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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Entschließ ich mich zur Eh', so soll dem Mann,
Dem mein Gelübde gilt, zu gleichen Theilen
Geweiht sein sorglicher Gehorsam und
Der Liebe treuer Dienst.

Cordelia.

 

John Effingham konnte, wenn ihn die Stimmung dazu anwandelte, sich mit mehr Anmuth und zarter Höflichkeit benehmen, als irgend ein anderer Mann, und Mrs. Bloomfield war daher nicht wenig erstaunt über die wohlwollende und gentlemanische Weise, den liebevollen Ton und den gewinnenden Ausdruck seines Auges, als er bei dem im vorigen Kapitel erwähnten Anlasse seine junge Verwandte willkommen hieß. Selbst Eva entgingen diese Eigenthümlichkeiten nicht, und sie konnte sich auch wohl den Grund denken. Er war also von dem Stand der Dinge zwischen ihr und Paul unterrichtet, und da sie Mrs. Bloomfields Zuverlässigkeit kannte, so folgerte sie ganz richtig, daß ihr Vetter, der sie so lange beobachtet, aus den paar Worten, welche er diesen Abend zufällig vernommen, einen weit tieferen Blick in ihr Inneres gethan hatte, als dieß bei der Freundin der Fall war, mit welcher sie kürzlich über den Gegenstand gesprochen. Gleichwohl fühlte sich Eva durchaus nicht verlegen durch die Ueberzeugung, daß ihr Geheimniß so vielen Personen verrathen war, da ihre Zuneigung zu Paul nicht auf einer mädchenhaften Grille, sondern auf warmer Liebe beruhte, die mit der Zeit herangewachsen, durch ihre Vernunft geheiligt und, wenn auch in den Farben einer glühenderen Phantasie und in der Fülle jugendlichen Vertrauens gehalten, zugleich durch ihre edlen Grundsätze und ihren Rechtssinn unterstützt war. Sie wußte, daß sowohl ihr Vater, als ihr Vetter den Mann ihrer Wahl schätzten und glaubte nicht, daß die kleine Wolke, die über der Geburt ihres Geliebten hing, mehr als einen vorübergehenden Einfluß auf dessen zartfühlende Seele üben konnte. Deßhalb trat sie auch John Effingham mit gefaßtem Freimuth entgegen, und erwiederte den wohlwollenden Druck seiner Hand mit einem Lächeln, wie etwa eine Tochter einen zärtlichen Vater empfängt; dann wandte sie sich mit derselben anstandsvollen Ruhe, welche ein Theil ihres Wesens geworden war, an die übrige Gesellschaft, um auch sie zu begrüßen.

»Hier ist eines der anziehendsten Bilder, welche die Menschheit nur bieten kann,« sagte John Effingham zu Mrs. Bloomfield, als Eva sich von ihnen entfernte; »ein schüchternes, bescheidenes, gefühlvolles Mädchen – so fest in seinen Grundsätzen, der Reinheit und des Edelsinns ihrer Gedanken so bewußt und so warm in ihren Empfindungen, daß sie die Wahl eines Gatten in einem Lichte auffaßt, in welchem andere die Erfüllung eines sittlichen und religiösen Gesetzes zu betrachten pflegen. Bei ihr ist die Liebe nicht mit Scham verbunden, weil sie keine Schwäche hat.«

»Eva ist so makellos, wie sich's einer Jungfrau ziemt; und doch muß ich sagen, daß ich mein eigenes Geschlecht nicht erkenne, wenn ich sie Mr. Powis so ruhig wie ihres Vaters Vetter begrüßen sehe.«

»Möglich, denn in diesem Falle sollte man glauben, daß sie frei sei von aller Leidenschaft. Ihr bemerkt, daß er es vermeidet, sie mit seiner Aufmerksamkeit zu behelligen, und daß die Begrüßung ohne Verlegenheit ablief. Ich glaube, in der Liebe liegt ein erhebendes Princip, welches, indem es den Wunsch in uns weckt, des ersehnten Gegenstandes würdig zu werden, durch Anspornung der Thätigkeit die erwünschten Wirkungen hervorbringt. Wir haben hier zwei so vollkommene Wesen, als man gewöhnlich nur treffen kann, und doch fühlen beide sich durch das Gefühl bedrückt, des Anderen nicht würdig zu sein.«

»Ist also Liebe – und noch obendrein erwiederte Liebe eine Lehrerin der Demuth?«

»Warum nicht? Es wäre kaum billig, diese Frage gegen Euch, eine verheirathete Frau, weiter zu verfechten, denn nach den Pandekten der amerikanischen Gesellschaft kann man wohl mit einer Miß in ihren Zehnen über Liebe philosophiren, darüber plaudern, scherzen oder die Leidenschaft nach allen ihren Theilen zergliedern, während es dagegen vervehmt ist, mit einer Matrone darüber zu sprechen. Nun, chacun à son goût; wir sind in der That ein wenig besonder in unsern Gebräuchen und haben der Dorfkoketterie und Liebeständeleien des Maibaums die Thüren unserer Salons geöffnet.«

»Ist es nicht besser, daß solche Thorheiten sich auf die Jugend beschränken, als daß sie in das Heiligthum des ehelichen Lebens eingreifen, wie dieß dem Vernehmen nach anderwärts nur allzusehr der Fall ist?«

»Vielleicht. Gleichwohl gestehe ich, den unverhüllten Manövern einer Mutter, eines Vaters oder einer beauftragten Freundin ist leichter zu entkommen, als einer jungen Dame, die propria persona auf eigene Rechnung angelt. Auf meiner Reise wurden mir Dutzend Anträge gemacht – –«

»Anträge?« rief Mrs. Bloomfield, indem sie beide Hände in die Höhe hielt und ungläubig den Kopf schüttelte.

