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Zwanzigstes Kapitel.

»O Romeo, Romeo, warum bist du Romeo!« –

 

Romeo und Julie.

 

Eine gewöhnliche Wirkung des Punsches ist, daß die Leute doppelt sehen lernen; in dem gegenwärtigen Falle äußerte sich jedoch der entgegengesetzte Gesichtsfehler, denn statt des einen Bootes, welches der Commodore angekündigt hatte, stießen zwei auf den Strand, welche die ganze Gesellschaft aus dem Wigwam, Steadfast und Aristobulus mitgerechnet, herbeibrachten. Deßgleichen waren ein paar Diener mitgekommen, welche das gewöhnliche Mahl zubereiten sollten.

Was den Punsch betraf, so erfüllte Kapitän Truck sein Vorhaben buchstäblich, indem er jeder der Damen, sobald sie den grünen Rasen des Vorsprungs berührt hatten, in bester Form von dem Getränke anbot. Mrs. Hawker lehnte es ab, zu trinken, aber in einer Weise, welche den ritterlichen Seemann völlig entzückte; sie hatte nämlich eine solche Macht über ihn gewonnen, daß ihm, trotz seiner Angewöhnungen und Vorurtheile, Alles, was sie that, recht und anmuthig erschien.

Die Ankömmlinge zertheilten sich bald in Gruppen oder Paare, indem die Einen am Rande des klaren Wassers Platz nahmen, um sich der kühlen, fächelnden Luftströmungen zu erfreuen, Andere in den Booten zum Fischen auszogen und die Uebrigen sich in das Gehölz begaben, das in seiner heimischen Wildheit die grüne, freie Stelle begrenzte und seinen Eichenbaldachin über den Ort hinbreitete, welcher kürzlich noch ein Gegenstand des lebhaftesten Streites gewesen war. In dieser Weise entschwanden ein paar rasche Stunden, nach welcher Zeit ein gegebenes Signal Alle zum Mahle versammelte.

Die Speisen wurden in dem Grase servirt, obschon Aristobulus ziemlich deutlich darauf hindeutete, das Publikum halte es bei derartigen Gelegenheiten für passend, sich roh gearbeiteter Tische zu bedienen. Die Herren Effingham übrigens wollten sich nicht durch einen bloßen Zugvogel belehren lassen, wie eine ländliche Fête, die sie auf ihrem eigenen Grunde feierten, gehalten werden müsse, und die Diener erhielten die Weisung, die Schüsseln auf den Rasen zu setzen. Darum her waren improvisirte Sitze angebracht, und das Geschäft der Restauration nahm seinen Fortgang. Von allen Anwesenden waren die Pariser Gefühle der Mademoiselle Viefville am meisten aufgeregt, da ihr das edle Panorama der mit Wäldern, bekleideten Berge, der spiegelglatte See, das Eichendach und das Farrenkräutergestrüpp des angrenzenden Forstes Stoff zu überströmendem Entzücken boten.

» Mais, vraiment, ceci surpasse les Tuileries même, dans leur propre genre!« rief sie mit Nachdruck. » On passerait volontiers par les dangers du désert pour y parvenir.«

Diejenigen, welche sie verstanden, lächelten über diese charakteristische Bemerkungen, und die Meisten fühlten sich geneigt, in diesen Enthusiasmus einzugehen. Gleichwohl kam Mr. Bragg und Mr. Dodge die Art, wie die übrigen ihre Freude ausdrückten, nur zahm und unbefriedigend vor, denn diese beiden Personen waren daran gewöhnt, die Jugend beider Geschlechter ihr Vergnügen weit derber zur Schau stellen zu sehen, als sich dieß mit dem Geschmack und den Sitten der Anwesenden vertrug. Mrs. Hawker erfreute sich in ihrer ruhigen würdevollen Weise der Witzesfunken und der Gedankenfülle von Mrs. Bloomfield, so daß es den Anschein gewann, als wolle sie sich neu verjüngen, und Eva war mit ihrer holden Einfachheit, ihrem gebildeten Geiste und ihrem veredelten Geschmacke einem blank polirten Spiegel zu vergleichen, welcher die Blitze des Gedächtnisses und der Imagination wiederstrahlte; aber Alles dieß war für so eingefleischte Thatsachenmänner, die stets nur den Nutzen im Auge hatten, rein verloren. Mr. Effingham, der sich gegen seine Gäste mit gewohnter Höflichkeit und mit dem Takte eines Mannes von Bildung benahm, fühlte sich überglücklich, und auch John Effingham zeigte sich angenehmer, als je, denn er hatte den finsteren Ernst seines Charakters ganz bei Seite gelegt und erschien in einer Eigenschaft, in welcher man ihn wohl gerne immer gesehen hätte, – nämlich in der eines Mannes, bei welchem die Tiefe des Verstandes und der Denkkraft den gewinnenderen Qualitäten sich unterzuordnen schien. Die Jünglinge blieben hinter den Uebrigen nicht zurück, denn jeder zeigte sich nach seiner eigenen Art in vortheilhaftem Lichte; sie waren heiter, launig, ohne dabei des gehörigen Maaßes zu vergessen, und verliehen der Unterhaltung eine um so höhere Würze, da sie ihre Bilder einer Weltkenntniß entnahmen, die durch vielseitige Beobachtung und Gewohnheit mild zu urtheilen gelernt hatte.

