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Viertes Kapitel.

»Fertig.«
»Und ich.«
»Und ich.«
»Wohin gehen wir?«

Sommernachtstraum.

 

Grace van Courtlandt war die erste, welche wieder in dem Bibliothekzimmer erschien. Es ist oft behauptet worden, die amerikanischen Frauenzimmer nähmen sich, ungeachtet ihrer unbestreitbaren Liebenswürdigkeit, im Allgemeinen doch weit besser aus, wenn sie in Halbtoilette erschienen, als wenn sie im Ballanzug aufträten. Von dem, was man in anderen Theilen der Welt vollen Putz nennt, wissen sie nur wenig; aber im Gegensatz zu der europäischen Sitte, wo die Verheiratheten ihrer Außenseite die größte Sorgfalt weihen, die Mädchen aber auf eine strenge Einfachheit angewiesen sind, schien Grace jetzt in den Augen des Baronets hinreichend geschmückt zu sein, während er zu gleicher Zeit meinte, sie rechtfertige durch ihre Toilette weit weniger den eben erwähnten Tadel, als dieß durchschnittlich von den meisten ihrer jungen Landsmänninnen behauptet werden könne.

Eine Rundung, die eben zureichte, um sie von der Mehrzahl ihre Altersgenossinnen zu unterscheiden, das blendende Weiß ihrer Haut, die glänzenden Augen, ein holdes Lächeln, die reichen, wallenden Locken und Hände und Füße, wie sie – so däuchte es wenigstens Sir George Templemore, obschon er sich selbst nicht erklären konnte, was ihn auf diesen Gedanken brachte – nur den Töchtern von Peers und Fürsten angehören konnten, machten Grace diesen Abend so überaus anziehend, daß es dem jungen Baronet vorkam, sie sei sogar noch schöner als ihre Muhme. In der kunstlosen Einfachheit des Mädchens lag ein Zauber, der auf einen in der kalten Manierirtheit der höheren Klassen Englands erzogenen Mann doppelt verlockend wirken mußte. Dabei war diese Einfachheit durch einen vollkommenen Anstand und eine edle Zurückhaltung gehoben, denn die Uebertreibungen der neuen Schule hatten nicht mitgewirkt, die Würde ihres Charakters zu beeinträchtigen oder den Reiz der Sittigkeit zu schwächen. Allerdings war ihre Bildung weniger vollendet, als die ihrer Muhme – ein Umstand, der vielleicht Sir George Templemore hätte veranlassen können, sie für etwas gar zu einfach zu halten; aber sie war nie unweiblich oder unmädchenhaft, und der Ausdruck »gemein« konnte, trotz der launenhaften und willkürlichen Regeln der Mode, nie und unter keinen Umständen auf Grace van Courtlandt Anwendung finden. In dieser Hinsicht schien die Natur sie sehr begünstigt zu haben, da sie diesen Vortheil keineswegs ihrem Umgang verdankte, und wohl Niemand je hätte auf den Gedanken kommen können, daß sie vielleicht ein derartiger Vorwurf treffen dürfte, wenn ihr das Geschick sogar eine viel tiefere Stelle in der Stufenleiter der Gesellschaft angewiesen hätte.

Es ist eine bekannte Thatsache, daß wir uns am meisten zu denen hingezogen fühlen, deren Charakter und Neigungen die wenigste Aehnlichkeit mit den unsrigen haben, sobald einmal durch die Erziehung eine zureichende Gleichheit hergestellt ist, um allen ungestümen Berührungen der gegenseitigen Gewohnheiten und Grundsätze vorzubeugen. Dieß war vielleicht einer von den Gründen, warum Sir George, der mittlerweile die Hoffnungslosigkeit seiner Bewerbung um Eva eingesehen hatte, ihre kaum weniger liebenswürdige Muhme mit frischem lebhaftem Interesse zu betrachten begann. Miß Effingham besaß Scharfblick genug und nahm einen zu innigen Antheil an Grace's Glück, um nicht diesen Wechsel in den Neigungen des Baronets bald zu entdecken; aber so aufrichtig sie sich um ihrer selbst willen darüber freute, blieb sie doch nicht ohne Besorgniß, da sie weit besser als alle ihre Landsmänninnen begriff, wie sehr der Seelenfrieden eines amerikanischen Mädchens Gefahr läuft, wenn sie in die künstlicheren Zirkel der alten Welt verpflanzt wird.

»Ich verlasse mich vorzugsweise auf Eure freundliche Vermittlung, Miß van Courtland, und hoffe, es wird Euch gelingen, Mrs. Jarvis und Mrs. Hawker mit der Freiheit zu versöhnen, die ich mir zu nehmen im Begriff stehe,« rief George, als Grace in strahlender Schönheit, die ihrerseits durch den Anzug nicht wenig gehoben war, in das Bibliothekzimmer hereinrauschte. »Auch müßten sie in der That kaltherzige und unchristliche Frauen sein, wenn sie einer solchen Vermittlerin widerstehen könnten.«

Grace war an dergleichen Schmeicheleien nicht gewöhnt; denn obgleich der Baronet heiter und gewissermaßen halb im Scherze sprach, so drückte sich die Bewunderung doch zu deutlich in seinen Blicken aus, als daß sie der instinktartigen Fassungskraft eines Mädchens hätte entgehen können. Sie erröthete tief, faßte sich aber augenblicklich wieder, und sprach mit einer Natürlichkeit, die für ihren Zuhörer tausend Zauber hatte:

»Ich sehe nicht ein, warum Miß Effingham und ich Anstand nehmen sollten, Euch überall einzuführen. Mrs. Hawker ist mit uns verwandt, und wir stehen auf sehr vertraulichem Fuße zu ihr – wenigstens von mir kann ich dieß rühmen; und was ferner die arme Mrs. Jarvis betrifft, so ist sie die Tochter eines alten Nachbars, und wird sich allzuglücklich schätzen, wenn sie uns bei sich sieht, als daß sie an Einwendungen denken könnte. Ueberhaupt glaube ich, Jedermann von einer gewissen –« Grace stockte und lachte.

»Jedermann von einer gewissen –?« versetzte Sir George forschend.

»Ich wollte sagen,« nahm die junge Dame wieder auf, ihren beabsichtigten Ausdruck verbessernd, »wer aus diesem Hause kommt, wird in Spring-Street willkommen sein.«

»Reine heimische Aristokratie!« rief der Baronet mit der Miene eines erkünstelten Triumphs. »Ihr seht hier einen neuen Beweis meiner Behauptung, Mr. John Effingham.«

»Ich bin ganz Eurer Ansicht,« entgegnete der Angeredete. »Heimische Aristokratie, so viel Ihr wollt, aber keine erbliche.«

Das Eintreten Eva's und der Mademoiselle Viefville unterbrach diesen Scherz, und da zu gleicher Zeit auch der Wagen angekündigt wurde, so entfernte sich John Effingham, um Kapitän Truck aufzusuchen, der sich mit Mr. Effingham und Aristobulus in dem Besuchzimmer befand.

»Ich habe Ned zurückgelassen, damit er sich mit seinem Landagenten über Gränzstreitigkeiten und Pachtverträge unterhalte,« sagte John Effingham als er Eva nach der Hausthüre folgte. »Bis 10 Uhr werden sie einen hübschen Kostenszettel unter sich erledigt haben.«

Nach John Effingham kam Mademoiselle Viefville; Grace folgte ihr und Sir George bildete mit dem Kapitän den Nachtrab. Grace wunderte sich, warum der junge Baronet ihr nicht den Arm bot, denn sie war an diese Aufmerksamkeit von Seite des andern Geschlechtes selbst in Fällen gewöhnt, in welchen sie eher eine Belästigung als ein Dienst war; Sir George aber trug Bedenken, einen derartigen Beistand anzubieten, da er darin einen Schritt unberufener Vertraulichkeit sah.

