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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Ihr werdet wunderbarlich weise handeln,
Mein guter Reynald, wenn vor dem Besuch
Ihr Kundschaft einzieht über sein Benehmen.

Hamlet.

 

Anna Sidley machte sich eben mit Eva's Kleidern zu thun, mit denen sie sich so gerne beschäftigte, obschon Annette ihren Geschmack viel zu gering anschlug, um ihr die Anwendung einer Nadel oder die Anpassung eines Gewandes auf den schönen Leib ihrer Gebieterin zu gestatten – als unsere Heldin in das Gemach glitt und auf einen Sopha niedersank. Sie war viel zu sehr von ihren eigenen Gefühlen in Anspruch genommen, um die Anwesenheit ihrer stillen, unaufdringlichen alten Wärterin zu bemerken, aber auch viel zu sehr an ihre Sorgfalt und Theilnahme gewöhnt, um derselben, wenn sie ihr aufgefallen wäre, zu achten. Einen Augenblick saß sie da, das Antlitz von hellem Scharlach übergossen und die Hände vor sich gefaltet, während ihre Augen an der Decke hafteten; dann machten sich ihre verhaltenen Empfindungen in einem Strom von Thränen Luft. Selbst die Kunde irgend eines unerwarteten Unglücks hätte die arme Anna nicht tiefer erschüttern können, als dieser plötzliche Gefühlsausbruch ihres theuren Pfleglings. Sie ging auf sie zu, beugte sich mit der Innigkeit einer Mutter über sie hin und fragte sie über den Grund ihres anscheinenden Kummers.

»Sprecht, Miß Eva; es wird Euch das Herz erleichtern,« sagte die treue Dienerin. »Eure liebe Mutter hatte auch bisweilen solche Gefühle, und ich wagte es nie, sie darum zu befragen; aber Ihr seid mein Kind, und es kann Euch nichts Unangenehmes befahren, ohne daß es auch mich beträfe.«

Eva's Augen leuchteten, und ihr Antlitz war noch immer von dem früheren Roth übergossen; als sie aber so freundlich durch ihre Thränen lächelte, wußte die arme Anna nicht, was sie von einer derartigen Entfaltung von Gefühlen bei einem sonst so geregelten Geiste halten sollte.

»Es ist nicht Kummer, theure Nanny,« murmelte Eva endlich; »nichts weniger als dieß. Ich bin nicht unglücklich. O nein – von Unglück ist entfernt nicht die Rede!«

»Gott sei Dank, wenn es so ist, Fräulein. Ich fürchtete, die Geschichte mit dem englischen Gentleman und Miß Grace könnte Euch unangenehm sein, denn er hat sich dabei nicht so schön benommen, als er hätte sollen.«

»Und warum nicht, meine arme Nanny? – Ich habe weder Ansprüche, noch wünsche ich Ansprüche an Sir George Templemore zu besitzen. Der Umstand, daß seine Wahl auf meine Muhme fiel, hat mich eher aufrichtig erfreut, als mir Schmerz bereitet. Wäre er ein Landsmann von uns, so wäre die Freude völlig ungetrübt, denn ich glaube fest, daß er sich Mühe geben wird, sie glücklich zu machen.«

Nanny sah jetzt ihre junge Gebieterin an und schaute sodann auf den Boden, erhob aber bald den Blick wieder zu Eva, um ihn darauf einer Rakete nachzusenden, die an dem Himmel hinfuhr. Bald suchten jedoch ihre Augen die ihres Pfleglings aufs Neue, und ermuthigt durch den Ausdruck des Glückes, welches sich in dem theuren Antlitze aussprach, wagte sie zu sagen:

»Wenn Mr. Powis ein keckerer Gentleman wäre, als er ist, Ma'am –«

»Du willst sagen, weniger bescheiden, Nanny,« versetzte Eva, als sie bemerkte, daß ihre Pflegerin inne hielt.

»Ja, Fräulein – Einer, der mehr an sich selbst, als an andere Leute dächte – dieß wollte ich sagen.«

»Was weiter?«

»So glaube ich, er würde das Herz finden, auszusprechen, was er, wie ich recht wohl weiß, in seinem Innern trägt.«

»Und wenn er wirklich das Herz fände, dieß zu sagen, was sollte ich ihm, deiner Meinung nach, wohl antworten?«

»Oh, Fräulein, ich weiß, Ihr würdet gerade so reden, wie es sein müßte. Freilich kann ich nicht wiederholen, was Frauenzimmer bei solchen Gelegenheiten zu sagen pflegen, obschon ich weiß, daß es Etwas ist, worüber den Gentlemen das Herz vor Freude hüpft.«

