Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfzehntes Kapitel.

»In England sollen fortan sieben Halbpennylaibe einen Penny kosten; der dreireifige Krug soll zehn Reife haben, und ich werde es für ein todeswürdiges Verbrechenerklären, Dünnbier zu trinken. Das ganze Reich soll gemeinschaftlich sein, und mein Fohlen soll in Cheapside grasen.«

Hans Cade.

 

Obgleich die Angelegenheit mit dem Vorsprung den nächsten Tag und noch einige Zeit nachher im Dorfe Templeton fortrumorte, war sie doch im Wigwam fast in Vergessenheit gerathen. Mr. Effingham war zwar entrüstet über den Mißbrauch seiner Güte, in welcher er den Angehörigen des Dorfs gestattet hatte, oft zu seiner eigenen großen Unbequemlichkeit und Störung den besprochenen Vorsprung zu besuchen; da er übrigens seinem Rechte vertraute, so entschlug er sich bald der Gedanken daran, und war bereits wieder in seiner gewohnten Weise beschäftigt. Anders verhielt sich's mit Mr. Bragg. Seiner Zusage gemäß hatte er dem Meeting angewohnt, und er schien jetzt alle seine Bewegungen durch eine Art geheimthuender Wichtigmacherei zu regeln, als habe er ein ungewöhnlich bedeutungsvolles Geheimniß auf dem Herzen. Indeß achtete Niemand auf ihn, denn die meisten Bewohner des Wigwams legten zu wenig Werth auf den Landagenten und seine Geheimnisse oder Ansichten, als daß sein Benehmen besonders hätte auffallen können. Nur in Mr. Dodge fand er einen theilnehmenden Zuhörer, denn Mr. Effingham hatte diese Person höflichkeitshalber eingeladen, einige Tage in Gesellschaft derjenigen zu verbringen, mit welchen er – seinerseits jedenfalls sehr unfreiwillig – so viele Gefahren durchgemacht hatte. Diese beiden Ehrenmänner wurden bald mit einander vertraut, und jeder Fremde, der Zeuge ihres Achselzuckens, ihres wichtigthuenden Flüsterns und ihrer häufigen Konferenzen in den Ecken war, hätte glauben können, ihre Schultern seien mit Staatsangelegenheiten von höchster Bedeutsamkeit belastet. Doch alle diese Pantomimen, welche darauf berechnet waren, Neugierde zu erwecken, gingen an der übrigen Gesellschaft verloren. Die Damen machten in Begleitung von Paul und dem Baronet einen Morgenspaziergang nach dem Wald, während die beiden Herren Effingham mit der ärgerlichsten Gleichgiltigkeit die Journale lasen, die sie jeden Morgen von New-York erhielten. Indeß konnten weder Aristobulus, noch Mr. Dodge, länger widerstehen, und nachdem sie vergeblich ihren Scharfsinn erschöpft hatten, um einen der beiden Gentlemen zu einer Frage über den Meeting des vorigen Abends zu verlocken, überwältigte das Verlangen, ihren gepreßten Herzen Luft zu machen, dermaßen ihre Geheimnißkrämerei, daß sie ein förmliches Gesuch an Mr. Effingham ergehen ließen, er möchte ihnen in der Bibliothek Audienz ertheilen. Letzterer, der sich wohl denken konnte, was zur Sprache kommen würde, ersuchte seinen Verwandten, ihn zu begleiten, und bald nachher befanden sich die Vier allein in dem so oft erwähnten Gemache.

Aber selbst jetzt noch, nachdem sein eigenes Gesuch um Gehör genehmigt war, wollte Aristobulus nicht recht mit der Farbe heraus, bis eine sanfte Andeutung von Seiten Mr. Effingham's, daß er seine Mittheilung anzuhören bereit sei, dem Landagenten zu verstehen gab, es sei jetzt zu spät, seinen Entschluß zu ändern.

»Unserer Verabredung gemäß habe ich gestern Abend dem Meeting angewohnt, Mr. Effingham,« begann Aristobulus, »und es thut mir ungemein leid, einem Gentleman, den ich in so hohem Grade achte, das Ergebniß vorlegen zu müssen.«

»So hat also ein Meeting stattgefunden?« entgegnete Mr. Effingham, die Komplimente des Anderen mit einer leichten Verneigung anerkennend.

»Ja, Sir, und ich denke, Mr. Dodge, wir können ihn sehr besucht nennen.«

»Das Publikum war gut repräsentirt,« entgegnete der Herausgeber, denn es hatten sich 50-60 Personen eingefunden.

