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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Wie der vollendete Gentleman in der Mitte eines prunkenden und blendenden Zirkels seinen Abend verbrachte, wie er Alle, die mit ihm in Berührung kamen, durch sein graziöses Benehmen, die Feinheit seiner Manieren, die Lebhaftigkeit seiner Unterhaltung und das Einschmeichelnde seiner Stimme bezauberte, wie man an allen Ecken und Enden bemerkte, Chester sey ein Mann von so glücklichem Temperament, daß ihn nichts störe, daß ihm die Sorgen und Wirren der Welt so leicht ständen, wie sein Anzug, und daß aus seinem lächelnden Gesichte stets ein ruhiger und friedlicher Geist wiederstrahle; wie selbst Ehrenmänner trotz dem, daß ihr Inneres sie eines Bessern belehrte, sich vor ihm beugten, jedem seiner Worte Beifall zollten und um seine geneigte Aufmerksamkeit buhlten; wie Leute, die wirklich etwas Gutes in sich hatten, doch mit dem Strome fortschwammen und krochen und heuchelten und Beifall zollten, und obgleich sie sich selbst darüber verachten mußten, doch nicht den Muth hatten, zu widerstehen, mit einem Worte, wie er einer von jenen Menschen war, die in der Gesellschaft aufgenommen und (wie man zu sagen pflegt) von Dutzenden gehätschelt werden, deren Persönlichkeit vor dem Gegenstande, an dem sie ihre Verehrung verschwenden, erschrecken und zurückfahren sollte – das sind natürlich Dinge, die sich von selbst verstehen. Für solche Gemeinplätze genügt ein flüchtiger Blick, und damit wollen wir's bewenden lassen.

Die Menschenverächter – ich spreche natürlich nicht von den Thoren und Affen, welche dieses Glaubensbekenntniß affektiren – zerfallen in zwei Arten: einmal in solche, welche glauben, ihr Verdienst werde vernachlässigt und nicht geschätzt, dann in solche, welchen man huldigt und schmeichelt, während sie ihren eigenen Unwerth kennen. Natürlich gehören die kaltherzigen Misanthropen in diese letztere Klasse.

Herr Chester saß des andern Morgens aufrecht in seinem Bette, schlürfte seinen Kaffee und gedachte eben mit einer Art von geringschätziger Behaglichkeit, wie er am letzten Abend geglänzt, und wie man ihm geschmeichelt und den Hof gemacht hatte, als sein Diener einen sehr kleinen Fetzen schmutzigen Papiers, das an zwei Orten versiegelt war, hereinbrachte. Der Inhalt desselben bestand aus folgenden ziemlich groß geschriebenen Worten:

»Ein Freund. Wünscht eine Unterredung. Augenblicklich. Ganz in's Geheim. Verbrennt es, wenn Ihr es gelesen habt.«

»Wo, im Namen der Pulververschwörung, hast du dieß aufgelesen?« fragte sein Herr.

Der Diener erwiederte, es sey ihm von einer Person übergeben worden, die noch an der Thüre warte.

»Im Mantel und mit einem Dolch?« fragte Herr Chester.

Er scheine nichts Drohenderes an sich zu haben, als eine Lederschürze und ein schmutziges Gesicht.

»So laß ihn hereinkommen.«

Und hereintrat – Herr Tappertit. Das Haar stand ihm noch immer zu Berge, und in der Hand trug er ein großes Schloß, welches er mitten im Zimmer auf den Boden legte, als sey er Willens, einige Kunstproduktionen zu zeigen, zu denen er desselben nothwendig bedurfte.

