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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Was ist Hecuba ihm, was ist er ihr?
Daß Thränen er vergießen sollt' um sie?

Hamlet.

 

Am nächsten Morgen befanden sich Paul und Eva allein in der Bibliothek, die so lange allen vertraulichen Besprechungen der Familie Effingham als Schauplatz gedient hatte. Man sah an Eva Spuren von Thränen, und auch Pauls Augen waren nicht ganz frei von den Merkzeichen vorausgegangener starker Erregung; aber Beider Antlitz leuchtete von innerer Freude, und die schüchternen, aber zärtlichen Blicke, mit welchen unsere Heldin die der Bewunderung von Seiten ihres Liebhabers erwiederte, deuteten auf eine Fülle glücklicher Hoffnungen. Ihre Hand lag in der seinigen, und er führte sie im Laufe des Gesprächs oft an seine Lippen.

»Dieß ist so wundervoll,« rief Eva nach einer der vielen Pausen des Nachsinnens, denen sich Beide hingaben, »daß ich kaum glauben kann, ob ich wache. Daß Ihr – Blunt, Powis, Assheton – Euch zuletzt noch als einen Effingham ausweisen müßt!«

»Und daß ich, der sich so lange für verwaist hielt, in einem Manne, wie Mr. John Effingham, einen noch lebenden Vater finden durfte!«

»Es ist mir oft vorgekommen, als laste etwas schwer auf Vetter Jacks Herzen – Ihr müßt mich entschuldigen, Powis, aber ich brauche einige Zeit, bis ich ihn bei einem achtungsvolleren Namen nennen lerne.«

»Nennt ihn immerhin so, meine Liebe, denn ich bin überzeugt, es würde ihm schmerzlich fallen, wenn er bei Euch eine Veränderung fände. Er ist ja wirklich Euer Vetter Jack.«

»Aber er könnte doch eines Tags unerwarteterweise auch mein Vater werden, wie er so wundervoll der Eurige geworden ist,« entgegnete Eva mit einem schalkhaften Blicke nach dem glühenden Antlitz des entzückten jungen Mannes; »und dann dürfte Vetter Jack doch ein allzu vertraulicher und achtungswidriger Ausdruck sein.«

»Eure Ansprüche an ihn erscheinen um so viel stärker, als der meinige, daß ich glaube, wenn dieser gesegnete Tag einmal eintrifft, so wird er wohl eher mein Vetter Jack, als Euer Vater werden. Doch wie Ihr ihn auch nennen mögt, warum beharrt Ihr stets darauf mich als Powis anzureden?«

»Dieser Name wird mir stets theuer sein! Ihr verkümmert mir meine Rechte, wenn Ihr mir eine Veränderung des Namens verweigert. Die Hälfte der jungen Damen in unsrem Lande heirathen, um aus den Misses So-und-so, die sie waren, Mistresses Anders geheißen zu werden, während ich verurtheilt bin, mein ganzes Leben über eine Eva Effingham zu bleiben.«

»Wenn Ihr gegen diesen Namen etwas einzuwenden habt, so kann ich wohl fortfahren, mich Powis zu nennen; es ist ohnehin schon so lange geschehen, daß die Bezeichnung fast als legal erscheinen dürfte.«

»Nein gewiß nicht – Ihr seid ein Effingham und müßt als Effingham bekannt werden. Welch' ein glückliches Loos ist mir beschieden; denn es bleibt mir bei dem großen Ereigniß meines Lebens sogar der Schmerz erspart, mich von meinen alten Freunden zu trennen, und ich finde in der Heimath meiner Kindheit den Herd meines häuslichen Lebens.«

»Ich verdanke Euch Alles, Eva – Namen, Glück und sogar meine Heimath.«

»Ich weiß dieß doch nicht. Nun bekannt ist, daß Ihr der Urenkel von Edward Effingham seid, möchte ich glauben, daß Eure Aussichten auf den Besitz des Wigwam den meinigen vollkommen gleichkommen, selbst wenn wir unser eheliches Glück auf verschiedenen Wegen suchen wollten. Eine derartige [Einrichtung] ließe sich unschwer treffen, da John Effingham vermittelst jener geldabwerfenden Stocks und Kapitalbriefe, derer er so viele besitzt, leicht eine Tochter für den Verlust ihres Hauses und ihrer Ländereien entschädigen könnte.«

»Ich betrachtete die Sache aus einem andern Gesichtspunkte. Ihr wart Mr. – meines Vaters Erbin – wie seltsam klingt das Wort Vater in Ohren, die nicht daran gewöhnt sind! – aber Ihr wart meines Vaters erkorene Erbin, und ich verdanke Euch, meine Theure, außer dem Schatze, den mir Euer Herz und Euer Wort gibt, meine Habe.«

»Seid Ihr dessen so ganz gewiß, Undankbarer? – Hat Euch nicht Mr. John Effingham – Vetter Jack – als Sohn adoptirt, noch ehe er etwas von dem natürlichen Bande wußte, das wirklich zwischen Euch besteht?«

»Ganz richtig – denn ich bemerke wohl, daß Ihr von Allem, was zwischen uns vorgefallen, unterrichtet seid. Indeß hoffe ich, daß mein Vater, als er Euch sein Erbieten mittheilte, nicht zu bemerken vergaß, unter welchen Bedingungen es angenommen wurde.«

»Er ließ Euch volle Gerechtigkeit widerfahren, denn er sagte mir, Ihr hättet Euch ausbedungen, daß in den Testamenten keine Veränderungen vorgehen, sondern die bereits erkorene unwürdige Erbin in ihren Rechten verbleiben solle.«

»Und hierauf ist Mr. – –«

»Vetter Jack,« versetzte Eva lachend, denn das Lachen kommt leicht, wenn man sich überschwenglich glücklich fühlt..