»Das Publikum ist vollkommen berechtigt, sich zu versammeln und sich über was immer für Ansprüche, zu denen es sich befugt glaubt, zu berathen,« bemerkte Mr. Effingham. »Ich habe durchaus nichts gegen eine solche Maßregel einzuwenden, obschon ich glaube, es wäre der Würde einer Versammlung angemessener gewesen, wenn sie sich durch achtbarere Personen, als die waren, welche dem Vernehmen nach bei der Sache vorne an standen, und in Ausdrücken, die sich besser mit dem Schicklichkeitsgefühl vertrügen, hätte zusammenrufen lassen.«

Aristobulus warf Mr. Dodge einen Blick zu, welchen dieser erwiederte, denn keiner von diesen beiden politischen Pilzen konnte sich eine geeignete Vorstellung von der Würde und dem Rechtssinne machen, mit welchem ein Gentleman eine derartige Angelegenheit betrachten konnte.

»Sie haben eine Reihe von Resolutionen erlassen, Mr. Effingham,« nahm Aristobulus mit der Gravität auf, mit welcher er stets von solchen Dingen zu sprechen pflegte – »eine Reihe von Resolutionen, Sir!«

»Dieß war zu erwarten,« erwiederte Mr. Effingham lächelnd, »denn die Amerikaner sind ein Volk, bei dem es nicht leicht ohne eine Reihe von Resolutionen abgeht. Kaum finden sich Drei zusammen, so wird schon ein Präsident und ein Sekretär ernannt, und eine Resolution ist eine eben so natürliche Folge einer derartigen ›Organisation‹, – ich glaube, dieß ist das beliebte Wort – als das Ei eine Begleitung des Gackerns der Henne ist.«

»Aber, Sir, Ihr kennt die Natur der Resolutionen noch nicht!«

»Sehr wahr, Mr. Bragg; dieß ist ein Stückchen Belehrung, welches ich von Euch zu erhalten das Vergnügen haben werde.«

Abermals warf Aristobulus seinem Freunde einen Blick zu, und Steadfast gab ihn mit der gleichen Ueberraschung zurück, denn Beide waren wie aus den Wolken gefallen, als sie bemerkten, wie man so gleichgiltig sein konnte gegen die Resolutionen eines Meeting, der sich so unzweideutig für das Publikum erklärt hatte und regelmäßig mit einem Präsidenten und Sekretär organisirt war.

»Ich entledige mich nur ungern dieser Verpflichtung, Mr. Effingham, aber da Ihr darauf besteht, so kann ich sie nicht umgehen. Erstlich wurde resolvirt, Euer Vater habe die Absicht gehabt, der Gemeinde den Vorsprung zu geben.«

»Eine Entscheidung, welche klärlich die Sache erledigen muß, und wohl alle eigenen Resolutionen meines Vaters über diesen Gegenstand zu nichte machen wird. Sind sie bei dem Vorsprung stehen geblieben, Mr. Bragg, oder resolvirten sie weiter dahin, mein Vater habe ihnen auch sein Weib und seine Kinder überlassen?«

»Nein, Sir, von Letzteren war nicht die Rede.«

»Ich weiß in der That nicht, wie ich ihnen meinen Dank für die Nachsicht genugsam ausdrücken soll, denn sie hätten eben so gut ein Recht, eine derartige Resolution zu erlassen, als sie zu der andern befugt waren.«

»Die Macht des Publikums ist achtunggebietend, Mr. Effingham!«

»Ja wohl, Sir; aber zum Glück ist die der Republik noch achtunggebietender, und ich werde mich wohl an die letztere wenden müssen, daß sie mich unterstütze in dieser Krisis – nicht wahr, Mr. John Effingham, dieß ist das beliebte Wort?«

»Wenn du einen Wechsel in der Verwaltung, das Umschlagen einer Postkutsche oder den Tod eines Karrengauls bezeichnen willst, so sind dieß lauter Krisen im amerikanischen Wörterbuch.«

»Wohlan, Mr. Bragg, nachdem die Resolution dahin lautete, daß meine guten Mitbürger die Absichten meines verstorbenen Vaters besser kennen, als sie ihm selbst bewußt waren – denn daß er in dieser Beziehung im Unklaren war, muß wohl aus seinem Testament [erhellen] – so möchte ich doch wohl wissen, was das Publikum weiter in der Fülle seiner Gewalt zu beschließen für gut fand.«

»Es wurde ferner resolvirt, Sir, daß es Eure Pflicht sei, die Absichten Eures Vaters auszuführen.«

»Hierin sind wir vollkommen einverstanden, wie das Publikum wahrscheinlich entdecken wird, ehe wir noch mit dieser Sache zu Ende kommen. Dieß ist eine der frömmsten Resolutionen, die meines Wissens je ein Publikum erlassen hat. Kommt noch mehr?«

