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Fünfunddreißigstes Kapitel.

Als John Willet bemerkte, daß die Reiter sich rasch umwandten, sich neben einander in dem engen Wege aufpflanzten und warteten, bis er mit seinem Knechte nachkäme, verfiel er mit ungewöhnlicher Schnelligkeit auf den Gedanken, daß es Straßenräuber sein müßten, und wäre Hugh statt seines tüchtigen Knüttels mit einer Artebuse bewaffnet gewesen, so würde er ihm zuverlässig Befehl ertheilt haben, auf Gerathewohl Feuer zu geben, um, während seinem Commando Folge geleistet wurde, durch augenblickliche Flucht für seine persönliche Sicherheit Sorge tragen zu können. Unter den nachtheiligen Verhältnissen jedoch, in welchen er sich mit seiner Leibgarde befand, dünkte es ihm klug, eine andere Feldherrenmanier zu beobachten, weßhalb er seinem Begleiter zuflüsterte, er solle sie in den friedlichsten und höflichsten Ausdrücken anreden. Dieser Anweisung dem Geist und dem Buchstaben nach Folge leistend, trat Hugh vor, fuchtelte mit seinem Stab unter den Augen des ihm zunächst stehenden Reiters und fragte in rauhem Tone, was das heißen solle, daß er und seine Kameraden sie beinahe überritten hätten, und warum sie in so später Stunde der Nacht auf des Königs Landstraße einherjagten.

Der Angeredete wollte eben in eine gleich zornige Antwort ausbrechen, als der mittlere Reiter in's Wort fiel und mit der Miene der Oberherrlichkeit zwar etwas laut, aber nicht barsch oder unhöflich, die Frage stellte:

»Seyd so gut, uns zu sagen, ob dieß der Weg nach London ist?«

»Wenn Ihr ihn richtig verfolgt, allerdings,« versetzte Hugh rauh.

»Na, Bruder,« sagte derselbe Mann, »Ihr seyd ein plumper Engländer, wenn Ihr überhaupt einer seyd – was ich, wäre es nicht um der Sprache willen, fast bezweifeln möchte. Ich bin überzeugt, Euer Gefährte wird mir höflicher antworten. Was sagt Ihr, Freund?«

»Ich sage, daß dieß der rechte Weg nach London ist, Sir,« antwortete John, »und ich wollte,« fügte er mit gedämpfter Stimme bei, indem er sich an Hugh wandte, »daß du wärest, wo der Pfeffer wächst, du Hallunke. Ist dir dein Leben so gar entleidet, Bursche, daß du mit drei so großen Halsbrechern Händel anfangen willst, die uns überrennen können, vor- und rückwärts, bis wir todt sind, dann unsere Körper hinten aufpacken, um uns zehn Meilen von hier zu ersäufen?«

»Wie weit ist's nach London?« fragte derselbe Sprecher.

»Je nun, von hier aus, Sir,« antwortete John einschmeichelnd, »sind es dreizehn ganz kleine Meilen.«

Das Beiwörtchen war eingeflochten, um die Reisenden zu veranlassen, im vollen Galopp von hinnen zu reiten; aber statt diese gewünschte Wirkung hervorzubringen, entlockte es nur derselben Person die Bemerkung: »Dreizehn Meilen? Das ist weit;« worauf eine kurze, unschlüssige Pause folgte.

»Bitte, sagt mir doch,« fuhr der Gentleman fort, »gibt es denn hier herum keine Wirthshäuser?«

Bei dem Worte »Wirthshäuser« bekam John auf eine überraschende Weise seine ganze Geistesgegenwart wieder. Seine Furcht entschwand wie Rauch, und der ganze Gastwirth trat in's Leben.

»Wirthshäuser gibt's keine,« entgegnete Herr Willet, einen starken Nachdruck auf den Pluralis legend; »aber ein Wirthshaus ist da – ein Wirthshaus – das Gasthaus zum Maibaum. Das ist in der That ein Wirthshaus. Ihr werdet nicht oft seines Gleichen sehen.«

»Ihr seyd wohl der Eigenthümer davon?« fragte der Reiter lächelnd.

»Ja, Sir,« versetzte John, hoch verwundert, wie er dieß so leicht ausgefunden hatte.