»Hierauf ist unser Vetter Jack eingegangen.«

»Wieder vollkommen wahr. Das Testament würde nicht abgeändert worden sein, da bereits auf Eure Interessen Bedacht genommen war.«

»Auf Kosten der Eurigen, theuerste Eva.«

»Es wäre auf Kosten meiner besseren Gefühle geschehen, theuerster Paul, wenn sich's anders verhalten hätte. Uebrigens kann uns dieses Testament weder Nutzen noch Nachtheil bringen.«

»Ich hoffe, es möge unverändert bleiben, Geliebte, damit ich Euch so viel wie möglich zu verdanken habe.«

Eva blickte ihren Verlobten freundlich an, und ein hohes Roth überflog ihr ganzes Antlitz, während sie zugleich in geheimnißvoller Weise lächelte.

»Welcher verborgene Sinn liegt hinter diesem bedeutungsvollen Blicke?«

»Er will sagen, Powis, daß ich eine That begangen habe, welche fast verbrecherisch erscheinen könnte. Ich habe ein Testament vernichtet.«

»Doch nicht das meines Vaters?«

»Das nämliche; aber es geschah in seiner Gegenwart und, wenn auch nicht unbedingt mit seiner Zustimmung doch mit seinem Vorwissen. Als er mich von Euren Vorzugsrechten unterrichtete, rastete ich nicht, bis es geschehen war, damit Ihr für jeden denkbaren Fall der unbestrittene, gesetzmäßige Erbe sein möget. Vetter Jack that zwar, als wolle er es nicht gestatten; aber ich glaube, er schlief nur um so süßer in dem Bewußtsein, daß dieser Akt der Gerechtigkeit vollbracht war.«

»Ich fürchte, er hat gleichwohl nur wenig geschlafen, denn Mitternacht war längst vorbei, als ich ihn verließ, und die Aufgeregtheit seines Geistes war von der Art, daß sie den Augen eines Sohnes unheimlich vorkommen mußte.«

»Und die versprochene Aufklärung wird die Wunde nur wieder neu aufreißen – wozu sie also überhaupt machen? Ist es nicht genug an der Gewißheit, daß Ihr sein Sohn seid? Und haben wir dafür nicht seine feierliche Versicherung – die Erklärung eines dem Grabe nahen Mannes?«

»Auf dem Rufe meiner Mutter darf kein Schatten haften bleiben. Fehltritte kommen zwar überall vor, aber es ist schmerzlich – ach wie schmerzlich – wenn ein Kind Schlimmes denken soll von einer Mutter.«

»Ueber diesen Punkt seid Ihr bereits beruhigt. Was Ihr zuvor schon wußtet und John Effinghams bestimmte Erklärungen machen Euch zum Kinde einer untadeligen Mutter.«

»Keine Frage; aber dieses Opfer muß gleichwohl dem Geiste meiner Mutter gebracht werden. Es ist jetzt neun; die Frühstückglocke wird bald läuten und dann werden wir die ganze traurige Geschichte hören. Betet mit mir, Eva, daß sie nicht in einer Weise ausfalle, welche die Ohren eines Sohnes verwunden müßte.«

Eva nahm Pauls Hand in die ihrige und küßte sie mit einer Art heiliger Hoffnung, die in ihrer Kundgebung weder Erröthen noch Scham veranlaßte. In der That waren ihre jungen Herzen so fest an einander gefesselt und ihre Liebe war so umfassend, so vertrauensvoll und so rein, daß sie derartige gegenseitige Gefühlsäußerungen nur nach der Weise einer Anerkennung ihres zuversichtlichen Bauens auf irgend eine andere heilige Grundlage zu deuten vermochten. Die Klingel berief sie jetzt zum Frühstücktische, und Eva forderte in der Schüchternheit ihres Geschlechts Paul auf, einige Minuten früher hinunterzugehen, damit die Heiligkeit ihrer Liebe nicht durch die Beobachtung ungeweihter Blicke geschwächt werden möchte.

Das Frühstück wurde schweigend eingenommen. Die Entdeckung der vorigen Nacht war nämlich durch die Erklärungen des wieder zum Bewußtsein zurückgekehrten John Effingham Allen im Hause bekannt geworden, denn Kapitän Doucie hatte in seiner Arglosigkeit männiglich, wer ihn hören konnte, zum Beistand des ohnmächtig daliegenden Mannes aufgeboten; und es herrschte jetzt eine moralische Spannung, welche beklemmend auf der ganzen Gesellschaft lastete, die Liebenden allein ausgenommen. Da ein recht herzinniges Glück selten redselig ist, so ging die Mahlzeit stumm von Statten, und sobald sie beendigt war, suchten Diejenigen, welche nicht durch die Bande des Bluts mit Betheiligten verknüpft waren und deßhalb kein Anrecht halten, sich bei den bevorstehenden Enthüllungen zu betheiligen, anderweitig Beschäftigung, um die Familie ungestört zu lassen, während Alle, denen zum Voraus mitgetheilt worden war, daß ihre Anwesenheit erwünscht sein werde, sich schweigend nach John Effingham's Ankleidezimmer verfügten. Zu diesen gehörten nur Mr. Effingham, Paul und Eva. Ersterer begab sich in das Schlafgemach seines Vetters, um sich mit demselben gesondert zu besprechen – eine Unterredung, die eine halbe Stunde währte. Nach Ablauf dieser Zeit wurden die beiden Anderen aufgefordert, gleichfalls hereinzukommen.