Es gibt Gelegenheiten, bei welchen das weibliche Geschlecht kaum weiblicher Sympathie entbehren kann. Eva liebte zwar ihren Vater aufs Zärtlichste und setzte mehr als gewöhnliches Vertrauen in ihn, da sie ihre Mutter nie gekannt hatte; aber hätte sie jetzt mit ihm sprechen müssen, so würde doch, ungeachtet des vollen Vertrauens auf seine Liebe, ihre Natur sich gescheut haben, so freimüthig ihre Gefühle vor ihm zu enthüllen, als dieß einer Mutter gegenüber der Fall gewesen wäre, wenn sie der Tod nicht eines solchen Segens beraubt hätte. Andererseits bestand zwischen unserer Heldin und Anna Sidley ein Vertrauen von so eigentümlicher Beschaffenheit, daß wir ein Wort der Erklärung vorausschicken müssen, ehe wir zu den Wirkungen desselben übergehen können. Was die treue Pflege der Kindheit betraf, so war Nanny Eva eine zweite Mutter oder sogar mehr als eine Mutter gewesen, und dieser Umstand allein hatte einerseits eine gewisse persönliche Abhängigkeit, andererseits eine beaufsichtigende Sorgfalt hervorgerufen; denn die treue Dienerin hielt sich für alles leibliche Wohlbefinden ihres Pfleglings verantwortlich. Doch dieß war noch nicht Alles. Nanny war die Vertraute von Eva's kindischen Bekümmernissen und ihren mädchenhaften Geheimnissen gewesen. Obschon nun die Jahre der Letzteren bald nöthig machten, daß sie der Leitung von Solchen übergeben wurde, welche besser befähigt waren, ihren Geist zu bilden, so hatte doch die frühere Mittheilsamkeit nie aufgehört; denn auch die fein gebildete Jungfrau hing mit ungeminderter Innigkeit und unerschütterlicher Zuversicht an der lang erprobten zärtlichen Liebe des Wesens, welches ihre Kindheit überwacht hatte. Die Wirkung eines derartigen Verkehrs war oft belustigend, denn der eine Theil brachte zu den Verhandlungen einen Geist mit, erfüllt von Kenntnissen, wie sie für sein Geschlecht und seine Stellung paßten, dazu noch Gewohnheiten, die sich in den besten Kreisen der christlichen Welt gebildet hatten, und einen Geschmack, der in den besten Schulen gewonnen war, während der andere wenig mehr aufweisen konnte, als ein treues, durch das innerste Wesen geadeltes Herz und eine Einfachheit, welche Zeugniß ablegt für die vollkommene Reinheit des Sinnes. Dieses ungewöhnliche Verhältniß war übrigens nicht ohne Werth für Eva; denn da sie so früh schon in Berührung mit einer arglistigen und berechnenden Welt kam, so blieb dadurch die Unverdorbenheit ihres Charakters bewahrt und sie selbst der kalten, selbstsüchtigen und reizlosen Künstelei entfremdet, in welche bloße Modedamen in Folge ihrer ausschließenden und gezwungenen Denkweise so gerne verfallen. Als daher Eva die bereits erwähnte Frage an ihre Pflegerin stellte, geschah es in der Absicht, zu erfahren, wie Letztere eine Wahl, über welche sie mit sich schon völlig im Reinen war, beurtheilen würde, nicht aber, um sich einem thörichten Scherze über einen Gegenstand hinzugeben, welcher alle ihre Gefühle so sehr in Anspruch nahm.

»Aber du hast mir noch nicht gesagt, liebe Nanny,« fuhr sie fort, »wie ich nach deiner Ansicht antworten sollte. Könntest du zum Beispiel von mir verlangen, daß ich je meinen geliebten Vater verlasse?«

»Wozu wäre dieß auch nöthig, Fräulein? Mr. Powis hat keine eigene Heimath, und, was dieß betrifft, kaum ein Vaterland.«

»Wie kannst du dieß wissen, Nanny?« fragte Eva mit der eifersüchtigen Empfindlichkeit einer glühenden Liebe.

»Je nun, Miß Eva, sein Bedienter hat es gesagt, und dieser ist doch schon lange genug bei ihm, um darum zu wissen, wenn er eine Heimath hätte. Ich lege mich selten nieder, ohne einen Rückblick auf den Tag zu thun, und dabei haben sich oft und oft meine Gedanken Sir George Templemore und Mr. Powis zugewendet; wenn ich aber dabei bedachte, daß der Eine ein Haus und eine Heimath hat, Letzterer aber keines von Beiden, so kam es mir immer vor, als ob er es eigentlich sein sollte.«

»In dieser ganzen Sache hast du also blos auf die Bequemlichkeit und auf das, was Andern angenehm sein könnte, Rücksicht genommen, nicht aber auf mein Bestes.«

»Miß Eva!«

»Nein, theuerste Nanny, vergib mir; ich weiß, daß du in Allem zuletzt an dich selbst denkst; und ich gebe zu, daß der Mangel an einer Heimath kein zureichender Grund sein darf, einen Mann zum Gatten zu wählen. Die meisten Frauen würden im Gegentheil viel darüber einzuwenden haben.«

