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Fünftes Kapitel.

So kehrt heraus an Jedem sie das Schlechte
Und läßt der Wahrheit und der Tugend nie,
Was durch Verdienst und schlichten Sinn gewonnen.

 

Viel Lärm um Nichts.

 

Mrs. Houston war, was man in New-York eine fashionable Frau nannte. Auch sie stammte aus einer Familie, die sich seit lange eines guten Rufs erfreute, obschon dieser nicht in so frühe Zeit hinauf reichte, wie der von Mr. Hawkers Vorfahren. Gleichwohl fanden ihre Ansprüche selbst bei Denen, die in derartigen Dingen sehr streng sind, Anerkennung, denn es gibt noch immer einige Personen, welche glauben, daß die Abkunft ein unerläßliches Erforderniß der Gentilität sei. Da sie sehr reich war und an Geschmack vielleicht die Meisten ihrer Umgebung übertraf, so machte sie ein Haus, das in Betreff des Tons sogar in den höchsten Zirkeln sich eines guten Rufs erfreute. Eva kannte die Dame nur wenig, aber in Grace's Augen mußte wohl die Gesellschaft, die man dort fand, vorzugsweise einen günstigen Eindruck auf ihre Muhme machen. Daß dieß wirklich der Fall sein möchte, war ihr lebhaftester Wunsch, weßhalb sie auch, als man an der Thüre anfuhr, sich nicht enthalten konnte, Eva auf das, was ihr bevorstand, vorzubereiten.

»Obgleich Mrs. Houston für New-York ein sehr großes Haus macht und in einem entsprechenden Style lebt,« begann sie, »so darfst du doch keine Vorzimmer und lange Gemächerreihen erwarten, Eva, wie du dieß wohl im Ausland zu sehen gewöhnt warst.«

»Man braucht nicht erst in ein Haus einzutreten, liebe Grace, um, wenn es vorn heraus vier oder fünf Fenster hat, zu sehen, daß es unmöglich zwanzig oder dreißig haben kann. Es wäre sehr unvernünftig, in dieser guten Stadt auf einen italienischen Palast oder auf ein Pariser Hotel zu rechnen.«

»Wir sind dafür noch nicht alt genug, Eva. Noch ein hundert Jährchen, Mademoiselle Viefville, und dergleichen Dinge werden sich auch hier vorfinden.«

» Bien sûr. C'est naturel.«

»Je nachdem es in der Welt geht, Grace, werden sie vielleicht nach hundert Jahren nirgends mehr existiren, wenn wir etwa Wirthshäuser, Hospitäler oder Fabriken ausnehmen. Aber was kümmern wir uns um das, was hundert Jahr vor uns liegt, Mühmchen? So jung wir auch Beide sind, dürfen wir doch nicht hoffen, es zu erleben.«

Es wäre wohl Grace nicht leicht geworden, sich selbst befriedigend den Grund zu erklären, warum sie ein so lebhaftes Verlangen fühlte, daß ihre beiden Begleiterinnen kein Haus erwarten möchten, welches, wie ihnen ihre eigenen Sinne sagten, in der Stadt nirgends zu finden war. Sie scharrte indeß ungeduldig mit den Füßen auf dem Boden des Wagens. denn sie war mit der Erwiederung ihrer Verwandten nicht halb zufrieden.

»Ich will nur sagen, Eva,« nahm sie nach einer Pause wieder auf, »daß man in einer so neuen Stadt, wie die unserige ist, nicht die Verbesserungen erwarten kann, die man unter einem gesellschaftlichen Zustand von längerem Bestand findet.«

»Und sind wir Beide, Mademoiselle Viefville und ich, je so schwach gewesen, zu glauben, daß New-York ein Paris, ein Rom oder ein Wien sei?«

Grace wurde noch ärgerlicher, denn unwillkürlich hatte sie gehofft, Mrs. Houstons Ball werde keinem in irgend einer dieser alten Hauptstädte nachstehen; es verdroß sie daher um so mehr, als sie bemerkte, wie ihre Muhme es für so ganz natürlich nahm, daß sie nichts dergleichen zu erwarten habe. Die Zeit reichte jedoch nicht zu weiteren Erklärungen, da der Wagen eben Halt machte.

Der Lärm und das Getümmel, das Schreien, Fluchen und rohe Poltern vor der Thüre der Ballgeberin sprach wenig zu Gunsten einer in dieser Hinsicht geeigneten Vorsorge. Kutscher sind nirgends ein besonders schweigsamer und höflicher Schlag; aber die ungeschlachten europäischen Bauern, die in New-York zu der Ehre der Peitschenführung befördert worden waren, machten der Wahrheit des Sprichworts von dem »Bettler auf dem Rosse« um so mehr Ehre, da im gegenwärtigen Falle auch noch der dem Handwerk eigenthümliche Wettstreit des Vorfahrens mit in Rechnung kam. Die zierlichen Equipagen unserer Gesellschaft übten jedoch auf die meisten dieser rohen Schreier jenen Eindruck, den bekanntlich die Schaustellung von Reichthum in der Regel auf den gemeinen Sinn übt, und die Damen gelangten, indem sie den Chevaux de Frise von Peitschen ein wenig auswichen, ohne Gefährde durch eine Gasse von Kutschern.

»Man weiß kaum, was schrecklicher ist,« sagte Eva unwillkürlich, sobald sich die Thüre hinter ihnen geschlossen hatte – »der Lärm von innen, oder der von außen.«

Sie äußerte dieß hastig und in französischer Sprache gegen Mademoiselle Viefville; aber Grace hörte und verstand es, und zum ersten Mal in ihrem Leben machte sie jetzt die Bemerkung, daß Mrs. Houstons Gesellschaft allerdings nicht aus Nachtigallen bestand. Es war dabei nur zu verwundern, daß die Entdeckung so spät kam.

»Ich freue mich, in dieses Haus gekommen zu sein,« sagte Sir George, der, nachdem er den Mantel seinem Diener zugeworfen hatte, mit den beiden andern Gentlemen wartend dastand, bis die Damen aus dem oberen Zimmer zurückkamen, wo sie der schlechten Anordnung des Hauses zufolge ihre Mäntel und Shawls ablegen mußten, »da es dem Vernehmen nach das beste in der Stadt ist, in welchem man die schöne Welt sehen kann.«

» Hören wäre vielleicht ein passenderer Ausdruck,« entgegnete John Effingham in seiner trockenen Weise. »Was hübsche Frauen betrifft, so kann man in New-York kaum irgendwo fehl gehen; aber einer von Euren Sinnen wird Euch sagen, daß sie nicht in die Welt gekommen sind, um sich blos sehen zu lassen.«

Der Baronet lächelte, besaß aber zu viel feine Bildung, um sich eine Aeußerung für oder wider zu erlauben. Mademoiselle Viefville trat, sobald sie heruntergekommen war, ohne entfernt an eine Anstandsverletzung zu denken, allein in das Zimmer, und Eva folgte ihr; Grace aber schmiegte sich an John Effinghams Seite und nahm dessen Arm, weil sie dieß für einen Schritt hielt, der zu Wahrung der Schicklichkeit unerläßlich war.

