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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Wie silberhell klingt Nachts des Freiers Stimme
Und dringt, gleich lieblicher Musik, zum Ohr.

Romeo und Julie.

 

Ein armseliges Ding dieses Feuerwerk da,« sagte Mr. Howel, der sich mit dem Taktmangel eines alten Junggesellen Eva und Paul auf ihrem Spaziergange angeschlossen hatte. »Die Engländer würden famos darüber lachen, kann ich mir denken. Habt Ihr Sir George nichts darüber äußern hören, Miß Eva?«

»Es würde für einen Engländer große Ziererei sein, wenn er die Feuerwerke was immer für eines trockenen Klimas verspotten wollte,« versetzte Eva lachend, »und ich stehe dafür, wenn Sir George Templemore über den Gegenstand schwieg, so geschah es aus dem einfachen Grunde, weil er sich selbst sagen muß, daß er wenig davon weiß.«

»Na, dieß ist doch seltsam! Man sollte denken, England sei das allererste Land in der Welt, was Feuerwerk betrifft. Ich höre, Miß Eva, daß es dem Baronet im Ganzen ziemlich gut unter uns gefällt, und ich muß sagen, daß er nachgerade in Templeton sehr populär wird.«

»Ein Engländer kann in Amerika sehr leicht populär werden,« bemerkte Paul, »namentlich wenn er den höheren Ständen angehört. Er braucht nur zu erklären, daß ihm Amerika gefalle; im Gegentheil aber kann er eben so sicher auf einen recht herzlichen Haß zählen.«

»Wäre Amerika hierin von was immer für einem anderen Lande verschieden?« fragte Eva rasch.

»Allerdings nicht viel, denn Liebe erzeugt Liebe, während Abneigung wieder Abneigung zur Folge hat. Hierin liegt nichts Neues, aber die Bewohner anderer Länder haben noch Selbstvertrauen und spüren nicht so empfindlich danach, was Andere von Ihnen denken. Ich glaube, hierin besteht der ganze Unterschied.«

»Aber Sir George findet einigen Gefallen an uns?« fragte Mr. Howel mit Theilnahme.

»Bei gewissen Personen ist dieß sogar in sehr hohem Grade der Fall,« entgegnete Eva. »Wißt Ihr nicht, daß Grace in Bälde Mrs. – nein, ich muß um Verzeihung bitten – Lady Templemore werden soll?«

»Gütiger Gott – ist's möglich – Lady Templemore – Lady Grace Templemore?«

»Nicht Lady Grace Templemore, sondern Grace Lady Templemore, und gnädige Lady Templemore obendrein.«

»Und wie ich höre, meine theure Miß Eva, so habt Ihr diese Ehre zurückgewiesen.«

»Dann seid Ihr unrecht berichtet, Sir,« antwortete die junge Dame etwas betroffen über diese plötzliche, plumpe Bemerkung, ohne daß sie übrigens dadurch gehindert wurde, allen Betheiligten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. »Sir George hat mir nie die Ehre erwiesen, mir einen Antrag zu machen, folglich konnte sie nicht abgelehnt werden.«

»Dieß ist ganz außerordentlich; ich höre doch, daß Ihr schon in Europa miteinander bekannt waret?«

»Dieß verhält sich allerdings so, Mr. Howel; aber ich habe in Europa Hunderte von Personen kennen lernen, die sich's nie einfallen ließen, mich aufzufordern, daß ich sie heirathen solle.«

»Dieß ist seltsam – ganz unerwartet. Miß van Courtlandt zu heirathen! Ist Mr. John Effingham im Garten?«

Eva gab keine Antwort, aber Paul erwiederte hastig:

»Ihr werdet ihn, glaube ich, im nächsten Gange finden, wenn Ihr etwas zurückgeht und den ersten Pfad links einschlagt.«

Mr. Howel that, wie ihm geheißen wurde, und war bald außer Sicht.