John Effingham war ein stolzer Mann von kräftigem Geiste und sein Hauptfehler bestand in einem Selbstvertrauen, welches ihn nicht geneigt machte, bei einer höheren Macht die Unterstützung, Führung und Berathung zu suchen, deren wir Alle so sehr bedürftig sind. Demüthigungen vor Gott waren ihm übrigens nichts ganz Ungewohntes, und während der letzten Jahre sogar häufig geworden, obschon er sich vor seinen Nebenmenschen nicht das Ansehen geben wollte. Er fühlte, wie viel richtiger, klarer und gewissenhafter sogar seine eigenen Ansichten in Vergleichung mit denen der meisten Menschen waren, und hielt es daher selten für der Mühe werth, sich mit irgend Jemand über die Gesinnungen, die er haben, oder über das Benehmen, das er einschlagen sollte, zu besprechen. Es ist kaum nöthig zu sagen, daß ein solches Wesen starke, hinreißende Leidenschaften in sich tragen mußte, die häufig selbst über den Zug des Herzens oder über die eigenen Grundsätze übermächtig wurden. Der Auftritt, dessen er sich nunmehr nicht entschlagen konnte, war daher reich an Schmerz und Selbstdemüthigung, obschon er sich bewußt war, daß die Gerechtigkeit einen derartigen Schritt forderte, weßhalb er sich dann auch stolz entschloß, seiner Pflicht mannhaft und ohne Rückhalt nachzukommen. Gleichwohl blieb es immerhin eine peinlich demüthigende Aufgabe, und es bedurfte seiner ganzen Selbstbeherrschung, seines vollen Rechtsgefühls und einer klaren Erwägung aller Folgen, die ihm nothwendig schnell vor Augen treten mußten, um ihn zu befähigen, den Schritt mit der erforderlichen Festigkeit und in gehörigem Zusammenhang auszuführen.

Als Paul und Eva eintraten, saß John Effingham in einem Armstuhl, denn obschon man ihn nicht eben leidend nennen konnte, sah man doch deutlich, daß er durch die Ereignisse und Erregungen der letzten Stunden aufs Tiefste erschüttert war. Er reichte jedem von dem Paare eine Hand, zog Eva liebevoll an sich und küßte sie auf die glühende Wange, während das rasche Erblassen und Erröthen des Mädchens den Gedankenstrom, der in ihrem Innern tobte, zu erkennen gab. Paul hieß er mit freundlichem Blicke willkommen, obschon ein hektischer rother Fleck, der auf jeder Wange glühte, deutlich verrieth, daß sich seine Empfindungen zugleich in Schmerz und Wonne theilten. Eine lange Pause folgte dieser Begrüßung, und endlich unterbrach John Effingham das Schweigen.

»Es kann jetzt in keiner Weise mehr fraglich sein, mein theurer Paul,« sagte er mit einem liebevollen aber wehmüthigen Lächeln, »daß du mein Sohn bist. Schon die Briefe, welche John Assheton nach der Trennung deiner Eltern an deine Mutter schrieb, würden diesen wichtigen Punkt belegen, selbst wenn nicht die Namen und die übrigen Thatsachen, die zu unserer Kenntniß kamen, mir bereits die kostbare Wahrheit bewiesen hätten – denn kostbar und theuer ist mir das Bewußtsein, daß ich der Vater eines so würdigen Kindes bin. Aber du muß dich jetzt bereit halten, Dinge zu hören, die für das Ohr eines Sohnes nicht angenehm sein können.«

»Nicht doch, Vetter Jack – theurer Vetter Jack,« rief Eva, sich in die Arme ihres Verwandten werfend. »Wir wollen nichts der Art hören; es ist genug für uns, daß Ihr Pauls Vater seid, und wir wünschen nicht mehr zu vernehmen – wollen nicht mehr hören.«

»Dieß sieht dir gleich, Eva, verträgt sich aber nicht mit dem, was ich für die Gebote der Pflicht halte. Paul hatte zwei Eltern, und nicht der geringste Verdacht darf auf der Mutter ruhen bleiben, um die Gefühle des Vaters zu schonen. Dadurch, daß du mir diese Liebe erweisen willst, handelst du unbedacht gegen Paul.«

»Ich bitte, theurer Sir, nicht allzuviel an mich zu denken, sondern ganz nach Eurem Ermessen – nach Euren eigenen Gefühlen zu handeln. Mit einem Worte, mein Vater, nehmt auf Euch selbst größere Rücksicht, als auf Euern Sohn.«

»Ich danke euch, meine Kinder – welch' ein Wort und welch' ein neues Gefühl liegt für mich in diesem Wort, Ned! Ich weiß den wohlwollenden Sinn von euch Beiden vollkommen zu würdigen, aber wenn ihr's mit meinem Seelenfrieden gut meint – wenn ihr wünscht, daß ich meine Selbstachtung wieder gewinnen soll, so müßt ihr mir gestatten, daß ich mir die Last vom Herzen schaffe, durch die es bedrückt ist. Dieß ist eine starke Sprache, aber obschon ich kein vorbedachtes Verbrechen, kein entschiedenes Laster zu bekennen habe, fühle ich doch, daß sie kaum zu stark ist für den wirklichen Tatbestand.«

John Effingham hielt jetzt inne, als wollte er sich sammeln, und fuhr dann mit einem Ernste fort, so daß keine Sylbe den Ohren seiner Zuhörer entging.