»Und wie weit ist's von hier aus zum Maibaum?«

»Ungefähr eine Meile –"

John war eben im Begriffe, beizufügen, daß es die leichteste Meile von der ganzen Welt sey, als der dritte Reiter, der sich bisher ein Bischen im Nachtrab gehalten hatte, plötzlich einfiel:

»Und habt Ihr auch ein vortreffliches Bett, Wirth? hm! ein Bett, das Ihr empfehlen könnt – ein Bett, von dem Ihr überzeugt seyd, daß es wohl gelüftet ist – ein Bett, in dem noch Niemand, als allenfalls eine ganz achtbare und tadellose Person geschlafen hat?«

»Wir nehmen kein Lumpengesindel und keinen Janhagel in unserem Hause auf, Sir,« antwortete John. »Und was das Bett anbelangt –«

»Sagt, was drei Betten anbelangt,« fiel ihm der Gentleman, der vorhin gesprochen, in's Wort; »denn wir werden drei brauchen, wenn wir bleiben, obgleich mein Freund nur von einem spricht.«

»Nicht doch, Mylord; Ihr seyd gar zu gut, gar zu freundlich. Aber Euer Leben ist in diesen verhängnißvollen Zeiten von zu großer Wichtigkeit für die Nation, als daß ein so werthloses und armes, wie das meinige, in Betracht kommen könnte. Eine große Sache, Mylord, eine gewaltige Sache hängt von Euch ab. Ihr seyd ihr Führer und ihr Vorkämpfer, ihre Avantgarde und ihr Nachtrab. Es ist die Sache unserer Altäre und unserer heimischen Herde, unseres Vaterlandes und unseres Glaubens. Ich kann auf einem Stuhl schlafen – auf dem Bodenteppich – überall, Niemand kehrt sich daran, wenn ich einen Schnupfen oder ein Fieber hole. Mag John Grueby die Nacht unter freiem Himmel zubringen – aus ihm wird sich Niemand etwas machen. Aber vierzigtausend Männer (Weiber und Kinder nicht mit gerechnet) heften in der Noth dieser unserer Insel ihre Augen und Gedanken auf Lord George Gordon, und beten jeden Tag, vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergange, für seine Gesundheit und sein Gedeihen. Mylord,« fuhr der Sprecher fort, indem er sich in seinen Bügeln aufrichtete, »es handelt sich um eine glorreiche Sache, die nicht vergessen werden darf. Es ist eine gewaltige Sache, Mylord, die man keiner Gefahr aussetzen muß. Es ist eine heilige Sache, Mylord, und sie darf nicht verlassen werden.«

»Es ist eine heilige Sache,« rief Seine Herrlichkeit, mit großer Feierlichkeit den Hut lüpfend. »Amen!«

»John Grueby,« sagte der gestreckte Herr im Tone milden Vorwurfs, »Seine Herrlichkeit hat Amen gesagt.«

»Ich habe Mylord wohl gehört, Sir,« entgegnete der Mann, wie eine Statue auf seinem Pferde sitzen bleibend.

»Und Ihr sagt nicht ebenfalls Amen?«

John Grueby gab keine Antwort, sondern sah gerade vor sich hin.

»Ihr überrascht mich, Grueby,« sagte der Herr. »In einer Krisis, wie die gegenwärtige, wo die Königin Elisabeth, jene jungfräuliche Monarchin, in ihrem Grabe weint, und die blutige Marie mit finstererer, umnachteter Miene triumphirend hervortritt –«

»Oh, Sir,« rief der Mann grämlich, »was nützt es, unter gegenwärtigen Umständen von der blutigen Marie zu schwatzen, wo Mylord durchnäßt und von dem scharfen Ritte ermüdet ist? Laßt uns entweder nach London aufbrechen, oder mit einemmale diesem Wirthshaus zusteuern, sonst muß diese unglückliche blutige Marie noch weiteres verantworten – und sie hat ohnehin, glaube ich, in ihrem Grabe weit mehr Böses gestiftet, als je zu ihren Lebzeiten.«

