredale standen, machte Lord George eine Wendung und schloß nach einigen hinreichend ungestümen und unzusammenhängenden Bemerkungen mit seinem gewöhnlichen Spruche, ein dreifaches Hurrah zu dessen Unterstützung verlangen. Während ihm hierin mit großem Nachdruck willfahrt wurde, wand er sich aus dem Haufen heraus und trat auf Gashford zu. Da dieser und Sir John dem Pöbel wohl bekannt waren, so wich derselbe ein wenig zurück und machte für die vier Männer Platz.

»Herr Haredale, Lord George,« sagte Sir John Chester, als er bemerkte, daß der Lord den Ersteren mit einem inquisitorischen Blicke betrachtete. »Leider ein Katholik – höchst unglücklicherweise ein Katholik, aber ein geschätzter Freund von mir und ehedem auch von Herrn Gashford. Mein lieber Haredale, dieß ist Lord George Gordon.«

»Das hätte ich wissen können, selbst wenn mir seine Herrlichkeit von Person unbekannt gewesen wäre,« entgegnete Herr Haredale. »Hoffentlich gibt es nur einen einzigen Gentleman in England, der, wenn er einen unwissenden und aufgeregten Pöbel anredet, von einem großen Theile britischer Unterthanen in so beleidigenden Ausdrücken sprechen kann, wie ich sie in diesem Augenblick hören mußte. Pfui der Schande, Mylord! Schämt Euch!«

»Mit Euch kann ich nicht sprechen, Sir,« erwiederte Lord George mit lauter Stimme, indem er in unruhiger Weise die Hand schwenkte; »wir haben nichts mit einander gemein.«

»Wir haben viel mit einander gemein – sehr viel – alle Gaben des Allmächtigen,« sagte Herr Haredale; »und die allgemeine christliche Liebe, Mylord (des gemeinen Menschenverstandes und der allgemeinen Schicklichkeit gar nicht zu gedenken), sollte Euch lehren, einem solchen Treiben Einhalt zu thun. Wenn in diesem Augenblicke jeder einzelne Eurer hier versammelten Anhänger Waffen in den Händen hätte, wie sie dieselben in ihren Köpfen haben, so würde ich doch nicht von diesem Platze weichen, ohne Euch zu sagen, daß Ihr Eure Stellung schändet.«

»Ich höre Euch nicht, Sir,« versetzte er; »ich kann Euch nicht hören. Es ist mir gleichgültig, was Ihr sagt. Keine Erwiederung, Gashford,« denn der Sekretär hatte dergleichen gethan, als führte er eine solche im Schilde, »ich kann keine Gemeinschaft unterhalten mit Götzendienern.«

Mit diesen Worten blickte er auf Sir John, welcher die Hände erhob und die Augenbrauen in die Höhe zog, als beklage er Herrn Haredale's unbesonnenes Benehmen, zu gleicher Zeit dem Haufen und ihrem Führer Bewunderung zulächelnd.

»Er und eine Erwiederung!« rief Haredale. »Seht her, Mylord. Kennt Ihr diesen Menschen?«

Lord George's Antwort, beschränkte sich darauf, daß er die Hand auf die Schulter seines sich windenden Sekretärs legte und ihn mit einem vertraulichen Lächeln ansah.

»Diesen Menschen,« rief Herr Haredale, indem er ihn vom Wirbel bis zur Zeche musterte, »der schon als Knabe ein Dieb war und sich von jener Zeit an bis auf diesen Augenblick als ein kriechender, falscher und tuckmäuserischer Schuft benahm: diesen Menschen, der wie eine Schlange durch's Leben kroch, die Hand verwundete, die er leckte, und Diejenigen biß, denen er schmeichelte: diesen Speichellecker, der nie wußte, was Ehre, Wahrheit oder Muth ist, der die Tochter seines Wohlthäters entehrte und sie dann heirathete, um ihr durch Schläge und die entmenschteste Grausamkeit das Herz zu brechen: diese Kreatur, die an den Küchenfenstern um das übrig gebliebene Essen winselte, und an unseren Kirchthüren um Halbpence bettelte: diesen Glaubensapostel, dessen zartes Gewissen die Altäre nicht leiden kann, an denen sein lasterhaftes Leben öffentlich gebrandmarkt wurde – kennt Ihr diesen Menschen, Mylord?«

»Oh, in der That – Ihr seyd sehr – sehr hart gegen unsern Freund!« rief Sir John.