Ungeachtet der lang gewohnten Unterwerfung unter den Pöbelhaufen, den er mit dem Namen Publikum zu beehren gewöhnt war, hatte Mr. Bragg doch eine hohe Achtung vor der Grundsatzfestigkeit, dem Charakter und der Stellung Mr. Effingham's, dem mit Sophistik oder mit Selbstermuthigung in den Praktiken einer socialen Verwirrung nicht beizukommen war; er zögerte daher, ehe er seinem Mandaten die nächste Resolution mittheilte. Als er jedoch bemerkte, daß dieser sowohl, als John Effingham, seiner weiteren Mittheilung entgegensahen, so suchte er seine Bedenken zu überwinden und sich deutlich auszusprechen.

»Ich bedaure sehr, beifügen zu müssen, Mr. Effingham,« sagte er, »daß der Meeting die Resolution gefaßt hat, Euch wegen Eurer Maßregel in Betreff des Vorsprungs für gehässig zu erklären; man müsse Euch und Eure Verwarnung gegen Uebergriffe mit souveräner Verachtung behandeln.«

»Wenn ich als gehässig erscheine, weil ich meine Rechte an mein Eigenthum anspreche,« bemerkte Mr. Effingham ruhig, »in welchem Lichte zeigt sich dann Euer Publikum, welches sich an fremde Habe Berechtigungen anmaßt?«

»Man wird freilich diese Resolution mit anderen Augen ansehen. Ich erlaubte mir, dem Meeting anzudeuten, daß möglicherweise ein Irrthum stattfinden könne, aber –«

»Sie resolvirten wie gewöhnlich, daß sie unfehlbar seien,« unterbrach ihn John Effingham, dem es schwer geworden war, so lange sein Stillschweigen zu bewahren. »Du magst diese Angelegenheit betrachten wie du willst, Ned, aber in meinen Augen ist sie eine vorsätzliche Verkehrung der Wahrheit, eine Verletzung der Gesetze und ein höchst ungebührlicher Eingriff in die Rechte eines Bürgers.«

»Gütiger Himmel, Mr. John – Ihr vergeßt, daß von Resolutionen eines offenen Meeting – eines geheiligten, öffentlichen Meetings die Rede ist!«

John Effingham war im Begriff, mit der kalten Verachtung, welche ihm dieser Mißbrauch der Worte einflößte, zu antworten, als ihn noch eben zu rechter Zeit eine Geberde seines Vetters veranlaßte, zu schweigen.

»Wollt Ihr die Güte haben, Mr. Bragg,« fuhr Mr. Effingham fort, »mir einen etwas genauen Begriff von der Zusammensetzung dieses Meetings beizubringen? Zuverlässig war doch Mr. Howel nicht dabei?«

Aristobulus sah sich genöthigt, dieß zuzugeben. Mr. Effingham fuhr dann fort, zwanzig bis dreißig der achtbareren und einsichtsvolleren Dorfbewohner namhaft zu machen, darunter fast Alle, die durch gesellschaftliche Stellung, Alter, oder langjährigen Aufenthalt ein Recht haben konnten, in einer derartigen Frage mitzusprechen; aber es stellte sich heraus, daß nicht Einer derselben anwesend gewesen war. Nach der prunkhaften Weise, in welcher Mr. Bragg das Meeting zur Sprache gebracht hatte, überraschte ihn dieses Resultat nicht wenig, und er erkundigte sich nun zunächst nach dem Namen Derjenigen, welche in der Sache hauptsächlich thätig gewesen waren. Da stellte sich nun heraus, daß bei weitem die Mehrzahl aus jener unstäten Bevölkerung bestand, welche einen so großen und ungeordneten Theil der meisten amerikanischen Gemeinden ausmacht; denn Manche davon waren kaum einen Monat in dem Dorfe wohnhaft.

»Diese Personen sind mir meistentheils fremd,« sagte Mr. Effingham, »und können sowohl vermöge ihrer Jahre, als der kurzen Dauer ihres Aufenthalts wenig von der Bedeutung der bestrittenen Frage wissen. Meinen Vater hat vornweg Keiner gekannt, da dieser schon nahezu dreißig Jahre todt ist.«

»Gleichwohl sind sie das Volk, Sir.«

»Nein, Sir, sie sind nicht das Volk, und es ist eine eben so unverschämte Anmaßung von ihrer Seite, dafür gelten zu wollen, als es eine vermessene Dreistigkeit ist, Ansprüche auf mein Eigenthum zu erheben.«

»Es ist hinreichend, sich selbst für das Volk zu halten, um sich gar Alles herausnehmen zu können,« sagte John Effingham. »Hoffentlich gedenkst du nicht, dir diese Unbill gefallen zu lassen, Ned?«