Mrs. Houston empfing ihre Gäste mit Ruhe und Würde. Sie war eine von den Frauen, welche der Amerikaner »Weltdamen« nennt – d. h. mit andern Worten, sie öffnete während der Wintersaison 10- oder 12mal ihr Haus einer sehr gemischten Gesellschaft und nahm den größeren Theil der Einladungen an, die sie von anderen Leuten erhielt. Gleichwohl hätte sie als Modedame in den meisten andern Ländern für ein Muster einer treuen Gattin- und Muttersorge gegolten, denn sie stand persönlich ihrer Wirthschaft vor und hatte sogar alle ihre Kinder selbst das Vaterunser, den Glauben und die zehn Gebote hersagen gelehrt. Sie besuchte jeden Sonntag zweimal die Kirche und blieb während des Nachmittags-Gottesdienstes zu Haus, nur damit ihre Dienstboten Gelegenheit hatten, an ihrer Statt den Pflichten der Andacht nachzukommen, obschon, beiläufig bemerkt, Letzteres nie geschah. Eine Freundin der Geselligkeit, von Natur aus wohlwollenden Herzens, hübsch, reich und gebildet, fand Mrs. Houston kein Hinderniß von Seite ihres nachsichtigen Gatten, der so gerne frohe Gesichter um sich sah, daß er es mit den dazu erforderlichen Mitteln durchaus nicht genau nahm; und so war es denn der Dame durchaus nicht schwer geworden, sich zu dem Gipfel der Modewelt zu erheben und ihren Namen in den Mund aller Derer zu bringen, die es nöthig hielten, von Jemand zu sprechen, damit man sie selbst auch für etwas Rechtes halten möge. Mrs. Houston fühlte sich hierin glücklich, oder glaubte wenigstens glücklich zu sein; und da jede Leidenschaft bekanntermaßen sich steigert, wenn man ihr Raum gibt, so war sie unwillkürlich auf ihrer vielbeneideten Laufbahn fortgewandelt, bis sie, wie eben gesagt wurde, die höchste Stuft erreicht hatte.

»Diese Gemächer sind sehr überfüllt,« bemerkte Sir George, seine Blicke durch die zwei sehr kleinen, aber schön, um nicht zu sagen reich möblirten Besuchzimmer gleiten lassend. »Es ist überraschend, daß in einer sich so schnell vergrößernden Stadt, wo der hohe Ton noch nicht Wurzel gefaßt hat und Land im Ueberfluß vorhanden ist, allgemein so beengend gebaut wird.«

»Mrs. Bloomfield würde Euch sagen,« versetzte Eva, »daß diese Häuser charakteristisch seien für den gesellschaftlichen Zustand eines Landes, in welchem es Niemand gestattet ist, mehr als einen angemessenen Theil Bodens einzunehmen.«

»Es gibt aber hier doch ziemlich große Wohnungen. Die der Mrs. Hawker ist ansehnlich genug, und die Eures Vaters z. B. würde sogar in London für groß gelten. Dennoch werdet Ihr mit mir einverstanden sein, wenn ich sage, daß man ein eigentlich gutes Zimmer fast nirgends in New-York zu sehen kriegt.«

»In diesem Punkte bin ich allerdings Eurer Ansicht. Um einen bequemen Raum zu finden, muß man in die Häuser gehen, die vor 30 Jahren gebaut wurden. Dieser knappe Styl ist übrigens nur ein Erbstück, denn London kann mit seinen Häusern auch nicht sonderlich groß thun.«

»Was die Stadtwohnungen betrifft, so habt Ihr im Allgemeinen vollkommen Recht, obschon ich Euch manche sehenswerthe Ausnahme aufzählen könnte. Jedenfalls glaube ich übrigens nicht, daß wir uns ganz so zusammendrängen lassen. Kömmt es Euch nicht gleichfalls vor, als werde der Lärm durch die Raumbeschränkung sehr gesteigert?«

Eva lachte und schüttelte mit größter Bestimmtheit den Kopf.

»Was würde er erst sein, wenn er sich besser ausbreiten könnte?« versetzte sie. »Wir dürfen übrigens die kostbaren Augenblicke nicht verlieren, sondern müssen unsere Augen spazieren gehen lassen, um die Belles aufzusuchen. Grace, da du dich schon so viel hier umgetrieben hast, so mußt du unser Cicerone sein und uns sagen, welche Idole wir anzubeten haben.«

» Dites-moi, premièrement, que veut dire une belle à New-York?« fragte Mademoiselle Viefville. » Apparemment tout le monde est jolie.«

»Eine Belle, Mademoiselle,« entgegnete John Effingham, »braucht nicht eben schön zu sein, und um zu diesem Rufe zu kommen, bedarf man verschiedener Eigenschaften, die ein wenig mit einander im Widerspruch stehen. Man kann durch Geld, durch die Zunge, durch das Auge, durch einen Fuß, durch Zähne oder durch was immer für einen einzelnen anmuthigen Zug zu einer Belle werden, obschon, wie ich glaube, nie der Kopf in jedem Sinn des Worts als Postulat aufgestellt wurde. Aber warum sich mit Schilderungen aufhalten, wenn man sich durch seine eigenen Sinne überzeugen kann? Die junge Dame, die unmittelbar vor uns steht, ist eine Belle Glocke. vom beliebtesten Stempel und von silberhellem Tone. Ist es nicht Miß Ring, Grace?«

Die Antwort lautete bejahend, und die Augen unsrer kleinen Gruppe wandten sich dem Gegenstande dieser Bemerkung zu. Die fragliche junge Dame war ungefähr zwanzig, etwas hochgewachsen für eine Amerikanerin und nicht besonders schön, aber wie die meisten Mädchen ihrer Umgebung von zartem Bau und Antlitz; überhaupt hätte ihre Außenseite unter einer geeigneten Ausbildung zu einem beau idéal weiblicher Zartheit werden können. Aus ihren klaren blauen Augen konnte man entnehmen, daß es ihr nicht an natürlichem Verstand fehlte, und außerdem besaß sie den Muth, eine Belle zu sein.