»Ich maße mir nicht an, viel von dergleichen Gefühlen zu verstehen, Miß Eva. Wohl habe ich, wie ich einräumen muß, auch Freier gehabt, und ich glaube, einmal war es nahe daran, daß ich mich verlocken ließ, zu heirathen, wenn nicht ein einziger besonderer Umstand gewesen wäre.«

»Du – du heirathen, Anna Sidley?« rief Eva, welcher schon der Gedanke so seltsam und unnatürlich zu sein schien, wie wenn ihr Vater es sich hätte einfallen lassen wollen, seine Hingeschiedene Gattin zu vergessen und eine zweite zu nehmen. »Dieß ist etwas ganz Neues, und ich möchte wohl gerne hören, welcher günstige Umstand einen Schritt hinderte, der für mich so unglücklich gewesen wäre.«

»Je nun, Fräulein, ich sagte zu mir selbst: was thut ein Weib, wenn sie heirathet? sie gelobt, um des Mannes willen alles Andere zu verlassen und ihn mehr zu lieben, als Vater, Mutter und alle andere lebende Wesen auf Erden. Ist es nicht so, Miß Eva?«

»Ich glaube in der That, daß du recht hast, Nanny – ja, ich weiß es sogar gewiß,« antwortete Eva, und die Glut ihrer Wangen vertiefte sich bei dem inneren Bewußtsein, daß sie kürzlich erst einen der glücklichsten Augenblicke ihres Daseins erlebt hatte, als sie einer Leidenschaft Raum gab, vor der alle verwandtschaftlichen Gefühle in den Schatten traten. »Es ist wirklich so, wie du sagst.«

»Nun seht, Fräulein, ich habe meine Gefühle – denn so nennt man's, glaube ich – erforscht und nach gehöriger Prüfung gefunden, daß ich Euch viel mehr liebte, als irgend Jemand anders; ich hätte daher mit gutem Gewissen das Gelübde nicht ablegen können.«

»Theuerste Nanny – meine freundliche, gute, treue, liebe alte Pflegerin! laß mich dich in meinen Armen halten – und ich, ich selbstsüchtiges, herz- und gedankenloses Mädchen wollte die Umstände vergessen, die uns höchst wahrscheinlich für den Rest unseres Lebens trennen müßten! – Bst! es hat Jemand an der Thüre gepocht. Es ist Mrs. Bloomfield; ich kenne sie an ihrem leichten Tritt. Oeffne die Thüre, meine liebe Anna, und laß uns allein.«

Als Mrs. Bloomfield in das Zimmer trat, heftete sie ihr klares Auge forschend auf ihre junge Freundin, und ihr sonst so heiteres, bisweilen ironisches Lächeln zeigte jetzt den Ausdruck gedankenvoller Theilnahme.

»Nun, Miß Effingham,« rief sie in einer Weise, die im Widerspruch mit ihren Blicken stand, »soll ich Euch mein Beileid bezeugen oder Euch Glück wünschen? denn einen plötzlicheren oder wunderbareren Wechsel erlebte ich nie zuvor an einer jungen Dame, mochte es zum Guten oder Schlimmen sein. Obendrein sind es verhängnißvolle Worte – ›im Guten oder Schlimmen, in Reichthum oder Armuth.‹«

»Ihr seid diesen Abend sehr aufgeräumt, meine theure Mrs. Bloomfield, und scheint in die Lustbarkeit des ›Feuerspasses‹ mit aller –«

»Macht eingegangen zu sein – dieß ist zwar nur ein provinzielles aber ausdrucksvolles Wort. Euer Templetoner ›Feuerspaß‹ ist ein feuriger Spaß, denn er hat uns eine Art allgemeinen Brandes gekostet. Mrs. Hawker ist dem Falle so nahe gebracht worden, wie Eure große Namensschwester, indem eine Schlange ihrem Anzug zu nahe kam. Wie ich höre, ist eine Scheune ganz in Flammen aufgegangen, und Sir George Templemore's Herz ist zu glimmender Asche verbrannt. Mr. John Effingham hat mir gesagt, er würde kein Junggeselle geblieben sein, wenn es zwei Mrs. Bloomfields in der Welt gegeben hätte, und Mr. Powis sieht aus wie ein Balken, der zu Herkulaneum ausgegraben wurde – nichts als Kohle.«

»Und was veranlaßt diesen Scherz?« fragte Eva in so ruhiger Weise, daß ihre Freundin für den Augenblick getäuscht wurde.

Mrs. Bloomfield nahm an der Seite unserer Heldin auf dem Sopha Platz, faßte sie fast eine Minute fest in's Auge und fuhr dann fort:

»Verstellung und Eva Effingham können nichts mit einander gemein haben, und so muß ich wohl glauben, daß mich meine Ohren täuschten.«

»Eure Ohren, liebe Mrs. Bloomfield?«

»Ja, meine Ohren, liebe Miß Eva Effingham. Ich weiß wohl, daß Lauscher nirgends beliebt sind; aber wenn Gentlemen in den Gartengängen leidenschaftliche Erklärungen machen, ohne daß mehr als eine schmale Hecke zwischen ihren glühenden Deklamationen und der Neugier Derjenigen steht, welche zufällig vorüber gehen, so müssen sie wohl erwarten, daß sie gehört werden.«

Eva war, während ihre Freundin sprach, röther und röther geworden, und als letztere aufhörte, überstrahlte dieselbe hohe Glut ihr süßes Antlitz, wie in dem Augenblicke, als sie aus dem Garten zurückgekehrt war.