»Anträge – bona fide offene, erröthenmachende Anträge! Und warum nicht, Ma'am? Bin ich mehr als Fünfzig? Sehe ich nicht leidlich jugendlich für diese Lebensperiode aus und besitze ich nicht sechs- oder achttausend Thaler Renten?«

»Achtzehn oder Ihr seid schwer verleumdet.«

»Nun denn, meinetwegen achtzehn, wenn Ihr so wollt,« entgegnete der Andere kalt, denn in seinen Augen war das Geld, das ihm als Erbe zugefallen, kein Verdienst, wie er es denn überhaupt stets als Mittel, nicht aber als Lebenszweck betrachtet hatte, »denn nach zurückgelegten Vierzigen ist jeder Dollar ein weiterer Magnet. Glaubt Ihr, ein unverheiratheter Mann von erträglichem Aeußern, guter Herkunft und hunderttausend Franken Renten habe den Speculationen der europäischen Damen entgehen können?«

»Dieß ist ein so greller Verstoß gegen alle unsere amerikanischen Ansichten, daß ich in der That kaum daran glauben mochte, wie oft ich auch von dergleichen Dingen gehört habe.«

»Wie, findet Ihr es schlimmer, wenn die Verwandten junger Damen bei solchen Gelegenheiten die Sorge übernehmen, als wenn die jungen Damen die Sache eigenhändig erfassen, wie dieß bei uns oft so offen geübt wird?«

»Es ist gut, daß Ihr den Entschluß gefaßt habt, ein Hagestolz zu bleiben, denn durch solche Erklärungen müßtet Ihr nothwendig Euer Glück verscherzen. Ich will zugeben, daß unsere Mädchen nicht mehr so schüchtern sind, wie früher, denn welcher Mensch fände nicht, daß keine Zeit so gut war, als die, in welcher er heranwuchs. Gleichwohl protestire ich eifrig gegen die Deutungen, welche Ihr der Natur und dem ungekünstelten Wesen eines amerikanischen Mädchens gebt.«

»Ungekünsteltes Wesen?« wiederholte John Effingham, indem er leicht die Brauen in die Höhe zog. »Wir leben in einer Zeit, in welcher neue Wörterbücher nöthig werden, wenn man sich gegenseitig verstehen will. Wahrhaftig, könnt Ihr von ungekünsteltem Wesen sprechen, wenn man einem alten Kerl von Fünfzig zusetzt, als gälte es, eine Stadt zu belagern! Bst! Ned zieht sich mit seiner Tochter zurück, meine theure Mrs. Bloomfield, und es wird nicht lange anstehen, so bin ich zu einem Familienrathe abberufen. Na, wir wollen das Geheimniß bewahren, bis es öffentlich proklamirt ist.«

John Effingham hatte Recht, denn seine beiden Verwandten verließen gemeinschaftlich das Gemach, und begaben sich nach dem Bibliothekzimmer, in einer Weise jedoch, daß es Niemand auffiel, als Denen, welche über die Vorfälle des Abends unterrichtet waren. Sobald sie sich allein befanden, drehte Mr. Effingham den Schlüssel um und machte seinen Vatergefühlen Luft.

Zwischen Eva und ihrem Erzeuger hatte stets ein Vertrauen geherrscht, wie man es nicht häufig zwischen Vater und Tochter findet. In einem Sinne waren sie sich gegenseitig Alles in Allem gewesen, und Eva hatte nie Anstand genommen, alle jene Gefühle in seine Brust auszugießen, die sie der Liebe einer Mutter vertraut haben würde, wenn ihr ein grausames Geschick sich derselben zu erfreuen nicht versagt hätte. Als sich daher ihre Augen jetzt begegneten, leuchteten sie von dem Ausdrucke einer Liebe, wie man sie eigentlich nur bei zwei Angehörigen des zarteren Geschlechtes hätte erwarten sollen. Mr. Effingham drückte sein Kind an's Herz, hielt sie fast eine Minute in stummer Innigkeit umfangen, und küßte zuerst ihre glühende Wange, eh' er ihr aufzublicken gestattete.

»Alle meine sehnlichsten Wünsche für dich sind erfüllt, Eva!« rief er.

»Vater!«

»Ja, meine Liebe, ich habe lange im Geheim um dieses Glück für dich gebetet, denn von allen Jünglingen, die wir in der Heimath oder auf der Reise trafen, ist Paul Powis der Einzige, dem ich dich mit der größten Zuversicht überantworten kann. Er wird dich hegen und lieben, wie du es verdienst.«

»Theuerster Vater, nur dieß fehlt noch, um mein Glück vollkommen zu machen.«

Mr. Effingham küßte seine Tochter abermals und fuhr dann mit großer Fassung fort:

»Zwischen mir und Powis ist es zu einer vollständigen Erklärung gekommen,« sagte er, »obschon es dazu einer kräftigen Ermuthigung bedurfte.«

»Vater!«

»Nein, meine Liebe, dein Zartgefühl ist gebührend geachtet worden; aber er ist so kleinmüthig und räumt den unangenehmen Umständen, welche mit seiner Geburt verbunden sind, einen so großen Einfluß auf seinen Geist ein, daß ich mich genöthigt sah, ihm zu sagen, was du sicherlich auch billigen wirst – wie wir nämlich keine Rücksicht auf Familie oder Familienverbindungen nähmen, sondern blos das persönliche Verdienst im Auge hätten.«

»Ich hoffe, Vater, es wurde nichts gesprochen, was Mr. Powis auf die Vermuthung bringen konnte, als betrachten wir ihn nicht in jeder Hinsicht für unseres Gleichen.«