»Was verlangst du von mir anders, John, als Mitleid mit Denen, die so gar alles Schicklichkeitsgefühls baar sind, daß sie sich zu Richtern in eigener Sache aufwerfen? Allerdings werde ich buchstäblich bei meinen gesetzlichen Rechten beharren, aber ich sehe nicht ein, was weiter von mir gefordert werden könnte. Das Erstere bin ich jetzt sogar den Gesetzen unseres gemeinsamen Vaterlandes schuldig.«

»Aber sie haben öffentlich ihre Verachtung gegen Euch ausgedrückt!«

»Das allersicherste Zeichen, daß sie dieselbe nicht fühlen. Die Verachtung ist ein stummes Gefühl, das man nie vor der Welt zur Schau trägt, und kann unmöglich im Ernste Demjenigen gelten, gegen den man mit feierlichen und förmlichen Erklärungen zu Felde zieht. Ich hoffe, durch mein Benehmen zu zeigen, auf welcher Seite die wirkliche Verachtung zu finden ist.«

»Sie haben Euch offen geschmäht, indem sie Euch durch ihre Resolutionen als gehässig bezeichneten.«

»Dieß ist in der That eine starke Maßregel und dürfte im Interesse des Anstandes und der Sittlichkeit eine Zurechtweisung verdienen. Niemand kann sich weniger als ich um Ansichten kümmern, Mr. Bragg, deren Werthlosigkeit sich so deutlich in der unbedachten Weise ausspricht, mit welcher die Bekenner derselben sich zu Irrthümern verlocken ließen; das Maaß überfließt aber, wenn etliche Mitglieder der Gemeinde sich solche Freiheiten gegen eine Privatperson herauszunehmen wagen, und dieß noch obendrein in einem Falle, der vermeintliche eigene Ansprüche betrifft. Ich fordere Euch daher auf, allen bei der Sache Betheiligten zu sagen, daß ich – so fern sie sich erdreisten, ihre Resolution, die mich für gehässig erklärt, zu veröffentlichen – sie lehren werde, was sie nicht zu wissen scheinen – die Thatsache nämlich, daß wir in einem Lande leben, wo es Gesetze gibt. Persönlich werde ich mich freilich nicht mit ihnen einlassen, wohl aber schriftliche Klage gegen sie erheben wegen des Vergehens. Ich hoffe, Ihr habt mich verstanden?«

Aristobulus war entsetzt! Gegen das Publikum eine schriftliche Klage zu führen – dieß war ein Schritt, von dem er nie zuvor gehört hatte, und er begann jetzt zu bemerken, daß die Frage wirklich zwei Seiten hatte. Dennoch bewog ihn seine Ehrfurcht vor öffentlichen Meetings und das gewohnte Haschen nach Popularität, die Sache nicht ohne einen abermaligen Kampf aufzugeben.

»Sie haben bereits die Weisung erlassen, ihre Verhandlungen durch den Druck zu veröffentlichen, Mr. Effingham!« entgegnete er, als sei er der Meinung, daß sich eine derartige Weisung nicht wieder zurücknehmen lasse.

»Wenn es einmal zur Entscheidung kömmt und von Strafen und Bußen die Rede ist, Sir, so werden, denke ich, die Führer wohl ihrer Individualität sich zu erinnern beginnen und nicht mehr so sehr auf ihren öffentlichen Charakter pochen. Wer, gleich Wölfen, in Rudeln jagt, benimmt sich selten sehr mannhaft, wenn man ihn aus dem Haufen herausliest. Der Erfolg wird's lehren.«

»Ich wünsche von Herzen, diese mißliche Angelegenheit möchte sich freundschaftlich beilegen lassen,« fügte Aristobulus bei. »So, wie es steht, gibt es aber böses Blut und eine unangenehme Nachbarschaft.«

»Es scheint in der That fast so,« bemerkte John Effingham, »sintemal sich Niemand gerne verfolgen läßt.«

»Aber, Mr. John, das Publikum meint in diesem Falle der verfolgte Theil zu sein.«

»Dieser Ausdruck in seiner Anwendung auf eine Körperschaft, die nicht nur Gesetze macht, sondern sie auch in Ausübung bringt, ist eine so handgreifliche Abgeschmacktheit, daß es mich wundert, wie Jemand denselben zu gebrauchen sich unterfangen mag. Ihr habt übrigens Dokumente gesehen, Mr. Bragg, welche Euch vollkommen überzeugt haben müssen, daß das Publikum nicht das mindeste Anrecht auf das betreffende Grundstück hat.«