»Dieser Mann glaubt sehr andächtig an die englische Ueberlegenheit und, wie man wohl sagen möchte, auch an englisches Verdienst, wenn man aus seinem lebhaften Wunsche, Euch einen englischen Gatten zu geben, einen Schluß ziehen darf.«

»Es ist der schwache Punkt im Charakter des Ehrenmannes. Wie ich höre, waren derartige Individuen noch vor dreißig Jahren weit häufiger in Amerika zu finden, als es heutzutage der Fall ist.«

»Ich will dieß gerne glauben, denn ich erinnere mich, selbst auch einige derartige Charaktere gekannt zu haben. Aus dem Munde Aelterer, als ich bin, habe ich übrigens einen ähnlichen Unterschied zwischen dem Zustand der Gefühle, wie er vor vierzig Jahren herrschte, und wie er heute besteht, machen hören. Sie sagen, England habe früher absolut und despotisch in allen Fällen, welche nicht gerade die Interessen der beiderseitigen Nationen betrafen, für Amerika gedacht, und außerdem stellten Männer, welchen in dieser Sache ein Urtheil zusteht, die Behauptung auf, der Einfluß der Gewohnheit sei so mächtig gewesen und durch die Ränke der politischen Leiter Englands so erfolgreich unterstützt worden, daß sogar Viele von denen, welche für Amerika's Unabhängigkeit kämpften, in die Rechtmäßigkeit des Streites Zweifel setzten, wie man ja auch von Luther weiß, daß er in Augenblicken des Kleinmuths selbst mit sich nicht im Klaren war, ob sein Reformationswerk auch wirklich ein Werk Gottes sei. In letzter Zeit ist das Anlehnen an England weniger das Resultat einfacher geistiger Abhängigkeit – obschon leider noch genug davon vorhanden ist – sondern mehr der Berechnung und des Wunsches einer gewissen Klasse, die Macht der Masse zu brechen und an ihre Stelle die Herrschaft Weniger zu setzen.«

»Es wäre in der That eine befremdliche Vollendung der Geschichte dieses Landes, wenn sie mit Herstellung der monarchischen Verfassung schlöße.«

»Ohne Zweifel tauchen da und dort in Amerika einzelne Monarchisten auf, obschon sie fast ausschließlich einer Klasse angehören, welche die Welt nur durch die Brille der Einbildungskraft oder der Bücherweisheit sieht; dagegen neigt sich die Stimmung unserer Zeit mehr der Aristokratie als der Monarchie zu. Die meisten Reichgewordenen müssen die Entdeckung machen, daß sie um ihres Besitzthumes willen nicht glücklicher sind, und vielleicht befindet sich Jeder, der nicht zu einem gebührenden Gebrauche seiner Mittel erzogen und vorbereitet wurde, in dieser Categorie, wie es unser Freund, der Kapitän nennen würde; sie fangen dann an, dich nach einer andern, noch unversuchten Auszeichnung zu sehnen. Das Beispiel der übrigen Welt war schon vor unserem eigenen Wohlstand vorhanden, und faute d'imagination ahmt man nach, weil man nicht erfinden kann. Auch ist eine ausschließende politische Gewalt eine große Beihilfe beim Anhäufen von Gold, und Viele sehen dieß ein, obgleich ich vermuthe, daß sich weit mehr nach den Eitelkeiten der ausschließenden Klassen, als nach ihrem Wesen sehnen. Im Allgemeinen ist Euer Geschlecht, Miß Effingham, nicht über diese letztere Schwäche erhaben, wie Ihr wohl in Eurem Verkehr mit denen, die Ihr auf Reisen traft, oft bemerkt haben müßt.«

»Allerdings traf ich hin und wieder auf Beispiele einer derartigen Schwachheit,« versetzte Eva mit der Zurückhaltung und dem Stolze eines Weibes, »aber gewiß nicht auf mehr, als ich unter den Männern gefunden habe; dagegen kommt dergleichen selten vor unter Personen, die wir in ihrer Heimath als Leute von Stand zu betrachten gewöhnt sind. Die Selbstachtung und ihre Lebensweise bewahrt sie in der Regel vor Kundgebung dieses Charakterfehlers, wenn er überhaupt auch vorhanden wäre.«

»Die im Auslande reisenden Amerikaner zerfallen in zwei große Klassen, in solche, welche auswärts Ausbildung in Wissenschaften und Künsten suchen, und in solche, denen es blos um Vergnügung zu thun ist. Im Ganzen sind mir die Ersteren stets als sehr achtbar erschienen, welche sich eben so fern hielten von äffischer Servilität, als von poltronirender Ueberlegenheitsanmaßung; dagegen fürchte ich, daß die Mehrzahl der Letzteren sich in unangenehmer Weise zu den Eitelkeiten der Welt hinneigt.«