Die arme Grace war – natürlich stets mit Ausnahme von Aristobulus und Steadfast – die Einzige unter der Gesellschaft, welche sich während dieser flüchtigen, aber doch heiteren Stunden nicht ganz glücklich fühlte; denn zum ersten Mal in ihrem Leben ward sie sich ihrer eigenen Mängel bewußt. Der reiche Schatz von Kenntnissen, so ungemein weiblich in der Wesenheit sowohl, als in der Aeußerung, welcher bei Mrs. Bloomfield und Eva so zu sagen um seiner Fülle willen überquoll und welchen Erstere fast intuitiv als eine Gabe des Himmels besaß, während ihn Letztere nicht nur derselben Quelle, sondern auch einer langen, stätigen Selbstverläugnung und einer eifrigen Berücksichtigung dessen verdankte, was sie sich selbst schuldig war – dieser reiche Schatz ging einem Wesen ab, das in unüberlegter Hingebung an die Gewohnheiten einer Gesellschaft, deren einziges augenfälliges Ziel in der Entfaltung von Prunk bestand, sich von jenen Genüssen ausgeschlossen hatte, die nur ein sinniges Gemüth zu würdigen versteht. Dennoch war Grace schön und anziehend; sie staunte zwar, wo ihre sonst so einfache und anspruchslose Muhme all' den Gedankenreichthum hernehmen mochte, der ihr bei dem zwanglosen Selbstvergessen eines solchen Festes in gewandten Witzesergüssen entquoll; aber dennoch war ihr Herz zu edel und liebevoll, als daß sich in ihre Bewunderung hätte Neid mischen sollen. Zum ersten Mal bemerkte sie bei dieser Gelegenheit, daß Eva, obschon sie eine Hadschi war, doch nicht zu der gemeinen Klasse der Hadschis gehörte, und wenn auch ihre Bescheidenheit und Selbstdemüthigung sie die Stunden bitter bereuen ließen, welche sie unwiederbringlich in den gewöhnlichen Tändeleien ihrer Gespielinnen vergeudet hatte, so wurde doch dadurch die Achtung für ein Wesen, welches sie so zärtlich zu lieben begann, nicht gemindert.

Was dagegen die Herren Dodge und Bragg betraf, so waren Beide in ihrem Innern dahin übereingekommen, daß dieß die langweiligste Unterhaltung sei, die sie je auf dem Vorsprunge erlebt hatten, weil sie allen lauten Gelächters, des gewöhnten rohen Witzes, einer lärmenden Heiterkeit und der praktischen Spässe entbehrte. In ihren Augen hieß es die Anmaßung auf's Höchste treiben, wenn sich irgend eine besondere Gesellschaft erdreisten mochte, nach einem Ort, der durch die öffentliche Stimme geheiligt war, zu kommen, um sich in dieser gezwungenen Weise zu erfreuen, bei der es Niemand anders recht wohl werden konnte. Gegen den Schluß dieses frohen Mahles, als die Anwesenden bereits im Begriffe waren, ihre Plätze an die Diener abzugeben, welche die Geräthschaften wieder in die Nachen schaffen wollten, bemerkte John Effingham:

»Ich hoffe, meine theure Mrs. Hawker, man hat Euch gebührend vor dem verhängnißvollen Charakter dieses Vorsprungs gewarnt, denn es geht von ihm das Sprichwort, daß hier noch nie um eine Dame vergeblich gefreit worden sei. So sind z. B. Kapitän Truck und ich jeden Augenblick bereit, in Ermanglung der ›Bowies‹ nach diesem Tranchirmesser zu greifen, um Euch unsere verzweifelte Verehrung zu zeigen, und Ihr werdet daher sehr weislich handeln, wenn Ihr heute nicht wieder lächelt, damit Euch die Querlesungen der Eifersucht nicht einen falschen Beweggrund unterschieben können.«

»Hätte die Verwarnung dem Lachen gegolten, Sir, so könnte ich ihr vielleicht Trotz bieten, aber an einem solchen Tage ist das Lächeln ein viel zu schwacher Ausdruck der Billigung; Ihr könnt Euch daher auf meine Rücksichtfülle verlassen. Aber ist es auch wahr, daß Hymen diese Schatten vorzugsweise liebt?«

»Wenn sich ein Hagestolz über Liebesfortschritte verbreitet, so setzt man vielleicht in seine Darstellungen eben so viel Mißtrauen wie in seine Kindererziehung; aber die Ueberlieferung sagt so, und ich habe nie meinen Fuß hieher gesetzt, ohne frische Gelübde der Beständigkeit zu fassen. Nachdem ich auf die Gefahr aufmerksam gemacht habe, getraut Ihr Euch wohl kaum, einen Arm anzunehmen, denn ich bemerke Anzeichen, daß das Leben nicht ganz in dergleichen Vergnügungen verbracht werden kann, wie lieblich sie auch an sich sein mögen.«