Inzwischen hatte sich Herr Willet – der in seinem Leben nie so viele Worte auf einmal, oder mit so viel Zungengeläufigkeit und Nachdruck als es bei dem gestreckten Gentleman der Fall gewesen, sprechen gehört, und es daher ganz aufgegeben hatte, sie in den Gränzen seines engen Gehirns unterzubringen – so weit gesammelt, um versichern zu können, daß der Maibaum hinreichende Bequemlichkeit für die ganze Gesellschaft biete – gute Betten, gute Weine, treffliche Herberge für Menschen und Vieh, Privatgemächer, für große und kleine Gesellschaften, auf das rascheste servirte Mahlzeit, auserlesene Stallungen, eine verschlossene Kutschenremise – mit einem Worte, er haspelte die empfehlenden Phrasen her, die an verschiedenen Theilen seines Hauses angeklebt waren, und die er im Laufe von etlich und vierzig Jahren mit leidlicher Korrektheit vorzubringen gelernt hatte. Er überlegte eben, ob es nicht anginge, ein paar neue Sätze des gleichen Inhalts einzuschieben, als der Gentleman, der zuerst gesprochen, sich mit dem Ausruf an den Langgestreckten wandte:

»Was sagt Ihr, Gashford? Sollen wir es mit dem Hause, von dem er spricht, versuchen, oder weiter eilen? Ihr mögt entscheiden.«

»So möchte ich denn unterthänigst bemerken, Mylord,« entgegnete die angeredete Person in seidenweichem Tone, »daß Eure Gesundheit und Thatkraft – die mit Gottes Hülfe von so großer Wichtigkeit für unsere reine und wahre Sache sind« – hier zog seine Lordschaft wieder den Hut ab, obgleich es tüchtig regnete – der Erquickung und Ruhe bedürfen.«

»So geht voran, Wirth und zeigt uns den Weg,« sagte Lord George Gordon, »wir wollen Euch im Schritte folgen.«

»Mit Eurem Wohlnehmen, Mylord,« sagte John Grueby mit gedämpfter Stimme, »will ich den mir gebührenden Platz ändern und vorausreiten. Das Aussehen von des Wirths Begleiter kommt mir nicht all zu ehrlich vor; und es ist vielleicht gut, vorsichtig gegen ihn zu seyn.«

»John Grueby hat ganz Recht,« fiel Herr Gashford ein, indem er hastig den hintern Platz einnahm, »Mylord, ein so kostbares Leben, wie das Eurige, darf keiner Gefahr ausgesetzt werden. Rettet immerhin voran. Wenn Ihr irgend Grund findet, den Kerl zu beargwöhnen, so jagt ihm das Gehirn aus dem Schädel.«

John gab keine Antwort, sondern sah gerade vor sich hin, wie er gewöhnlich zu thun schien, wenn der Sekretär sprach. Dann befahl er Hugh, sich zu sputen, und folgte ihm auf der Ferse – hinter ihm Seine Herrlichkeit, dem Herr Willet die Zügel hielt, und endlich als der Letzte von allen Seiner Herrlichkeit Sekretär – denn dieses schien Gashfords Amt zu seyn.

Hugh schritt rüstig vorwärts und schaute oft nach dem Diener zurück, dessen Pferd dicht hinter ihm trabte, manchen Seitenblick auf dessen Pistolenhalfter werfend, auf die er einen großen Werth zu legen schien. Der Letztere war ein vierschrötiger, starkgebauter, stierhalsiger Bursche von ächt englischer Zucht, und wie Hugh ihn mit den Augen maß, so maß er deßgleichen Hugh mit einem Blicke trotziger Geringschätzung. Er war viel älter als der Knecht aus dem Maibaum, und mochte dem Aussehen nach fünfundvierzig Jahre zählen; aber er war einer von jenen gefaßten, hartköpfigem unverwüstlichen Gesellen, die sich nichts aus Faustschlägen und anderem Handgemenge machen, sondern kaltblütig darauf losgehen, bis sie den Sieg errungen haben.

»Wenn ich Euch jetzt einen unrechten Weg führte,« sagte Hugh höhnisch, »so würdet Ihr – ha, ha, ha! – würdet Ihr mich vermuthlich vor den Kopf schießen?«

John Grueby achtete so wenig auf diese Bemerkung, als ob er taub und Hugh stumm gewesen wäre, und ritt ganz gemächlich weiter, die Augen an den Horizont geheftet.