Um dieses Mädchen hatten sich nicht weniger als fünf aufs Modernste gekleidete Jünglinge geschaart, welche insgesammt von den Worten, die von ihren Lippen fielen, entzückt zu sein schienen und sichtlich bemüht waren, stets etwas Geistreiches darauf zu erwiedern. Sie lachten durcheinander und die Dame am meisten; bisweilen sprachen Alle zumal. Aber ungeachtet dieses Ausbruchs führte doch Miß Ring hauptsächlich das Wort, und ein oder zweimal, wenn einer von den jungen Männern nach einer sehr befriedigenden Schaustellung von Heiterkeit zu gähnen begann und eine Neigung zum Rückzuge verrieth, wußte sie ihn geschickt durch irgend eine Bemerkung, welche insbesondere auf ihn oder seine Gefühle paßte, zur Pflicht zurückzurufen.

» Qui est cette dame?« fragte Mademoiselle Viefville fast in einem Tone, wie man sich dessen bedient, wenn man einen Menschen während des Gottesdienstes mit den Hut auf dem Kopfe in eine Kirche treten sieht.

» Elle est demoiselle,« entgegnete Eva.

» Quelle horreur!«

»Ei Mademoiselle, Ihr dürft mir in diesem Punkte Frankreich durchaus nicht als makellos darstellen,« sagte John Effingham, die Französin mit einem erkünstelten Stirnrunzeln anblickend. »Ein Mädchen kann wohl mit einem jungen Herrn sprechen, ohne sich einer Todsünde schuldig zu machen, obschon ich zugeben will, daß fünf Zungen unnöthig und fünf Zuhörer mehr als hinreichend sind für die Weisheit sogar von 20 Schürzen.«

» C'est une horreur.«

»Miß Ring würde es wohl für eine noch größere horreur halten, wenn sie einen Abend unter einer Reihe von Mädchen unangeredet zubringen müßte und höchstens zu einem Tanze aufgefordert oder blos aus der Ferne bewundert würde. Doch setzen wir uns auf diesen Sopha; wir kommen dadurch der Pantomime näher und können auch an dem Geist der Scene Theil nehmen.«

Grace und Eva wurden jetzt zum Tanze geholt, und Sir Georg sowohl, als Demoiselle Viefville folgten John Effingham's Aufforderung. In den Augen der Belle und ihrer Bewunderer kamen Diejenigen, welche das Dreißigste zurückgelegt hatten, nicht in Rechnung, und es gelang unseren Lauschern, in Hörweite, die fast auch die Duellweite war, unbemerkt und ohne die regelmäßige Handlung des Stücks zu unterbrechen, Platz zu finden. Wir geben ein kleines Bruchstück des Dialogs, um die Scene unsern Lesern dramatischer vorzuführen.

»Kommt Euch die jüngste Miß Danvers nicht als sehr schön vor?« fragte die Belle, während ihr Auge umherglitt, um einen sechsten Gentleman heranzuziehen. »Meiner Ansicht nach ist sie unbedingt das hübscheste Mädchen von Denen, welche sich heute Abend in Mrs. Houstons Zimmern eingefunden haben.«

Die jungen Männer protestirten sammt und sonders dagegen, und zwar nicht mit vollkommenem Recht, denn Miß Ring war viel zu originell, um auf Reize aufmerksam zu machen, die Jedermann sonst sehen konnte.

»Dem Vernehmen nach soll aus ihrer Heirath mit Egbert nichts werden, obschon man bereits seit so langer Zeit die Sache für abgemacht hielt. Was haltet Ihr davon, Mr. Edson?«

Diese zeitig angebrachte Frage verhinderte den Rückzug des genannten Gentleman, der bei dieser wichtigen Entwicklung bereits so weit gekommen war, daß er der Belle gähnend den Rücken zugekehrt hatte. So aber gleichsam durch den Ton des Hornes zurückgerufen, sah er sich genöthigt, etwas zu sagen, was für ihn stets eine leidige Aufgabe war.

»Oh, ich bin ganz Eurer Ansicht. Die Werbung hat freilich zu lange gedauert, als daß man dabei ernstlich an's Heirathen hätte denken sollen.«

»Ich kann das lange Hofmachen nicht leiden, da es ein vollkommenes Gegenmittel gegen die Liebe sein muß; ist's nicht so, Mr. Moreland?«

Diese Berufung galt als Rüge eines unstät umherirrenden Blickes, und statt weiter nach einem Zufluchtsort sich umzusehen, machte Mr. Moreland blos eine verlegene Miene. Er war übrigens vollkommen mit der jungen Dame einverstanden, da er dieß als das sicherste und bequemste Mittel betrachtete, sich aus der Klemme zu ziehen.

»Sagt mir doch, Mr. Summerfield, wie Euch unser letzter Hadschi gefällt – Miß Eva Effingham? Meiner Ansicht nach ist sie ziemlich hübsch, obschon bei weitem nicht so, wie ihre Muhme Miß van Courtlandt, die in der That ein recht gutes Aussehen hat.«

Da Eva und Grace jedenfalls die zwei lieblichsten Mädchen in Mrs. Houstons Zimmern waren, so wurde Mademoiselle Viefville durch diese Aeußerung, wie durch den lauten Ton derselben eben so sehr betroffen, als die Gegenstände, welche die Belle für diese öffentliche Erörterung gewählt hatte. Sie wollte sich entfernen, um eine Unterhaltung nicht mit anhören zu müssen, die nicht für ihr Ohr berechnet war; aber John Effingham gab ihr ganz ruhig die Versicherung, Miß Ring spreche selten in Gesellschaft, ohne dabei die Absicht zu haben, von möglichst vielen Personen vernommen zu werden. Außerdem war es eben von keinem Belang, die Sitze zu wechseln, da der ganze Gang des Stücks hauptsächlich eben aus Privatansichten bestand, die in öffentlicher Weise geäußert wurden.

»Miß Effingham ist für eine einzige Tochter sehr einfach gekleidet,« fuhr die junge Dame fort, »während dagegen die Spitzen ihrer Muhme ächte Kanten sind! Ich stehe dafür, jede Elle kostet mindestens zehn Dollars. Wie ich höre, sind Beide verlobt.«

» Ciel!« rief Mademoiselle Viefville.