»Laßt Herrn Haredale nur fortsprechen,« sagte Gashford, über dessen krankes Gesicht während dieser Worte der Schweiß in großen Tropfen hinuntergerieselt war; »ich kehre mich nicht an ihn, Sir John; es ist mir eben so gleichgültig, was er sagt, als es Mylord ist. Wenn er es wagt, Mylord zu schmähen, wie Ihr gehört habt, Sir John, wie darf ich hoffen, frei auszugehen?«

»Ist es nicht genug, Mylord,« fuhr Herr Haredale fort,« daß ich, der ich so gut ein Gentleman bin, als Ihr, mein Bischen Eigenthum nur durch einen Kunstgriff besitzen darf, gegen den der Staat, eben wegen der Härte dieser Gesetze, Nachsicht hat; und daß wir unsere Kinder nicht in Schulen die gemeinsamen Grundsätze von Recht und Unrecht lehren sollen? Müssen wir auch noch von Menschen, wie dieser hier, verläumdet und gedrückt werden? Das ist eben der rechte Mann, Eurem Keinpabstthum-Geschrei das Siegel aufzudrücken. Pfui der Schande! Pfui der Schande!«

Der verblüffte Lord hatte mehr als einmal auf Sir John geblickt, als wollte er fragen, ob in diesen Anschuldigungen gegen Gashford etwas Wahres liege, und Sir John eben so oft deutlich durch einen Wink oder ein Achselzucken geantwortet: »o mein Gott, nein!« Er sprach daher jetzt mit derselben lauten Stimme und den obgemeldeten wunderlichen Geberden:

»Ich habe hierauf nichts zu erwiedern, Sir, und trage auch kein Verlangen, etwas Weiteres zu hören. Ich muß Euch bitten, daß Ihr Euch nicht in unser Gespräch drängt und fernerhin solche persönliche Angriffe gegen mich unterlaßt. Ich werde mich durch derartige Versuche nicht abschrecken lassen, meine Pflicht gegen Volk und Vaterland zu erfüllen, mögen sie nun von Emissären des Pabstes ausgehen, oder nicht; das versichere ich Euch. Kommt Gashford.«

Sie waren während dieser Worte einige Schritte weit gegangen, und befanden sich nunmehr an dem Thore der Halle, durch welches sie gemeinschaftlich in die Straßen traten. Herr Haredale bog, ohne sich zu verabschieden, nach der nebenanliegenden Ufertreppe ein und rief den einzigen Schiffer an, der mit seinem Boote auf Zuspruch wartete.

Der Volkshaufen aber – die Vordersten hatten nämlich jedes von John George Gordon gesprochene Wort gehört, weßhalb dann alsbald sich das Gerücht verbreitete, daß der Fremde ein Papist sey und ihren Führer wegen Verfechtung der Volkssache geschmäht habe – strömte im bunten Gewühle nach, drängte den Lord, seinen Secretär und Sir John Chester vor sich her, so daß es den Anschein hatte, als wären diese die Führer, und schaarte sich auf der obern Treppe zusammen, so daß Herr Haredale, welcher stehen blieb und wartete, bis das Boot losgemacht war, nur einen kleinen Raum für sich frei behielt.

Trotz des Lärmens kam es jedoch nicht zu Thätlichkeiten. Anfangs erhob sich ein dumpfes Gemurmel unter dem Pöbel, dem hin und wieder ein Zischen folgte, bis das Getümmel endlich zu einem vollkommenen Sturme anschwoll. Eine Stimme rief: »Nieder mit dem Papisten!« was mit einem allgemeinen Jubelrufe aufgenommen wurde, aber dabei blieb's vor der Hand. Nach einer kurzen Pause rief ein Zweiter: »Steinigt ihn!« Ein Dritter: »Taucht ihn unter!« und ein Vierter brüllte mit einer Stentorstimme: »Kein Pabstthum!« Dieser Lieblingsruf hallte von allen Seiten wieder, und der Pöbel, der an zweihundert Köpfe stark seyn mochte, brach in einen allgemeinen Jubel aus.

Herr Haredale hatte ruhig an dem Rande der Treppen gestanden, und erst als es zu dieser Demonstration kam, warf er einen zürnenden Blick zurück, worauf er langsam die Stufen hinunterging. Er war dem Boot schon ziemlich nahe, als sich Gashford, wie wenn es ganz unabsichtlich geschähe, abseits wandte und unmittelbar darauf ein Stein, der von einem aus der Bande geschleudert wurde, ihn mit solcher Gewalt an den Kopf traf, daß er wie ein Betrunkener wankte.