Die ganze Gesellschaft erhob sich jetzt und löste sich in Gruppen oder Paare auf, welche an dem Kiesufer oder unter den Bäumen dahin schlenderten, während die Bedienten ihre Vorbereitungen zum Aufbruche trafen. Fügte es der Zufall, oder war es Absicht – kurz, Sir George und Grace sahen sich allein, obschon sie dieses Umstandes erst gewahr wurden, nachdem sie eine kleine Anhöhe des sich hebenden Grundes im Rücken hatten und so außer dem Gesichtskreise ihrer Begleiter sich befanden. Der Baronet gewahrte zuerst, wie sehr ihn das Glück begünstigt hatte, und fühlte sich theilnehmend angeregt durch den Zug sanfter Schwermuth, welcher das sonst so heitere und klare Antlitz des schönen Mädchens beschattete.

»Dieser heitere Tag würde mir dreifache Freude gemacht haben,« begann er mit einer Innigkeit, welche Grace's Herz zu schnelleren Schlägen bewog, »wenn ich nicht hätte sehen müssen, daß Ihr weniger heiter wart, als die Meisten aus Eurer Umgebung. Ich fürchte, Ihr fühlt Euch nicht so wohl wie sonst.«

»Körperlich bin ich vollkommen gesund, vielleicht aber nicht dem Geiste nach,« versetzte sie.

»Ich wünschte nur ein Recht zur Frage zu besitzen, warum Ihr, die Ihr im Allgemeinen so wenig Grund zu einer Gemüthsverstimmung habt, dazu einen Augenblick wählen konntet, der so wenig im Einklange mit den gemeinsamen Gefühlen stand.«

»Ich habe den Augenblick nicht gewählt, wohl aber wählte er mich, wie ich fürchte. Bis auf diesen Tag habe ich nie so recht empfunden, Sir George Templemore, wie tief ich unter meiner Muhme Eva stehe.«

»Diese Unterordnung ist wohl noch Niemand, als etwa Euch selbst aufgefallen.«

»Nein, ich bin weder eitel noch unwissend genug, um mich durch diese Schmeichelei bethören zu lassen,« erwiederte Grace mit einem erzwungenen Lächeln den Kopf schüttelnd; denn aus dem Munde Derer, welche wir lieben, ist auch eine wohlgemeinte Täuschung nicht ohne Reiz. »Als ich nach der Rückkehr meiner Muhme zum ersten Male mit ihr zusammentraf, machten mich meine eigenen Unvollkommenheiten blind gegen ihre Ueberlegenheit; ich habe aber allmählig ihren Geist, ihren weiblichen Charakter, ihren Takt, ihr Zartgefühl, ihre Grundsatzfestigkeit und ihre gute Erziehung – kurz Alles, was ein Frauenzimmer schätzbar oder liebenswürdig machen kann, achten gelernt. Oh, wie habe ich in kindischen Vergnügungen und eiteln Tändeleien die kostbaren Augenblicke jener schönen Jugendzeit vergeudet, die sich nicht wieder zurückrufen läßt; ich bin kaum werth, eine Freundin von Eva Effingham zu sein!«

Die lange verhaltenen Gefühle hatten jetzt Grace so sehr überwältigt, daß sie kaum wußte, was sie sagte oder mit wem sie sprach; in der augenblicklichen Bitterkeit ihres Schmerzes rang sie die Hände, so daß das ganze Mitgefühl eines Liebhabers geweckt werden mußte.

»So kann Niemand reden, als Ihr selbst, Miß van Courtlandt, am allerwenigsten aber Eure bewunderungswürdige Muhme.«

»Sie ist in der That meine bewunderungswürdige Muhme! Ach, was sind wir in Vergleichung mit einem solchen Mädchen! Mit der natürlichen Einfachheit eines Kindes verbindet sie den Geist eines Gelehrten und mit der ganzen Anmuth eines Weibes die wissenschaftliche Bildung eines Mannes. Sie ist in so vielen Sprachen zu Hause –«

»Aber auch Ihr sprecht mehrere, meine theure Miß van Courtlandt.«

»Ja,« entgegnete Grace bitter, »ich spreche sie, wie der Papagai die Worte wiederholt, die er nicht versteht; aber Eva Effingham hat sich derselben als Verkehrsmittel bedient. Sie sagt nie, was diese und jene Phrase bedeute, sondern redet davon, was die größten Schriftsteller gedacht und geschrieben haben.«

»Niemand kann eine höhere Achtung vor Eurer Muhme haben, als ich, Miß van Courtlandt, aber die Gerechtigkeit gegen Euch zwingt mich, zu sagen, daß mir ihre große Ueberlegenheit über Euch ganz entgangen ist.«