Miß van Courtlandt, die viele Gesellschaften besuchte, hielt einen Wagen für sich, und die drei Damen nahmen darin Platz, während die Gentlemen sich der Kutsche Mr. Effinghams bedienten. Es wurde sofort die Weisung ertheilt, nach Spring-Street zu fahren, und die ganze Gesellschaft machte sich auf den Weg.

Die Bekanntschaft zwischen den Effinghams und Mrs. Jarvis rührte von dem Umstande her, daß ihre Landsitze sich sehr nahe lagen und sie sich deßhalb in gesellschaftlicher Beziehung auf einander angewiesen sahen; indeß kamen sie in der Stadt, wenn man etwa einen gelegentlichen Morgenbesuch oder ein von Mr. Effingham gegebenes Familien-Diner ausnahm, so selten gegenseitig in Berührung, als ob sie in zwei verschiedenen Welttheilen gewohnt hätten. So hatten die Beziehungen gestanden, ehe die Familie Effingham auf Reisen ging, und es gewann jetzt den Anschein, als sollte es bei dem alten ruhigen und freundlichen Verkehr sein Verbleiben haben. In vielem Betracht hätte sich nicht leicht ein ungleicheres Paar zusammenfinden können, als Mr. Jarvis und seine Gattin. Ersterer war ein einfacher, unermüdlich thätiger, verständiger Geschäftsmann, während das Bestreben der Letzteren unablässig dahin ging, in der Modewelt Figur zu machen. Mr. Jarvis sah vollkommen ein, wie sehr Mr. Effingham an Erziehung, Gewohnheiten und Denkweise von ihm verschieden war, ohne sich übrigens mit Zergliederung der Ursachen zu bemühen; er fügte sich daher ruhig in den Gang der Dinge, ohne seinen Landnachbar zu beneiden oder eine unfreundliche Gesinnung gegen ihn zu hegen, obschon er sich von jeder ungebührlichen Unterordnung oder unmännlichen Kriecherei fern hielt. Seine Gattin dagegen sprach oft genug ihr Erstaunen aus, daß sich irgend Jemand in New-York anmaßen könne, besser sein zu wollen als sie, und eine derartige Bemerkung gab am Morgen desselben Tages, an welchem sie die Gesellschaft gab, in die wir den Leser jetzt einzuführen gedenken, Anlaß zu nachstehendem kurzem Zwiegespräch.

»Wie kannst du wissen, meine Liebe, daß sich irgend Jemand besser dünkt, als wir?« fragte der Gatte.

»Warum besuchen uns nicht Alle?«

»Warum besuchst du selbst nicht Jedermann? Es würde eine saubere Haushaltung abgeben, wenn du nur diejenigen besuchen wolltest, die mit uns in der gleichen Straße wohnen.«

»Wie, du wirst mir doch nicht zumuthen wollen, daß ich alle die Gewürzkrämerfrauen an den Ecken und den ganzen Troß in der Nachbarschaft besuchen soll? Ich meine damit blos, daß alle Leute von einem gewissen Schlag diejenigen, welche in derselben Stadt zu der gleichen Klasse gehören, besuchen sollten.«

»Du solltest wenigstens in Betreff der Zahl Ausnahmen machen. Erst heute sah ich die Nummer 3650 auf einem Karren, und wenn die Weiber aller dieser Karrenfuhrleute einander besuchen wollten, so müßten sie täglich ihre zehn Visiten machen, um in zwölf Monaten die ganze Liste zu durchlaufen.«

»Ich bin nie so glücklich, mich in derartigen Dingen dir begreiflich machen zu können.«

»Ich fürchte, mein Schatz, daß der Grund einfach darin liegt, weil du dich selber nicht recht begreifst. Anfangs sagtest du, Jedermann solle Jedermann besuchen, und dann erklärtest du, Niemand besuchen zu wollen, den du nicht für gut genug hältst, von Mrs. Jared Jarvis besucht zu werden.«

»Ich bin einfach der Ansicht, daß Niemand in New-York das Recht hat, sich für besser zu halten, als wir sind.«

»Besser? – In welchem Sinne besser?«

»In dem Sinne, daß sie sich für zu gut halten, uns zu besuchen.«

»Dieß mag deine Ansicht sein, meine Liebe; aber Andere urtheilen vielleicht anders. Du hältst augenscheinlich dich selbst für zu gut, Mrs. Union, die Würzkrämerin, zu besuchen, obschon sie in ihrer Art eine ganz treffliche Frau ist; und wie können wir wissen, ob nicht gewisse Leute sich vorstellen, wir seien nicht gebildet genug für sie? Die Bildung ist nicht eine bloße Vorstellung, Frau, und hat mehr Einfluß auf die Annehmlichkeiten des Lebens, als Geld. Es fehlt uns vielleicht an hundert empfehlenden kleinen Eigenschaften, die unserer Unwissenheit entgehen, aber denen, welche an dergleichen Dinge gewöhnt sind, als wesentlich erscheinen.«

»Noch nie ist mir ein Mann von so wenig gesellschaftlichem Sinne vorgekommen, als du. In der That, du paßst durchaus nicht dazu, Bürger eines republikanischen Landes zu sein.«

»Eines republikanischen Landes? Ich sehe wahrhaftig nicht ein, was die Republik mit der Frage zu schaffen hat. Erstlich ist es zum mindesten lächerlich, daß du das Wort in diesem Sinne brauchst, denn wie du es auffassest, bist du eine so antirepublikanische Frau, wie ich nur je eine kennen gelernt habe. Aber die Republik begreift nicht nothwendig eine Gleichheit der Stellung, oder auch nur eine Gleichheit der Rechte in sich, sondern setzt nur das Recht des Gemeinwesens an die Stelle der Fürstenrechte. Hättest du von Demokratie gesprochen, so hättest du wenigstens einige Befugniß, dich dieses Wortes zu bedienen, obschon auch so die Anwendung unlogisch wäre. Als freier Mann und Demokrat hoffe ich auch so viel Rechtssinn zu besitzen, daß ich Anderen gestatte, eben so frei und demokratisch zu sein, als ich selbst bin.«

»Und wer will denn etwas Anderes? Ich verlange nur, in diesen vereinigten Staaten von Amerika für jeden Landesangehörigen als passende Gesellschaft betrachtet zu werden.«

»Ich würde in der nächsten Woche diesen Vereinigten Staaten von Amerika den Rücken zukehren, wenn ich glaubte, daß ein so unerträglicher Zustand der Dinge nöthig wäre.«

»Mr. Jarvis! – und noch obendrein du, der zu dem Comité von Tammany Hall gehört!«

»Ja, Mrs. Jarvis, – ich, der ich zu dem Comité von Tammany Hall gehöre! Wie, meinst du, ich könnte es ertragen, wenn mir die 3650 Karrenfuhrleute mit ihrem Tabackspeichel und ihren Pfeifen den ganzen Tag im Hause ein- und ausliefen?«

»Wer denkt an die Karrenfuhrleute und Gewürzkrämer? Ich spreche jetzt nur von gentilem Volk.«