»Gewiß nicht. Er ist ein Gentleman, und weiter kann ich nichts verlangen. Es gibt nur einen Umstand, in welchem die Verwandtschaftsbeziehungen in amerikanischen Ehen nicht außer Acht gelassen werden sollten, wie sehr auch die Paare in den Hauptsachen für einander passen mögen – ich meine nämlich, es sei nöthig, vorzubauen, daß kein Theil sich in einen Verkehr einlasse, der im Widerspruch steht mit dem Geschmack und den Angewöhnungen des Andern. Namentlich sollte die Frau nie aus einem gebildeten in einen ungebildeten Kreis verpflanzt werden, denn in diesem Falle wird eine wirklich gebildete Gattin ein gefährlicher Hemmstein, an dem die Liebe des Mannes scheitern könnte. Hat man über diesen wichtigen Punkt einmal Gewißheit eingezogen, so wüßte ich nicht, weßhalb ein Vater weitere Besorgniß hegen sollte.«

»Leider steht Powis in Amerika mit Niemand in freundschaftlicher Beziehung oder überhaupt mit Niemand in irgend einem Verkehr; aber seine Angehörigen in England sind aus einer Klasse, die ihm keine Unehre macht.«

»Wir haben darüber gesprochen und er hat dabei ein so richtiges Gefühl an den Tag gelegt, daß er in meiner Achtung nur noch mehr stieg. Ich kenne die Familie seines Vaters und muß wohl auch seinen Vater gekannt haben, obschon es zwei oder drei Asshetons gab, welche den Namen John führten. Die Familie steht in den mittleren Staaten in sehr gutem Ruf und gehörte früher zur Kolonial-Aristokratie. Jack Effinghams Mutter war eine Assheton.«

»Von demselben Blute, glaubt Ihr, Vater? Ich dachte daran, als Mr. Powis den Namen seines Vaters nannte, und hatte im Sinne, Vetter Jack darüber zu befragen.«

»Nun du davon sprichst, Eva – ich glaube selbst auch, daß eine Verwandtschaft zwischen ihnen stattfinden muß. Ist unser Vetter wohl von der Thatsache unterrichtet, daß Paul wirklich ein Assheton ist?«

Eva erwiederte ihrem Vater, daß sie mit John nie über diesen Gegenstand gesprochen habe.

»Dann zieh' die Klingel; wir werden uns bald überzeugt haben, wie weit meine Vermuthung richtig ist. Es wäre ein falsches Zartgefühl, mein Kind, wenn wir deine Verlobung einem so nahen und theuern Verwandten, wie John ist, nicht zu wissen thun wollten.«

»Verlobung, Vater?«

»Ja, Verlobung,« entgegnete der Vater lächelnd, »denn dafür halte ich es bereits. Ich habe mir die Freiheit genommen, in deinem Namen Paul Powis deine Zusage oder doch etwas Aehnliches zu geben, und dafür bringe ich dir so viel Betheurungen eines überschwänglichen Glückes und ewiger Treue zurück, als ein verständiges Mädchen nur verlangen kann.«

Eva blickte ihren Vater in einer Weise an, in welcher der Vorwurf durch den Ausdruck der Liebe gemildert war; denn sie fühlte, daß sich im gegenwärtigen Falle zu viel von der Uebereilung des anderen Geschlechts in die Sache gemischt hatte. Sie war jedoch über Koketterie und Ziererei erhaben, dabei auch zu warm in ihrer Zuneigung, um sich ernstlich verletzt zu fühlen, weßhalb sie die Hand, welche sie hielt, küßte, tadelnd, aber zugleich lächelnd den Kopf schüttelte, und dann der an sie ergangenen Aufforderung entsprach.

»Ihr habt es in der That zu einem Gegenstand von großer Wichtigkeit gemacht, daß wir jetzt mehr von Mr. Powis erfahren, mein geliebter Vater,« sagte sie, wieder zu ihrem Sitze zurückkehrend, »obschon ich wünschen könnte, daß in der Sache nicht so sehr geeilt worden wäre.«

»Ei, meine Zusage wurde nur bedingungsweise gegeben und ganz von dir selbst abhängig gemacht. Wenn ich zu viel sagte, so hast du weiter nichts zu thun, als die Ratification des Vertrags, den dein Negotiator geschlossen hat, zu verweigern.«

»Ihr verlangt eine Unmöglichkeit,« versetzte Eva, seine Hand wieder ergreifend und sie mit Innigkeit zwischen den ihrigen drückend; »der Negotiator ist zu geehrt, zu sehr zum Befehle berechtigt und zu treu, als daß man ihn so schimpflich behandeln könnte. Vater, ich will und werde Alles ratificiren, was Ihr für mich versprochen habt oder versprechen könnt

»Selbst wenn ich den Vertrag annullire, mein Kind?«

»Auch in diesem Falle, Vater. Ich werde nicht heirathen ohne Eure Zustimmung, und habe ein so unbedingtes Vertrauen zu Eurer zärtlichen Sorgfalt, daß ich nicht den mindesten Anstand nehme, zu sagen, ich werde mich mit dem verbinden, den Ihr mir bestimmt habt.«

»Gott segne dich, Gott segne dich, Eva. Ich glaube dir, denn ich habe dich immer wahr gefunden, seit der Gedanke Macht über deine Handlungen zu üben begonnen hat. Ich lasse Mr. John Effingham ersuchen, hieher zu kommen,« – fügte er gegen den eintretenden Diener bei, und fuhr dann, sobald dieser die Thüre wieder geschlossen hatte, fort – »und ich glaube auch, daß du so bleiben wirst bis zu deinem Sterbetage.«

»Ei, leichtsinniger, sorgloser Vater, Ihr vergeßt, daß Ihr selbst das Werkzeug gewesen seid, meine Pflicht und meinen Gehorsam auf einen Andern überzutragen. Wie, wenn sich dieses Seeungeheuer als ein Tyrann ausweisen sollte – wenn es erst später die Maske abwürfe und sich in seinen wahren Farben zeigte? Seid Ihr auch dann noch im Stande, gedankenloser, voreiliger Vater« – Eva küßte bei diesen neckischen Worten Mr. Effinghams Wange und ihr Herz quoll über im Gefühle ihres Glücks – »Gehorsam zu predigen, wo Gehorsam Pflicht ist?«

»Bst, mein Herz, ich höre den Tritt unsers Vetters; er soll uns nicht auf solchen Thorheiten ertappen.«

Eva stand auf und reichte dem eintretenden John freundlich die Hand dar, obschon es mit abgewandtem Antlitz und thränenfeuchtem Auge geschah.