»Habt Ihr in Euren jüngern Jahren wohl schon einen Ringkampf versucht, Meister?« fragte Hugh. »Wißt Ihr mit dem Knüttel umzugehen?«

John Grueby sah ihn mit derselben gefaßten Miene von der Seite an, würdigte ihn aber keiner Antwort.

»– Etwa so?« fuhr Hugh fort, mit seinem Knüttel eine jener bekannten Schwenkungen machend; an denen der Landmann jener Zeit so große Freude hatte. »Wupp!«

»– Oder so?« entgegnete John Grueby, mit der Peitsche parirend und seinen Führer mit dem Stiele auf den Kopf schlagend. »Ja ich gab mich einmal ein Bischen damit ab. Ihr tragt indeß Euer Haar zu lang. Euer Schädel hätte krachen müssen, wenn es ein wenig kürzer gewesen wäre.«

Es war ein tüchtiger, schallender Schlag, und Hugh war augenscheinlich darüber bestürzt. Einen Moment schien er sogar geneigt zu seyn, seinen neuen Bekannten vom Sattel herunter zu reißen; doch da dessen Gesicht weder Bosheit, noch Siegesfreude, Zorn oder auch nur einen Zug ausdrückte, der ihn hätte beleidigen können (denn die Augen des Dieners blickten beharrlich in die alte Richtung, und sein Benehmen blieb so gleichgültig und gefaßt, als ob er blos eine Fliege weggejagt hätte), so wurde Hugh ganz verblüfft. Er erkannte jetzt in dem Andern einen Burschen von fast übernatürlicher Zähigkeit, weßhalb er blos lachte und »Brav gemacht!« rief. Dann zog er sich ein wenig bei Seite und ging schweigend wieder weiter.

Ehe noch viele Minuten verflossen, machte die Gruppe vor dem Portale des Maibaums Halt. Lord George und sein Sekretär stiegen rasch ab und übergaben die Pferde ihrem Diener, der sie unter Hughs Begleitung nach den Ställen führte. Sehr erfreut, dem Unwetter der Nacht entkommen zu seyn, folgten sie Herrn Willet in die Gaststube, wo sie sich wärmten und vor dem behaglichen Feuer ihre Kleider trockneten, während der Wirth selbst sich mit Anordnungen und Vorbereitungen beschäftigte, wie sie für Gäste von so hohem Range erforderlich waren.

Während er so geschäftig ab und zuging, hatte er Gelegenheit, sich die zwei Reisenden näher zu betrachten, von denen er bisher eigentlich blos die Stimme gehört hatte. Der Lord, diese bedeutende Person, welche dem Maibaum so hohe Ehre erwies, war ungefähr von Mittelgröße, schlankem Bau, blasser Gesichtsfarbe, mit einer Adlernase und langen, röthlich braunen Haaren, die ganz gerade und glatt um die Ohren gekämmt, leicht gepudert und ohne eine Spur von Locken waren. Unter seinem Ueberrock trug er einen vollständigen schwarzen Anzug von schönem, aber einfachem Schnitt, ohne einen weiteren Schmuck. Seine gravitätische Kleidung, nebst einer gewissen Schmalwangigkeit und seiner steifen Haltung, ließ ihn fast um zehn Jahre älter erscheinen, obgleich er seiner Gestalt nach kaum dreißig zurückgelegt haben mochte. Während er nachdenkend in dem rothen Scheine des Feuers dastand, mußte Jedem sein leuchtendes schwarzes Auge auffallen, aus welchem sich eine Rastlosigkeit der Gedanken und Entwürfe spiegelte, die einen eigenthümlichen Gegensatz zu der studirten Fassung und Ruhe seiner Miene, wie auch zu seinem erkünstelten, fast traurigen Aeußern abgab. Es war nichts Hartes oder Grausames in dem Ausdrucke derselben, wie denn im Gegentheile sein schmales Gesicht eher mild und melancholisch genannt werden konnte; es war jedoch darin eine unbeschreibliche Unruhe zu lesen, welche Alle, die ihn sahen, ansteckte und mit einer Art von Mitleid um den Mann erfüllte, obgleich man sich das warum nicht wohl hätte erklären können.