»Mit anderen Worten, meine Liebe, du denkst nur an Diejenigen, von welchen du glaubst, sie hätten einen Vortheil vor dir, und läßt Diejenigen, welche mit dir gleicher Ansicht sind, ganz außer Acht. Dieß ist nicht meine Demokratie und Freiheit, denn ich glaube, daß zu einem Vertrag zwei Leute gehören; und wenn ich mir's auch gefallen lasse, bei A. ein Mittagsmahl einzunehmen, so ist die Sache zu Ende, im Falle es A. nicht für genehm hält, bei mir zu speisen.«

»Eben jetzt bist du auf dem rechten Punkte. Ehe Mr. Effingham auf Reisen ging, hast du oft bei ihm gespeist, und doch wolltest du mir nie erlauben, Mr. Effingham zu uns einzuladen. Dieß ist eine Gemeinheit.«

»Du hättest allerdings Recht, wenn es aus dem Grunde der Geldersparniß geschähe. Ich speiste bei Effingham, weil mir der Mann als alter Nachbar lieb ist, weil er mich einlud und weil mir die ruhige Eleganz seiner Tafel und seiner Gesellschaft gefiel; ihn aber zu mir einzuladen, habe ich unterlassen, weil ich überzeugt war, eine derartige stillschweigende Anerkennung seiner Ueberlegenheit in diesem Betracht sei ihm angenehmer, als alle lärmenden und ungeschickten Bemühungen, ihn in natura zu bezahlen. Edward Effingham kann genug Diners aufwenden, ohne mit seinen Gästen über Soll und Haben Buch zu führen, denn dieß wäre sogar für mich zu New-Yorkisch.«

»Lärmend und ungeschickt!« wiederholte Mrs. Jarvis mit Bitterkeit. »Ich wüßte nicht, daß du überhaupt lärmender wärest, als Mr. Effingham selbst.«

»Nein, mein Kind, ich bin, Gott sei Dank, ein ruhiger, anspruchsloser Mann, wie die große Mehrzahl meiner Landsleute.«

»Aber warum sprichst du von derartigen Unterschieden, während doch das Landesgesetz nichts dergleichen aufstellt?«

»Genau aus demselben Grunde, aus welchem ich von dem Flusse unten an dieser Straße spreche – weil er nämlich da ist. Es kann etwas vorhanden sein, ohne daß es ein Gesetz dafür gibt. Die Erbauung dieses Hauses z. B. ist nicht gesetzlich geboten worden, und doch steht es hier. Wo ist ein Gesetz, welches Doctor Versa zu einem besseren Prediger machte, als Mr. Prolix? Und doch sind seine Vorträge weit gehaltvoller. Eben so wenig ist ein Gesetz vorhanden, welches Mr. Effingham zu einem feineren Gentleman macht, als ich bin, und doch fällt mir entfernt die Thorheit nicht ein, die Thatsache in Abrede zu ziehen. Was dagegen die Buchführung betrifft, so stehe ich dir dafür, daß ich weder vor ihm noch vor seinem Vetter John Effingham die Segel streiche.«

»Ach, wie gar geistlos und antirepublikanisch,« rief Mrs. Jarvis, indem sie aufstand, um das Zimmer zu verlassen. »Aber dieß sage ich dir: wenn die Effinghams diesen Abend nicht kommen, so werde ich diesen ganzen Winter ihr Haus nicht wieder betreten. Jedenfalls haben sie kein Recht, sich für besser zu halten, als wir sind, und ich habe keine Lust, ihre unverschämten Ansprüche gelten zu lassen.«

»Ehe du gehst, Jane, noch ein Wort,« entgegnete ihr Gatte, sich nach seinem Hut umsehend. »Wenn du die Welt glauben machen willst, du stehest Niemand nach, so sprich nicht immer davon, damit man nicht sehe, wie du selber Zweifel in diese Thatsache setzest. Was wirklich ist, muß zuverlässig dafür anerkannt werden, und Diejenigen, welche die höchsten Ansprüche haben, sind am wenigsten geneigt, sie stets der Aufmerksamkeit der Welt vorzurücken. Allerdings können Verstöße gegen die gesellschaftlichen Rechte stattfinden, die in Folge gemeinsamer Uebereinstimmung anerkannt sind, und dann ist es passend, sie zu ahnden; aber hüte dich, das Bewußtsein der eigenen Unterordnung dadurch zu verrathen, daß du Jedermann wissen läßt, wie eifersüchtig du auf deine Stellung bist. Jetzt gieb mir einen Kuß; hier ist Geld zu Bezahlung deines Aufwands für heute Abend, und laß mich sehen, daß du Mrs. Jewett von Albion Place mit eben so viel Freude aufnimmst, als du Mrs. Hawker selbst empfangen würdest.«

»Mrs. Hawker!« rief die Frau mit Nasenrümpfen. »Ich würde nicht über die Straße gehen, um Mrs. Hawker und ihre ganze Sippschaft einzuladen.«

Dieß war allerdings sehr wahr, sintemal sich Mrs. Jarvis vollkommen überzeugt fühlen konnte, daß die Mühe vergeblich sein würde; denn die fragliche Dame stand in New-York so nahezu an der Spitze der vornehmen Welt, als es in einer Stadt nur möglich war, die im moralischen Sinne eben so gut einem Lager, als im eigentlichen einer lange bestehenden Hauptstadt gleicht.

Ungeachtet der vielen Mühe, die sich Mrs. Jarvis gegeben hatte, für ihre Gesellschaft Personen, die sie sehen lassen konnte, zusammenzubringen, stellte doch die einfache Eleganz der beiden Wagen, welche die Effinghams mit ihrer Begleitung heranführten, alle übrigen Equipagen in Schatten. Die Ankunft derselben wurde in der That für so wichtig gehalten, daß man sogleich der Dame des Hauses, die noch immer im innern Besuchszimmer auf ihrem Posten stand, Meldung von dem Eintreffen einer Gesellschaft machte, die mit keiner von denen, welche bisher in ihren Gemächern erschienen waren, verglichen werden konnte. Allerdings geschah dieß nicht in eben diesen Worten; aber man konnte doch so viel aus der athemlosen Hast und aus der wichtigen Miene von Mrs. Jarvis' Schwester entnehmen, welche die Neuigkeit eben von einem Dienstboten erfahren hatte und sie nun in propria persona der Hausfrau mittheilte.

Die einfache, zweckmäßige, anmuthige und fast unerläßliche Sitte, die Namen an der Thüre anzumelden – unerläßlich nämlich für Diejenigen, welche viel Gesellschaft empfangen und daher oft Gefahr laufen, mit Leuten zusammenzutreffen, die ihnen wohl dem Namen, nicht aber der Person nach bekannt sind – ist in Amerika nur wenig üblich, und wenn Mrs. Jarvis auch gewußt hätte, daß ein derartiger Brauch anderswo herrsche, würde sie doch vor einer solchen Neuerung zurückgeschaudert haben; so aber befand sie sich hinsichtlich dieses Punktes, wie in Betreff so vieler anderen, die weit wesentlicher waren für den heiß ersehnten geselligen éclat, auf den sie abzielte, in glücklicher Unwissenheit. Als daher Mademoiselle Viefville ohne männliche Begleitung zuerst eintrat, während Eva und Grace mit den Gentlemen von ihrer Gesellschaft nachfolgten, glaubte sie anfangs, es walte hier ein Mißverständniß ob und die Gäste seien in das unrechte Haus gekommen, da wirklich in der Nachbarschaft eine Oppositions-Soirée abgehalten wurde.