»Dieß mag wohl wahr sein, Sir George Templemore, denn geraume Zeit erging es mir ebenso. Erst eine genauere Bekanntschaft mit ihr lehrte sie mich schätzen, wie sie geschätzt werden muß, und es ging dabei allmählig – Stunde um Stunde. Doch auch Ihr müßt bemerkt haben, wie schnell und gewissermaßen aus innerem Verständniß meine Muhme und Mrs. Bloomfield gegenseitig auf ihre Ideen eingingen – welchen feinen Geschmack und welche umfassende Belesenheit Beide zeigten, ohne dabei ihrem weiblichen Charakter auch nur das Mindeste zu vergeben. Mrs. Bloomfield ist eine merkwürdige Frau, liebt aber dergleichen Schaustellungen, weil sie weiß, wie trefflich sie sich darin ausnimmt. Bei Eva Effingham ist der Fall anders, denn obschon sie an allem Geistreichen Freude hat, benimmt sie sich doch stets in der einfachsten Weise. So fügte sich's erst gestern, daß die Unterhaltung sich um einen Gegenstand drehte, welchen mir Eva auf meine ausdrückliche Bitte umständlich auseinandersetzte. Um das Gespräch mehr zu beleben, hatte sie Mrs. Bloomfield beigezogen; aber sie behielt mehr als die Hälfte ihres Wissens für sich, damit es nicht den Anschein gewinne, als übertreffe sie ihre Freundin. Nein, nein, nein, es gibt in dieser Welt kein zweites Frauenzimmer, wie Eva Effingham ist.«

»Eine so scharfe Auffassung des Vortrefflichen an Andern deutet selbst auf eine vortreffliche Seele.«

»Ach, ich kenne jetzt meine eigene Unbedeutsamkeit, und Eure Güte, Sir George Templemore, wird mich nie überreden, eine bessere Meinung von mir selbst zu fassen. Eva ist auf Reisen gewesen, hat in Europa viel gesehen, was man hier nicht kennt, und wußte, statt ihre Jugend in mädchenhaften Tändeleien zu verbringen, die kostbaren Minuten mit Eifer zu benützen.«

»Wenn aber Europa wirklich solche Vortheile bietet, warum reist Ihr nicht selbst hin, meine theuerste Miß van Courtlandt?«

»Ich – ich ein Hadschi!« rief Grace mit kindischem Entzücken, obschon ihr Antlitz sich höher röthete, und für einen Moment war Eva sammt ihrer Überlegenheit vergessen.

Gewiß war Sir George Templemore selbigen Tag nicht mit der Aussicht auf den See herausgekommen, diesem kunstlosen, halberzogenen und in provinzialen Vorurtheilen befangenen, aber doch schönen Mädchen mit seiner Hand zugleich auch seine Baronetenwürde und sein schönes Besitzthum anzubieten. Er hatte sich zwar das Passende eines derartigen Schrittes schon geraume Zeit wohl erwogen, und würde wahrscheinlich auch später eine geeignete Gelegenheit gesucht haben, wenn sie sich ihm nicht eben jetzt, allen seinen Bedenken zum Trotze, so günstig geboten hätte. Wenn »das Weib, welches zaudert, verloren ist«, so liegt sicherlich eine eben so tiefe Wahrheit in dem Satze, daß der Mann, welcher nur mit seiner Vernunft gegen die Schönheit zu Feld ziehen will, diese seinen Sinnen gegenüber sehr unmächtig finden wird. Wäre Grace van Courtlandt nicht ein so ganz und gar unverdorbenes Naturkind gewesen, so wäre es wohl ihren Reizen allein nicht gelungen, diese Eroberung zu machen; aber der Baronet fand ihre Naivetät so bezaubernd, daß die Gefühle des Weltmanns völlig gewonnen wurden. Eva hatte ihn Anfangs durch dieselbe Eigenschaft angezogen, da die Jugenderziehung der Amerikanerinnen weniger gezwungen und künstlich ist, als die der Engländerinnen; gleichwohl fand er in ihr eine geistige Ausbildung, welche erstere Eigenschaft vielleicht nicht so sehr auffallen ließ, als bei ihrer kaum minder schönen Muhme, deren Einfluß allerdings große Beeinträchtigung gefunden haben würde, wenn seine Bewunderung gegen Miß Effingham auch nur durch die leiseste Ermuthigung genährt worden wäre. So aber hatte sich Grace allmählig in sein Herz eingeschlichen, und er erklärte ihr jetzt seine Neigung in einer Sprache, welcher ihre arglosen und bereits günstig gestimmten Gefühle nicht zu widerstehen vermochten. Es blieb ihnen zwar nur eine sehr kurze Frist bis zur Abberufung nach dem Kahne; aber als letztere endlich stattfand, kehrte Grace zu der Gesellschaft zurück, sehr gehoben in ihrer eigenen guten Meinung und so glücklich, als eine wolkenlose Zukunft sie machen konnte, ohne daß ihr auch nur entfernt der weite Abstand zwischen ihr und Eva wieder zu Sinnen kam.