Gashford, der Sekretär, war höher, eckig gebaut, hochschulterig, knöchern und ohne Anmuth. Seine Kleidung entsprach ganz der seines Gebieters; sie war ernst, über die Maßen gesetzt, und sein Benehmen förmlich und gekünstelt. Er hatte eine vorstehende Stirne, große Hände, Füße und Ohren, und ein paar Augen, die sich unnatürlich weit in den Kopf zurückgezogen und ein Loch hineingebohrt zu haben schienen, um sich darin zu verbergen. Seine Manieren waren glatt und unterwürfig, dabei aber äußerst verschmitzt und lauernd. Er hatte das Aussehen eines Mannes, der immer auf etwas wartet, was nicht eintreffen wird, war aber dabei geduldig – äußerst geduldig – und wedelte wie ein Wachtelhund. Selbst jetzt, während er sich, die Hände reibend, vor dem Feuer wärmte, wagte er es nicht, sich dieser Behaglichkeit mehr, als es seiner untergeordneten Stellung zukam, zu erfreuen; und obgleich er wußte, daß sein Gebieter nicht auf ihn achtete, so blickte er ihm doch, gleichsam um der Uebung willen, von Zeit zu Zeit mit einem demüthigen und unterwürfigen Lächeln in's Gesicht.

Dieß waren die Gäste, welche der alte John Willet mit starrem und bleiernem Auge musterte, bis er endlich einen Staatsleuchter in jeder Hand, auf sie zutrat und sie ersuchte, ihm nach einem würdigeren Gemache zu folgen.

»Denn, Mylord,« sagte John – es ist sonderbar genug, daß gewisse Leute ein eben so großes Vergnügen in dem Aussprechen von Titeln zu finden scheinen, als die Herren selbst im Führen derselben – »diese Stube, Mylord, ist durchaus kein passender Ort für Euer Herrlichkeit, weßhalb ich Euer Herrlichkeit um Verzeihung bitte, daß ich Mylord auch nur eine Minute hier aufgehalten habe.«

Mit dieser Anrede führte sie John die Treppe hinauf nach dem Staatsgemach, das, wie manches andere mit diesem Vorwort in Verbindung Stehende, kalt und unbehaglich war. Ihre Fußtritte, durch den weiten Raum wiederhallend, schlugen mit hohlem Tone an ihr Ohr, und die feuchte, frostige Luft wurde durch den Gegensatz zu der gemüthlichen Wärme, die sie eben verlassen hatte, doppelt unerfreulich.

Es wäre jedoch nutzlos gewesen, nach dem verlassenen Orte zurückkehren zu wollen, denn die Vorbereitungen hatten einen so raschen Gang genommen, daß es zu spät war, ihnen Einhalt zu thun. John, mit den beiden hohen Leuchtern in der Hand, bekomplimentirte seine Gäste bis nach dem Kamin; Hugh, der mit einem Feuerbrande und einem Arm voll Holz hereinkam, warf seine Last auf den Herd und setzte sie in Flammen. John Grueby (mit einer großen blauen Kokarde an seiner Kopfbedeckung, die er ungemein zu verachten schien) brachte den Mantelsack herein, den er auf seinem Pferde nachgeführt hatte, und legte ihn auf den Boden; und im Nu waren alle Drei emsig beschäftigt, die spanische Wand auseinander zu ziehen, das Tafeltuch zu legen, die Betten zu beaugenscheinigen, Feuer in dem Schlafzimmer anzumachen, das Nachtessen zu beschicken und alles in möglichst kurzer Frist so traulich und behaglich zu machen, als es nur gehen wollte. In weniger als einer Stunde Zeit war das Mahl servirt, gespeist und abgeräumt, worauf sich Lord George und sein Sekretär mit Pantoffeln versahen, vor dem Feuer die Beine ausstreckten und sich mit etwas Glühwein gütlich thaten.

»So endet also, Mylord,« sagte Gashford, sein Glas mit großem Wohlbehagen füllend, »das gesegnete Werk eines höchst gesegneten Tages.«

»Und eines gesegneten Gestern,« sagte seine Herrlichkeit, den Kopf erhebend.