»Sir,« begann Tappertit mit einem Bückling, »ich danke Euch für diese Herablassung, und freue mich, Euch zu sehen. Entschuldigt mich wegen des Fröhnergeschäfts, dem ich verfallen bin, Sir, und dehnt Euer Mitgefühl auf einen Menschen aus, dessen inneres Schaffen weit über seiner Lage steht, wie unscheinbar auch sein Aeußeres seyn mag.«

Herr Chester zog den Bettvorhang weiter zurück und sah nach ihm hin, die unbestimmte Idee unterhaltend, daß ihm hier ein Verkehr mit einem Tollhäusler bevorstehe, der nicht nur seine Gefängnißthüre erbrochen, sondern auch das Schloß mitgenommen habe. Herr Tappertit verbeugte sich abermals und zeigte seine Beine im vortheilhaftesten Lichte.

»Ihr habt wohl schon von Gabriel Varden gehört,« fuhr Herr Tappertit fort, indem er die Hand auf seine Brust legte, »einem Schlosser und Glockenzugmacher zu Clerkenwell in London, der alle Aufträge und Reparaturen in Stadt und Land auf's Beste besorgt?«

»Und was weiter?« fragte Herr Chester.

»Ich bin sein Lehrling, Sir.«

»Was dann

»Hm!« räusperte sich Herr Tappertit. »Wolltet Ihr mir wohl erlauben, die Thüre zu schließen, Sir, und seyd Ihr ferner bereit, Sir, mir Euer feierliches Ehrenwort zu geben, daß alles, was zwischen uns vorgeht, unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit verbleibt?«

Herr Chester legte sich ruhig wieder in sein Bett zurück, wandte ein vollkommen gefaßtes Gesicht der Erscheinung zu, welche inzwischen die Thüre geschlossen hatte, und forderte dieselbe auf, so vernünftig sich auszusprechen, als es ihr möglich sey, ohne sich allzugroße persönliche Unbequemlichkeiten aufzuerlegen.

»Erstlich, Sir,« sagte Herr Tappertit, indem er ein kleines Taschentuch herauszog und es auseinander schüttelte, »erlaubt mir, da ich keine Karte bei mir habe (denn der Neid unserer Meister erniedrigt uns so weit, daß wir keine führen dürfen), Euch das beste Surrogat, welches die Umstände gestatten, dafür anzubieten. Wenn Ihr dieß in Eure Hand nehmen und Euer Auge auf die rechte Ecke werfen wollt. Sir,« fuhr Herr Tappertit fort, indem er das Taschentuch sehr graziös hinbot, »so finden Sie mein Creditiv.«

»Danke Ihnen,« antwortete Herr Chester, es höflich entgegen nehmend und die blutrothen Schriftzüge in dem einen Zipfel betrachtend. »›4. Simon Tappertit. 4.‹ Ist dieß die – –«

»Ohne die Nummern. Sir, das ist mein Name,« versetzte der Lehrling. »Die Zahlen sind bloße Anweisungen für die Wäscherin und haben keine Beziehung auf mich oder meine Familie. Euer Name, Sir,« sagte Herr Tappertit, die Nachtmütze des Andern scharf in's Auge fassend, »ist Chester, glaube ich. Ihr braucht sie nicht abzunehmen. Sir, ich danke Euch – denn ich kann von hier aus das E. C. unterscheiden. Das Uebrige wollen wir für ausgemacht annehmen.«

»Ich bitte, Herr Tappertit,« sagte Herr Chester, »hat das complicirte Stück Eisenwaare, das Ihr mitzubringen so gütig waret, irgend eine unmittelbare Beziehung zu dem Geschäft, über das wir uns besprechen wollen?«

»Nein, Sir,« antwortete der Lehrling. »Es soll an die Thüre eines Waarenlagers in der Themse-Straße angeschlagen werden.«

»Nun, wenn dieß der Fall ist,« versetzte Herr Chester, »so werdet Ihr mich vielleicht, da es einen starken Oelgeruch verbreitet, womit ich mein Schlafzimmer nicht zu räuchern pflege, in so weit verbinden, daß Ihr es vor die Thüre hinauslegt?«

»In allweg, Sir,« entgegnete Herr Tappertit, der die That dem Worte folgen ließ.