»Darf ich fragen, was Ihr mit alledem sagen wollt?« versetzte sie mit einer Gewaltanstrengung, den Anschein von Gelassenheit behauptend.

»Allerdings, meine Liebe, und Ihr sollt nicht blos Worte hören, sondern auch die Gefühle kennen lernen, welche sie eingeben,« erwiederte Mrs. Bloomfield, indem sie Eva freundlich und in einer Weise bei der Hand nahm, aus welcher hervorging, daß sie nicht über einen Gegenstand zu scherzen beabsichtige, welcher für ihre junge Freundin von so hoher Wichtigkeit war. »Mr. John Effingham und ich gingen an einem Punkte vorüber, wo zwei Wege einander nahe kommen, als Ihr mit Mr. Powis eben in dem nächsten Pfade dahin wandeltet. Ohne geradezu die Ohren zu verstopfen, wäre es rein unmöglich gewesen, nicht einen Theil eurer Unterhaltung mitanzuhören. Wir beide versuchten uns ehrlich zu benehmen, denn ich hustete und Euer Vetter räusperte sich; aber wir blieben unbeachtet!«

»Husten und Räuspern?« wiederholte Eva in noch größerer Verwirrung. »Es muß hier ein Irrthum obwalten, theure Mrs. Bloomfield, denn ich erinnere mich nicht, dergleichen Signale vernommen zu haben.«

»Wohl möglich, meine Liebe, denn es gab eine Zeit, als auch ich nur Ohren für eine einzige Stimme hatte; aber wenn's erforderlich sein sollte, wollen wir die Thatsache à la mode de New-England eidlich erhärten. Gleichwohl bitte ich, meine Beweggründe nicht zu verkennen, Miß Effingham, da mich gewiß nicht bloße gemeine Neugierde leitet.« Mrs. Bloomfield blickte dabei Eva so liebevoll und gewinnend an, daß diese ihre Hände ergriff und sie an ihre Brust drückte. »Ihr seid mutterlos und habt nicht eine einzige weibliche Verwandte von passendem Alter, mit der Ihr Euch über einen solchen Gegenstand berathen könntet, und Väter sind im Grunde doch nur Männer.«

»Der meinige ist so liebevoll, wohlwollend und zärtlich, wie nur eine Frau sein kann, Mr. Bloomfield.«

»Ich glaube dieß Alles, obschon er vielleicht nicht ganz so scharfsichtig in einer derartigen Angelegenheit ist. Darf ich mich so frei aussprechen, als ob ich Eure ältere Schwester wäre?«

»Redet so offen, als Euch beliebt, Mrs. Bloomfield; aber Ihr müßt mich über meine Antworten gebieten lassen.«

»Es ist also, wie ich vermuthete,« sagte Mrs. Bloomfield gedankenvoll. »Die Männer sind gewonnen, und dieses junge Wesen ist in der wichtigsten Angelegenheit ihres Lebens ganz ohne Beschützer.«

»Mrs. Bloomfield – was soll dieß heißen? – was könnt Ihr meinen?«

»Es handelt sich blos von allgemeinen Grundsätzen, Kind. Euer Vater und Euer Vetter haben sich als Partieen betheiligt, statt das Amt achtsamer Schildwachen zu übernehmen, und mit all' ihrer vermeintlichen Sorgfalt haben sie Euch durch das Dunkel weiblicher Unsicherheit tappen lassen, während einer der angenehmsten jungen Männer im Lande beständig vor Euren Augen war, um die Finsterniß noch zu verstärken.«

Es ist ein schrecklicher Augenblick, wenn uns zum ersten Mal Zweifel eingeflößt werden gegen den Werth Derjenigen, die wir lieben, und Eva wurde leichenblaß, als sie die Worte ihrer Freundin hörte. Schon einmal, bei Gelegenheit von Pauls Rückkehr nach England, hatte sie einen ähnlichen Stich durchs Herz empfunden, obschon Ueberlegung und ein ruhiger Rückblick auf alle seine Handlungen und Worte, seit sie zum ersten Mal in Deutschland mit ihm zusammengetroffen, sie in die Lage setzte, die Unschlüssigkeit zu überwinden, denn als sie seiner auf dem Berge wieder ansichtig wurde, war in dem Lichte der Vernunft jeder Argwohn, jede unangenehme Besorgniß längst verschwunden. Seine eigene Aussage hatte die leidige Geschichte ganz aufgeklärt, und von diesem Moment an betrachtete sie ihn stets mit den Augen einer vertrauensvollen Zuneigung. Mrs. Bloomfield's Worte klangen ihr daher wie ein Todesurtheil, und für einen Augenblick erschrak ihre Freundin nicht wenig über die Wirkungen ihrer eigenen, unvollkommenen Mittheilung. Bisher hatte sich Mrs. Bloomfield keine geeignete Vorstellung von dem Umfang der Gefühle Eva's gegen Paul bilden können, weil sie von dem früheren Verkehr des jungen Paares in Europa nur wenig wußte; sie bereute daher sehr, den Gegenstand überhaupt zur Sprache gebracht zu haben. Indeß war es zum Rückzuge zu spät. Sie schloß Eva zuerst in ihre Arme, küßte ihre kalte Stirne und beeilte sich sodann, das gestiftete Unheil wenigstens theilweise wieder gut zu machen.