Seltsames Zusammentreffen! Während der Baronet und Grace auf der einen Seite des Ufers in dieser Weise beschäftigt waren, wurde Eva auf der andern eine ähnliche Erklärung gemacht. Sie war, von Paul, ihrem Vater und Aristobulus begleitet, auf dem Vorsprung dahin gegangen, hatte aber kaum das Ufer erreicht, als die beiden Ersteren von Kapitän Truck weggerufen wurden, um einen zwischen ihm und dem Commodore streitigen Punkt zu schlichten. In Folge dieser unvorhergesehenen Verlassung sah sich das Mädchen mit Mr. Bragg allein.

»Es war eine schnurrige und inhaltsschwere Bemerkung, die Mr. John in Betreff des Vorsprungs machte, Miß Eva,« begann Aristobulus, sobald er sich im alleinigen Besitze des Feldes sah. »Ich möchte doch wissen, ob es wirklich wahr ist, daß man unter diesen Eichen nie erfolglos um ein Frauenzimmer geworben hat. Wäre dieß der Fall, so sollten wir Gentlemen vorsichtig sein, wenn wir hierher kommen.«

Aristobulus sprach dieß in geziertem Tone, und suchte sich ein möglichst liebenswürdiges Aussehen zu geben, obschon die ruhige, würdevolle Haltung Eva's seine ehrgeizigen Hoffnungen bedeutend im Zaume hielt. Miß Effingham besaß nämlich zu viel Selbstachtung und wußte zu gut, was sie ihrem Geschlechte schuldig war, um auf die gewöhnlichen und gemeinen Tändeleien, die das stäte Unterhaltungsthema zwischen den Mädchen und Jünglingen aus Mr. Braggs Kreise bildeten, einzugehen oder sie auch nur zu gestatten, soferne Letzteres von ihrem Willen abhing. Der Landagent glaubte übrigens die Sache zu gut eingeleitet zu haben, um nicht weiter darauf fortzubauen.

»Mr. John Effingham liebt bisweilen einen Scherz,« entgegnete Eva ruhig, »und wer Ernst daraus machen wollte, dürfte leicht fehl gehen.«

»Die Liebe ist allerdings ein Irrwisch,« entgegnete Aristobulus sentimental, »dieß muß ich zugeben; und es nimmt mich nicht Wunder, daß so viele in den Sumpf gerathen, die seinem Scheine folgen, da er nicht von dem Lichte der Vernunft ausgeht. Habt Ihr die zarte Leidenschaft schon empfunden, Miß Eva?«

Aristobulus hatte nämlich, als er der Soirée von Mrs. Houston anwohnte, dieselbe Frage wohl ein halb Dutzendmal stellen hören und glaubte daher, die feinste Einleitung zu einer regelmäßigen Erklärung gewählt zu haben. Ein gewöhnliches Weib, die sich durch eine solche Frage beleidigt fühlte, würde höchst wahrscheinlich zurückgetreten sein und sich mit einem nachdrücklichen »Sir!« in die Brust geworfen haben. Nicht so Eva. Sie fühlte den großen Abstand zwischen sich und Mr. Bragg zu sehr, als daß sie eine anmaßende Gleichstellung von seiner Seite auch nur entfernt hätte verletzen können. Allerdings war dieser Abstand mehr das Ergebniß der Ansichten, der Gewohnheiten und der Erziehung, als in der wirklichen socialen Stellung begründet; denn obgleich Eva nur die Gattin eines Gentlemans werden konnte, war sie doch vollkommen über jene Vorurtheile der Welt erhaben, die nur von künstlichen Ursachen abhängen. Statt daher ob dieser außerordentlichen Frage Ueberraschung, Unwillen oder dramatische Würde zu verrathen, zuckte nur ein leichtes Lächeln um ihren schönen Mund – so leicht, daß es ihr Verehrer nicht einmal bemerkte.

»Ich glaube, wir haben zu unserer Rückkehr nach dem Dorfe eben so glattes Wasser, wie heute Morgen, als wir nach diesem Platze herüberfuhren,« versetzte sie einfach. »Ich glaube, Ihr rudert bisweilen, Mr. Bragg?«

»Ach, Miß Effingham, eine zweite solche Gelegenheit kommt vielleicht nie wieder, denn ihr ausländischen Ladies seid so schwer zugänglich. Laßt mich daher diesen glücklichen Augenblick ergreifen – hier unter den Eichen Hymens biete ich Euch diese treue Hand, dieses liebende Herz an. Ihr seid mit zureichenden Mitteln für uns Beide versehen, daher braucht von diesem ärmlichen Staube nicht weiter die Rede zu sein. Bedenkt, Miß Eva, wie glücklich wir sein könnten, wenn wir Eurem trefflichen Vater sein hohes Alter versüßten, und gemeinschaftlich den Hügel des Lebens hinabwandelten; oder wie es in dem Lied heißt –

›Hand in Hand durch's Leben wandeln,
Ruhen sanft am Schluß der Bahn,
John Anderson, mein Joe.‹«

»Ihr zeichnet sehr liebliche Bilder, Mr. Bragg, und noch obendrein mit der Hand eines Meisters.«