»Oh, dieß will noch nichts heißen,« bemerkte John Effingham gelassen. »Geduldet Euch noch einen Augenblick, und Ihr werdet hören, sie seien schon sechs Monate im Geheim verheirathet, wenn nicht gar noch etwas Schlimmeres zum Vorschein kommt.«

»Natürlich ist dieß nur ein müssiges Gerücht?« ergriff nun Sir George Templemore mit einer Theilnahme das Wort, die ihn, seiner feinen Bildung zum Trotz, nöthigte, eine Frage zu stellen, welche unter andern Umständen kaum zulässig gewesen wäre.

»So wahr wie das Evangelium. Aber hört nur auf die Glocke – sie schellt es aus zum Besten des ganzen Kirchspiels.«

»Der Handel zwischen Miß Effingham und Mr. Morpeth, der sie im Ausland kennen lernte, ist dem Vernehmen nach ganz abgebrochen. Einige wollen wissen, der Vater habe Einwendungen gegen Mr. Morpeth erhoben, weil er kein Vermögen besitze; Andere beschuldigen die Miß der Untreue, während wieder Andere dem Gentleman diesen Vorwurf machen. Haltet Ihr nicht die Treulosigkeit für etwas Abscheuliches, bei welchem Geschlechte man sie finden mag, Mr. Mosely?«

Mr. Mosely, der sich aus dem Staube machen wollte, wurde auf diese Weise wieder in den Kreis gezogen und mußte bekennen, daß er die Untreue bei beiden Geschlechtern für etwas Schreckliches halte.

»Wenn ich ein Mann wäre,« fuhr die Belle fort, »so würde ich mich nie mit einem Mädchen einlassen, das schon einmal einen Liebhaber zum Besten gehabt hat. Meiner Ansicht nach deutet dieß auf ein schlechtes Herz, und ein Mädchen mit einem schlechten Herzen kann nie eine sonderlich liebenswürdige Gattin werden.«

»Welch' ein außerordentlich geistreiches Wesen!« flüsterte Mr. Mosely seinem Nachbar Mr. Moreland zu, während er sich darein fügte, zu bleiben und sich noch eine Weile länger »unterhalten« zu lassen.

»Der arme Mr. Morpeth ist sehr zu bemitleiden, denn kein Mann kann so thöricht sein, einer Dame ernstlich seine Aufmerksamkeit zu widmen, wenn er nicht Ermuthigung findet. Ermuthigung ist beim Hofmachen das non plus ultra – seid Ihr nicht meiner Ansicht, Mr. Walworth?«

Mr. Walworth war Nummer 5 von den Unterhaltenen und verstand Lateinisch, die junge Dame aber nicht, obschon sie es liebte, hin und wieder einen Brocken einzuflechten. Er lächelte daher zustimmend, und die Belle wünschte sich Glück, ihn wirksam »unterhalten« zu haben – eine Einbildung, in der sie auch nicht allzuweit fehlgriff.

»Man erzählt sich in der That von mehreren Liebesgeschichten, in denen Miß Effingham während ihres Aufenthalts in Europa betheiligt war; sie scheint aber in allen unglücklich gewesen zu sein.«

» Mais ceci est trop fort! je ne veux plus écouter!«

»Meine theure Mademoiselle, faßt Euch, die Krisis ist noch nicht gekommen.«

»Dem Vernehmen nach correspondirt sie noch immer mit einem deutschen Baron und einem italienischen Marquis, obschon beide Verhältnisse unbedingt abgebrochen sind. Einige Leute sagen, sie gehe allein und ohne das Geleite eines Gentleman in Gesellschaft, um dadurch ihren festen Entschluß anzudeuten, daß sie für Lebenszeit unvermählt bleiben wolle.«

Die jungen Männer machten ihrer Mißbilligung durch einen gemeinsamen Ausruf Luft, und noch am nämlichen Abend erzählten drei derselben das, was sie von Miß Ring vernommen, als verbürgte Wahrheit weiter, während die beiden Andern, weil sie von nichts Besserem zu sprechen wußten, die weitere Kunde in Umlauf brachten, daß Eva verlobt sei.

»Es ist im höchsten Grade unzart, wenn eine junge Lady im Zimmer umhergeht, ohne sich auf den Arm eines Gentleman zu lehnen. Es kömmt mir immer vor, eine solche Person sei nicht an ihrem Platz und gehöre eigentlich in die Küche.«

»Aber, Miß Ring, welche wohlerzogene Person thut dieß?« sprudelte Mr. Moreland. »Wer hätte auch je von etwas der Art in guter Gesellschaft gehört?«

»Es ist wahrhaft entsetzlich! Ganz und gar beispiellos!«

»Mir kömmt es als ungemein roh vor!«

»Das liegt auf platter Hand – baurengemein,« rief Mr. Edson.

»Kann es möglicherweise etwas Ungebildeteres geben?« fügte Mr. Walworth bei.

»Von Leuten, die zum rechten Schlage gehören, habe ich nie etwas Aehnliches gehört!« schloß sich Mr. Mosely an.

»Eine junge Dame, die so frech sein kann, in ein Zimmer zu treten, ohne sich auf den Arm eines Gentleman zu stützen, hat meinem Urtheile nach im mindesten Falle nur eine sehr geringfügige Erziehung genossen, mag sie nun ein Hadschi sein oder nicht. Mr. Edson, habt Ihr je die zarte Leidenschaft empfunden? Ich weiß, Ihr seid wenigstens einmal ganz verzweifelt verliebt gewesen; schildert mir daher einige der Symptome, damit ich sie kennen möge, wenn ich selbst einmal ernstlich von der Krankheit befallen werden sollte.«

» Mais ceci est ridicule! L'enfant s'est sauvée du Charenton de New-York.«

»Aus der Kinderstube vielmehr, Mademoiselle; Ihr bemerkt, sie kann noch nicht einmal allein gehen.«

Mr. Edson betheuerte nun, daß er zu blöde sei, um eine so heftige Leidenschaft wie die der Liebe zu fühlen; er fürchte daher, von der Natur darauf angewiesen zu sein, stets so unempfindlich wie ein Block zu bleiben.