»Es ist Zeit, daß ich aufgeboten werde,« sagte John Effingham, nachdem er das erröthende Mädchen an sich gezogen und ihre Stirne geküßt hatte; »denn vor lauter tête à têtes mit jungen und alten Knaben bin ich diesen Abend sehr vernachlässigt worden. Ich hoffe übrigens noch zeitig genug zu kommen, um eine nutzbringende, sehr entschiedene Mißbilligung einzulegen?«

»Vetter Jack!« rief Eva mit dem Blicke scherzenden Vorwurfs, »Ihr seid der Allerletzte, welcher von Mißbilligung sprechen sollte, denn Ihr habt ja fast nichts, als das Lob des Bittstellers gesungen, seit Ihr zum ersten Mal mit ihm zusammentraft.«

»So ist's einmal; nun denn gleich vielen Anderen muß ich mich der Folge meiner eigenen Voreiligkeit und meiner falschen Schlüsse unterwerfen. Bin ich deßhalb herbeschieden, um anzugeben, wie viele Tausende im Jahre ich zu dem Haushalte des neuen Paares hergeben wolle? Da ich alle Geschäftssachen hasse, so sagt mit einem Male fünf, und wenn die Papiere bereit sind, so will ich sie ungelesen unterzeichnen.«

»Höchst großmüthiger Cyniker!« rief Eva. »Ich möchte mir übrigens jetzt die Freiheit nehmen, Euch eine einzige Frage vorzulegen.«

»Nur ohne Bedenken zugefragt, junge Dame, denn der heutige Tag gibt Euch Unabhängigkeit und Gewalt. Ich müßte mich sehr in dem Manne irren, wenn sich nicht zuletzt herausstellen sollte, daß Powis der Kapitän seines eigenen Schiffes ist.«

»Wohlan denn, zu wessen Gunsten ist diese Freigebigkeit eigentlich gemeint? Gilt sie mir oder dem Gentleman?«

»Bündig genug gestellt,« entgegnete John Effingham lächelnd. Dann zog er Eva abermals an sich und küßte sie auf die Wange. »Wahrhaftig, wenn ich auf der Folter läge, könnte ich kaum sagen, wen ich am meisten liebe, obschon Ihr, kleiner Naseweis, den Trost habt, zu wissen, daß Ihr die meisten Küsse erhaltet.«

»Ich bin fast in der gleichen Lage, John, denn ein eigener Sohn könnte mir kaum theurer sein, als Paul.«

»So sehe ich wohl, daß ich heirathen muß,« sagte Eva, hastig die Thränen der Wonne aus ihren Augen wischend – denn was kann größere Lust bereiten, als wenn man den Geliebten preisen hört? – »wenn ich meinen Platz in Eurer Zuneigung behaupten soll. Aber Vater, wir vergessen die Frage, welche wir Vetter Jack vorlegen wollten.«

»Richtig, meine Liebe. John, deine Mutter war eine Assheton?«

»Zuverlässig, Ned. Aber hoffentlich wirst du zu dieser Tageszeit keine Studien über meinen Stammbaum anstellen wollen?«

»Es ist unser sehnlichster Wunsch, zwischen dir und Paul eine Verwandtschaft herzustellen. Läßt sich dieß nicht einleiten?«

»Ich wollte mein halbes Vermögen darum geben – natürlich unter Eva's Zustimmung – wenn es so wäre! – Welcher Grund ist vorhanden, dieß als wahrscheinlich oder auch nur als möglich anzunehmen?«

»Du weißt, daß er den Namen seines Beschützers und Adoptivvaters führt, während der seiner Familie Assheton ist.«

»Assheton?« rief der Andere in einer Weise, welche zeigte, daß er zum erstenmal diese Kunde vernahm.

»Allerdings; und da es nur eine Familie dieses Namens, der ein bischen eigenthümlich buchstabirt ist, gibt – du siehst ihn von Paul selbst geschrieben auf dieser Karte – so haben wir geglaubt, er müsse zu deiner Verwandtschaft gehören. Hoffentlich täuschen wir uns nicht in dieser Erwartung.«

»Assheton! – Es ist, wie du sagst, ein ungewöhnlicher Name, und meines Wissens gibt es nur eine einzige Familie in diesem Lande, welche ihn führt. Sollte es möglich sein, daß Powis wirklich ein Assheton ist?«

»Ohne allen Zweifel,« rief Eva hastig. »Wir haben es aus seinem eigenen Munde. Sein Vater war ein Assheton und seine Mutter eine –«

»Was für eine?« fragte John Effingham, mit einem Ungestüm, welche seine Gefährten betroffen machte.

»Dieß ist mehr, als ich Euch sagen kann, denn er hat den Familiennamen seiner Mutter nicht berührt. Da sie übrigens eine Schwester der Lady Dunluce, der Gattin des Generals Doucie und der Mutter unseres Gastes ist, so muß sie wahrscheinlich Dunluce geheißen haben.«

»Ich erinnere mich keines Verwandten, der eine solche Ehe eingegangen hätte oder eingehen konnte, und doch bin ich persönlich aufs Genaueste mit jedem Assheton des Landes bekannt.«

Mr. Effingham und seine Tochter sahen sich gegenseitig an, denn sie fühlten sich schmerzlich durch die Thatsache betroffen, daß es nun doch auch Assheton's von einer andern Familie geben mußte.