»Deinem Vater, Eva, ist es wohl bekannt, obschon es wahrscheinlich für dich eine neue Kunde ist, daß ich für deine selige Mutter eine Leidenschaft fühlte, wie sie nur wenige Männer je für eine deines Geschlechtes in ihrem Innern bergen. Dein Vater und ich, wir Beide bewarben uns zu gleicher Zeit um ihre Gunst, obschon ich kaum sagen kann, Edward, daß sich je ein Gefühl neidischer Eifersucht in unsere Nebenbuhlerschaft einschlich.«

»Du erweisest mir nur Gerechtigkeit, John, denn wenn die Zuneigung meiner geliebten Eva mir Kummer bereiten konnte, so geschah es nur deßhalb, weil sie dir schmerzlich war.«

»Noch schmerzlicher war mir das Bewußtsein, selbst auch die Wahl, die sie traf, billigen zu müssen, denn für ihr eigenes Glück sorgte deine Mutter jedenfalls besser, indem sie sich den geregelten milden und mannhaften Tugenden deines Vaters vertraute, als wenn sie ihre Hoffnungen an einen Menschen setzte, der so ungestüm und überspannt war, wie ich.«

»Dieß ist ungerecht, John; du magst wohl entschieden und zuweilen ein wenig streng gewesen sein, warst aber nie ungestüm, und am wenigsten gegen ein Weib.«

»Nenne es, wie du willst;, mein Charakter war eben nicht geeignet, ein so sanftes, edles, hochgesinntes Wesen in dem Grade glücklich zu machen, wie sie es verdiente und wie sie es auf ihrer Erdenbahn durch dich wurde. Ich hatte den Muth, zu bleiben und mit anzusehen, wie mein Verwandter begünstigt wurde, obschon die Verbindung, aus Rücksicht für meine Gefühle, erst zwei Jahre später statt fand; dann aber verließ ich sie mit einem Herzen voll verletzten Stolzes, verwundeter Liebe und einer Empfindlichkeit, die sich eher gegen mich selbst, als gegen deine Eltern richtete. Ich hatte mir in meiner Verzweiflung vorgenommen, nie wieder zu meiner Familie zurückzukehren, obschon ich mir diesen Entschluß nicht einmal selbst zuzugestehen wagte; gleichwohl schlich er sich verstohlen durch alle meine Plane, fraß um sich wie ein aufreibendes Geschwür und bewog mich, als ich mich von dem Schauplatz des Glückes losriß, den ich mit anzusehen gezwungen gewesen war, meinen Namen zu ändern und allerlei sinnlose Maßregeln zu treffen – ja, ich beabsichtigte sogar, mein Geburtsland für immer zu verlassen.«

»Armer John!« rief sein Vetter unwillkürlich, »welch ein Schlag wäre dieß für unser Glück gewesen, wenn wir es gewußt hätten!«

»Ich war davon überzeugt, selbst als ich mich unter dem Streiche krümmte, den du mir so unabsichtlich versetzt hattest, Ned; aber die Leidenschaften sind tyrannische und unbeständige Gebieter. Ich nahm den Namen meiner Mutter an, wechselte meine Bedienung und vermied diejenigen Landestheile, wo ich bekannt war. Zu jener Zeit zitterte ich für meine Vernunft, und der Gedanke flog mir durch den Kopf, ich könnte vielleicht durch eine plötzliche Heirath die alte Leidenschaft, die mich aufzureiben drohte, verdrängen und für jene milderen Gefühle Raum finden, welche dich so glücklich zu machen schienen, Edward.«

»In der That, John, dieß war wohl ein zeitweiliges Wanken deiner geistigen Fähigkeiten.«

»Es war einfach die Wirkung von Leidenschaften, über welche die Vernunft nie einen zureichenden Einfluß zu üben gelernt hatte. Der Zufall führte mich in einem der südlichen Staaten mit Miß Warrender zusammen, und ich meinte, sie könne alle die wilden Glücks-Entwürfe meines Grolls verwirklichen.«

»Deines Grolls, John?«

»Ich fürchte, ich muß dieß zugestehen, Edward, obgleich er sich nun gegen mich selbst kehrte. Ich machte Miß Warrenders Bekanntschaft unter dem Namen John Assheton, und es verschwanden einige Monate, ehe ich mich entschloß, den erwähnten furchtbaren Versuch zu machen. Sie war jung, schön, von guter Herkunft und tugendhaft; wenn sie einen Fehler hatte, so bestand dieser in ihrem hohen Geiste – ich meine nicht, daß sie hochfahrend war, sondern nur, daß sie einen stolzen, hohen Sinn besaß.«

»Gott sei Dank dafür!« rief Paul, der seine Gefühle nicht zu bewältigen vermochte, aus tiefster Seele.