Das Blut schoß aus der Wunde und träufelte auf seinen Rock nieder. Er wandte sich hastig um, eilte mit einer Kühnheit und einem Ungestüm, die Alles vor ihm zurückweichen machten, die Treppe hinauf und fragte:

»Wer hat dieß gethan? Laßt mich den Menschen sehen, der mich geworfen hat!«

Niemand rührte sich, als etwa einige von den Hintersten, welche davon schlichen und, sobald sie auf der andern Seite des Weges waren, mit den Mienen gleichgültiger Zuschauer stehen blieben.

»Wer hat dieß gethan?« wiederholte er. »Zeigt mir den Kerl. Hund, warst du es? Nun, es war doch dein Anstiften, wenn auch nicht deine Hand – ich kenne dich.«

Mit diesen Worten stürzte er auf Gashford los und schleuderte ihn zu Boden. Es entstand eine plötzliche Bewegung unter der Menge und einige waren im Begriffe. Hand an ihn zu legen; aber im Nu war sein Degen aus der Scheide, worauf sie wieder zurückwichen.

»Mylord – Sir John –« rief er, »zieht, welcher von Euch es seyn mag – Ihr seyd mir verantwortlich für diese Verletzung, und ich verlange daher Genugthuung. Zieht, wenn Ihr Männer seyd!«

Damit schlug er Sir John mit der flachen Klinge auf die Brust und stellte sich mit glühendem Gesichte und leuchtenden Augen in Parade – er, ein einziger Mann gegen sie alle.

Für einen Augenblick – nur für den kürzesten Zeitabschnitt, der sich möglicherweise denken läßt – zeigte sich eine Veränderung in Sir Johns glattem Gesicht, wie sie Niemand je darin gesehen hatte. Dann aber trat er vor und legte die eine Hand auf Herrn Haredales Arm, während er mit der andern die Menge zu beschwichtigen suchte.

»Mein lieber Freund, mein guter Haredale, die Leidenschaft macht Euch blind – es ist zwar natürlich, außerordentlich natürlich – aber Ihr wißt Eure Freunde nicht von den Feinden zu unterscheiden.«

»Ich kenne sie alle, Sir, und weiß recht wohl, wie ich daran bin –« entgegnete er fast wahnsinnig vor Wuth. »Sir John, Mylord – hört Ihr mich? Seyd Ihr Memmen?«

»Kümmert Euch nicht darum, Sir,« sagte ein Mann, der sich dazwischen drängte und ihn mit freundlicher Gewalt die Treppe hinunterzuschieben versuchte; »wozu auch solche Fragen. Um Gotteswillen, macht, daß Ihr fortkommt. Was könnt Ihr gegen eine solche Anzahl ausrichten? Auch steht ein eben so großer Haufen in der nächsten Straße, der im Augenblick zur Hand seyn wird« – in der That begann derselbe schon während dieser Worte herbeizuströmen, – »und in der ersten Hitze des Kampfes müßte es Euch schon von jenem Wurfe schwindelig werden. So zieht Euch doch jetzt zurück, oder nehmt mein Wort darauf, man wird Euch weit schlimmer behandeln, als wenn jeder Kerl in dem Haufen ein Weib, und dieses Weib die blutige Maria wäre. Kommt, Sir, beeilt Euch – so schnell als Ihr könnt.«

Herr Haredale, dem es bereits schwindelig und unwohl wurde, sah das Vernünftige dieses Rathes ein und stieg unter dem Beistand seines unbekannten Freundes die Stufen hinunter. John Grueby (denn es wahr John) half ihm in das Boot, gab demselben einen Stoß, daß es um dreißig Fuß in die Strömung hinausschoß und forderte den Fährmann auf, wie ein Brite auszuholen; dann ging er so gelassen wieder zurück, als ob er eben an's Land gestiegen wäre. Der Pöbel verrieth anfangs eine kleine Neigung, diese Einmengung zu ahnden. Da aber John besonders kräftig und kaltblütig aussah, und außerdem auch Lord George's Liverey trug, so besann man sich eines Bessern und begnügte sich damit, dem Boote einen Regen von Steinen nachzuschicken, die indeß nur harmlos ins Wasser niederfielen, denn der Kahn war inzwischen unter der Brücke durchgekommen und schoß rasch in der Mitte des Stromes hinab.

Von dieser Belustigung gingen sie darauf über, ächt protestantisch an den Hausthüren zu poltern, etliche Laternen zu zerbrechen und hin und wieder einen einzelnen Constable anzufallen. Als aber das Gerücht verlautete, daß eine Abtheilung der Leibwache ausgerückt sey, um dem Unfug zu steuern, so gaben sie schleunigst Fersengeld und räumten die Straßen.



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