»Ich will nicht das Gegentheil behaupten,« versetzte Eva, »denn Leichtfertigkeit und Genußsucht kleben einem gewöhnlichen Sinne nur zu fest an. Indeß möchte ich doch glauben, daß die Zahl derer, welche die Zierden des Lebens wegen ihres inneren Werthes schätzen, überall nur klein ist, und es fragt sich, ob hierin Europa vor uns einen Vortheil hat.«

»Wohl möglich; und doch kann ich in einem Falle, wo so viel von dem Beispiel abhängt, nur bedauern, daß der Ton unseres Volkes den Thatsachen nicht besser entspricht. Ich weiß nicht, ob Euch dieselben Eigentümlichkeiten aufgefallen sind; aber so oft ich mich in der Stimmung fühlte, monarchische und aristokratische Doctrinen blindlings verbreiten zu hören, pflegte ich mich nach der nächsten amerikanischen Gesandtschaft zu begeben.«

»Ich habe dieß oft und sogar von Fremden berühren hören,« entgegnete Eva, »und gestehe, daß mir diese Behauptung stets als befremdlich aufgefallen ist. Warum sollte der öffentliche Geschäftsträger einer Republik mit einer Schaustellung seiner antirepublikanischen Gesinnungen prunken wollen?«

»Ich gebe zu, daß auch Ausnahmen vorhanden sind, obschon ich nach der Erfahrung vieler Jahre ehrlich sagen muß, daß die Sache sich in der Regel so verhält, wie ich angedeutet habe. Meiner eigenen Ansicht oder meinem Beurtheilungsvermögen würde ich noch obendrein nicht einmal ganz trauen, wenn nicht Andere, welche eben so gut zu beobachten Gelegenheit hatten, zu dem gleichen Schlusse gekommen wären. So habe ich erst kürzlich einen Brief aus Europa erhalten, in welchem sich mein Correspondent beschwert, daß ein amerikanischer außerordentlicher Gesandter, welcher eben so bald daran denken würde, sich selbst in Anklagestand zu versetzen, als in der Heimath dergleichen Gesinnungen offen auszusprechen – sich gegen die Wirkungen eines der gewöhnlichsten und populärsten Züge in der amerikanischen Staatsverwaltung erklärt habe, und dieß noch obendrein unter Umständen, von denen sich naturgemäß erwarten ließ, sie dürften bei seinen Zuhörern praktische Folgen nach sich ziehen.«

» Tant pis. Mir ist dieß unerklärlich!«

»Es läßt sich wie jedes andere Problem lösen, Miß Effingham. In gewöhnlichen Zeiten können sich außerordentliche Männer selten hervorthun, denn die Gewalt geht eben in die Hände verschmitzter Ränkeschmiede über. Nun verleiten wahrscheinlich dieselben Eitelkeiten und kleinlichen Wünsche, die sich in glänzenden Uniformen, knabenhaften Zierereien und ungeschickten Nachahmungen anderer Systeme kund geben, mehr als die Hälfte von denen, welche auswärtige Gesandtschaftsposten ausfüllen, zur Bewerbung um diese Stellen, und es darf uns nicht Wunder nehmen, wenn der wahre Charakter an's Licht tritt, sobald keine Heuchelei mehr nothwendig wird.«

»Aber ich sollte meinen, diese Nothwendigkeit der Heuchelei werde nie aufhören! Kann es möglich sein, daß ein Volk, welches seinen Institutionen so sehr zugethan ist, wie bekanntlich die große Masse der amerikanischen Nation, ein so schnödes Aufgeben alles dessen, was sie liebt, dulden sollte?«

»Wie sollte sie etwas davon erfahren? Es ist eine auffallende Thatsache, daß es im gegenwärtigen Augenblick einen Mann gibt, welcher weder durch geistige Vorzüge, noch durch Grundsatzfestigkeit verdient, im Ausland ein öffentliches Amt zu erfüllen; dieser Mensch erklärt sich nicht nur bei allen Anlässen, sofern er nicht glauben muß, daß das amerikanische Volk unmittelbar Kunde davon erhalte, gegen die herrschenden Principien unseres Gouvernements, sondern hat sogar in einem kürzlichen Streite mit einer fremden Nation geradezu Partei gegen diese Grundsätze ergriffen, indem er derselben mittheilte, die Administration der Heimath werde nicht durch die Gesetzgebung des Landes unterstützt werden.«