»Ah!« und hier schlug der Sekretär seine Hände zusammen, »allerdings eines gesegneten Gestern! Die Protestanten von Suffolk sind gesegnete Leute. Obgleich Andere von unsern Landsleuten ihren Weg in der Finsterniß verloren haben (war es ja heute Nacht bei uns selbst der Fall, Mylord), so ist doch der ihrige Licht und Glorie.«

»Habe ich sie gerührt, Gashford?« fragte Lord George.

»Sie gerührt, Mylord? Sie gerührt? Sie schrien darnach, gegen die Papisten geführt zu werden; sie schworen fürchterliche Rache über ihre Häupter; sie brüllten wie Besessene – –«

»Doch nicht von Teufeln,« sagte seine Herrlichkeit.

»Von Teufeln, Mylord? Nein, von Engeln.«

»Ja – zuverlässig – von Engeln – kein Zweifel,« sagte Lord George, indem er die Hände in seine Tasche steckte, sie dann wieder herausnahm, um an seinen Nägeln zu beißen, und unbehaglich nach dem Feuer schaute. »Natürlich von Engeln – ist's nicht so, Gashford?«

»Ihr zweifelt doch nicht daran, Mylord?« entgegnete der Sekretär.

»Nein – nein,« versetzte seine Herrlichkeit. »Nein. Warum sollte ich auch? Ich glaube, es wäre höchst unchristlich, es bezweifeln zu wollen – wäre es nicht, Gashford? Freilich, und ohne allen Anstand,« fügte er, ohne eine Antwort abzuwarten, bei, »manche pestartig aussehende Bursche darunter.«

»Als Ihr warm wurdet,« erwiederte der Sekretär mit einem scharfen Blick auf die niedergeschlagenen Augen des Andern, welche sich während der folgenden Worte allmälig aufhellten; »als Ihr Euch zu jenem edlen Ausbruch steigertet, als Ihr ihnen sagtet, daß Ihr nicht zu den lauwarmen oder furchtsamen gehörtet, und sie auffordertet, sich darauf gefaßt zu machen, einem Manne zu folgen, der sie anführen würde, und wär's zum Tode; als Ihr von den hundert und zwanzigtausend Mann jenseits der schottischen Grenze spracht, die sich seiner Zeit selbst Genugthuung schaffen würden, wenn man sie ihnen verweigert; als Ihr rieft: ›Nieder mit dem Pabst und allen seinen nichtswürdigen Anhängern; die Strafgesetze gegen sie sollen nie aufgehoben werden, so lange die Engländer noch Herz und Hände haben‹ – als Ihr ihnen zuwinktet und an Euern Degen schlugt, und als sie riefen: ›Kein Pabstthum!‹ und Ihr den Ruf mit den Worten erwiedertet: ›Nein, und wenn wir durch Blut waten müßten,‹ und als sie ihre Hüte in die Höhe warfen und riefen: ›Hurrah! und wenn wir durch Blut waten müßten! Kein Pabstthum! Lord George hoch! Nieder mit den Päbstlern – Rache auf ihre Häupter!‹ als alles dieß geschah und gesagt wurde, und ein Wort von Euch, Mylord, den Tumult steigern oder füllen konnte – ach! damals fühlte ich in der That, was Größe ist, und dachte: wann gab es je eine Macht, wie die des Lord George Gordon!«

»Es ist eine große Macht. Ihr habt Recht. Es ist eine große Macht!« rief er mit leuchtenden Augen. »Aber – lieber Gashford – sagte ich denn alles dieß wirklich?«

»Und wie viel mehr noch!« rief der Sekretär, aufwärts schauend. »Ah! wie viel mehr noch!«

»Ihr hörtet also, daß ich von den hundert und vierzigtausend in Schottland zu ihnen sprach?« fragte er mit augenscheinlichem Entzücken. »Das war kühn.«

»Unsere Sache fordert Kühnheit. Die Wahrheit ist immer kühn.«

»Gewiß. Deßgleichen auch die Religion. Sie ist kühn, Gashford?«

»Die wahre Religion ist es, Mylord.«

»Und das ist die unsrige,« versetzte er, unruhig in seinem Sitze hin und her rückend und an seinen Nägeln kauend, als wollte er sie bis an die Wurzeln abbeißen. »Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die unsrige die wahre ist. Ihr seyd so fest überzeugt davon, als ich, Gashford, nicht wahr?«