»Ihr entschuldigt hoffentlich, daß ich deß erwähne?«

»Keine Entschuldigung, wenn ich bitten darf, Sir. Und nun, wenn's gefällig ist, zur Sache.«

Während dieses ganzen Dialogs hatte Herr Chester nichts als sein unveränderlich heiteres und höfliches Lächeln auf seinem Gesichte spielen lassen. Sim Tappertit, der eine zu hohe Meinung von sich selbst hatte, um zu argwöhnen, daß Jemand ihn zum Besten haben könnte, dachte in seinem Innern, hier finde er doch etwas von der Achtung, zu welcher er berechtigt sey, und zog zwischen dem höflichen Benehmen eines Fremden und dem des würdigen Schlossers eine Vergleichung, die keineswegs zu Gunsten des Letzteren ausfiel.

»Aus den Vorgängen in unserm Hause,« sagte Herr Tappertit, »bemerke ich, Sir, daß Euer Sohn gegen Euern Willen eine Verbindung mit einer jungen Dame unterhält, Sir. Euer Sohn hat mich gar nicht gut behandelt.«

»Herr Tappertit,« entgegnete der Andere. »Ihr betrübt mich über die Maßen.«

»Danke Euch, Sir,« erwiederte der Lehrling. »Es freut mich, Euch so sprechen zu hören. Euer Sohn ist sehr stolz, Sir – ungemein hochmüthig.«

»Ich fürchte selbst auch, daß er hochmüthig ist,« sagte Herr Chester. »Wißt Ihr auch, daß ich früher schon die Besorgniß hegte, und daß Ihr mich jetzt darin bestätigt?«

»Wenn ich die Frohndienste aufzählen wollte, die ich für Euern Sohn leisten mußte,« fuhr Herr Tappertit fort,« die Sänften und Kutschen, die ich für ihn zu besorgen, und die zahllosen herabwürdigenden Dienstleistungen, die ich für ihn zu verrichten hatte, obgleich nichts davon in meinem Lehrvertrag sieht, so könnte ich eine Hausbibel damit anfüllen. Außerdem, Sir, ist er selbst nur ein junger Mann, und ich glaube nicht, daß bei solchen Gelegenheiten ein ›danke dir, Sim,‹ die passende Anredeformel ist.«

»Herr Tappertit, Eure Weisheit geht über Eure Jahre. Ich bitte, fortzufahren.«

»Schönen Dank für Eure gute Meinung, Sir,« sagte Sim, »und ich will mir Mühe geben, Eurem Wunsche zu entsprechen. Nun, Sir, aus diesem Grunde (und vielleicht aus noch ein paar anderen, auf die ich mich nicht einzulassen brauche) bin ich ganz auf Eurer Seite; und was ich Euch zu sagen habe, besteht kurz darin – so lange unsere Leute hin und her, ab und zu, nach jenem lustigen alten Maibaum gehen, Briefe schreiben, Boten laufen, holen und bringen, so könnt Ihr nicht hindern, daß Euer Sohn mit jener jungen Dame durch Sendlinge verkehrt – nein, nicht einmal, wenn er Tag und Nacht durch die ganze Leibgarde zu Pferd bewacht würde und Mann für Mann stets in der vollsten Uniform wäre.«

Herr Tappertit hielt inne, um ein wenig zu Athem zu kommen, und ging dann wieder frisch d'rauf los.

»Jetzt aber komme ich auf den Hauptpunkt, Sir. Ihr werdet mich fragen, wie dem vorzubeugen ist? Ich will es Euch sagen, wie. Wenn ein achtbarer, höflicher, lächelnder Gentleman, wie Ihr –«

»Herr Tappertit – in der That –«

»Nein, ich meine es ganz im Ernste,« versetzte der Lehrling, »gewiß, bei meiner Seele. Wenn ein achtbarer, höflicher und lächelnder Gentleman nur zehn Minuten mit unserm alten Weibe – das heißt mit Frau Varden – sprechen und ihr ein Bischen mit Schmeicheleien zusetzen wollte, so würde er sie auf immer für sich gewinnen. Dann hat man so viel erreicht – daß ihre Tochter Dolly« – hier überflog eine Glut Herrn Tappertit's Gesicht – »nicht mehr den Zwischenträger spielen dürfte; allein so lange man's nicht so weit gebracht hat, wird sie nichts zu hindern im Stande seyn. Dieß müßt Ihr wohl in's Auge fassen.«