»Wie angenehm Ihr sie auch finden mögt, Miß Eva, so bleiben sie doch noch unendlich weit hinter der Wahrheit zurück. Das Band der Ehe ist, abgesehen davon, daß es das heiligste im Leben ist, zugleich auch das theuerste, und in der That glücklich können sich Diejenigen preisen, welche das feierliche Bündniß mit so erfreulichen Aussichten eingehen wie wir. Dem Alter nach stimmen wir vollkommen zusammen, unsere Charaktere sind ganz harmonisch, unsere Angewöhnungen einander gegenseitig so ähnlich, daß dadurch jeder mißliebige Wechsel vermieden wird, und unsere Vermögensverhältnisse ganz von der Art, daß eine glückliche Verbindung daraus hervorgehen muß – auf der einen Seite Vertrauen und auf der andern Dankbarkeit. Was den Tag betrifft, Miß Eva, so mag Euch die Bestimmung desselben vollkommen belassen bleiben, ohne daß ich in Euch dringen will. Dieß ist das Vorrecht Eures Geschlechtes.«

Eva hatte oft mit großem Vergnügen ihrem Vetter John Effingham zugehört, wenn sich dieser über die kalte Unverschämtheit eines gewissen Theiles der amerikanischen Bevölkerung lustig machte, würde sich aber doch nimmermehr eines derartigen Angriffs auf ihre eigene Person versehen haben. Um die Scene vollkommen zu machen, hatte Aristobulus sein Federmesser herausgenommen, von einem Busch einen Zweig abgeschnitten und machte sich nun doppelt interessant, indem er das so viel beliebte Geschäft des Schnitzelns begann. Ein besseres Bild von einer vernünftigen Leidenschaft hätte wohl kaum gezeichnet werden können.

»Ihr schweigt verschämt, Miß Eva – gut, ich kann der natürlichen Schüchternheit alle gebührende Zugeständnisse machen, und will daher vorderhand nichts weiter sagen. Da übrigens Schweigen ein Zugeständniß in sich faßt – –«

»Wenn ich bitten darf, Sir,« unterbrach ihn Eva hastig mit einer leichten Bewegung ihres Sonnenschirms, welche eine Zurückweisung in sich faßte. »Ich bin der Ansicht, unsere Denkweise und unsere Angewöhnungen sind, obschon Ihr sie für so harmonisch zu halten scheint, sehr verschieden, sintemal Ihr die Ungebühr nicht einseht, die sich ein Mann von Eurer Stellung erlaubt, wenn er, das Vertrauen eines Vaters mißbrauchend, der Tochter ohne dessen Vorwissen einen derartigen Antrag stellt. Hierüber will ich jedoch nichts sagen, wohl aber, da Ihr mir die Ehre erwiesen habt, mir in einer sehr unumwundenen Weise Eure Hand anzubieten, Euch mit eben der Bestimmtheit zu antworten, mit welcher Ihr Euern Antrag stelltet. Ich muß den Vortheil und das Glück, Euer Weib zu werden, ablehnen.«

»Die Zeit enteilt, Miß Eva!«

»Die Zeit enteilt, Mr. Bragg, und wenn Ihr noch viel länger in Mr. Effinghams Geschäften bleibt, so könntet Ihr die Gelegenheit verlieren, Euer Glück im Westen zu machen, wohin Ihr, wie ich höre, schon seit langer Zeit auszuwandern die Absicht habt.«

»Um Euretwillen würde ich bereitwillig alle meine Hoffnungen im Westen aufgeben.«

»Nein, Sir, ich kann ein solches Opfer nicht annehmen. Ich will nicht sagen, vergeßt mich, aber vergeßt Eure Hoffnungen hier und erneuert die über dem Mississippi drüben wieder, von denen Ihr so unbedachtsam abgestanden seid. Ich will gegen meinen Vater diese Unterhaltung nicht in einer Weise berühren, daß dadurch unnöthige Vorurtheile gegen Euch geweckt werden könnten, und während ich Euch, wie ein jedes Mädchen soll, für ein Erbieten danke, das wenigstens theilweise auf Rechnung Eurer guten Meinung von mir kommen muß, werdet Ihr mir wiederholt gestatten, Euch den besten Erfolg für alle Eure rechtmäßigen Unternehmungen im Westen zu wünschen.«

Eva gab Mr. Bragg keine weitere Gelegenheit, seine Bewerbung wieder aufzunehmen, sondern verbeugte sich und ließ den Advokaten allein. Mr. Dodge, der aus der Ferne zugesehen hatte, eilte nun herbei, um seinen Freund über das Resultat zu befragen; denn es war zuvor im Geheim unter diesen bescheidenen Jünglingen ausgemacht worden, daß Jeder sein Glück bei der Erbin versuchen sollte, wenn etwa, wie zu erwarten stand, der erste Antrag nicht angenommen wurde. Zu Steadfasts großem Aerger und wahrscheinlich auch zur Ueberraschung des Lesers theilte Aristobulus seinem Freunde mit, daß Eva's Benehmen und Sprache ihm volle Ermuthigung gegeben habe.