»Wenn dieser Name nicht so eigenthümlich buchstabirt wäre,« sagte Mr. Effingham, »so könnte ich glauben, daß es Assheton's gebe, von denen ich nichts weiß; es ist übrigens nicht wohl anzunehmen, daß solche Personen von achtbarer Familie vorhanden wären, ohne daß wir je etwas von ihnen gehört hätten, um so weniger, da Powis sagt, seine Verwandten seien aus den mittleren Staaten –«

»Und hat seine Mutter wirklich Dunluce geheißen?« fragte John Effingham dringend, denn auch er schien sehnlichst zu wünschen, daß sich zwischen ihm und Paul eine Verwandtschaft entdecken lasse.

»Ich glaube nicht, Vater, daß er dieß sagte, obschon es sehr wahrscheinlich ist. Der Titel seiner Tante rührt von einer alten Baronie her, und diese werden gewöhnlich die Familiennamen.«

»Hierin müßt Ihr wohl im Irrthume sein, Eva; denn er sprach davon, das Recht rühre von der Mutter seiner Mutter her, die eine Engländerin war.«

»Aber warum schicken wir nicht nach ihm, um ihm die Frage vorzulegen?« versetzte der einfache Mr. Effingham. »Außer der Freude, ihn zum eigenen Sohn zu haben, kann mir nichts mehr Vergnügen machen, John, als wenn ich erfahre, daß er ein gesetzliches Anrecht an das besitzt, was, wie ich weiß, du für ihn gethan hast.«

»Dieß ist unmöglich,« entgegnete John Effingham. »Ich bin ein einziges Kind, und was meine Geschwisterkinder von mütterlicher Seite betrifft, so gibt es deren so viele, welche in gleichem Verwandtschaftsgrade zu mir stehen, daß keines ausschließlich ein Notherbe von mir sein kann. Außerdem bin ich ein Effingham, und da mein Vermögen von den Effingham's abstammt, so soll es auch auf diese Familie übergehen, allen Assheton's in ganz Amerika zum Trotz.

»Paul Powis mit eingeschlossen?« rief Eva, vorwurfsvoll einen Finger erhebend.

»Richtig – diesem habe ich ein Legat ausgesetzt; aber es gilt einem Powis, nicht einem Assheton.«

»Und doch erklärt er sich selbst für einen gesetzlichen Assheton, nicht aber für einen Powis.«

»Sprecht nicht mehr davon, Eva – es ist mir unangenehm. Ich hasse den Namen Assheton, obschon er der meiner Mutter war, und möchte wünschen, daß ich ihn nie wieder hörte.«

Eva und ihr Vater schwiegen, denn ihr sonst so stolzer und gefaßter Verwandter sprach mit unterdrückter Erregung, und es war deutlich, daß er, in Folge irgend einer geheimen Ursache, sogar mehr fühle, als er kund gab. Der Gedanke, es könnte irgend etwas mit Paul in Verbindung stehen, was ihm die Abneigung eines so theuern Verwandten, wie John war, zuziehen mußte, wurde unserer Heldin ungemein peinlich, und sie bedauerte, den Gegenstand überhaupt angezogen zu haben. Anders verhielt sich's mit ihrem Vater. In seinem einfachen biederen Sinne war Mr. Effingham mit völligem Rechte der Meinung, daß Geheimnisse in einer Familie zu nichts Gutem führen könnten, und er wiederholte seinen Vorschlag, nach Paul zu schicken, um die Sache auf diese Weise aufklären zu lassen.

»Du bist zu vernünftig, Jack,« schloß er, »um dein Rechtsgefühl durch einen Widerwillen gegen den Namen, welchen deine Mutter führte, schwächen zu lassen. Ich weiß zwar, daß sich gegen deine Erbansprüche an das Vermögen meiner Tante einige unangenehme Fragen knüpften; aber alles dieß wurde schon vor zwanzig Jahren zu deinen Gunsten ausgeglichen, und ich hätte gedacht, daß du jetzt vollkommen befriedigt seiest.«

»Leider sind Familienhändel stets die bittersten und lassen sich in der Regel am wenigsten vergleichen,« entgegnete John Effingham ausweichend. »Ich wünschte, dieser junge Mann führte lieber jeden anderen Namen, als den der Assheton's, denn es müßte mir schmerzlich werden, Zeuge zu sein, wie Eva am Altar einem Gatten Treue gelobt, an dessen Namen ein Fluch haftet.«

»Wenn dieß je geschehen sollte, lieber Vetter John, so gilt mein Gelübde dem Manne und nicht seinem Namen.«

»Nein, nein, – er muß die Benennung Powis beibehalten, denn diese ist's, welcher er so viel Ehre gemacht hat und unter der wir Alle ihn lieben lernten.«

»Dieß ist sehr sonderbar, Jack, von einem Manne, der doch sonst so verständig ist, wie du. Ich muß wieder auf meinen Vorschlag zurückkommen, nach Paul zu schicken, und in dieser Weise genau zu ermitteln, welchem Zweige von der dir so verhaßten Familie er angehört.«

»Nein, Vater – wenn Ihr mich liebt, so unterlaßt dieß vorderhand!« rief Eva, die Hand desselben zurückhaltend, als sie eben nach der Klingelschnur greifen wollte. »Es gewänne den Anschein, als hegten wir Mißtrauen – ja, es wäre sogar grausam, wenn wir so bald schon in derartige Fragen eingehen wollten. Powis könnte glauben, wir schlügen seine Familie höher an, als ihn selbst.«

»Eva hat recht, Ned; aber ich werde mich nicht schlafen legen, ohne Alles erfahren zu haben. Die Papiere, welche der arme Monday hinterließ, sind noch nicht völlig untersucht, und ich will diesen Umstand benützen, um Paul zu mir zu berufen. Es bietet sich dann wohl eine Gelegenheit, seine eigene Geschichte wieder aufzunehmen, denn dasselbe Geschäft gab Anlaß, daß er zum erstenmal offen gegen mich über sich selbst sprach.«

»Thut dieß, Vetter Jack, und zwar ohne Zögerung,« entgegnete Eva angelegentlich. Ich kann Euch Powis unbekümmert vertrauen, da ich weiß, wie sehr Ihr ihn von Herzen achtet und schätzt. Es ist bereits zehn Uhr.«

»Ich finde es übrigens natürlich, daß er wünschen dürfte, einen Abend, wie der heutige, ganz anders zu schließen, als mit einer Prüfung von Mr. Monday's Papieren,« entgegnete John, und das Lächeln, mit welchem er sprach, verscheuchte die Miene kalter Abneigung, die in der letzten Zeit seine edlen Züge verdüstert hatte.