»Welch' freche Personen!« flüsterte Mrs. Abijah Groß, die, weil sie vor zwei Jahren aus einem Dorf im Innern von Neu-England nach New-York gezogen war, sich einbildete, daß sie in alle Feinheiten der Mode und des geselligen Taktes eingeweiht sei. »Da sind in der That zwei junge Frauenzimmer, die ohne Gentlemen umhergehen.«

Doch es lag nicht in der Macht von Mrs. Abijah Groß, durch ihr hörbares Geflüster und ihr hämisches Gelächter zwei so liebenswürdige Wesen wie Eva und ihre Muhme war, in den Schatten zu drängen. Die einfache Eleganz im Anzuge der Ersteren, ihr feiner Anstand, der sich nicht beschreiben läßt, wie auch die überraschende Schönheit und die Bescheidenheit in der Miene der beiden Mädchen brachten nach diesem einzelnen Ausbruch der Gemeinheit jeden Tadel wirksam zum Schweigen. Mrs. Jarvis erkannte Eva und John Effingham augenblicklich, und ihre hastigen Complimente sowohl, als ihr augenscheinliches Entzücken, verkündigten Allen in der Nähe, welchen Werth sie auf diesen Besuch legte. Mademoiselle Viefville erkannte sie anfangs nicht in ihrem dermaligen Anzuge; dann aber erschöpfte sie sich auch gegen die Französin in Aeußerungen der Freude.

»Ich wünsche zuvörderst Euch einen Freund vorzustellen, den wir Alle in hohem Grade schätzen,« begann Eva, sobald sich ihr eine Gelegenheit zum Sprechen bot. »Dieß ist Kapitän Truck, der Commandeur des Montauk, von dem Ihr schon so viel gehört habt. Ah! Mr. Jarvis,« sie bot ihm mit aufrichtiger Herzlichkeit die Hand, denn Eva hatte ihn von Kindheit an gekannt und stets geachtet. »Ich bin überzeugt, Ihr werdet jedenfalls meinen Freund herzlich willkommen heißen.«

Eva setzte sodann gegen Mr. Jarvis auseinander, wer der ehrliche Kapitän war, und sobald der Wirth den übrigen Gästen die gebührende Achtung bezeugt hatte, führte er den alten Seemann bei Seite, um sich mit ihm über seine letzte Fahrt zu unterhalten.

John Effingham stellte den Baronet vor, den Mrs. Jarvis aus dem einfachen Grunde, weil sie den Rang, den er in seinem eigenen Lande einnahm, nicht kannte, voll Anstand und Selbstgefühl bewillkommnete.

»Wir haben, glaube ich, gegenwärtig sehr wenige Leute von Auszeichnung in der Stadt,« begann Mrs. Jarvis gegen John Effingham. »Ein berühmter Reisender, ein höchst interessanter Mann, ist die einzige derartige Person, die ich für diesen Abend auftreiben konnte, und ich schätze mir's zu großem Vergnügen, ihn Euch vorzustellen. Er ist dort in jenem Gedränge, denn Alles schaart sich um den Mann, der so viel gesehen hat. Mrs. Snow, mit Eurer Erlaubniß – in der That, die Damen sind so begierig auf ihn, als ob er ein Pawnee wäre – habt die Güte, ein wenig hieher zu treten. Mr. Effingham – Miß Effingham. Mrs. Snow, nehmt ihn ein wenig beim Arme und laßt ihn wissen, daß ich ihm ein paar Freunde vorzustellen wünsche. Mr. Dodge – Mr. John Effingham, Miß Effingham, Miß van Courtlandt. Ich hoffe, es wird euch gelingen, ihn ein wenig für euch abzukriegen, meine Damen, denn er kann euch von Europa gar Alles erzählen – sah den König von Frankreich nach Nully reiten und hat eine merkwürdige Kenntniß von den Dingen auf der andern Seite des Wassers.«

Eva mußte ihre ganze gewohnte Fassung aufbieten, um ein Lächeln zu unterdrücken; indeß besaß sie Takt und Rücksicht genug, um Steadfast wie einen ganz Fremden zu begrüßen. John Effingham verbeugte sich so stolz, als ein Mann sich nur verbeugen kann, und dann flüsterte man sich zu, daß er und Mr. Dodge in Betreff des Reiserufs Nebenbuhler seien. Die Abgemessenheit des Ersteren in Vereinigung mit einem Gesichtsausdruck, der nicht eben zur Vertraulichkeit einlud, trieb fast die ganze Gesellschaft auf Steadfasts Seite hinüber, der, wie man bald entdeckte, weit mehr von der Welt gesehen hatte, sich besser auf die Gesellschaft verstand und noch obendrein bis Timbuctoo in Afrika gekommen war. Mr. Dodges Clientel nahm reißend zu, als sich diese Gerüchte in den Gemächern verbreiteten, und Diejenigen, welche die »entzückenden Briefe« im »Free Inquirer« nicht gelesen, beneideten glühend Diejenigen, welche sich dieses hohen Vorzugs erfreut hatten.

»Es ist Mr. Dodge, der große Reisende,« sagte eine in ihrer Art zu den Blauen gehörige junge Dame, die sich eben aus dem Gedränge, welches den »Löwen« umschaarte, gewunden und ihren Posten neben Eva und Grace genommen hatte. »Seine schönen und genauen Schilderungen haben in England große Aufmerksamkeit erregt und sollen bereits nachgedruckt worden sein.«

»Habt Ihr sie gelesen, Miß Bracket?«

»Die Briefe nicht gerade, aber die Bemerkungen darüber in der letzten Nummer des Wochenblatts. Dem daselbst ausgesprochenen Urtheile zufolge müssen es ganz entzückende Briefe sein – voll Natur und Schärfe, namentlich aber von seltener Treue in Betreff der Thatsachen. In dieser Hinsicht sind sie unschätzbar, denn Reisende verfallen so oft in die außerordentlichsten Irrthümer.«

»Ich hoffe, Fräulein,« bemerkte John Effingham mit Ernst, »daß der Gentleman den Hauptmißgriff vermieden hat, sich über Dinge auszulassen, die wirklich bestehen. In der Regel hält man Bemerkungen über die Thatsachen des eigenen Landes für unverschämt und ungerecht; der beste Weg also, sich geneigte Leser zu gewinnen, besteht darin, daß man sich so unverhohlen als möglich über eingebildete Eigentümlichkeiten ausspricht.«

Miß Brackett wußte auf diese Bemerkung nichts zu antworten, denn das Wochenblatt hatte es neben seiner sonstigen Gründlichkeit nie für passend gehalten, einen derartigen Gegenstand zu berühren; sie fuhr jedoch fort, die »Briefe«, von denen sie nicht einen gelesen hatte oder überhaupt lesen wollte, zu preisen – denn es war der jungen Dame gelungen, sich in ihrer eigenen Coterie dadurch einen hohen Ruf des Geschmacks und der Belesenheit zu verschaffen, daß sie die kritischen Bemerkungen derjenigen flüchtig durchging, welche die Werke, die sie zu zergliedern vorgaben, gewöhnlich nur flüchtig überblickt hatten.

Eva hatte sich nie zuvor in so inniger Berührung mit so viel flunkernder Unwissenheit gesehen und konnte sich nicht genug wundern, daß man ihren Vetter einem Menschen wie Mr. Dodge gegenüber, übersehen mochte; aber John Effingham kümmerte sich nicht darum, sondern zog sich ein wenig aus dem Gedränge zurück, um sich mit dem jungen Baronet in einem kurzen Gespräche zu ergehen.