»Dieß kann man nie wissen, Mr. Edson,« entgegnete die junge Dame ermuthigend. »Mehrere meiner Bekannten, die sich für vollkommen sicher hielten, sind plötzlich befallen worden, und obgleich keiner daran starb, so kann ich Euch doch versichern, daß sie hart mitgenommen wurden.«

Die jungen Männer betheuerten nun sammt und sonders, daß sie ungemein geistreich sei. Dann folgte eine Pause, während welcher Miß Ring mit ihren Augen eine Nummer 6 einlud, sich ihrem Kreise anzuschließen, denn ihr Ehrgeiz war nicht mit 5 Unterhaltenen zufrieden, weil sie bemerken mußte, daß Miß Trumpet, eine rivalisirende Belle, gerade dieselbe Anzahl in dem anderen Gemach zusammengebracht hatte. Die Gentlemen benützten diesen Aufschub der geistvollen Unterhaltung, und Mr. Edson ersah die Gelegenheit, um gegen Mr. Summerfield zu bemerken, daß in Sevenhundreth-Street diesen Morgen Bauplätze zum Preise von je 200 Dollars verkauft worden seien.

Die Quadrille war jetzt beendigt und Eva kehrte zu ihren Freunden zurück. Als sie herankam, verglichen Letztere unwillkürlich ihre ruhige, einfache, weibliche und doch würdevolle Haltung mit den unruhigen eroberungssüchtigen und weltlichen Blicken der Belle, dabei sich nicht wenig wundernd, durch welches Gesetz der Natur oder der Mode die Eine möglicherweise der Andern Stoff zu Bekrittelungen hatte geben können. Eva hatte sich nie vortheilhafter ausgenommen, als diesen Abend. Ihr Anzug zeigte die ganze Pünktlichkeit und Vollendung einer Pariser Toilette, indem sie sich von Uebertreibung und Nachlässigkeit gleich fern hielt, und das Mädchen benahm sich darin mit der Leichtigkeit einer Person, die daran gewöhnt ist, stets elegant einherzugehen, aber doch nie sich mit Flittern zu bedecken. Sogar ihr Tritt war der einer Lady und zeigte keine Spur von dem Trippeln einer Pariser Grisette, das bisweilen sogar zu der bourgeoise hinansteigt, dem Gang guter spießbürgerlicher Jungfern und dem schwunghaften Flug einer Belle, die nur mit den Zehen den Boden berührt: mit Einem Worte, es war das natürliche, geregelte Auftreten eines zarten, wohlerzogenen Frauenzimmers, das recht wohl allein gehen konnte und es auch stets that, wenn nicht etwa irgend ein Anlaß von besonderer Förmlichkeit einen Begleiter forderte. Auch ihr Antlitz, auf dem nie ein unwürdiger Gedanke seine Spur zurückgelassen hatte, verkündigte deutlich die Reinheit, Grundsatzfülle und weibliche Selbstachtung, welche stets die Richtschnur aller ihrer Handlungen waren – lauter Einzelheiten, welche einen entschiedenen Gegensatz zu dem fieberischen, halb gezierten, halb magdartigen Gesichtsausdruck der Miß Ring bildeten.

»Mögen sie sagen, was sie wollen,« murmelte Kapitän Truck, seine Faust ballend; denn er war ein stummer, obschon verwunderter Zeuge des ganzen Vorgangs gewesen, »sie wiegt jedenfalls so viel von diesem Volke auf, als sich in den Unterraum des Montauk packen läßt.«

Miß Ring, welche Eva herankommen sah, sehnte sich darnach, sie anzureden, denn im Grunde waren die Hadschis doch von einem gewissen Nimbus umgeben, welcher eine Bekanntschaft oder sogar Vertraulichkeit mit ihnen wünschenswerth machte; sie verzog daher ihre Miene zu einem Lächeln und knixte. Eva erwiederte die Begrüßung; da es ihr aber nicht darum zu thun war, sich einer Gruppe von Sechsen zu nähern, unter denen sich nicht weniger als fünf Männer befanden, so fuhr sie fort, auf ihre eigene Gesellschaft zuzugehen. Diese Rückhaltung bewog Miß Ring, um einen oder zwei Schritte vorzutreten, so daß Eva zum Haltmachen genöthigt war. Mit einer Verbeugung gegen ihren Tänzer dankte sie ihm für seine Aufmerksamkeit, ließ seinen Arm los und wandte sich an die Dame. In demselben Augenblick entwischten die fünf »Unterhaltenen« in Masse, eben so erfreut über ihre Befreiung, als sie zuvor stolz auf ihre Gefangenschaft gewesen waren.

»Ich bin fast gestorben vor Verlangen, mit Euch zu sprechen, Miß Effingham,« begann Miß Ring; »aber diese fünf Riesen« (sie betonte das in gesperrter Schrift gedruckte Wort mit besonderem Nachdruck) »haben mir so zugesetzt, daß ein Entkommen völlig unmöglich war. Es sollte ein Gesetz geben, daß nur je ein Gentleman mit einer Dame sprechen dürfe.«

»Ich dächte, ein solches Gesetz sei bereits vorhanden,« versetzte Eva lächelnd.

»Ihr meint den Codex der guten Bildung – aber heutzutage denkt Niemand mehr an solche veraltete Gesetze. Könnt Ihr Euch nachgerade ein wenig mit Eurem Vaterlande versöhnen?«

»Es ist nicht leicht, sich versöhnen zu wollen, wenn nie ein übles Einvernehmen stattgefunden hat. Ich hoffe, daß es zwischen meinem Vaterlande und mir keinerseits einen Streit gegeben hat.«

»Oh, ich meine nicht eben dieß. Kann nicht auch ohne Streit eine Versöhnung nöthig werden? Was sagt Ihr hiezu, Mr. Edson?«

Miß Ring, der schon früher an diesem Gentleman einige Symptome von Desertionslust nicht entgangen waren, hatte diese Frage als Bannungssignal eingeflochten; als sie sich jedoch umwandte, um sich von der Wirkung ihrer Bemerkung zu überzeugen, gewahrte sie, daß ihre ganze Clientel entwischt war. Sie vermochte nicht, einen Blick der Ueberraschung, des Verdrusses und Aergers zu unterdrücken; dann aber folgte rasch die Miene des Entsetzens.

»Wie augenfällig wir uns gemacht haben – und die Schuld liegt ganz an mir,« sagte sie, zum erstenmal diesen Abend ihre Stimme zu einem gebührenden Tone ermäßigend. »Wahrhaftig, da stehen wir zwei Damen allein in Unterhaltung, und kein Gentleman ist in unserer Nähe!«

»Fällt man dadurch auf?« fragte Eva mit vollkommen natürlicher Einfalt.