»Alles ganz wahr, Sir; aber Ihr werdet Euch gefälligst erinnern, daß das Volk nicht weiß, was mir jetzt bekannt ist.«

»Und Ihr werdet Euch gefälligst erinnern, Sir, daß man von einem Volke, wenn es so kurzweg verfahren will, jedenfalls verlangen kann, daß es wisse, was es treibe. Unwissenheit in einer solchen Sache steht auf einer gleichen Stufe mit der Trunkenheit, durch die sich ein Säufer ausreden will; sie macht das Vergehen nur noch schlimmer.«

»Glaubt Ihr nicht, Mr. John, Mr. Effingham hätte diese Bürger über den wahren Thatbestand unterrichten sollen? Ist es dem Volke so sehr übel zu nehmen, daß es in einen Irrthum verfallen ist?«

»Da Ihr diese Frage so einfach stellt, Mr. Bragg, so soll sie mit gleicher Offenheit beantwortet werden. Mr. Effingham ist ein Mann von gereiftem Alter, desgleichen bekanntermaßen der Sohn, Testamentsvollstrecker und Erbe Desjenigen, welcher, wie Niemand abläugnet, der Besitzer des bestrittenen Eigenthums war. Dieser Mr. Effingham also hat im Vertrauen auf sein gutes Recht Angesichts des Grabes seines Vaters und unter dem väterlichen Dache die nicht entschuldbare Unverschämtheit –«

»Arroganz ist das Wort, Jack,« versetzte Mr. Effingham lächelnd.

»Gut also – die unerträgliche Arroganz, zu meinen, sein Eigenthum gehöre ihm zu, und dieß erdreistet er sich zu behaupten, ohne so höflich gewesen zu sein, seine Berechtigungs-Urkunden und Privatpapiere bei allen Denjenigen herumzuschicken, welche sich so kurze Zeit im Ort aufhalten, daß sie unmöglich etwas von dem wissen können, was sich seit den letzten fünfzig Jahren hier zugetragen hat. O Ned, du garstiger, arroganter Mensch!«

»Mr. John, Ihr scheint zu vergessen, daß das Publikum auf größere Rücksicht Anspruch machen kann, als ein einzelnes Individuum; wenn es in einen Irrthum verfiel, so hätte es enttäuscht werden sollen.«

»Ohne Zweifel, Sir, und ich rathe Mr. Effingham, Euch, seinen Geschäftsträger, mit dem Patent des Königs, den Uebertragungsurkunden und dem Testament in der Tasche zu jedem Manne, Weib oder Kind in der Gegend zu schicken, damit Ihr sie jedem Einzelnen der ganzen Länge nach vorlesen könnt und sie die unumstößliche Ueberzeugung gewinnen, daß Keines von ihnen, weder Mann, Weib noch Kind, ein Eigenthumsrecht an Eduard Effinghams Ländereien besitze.«

»Oh, nicht doch – es ließe sich ein kürzerer Prozeß einschlagen.«

»Allerdings, Sir; und dieser Prozeß ist durch meinen Vetter in Anwendung gekommen, indem er die gewöhnliche Verwarnung gegen Uebergriffe in die Zeitung rücken ließ. Doch Ihr wißt ja selbst, Mr. Bragg, welche Mühe es mich vor drei Jahren bei Ausbesserung dieses Hauses kostete, über dieselbe Frage den Irrthum zu bannen, in welchen Euer makelloses Publikum durch seine Geneigtheit, mehr von anderer Leute Angelegenheiten zu wissen, als den Betheiligten selbst bekannt ist, verfallen war.«

Aristobulus erwiederte nichts mehr, sondern gab die Sache verzweifelnd auf. Sobald er das Haus verlassen hatte, machte er sich unverzüglich auf den Weg, um Diejenigen, welche am meisten bei der Sache betheiligt waren, zu unterrichten, daß Mr. Effingham durchaus nicht geneigt sei, durch einen angeblichen Meeting des Publikums sich mit Füßen treten zu lassen. Nunmehr begann übrigens der gewöhnliche Menschenverstand – von Ehrenhaftigkeit wollen wir nicht sprechen – sein Scepter wieder aufzunehmen, und die Klugheit ließ es räthlich erscheinen, nach Ausgleichungsmitteln zu greifen. Gleichwohl vereinigten sich Mr. Bragg und Mr. Dodge dahin, daß es eine unerhörte Verwegenheit sei, dem Volke in dieser Weise Widerstand zu leisten, und noch obendrein ohne ein angemessenes Objekt, da der Geldwerth des bestrittenen Vorsprungs für keine Partie von wesentlicher Bedeutung war.