»Ich möchte wohl Eure wahre Ansicht über dieses Treiben hören,« sagte er. »Ihr braucht übrigens nicht zu fürchten, daß ich mich der kindischen Empfindlichkeit schuldig mache, mit der man so gewöhnlich in allen Provinzial-Zirkeln das Urtheil der Fremden aufnimmt, da ich Euch im Gegentheil in Bildung eines richtigen Urtheils über den wahren Zustand des Landes Beistand leisten möchte.«

»Ich kenne die Beziehung zwischen Euch und unserer Wirthin, weßhalb ich kein Bedenken trage, mich unverholen auszusprechen. Die Frauen scheinen mir ungemein zart und hübsch – auch gut gekleidet, kann ich beifügen; aber obschon Alles hier das Gepräge des Anstandes trägt, finde ich doch sehr wenig feine Bildung – und dennoch ist es merkwürdig, daß man kaum auf irgend eine unverhohlene Gemeinheit oder Rohheit trifft.«

»Ein Daniel kommt zu richten! Hätte Einer sein ganzes Leben hier verbracht, so würde er der Wahrheit nicht so nahe gekommen sein, aus dem einfachen Grunde, weil ihm Eigenthümlichkeiten hätten entgehen müssen, für deren Entdeckung der Maaßstab der Vergleichung nöthig ist. Ihr seid übrigens ein wenig allzu nachsichtig, wenn Ihr sagt, daß man auf keine unverholene Gemeinheit treffe, denn diese ist zuverlässig zu finden, obschon für die Umstände in überraschend geringem Grade. Dagegen trifft man hier kaum etwas von der Rohheit an, die sich sonst allenthalben so breit macht. Nun ja, die amerikanische Gleichheit in allen Dingen ist so groß, und die Vorliebe für eine derartige achtbare Mittelmäßigkeit so bestimmt, daß Ihr das, was Ihr heute Abend hier seht, fast in jedem Dorfe des Landes finden könnt, etwa mit einigen unwesentlichen Ausnahmen, welche das Möbelwerk und den andern Zugehör einer Stadt betreffen.«

»Für Mittelmäßigkeit geht es alldings hier achtbar genug zu, obgleich ein strenger Geschmack eine Menge von Fehlern entdecken dürfte.«

»Man bedarf hiezu nicht einmal eines strengen Geschmacks; denn obschon hier viel ist, was nur ein verwöhnter Sinn vermissen würde, so fehlt es doch in der That an Mancherlei, was die Anmuth und die wahre Schönheit einer Gesellschaft zu erhöhen im Stande wäre. Die jungen Männer z. B. die dort in der Ecke über irgend einen schlechten Witz kichern, sind entschieden gemein, und ein gleiches müssen wir jenem Mädchen nachsagen, das sich in praktischer Koketterie übt. Im Ganzen aber gehen diese Einzelnzüge unter, und sogar unsere Wirthin, obschon die thörichte Frau sich in dem Verlangen fast verzehrt, eine Rolle zu spielen, die weder für ihre [gesellschaftliche] Stellung und ihre Erziehung, noch für ihre Gewohnheiten und ihre Denkweise paßt, benimmt sich weit weniger zudringlich und geräuschvoll, als dieß wohl überall anders bei einer Person ähnlichen Schlages der Fall sein würde.«

»Ich bin ganz Eurer Ansicht und hatte mir bereits vorgenommen, Euch deßhalb um eine Erklärung anzugehen.«

»Die Amerikaner sehen sich genöthigt, es anderen Völkern nachzuthun, und passen vorzugsweise für diese Art der Nachahmung. Auch sind sie in ihrem ganzen Treiben viel natürlicher, als ältere, gekünsteltere Nationen, und unsere gegenwärtige Gesellschaft besitzt so zu sagen aus Nothwendigkeit jenen wesentlichen Theil der Bildung – Einfachheit. Steigt man auf der socialen Leiter nur um eine Stufe höher hinauf, so sieht man wenig davon, denn größere Dreistigkeit und schlechte Vorbilder führen stets in Dingen, die, wenn sie überhaupt geschehen sollen, gut ausgeführt werden müssen, zu Mißgriffen. Die hier herrschenden Gebrechen würden augenfälliger sein, wenn wir uns der Gesellschaft so weit näherten, um die Geistesrichtung, die Redeform und die Versuche, durch Witz zu glänzen, kennen zu lernen.«

»So weit wird es diesen Abend nicht kommen, denn ich sehe, daß die Damen bereits ihre Entschuldigungen vorbringen und sich zum Abschied anschicken. Wir müssen diese Studien auf eine andere Zeit verschieben.«

»Meinetwegen auf den Nimmermehrstag, da es kaum der Mühe werth ist, sie wieder aufzunehmen.«

Die Gentlemen näherten sich nun Mrs. Jarvis, machten ihre Abschiedscomplimente und suchten Kapitän Truck auf, den sie mit Gewalt der gutgemeinten Gastfreundlichkeit des Hausherrn entreißen mußten; dann geleiteten sie die Damen nach ihren Wagen. Im Abfahren betheuerte der würdige Seemann, Mr. Jarvis sei einer der ehrlichsten Bursche, die er je getroffen, und fügte die Erklärung bei, daß er ihm zu Ehren am nächsten Tag ein Diner an Bord des Montauk geben wolle.

Mrs. Hawkers Wohnung lag in Hudsons Square oder in einem Stadttheile, welchen die Freunde des Großartigen gern St. Johns-Park nennen, denn es ist eine belustigende Eigenthümlichkeit eines gewissen Theils der Auswanderer, welche in den letzten 30 Jahren schaarenweise nach dem Staat New-York kamen, daß sie sich nicht begnügen, einer Familie oder einer Sache den ursprünglichen Namen zu lassen, sobald sich nur die geringste Gelegenheit bietet, ihn zu ändern. Es standen nur ein paar Equipagen vor der Thüre, obschon die starke Beleuchtung und der Anschein der Dinge im Hause zeigte, daß die Gesellschaft bereits versammelt war.

»Mrs. Hawker ist die Wittwe und die Tochter von Männern aus alten New-Yorker Familien,« sagte John Effingham, als sein Wagen aus Spring-Street gegen Hudson-Square hinfuhr. »Sie ist kinderlos, reich und steht unter ihren Bekannten um ihrer feinen Bildung, ihres Geistes und ihres wohlwollenden Herzens willen in allgemeiner Achtung. Geht Ihr jedoch in die meisten Kreise dieser Stadt und erwähnt Ihr daselbst den Namen dieser Frau, so wird unter zehn Personen nicht eine wissen, daß es ein derartiges Geschöpf in ihrer Nachbarschaft gebe, da die gemischte Wanderbevölkerung auf Leute von ihrem Charakter und ihrer Lebensstellung nicht achtet. Dieselben Personen, welche stundenlang von dem Haushalt einer Mrs. Peley Pond, einer Mrs. Jonah Twist und einer Mrs. Abiram Wattles zu plaudern wissen – obschon dieß Leute sind, die sich erst seit fünf oder sechs Jahren auf dieser Insel befinden und, nachdem sie ein für sie beziehungsweise großes Vermögen zusammengerafft haben, durch gemeinen Prunk Aufsehen zu machen bemüht sind – werden überrascht aufsehen, wenn sie von einer Mrs. Hawker hören, daß sie Ansprüche auf [gesellschaftliche] Auszeichnung zu machen habe. Die geschichtlichen Namen aus der Familie dieser Frau treten bei solchem Volke vor den Kirchspielherrlichkeiten gewisser Lokal-Wunderthiere in den Stadtbezirken, von denen sie eingewandert sind, in den Schatten; ihr Benehmen würde die Fassungskraft von Leuten, deren Nachahmungssucht nicht über die Oberfläche hinausgekommen ist, in nicht geringe Verlegenheit bringen, und ihr gebildeter, einfacher Geist könnte nur wenig Anklang finden unter einer Klasse, die sich selten über die Gemeinplätze der Alltagswelt erhebt, ohne auf Stelzen zu gerathen.«

»Mrs. Hawker ist also eine Lady,« bemerkte Sir George Templemore gelassen.