»Nein, heute nicht mehr,« antwortete Eva erröthend. »Ich habe für einen Tag genug Schwäche kund gegeben; morgen meinetwegen, wenn Ihr wollt – oder wenn er will – nur nicht heute. Ich werde mich mit Mrs. Hawker, die sich bereits über Ermüdung beklagt, zurückziehen, und Ihr beschickt ohne weitere Zögerung Powis nach Eurem eigenen Zimmer.«

Eva küßte John Effingham schmeichelnd, und deutete, als sie gemeinschaftlich die Bibliothek verließen, auf die Thüre, welche zu dessen Gelassen führte. Ihr Vetter willfahrte lachend, und sobald er auf seinem Zimmer angelangt war, ließ er Paul zu sich bescheiden.

»Jetzt kann ich Euch in der That einen Verwandten nennen,« begann John Effingham, indem er sich erhob, um den jungen Mann mit ausgestreckten Händen und in der gewinnendsten Weise willkommen zu heißen. »Eva's Freimüthigkeit und Eure eigene gute Wahl haben uns in der That sehr glücklich gemacht.«

»Wenn etwas die Wonne, von Miß Effingham nicht verschmäht zu werden, erhöhen könnte,« entgegnete Paul, der sich Mühe gab, seine Gefühle zu beherrschen, »so wäre es die Art, wie ihr Vater und Ihr selbst die Erklärung eines unbedeutenden Mannes aufgenommen haben.«

»Na, wir wollen nicht mehr davon sprechen; denn ich sah gleich anfangs, auf was die Dinge abzielten. Mein gerades Verfahren öffnete Templemore die Augen über die Unmöglichkeit, je seinen Zweck zu erreichen, und so wurde ich das Mittel, ihm den Schmerz eines gebrochenen Herzens zu ersparen.«

»Oh, Mr. Effingham, Templemore hat Eva Effingham nie geliebt. Einmal kam es mir allerdings vor, als gebe er einer Leidenschaft für sie Raum, und er glaubte es selbst auch; aber sie kann keine Liebe gewesen sein, wie die meinige.«

»Der Unterschied lag allerdings in dem wesentlichen Umstande der Erwiederung, welcher an sich ein bedeutendes Moment bildet, sofern die Dauer in Frage kömmt. Templemore wußte nicht genau den Grund, warum er Eva vorzog; aber da ich so viel von der Gesellschaft gesehen habe, in welcher er lebte, so konnte ich ihn eher entdecken. An gewählte Künstelei gewöhnt, gefiel ihm die seltene Vereinigung von Bildung und Natur, denn der Engländer sieht letztere nicht oft ohne Gemeinheit, und wenn er sie noch obendrein durch hohen Geist und feines Benehmen gemildert sieht, übt sie gewöhnlich einen großen Zauber auf die blasés

»Er kann von Glück sagen, daß er so schnell einen Ersatz für Eva Effingham gefunden hat.«

»Auch dieser Wechsel ist nicht unnatürlich. Erstlich benahm ich ihm mit dieser meiner eigenen wahrheitsliebenden Zunge alle Hoffnungen, ehe er sich durch eine Erklärung blosgab, und dann besitzt Grace van Courtlandt dieselbe natürliche Anziehungskraft, wie ihre Muhme. Außerdem zeichnet sich Templemore, der zwar ein gebildeter, braver und ehrenwerther Mann ist, nicht durch besondere Eigenschaften aus; er wird daher so glücklich sein, als ein Engländer seiner Klasse werden kann, und darf auch mit Recht nicht mehr erwarten. Ich habe übrigens nicht nach Euch geschickt, um von Liebe mit Euch zu sprechen, sondern um den unseligen Folgen weiter nachzuspüren, welche die Geschichte in den Papieren des armen Mr. Monday nach sich gezogen hat. Es ist Zeit, daß wir uns dieser Pflicht entledigen. Erweist mir den Gefallen, das Etuis auf dem Toilettentisch zu öffnen; Ihr werdet darin den Schlüssel zu dem Schranke finden, in welchem ich das Pult mit den Papieren untergebracht habe.«

Paul that, wie ihm geheißen worden. Das Etuis war groß und hatte mehrere unverschlossene Fächer; als er das erste derselben öffnete, sah er darin das Miniaturportrait eines Frauenzimmers von so großer Schönheit liegen, daß sein Auge wie bezaubert daran haften blieb. Die Tracht der verschiedenen Perioden machte zwar einigen Unterschied, aber dennoch erkannte er mit dem ersten Blick die große Aehnlichkeit des Bildes mit dem Gegenstande seiner Liebe. Vor Entzücken über diese Entdeckung hingerissen, und in dem Glauben, er sehe Eva in einem Anzuge, der von ihrem gegenwärtigen nicht sehr verschieden war, da die Mode in den letzten zwanzig Jahren keine sehr auffallende Veränderung erlitten hatte, rief er:

»Dieß ist in der That ein Schatz, Mr. Effingham, und ich beneide Euch aus ganzem Herzen um den Besitz desselben. Es ist ähnlich – und doch in manchen Einzelnheiten unähnlich – über Nase und Stirne läßt es Miß Effingham kaum Gerechtigkeit wiederfahren.«