»Und warum wurde er nicht öffentlich bloßgestellt?«

» Cui bono? Derjenige Theil der öffentlichen Presse, welcher sich nicht unmittelbar für die Sache interessirte, würde sie mit Gleichgiltigkeit behandelt haben, während sich vielleicht der andere verleiten ließ, die Wahrheit zu mystificiren. Für einen Privatmann ist es rein unmöglich, allenthalben, wo sich's um öffentliche Angelegenheiten handelt, der Wahrheit Nachdruck zu geben, und wer in einer öffentlichen Stellung steht, thut es selten oder nie, wenn sich nicht ein bestimmter Parteizweck damit erreichen läßt. Dieß ist der Grund, warum wir unter den auswärtigen öffentlichen Geschäftsträgern so vielfältig Abfall von den Grundsätzen unserer Staatsverfassung sehen – sie wissen recht wohl, daß Niemand im Stande ist, sie bloßzustellen. Außer diesem Beweggrunde findet in jenem Theile des Gemeinwesens, der sich für den höchsten hält, ein so lebhaftes Verlangen statt, gerade in diesen Institutionen eine radikale Umwälzung zu erzielen, daß in ihren Augen die Treulosigkeit eher als ein Verdienst, denn als ein Mackel erscheint.«

»Sicherlich werden andere Nationen nicht in dieser cavaliermäßigen Weise behandelt.«

»Nein, gewiß nicht. Der Gesandte eines Fürsten, welcher nur eine Sylbe gegen seinen Gebieter verlauten ließe, würde in Ungnade zurückberufen werden; aber der Diener des Volks befindet sich in einer ganz andern Lage, sintemal so Viele von seiner Schuld überzeugt werden müssen. Mit den Angriffen, welche die Europäer so gerne auf das amerikanische System machen, konnte ich's stets aufnehmen, nur nicht, wenn sie mir mit Erklärungen unserer eigenen diplomatischen Agenten kamen.«

»Aber warum machen unsere Reisenden hievon keinen Gebrauch?«

»Die Meisten sehen zu wenig, um überhaupt etwas von der Sache zu erfahren. Sie diniren bei einer diplomatischen Tafel, sehen ein paar Ordenssterne, halten sich zu Dank verpflichtet und reden einer Eleganz das Wort, die nirgends als in ihrem eigenen Gehirn existirt. Einige theilen die Ansichten der Abtrünnigen und halten den Treubruch für kein Verbrechen, Andere glauben durch eine Blosstellung sich selbst zu schaden, und kein kleiner Theil würde es für einen weit größeren Beweis von Patriotismus halten, das Urtheil zu Gunsten der beziehungsweisen »Energie« und »überlegenen Einsicht« des eigenen Volkes abzugeben, als wenn er diese oder irgend eine andere schmähliche Handlung denunciren sollte, selbst wenn er Gelegenheit fände, ihr auf den Sprung zu kommen. Obgleich Niemand von den guten Eigenschaften der Amerikaner, sofern sich's um praktische Dinge handelt, eine höhere Meinung haben kann, als ich, so halte ich doch wenig genug auf ihre Fähigkeit, in theoretischen Punkten zwischen Schein und Wirklichkeit einen richtigen Unterschied zu machen.«

»Wären wir der übrigen Welt näher, so würden diese Mißbräuche wahrscheinlich nicht existiren, denn so viel ist jedenfalls gewiß, daß sie in der Heimath nicht offen geübt werden können. Es freut mich übrigens, zu finden, daß Ihr so viel Interesse an uns nahmt, um Euch wenigstens der Gesinnung nach unserer Natur einzuverleiben, obschon Ihr in Betreff Eures Geburtsorts im Ungewissen war't.«

»Es gab einen Augenblick, in welchem ich in der That fürchtete, die Wahrheit möchte zuletzt darauf hinauslaufen, daß ich wirklich ein geborener Engländer sei.«

»Ihr fürchtetet dieß?« unterbrach ihn Eva. »Dieß ist ein starker Ausdruck, einem so großen und herrlichen Volke gegenüber.«

»Wir können uns nicht immer Rechenschaft geben von unsern Vorurtheilen, und vielleicht war dieß eines der meinigen; nun ich aber weiß, das es in Euren Augen nicht das größtmögliche Verdienst ist, ein Engländer zu sein, ist es in keiner Weise gemindert.«