Wir müssen hier bemerken, daß der Leser aus der Gesinnungsgleichheit in der eben erwähnten Sache und aus gewissen anderen allgemeinen Aehnlichkeitszügen in Benehmen und Denkweise keineswegs folgern darf, Aristobulus Bragg und Steadfast Dodge hätten zu derselben Varietät der species humana gehört. Allerdings sprachen nothwendigermaßen sich an ihnen die gemeinsamen Züge der Kaste, der Stellung, der Abkunft und des Verkehrs aus, welche ihre Klasse charakterisiren; sobald man aber die feineren Unterscheidungspunkte, welche die eigentliche Individualität bezeichnen, in's Auge faßte, so hätte man nicht leicht zwei wesentlicher verschiedene Menschen finden können. Der Erstere war sowohl im physischen als im moralischen Sinne kühn, anstrebend, besonnen, gewandt, im Verhältnisse seiner Erfahrungen einsichtsvoll, schlau und ganz dazu geeignet, seine Entwürfe glücklich durchzuführen, sobald er seine Leute kannte. Hätte ihn sein Geschick früher in bessere Kreise geworfen, so würden dieselben natürlichen Eigenschaften, die ihn so gut für seine gegenwärtige Stellung befähigten, zu seiner Veredelung beigetragen und wahrscheinlich einen Gelehrten, einen Mann von feiner Bildung aus ihm gemacht haben, der einen bedeutenden Einfluß auf das Wohl, die Grundsätze und den Geschmack seiner Nebenmenschen hätte üben können. Daß dieß nicht der Fall war, hing nicht von ihm, sondern von seinen Verhältnissen ab, denn sein plastischer Charakter hatte bereitwillig den Eindruck derjenigen Dinge aufgenommen, die allein um der Nähe willen am stärksten einwirkten. Steadfast dagegen war ein Heuchler, von Natur feig, neidisch und boshaft. Die Umstände hatten nur die natürliche Richtung seines Charakters unterstützt. Daß nun zwei Männer, die von Geburt aus so ganz verschieden constituirt waren, in so vielen ihrer Gewohnheiten und Ansichten so zu sagen wie in einem gemeinsamen Mittelpunkte zusammentreffen mußten, war blos ein Ergebniß des Zufalls und der Erziehung.

Unter den übrigen Aehnlichkeitspunkten zwischen diesen beiden Personen befand sich auch der Mangel, daß sie gerne die Ursache mit den Wirkungen der eigenthümlichen Institutionen verwechselten, unter welchen sie erzogen worden waren und gelebt hatten. Weil das Gesetz dem Publikum jene Autorität verlieh, mit der unter andern Systemen entweder Einige oder Wenige betraut sind, so glaubten sie, dasselbe Publikum sei mit weit größerer Macht bekleidet, als sich aus einem richtigen Verständniß ihrer eigenen Grundsätze ergeben haben würde. Mit Einem Worte, Beide waren in einem unter der amerikanischen Bevölkerung nur zu gewöhnlichen Irrthum befangen, indem sie meinten, die Institutionen des Landes seien lauter Mittel, denen keine Schranken gesetzt werden könnten. Unter diesem irrigen Eindrucke sahen sie nur die Maschinerie der Regierung, und vergaßen ganz, daß die dem Volk als einer Gesammtheit gegebene Gewalt nur dazu verliehen war, um ihm eine so vollkommene Freiheit zu sichern, als sich mit den Charakteren der Individuen vertrug. Keiner von ihnen hatte sich hinreichend über gemeine Vorstellungen erhoben, um begreifen zu können, daß die öffentliche Meinung, um allmächtig oder sogar furchtbar sein zu können, sich nicht den verderblichen Einflüssen des Augenblicks hingeben dürfe, sondern dem Rechte folgen müsse; natürlich fehlte es ihnen an einer richtigen Würdigung der Frage, denn wenn der Einzelne sich dadurch, daß er unüberlegt und unter Mißachtung des Rechtsgefühls irrthümliche Ansichten aufgreift, verächtlich macht, so trifft ganze Massen, wenn sie den nämlichen Fehler begehen, nicht nur die gleiche Rüge, sondern noch obendrein das Brandmal, daß sie als Memmen gehandelt haben.

Ferner hatte der Mangel an gebührender Unterscheidung zwischen Grundsätzen die Herren Bragg und Dodge in einen weiteren gemeinsamen Irrthum geführt. Jeden Widerstand gegen den Volkswillen von Seite eines Individuums betrachteten sie als Arroganz und Aristokratie per se, ohne daß sie sich dabei auch nur im Geringsten auf die Frage des Rechts oder Unrechts eingelassen hätten. Das Volk schien ihnen der Souverän zu sein – wohl mit Recht, wenn sie die Allgemeinbedeutung des Ausdrucks zu würdigen verstanden hätten – und sie gehörten zu der zahlreichen Klasse, welche den Ungehorsam gegen denselben, wie gesetzlos auch seine Launen sein mochten, in eben dem Lichte betrachteten, in welchem der Unterthan eines Despoten den Ungehorsam gegen seinen Fürsten ansieht.