»Herr Tappertit, Eure Kenntniß der menschlichen Natur –«

»Noch eine Minute Geduld!« sagte Sim, indem er mit schrecklicher Ruhe seine Hände über einander schlug. »Jetzt kommen wir erst zu dem Hauptpunkte. In jenem Maibaum ist nämlich ein Schuft, ein Ungeheuer in Menschengestalt, ein abgefeimter Hallunke, der, wenn Ihr Euch seiner nicht entledigt, wenn Ihr ihn nicht allerwenigstens stehlen und entführen laßt – denn durch leichtere Mittel wird's nicht gehen – Euren Sohn so sicher und gewiß mit jenem jungen Frauenzimmer zusammenbringen wird, als wäre er der Erzbischof von Canterbury selbst. Er wird dieß schon aus Haß und Bosheit gegen Euch thun, Sir – abgesehen von der Lust, die er in bösen Thaten findet, und die ihm an sich schon Lohnes genug wäre. Wenn Ihr wüßtet, wie dieser Bube, dieser Joseph Willet – denn so heißt er – in unserm Hause ab und zu geht, welche Verläumdungen, Schmähungen und Drohungen er gegen Euch ausstößt – es schaudert, wenn ich es nur anhöre  –, so würdet Ihr ihn noch bitterer hassen, als ich ihn hasse – ja, noch bitterer als ich, Sir,« fügte Herr Tappertit wild bei, indem er sein Haar noch mehr in die Höhe strich, und mit den Zähnen knirschte, »wenn dieß je möglich wäre.«

»Da ist wohl eine kleine Privatrache mit im Spiel, Herr Tappertit?«

»Privatrache, Sir, oder öffentliche Meinung, oder beides zusammengenommen – vernichtet ihn,« sagte Herr Tappertit. »Miggs ist der gleichen Meinung. Ich und Miggs, wir beide sagen so. Wir können das Complottiren und Unterminiren, das da stattfindet, nicht mit ansehen. Es ist uns in der Seele zuwider. Barnaby Rudge und Frau Rudge sind gleichfalls mit im Spiel, aber der schuftige Joseph Willet ist der Rädelsführer. Ich und Miggs kennen ihre Complotte und Entwürfe. Wenn Ihr darüber belehrt sein wollt, so wendet Euch an uns. Nieder mit Joseph Willet, Sir! Vernichtet ihn – und seyd glücklich.«

Herr Tappertit schien auf diese Worte keine Antwort zu erwarten, sondern es für eine nothwendige Folge seiner Beredtsamkeit zu halten, daß sein Zuhörer eigentlich versteinert, stumm und überwältigt sein müßte; er kreuzte daher die Arme in einer Weise, daß die Fläche einer jeden Hand auf der entgegengesetzten Schulter ruhte, und verschwand nach Art jener geheimnißvollen Warner, von denen er in wohlfeilen Romanen gelesen hatte.

»Dieser Kerl ist brauchbar,« sagte Herr Chester, indem er, sobald sich sein Gefährte entfernt hatte, sein Gesicht in ruhigere Falten legte. »Ohne Zweifel weiß ich meine Züge einigermaßen zu beherrschen. Er bringt mir indeß nur eine Bekräftigung meines Argwohns, und stumpfe Werkzeuge nützen oft mehr, als scharfe. Ich fürchte, ich werde eine große Verheerung unter diesen würdigen Leuten anrichten müssen. Eine unangenehme Nothwendigkeit. Es thut mir eigentlich Leid um sie.«

Sofort verfiel er in einen ruhigen Schlummer – in einen so sanften und gefälligen Schlaf, wie der eines Kindes.



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