»In meinen Augen Mr. Powis? Ich entsinne mich nicht, je eine Vorliebe für, oder eine Abneigung gegen die Engländer kund gegeben zu haben. So weit ich von meinen eigenen Gefühlen sprechen kann, achte ich die Engländer eben so wie jedes andere fremde Volk.«

»In Worten ist es Eurerseits allerdings nicht geschehen, aber Handlungen sprechen lauter, als Worte.«

»Es macht Euch diesen Abend Freude, den Geheimnißvollen zu spielen. Welche meiner Handlungen könnte in dieser wichtigen Angelegenheit als pro oder contra erklärt werden?«

»Ihr habt wenigstens gethan, wozu, wie ich fürchte, wenige Eurer Landsmänninnen den moralischen Muth oder die Selbstverläugnung besäßen, namentlich, wenn sie daran gewöhnt waren, im Ausland zu leben. Ihr weigertet Euch, die Gattin eines englischen Baronets von großem Vermögen und achtbarer Familie zu werden.«

»Mr. Powis,« versetzte Eva ernst, »dieß ist eine Ungerechtigkeit gegen Sir George Templemore, der ich gewissenshalber sowohl, als weil sie zugleich eine Ungerechtigkeit gegen mein Geschlecht und gegen mich ist, widersprechen muß. Ich habe bereits in Eurem Beisein gegen Mr. Howel bemerkt, daß mir dieser Gentleman nie einen Antrag machte, folglich auch nicht zurückgewiesen werden konnte; auch kann ich nicht glauben, daß es viele Amerikanerinnen von Bildung gibt, welche sich der Selbstachtung so sehr entschlagen könnten, um in einem armseligen Baronetenthum eine Verlockung zu finden.«

»Ich weiß Eure edle Bescheidenheit vollkommen zu würdigen, Miß Effingham; aber Ihr könnt nicht erwarten, daß ich, welchem Templemore's Bewunderung so viel Unruhe, um nicht zu sagen Schmerz, bereitet hat, Eure Erklärung so ausgedehnt nehmen soll, wie wahrscheinlich Mr. Howel gethan hat. Obgleich Sir George keinen entschiedenen Antrag stellte, so mußte doch jeder nähere Beobachter ersehen, wie bereit er dazu war, wenn ihm nur die mindeste Ermuthigung zu Theil wurde.«

Eva haschte fast nach Luft, so vollkommen hatte sie die ruhige, ernste und doch achtungsvolle Weise, mit welcher Paul seine Eifersucht zugestand, überrascht. Auch lag in seiner sonst so klaren, gleichförmigen Stimme ein Beben, das ihr zu Herzen ging, denn sobald eine wirkliche Sympathie zwischen den Geschlechtern besteht, finden Gefühle in Gefühlen einen Anklang, wie das Echo dem Schalle antwortet. Sie empfand die Nothwendigkeit, etwas zu sagen, war aber bereits eine Strecke weiter gegangen, ehe sie es möglich fand, auch nur eine Sylbe hervorzubringen.

»Ich fürchte, meine Anmaßung hat Euch verletzt, Miß Effingham,« sagte Paul, mehr im Tone eines zurechtgewiesenen Kindes, als in dem des löwenherzigen, jungen Mannes sprechend, welchen man sonst an ihm gewöhnt war.

Es lag in der Bewegung, die er verrieth, eine tiefe Huldigung, und obschon Eva seine Züge kaum unterscheiden konnte, entdeckte sie doch augenblicklich darin, welche Gewalt sie über seine Gefühle besaß.

»Nennt es nicht Anmaßung,« versetzte sie; »denn wer so viel für uns Alle gethan hat, ist zuverlässig berechtigt, Theilnahme für diejenigen zu fühlen, denen er so treffliche Dienste leistete. Was Sir George Templemore betrifft, so habt Ihr wahrscheinlich dem Gefühl, welches eine Folge unserer gemeinsamen Abenteuer war, irrthümlich eine wichtigere Bedeutung beigelegt. Er ist warm und aufrichtig meiner Muhme Grace van Courtlandt zugethan.«

»Daß dieß jetzt der Fall ist, glaube ich vollkommen; indeß bin ich überzeugt, daß ihn anfangs ein ganz anderer Magnet von den Canada's zurückhielt. Wir handelten offen gegen einander, Miß Effingham, und hielten uns nichts geheim während jener langen, angstvollen Nacht, als wir Alle erwarteten, die Sonne werde über unserer Gefangenschaft aufgehen. Templemore ist zu männlich und ehrenhaft, um seinen früheren Wunsch, Euch als Gattin zu gewinnen, in Abrede zu ziehen, und ich glaube auch, er wird zugestehen, daß die ganze Frage nur von Euch selbst abhing.«