»Und zwar eine Lady in jedem Sinne des Worts – was Stellung, Erziehung, Benehmen, Geist, Vermögen und Herkunft betrifft. Ich weiß nicht, ob wir von ihrer Klasse je eine größere Anzahl hatten, als jetzt; so viel aber ist gewiß, daß sie vordem eine bedeutendere Rolle in der Gesellschaft spielten.«

»So gehört Mrs. Hawker wohl der sogenannten alten Schule an, Sir?« bemerkte Kapitän Truck.

»Einer sehr alten Schule, die auch wahrscheinlich Bestand haben wird, obschon sie vielleicht keine sonderlich allgemeine Beachtung findet, da sie ihre Grundlage in den Gesetzen der Natur hat.«

»Ich fürchte, Mr. John Effingham, daß mir's in einem solchen Hause sein wird, wie dem Fisch außerhalb des Wassers. Mit Eurer Mrs. Jarvis und mit der lieben jungen Dame in dem andern Wagen habe ich recht gut fortkommen können, aber ein Frauenschlag, wie Ihr ihn eben geschildert habt, dürfte wohl im Stande sein, einen einfachen Seemann, wie ich bin, in die Klemme zu bringen. Was im Namen der Menschheit soll ich thun, wenn sie mich z. B. auffordert, eine Menuette zu tanzen?«

»So tanzt Ihr sie nach den Gesetzen der Menschennatur,« entgegnete John Effingham; und in demselben Augenblicke machte der Wagen Halt.

Ein achtbarer, ruhiger alter Neger ließ die Abendgäste ein, ohne übrigens ihre Namen anzukündigen, als er ihnen die Thüre des Besuchszimmers öffnete. Mrs. Hawker erhob sich mit achtungsvoller Aufmerksamkeit, um Eva und ihren Begleitern entgegenzugehen. Nachdem sie die beiden Mädchen mit Wärme geküßt hatte, wandte sie sich mit einfacher Höflichkeit an Mademoiselle Viefville, so daß diese die Ueberzeugung gewinnen mußte, sie finde um ihrer Dienstleistungen willen die gebührende Wertschätzung. John Effingham, der 10 oder 15 Jahre jünger war, als die alte Dame, küßte ihr verbindlich die Hand und stellte sodann seine beiden männlichen Begleiter vor. Sie erwies zuvörderst dem vornehmeren Fremden die gebührende Aufmerksamkeit, worauf sie sich mit den Worten an Kapitän Truck wendete:

»Dieß ist also der Gentleman, dessen Geschicklichkeit und Muth ihr Alle – ja, ich darf wohl sagen wir Alle so viel verdanken – der Commandeur des Montauk?«

»Ich habe die Ehre, dieses Schiff zu befehligen, Ma'am,« entgegnete Kapitän Truck, durch die würdevolle Einfachheit der Dame des Hauses nicht wenig eingeschüchtert, obschon er den vorgängigen Schilderungen zufolge hier zuletzt das ruhige, natürliche und doch so fein gebildete Wesen erwartet hätte, das sich sogar bis auf die Wortbetonung und auf die kleinste Bewegung der Sprecherin erstreckte; »und mit Passagieren, wie die auf der letzten Reise, kann ich nur sagen, es sei Schade, daß das Fahrzeug nicht unter einer besseren Obhut stand.«

»Eure Passagiere sprechen ganz anders von der Sache. Um übrigens unparteiisch urtheilen zu können, muß ich Euch um den Gefallen bitten, auf diesem Stuhle Platz zu nehmen und mich Einiges von den Einzelnheiten aus Eurem eigenen Munde vernehmen zu lassen.«

Sobald Mrs. Hawker bemerkte, daß Sir George Eva nach der andern Seite des Gemachs gefolgt war, nahm sie ihren Sitz ein und weihte, ohne ihre Gäste im Allgemeinen zu vernachlässigen, ihre Aufmerksamkeit dem Kapitän, obschon dieß in einer Weise geschah, daß er sich durchaus nicht beengt fühlte. Schon nach wenigen Minuten war es ihr gelungen, Mr. Truck so weit zu bringen, daß er die Menuette ganz vergaß und sich weit behaglicher fühlte, als es wohl in einem monatlichen Verkehr mit Mrs. Jarvis möglich gewesen wäre.

Mittlerweile war Eva durch das Gemach gegangen, um sich einer Dame anzuschließen, deren Lächeln sie einlud, an ihrer Seite Platz zu nehmen. Diese war eine schlanke junge Frau von angenehmen Gesichtszügen, obschon nicht von so hohen persönlichen Reizen, um an einem derartigen Platze besonders aufzufallen. Ihr Lächeln war jedoch angenehm, ihr Auge sanft und der Ausdruck ihres Antlitzes leuchtend. Da Sir George Templemore Eva gefolgt war, so stellte sie ihn ihrer Bekannten vor, die sie als Mrs. Bloomfield anredete.

»Ihr habt im Sinne, euch heute Abend noch weiter zu vergnügen?« sagte Letztere mit Hindeutung auf den Ballanzug der beiden Muhmen. »Seid ihr in den Farben der Houstoner oder in denen der Erbsler?«

»Gewiß nicht in Erbsengrün,« entgegnete Eva lachend, »wie Ihr sehen könnt, sondern einfach weiß.«

»Ihr beabsichtigt also, euch bei Mrs. Houston zum Tanze führen zu lassen. Jedenfalls ist es dort passender, als bei der andern Faktion.«

»So ist also die Modewelt in New-York parteigängerisch?« fragte Sir George.

»Parteizänkerisch würde vielleicht das bessere Wort sein. Wir Amerikaner haben übrigens fast in Allem Parteien – in der Politik, in der Religion, in der Mäßigkeit, in den Speculationen, im Geschmack, warum nicht auch in der Mode?«

»Ich fürchte, wir sind nicht unabhängig genug, um in einer derartigen Sache Parteien zu bilden,« versetzte Eva.