»Ich fürchte, meine Worte sind zu stark gewesen,« sagte sie; »aber ich habe im Allgemeinen ein solches Entsetzen vor der Art, wie in unserem Lande junge Mädchen den Anschlägen ränkevoller, selbstsüchtiger Männer preisgegeben sind, daß ich vielleicht im Allgemeinen zu furchtsam bin, wenn ich ein Wesen, das ich liebe, also bloßgestellt sehe. Man kennt Euch als eine der reichsten Erbinnen des Landes, meine Liebe, und mit Erröthen muß ich sagen, daß man allen Berichten zufolge, die wir über die europäische Gesellschaft haben, dort die Glücksjägerei lange nicht zu der regelmäßigen Beschäftigung macht, wie hier.«

Die Blässe verließ Eva's Antlitz und machte der Miene der Kränkung Platz.

»Mr. Powis ist kein Glücksjäger, Mrs. Bloomfield,« versetzte sie mit Festigkeit. »Wir kennen ihn seit drei Jahren, und sein ganzes Benehmen widerspricht einer solchen Annahme. Außerdem hat er, wenn er auch nicht gerade reich genannt werden kann, das Einkommen eines Gentlemans, und ist daher durchaus nicht gedrungen, solchen gemeinen Triebfedern zu folgen.«

»Ich bemerke meinen Irrthum, aber es ist jetzt zu spät, zurückzutreten. Ich erlaube mir nicht, zu sagen, Mr. Powis sei ein Glücksjäger; indeß finden doch in seiner Geschichte Umstände statt, über die Ihr wenigstens Erkundigungen einziehen solltet, und zwar so bald wie möglich. Ich wollte mich lieber mit Euch, als mit Eurem Vater hierüber benehmen, weil ich glaubte, daß Euch im gegenwärtigen Falle eine weibliche Vertraute besser dienen könnte, als sogar Euer trefflicher natürlicher Beschützer. Ich dachte an Mrs. Hawker, die um ihres Alters willen vielleicht den Vorzug verdient; aber ich fühlte mich nicht berechtigt, ihr ein Geheimniß mitzutheilen, in dessen Besitz ich so zufällig kam.«

»Ich weiß Eure Theilnahme vollkommen zu schätzen, theuerste Mrs. Bloomfield,« versetzte Eva, die sich jetzt sehr erleichtert fühlte und wieder mit all' ihrer angeborenen Holdseligkeit zu lächeln begann; denn sie sah nachgerade ein, daß allzugroße Sorgfalt von Seite ihrer Freundin sie unnöthigerweise beunruhigt hatte – »und bitte, Euch ohne Rückhalt gegen mich auszusprechen. Wenn Euch ein Grund bekannt ist, warum ich die Bewerbung des Mr. Powis zurückweisen sollte, so ersuche ich Euch, ihn namhaft zu machen.«

»Heißt er überhaupt Mr. Powis?«

Zu Mrs. Bloomfield's großer Ueberraschung lächelte Eva abermals, denn da Erstere die Frage nur mit Beklommenheit vorgebracht hatte, so war sie nicht wenig erstaunt über die Kälte, mit welcher sie aufgenommen wurde.

»Er führt vielleicht nicht gesetzlich diesen Namen, könnte es aber immerhin thun, wenn ihm nicht die Oeffentlichkeit, welche mit einem Gesuch an die Legislatur verbunden ist, zuwider wäre. Nach seinem Vater müßte er Assheton heißen,« erwiederte Eva nach einem kurzen Stocken.

»Ihr kennt also seine Geschichte?«

»In dieser Beziehung fand von Seiten des Mr. Powis keine Zurückhaltung, am wenigsten aber Täuschung statt.«

Mrs. Bloomfield schien verwirrt, ja sogar in hohem Grade betroffen zu sein, und es währte einige Zeit, ehe sie sich über den Weg, den sie einschlagen sollte, entscheiden konnte. Daß sie einen Irrthum begangen hatte, indem sie in einer Herzensangelegenheit Rath ertheilen wollte, nachdem die Neigung bereits gefesselt war, entdeckte sie zu spät; gleichwohl aber schätzte sie Eva's Freundschaft zu sehr und hatte ein zu richtiges Gefühl für das, was sie sich selbst schuldig war, um die Sache beruhen zu lassen oder die Gründe ihrer unaufgeforderten Einmengung für sich zu behalten.