»Und kann Mylord mich so fragen?« grinste Gashford, mit beleidigter Miene seinen Stuhl näher ziehend und seine breite flache Hand auf den Tisch legend; » mich?« wiederholte er, die dunkeln  Höhlen seiner Augen mit einem unheimlichen Lächeln dem Andern zuwendend, »der erst noch vor einem Jahre, von dem Zauber seiner Beredtsamkeit verstrickt, in Schottland die Irrthümer der römischen Kirche abschwur und sich an ihn als an den Mann heftete, dessen Hand mich noch in Zeiten dem ewigen Pfuhle entriß?«

»Richtig, Nein – nein. Ich ich meinte es nicht so,« entgegnete Lord George, indem er seinem Sekretär die Hand drückte, von seinem Stuhle aufstand und unruhig im Zimmer umherging. »Die Führung des Volkes ist eine hohe Aufgabe,« fügte er bei, indem er plötzlich Halt machte.

»Und noch obendrein durch die Gewalt der Vernunft,« entgegnete der geschmeidige Sekretär.

»Ja, zuverlässig. Mögen sie im Parlament husten, höhnen und schnarren, meinetwegen mich einen Thoren oder Tollhäusler nennen – aber wer von ihnen kann diesen menschlichen Ozean nach Willkür zum Schwellen und Brüllen bringen? Nicht Einer.«

»Nicht Einer,« wiederholte Gashford.

»Wer kann sich seiner ehrlichen Absicht also rühmen, wie ich mich der meinigen? Wer von ihnen hat eine Bestechung der Minister im Betrage von jährlichen tausend Pfunden zurückgewiesen, weil er auf seinen Sitz nicht zu Gunsten eines Andern verzichten wollte? Nicht Einer.«

»Nicht Einer!« wiederholte Gashford abermals – inzwischen sich von dem Glühwein den Antheil des Löwen zueignend.

»Und da wir ehrlich und treu an einer heiligen Sache hängen, Gashford,« sprach Lord George mit glühendem Antlitz und lauterer Stimme, indem er zugleich die fieberische Hand auf die Schulter des Sekretärs legte; »da wir die einzigen sind, welche die Masse des Volkes achten und von ihr geachtet werden, so wollen wir bis auf's Aeußerste aushalten. Wir wollen gegen diese unenglischen Päbstler einen Schrei erheben, der mit Donnergroll durch das ganze Land wiederhallen soll. Ich will mich des Motto's auf meinem Wappen würdig erweisen: ›Berufen, erwählt und treu.‹«

»Berufen vom Himmel,« sagte der Sekretär.

»Ja.«

»Gewählt von dem Volke.«

»Ja.«

»Und treu gegen Beide.«

»Bis auf's Hochgericht!«

Es würde schwer seyn, dem Leser einen richtigen Begriff von der Aufregung, welche diese Antworten des Sekretärs hervorriefen, und von der Hast und dem Ungestüm in Ton und Geberde zu geben, womit er darauf einging, um so weniger, da durch das Ganze, trotz seines puritanischen Wesens, etwas Wildes und Ungezügeltes, das allen Zwang niederbrach, durchleuchtete. Einige Minuten ging er hastig im Zimmer auf und nieder; dann machte er plötzlich Halt und rief:

»Gashford – Ihr habt sie gestern gleichfalls ergriffen. Ja, ja! Das thatet Ihr!«

»Ich leuchtete mit erborgtem Lichte, Mylord,« versetzte der unterwürfige Sekretär, indem er die Hand auf's Herz legte. »Wenigstens that ich das Meinige, so gut ich konnte.«

»Ihr habt Euch wacker gehalten,« fuhr sein Gebieter fort, »und seyd ein großes, ein würdiges Werkzeug. Wenn Ihr John Grueby klingeln wollt, daß er den Mantelsack auf mein Zimmer bringe, so könnt Ihr hier warten, bis ich mich entkleidet habe; wir wollen dann wie gewöhnlich unsere Geschäfte bereinigen, falls Ihr nicht zu ermüdet seyd.«

»Zu ermüdet, Mylord? – Doch so rücksichtsvoll ist er immer! Ein Christ vom Kopf bis zu den Füßen.«

Während dieses Selbstgespräches brachte der Sekretär den Krug in eine geneigte Lage und sah sehr eifrig nach dem Glühwein hinunter, um sich zu überzeugen, wie viel noch davon übrig wäre.