»Sie dankte mir für den Antrag, Mr. Dodge,« sagte er, »und ihre wiederholten Wünsche für mein künftiges Wohlergehen im Westen waren warm. Eva Effingham ist in der That ein bezauberndes Geschöpf.«

»Im Westen? Vielleicht meint sie dieß anders, als ihr Euch vorstellt. Ich kenne sie wohl; das Mädchen ist voll Arglist.«

»Arglist, Sir? – sie sprach so einfach, wie ein Frauenzimmer nur sprechen kann, und ich wiederhole es Euch, daß ich in ihren Worten eine bedeutende Ermuthigung gefunden habe. Es ist etwas gar Liebliches, sich mit Eva Effingham so unverhohlen zu unterhalten.«

Mr. Dodge würgte seinen Verdruß hinunter, und bald nachher schiffte sich die ganze Gesellschaft ein, um nach dem Dorfe zurückzukehren. Der Commodore und der General bedienten sich dabei ihres früheren Bootes, um ihre Verhandlungen über alles nur Erdenkliche in der Welt zu einem würdevollen Schluß zu bringen.

Am nämlichen Abend noch erbat sich Sir George Templemore Gehör von Mr. Effingham, welcher sich allein in seinem Bibliothekzimmer befand.

»Ich hoffe von Herzen, dieses Gesuch ist nicht der Vorläufer Eurer Abreise,« sagte der Letztere freundlich, als der junge Mann eintrat; »denn in diesem Falle würde ich in Euch einen Mann sehen, der unsere Erwartung getäuscht hat. Ihr habt, wenn auch nicht in Worten, so doch stillschweigend die Verpflichtung übernommen, noch einen weiteren Monat bei uns zuzubringen.«

»Weit entfernt, irgend eine so wortbrüchige Absicht zu hegen, mein theurer Sir, fürchte ich vielmehr, Ihr möchtet glauben, daß ich Eure Gastfreundschaft mißbrauche.«

Er theilte ihm sodann seinen Wunsch mit, daß ihm gestattet werden möchte, Grace van Courtlandt als Gattin heimzuführen. Mr. Effingham hörte ihn mit einem Lächeln an, welches zeigte, daß ihm ein derartiges Anliegen nicht ganz unerwartet kam, und sein Auge glänzte, als er dem Bittsteller die Hand drückte.

»Ich sage sie Euch von ganzem Herzen zu, Sir George,« entgegnete er; »aber vergeßt dabei nicht, daß Ihr ein zartes Gewächs in einen fremden Boden verpflanzt. Es gibt nicht viele von Euren Landsleuten, denen ich ein solches Vertrauen schenken möchte, denn ich weiß, welche Gefahr Diejenigen laufen, die unpassende Verbindungen eingehen.«

»Unpassende Verbindungen, Mr. Effingham?«

»Ich weiß, die Eurige wird dieß in der gewöhnlichen Bedeutung des Worts nicht sein, denn was Alter, Geburt und Vermögen betrifft, so steht Euch meine liebe Nichte so gleich, als man dieß nur verlangen kann; aber es ist nur zu oft eine unpassende Verbindung, wenn eine Amerikanerin die Gattin eines Engländers wird. Es hängt dabei so viel von dem Manne ab, daß ich, wenn ich weniger Vertrauen in Euch setzte, mit Recht Anstand nehmen müßte. Grace ist zwar volljährig, aber dennoch nehme ich mir das Privilegium eines Vormunds und lege Euch ernstlich den Rath an's Herz – achtet stets das Vaterland der Frau, die Ihr für würdig gehalten habt, Euren Namen zu tragen.«

»Ich glaube, stets Alles geachtet zu haben, was in Beziehung zu ihr steht; aber wozu diese besondere Verwarnung? – Miß van Courtlandt ist in ihrem Herzen fast Englisch.«

»Eine zärtliche Gattin wird in solchen Dingen stets dem Einflusse ihres Gatten folgen; Euer Land wird das ihrige und Euer Gott ihr Gott sein. Dennoch, Sir George Templemore, kann ein Weib von Geist und Herz nie das Land ihrer Geburt ganz vergessen. In England liebt man uns nicht, und wer dahin übersiedelt, wird oft Gelegenheit finden, über das Land, aus dem er gekommen ist, Spottreden und Sticheleien zu hören.«

»Gütiger Gott! Mr. Effingham, Ihr glaubt doch nicht, ich werde meine Gattin in eine Gesellschaft bringen, wo –«

»Habt Nachsicht mit meinen prosaischen Bedenken, Templemore. Ich zweifle nicht, daß Ihr die beste Absicht habt und Alles thun werdet, was sich gebührt, – in der gewöhnlichen Bedeutung dieser Worte nämlich; aber ich verlange von Euch mehr – ich wünsche, daß Ihr ein weises Verfahren einschlagen möchtet. Grace hegt jetzt eine aufrichtige Verehrung und Achtung vor England, und diese Gefühle, welche in vielen Theilen durch Thatsachen unterstützt sind, werden Bestand haben; aber wie es gewöhnlich bei jungen sanguinischen Leuten zu geschehen pflegt, wird in mancher Beziehung die Beobachtung Irrthümer aufdecken, in welche man sich durch die Begeisterung verlocken ließ. Sobald sie andere Länder näher kennen lernt, wird sie ihr eigenes mit günstigeren Blicken und mit mehr Umsicht beurtheilen; die Empfindlichkeit über Eigenthümlichkeiten, die sie jetzt schätzt, wird sich verlieren und einer neuen Betrachtungsweise Raum geben. Aber auf die Gefahr hin, für selbstsüchtig gehalten zu werden, möchte ich auch noch beifügen, daß Ihr, im Falle Eure Gattin Heimweh kriegen sollte, sie am sichersten heilen könnt, wenn Ihr sie wieder nach dem Lande ihrer Geburt zurückbringt.«