»Was den Charakter deiner Mutter betrifft, mein Sohn, so hast du nur wenig zu fürchten; denn wenn er auch nicht vollkommen war, so trifft doch ihre weibliche Tugend kein Vorwurf, und sie hätte jeden vernünftigen Mann glücklich machen können. Meine Bewerbung fand Annahme, da ihr Herz noch frei war. Miß Warrender besaß nicht viel Vermögen, und außer den übrigen nicht rechtfertigbaren Beweggründen, die mich leiteten, suchte ich eine Befriedigung in dem Glauben, daß ich um meiner selbst willen, nicht aber wegen meines Reichthums, gewählt worden sei. Ich wurde mißtrauisch, unedelmüthig, und mochte vor Allem die Schwäche nicht eingestehen, die mich bewogen hatte, meinen Namen zu wechseln. Die einfachen – ich möchte fast sagen, die losen Gesetze Amerika's über die Ehe beseitigten die Nothwendigkeit einer Erklärung, da weder Aufgebot noch Erlaubniß erforderlich war, und bei dem Trauungsakte nur der Taufname genannt wurde. So waren wir nun verheirathet, obschon ich der Rechte Anderer nicht so weit uneingedenk blieb, daß ich nicht unter Zusage der Geheimhaltung für ein Certifikat unter meinem eigenen Namen gesorgt hätte. Wer sich an Ort und Stelle, wo die Verbindung eingesegnet wurde, begeben will, wird daselbst in den Büchern der Kirche, zu welcher der funktionirende Geistliche gehörte, die Trauung von John Effingham und Mildred Warrender gebührend eingetragen finden. Sofern war abgethan, was die Gerechtigkeit forderte, obschon ich in einer grundlosen Bethörung, die ich mir jetzt kaum erklären kann, und die überhaupt gar nicht zu erklären ist, wenn man sie nicht der ungereimten Grausamkeit der Leidenschaft zuschreibt – fortwährend meinen wahren Namen vor der geheim hielt, vor welcher ich kein Geheimniß hätte haben sollen. Ich redete mir ein – suchte mich zu überzeugen, daß ich kein Betrüger sei, weil ich ja von mütterlicher Seite der Familie angehörte, welcher ich mich beizählte, und wünschte, mich glauben zu machen, die Sache lasse sich zu jeder Zeit leicht ausgleichen, wenn ich mich für den Mann erklärte, der ich wirklich war. Miß Warrender und ihre Schwester hatten bei einer wohlwollenden, aber schwachen Tante gelebt, und es war kein männlicher Verwandter vorhanden, um jene Erkundigungen einzuziehen, für die sich natürlich jede Person von nur gewöhnlicher Weltklugheit interessirt haben würde. Es ist wahr, daß ich mit ihnen unter günstigen Umständen bekannt geworden war, und sie hatten guten Grund, aus einem Belege, den ich zufälligerweise besaß und der meine Verwandtschaft mit der Familie meiner Mutter unwidersprechlich nachwies, ohne übrigens meinen wahren Namen zu verrathen, mich für einen Assheton zu halten. Außerdem herrscht so wenig Mißtrauen in diesem Lande, daß ich, wenn ich mich von den Orten fern hielt, wo ich persönlich bekannt war, mein ganzes Leben über keine Bloßstellung zu befürchten brauchte.«

»Dieß war sehr unrecht, lieber Vetter Jack,« sagte Eva, seine Hand nehmend und sie liebevoll küssend, während ihr Antlitz in dem Bewußtsein der Rechte ihres Geschlechtes glühete, »und ich würde treulos werden an aller Weiblichkeit, wenn ich anders sprechen wollte. Ihr habt den feierlichsten aller menschlichen Verträge eingegangen, und es ist eine böse Vorbedeutung, wenn ein derartiger Akt durch eine Unwahrheit getrübt wurde. Aber dennoch hättet Ihr mit einem tugendhaften und liebenden Weibe glücklich sein können.«

»Leider ist es ein hoffnungsloser Versuch, in einer Ehe Frieden zu finden, wenn das Herz noch immer an einer andern hängt. Das Vertrauen kam zu spät, denn als Mildred meine unglückliche Gemüthsstimmung entdeckte, entrang sie mir allmälig ein Geständniß – ein Geständniß von Allem, mit Ausnahme meines wahren Namens, und mit Recht durch die Täuschung verletzt, durch die sie bethört worden war, erklärte sie mir, den Einflüssen eines hohen und edlen Geistes Folge gebend, daß sie nicht geneigt sei, unter solchen Verhältnissen die Gattin was immer für eines Mannes zu bleiben. Wir trennten uns, und ich eilte in die südwestlichen Staaten, wo ich die nächsten 12 Monate mit Reisen verbrachte und von Ort zu Ort eilte, in der vergeblichen Hoffnung, den Frieden meiner Seele wieder zu gewinnen. Ich stürzte mich in die Prairien und verbrachte jene Zeit, großentheils von der Welt abgeschieden, in der Gesellschaft von Jägern und Trappern.«

»Dieß erklärt also den Umstand, daß du so gut mit jenem Theile des Landes bekannt bist,« rief Mr. Effingham, »ein Umstand, den ich mir früher nie zu deuten wußte. Wir glaubten damals, du hieltest dich unter unsern alten Freunden in Carolina auf.«

»Niemand wußte, wo ich mich verborgen hatte, denn ich bediente mich eines andern erdichteten Namens und hatte nicht einmal einen Bedienten. Mildred besaß jedoch eine Adresse, wo ein Brief von ihr mich finden würde, denn ich hatte angefangen, eine aufrichtige Zuneigung zu ihr zu fühlen, die sich allerdings nicht zur Leidenschaft steigern konnte, und ich gab daher der Hoffnung Raum, mit ihr wieder vereinigt zu werden, sobald ihre verletzten Gefühle Zeit gewonnen hätten, sich zu beruhigen. Die Verpflichtungen einer Ehe sind zu ernst, als daß sie so leicht bei Seite geworfen werden könnten, und ich fühlte die Ueberzeugung, daß keines von uns Frieden finden könne, wenn es nicht zuletzt noch die Obliegenheiten erfüllte, die ihm der Stand, welchen wir eingegangen, anwiesen.«

»Und warum eiltet Ihr nicht zu Eurer Gattin, Vetter Jack,« fragte Eva, »als Ihr aus den Ansiedelungen zurückkehrtet?«