John Effingham stutzte, als er das Miniaturbild in Pauls Hand sah; er faßte sich jedoch bald wieder, lächelte über die Selbsttäuschung seines jungen Freundes, und sagte gelassen:

»Es ist nicht Eva, sondern ihre Mutter. Die beiden Züge, die Ihr eben genannt habt, stammen aus meiner Familie; aber in allem Uebrigen ist die Aehnlichkeit in hohem Grade auffallend.«

»So ist dieß also Mrs. Effingham!« murmelte Paul, das Bild der Mutter seiner Geliebten mit wehmüthiger Achtung und einer Theilnahme betrachtend, welche noch erhöht wurde, da er die Geschichte dieser Frau kannte. »Sie starb jung, Sir?«

»Leider. Man kann kaum sagen, daß sie zu früh ein Engel wurde, denn sie ist stets ein Engel gewesen.«

Er sprach dieß mit einer Erregung, welche Paul nicht entging und ihn sehr überraschte. Es waren noch sechs oder sieben Portrait-Futterale in dem offenen Fache, und da er glaubte, das oberste gehöre zu dem Bilde, das er in der Hand hielt, so nahm er es auf und öffnete mit einer Art frommer Ehrfurcht den Deckel, um das Portrait von Eva's Mutter hineinzulegen. Statt aber ein leeres Futteral zu finden, traf sein Auge auf ein anderes Miniaturbild, und ein Ausruf freudiger Ueberraschung entglitt den Lippen des jungen Mannes.

»Was Euch so in Entzücken versetzt, muß wohl das Bild meiner Großmutter sein,« sagte John Effingham lachend. »Ich verglich es gestern mit Eva's Portrait, welches Ihr irgendwo da drinnen in dem Juften-Etuis finden werdet. Eure Bewunderung fällt mir übrigens nicht auf, denn sie galt in ihren Tagen als eine Schönheit, und keine Frau ist thöricht genug, sich malen zu lassen, nachdem sie häßlich geworden ist.«

»Nicht doch, nicht doch, Mr. Effingham, dieß ist das Portrait, welches ich in dem Montauk verlor und von dem ich glaubte, es sei eine Beute der Beduinen geworden. Ohne Zweifel hat es seinen Weg in Euer Passagiergemach gefunden, und ist aus Versehen durch Euern Diener unter Eure Effekten verpackt worden. Es hat für mich einen sehr hohen Werth, da es fast das einzige Andenken ist, das ich von meiner Mutter besitze.«

»Von Eurer Mutter?« rief John Effingham, sich unwillkürlich erhebend. »Da muß wohl ein Irrthum obwalten, denn ich habe erst heute Morgen alle diese Bilder gemustert, und es ist das erstemal seit unserer Ankunft von Europa, daß ich das Schubfach öffnete. Unmöglich kann es das von Euch vermißte Bild sein.«

»O gewiß; hierin kann ich mich nicht täuschen.«

»Es wäre in der That doch sonderbar, wenn eine meiner Großmütter – denn beide dieser frommen Damen sind hier – sich als Eure Mutter ausweisen sollte. Powis, wollt' Ihr die Güte haben, mich das Bild, das Ihr meint, sehen zu lassen?«

Paul brachte das Portrait, holte ein Licht herbei, und rückte beides vor seinen Freund hin.

»Dieß« – rief John Effingham, und seine Stimme klang erstickt und unnatürlich in die Ohren des Zuhörers – »dieses Bild also hat Aehnlichkeit mit Eurer Mutter?«

»Es ist ihr Portrait – dasselbe Portrait, welches mir von den Pflegern meiner Kindheit übergeben wurde. Ich kann mich weder in dem Gesichte, noch in dem Anzug täuschen.«

»Und Euer Vater hieß Assheton?«

»Allerdings; John Assheton, von den Assheton's aus Pennsylvanien.«

John Effingham ächzte laut. Paul trat gleichfalls erschüttert und überrascht einen Schritt zurück und sah jetzt, daß das Gesicht seines Freundes leichenblaß geworden war, während die Hand, mit welcher er das Gemälde hielt, wie ein Espenlaub zitterte.

»Ihr seid unwohl, theurer Mr. Effingham!«

»Nein, nein, es ist nicht möglich! Diese Dame hatte nie ein Kind. Powis, Ihr laßt Euch durch irgend eine vermeintliche oder wirkliche Aehnlichkeit täuschen. Dieses Portrait gehört mir und ist schon an fünfundzwanzig Jahre in meinem Besitze.«

»Verzeiht, Sir, es ist das Bild meiner Mutter und kein anderes – das Portrait, welches ich in dem Montauk verlor.«

John Effingham warf einen gespenstischen Blick auf den jungen Mann, und Paul war eben im Begriff, die Klingel zu ziehen, als ihn noch zu rechter Zeit eine Geberde seines Gefährten daran hinderte.

»Seht her!« sagte Effingham mit heiserer Stimme. Er berührte eine Feder in der Fassung, und das Aufspringen eines Deckels ließ die aus Haaren gefertigten Anfangsbuchstaben zweier Namen erkennen. »Ist dieß auch Euer?«

Pauls Miene nahm den Ausdruck der Ueberraschung und getäuschter Hoffnung an.

»Dieß bereinigt allerdings die Frage, denn mein Portrait hatte keine derartige Beigabe. Gleichwohl lebe ich der festen Ueberzeugung, daß diese süßen, sinnigen Züge dem Antlitz meiner lieben Mutter und Niemand anders angehören.«

John Effingham gab sich alle Mühe, sich zu fassen, legte die Bilder wieder in das Fach, nahm den Schlüssel heraus und öffnete den Schrank, in welchem sich das Pult befand. Paul besaß den Schlüssel dazu, weßhalb er ihn zu öffnen aufforderte, und sich dann in einen Stuhl warf; aber Alles dieß geschah mechanisch, als ob fast aller Zusammenhang zwischen seinem Geist und Körper gelöst wäre.