»Sehr wohl gesprochen, Miß Effingham; man muß ein wenig originell denken, gleichviel wie falsch es sein mag, um eine Mode aufzubringen. Ich fürchte, wir werden in diesem Punkte unsere Unbedeutsamkeit zugestehen müssen. Ihr seid erst kürzlich hier angelangt, Sir George Templemore?«

»Zu Anfang dieses Monats. Ich habe die Ehre gehabt, ein Reisegefährte von Mr. Effingham und seiner Familie zu sein.«

»Und auf dieser Reise habt ihr Schiffbruch, Gefangenschaft und Hunger ausgestanden, wenn nur die Hälfte von dem, was man hört, wahr ist!«

»Das Gerücht hat unsere Erlebnisse mit etwas allzu grellen Farben gemalt. Wir haben allerdings einige ernstliche Gefahren durchgemacht, indeß ist von Leiden, wie Ihr sie erwähnt, nicht die Rede.«

»Als verheirathete Frau und auf der Scheidelinie angelangt, von welcher an die Täuschung nicht mehr versucht wird, erwarte ich nicht, jetzt noch die Wahrheit zu hören,« sagte Mrs. Bloomfield lächelnd. »Indeß hoffe ich, ihr habt genug erfahren, um insgesammt für Helden und Heldinnen gelten zu können, und begnüge mich daher mit dem Bewußtsein, daß ihr hier seid, wohlbehalten und glücklich – wenn anders,« fügte sie mit einem fragenden Blick auf Eva bei, »Jemand, der im Ausland erzogen wurde, sich in der Heimath glücklich fühlen kann

»Auch wenn man im Ausland erzogen wurde, kann man sich zu Hause glücklich fühlen, obschon vielleicht nicht in der gewöhnlichen Weise der Welt,« entgegnete Eva mit Festigkeit.

»Ohne eine Oper – ohne Hof – fast ohne Gesellschaft?«

»Ich gestehe, daß eine Oper wünschenswerth wäre; von Höfen weiß ich nichts, da unverheirathete Frauenzimmer in Europa als Nullen betrachtet werden, und was die Gesellschaft betrifft, so hoffe ich, es wird mir besser ergehen, als daß ich sie ganz entbehren müßte.«

»Unverheirathete Frauenzimmer werden auch hier wie Nullen betrachtet, vorausgesetzt, daß derselben genug vorhanden sind, mit einer guten achtbaren Einheit an der Vorderseite. Ich versichere Euch, unter solchen Umständen hat Niemand etwas gegen die Nullen einzuwenden. Ich denke, Sir George Templemore, eine Stadt wie die unserige muß Euch etwas seltsam vorkommen.«

»Darf ich mir erlauben, nach dem Grund dieser Vermuthung zu fragen?«

»Blos weil sie weder das Eine noch das Andere ist – keine Hauptstadt, und doch auch nicht ein bloßer Provinzialplatz. Sie hat etwas mehr, als bloßen Handel in sich, aber auch zugleich jenes unter dem Scheffel verborgene Etwas. Zwar ist sie bedeutend mehr, als Liverpool, aber doch auch viel weniger, als Edinburg, und in anderer Hinsicht wieder schlimmer als Wapping.«

»Ihr seid gereist, Mrs. Bloomfield?«

»Nein; ich habe keinen Fuß aus meinem Lande – ja, kaum aus meinem eigenen Staate gesetzt. Ich war am Georgensee, an den Fällen und an dem Mountain-House, und da man nicht eben in einem Luftballon reist, so sah ich auch Einiges von den dazwischen liegenden Plätzen; in allem Uebrigen aber muß ich mich auf's Hörensagen beziehen.«

»Es ist Schade, daß Mrs. Bloomfield diesen Abend nicht mit uns bei Mrs. Jarvis war,« sagte Eva lachend; »denn durch Anhören einiger Gesänge aus Mr. Dodge's Epos hätte sie ihre Kenntnisse sehr erweitern können.«

»Ich habe schon Einiges von der Weisheit dieses Autors zu Gesicht bekommen,« entgegnete Mrs. Bloomfield, »fand aber bald, daß man daraus nur eine Rückwärtsbildung holen kann. Es gibt einen sicheren Maaßstab, nach dem man leicht den wahren Werth eines Reisenden ermessen kann – wenigstens im negativen Sinne.«

»Es wäre wohl von Interesse,« erwiederte der Baronet, »diesen Maaßstab kennen zu lernen, da man sich dadurch manches unnütze Augenverderben ersparen könnte.«

»Wenn ein Schriftsteller tiefe Unkenntniß seines eigenen Landes verräth, so ist mit Fug anzunehmen, daß seine Beobachtungen in fremden nicht sehr genau sein können. Mr. Dodge ist einer von diesen Autoren, und ein einziger seiner Briefe hat meine Neugierde vollkommen zufrieden gestellt. Ich fürchte, Miß Effingham, was den guten Ton betrifft, so ist letzter Zeit viel untergeordnete Waare mit dem Towerstempel in unserem Lande eingeführt worden.«

Eva lachte und versetzte, daß Sir George Templemore besser als sie befähigt sei, eine derartige Frage zu beantworten.

»Man sagt uns nach, wir seien mehr Thatsachen- als Speculations-Leute,« fuhr Mrs. Bloomfield fort, ohne auf die Verweisung der jungen Dame zu achten, »und jede Münze, die uns geboten wird, gilt bei uns, bis eine andere bessere anlangt. Es ist ein seltsamer, aber wie ich glaube, sehr allgemeiner Irrthum der Amerikaner, anzunehmen, daß sie nur unter dem gegenwärtigen Regime bestehen können, andere aber fehlschlagen müßten, weil ihre Ansichten gleichen Schritt halten mit dem wirklichen Zustand der Gesellschaft, oder ihm gar vorlaufen, während diejenigen, welche viel beobachtet und über derartige Gegenstände am meisten nachgedacht haben, sich in der Ueberzeugung vereinigen, daß gerade der entgegengesetzte Fall stattfinde.«

»Dieß muß für eine so rein konventionelle Regierung eine verfängliche Lage sein,« versetzte Sir George mit Theilnahme; »auch widerspricht sie zuverlässig ganz und gar dem Stande der Dinge durch ganz Europa.«

»Es ist so, und doch steckt im Grunde kein groß Geheimniß dahinter. Der Zufall hat uns von den Banden befreit, die euch noch immer fesseln. Wir gleichen einem Wagen auf der Spitze eines Berges, der, sobald er über den Punkt des Widerstandes hinausgeschoben ist, ohne die Beihilfe von Pferden von selbst abwärts rollt. Man kann ihm mit dem Gespanne folgen und es einschirren, sobald er einmal den Grund unten erreicht hat; aber früher ist es nicht thunlich, mit ihm Gesellschaft zu halten.«

»Ihr gebt also zu, daß ein Grund unten vorhanden sei?«

»Alles hat seine Gränze – das Gute wie das Schlimme, das Glück wie das Elend, Hoffnung, Furcht, Glaube und Liebe – sogar der Sinn eines Weibes, den ich schon oft für das Unergründlichste in der Natur gehalten habe. So mögen daher endlich auch die Institutionen Amerika's ihren Boden finden.«

Sir George hörte mit der Theilnahme zu, mit welcher ein Engländer seiner Klasse stets bemüht ist, ein Zugeständniß aufzugreifen, das vermeintlich zu Gunsten seiner politischen Vorurtheile spricht, und fühlte sich ermuthigt, über den Gegenstand weiter fortzufahren.

»Ihr glaubt also, die politische Maschine rolle abwärts ihrem Grunde zu?« sagte er, der Antwort mit einer Spannung entgegensehend, über die er in der Ruhe und Zerstreuung seiner eigenen Heimath sich selbst verlacht haben würde. Aber unsere Empfindlichkeit wird durch Berührungen mit der Außenwelt gesteigert, und man weiß, daß der Widerspruch sogar Liebe wecken kann.