»Wahrhaftig, Miß Effingham, wer so viel von der Gesellschaft gesehen hat, wie Ihr, kann kaum diese Frage im Ernste stellen. Ich glaube nicht, daß ich mir seit meinem Fünfzehnten je eine solche Ungebühr zu Schulden kommen ließ; und – ach Himmel! – wie erst dieser unangenehmen Lage entkommen! Ihr habt Eurem Tänzer gestattet, sich zu entfernen, und ich sehe keinen Gentleman meiner Bekanntschaft in der Nähe, der mir seinen Arm reichen könnte.«

»Da Ihr durch meine Gesellschaft in diese Verlegenheit gekommen seid,« entgegnete Eva, »so steht es zum Glück in meiner Macht, sie zu bannen.«

Mit diesen Worten ging sie gelassen durch das Zimmer und nahm neben Mademoiselle Viefville Platz.

Miß Ring erhob erstaunt ihre Hände; da sie aber jetzt glücklicherweise in nicht großer Entfernung einen von den entwischten Gaffern bemerkte, so winkte sie ihn an ihre Seite.

»Habt die ungemeine Güte, mir Euern Arm zu geben, Mr. Summerfield,« sagte sie. »Ich sterbe vor Begier, aus dieser unangenehmen auffallenden Lage zu kommen; aber Ihr seid der erste Gentleman, der mir seit 12 Monaten nahe gekommen ist. Ich möchte mich um keine Welt so keck benehmen, wie eben Miß Effingham. Werdet Ihr es wohl glauben? – sie ging wahrhaftig ganz allein von dieser Stelle nach ihrem Sitze.«

»Die Hadschis sind privilegirt und überraschend dreist.«

»Sie nehmen sich selbst so viel heraus. Doch Jedermann weiß, wie keck und unweiblich die französischen Frauenzimmer sind, und man möchte wünschen, daß sich unsere eigenen Landsleute enthielten, die dreisten Sitten derselben bei uns einführen zu wollen.«

»Es ist tausend Schade, daß es Mr. Clay in seinem Vertrage verabsäumt hat, diesen Artikel unter die Ausnahmen zu stellen. Ein Tarif auf die Unverschämtheit würde wohl dem ganzen Lande zu gut gekommen sein.«

»Könnte aber dennoch die einheimische Manufaktur sehr bedrücken,« bemerkte John Effingham; denn die Lungen waren stark, und die Gemächer der Mrs. Hauston so klein, daß an diesem Abend nur wenig gesprochen wurde, ohne daß es von Jedermann gehört werden konnte, dem darum zu thun war. Miß Ring hörte jedoch nie, da dieser untergeordnete Dienst keinen Theil der Obliegenheiten einer Belle bildete; sie trat daher, auf Mr. Summerfields schützenden Arm gelehnt, noch dreister in das Gedränge, wo es ihr bald gelang, eine andere Gruppe von sogar sechs »Unterhaltenen« zusammenzubringen. Mr. Summerfield aber zehrte noch zwölf Monate von dem Ruhm der ungemein geistreichen Aeußerung, die er bei der erwähnten Gelegenheit kundgegeben hatte.

»Da kommen Ned und Aristobolus,« sagte John Effingham, sobald die Töne von Miß Rings Stimme sich in dem Lärm von fünfzig anderen des gleichen Schlüssels verloren hatten. » A présent, Mademoiselle, je vais vous venger.«

Mit diesen Worten ergriff er Kapitän Trucks Arm und ging seinem Vetter und dem Landagenten entgegen. Den Letzteren wußte er bald von seinem Begleiter loszumachen, worauf es ihm gelang, mit diesem neuen Rekruten Miß Ring so nahe zu kommen, daß er ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Obschon mit einem halben Jahrhundert auf dem Rücken, war doch John Effingham als ein Junggeselle von guter Familie bekannt, der noch obendrein jährlich seine 17 000 Dollars zu verzehren hatte; auch war er außerdem ein sehr schöner, wohlerhaltener Mann, mit einem Aeußern, in welchem sich nichts von anmaßender Vornehmthuerei blicken ließ. Solche Eigenschaften wußte eine Belle wohl zu würdigen, und zudem begannen in New-York eben Verbindungen von sehr ungleichem Alter in die Mode zu kommen. Miß Ring hatte eine instinktartige Vorahnung, daß der Gentleman sie zu sprechen wünschte, und säumte daher nicht, ihm Gelegenheit zu bieten. Dafür nahmen aber, aus Furcht vor John Effinghams überlegenem Tone, seinem kaustischen Witze und seiner Weltkenntniß, die sechs Beaux unverweilt Reißaus, sintemal alle dergleichen Personen einen natürlichen Widerwillen gegen solche Eigenschaften hegen.

»In Folge einer Bekanntschaft, die sich bis auf Euren Großvater zurückbezieht, Miß Ring,« begann er, »hoffe ich, mir die Freiheit nehmen zu dürfen, Euch ein paar sehr werthe Freunde vorzustellen. Mr. Bragg und Mr. Truck sind Gentlemen, deren Bekanntschaft sich wohl die Mühe lohnt.«

Die Dame verbeugte sich huldreich, denn sie hielt es für Gewissenssache, jeden Mann mit einem Lächeln zu empfangen. Der Vorstellende hatte ihr übrigens zu viele Ehrfurcht eingeflößt, als daß sie ihre Angriffs-Batterieen sogleich hätte eröffnen können – eine Mühe, die ihr erspart blieb, weil John Effingham sie bald nachher aller weiteren Verlegenheit dadurch enthob, daß er scheinbar ein Verlangen an den Tag legte, eine andere Dame zu sprechen. Die Belle war jetzt mit den beiden Fremden allein, und da sie gehört hatte, die Effinghams hätten einen Engländer von Stand, der unter falschen Namen reiste, mitgebracht, so glaubte sie, denselben gar klüglich in der Person des Landagenten entdeckt zu haben, während sie in ihrer lebhaften Einbildungskraft Mr. Truck zum Reise-Mentor desselben, und demgemäß auch ganz natürlich zu einem Geistlichen der englischen Kirche gestaltete. Sie war zu gut erzogen, um auf das Incognito anzuspielen, wünschte aber doch den beiden Gentlemen bemerklich zu machen, daß eine Belle sich nicht so leicht, wie eine andere Person, irre führen ließ. In der That that sie sich Einiges darauf zu gut, einen Mann von Stand unter allen Umständen erkennen zu können, und sobald ihr John Effinghams Entfernung keinen weiteren Zwang auflegte, hub sie zuvorderst damit an, ihre derartige Ueberlegenheit den betreffenden Personen bemerklich zu machen.