»Dieß ist ein Akt der Selbstdemüthigung, zu dem er keinen Anlaß finden soll,« entgegnete Eva hastig. »Solche Anspielungen sind jetzt schlimmer als nutzlos, und könnten meiner Muhme schmerzlich werden, wenn sie davon hören sollte.«

»Ich würde mich sehr in dem Charakter meines Freundes täuschen, wenn er über diesen Gegenstand seine Verlobte im Zweifel lassen sollte. Fünf Minuten vollkommene Offenheit im gegenwärtigen Augenblicke können ihm später Jahre des Mißtrauens ersparen.«

»Und würdet auch Ihr, Mr. Powis, eine derartige frühere Schwäche dem Mädchen vertrauen, das Ihr Euch zur Gattin gewählt hättet?«

»Ich kann in diesem Falle weder für noch gegen mich Zeugniß ablegen, sintemals ich nur eine Einzige geliebt habe, und zwar mit einer Leidenschaft, die zu ausschließend und glühend war, um je einer andern weichen zu können. Miß Effingham, es würde schlimmer sein, als Ziererei – ich würde mein Spiel treiben mit einem Wesen, das in meinen Augen ein Heiligthum ist, wenn ich nicht jetzt ausführlicher sprechen wollte, obschon mir das, was ich sagen will, eher durch die Umstände abgedrungen wird und ich fast ohne bestimmten Zweck rede. Habe ich Eure Erlaubniß fortzufahren?«

»Ihr könnt derselben kaum bedürfen, da Ihr der Herr Eurer eigenen Geheimnisse seid, Mr. Powis.«

Wie alle von einer starken Leidenschaft aufgeregten Männer, war Paul inkonsequent und unbillig; Eva fühlte dieß, sogar, während sie ihren ganzen Scharfsinn aufbot, für seine Schwächen Entschuldigungen zu finden. Gleichwohl lastete die Ahnung, daß sie eine Erklärung hören werde, welche vielleicht nicht gemacht werden sollte, schwer auf ihr und bewog sie, mit mehr Kälte zu sprechen, als sie wirklich fühlte. Da sie außerdem ihre Erwiederung auf die eben angeführten Worte beschränkte, so sah der junge Mann, daß es unerläßlich geworden war, sich bestimmter auszudrücken.

»Ich werde Euch nicht mit der Geschichte jener frühen Eindrücke aufhalten, welche mit mir aufgewachsen sind, bis sie sich mit meinem ganzen Dasein verwoben hatten, da sie Euch vielleicht langweilig werden könnten,« fuhr er fort. »Ihr wißt, Miß Effingham, daß wir uns zum ersten Mal in Wien trafen. Ein Oesterreicher von Stand, mit dem ich durch einige glückliche Umstände bekannt geworden war, führte mich in der besten Gesellschaft jener Hauptstadt ein, wo ich in Euch den Gegenstand der Bewunderung für Alle fand, die Euch kannten. Meine erste Empfindung war die der Freude, daß ich eine junge Landsmännin sah – Ihr wart damals fast noch Kind, Miß Effingham, aber gleichwohl der größte Magnet für eine Hauptstadt, die um der Schönheit und Anmuth ihrer Frauen willen berühmt ist.«

»Eure Nationalparteilichkeit ließ Euch ungerecht gegen Andere werden, Mr. Powis,« unterbrach ihn Eva, obschon die Angelegentlichkeit und die Glut, womit der junge Mann seine Gefühle ausdrückte, wie Musik in ihren Ohren klang. »Wessen hätte sich ein junges, schüchternes, halb erzogenes amerikanisches Mädchen rühmen können, wenn ihm die vollendeten Frauen Oestreichs zur Seite standen?«

»Ihrer überraschenden Schönheit, der unbewußten Ueberlegenheit ihrer Talente, ihrer schüchternen Einfalt und ihres engelreinen Geistes. Alles dieß besaßt Ihr – nicht nur in meinen Augen, sondern auch in denen der Uebrigen; denn ich hing mit zu viel Liebe an diesen Eigenschaften, als daß ich mich darüber hätte täuschen können.«

In demselben Augenblick stieg eine Rakete über ihnen auf, und obschon Beide zu sehr durch ihre Unterhaltung in Anspruch genommen waren, um auf die Störung des vorübergehenden Lichtes zu achten, so fand doch Paul dadurch Gelegenheit, der glühenden Wangen und der thränenfeuchten Augen Eva's ansichtig zu werden, welche Letztere, trotz allen vergeblichen Ringens um Fassung, mit dankbarer Freude über dieses glühende Lob auf ihrem Begleiter haften ließ.