»Ich freue mich, dieß zu hören,« sagte sie, sobald sie mit ihren Zweifeln in's Reine gekommen war; »denn mit der Offenheit fährt man nicht nur am besten, sondern sie ist auch einer der schönsten Züge im menschlichen Charakter. Gleichwohl müssen wir vorsichtig sein, da sich das andere Geschlecht selten mit unverholener Freimüthigkeit gegen das unsrige benimmt.«

»Ist unser Geschlecht so schnell bei der Hand, sie gegen das andere in Anwendung zu bringen?«

»Vielleicht nicht. Es dürfte wohl für beide Theile besser sein, wenn zur Zeit des Freiens im Allgemeinen weniger Täuschung geübt würde. Da übrigens dieß nicht in Aussicht steht und möglicherweise dadurch viele der angenehmsten Blendwerke des Lebens zerstört werden dürften, so wollen wir uns nicht auf eine Abhandlung über die Arglist Cupidos einlassen. Gehen wir daher lieber zu meinen eigenen Bekenntnissen über, die ich um so bereitwilliger ablegen kann, weil ich weiß, daß sie ein nachsichtiges Gehör finden werden und an eine Freundin gerichtet sind, die sogar meine Thorheiten mit Liebe zu beurtheilen geneigt ist.«

Eva's freundliches Lächeln, in welchem sich aber doch ein schmerzlicher Zug aussprach, versicherte die Sprecherin, daß sie sich nicht getäuscht habe; sie ließ sich noch eine Weile Zeit, um den Gesichtsausdruck ihrer jungen Freundin zu studiren und fuhr dann fort:

»In Gemeinschaft mit ganz New-York – dieser Stadt voll klatschsüchtiger Mädchen, die da plaudern, wie das Wasser fließt, ohne zu wissen was, und voll backenbärtiger Herrchen, welche Broadway für die Welt und die Koketterien eines Miniatur-Salons für Menschennatur halten – war ich vor Eurer Rückkehr von Europa der Ansicht, daß Eurer Schleppe in der Person des Sir George Templemore ein begünstigter Bewerber folge.«

»Aber nichts in meinem Benehmen, in dem von Sir George oder in dem irgend eines Angehörigen meiner Familie konnte mit Recht Anlaß zu einer solchen Vermuthung geben,« versetzte Eva hastig.

»Was hat Gerechtigkeit, Wahrheit oder auch nur Wahrscheinlichkeit mit einem Gerüchte zu schaffen, das von Liebe und Ehestand spricht? Kennt Ihr die Gesellschaft nicht besser, als daß Euch dieß befremdlich vorkommen sollte, Kind?«

»Ich weiß, daß unser Geschlecht seine eigene Würde und Achtbarkeit besser wahren würde, meine theure Mrs. Bloomfield, wenn es weniger von dergleichen Dingen spräche; auch würden unsere Frauenzimmer weit eher im Stande sein, sich Geschmack, um nicht zu sagen gute Grundsätze, zu erringen, wenn sie ihre Kritik mehr auf Dinge und Gefühle beschränkten, und sich weniger mit Personen befaßten.«

»Erlaubt mir die Frage, gibt es unter andern civilisirten Nationen nicht eben so gut, wie bei uns, Klatschereien und Lästerzungen, die es mit dem Nebenmenschen nicht sonderlich genau nehmen?«

»Ohne Zweifel; indeß, glaube ich, hält man dieß allenthalben für sehr gemein und für einen Beweis schlechten Umgangs.«

»Hierin sind wir vollkommen einverstanden; denn wenn es Etwas gibt, was ein Bewußtsein der eigenen Unbedeutsamkeit verräth, so liegt es darin, daß uns andere so augenfällig wichtig erscheinen, um sie zu Gegenständen unserer unablässigen Unterhaltung zu machen. Wir können von Tugenden sprechen, denn hierin zollen wir nur dem Guten die gebührende Huldigung; sobald wir aber dahin kommen, bei persönlichen Fehlern zu verweilen, so liegt dann eher ein Beweis, daß wir stillschweigend von der Ueberlegenheit des Gegenstandes unserer Bemerkungen – sei es nun in Betreff des Charakters, der Talente, der geselligen Stellung oder irgend eines andern wesentlich scheinenden Punktes – überzeugt sind, als daß uns seine Mängel anwidern. Wer lästert zum Beispiel über seinen Gewürzkrämer, seinen Schumacher oder seinen Kutscher? Man thut dieß nicht, weil man zu stolz dazu ist. Unsere Bekrittelungen betreffen stets Personen, die besser sind, als wir, oder wenn man an solche nicht kommen kann, so nimmt man mit seines Gleichen vorlieb.«

»Nun, so will ich es meinetwegen der New-Yorker Welt zu Gute halten, daß sie mich an Sir George Templemore vergabt hat,« entgegnete Eva lächelnd.