»Das ungekünstelte Wesen und die außerordentliche Einfachheit unserer Gesellschaft muß Euch wohl auffallen, Mr. Bragg,« sagte sie, ihn bedeutungsvoll ansehend. »Wir wissen recht wohl, daß sie nicht ist, wie sie sein sollte; aber meint Ihr nicht, sie sei doch ziemlich ordentlich für Anfänger?«

Nun mußte sich zwar Mr. Bragg sagen, daß er bis auf diesen Abend nie Gesellschaft gesehen hatte, die nur entfernt diesen Namen verdiente; indeß war er beim Abgeben einer Ansicht durch jenen augenfälligen Zug in seinem Charakter, das geheime Gefühl, sich in jede Stellung finden zu können, unterstützt, weßhalb er mit einem aplomb antwortete, welches sogar dem Gutachten des nächsten besten Elegant auf der Chaussée d'Antin Gewicht verliehen haben würde.

»Sie ist in der That sehr ungekünstelt und so einfach, daß Jedermann sie begreifen kann,« sagte er. »Ich finde in dieser Unterhaltung, die in allen übrigen Stücken mir wie die höchste Vollendung der Eleganz vorkömmt, nur einen einzigen Fehler – daß nämlich zu wenig Raum da ist, um beim Tanzen die Beine schwingen zu können.«

»In der That! – ich habe dieß nicht erwartet! Ist es nicht eben jetzt in Europa ganz besonders üblich, eine Quadrille auf möglichst kleinem Raum auszuführen?«

»Ganz im Gegentheil, Miß. Das gute Tanzen fordert stets Entwickelung. Die tanzenden Derwische z. B. würden eben so viel Raum brauchen, als die beiden Reihen, die sich vor uns aufstellen, und ich glaube, es ist nunmehr allgemein zugegeben, daß man bei allen guten Tänzen als sine qua non Raum für die Beine braucht.«

»In unserem fernen Lande müssen wir nothwendig ein wenig hinter den Moden zurückbleiben. Sagt mir übrigens, Sir, ist es gewöhnlich, daß in Gesellschaft Damen ohne Begleitung einhergehen?«

»Das Weib ist nicht geschaffen, im Leben allein zu sein, Miß,« erwiederte Aristobolus mit einem sentimentalen Blicke; denn er ließ nie eine gute Gelegenheit entschlüpfen, da ihm im gegenwärtigen Falle obendrein beifiel, wenn er etwa bei Miß Effingham oder Miß van Courtlandt, deren Vermögensumstände und sonstige Verhältnisse er ziemlich genau kannte, Körbe holen sollte, so dürfte vielleicht Miß Ring eine sehr wählbare Partei sein, sintemal für ihn Alles Korn war, was zu seiner Mühle kam. »Dies ist, glaube ich, eine unumstößliche Wahrheit.«

»Vermuthlich versteht Ihr hierunter den Ehestand?«

»Ja, Miß; ein Mann hat stets den Ehestand im Auge, wenn er mit einer jungen Dame spricht.«

Dieß brachte Miß Ring in einige Verlegenheit, und sie begann an ihrem Blumenstrauß zu zupfen; denn sie war nur daran gewöhnt, daß Damen mit Gentlemen, nicht aber, daß diese mit Damen vom Ehestand sprachen. Indeß faßte sie sich bald wieder und entgegnete mit einer Gewandtheit, welche der Schule, zu der sie gehörte, große Ehre machte: –

»Ihr sprecht wie ein Mann, Sir, der Erfahrung besitzt.«

»Allerdings, Miß. Seit meinem zehnten Jahre bin ich stets verliebt gewesen; ja, ich kann sogar sagen, ich wurde verliebt geboren, und hoffe, verliebt zu sterben!«

Dieß war ein wenig zu stark; aber die Belle war keine Person, die sich so leicht über einen derartigen Gegenstand in Verlegenheit setzen ließ. Sie lächelte daher huldreich und führte die Unterhaltung mit erneuertem Muthe fort.

»Ihr gereisten Gentlemen habt seltsame Ansichten, besonders über dergleichen Dinge,« erwiederte sie. »Ich trage stets Scheu, mich mit Fremden über solche Gegenstände zu unterhalten, obschon ich gegen meine Landsleute weniger Rückhaltung beobachte. Wie gefällt Euch Amerika, Mr. Truck? Findet Ihr das Land so, wie Ihr es erwartetet?«

»Gewiß, Marm,« denn so wurde dieses Wort an dem Flusse ausgesprochen, wo der Kapitän die ersten Eindrücke in sich aufgenommen hatte. »Als wir von Portsmouth aussegelten, erwartete ich, in den Hochlanden von Navesink das erste Land anzuthun, und obgleich ich in meiner Erwartung ein wenig getäuscht ward, wurde mir doch die Freude, endlich meine Augen daran zu weiden.«

»Täuschung, fürchte ich, ist das gewöhnliche Loos Derer, die von der andern Seite herüberkommen. – Kommt die Wohnung der Mrs. Houston dem Hause eines englischen Edelmanns gleich, Mr. Bragg?«

»Oh, sie ist bedeutend besser, Miß, namentlich was republikanischen Comfort betrifft.«

Wie alle Belles konnte Miß Ring das Wort republikanisch nicht leiden, sintemal die Stellung derselben augenfällig eine ausschließliche ist; sie erging sich daher in einem zimpferlichen Naserümpfen.

»Ich habe kein rechtes Vertrauen zu der Eigenschaft eines solchen Comforts, Sir,« versetzte sie mit Schärfe; »aber halten die Gemächer hier überhaupt eine Vergleichung mit denen im Apsley House z. B. aus?«

»Meine theure Miß, Apsley House ist eine wahre Schlagbaumhütte in Vergleichung mit dieser Wohnung. Ich zweifle, ob es in England überhaupt nur eine halb so prächtige Wohnung gibt, da man sich in der That kaum etwas Glänzenderes und Reicheres denken kann.«

Aristobulus war nicht der Mann, der eine Sache nur halb that, und setzte einen Ehrenpunkt darein, von Allem etwas zu wissen. Freilich hatte er in seinem Leben nie gehört, wo Apsley House lag, und ob es eine Schenke oder ein Gefängniß war, wußte daher eben so wenig davon, wie von so vielen anderen Dingen, über die er seine orakelhaften Gutachten abgab; aber wenn es nöthig wurde, zu sprechen, so fiel es ihm nicht ein, durch wirkliche oder vorgeschützte Unwissenheit einer Unterhaltung Abtrag zu thun. Was er eben gesagt, hatte in der That Miß Rings Hoffnungen einigermaßen übertroffen; denn außer dem Ehrgeiz, eine Belle zu sein und Gentlemen zu »unterhalten«, trug sie sich am liebsten mit der Vorstellung, ihre glänzende Modelaufbahn gehe parallel mit der des »Adels und der Gentry« Großbritanniens.