Mrs. Bloomfield besaß bei ihrer Bildung einen scharfen Verstand, aber auch einige Verschmitztheit, und bemerkte daher mit einem Mal, worauf Sir George abzielte; aber obschon sie die Mißbräuche wohl erkannte und fühlte, war sie doch, wie es fast allgemein unter den kräftigsten Geistern und den edelsten Gemüthern der Nation der Fall ist, dem leitenden Grundsatz in der gesellschaftlichen Organisation ihres Landes aus tiefster Seele zugethan und deßhalb durchaus nicht geneigt, einen Fremden mit falschen Eindrücken über ihre eigentlichen, diesen Punkt betreffenden Gesinnungen von sich zu lassen.

»Habt Ihr je Logik studirt, Sir George Templemore?« fragte sie schalkhaft.

»Ein wenig, obschon, wie ich fürchte, dieses Studium nicht hinreichte, auf meine Denkweise Einfluß zu üben, oder mich auch nur mit den technischen Ausdrücken vertraut zu machen.«

»Oh, ich will Euch nicht mit den sequitur und non sequitur, mit der Dialektik und mit all' den Geheimnissen der Denklehre zu Leibe gehen, sondern Euch einfach daran erinnern, daß es auch so ein Ding gibt, wie den Boden eines Subjekts. Wenn ich sage, daß wir mit unseren Institutionen auf den Grund kommen, so ist dieß im figürlichen und nicht, wie Ihr Euch irrthümlicherweise vorstellt, im eigentlichen Sinne gemeint. Ich wollte andeuten, daß wir sie nachgerade zu verstehen beginnen, was, wie ich fürchte, bei dem Anfange des Versuchs nicht ganz der Fall war.«

»Ihr werdet übrigens, denke ich, einräumen, daß mit dem Fortschreiten der Landescivilisation auch eine wesentliche Veränderung stattfinden muß. Ein Volk kann nicht immer stehen bleiben – es muß entweder vorwärts oder rückwärts gehen.«

»Aufwärts oder abwärts, wenn Ihr mir erlauben wollt, Euern Ausdruck zu verbessern. Die Civilisation des Landes ist jedoch in einem Sinne rückschreitend; wer nicht aufwärts geht, verräth Lust, herunter zu kommen.«

»Ihr sprecht in Räthseln, und ich glaube, Euch leider zu verstehen.«

»Ich will blos sagen, daß der Galgen sehr in Abnahme kömmt und daß das Volk – wohlverstanden le peuple – Geld anzunehmen beginnt. Diese beiden Umstände sind, so weit meine Erinnerung reicht, eine merkliche Umwandlung zum Schlechteren.«

Mrs. Bloomfields Wesen ging jetzt von dem leichtherzigen Scherze, der ihre Unterhaltung oft pikant, und hin und wieder sogar brillant machte, zu einem gewissen Ernste und größerer Klarheit über. Das Gespräch wandte sich bald den Strafen zu, und nur wenige Männer hätten diesen Gegenstand mit mehr Verstand, Gerechtigkeit und Nachdruck behandeln können, als diese schmächtige, hinfällig aussehende junge Frau. Ohne die mindeste Pedanterie, mit einer Schönheit der Sprache, wie sie von dem andern Geschlechte selten erreicht wird, und mit ächt weiblicher Zartheit der Unterscheidung und des Gefühls wußte sie einem Stoffe, der, trotz seiner Wichtigkeit, doch viel Abstoßendes hat, Interesse zu verleihen, indem sie durch die feine Bildung ihres edlen Geistes alle gehässigeren und empörenden Züge verschleierte.

Eva hätte ihr den ganzen Abend zuhören können, und jede Sylbe, die von den Lippen ihrer Freundin fiel, rief in ihr eine Art triumphirende Glut hervor. Sie war stolz darauf, einen einsichtsvollen Fremden sehen lassen zu können, daß auch Amerika Frauen barg, die wohl würdig waren, mit den besten anderer Länder in die Reihe zu treten, und fürchtete immer, daß diejenigen, welche blos in der sogenannten großen Welt gelebt hatten, einen scheinbaren Anlaß finden möchten, diese Thatsache zu bezweifeln. In einem Betracht kam es ihr vor, als übertreffe Mrs. Bloomfield alle Frauen, die sie im Auslande so oft bewundert hatte, da die Kenntnisse und der Verstand derselben weder durch die Vorurtheile, die den Parteispaltungen der Gesellschaft ankleben, noch von ihren Gegenwirkungen gefesselt waren – Umstände, welche nur zu oft das Gefühl und die Aufrichtigkeit Derer getrübt hatten, denen sie im Auslande mit Lust zuzuhören pflegte. Außerdem erhöhte der eigenthümlich weibliche Ton alles Dessen, was Mrs. Bloomfield sprach oder dachte, den Zauber ihrer Unterhaltung, und steigerte das Vergnügen des Zuhörens, ohne daß das Ganze an Kraft dadurch verloren hätte.

»Ist der Kreis, zu welchem Mrs. Hawker und ihre Freunde gehören, groß?« fragte Sir George, als er nach der Verabschiedung Eva und Grace den Mantel umlegen half. »Eine Stadt, die sich nur eines halben Dutzends solcher Häuser rühmen kann, darf sich nicht über Mangel an guter Gesellschaft beklagen.«

»Ach es gibt nur Eine Mrs. Hawker in New-York und nicht viele Mrs. Bloomfield in der Welt,« antwortete Grace. »Wir würden zu viel behaupten, wenn wir sagten, daß wir nur ein halb Dutzend solcher Häuser besäßen.«

»Ist Euch nicht der bewunderungswürdig gute Ton in diesem Salon aufgefallen?« fügte Eva in halbem Flüstertone bei. »Es fehlt vielleicht Einiges von der edlen Ruhe, die man unter dem besseren Theile der alten Princesses und Duchesses sieht – dieser Reliquie einer Schule, die leider im Aussterben begriffen ist; an ihrer Statt findet man aber eine ansprechende Natürlichkeit mit der erforderlichen Würde und einem Biedersinn, der Jedem Vertrauen in die Aufrichtigkeit seiner Umgebung einflößt.«

»Auf mein Wort, ich halte Mrs. Hawker für vollkommen geeignet, eine Herzogin zu sein.«

»Ihr wollt sagen, eine Duchesse,« entgegnete Eva lachend; »und doch fehlt es ihr an dem Nimbus, den wir gerne mit einem solchen Worte verbinden. Man kann Mrs. Hawker nicht würdiger bezeichnen, als wenn man sagt, daß sie eine Lady ist.«

»Jedenfalls ist sie eine zum Entzücken angenehme Frau,« rief John Effingham; »wenn sie zwanzig Jahre jünger und geneigt wäre, ihre Lage zu verändern, so würde ich in der That Scheu tragen, ihr Haus zu betreten.«

»Mein theurer Sir,« rief der Kapitän, »ich würde sie morgen zu einer Mrs. Truck machen, ohne wegen der Jahre zu mäkeln, wenn sie auf derartigen Antrag eingehen möchte. Wahrhaftig, Sir, sie ist keine Frau, sondern eine Heilige in Weiberkleidern. War mir's doch die ganze Zeit, als unterhielte ich mich mit meiner eigenen Mutter; und was Schiffe betrifft, so versteht sie mehr davon, als ich selbst oder sogar jener Mr. Powis, der doch ein Haupthahn in seiner Art war.«

Die ganze kleine Gesellschaft lachte über die Kraft in Kapitän Trucks Bewunderung, und vertheilte sich in die beiden Equipagen, um den Weg nach dem letzten Hause anzutreten, das sie für diesen Abend zu besuchen gedachten.


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