»Dieß dürft Ihr wohl, denn Diejenigen, welche Euch mit diesem Manne in's Gerede brachten, haben es hauptsächlich deßhalb gethan, weil sie nicht im Stande sind, über Etwas Anderes ein Gespräch zu führen. Gleichwohl muß ich noch immer den Vorwurf fürchten, als habe ich unerbetenen Rath ertheilt und mich bei einer Sache beunruhigt, die nur Andere angeht, nicht aber mich – also eine Sünde begangen, die wir eben erst unserer würdigen Fraubasenschaft vorgerückt haben. In Gemeinschaft mit meiner ganzen Umgebung also hielt ich Sir George Templemore für den begünstigten Liebhaber, und ich habe mich daran gewöhnt, Euch in Gedanken schon mit einander verbunden zu sehen. Als ich jedoch hier anlangte, so kam es mir, ich will es nur gestehen, vor, Mr. Powis könnte wohl der gefährliche Mann sein; denn Ihr werdet Euch erinnern, daß ich ihn zuvor nie gesehen hatte. Soll ich über meine ganze Thorheit Rechenschaft ablegen?«

»Laßt mich auch das Kleinste vernehmen.«

»Wohlan denn, ich bekenne, der Meinung Raum gegeben zu haben: während der treffliche Vater glaubte, Ihr seiet auf dem besten Wege, Lady Templemore zu werden, habe die gleich treffliche Tochter den Anderen für die angenehmste Person gehalten.«

»Wie, und dieß ungeachtet der stattgehabten Verlobung?«

»Natürlich schrieb ich diesen Theil des Gerüchts auf Rechnung der gewöhnlichen Verschönerungen. Wir sehen uns nicht gerne in unseren Berechnungen getäuscht und lieben es nicht, wenn wir entdecken, daß uns sogar Klatschbasen irre geführt haben. Aus reinem Aerger über meinen früheren Irrthum fing ich an, diesen Mr. Powis zu bekriteln.«

»Zu bekriteln, Mrs. Bloomfield?«

»Ja, Fehler an ihm zu finden, meine Liebe. Ich versuchte, mir einzureden, er sei nicht eben der schönste, einladendste junge Mann, den ich je gesehen, dachte mir, wie er sein könnte und nicht wie er war, und stellte sogar unter anderen Dingen Erkundigungen nach ihm an.«

»Ihr habt es nicht für passend gehalten, diese Frage Jemanden von uns vorzulegen,« erwiederte Eva ernst.

»Nein, denn ich entdeckte durch Instinkt, Ahnung oder Muthmaßung – Alles dieß läuft, glaube ich, so ziemlich auf dasselbe hinaus –, daß etwas Geheimnißvolles an ihm sei, etwas, was sogar seine Templetoner Freunde nicht ganz verstanden, und so kam mir denn der glückliche Gedanke, mich bei einer andern Person zu erkundigen.«

»Und erhieltet zuverlässig eine befriedigende Antwort,« sagte Eva, ihre Freundin mit dem ganzen arglosen Vertrauen anblickend, welches dem ganzen weiblichen Geschlecht eigen ist, wenn die Liebe über den Verstand die Oberhand gewonnen hat.

»Cosi, cosi: Bloomfield hat einen Bruder, der, wie Ihr wißt, unter der Marine ist, und ich erinnerte mich zufälligerweise, daß dieser einmal von einem Offizier Namens Powis gesprochen hatte, dessen er als eines Mannes, mit welchem er in Westindien gegen die Seeräuber gefochten, lobende Erwähnung that. Ich schrieb ihm einen meiner gewöhnlichen Briefe, die gemeiniglich ein Gemisch von allerlei Gegenständen aus der Natur und Kunst sind, und ersah die Gelegenheit, auf einen gewissen Mr. Paul anzuspielen, indem ich die allgemeine Bemerkung beifügte, daß er früher gedient habe, und die besondere Frage anschloß, ob er nichts davon wisse. Alles dieß mag Euch wohl als sehr unberufener Diensteifer erscheinen, aber Ihr würdet es zuversichtlich ganz natürlich finden, meine theure Eva, wenn Ihr wüßtet, welches Interesse ich für Euch fühlte und noch fühle.«

»Weit gefehlt, darüber verdrießlich zu sein, fühle ich mich Euch vielmehr für Eure Theilnahme sehr verpflichtet, namentlich, da ich von Euch voraussetzen darf, daß es mit Vorsicht und ohne mißliebige Beziehungen auf dritte Personen geschah.«