»Ach, mein liebes Kind, ich fand zu St. Louis Briefe, die mir ihren Tod meldeten. Von einem Kinde war darin nicht die Rede, und ich hatte nicht im mindesten geahnet, daß mir die Aussicht bevorstand, Vater zu werden. Mit Mildreds Tode glaubte ich alle Bande, alle Verpflichtungen und alle Spuren meiner unüberlegten Heirath erloschen, wie denn auch die Schritte, welche ihre Verwandten einschlugen – es waren ihrer nur noch wenige in Amerika geblieben – mir keine Lust machten, die früheren Vorgänge zu veröffentlichen. Da ich mich still verhielt, so galt ich natürlich fortwährend als Junggeselle, obschon mir Jedermann, der mich kennt, glauben wird, daß ich mit einer Erklärung nicht gesäumt haben würde, sobald sich auch nur ein scheinbarer Grund dafür ergeben hätte.«

»Darf ich fragen, mein theuerster Sir,« begann Paul mit einer Schüchternheit, welche bekundet wie ungern er diesen doch so nöthigen Punkt berührte – »darf ich fragen, mein theurer Sir, welche Maßregeln von den Verwandten meiner Mutter getroffen wurden?«

»Ich habe den Bruder meiner Gattin, Mr. Warrender, nie gekannt, wohl aber gehört, daß er ein hochfahrender, gewaltthätiger Mann sei. Seine Briefe waren nicht freundlich – kaum erträglich, denn er that, als glaube er, ich habe eine falsche Adresse im Westen angegeben, während ich doch in den mittleren Staaten gewohnt hätte. Zugleich warf er Winke hin, die mir damals unerklärlich waren, nun aber aus den Briefen, welche ich von Paul habe, hinreichend beleuchtet sind. Ich hielt ihn damals für grausam und gefühllos, aber er hatte Gründe für sein Benehmen.«

»Und diese bestanden?« fragte Paul hastig.

»Aus den Briefen, mein Sohn, die du mir gegeben hast, entnehme ich, daß die Familie deiner Mutter auf die Ansicht gekommen war, ich sei John Assheton von Lancaster, ein Mann von seltsamer Gemüthsart, der in Spanien eine unglückliche Ehe eingegangen hatte und dessen Gattin, wie ich glaube, noch in Paris lebt, obschon sie für sich selbst und ihre Freunde verloren ist. Mein Verwandter lebte zurückgezogen und hat sich von dem Schlage nie wieder erholt. Da er eine von den wenigen Personen des Namens Assheton war, welche deine Mutter geheirathet haben konnten, so scheinen ihre Verwandten auf die Ansicht gekommen zu sein, er habe sich der Bigamie schuldig gemacht, und Paul sei deßhalb natürlich ein illegitimes Kind. Aus Mr. Warrenders Briefen geht hervor, daß er eine Zusammenkunft mit ihm hatte und von ihm sehr roh aus dem Hause gewiesen wurde, als er von dessen Frau zu sprechen begann. Die Familie war stolz, und da Mildred in die Ewigkeit eingegangen war, so nahm man seine Zuflucht dazu, die Geburt des Kindes zu verheimlichen, um auf diese Weise eine vermeintliche Schmach abzuwenden. Was mich betrifft, so rufe ich den allwissenden Gott zum Zeugen auf, daß mir der Gedanke, ich könnte Vater sein, nie zu Sinne kam, bis ich erfuhr, ein John Assheton sei Pauls Vater gewesen, und das Miniaturbild Mildred Warrenders, das ich in der Zeit ihres Brautstandes von ihr erhielt, habe Aehnlichkeit mit seiner Mutter. Die einfache Erklärung des Kapitän Doucie über den Familiennamen seiner Mutter beseitigte alle Zweifel.«

»Aber, Vetter Jack, hatte nicht die Erwähnung der Lady Dunluce, der Doucies und Pauls übrigen Verwandten Eure Neugierde geweckt?«

»In welcher Beziehung, meine Liebe? Ich konnte keine Neugierde empfinden in Betreff eines Kindes, von dessen Vorhandensein ich nichts wußte. Es war mir zwar bekannt, daß die Warrenders Ansprüche auf Rang und Vermögen in England hatten; aber ich hörte nie den Titel nahmhaft machen, und kümmerte mich nicht um Geld, das wahrscheinlich doch nicht an Mildred fiel. Von General Doucie habe ich nie etwas vernommen, da er Mabel Warrender erst nach meiner Trennung und nach Empfang der Briefe meines Schwagers heirathete. Ich wünschte zu vergessen, daß die Familie überhaupt vorhanden war. Ich ging nach Europa und blieb sieben Jahre auf Reisen. Da dieß aber in die Zeit fiel, als der Continent gegen England geschlossen war, so kam ich nicht in die Lage, etwas über die Sache zu hören. Bei meiner Rückkehr war die Tante meiner Gattin und der letzte ihrer Brüder gestorben; ihre Schwester dagegen muß damals schon lange an Doucie verheirathet gewesen sein, denn Niemand wußte etwas von den Warrenders, und jede Spur derselben war in Amerika fast gänzlich verloren gegangen. Was mich betraf, so war mir der Gegenstand zu schmerzlich, als daß ich mich mit weiteren Nachforschungen hätte abgeben sollen. Es ist merkwürdig, daß ich während unseres letzten Besuchs auf der andern Hemisphäre im Jahre 1829 die Nilreise mit General Doucie machte. Wir trafen uns zu Alexandria, besuchten die Nilfälle und kehrten in Gemeinschaft wieder zurück. Er kannte mich als John Effingham, einen amerikanischen Reisenden von Vermögen, wenn auch nicht von besonderem Verdienst, und ich fand in ihm einen recht angenehmen englischen Offizier. Er besaß die Zurückhaltung eines Engländers von Stand und sprach selten von seiner Familie. Erst bei unserer Rückkehr fand ich, daß er Briefe von seiner Gattin, der Lady Dunluce, hatte; aber ich ließ mir wenig träumen, daß Lady Dunluce Mabel Warrender war. Wie oft stehen wir einer richtigen Entdeckung so nahe und leben gleichwohl in Unwissenheit und Finsterniß dahin! Die Doucies scheinen endlich durch Nachforschungen, die sie über den excentrischen John Assheton anstellten, auf die Ansicht gekommen zu sein, daß die Ehe gesetzlich eingegangen worden war und kein Makel auf der Geburt Pauls hafte.«