»Ha, mein theurer Sir,« versetzte Sir George lachend, »dieß sieht so ziemlich aus, wie ein Zugeständniß seiner Mängel.«

»Ich weiß wohl, daß es den Anschein hat, aber doch verhält sich die Sache anders. Die Kur ist gleich sicher bei Engländern, Amerikanern oder Deutschen, und beruht auf einem allgemeinen Gesetze, welches uns vergangene Freuden und ferne Schauplätze überschätzen, zugleich aber die Verhältnisse des gegenwärtigen Augenblicks unter ihrem Werth anschlagen läßt. Ihr wißt, ich habe stets behauptet, es gebe keinen eigentlichen Philosophen unter Fünfzig und keinen gediegenen Geschmack, der nicht die Probezeit von einem Dutzend Jahren überstanden hat.«

Mr. Effingham klingelte jetzt und forderte Pierre auf, Miß van Courtlandt zu ersuchen, daß sie nach dem Bibliothekzimmer komme. Grace trat verschämt und erröthend ein, aber auf ihrem Antlitz strahlte innerer Friede. Ihr Onkel betrachtete sie einen Moment mit Innigkeit, und abermals glänzte eine Thräne in seinem Auge, als er sie zärtlich auf die glühende Wange küßte.

»Gottes Segen sei mit dir, meine Liebe,« sagte er. »Es ist ein bedeutungsvoller Wechsel für dein Geschlecht, und doch geht ihr Alle ihn ein, mit den schönsten Hoffnungen und voll des edelsten Vertrauens. Nehmt sie hin, Templemore,« er gab ihre Hand dem Baronet, »und behandelt sie mit Liebe. Ihr werdet uns nicht ganz verlassen. Ich hoffe, euch Beide noch einmal in dem Wigwam zu sehen, bevor ich sterbe.«

»Onkel, Onkel!« rief Grace, als sie sich unter einem Strome von Thränen in Mr. Effinghams Arme warf, »ich bin ein undankbares, unbesonnenes Mädchen, daß ich in dieser Weise alle meine natürlichen Freunde aufgeben kann. Ich habe Unrecht gehandelt.«

»Unrecht, theuerste Miß van Courtlandt!«

»Selbstsüchtig also, Sir George Templemore,« fügte das Mädchen in edler Einfalt bei, denn sie wußte kaum, wie inhaltsvoll ihre Worte waren. »Vielleicht sollte die Sache doch noch einmal in Erwägung gezogen werden.«

»Ich fürchte, es dürfte dadurch nicht viel gewonnen werden, meine Liebe,« entgegnete der Onkel lächelnd, indem er sich zu gleicher Zeit die Augen wischte. »In dergleichen Dingen dienen die späteren Gedanken der Frauenzimmer den ersten nur zur Bekräftigung. Gott segne dich, Grace. Templemore, der Herr bewahre auch Euch in seiner heiligen Hut. Vergeßt nicht, was ich gesagt habe – wir wollen dann morgen weiter über den Gegenstand sprechen. Weiß Eva davon, meine Nichte?«

Grace erblaßte und erröthete, während sie zugleich verschämt auf den Boden sah.

»Also müssen wir nach ihr schicken,« entgegnete Mr. Effingham, indem er abermals nach dem Klingelzuge griff.

»Onkel!« rief Grace hastig und noch in guter Zeit, ehe die Schnur angezogen wurde, »hätte ich eine so wichtige Frage vor meiner theuren Cousine geheim halten können?«

»So finde ich, daß ich der Letzte bin, der davon erfährt, wie es in der Regel alten Knaben zu ergehen pflegt, und ich glaube, daß ich sogar jetzt de trop bin.«

Mr. Effingham küßte Grace abermals liebevoll und verließ sodann das Zimmer, obschon sie ihn zurückzuhalten suchte.

»Wir müssen folgen,« sagte Grace hastig, ihre Augen wischend und die Spuren der Thränen von ihren Wangen reibend, »entschuldigt mich, Sir George Templemore; öffnet –«

Er öffnete wirklich – aber nicht die Thüre, sondern seine Arme. Es war Grace wie einer Person, die schwindelnd an einem Abgrunde steht; aber als sie fühlte, daß der junge Baronet zur Hand war, um sie aufzufangen, mußte, statt daß sie augenblicklich das Bibliothekzimmer verließ, die Glocke zum Nachtessen entbieten, ehe sie sich wieder an das erinnerte, was sie so dringend beabsichtigt hatte.


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