»Was dieß betrifft, glaube ich die Sache ziemlich gut eingeleitet zu haben. Tom Bloomfield – ich muß ihn um Verzeihung bitten, denn er nennt sich gegenwärtig Kapitän Bloomfield – kennt Mr. Powis gut oder kannte ihn vielmehr, denn sie haben sich seit Jahren nicht wieder gesehen. Er spendet seinen persönlichen Eigenschaften und seiner Seemannsgeschicklichkeit das beste Lob, hat aber doch die Bemerkung beigefügt, daß ein gewisses Geheimniß mit seiner Geburt in Verbindung stehe, denn seines Wissens habe er, ehe er in den Dienst trat, den Namen Assheton geführt und erst später sich Powis genannt, ohne öffentlich einen Grund dafür anzugeben oder die gesetzliche Legitimation nachzusuchen. Nun dachte ich, ich könne nicht zugeben, daß Eva Effingham eine Verbindung mit einem Manne von so zweideutiger Stellung eingehe, ohne ihr zuvor Kunde davon mitgetheilt zu haben. Ich erwartete einen passenden Anlaß, um mich dieses unangenehmen Dienstes zu entledigen; aber der Zufall, welcher mich zum Zeugen des Vorgangs von heute Abend machte, belehrte mich, daß keine Zeit zu verlieren sei, und ich kam deßhalb hieher, vielleicht mehr durch die Theilnahme für Euch, meine Liebe, als durch die Klugheit geleitet.«

»Ich danke Euch aufrichtig für die freundliche Sorgfalt, die Ihr für mein Wohl tragt, theure Mrs. Bloomfield, und weiß den Beweggrund nach Gebühr zu schätzen. Wollt Ihr mir die Frage erlauben, wie viel Ihr von dem, was heute Abend vorging, wißt?«

»Einfach, daß Mr. Powis verzweifelt verliebt ist – eine Erklärung, die mir stets für den Seelenfrieden eines jungen Frauenzimmers in hohem Grade gefährlich erscheint, wenn sie aus dem Munde eines sehr – sehr einladenden jungen Mannes kömmt.«

»Und meine Betheiligung an dem Dialoge?« – Eva erröthete bis über die Augen, als sie diese Frage stellte, obschon sie sich alle Mühe gab, ruhig zu erscheinen – »meine Antwort?«

»Es lag zu viel von dem Takte eines Weibes, eines ächten und gerechten Weibes in mir, Miß Effingham, um auf dieß zu hören, selbst wenn sich eine Gelegenheit dazu geboten hätte. Wir befanden uns übrigens nur einen Augenblick nahe genug, um etwas zu verstehen, obschon dieser Augenblick zureichte, uns einen tiefen Blick in die Gefühle des Gentleman thun zu lassen. Ich verlange kein Vertrauen, meine theure Eva, und nun ich meine Erklärungen gegeben habe, so albern sie auch sein mögen, will ich Euch küssen und mich nach dem Besuchzimmer begeben, wo man uns Beide bald vermissen wird. Vergebt mir, wenn ich aufdringlich gewesen bin und schreibt es dem wahren Beweggrunde zu.«

»Halt, Mrs. Bloomfield, ich bitte – noch einen einzigen Augenblick. Ich wünsche Euch noch ein Wort zu sagen, ehe wir uns trennen. Da Euch der Zufall von Mr. Powis' Gesinnungen gegen mich unterrichtet hat, so ist es nicht mehr als billig, als daß Ihr auch meine Gefühle gegen ihn kennen lernet.«

Eva hielt unwillkürlich inne, denn obschon sie ihre Erklärung mit dem festen Vorhaben begonnen hatte, Paul Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, hielt doch die Verschämtheit ihres Geschlechts in demselben Augenblicke, in welchem sie am sehnlichsten zu sprechen verlangte, ihre Zunge gebunden. Eine Gewaltanstrengung bewältigte jedoch diese Schwäche, und es gelang dem warmherzigen, edlen Mädchen, ihrer Stimme Herr zu werden.

»Ich kann nicht zugeben, daß Ihr mit dem Eindruck von hinnen geht, als ob ein Schatten irgend einer Art auf Mr. Powis' Benehmen hafte,« sagte sie. »Weit entfernt, je von den Ereignissen Vortheil ziehen zu wollen, die es in seine Macht gaben, uns wesentliche Dienste zu leisten, hat er früher nie von seiner Zuneigung gesprochen, und auch diesen Abend geschah es unter Umständen, in welchen die natürlichen Gefühle – vielleicht darf ich wohl sagen, gegen seinen Willen – die Oberhand gewonnen.«

»Ich glaube Alles, denn ich fühle mich überzeugt, daß Eva Effingham ihr Herz nicht unbesonnen verschenken kann.«

»Mein Herz – Mrs. Bloomfield!«

»Ja, Euer Herz, meine Theure; aber jetzt bestehe ich darauf, daß der Gegenstand vorderhand beruhen bleibe. Euer Entschluß ist wahrscheinlich noch nicht zur Reife gediehen. Das Geheimniß Eures Liebhabers ist erst seit einer Stunde in Eurem Besitz und die Klugheit fordert Ueberlegung. Ich hoffe, Euch in dem Besuchzimmer zu sehen – bis dahin lebt wohl!«

Mrs. Bloomfield winkte Eva, zu schweigen, und verließ das Gemach eben so leichten Trittes, als sie dasselbe betreten hatte.


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