»Wir wollen solche Vergleichungen Anderen überlassen, Mr. Powis,« sagte sie, »und uns auf weniger zweifelhafte Gegenstände beschränken.«

»Wenn ich also nur von dem sprechen soll, was über alle Frage erhaben ist, so muß ich hauptsächlich bei meiner lange gehegten, innigen und wandellosen Anhänglichkeit verweilen. Ich betete Euch zu Wien an, Miß Effingham – zwar nur aus der Ferne, wie man etwa die Sonne lieben kann; denn während mich Euer trefflicher Vater seiner Gesellschaft würdigte und, wie ich sogar glaube, mit einem Theil seiner Achtung beehrte, fand ich doch nur wenig Gelegenheit, den Werth des so schön gefaßten Kleinods näher kennen zu lernen. Aber als wir uns den darauf folgenden Sommer in der Schweiz wieder trafen, begann ich erst wahrhaft zu lieben. Damals erkannte ich das edle Rechtsgefühl, die schöne Offenheit und die so vollkommene weibliche Zartheit Eures Geistes. Ich will zwar nicht sagen, daß nicht diese Eigenschaften in den Augen eines jungen Mannes durch die ungemeine Schönheit ihrer Besitzerin erhöht wurden, kann aber doch behaupten, daß ich erstere, wenn ich sie gegenseitig abwog, den letzteren tausendfach vorzog, obschon diese selbst unter Eurem eigenen schönen Geschlecht fast nicht ihres Gleichen hat.«

»Dieß heißt Schmeichelei in der verführendsten Form vorbringen, Powis.«

»Vielleicht verdient die unzusammenhängende und abgerissene Art, wie ich mich ausspreche, eine Rüge; gleichwohl liegt nichts meiner Absicht ferner, als für einen Schmeichler oder einen Menschen angesehen zu werden, der in irgend einer Weise übertreibt. Ich will Euch blos eine treue Geschichte des Zustandes meiner Gefühle und des Fortgangs meiner Liebe geben.«

Eva lächelte leicht, aber sehr holdselig, wie es Paul wohl hätte erscheinen müssen, wenn es ihm möglich gewesen wäre, in der Dunkelheit mehr als den schattenhaften Umriß ihres lieblichen Gesichts zu unterscheiden.

»Darf ich auf ein solches Lob hören, Mr. Powis« – sagte sie; »auf ein Lob, welches nur dazu beiträgt, eine ohnehin schon allzugroße Selbstachtung noch zu steigern?«

»Niemand als Ihr selbst kann dieß sagen; aber Eure Frage erinnert mich in der That an die Unbesonnenheit, in welche ich verfiel, indem ich jene Beherrschung meiner Gefühle verlor, auf welche ich so lange stolz gewesen bin. Niemand sollte ein Mädchen zur Vertrauten seiner Neigung machen, ehe er darauf vorbereitet ist, die Erklärung mit einem Anerbieten seiner Hand zu begleiten, und ich befinde mich nicht in dieser Lage.«

Eva ließ keine dramatische Bestürzung blicken und nahm ebensowenig die Miene gezierter Ueberraschung oder verletzter Würde an, sondern wandte ihre klaren Augen mit einem so beredten Ausdruck von Theilnahme und so natürlicher Verwunderung auf ihren Liebhaber, daß dieser, wenn er es hätte sehen können, wahrscheinlich auf der Stelle jede Schwierigkeit überwältigt und den gewöhnlichen Antrag gestellt haben würde – trotz der Schwierigkeit, die er für unüberwindlich zu halten schien.