»Sie glaubten mit meinem Onkel Warrender lange, der John Assheton, dessen Ihr Erwähnung gethan habt, sei mein Vater,« versetzte Paul. »Aber einige spätere zufällige Entdeckungen überzeugten sie von ihrem Irrthum, und dann kamen sie natürlich genug auf die Vermuthung, mein Erzeuger müsse in dem einzigen andern John Assheton zu finden sein, von dem sie Kundschaft hatten einziehen können, und der, wahrscheinlich aus gutem Grunde, als Junggeselle gilt. Letzteren habe ich gleichfalls stets für meinen Vater gehalten, obschon er zwei oder drei Briefe, die ich an ihn schrieb, mit einer Gleichgiltigkeit behandelte, mit welcher man etwa die Ansprüche eines Betrügers zurückweist. In späterer Zeit war ich zu stolz, einen Versuch zu Wiederaufnahme der Correspondenz zu machen.«

»Dieß ist John Assheton von Nescopeck, meiner Mutter Bruder Sohn – ein so eingefleischter Hagestolz, wie nur einer in der Union zu finden ist,« sagte John Effingham lächelnd, trotz des ernsten Gegenstandes und der tiefen Aufregung, welche eben noch alle seine Gedanken in so hohem Grade durchwühlt hatte. »Er muß Eure Briefe für eine Neckerei von Seiten einiger seiner spaßliebenden Kameraden gehalten haben, und es nimmt mich nur Wunder, daß er es für nöthig hielt, sie überhaupt zu beantworten.«

»Er hat nur auf einen einzigen wieder geschrieben, und die Antwort trug zuverlässig etwas von dem Charakter, den Ihr angedeutet habt. Nun ich die Wahrheit begreife, vergebe ich ihm von Herzen gerne, obschon mir seine augenscheinliche Verachtung damals viel bitteren Schmerz verursachte. Ich sah einmal Mr. Assheton und beobachtete ihn wohl; so sonderbar es auch scheinen mag, kam es mir vor, als hätte ich Aehnlichkeit mit ihm.«

»Warum sonderbar? Jack Assheton und ich haben oder hatten vielmehr eine große Familienähnlichkeit mit einander, und obschon mir der Gedanke neu ist, kann ich doch nunmehr die leichte Aehnlichkeit selbst herausfinden. Deine Züge sind eher die eines Assheton, als die eines Effinghams, obschon es auch an den letzteren nicht fehlt.«

»Diese Aufklärungen sind sehr bündig und befriedigend,« bemerkte Miß Effingham, »indem sie keinem Zweifel mehr Raum geben, daß Paul wirklich das Kind von John Effingham und Mildred Warrender ist. Sie wären übrigens über alle Beanstandung erhaben, wenn die Kindheit des Knaben in ein gleich klares Licht gestellt und der Grund nachgewiesen werden könnte, warum die Warrenders ihn der Obhut Derjenigen überantworteten, aus deren Händen er an Mr. Powis gekommen war.«

»Hierin sehe ich nicht viel Dunkles,« entgegnete John Effingham. »Paul ist ohne Frage das in Monday's hinterlassenen Papieren angezogene Kind, und der Mutter desselben wurde er vertraut, bis ihn diese in seinem vierten Lebensjahre Mr. Powis übergab; sie wollte sich aller Mühe und Kosten entledigen und doch zugleich das von Lady Dunluce genehmigte Jahrgeld fortbeziehen. In den späteren Briefen kommen die Namen vor, und hätten wir die Papiere ohne Unterbrechung durchgegangen, so wären wir schon früher zu demselben Schlusse gekommen. Der Mann, welcher Dowse heißt und später Mrs. Monday heirathete, scheint den Betrug angezettelt zu haben; könnten wir diesen auffinden, so wäre Alles erklärt.«

»Ich sehe deutlich in der Sache,« sagte Paul, denn er und John Effingham hatten den Rest von Monday's Papieren gemeinschaftlich gelesen, sobald sich Letzterer nach dem Ohnmachtsanfalle wieder genügend erholt hatte, »und Kapitän Truck spürt jetzt nach einem seiner alten Passagiere, der, wie ich glaube, einen Schlüssel liefern kann. Könnten wir dieses Zeugniß gewinnen, so würden alle gesetzlichen Beanstandungen bereinigt sein.«

»Zu einer Beanstandung wird es nie kommen,« versetzte John Effingham, indem er liebevoll seinem Sohn die Hand hinreichte. »Du bist im Besitz des Heiraths-Certifikats deiner Mutter, und ich erkläre mich selbst für die Person, welche darin den Namen John Assheton führt. Diese Thatsache habe ich selbst auf der Hinterseite des Dokuments bemerkt, und hier ist ein anderes, in welchem mein eigentlicher Name steht. Auf der Rückseite befindet sich die Erklärung des Geistlichen, daß ich meine Ehe unter einem andern Namen eingegangen habe.«

»Ein solcher Mensch war nicht werth, das heilige Gewand zu tragen, Vetter Jack,« rief Eva mit Nachdruck.