»Dieß übertrifft meine Hoffnungen,« sagte sie; »denn obwohl ich weiß, daß wir nicht weit hinter dem veredelteren Geschmack Europa's zurück sind, glaubte ich doch, daß wir diesem Theil der Welt ein wenig nachstehen.«

»Nachstehen, Miß? Dieß ist ein Wort, das nie über Eure Lippen kommen sollte. Ihr steht weder in Europa noch in Amerika, weder in Afrika noch in Asien irgend einer Person oder Sache nach.«

Da Miß Ring, wie es einer Belle ziemte, gewöhnt war, die Rolle der Schmeichelei meist selbst zu übernehmen, so begann sie über die unumwundenen Complimente Mr. Bragg's, welcher »Heu zu machen geneigt war, so lang die Sonne schien«, verlegen zu werden. Mit einiger Verwirrung wandte sie sich daher an den Kapitän – wir sagen Verwirrung, denn die junge Dame war, obgleich man es leicht hätte glauben können, nicht wirklich aller Schaam baar, sondern ließ sich nur in Beurtheilung der Sachbeziehungen irre leiten; oder mit andern Worten, in Folge eines verwirrten Brauchs war ihr bisher gestattet worden, in der Gesellschaft das zu thun, was man bisweilen bei Schauspielerinnen auf der Bühne sieht, – nämlich eine Männerrolle durchzuführen.

»Ihr solltet Mr. Bragg bedeuten, Sir,« sagte sie mit einem bittenden Blick auf den Kapitän, »daß Schmeichelei ein gefährliches Laster und durchaus nicht eines Christen würdig ist.«

»Ja, wahrhaftig, Marm, und obendrein eines, mit dem ich mich nie abgebe. Niemand, der unter meinen Befehlen steht, hat mir je Schmeichelei zur Last gelegt.«

Den Ausdruck »unter meinen Befehlen« deutete Miß Ring auf Kaplane und Diakone, denn sie wußte, daß in der englischen Kirche ein derartiger in Amerika nicht üblicher Unterschied unter der Geistlichkeit stattfand.

»Ich hoffe, Sir, Ihr werdet dieses Land nicht verlassen, ohne uns mit einem Vortrage begünstigt zu haben.«

»Gewiß nicht, Marm – wenn ich unter meinen Leuten bin, trage ich vom Morgen bis zum Abend gar vielerlei vor, obschon ich gestehe, daß das gegenwärtige Conversationiren mich ein bischen aus meiner Gissung bringt. Habe ich dagegen meinen Fuß auf den Planken, die ich liebe, eine aufmerksame Zuhörerschaft um mich her und eine gute Cigarre im Munde, so will ich's mit jedem Bischof, in was immer für einem Theile der Welt, aufnehmen.«

»Eine Cigarre?« rief Miß Ring überrascht. »Bedienen sich Gentlemen von Eurem Berufe der Cigarren, wenn sie die Verrichtungen ihres Amtes vornehmen?«

»So gewiß, als ein Pfarrer seine Stolgebühren nimmt. Ja, Miß, es ist kein Mann unter uns, der nicht vom Morgen bis in die Nacht hinein Rauchwolken von sich bläst.«

»Aber doch nicht an Sonntagen?«

»Dann zweimal für einmal. An einem Sonntag mehr, als an einem jeden andern Tage.«

»Und was thun Eure Leute diese ganze Zeit über, Sir?«

»Je nun, Marm, die meisten davon kauen, und Diejenigen, welche es nicht thun, haben gar trübselige Zeit, wenn sie keine Pfeife finden können. Was mich betrifft, so kann mir kaum der beste Platz behagen, wenn die Cigarren verboten sind.«

Miß Ring war überrascht; sie hatte übrigens gehört, daß die englische Geistlichkeit mehr Freiheit habe, als die amerikanische, und war außerdem daran gewöhnt, Alles, was von England kam, für vortrefflich zu halten. Ein kurzes Nachdenken versöhnte sie mit der Neuerung, und am andern Tage hörte man sie bei einer Diner-Partie den Brauch, während des Gottesdienstes zu rauchen, eifrig als eine Gewohnheit vertheidigen, die in dem früheren Weihrauch auf dem Altare einen Vorgang habe. Für den Augenblick übrigens brannte sie von Begier, ihre Entdeckungen auch Anderen mitzutheilen, weßhalb sie dem Kapitän und Aristobulus den freundlichen Vorschlag machte, sie Einigen von ihren Bekannten vorzustellen, da sie es als Fremde wohl langweilig finden müßten, ohne alle näheren Beziehungen zu der Gesellschaft zu stehen. Da nun Vorstellungen und Cigarren des Kapitäns Steckenpferde waren, so griff er den Vorschlag mit Freuden auf, und auch Aristobulus schloß sich aus ganzem Herzen an, da er vermöge der Constitution der Vereinigten Staaten Amerika's ein Recht zu haben glaubte, jedem menschlichen Wesen, mit dem er in Berührung kam, vorgestellt zu werden.

Wir brauchen kaum zu sagen, wie sehr Diejenigen, mit welchen unsere beiden Neulinge in den Kreisen der Mode gekommen waren, sich über diese Scene belustigten, obschon sie ihre Heiterkeit unter der gelassenen Außenseite von Weltleuten verbargen. Vor Mr. Effingham übrigens verhehlte John die Mystifikation aufs Sorgfältigste, da der Erstere sich für verpflichtet gehalten haben würde, Mrs. Houston, die eine wohlmeinende, aber thörichte Frau war, aufzufordern, das Mißverständniß aufzuklären. Eva und Grace lachten nach der Weise heiterer Mädchen und vertanzten den Rest des Abends frohsinniger denn je. Endlich entfernte sich die Gesellschaft unter demselben unförmlichen Ankündigen und Aufrufen der Equipagen, unter welchem sie angelangt war – die Meisten, um die schläfrigen Häupter auf die Pfühle zu legen, Miß Ring aber, um über die feinen Manieren eines jungen Engländers von Stand Betrachtungen anzustellen und von einer Predigt zu träumen, die mit Tabacksqualm durchräuchert wurde.


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