Es ist kaum nöthig, zu sagen, daß der Standpunkt Mr. Effinghams und seines Vetters ein ganz anderer war. Klaren Verstandes, voll Rechtsgefühl und freisinnig in seinem ganzen Thun und Treiben, war namentlich dem Ersteren der kürzliche Vorfall sehr ärgerlich, und er schritt, nachdem sich Mr. Bragg und sein Begleiter entfernt hatten, mehrere Minuten schweigend in der Bibliothek auf und ab, da er augenscheinlich viel zu bekümmert war, um zu sprechen.

»Dieß ist jedenfalls ein ganz außerordentliches Verfahren, John,« begann er endlich, »und ich habe einen recht ärmlichen Dank für das Wohlwollen geerntet, mit welchem ich dreißig Jahre lang Anderen gestattete, sich meines Eigenthums zu bedienen. Du weißt, wie oft, wie gar oft zu meiner und meiner Freunde Unbequemlichkeit dieß geschah.«

»Sagte ich dir nicht, Ned, du dürfest nach deiner Rückkehr nicht das Amerika erwarten, welches du bei deiner Abreise nach Europa verlassen hast? Ich bin überzeugt, daß sich kein Land in so kurzer Zeit so sehr verschlechtert hat.«

»Daß ein beispiellos schnell errungener Wohlstand durch die plötzliche Einführung großer Massen ungebildeter Personen in die Gesellschaft den Ton der sogenannten Welt wesentlich beeinträchtigt hat, ist eine natürliche Folge augenfälliger Ursachen, und wir konnten sogar mit Fug eine Verschlechterung der Sittlichkeit erwarten, denn wir sind auf den Glauben angewiesen, daß der Reichthum den verderblichsten Einfluß übt, unter welchem der Mensch nur leben kann. Dennoch gestehe ich, daß ich nimmermehr erwartet hätte, den Tag zu erleben, an welchem eine Masse von Fremdlingen und Zugvögeln, die Geschöpfe einer Stunde, sich erdreisten könnten, alte und lang ansässige Einwohner der Gegend zu einem Beweise ihres Anrechts an ihre Besitzungen aufzufordern – und dieß noch obendrein in einer so ungewöhnlichen, unerhörten Weise, nebst der Bedrohung mit einer gewaltsamen Beraubung!«

»Lange ansässig?« wiederholte John Effingham lachend. »Was nennst du lange ansässig? Bist du nicht ein Dutzend Jahre fortgewesen, und messen nicht diese Leute Alles nach dem Richtscheit ihrer eigenen Gewohnheiten? Es scheint, du bildest dir ein, daß du nach Rom, Jerusalem oder Konstantinopel gehen, ein paar Jahrzehnte dortbleiben, dann wieder ganz ruhig nach Templeton zurückkommen und, sobald du dein Haus wieder in Besitz genommen, dich einen alten Einwohner nennen könnest?«

»Gewiß glaube ich, dieses Recht zu besitzen. Wie viele Engländer, Russen und Deutsche haben wir nicht in Italien getroffen, die sich Jahre lang daselbst aufhielten, und dennoch nebst ihren Gefühlen alle ihre natürlichen und lokalen Rechte behielten.«

»Ja, dieß gilt von Ländern, in welchen die Gesellschaft bleibend ist. Da gewöhnen sich die Menschen daran, dieselben Gegenstände um sich zu haben, die gleichen Namen zu hören und ihr ganzes Leben über dieselben Gesichter vor sich zu sehen. Die Neugierde bewog mich, Erkundigungen einzuziehen, und ich habe daraus die Ueberzeugung erhalten, daß sich keine von den alten ansässigen Familien bei der Vorsprungsangelegenheit betheiligt hatte; das ganze Geschrei ging von Denen aus, welche du als Zugvögel bezeichnet hast. Aber was folgt daraus? Diese Leute meinen, Alles dränge sich in die gesetzlichen sechs Monate zusammen, die zur Stimmberechtigung nöthig sind, und sind der Ansicht, der Umzug der Personen sei für die Republiken eben so nothwendig, wie der Wechsel in den Aemtern.«

»Ist es nicht außerordentlich, daß Leute, welche so wenig in der Sache unterrichtet waren, sich so unbesonnen und absprechend benehmen konnten?«