»Ich bin nicht dieser Ansicht, mein Kind, denn er wußte nichts von der ursprünglichen Täuschung. Das Certifikat und der Eintrag in die Kirchenbücher wurden erst einige Zeit nach der Trauung gefertigt; sie konnten daher nur günstig, nie aber nachtheilig wirken. Der fragliche Geistliche ist jetzt ein Bischof und noch am Leben; er kann im Nothfall Zeugniß über die Gesetzmäßigkeit der Ehe ablegen.«

»Und der Geistliche, von welchem ich getauft wurde, lebt gleichfalls noch,« rief Paul, »und hat mich nie aus dem Gesicht verloren. Er war theilweise in das Vertrauen der Familie meiner Mutter eingeweiht, und behielt mich, selbst nachdem ich von Mr. Powis bereits adoptirt war, als einen von seinen kleinen Christen, wie er mich nannte, stets im Auge. Er ist keine geringere Person als Doktor M. –«

»Dieses allein reicht schon zu, um die Verwandtschaft und Identität nachzuweisen,« sagte Mr. Effingham, »ohne daß wir zu Monday 's Belegen weitere Zuflucht nehmen müßten. Die ganze Verwirrung ging aus Johns Namensveränderung und aus dem Umstande hervor, daß er nichts von dem Kinde seiner Gattin wußte. Allerdings scheinen die Doucies zureichende Gründe für ihr Mißtrauen gegen die Gesetzmäßigkeit der Ehe gehabt zu haben, aber es ist jetzt Alles klar, und da ein großes Besitzthum dabei in Frage kommt, so wollen wir Sorge dafür tragen, daß die Angelegenheit nicht länger im Dunkeln bleibe.«

»Der Theil, welcher das Besitzthum betrifft, ist bereits erledigt,« versetzte John Effingham, Eva mit einem Lächeln anblickend. »Ein Amerikaner kann stets ein Testament machen, und ein Testament, das nur ein einziges Vermächtniß enthält, ist bald geschrieben. Mit dem meinigen bin ich fertig, und ›Paul Effingham, mein Sohn aus der Ehe mit Mildred Warrender, späterer Zeit in der Marine der Vereinigten Staaten als Paul Powis bekannt‹, ist darin gebührend zu meinem Erben erklärt. Dieß wird vor allen Gerichten zureichen, obschon uns die Klatschsucht nicht übel mitnehmen wird.«

»Vetter Jack!«

»Tochter Eva?«

»Wer hat Anlaß dazu gegeben?«

»Derjenige, welcher eine der heiligsten aller seiner Erdenpflichten mit einer unrechtfertigbaren Täuschung begonnen hat. Der klügste Weg, den wir einschlagen können, wird darin bestehen, daß wir unsere verwandtschaftliche Beziehung nach Möglichkeit veröffentlichen.«

»Ich sehe nicht ein, John, wozu es nöthig wäre, auf Einzelnheiten einzugehen,« sagte Mr. Effingham. »Du hast dich jung verheirathet und deine Gattin ein Jahr nach Eingehung des Ehebundes verloren. Sie war eine Miß Warrender und die Schwester von Lady Dunluce. Paul und Doucie sind Geschwisterkinder, und Ersterer hat sich als dein Sohn ausgewiesen, von dessen Vorhandensein du keine Kunde hattest. Niemand wird sich herausnehmen, Einen von uns zu befragen, und ich meine, mit dieser einfachen Darlegung der Sache müssen sich alle vernünftigen Leute zufrieden geben.«

»Vater!« rief Eva, ihre hübschen Händchen in der Haltung des Erstaunens erhebend, »in welcher Großstadt sogar – in welchem Theile der Welt würde ein so nackter Bericht die Neugierde beschwichtigen? Hier aber, wo der Mensch, gleichviel wie gebildet oder einfältig, wie gelehrt oder wie unwissend er sein mag, sich für einen constitutionellen Richter aller Handlungen seiner Mitgeschöpfe ansieht, wird dieß um so weniger geschehen.«

»Wir haben wenigstens den Trost, zu wissen, daß durch keinerlei Enthüllung die Sache irgend schlimmer oder besser werden kann,« entgegnete Paul, »denn die Klatschsucht erzählt stets ihre Geschichte nach eigener Weise, wenn auch die Falschheit darin so augenfällig sein sollte wie die Mittagssonne. Fraubaserei ist eine ewige Lügnerin, und hält die Wahrheit für eine höchst unwesentliche Eigenschaft, da im Gegentheil eine wohlverbürgte Thatsache ihr den Gnadenstoß gibt. Ich hoffe daher, mein theurer Vater, Ihr werdet Euch auf weiter nichts einlassen, als auf die Erklärung, daß ich Euer Sohn bin, denn dieß ist für mich ein zu wichtiger Umstand, als daß er übergangen werden sollte.«

John Effingham blickte den jungen Mann, den er so lang geschätzt und bewundert hatte, zärtlich an, und Thränen traten ihm in die Augen bei dem Bewußtsein des überschwenglichsten Glückes, dessen sich nur ein Vaterherz erfreuen konnte.


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