John Willet und John Grueby traten mit einander ein. Der Eine nahm die großen Leuchter, der Andere den Mantelsack auf. – und so führten sie den getäuschten Lord nach seinem Gemache. Der allein zurückbleibende Sekretär gähnte, schüttelte sich und schlief endlich vor dem Feuer ein.

»Nun, Herr Gashford,« rief John Grueby dem Sekretär in's Ohr, der, wie er meinte, nur einen Augenblick genickt hatte; »Mylord ist zu Bette.«

»Oh! Sehr wohl, John,« lautete seine milde Antwort. »Danke Euch, John. Es braucht Niemand aufzubleiben. Ich weiß mein Zimmer.«

»Hoffentlich werdet Ihr heute Euch oder Mylord nicht mehr den Kopf zerbrechen mit weiteren Geschichten von der blutigen Maria?« sagte John. »Ich wollte, die verwünschte alte Hexe wäre nie geboren worden.«

»Ich sagte Euch, daß Ihr zu Bette gehen könnt, John,« entgegnete der Sekretär. »Es scheint, Ihr habt mich nicht gehört.«

»Vor lauter blutigen Maria's, blauen Kokarden, glorreichen Königinnen Beß, Kein-Pabstthum, protestantischen Verbindungen und Redenhalten,« fuhr John Grueby fort, indem er wie gewöhnlich, ohne sich an den Wink des Sekretärs zu kehren, in's Weite schaute, »hat Mylord schon halb den Kopf verloren. Kaum sind wir auf der Straße, so kommt uns eine Bande von Lumpengesindel nach und schreit hinter uns drein: ›Gordon für immer!‹ so daß ich mich vor mir selber schäme und nicht weiß, wo ich hinschauen soll. Sind wir zu Hause, so pflanzen sie sich unten auf, und lärmen und brüllen wie eben so viele losgelassene Teufel. Und Mylord, statt sie wegtreiben zu lassen, geht auf den Balkon hinaus und erniedrigt sich so weit, daß er Reden an sie hält, und sie ›Männer von England‹ und ›Landsleute‹ nennt, als hätte er eine gewaltige Freude an ihnen und danke ihnen für ihr Kommen. Ich kann nicht daraus klug werden, aber immer kommt auf eine oder die andere Weise Etwas von dieser unglücklichen blutigen Maria dazwischen, und sie schreien ihren Namen, bis sie heiser sind. Auch wollen alle Protestanten seyn – jeder Mann und jeder Gassenjunge unter ihnen; und Protestanten sind, wie ich finde, gewaltig auf Löffel und Silbergeschirr überhaupt versessen, sobald zufällig eine Hausthüre offen bleibt. Ich wollte nur, daß dieß das Schlimmste wäre, und nicht noch etwas Uebleres nachkäme; aber wenn ihr diesen garstigen Kunden nicht in Zeiten einen Zaum anlegt, Herr Gashford (aber ich kenne Euch, Ihr seyd gerade der Mann, der das Feuer schürt), so werdet Ihr finden, daß sie ein Bischen zu stark für Euch werden. Nächster Tage, wenn das Wetter wärmer wird und die Protestanten Durst kriegen, werden sie ganz London niederreißen. – und ich habe nie gehört, daß es die blutige Maria so weit getrieben hätte.«

Gashford war indeß längst verschwunden, und so gingen denn diese Bemerkungen nur in die leere Luft. Diese Entdeckung brachte jedoch John Grueby nicht aus seiner Fassung; er setzte seinen Hut verkehrt auf, um nicht einmal in seinem Schatten die anstößige Kokarde sehen zu müssen, und begab sich zu Bette, auf dem Wege dahin in sehr düsterer und prophetischer Weise den Kopf schüttelnd.



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