»In Amerika nicht. Blicke umher, Ned, und du wirst überall die Abenteurer obenan stehen sehen – im Gouvernement, in den Städten, in den Dörfern, auf dem Lande sogar. Ein Grundzug unserer Nationalität ist der Wechsel. Ich gebe zu, daß viel davon eine natürliche Folge rechtmäßiger Ursachen ist, denn ein unermeßliches Waldland läßt sich in keiner anderen Weise bevölkern. Aber diese Nothwendigkeit hat den ganzen Nationalcharakter angesteckt, und die Menschen werden des Einerlei's müde, wie wohl sie sich auch dabei befinden mögen. Alles dient dazu, diesem Gefühle Vorschub zu leisten, während sich nirgends Widerstandsmomente bieten. Die ewige Wiederkehr der Wahlen gewöhnt an den Wechsel der öffentlichen Beamten, der große Zuwachs der Bevölkerung bringt neue Gesichter, und die schnelle Anhäufung von Reichthum versetzt neue Menschen in hervorragende Stellungen. Auch die Architektur des Landes ist nicht entsprechend genug, um uns an die Häuser zu fesseln, und außer diesen haben wir gar keine Denkmäler, an denen unsere Verehrung haften könnte.«

»Du färbst hoch, Jack, und kein Bild wird an Tinten verlieren, wenn es durch dich aufgefrischt wird.«

»Blicke in die erste Zeitung, die dir unter die Hand kommt, und du wirst sehen, wie mit dreister Stirne die jungen Männer des Landes eingeladen werden, sich zu versammeln, um sich über öffentliche Angelegenheiten zu besprechen, als ob man von den Rathschlägen und der Erfahrung ihrer Väter nichts mehr wolle. Kein Land kann gedeihen, wo der ordentliche Geschäftsgang, auf welchem das ganze Gebäude des Gouvernements beruht, in dieser das Sittengesetz und die Kindespflicht so grob verhöhnenden Weise begonnen wird.«

»Dieß ist allerdings ein unangenehmer Zug im Nationalcharakter; aber wir müssen bedenken, welche Kunstgriffe die Arglist in Anwendung bringt, um die Unerfahrenen für ihre Zwecke zu benützen. Hätte ich einen Sohn, der sich erdreistete, die Weisheit und Erfahrung seines Vaters so achtungswidrig herabzuwürdigen, so würde ich den Schurken enterben.«

»Ah, Jack, man weiß ja, daß Junggesellenkinder stets gut erzogen und gesittet sind. Wir wollen übrigens hoffen, daß die Zeit gleichfalls ihre Wechsel mit sich führen wird, und gebe Gott, daß einer derselben den Personen, Dingen und Gefühlen einen festeren Bestand sichere.«

»Die Zeit wird sicherlich ihre Wechsel bringen, Ned, obschon wahrscheinlich alle diejenigen, die im Gegensatz zu der Volkslaune und den Volksinteressen auf die individuellen Rechte Bezug haben, wohl die falsche Richtung einschlagen dürften.«

»Es ist freilich die Neigung vorhanden, Popularität an die Stelle des Rechtes zu setzen; aber wir müssen das Gute mit dem Schlimmen hinnehmen. Selbst du, Jack, würdest diese Volksbedrückung gewiß nicht gegen irgend ein anderes System, unter dem du bisher gelebt hast, vertauschen mögen.«

»Ich weiß dieß nicht – ich weiß dieß nicht. Von aller Tyrannei ist mir eine gemeine bei weitem die verhaßteste.«

»Du pflegtest sonst auf das englische System große Stücke zu halten; aber ich glaube, eigene Beobachtung hat deine frühere Bewunderung ziemlich abgekühlt,« sagte Mr. Effingham in einer Weise lächelnd, die sein Vetter vollkommen verstand.

»Was willst du, Ned? Wir Alle fassen in unserer Jugend irrige Vorstellungen auf, und diese war eine der meinigen. Gleichwohl ist mir die kalte, starre Herrschaft des englischen Gesetzes mit seinen Früchten, bis auf die beispiellose Herzlichkeit eines gekünstelten Zustandes hinunter, immerhin lieber, als wenn ich mich von jedem Erzhallunken, der auf seiner Jagd nach Dollars zufällig durch dieses Thal kommt, mit Füßen treten lassen soll. Eines übrigens mußt du mir wohl selbst zugestehen: das Publikum vernachlässigt ein bischen gar zu gerne Pflichten, die es erfüllen sollte, während es sich dagegen Berechtigungen anmaßt, zu denen es nicht befugt ist.«

Mit dieser Bemerkung, welche so viel Wahrheit in sich faßte, schloß die Unterhaltung.


 << zurück weiter >>