»Irgend eine zufällige Aehnlichkeit in dem Portrait hat Euch getäuscht,« sagte er, während Paul sich nach der betreffenden Nummer in Mr. Monday's Briefen umsah. »Nein, nein, unmöglich kann dieß das Bild Eurer Mutter sein. Sie hinterließ kein Kind. Assheton, sagt Ihr, war der Name Eures Vaters?«

»Assheton – John Assheton – in dieser Beziehung wenigstens kann keine Täuschung obwalten. Dieß ist die Nummer, mit welcher wir abgebrochen haben – wollt Ihr lesen, Sir, oder soll ich's thun?«

Der Andere bedeutete Paul durch ein Zeichen, daß er lesen möchte, denn man sah ihm wohl an, daß er außer Stande war, sich dieser Obliegenheit selbst zu entledigen.

»Dieß ist ein Brief von dem Weibe, welches, wie es scheint, das Kind dem Manne Dowse bringen sollte,« sagte Paul zuerst mit seinen Blicken das Blatt überfliegend. »Er enthält nicht viel Anderes als Geschwätz – ha! – was sehe ich hier!«

John Effingham richtete sich plötzlich in seinem Stuhle auf und sah Paul an, wie ein Mensch, der irgend eine außerordentliche Enthüllung erwartet, ohne jedoch über die Art derselben eine Ahnung zu haben.

»Dieß ist eine auffallende Stelle,« fuhr Paul fort, »und zwar so, daß sie wohl einer Aufklärung bedarf. › Ich habe das Kind mit mir genommen, als ich das Bild von dem Juwelier holte, der den Ring daran ausbesserte; der kleine Knirps erkannte es auf den ersten Blick!‹«

»Was liegt hierin Merkwürdiges? Außer Euch haben auch noch Andere Portraits gehabt, und dieses Kind kannte das seinige besser, als Ihr.«

»Mr. Effingham, etwas Aehnliches ist mir selbst begegnet! Es ist eines von jenen frühen Ereignissen, die ich stets in lebhafter Erinnerung behalten habe. Obgleich ich damals nur ein kleines Kind war, entsinne ich mich doch noch, wie ich in ähnlicher Weise zu einem Juwelier genommen wurde, und wie ich mich freute, daß ich das Bild meiner Mutter wieder erhielt, nachdem ich es einen oder zwei Monate nicht mehr gesehen hatte. Es war dasselbe, welches jetzt verloren ist.«

»Paul Blunt – Powis – Assheton!« rief John Effingham in so heiseren Lauten, daß man ihn kaum verstehen konnte – »bleibt einige Minuten hier – ich komme bald wieder.«

John Effingham stand auf, und nur mit großer Mühe gelang es ihm, die Thüre zu erreichen, obschon er mit Festigkeit den Beistand Pauls zurückwies, der nicht wußte, was er sich unter der großen Aufregung eines Mannes, welcher doch sonst so ruhig und gefaßt war, denken sollte. Sobald John Effingham das Zimmer verlassen hatte, fühlte er sich wieder besser; er begab sich nach der Bibliothek, wohin ihn sein Diener begleitete, welchen er aufgefordert hatte, mit dem Lichte voranzugehen.

»Ersucht Kapitän Doucie, mir für einen Augenblick die Ehre seiner Gesellschaft zu schenken,« sagte er dann, indem er dem Diener winkte, sich zu entfernen. »Ich bedarf Eurer nicht länger.«

Nach einer Minute hatte sich Kapitän Doucie in dem Gemache eingefunden. Der Offizier war sehr betroffen über das blasse Aussehen und die allgemeine Aufregung des Mannes, welcher ihn herbeschieden hatte, und drückte seine Besorgniß aus, er möchte plötzlich krank geworden sein. Eine Handbewegung des Anderen hinderte ihn jedoch, nach der Klingelschnur zu greifen, und er erwartete in stummem Staunen den Auftritt, zu dem er so unerwartet berufen worden war.

»Ein Glas von jenem Wasser, wenn ich bitten darf, Kapitän Doucie,« sagte John Effingham, indem er sich Mühe gab, dieses Gesuch mit einem höflichen Lächeln zu begleiten, obschon sich sein Gesicht unter der Anstrengung nur noch gespenstischer ausnahm. Durch das Getränk einigermaßen gekräftigt, fuhr er mit mehr Festigkeit fort:

»Ihr seid ein Vetter von Powis, Kapitän Doucie?«

»Wir sind Schwesterkinder, Sir.«

»Und Eure Mutter ist –«

»Lady Dunluce – eine Peerin vermöge ihres eigenen Rechtes.«

»Aber – wie – Ihr Familienname?«

»Ihr Familienname hat sich in dem meines Vaters verloren; die Doucies sind eine so alte und ehrenwerthe Familie, wie die, von welcher meine Mutter ihren Rang erbte. In der That ist die Baronie Dunluce in Folge ihrer Verpflanzung in weiblicher Linie durch so viele Namen gegangen, daß ich glaube, man kann nicht wohl beabsichtigen, die ursprüngliche Familienbenennung wieder in's Leben zu rufen.«

»Ihr mißversteht mich – Eure Mutter, als sie heirathete, war eine –«

»Miß Warrender.«

»Ich danke Euch, Sir, und will Euch nicht länger bemühen,« erwiederte John Effingham, indem er sich aufrichtete und zum zweiten Mal seine Worte mit einer Verbeugung zu begleiten suchte. »Ich habe Euch sehr plötzlich gestört – in ungereimter Weise, fürchte ich; – Euren Arm –«

Kapitän Doucie trat hastig herzu, und kam eben noch in rechter Zeit, um den Anderen mit seinen Armen aufzufangen, da dieser sonst besinnungslos zu Boden gestürzt wäre.


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