»Und doch,« fuhr er fort, »habe ich jetzt unwillkürlich schon so viel gesagt, daß ich mich nicht nur gegen Euch, sondern gewissermaßen auch gegen mich selbst verpflichtet fühle, beizufügen, daß der sehnlichste Wunsch meines Herzens, das Ziel und Ende aller meiner Tagesträume, wie auch der meisten besonneneren Gedanken für die Zukunft sich in der glühenden Hoffnung concentriren, Euch zur Gattin zu gewinnen.«

Eva senkte das Auge und der Ausdruck ihres Gesichtes wechselte, während ein leichtes, aber nicht bewältigbares Zittern ihren Körper durchbebte. Nach einer kurzen Pause bot sie aller ihrer Entschlossenheit auf und fragte mit einer Stimme, über deren Festigkeit sie selbst erstaunt war:

»Powis, wozu alles Dieß?«

»Wohl mögt Ihr diese Frage stellen, Miß Effingham – Ihr habt alles Recht dazu, und die Antwort soll mir wenigstens keinen weiteren Grund zum Selbstvorwurf geben. Ich bitte, laßt mir nur eine Minute Zeit, meine Gedanken zu sammeln, und ich will mir Mühe geben, mich in einer männlicheren und zusammenhängenderen Weise, als dieß, wie ich fürchte, im Laufe der letzten zehn Minuten der Fall gewesen ist, meiner Pflicht zu entledigen.«

Sie gingen in tiefem Schweigen eine kurze Strecke weiter, Eva noch immer unter dem Einflusse eines Staunens, in welches sich eine ungewisse und unbestimmte Furcht vor Etwas, was sie sich selbst nicht zu erklären wußte, zu mischen begann, während Paul bemüht war, den Sturm zu beschwichtigen, der sich plötzlich seines Innern bemächtigte. Endlich begann der Letztere:

»Die Verhältnisse haben mich stets des Glückes beraubt, die Zärtlichkeit und Theilnahme Eures Geschlechtes erfahren zu dürfen, Miß Effingham, und mich ausschließlich dem kälteren, roheren Sinne des meinigen hingegeben. Meine Mutter starb zur Zeit meiner Geburt, und so wurde mit einemmale eines der theuersten von allen Erdenbanden zerrissen. Ich weiß nicht gewiß, ob ich in Folge der Entbehrungen, welche ich zu dulden hatte, diesen Verlust allzu schmerzlich nahm, denn von der Stunde an, als ich fühlen lernte, sehnte ich mich stets nach der zarten, duldenden, gewinnenden und uneigennützigen Liebe einer Mutter. Wenn ich recht berichtet bin, so habt Ihr in früher Lebensperiode einen ähnlichen Verlust erlitten –«

Ein Schluchzen – ein ersticktes aber schmerzliches Schluchzen entquoll Eva's Brust, und Paul, der hierüber aufs Tiefste erschüttert war, hörte auf, bei der Quelle seines eigenen Kummers zu verweilen, um Rücksicht auf den Schmerz zu nehmen, welchen er unabsichtlich in seiner Begleitung hervorgerufen hatte.

»Ich bin selbstsüchtig gewesen, theuerste Miß Effingham,« rief er »– ich habe Eure Geduld überschätzt, und Euch mit der Geschichte meines eigenen Verlusts, meines eigenen Leids verstimmt, obschon sie kein Interesse für Euch haben – ja, für so glückliche Menschen wie Ihr seid, unmöglich haben können.«

»Nein, nicht doch, Powis – Ihr seid ungerecht gegen Euch und gegen mich. Auch ich habe meine Mutter verloren, als ich noch ein Kind war, und weiß nichts von Mutterliebe und Mutterzärtlichkeit. Fahrt fort; ich bin jetzt ruhiger und bitte Euch dringend, meiner Schwäche zu vergessen und fortzufahren.«

Paul entsprach diesem Geheiß; aber die kurze Unterbrechung, während welcher sie sich dem gemeinsamen Schmerz über das gleiche Unglück hingegeben hatten, ließ eine neue Gefühlssaite erbeben und entfernte mit einemmale eine Bergeslast von Zurückhaltung und Abgemessenheit, die ihrem zunehmenden Vertrauen leicht hätte hinderlich werden können.

»In dieser Weise von meiner nächsten und theuersten natürlichen Freundin losgerissen,« fuhr Paul fort, »fiel ich schon als Säugling der Obhut von Miethlingen anheim, und in diesem Betracht wenigstens ist mein Geschick viel herber gewesen, als das Eurige; denn die treffliche Person, die so glücklich war, Eure Kindheit überwachen zu dürfen, besaß fast die Liebe einer natürlichen Mutter, obschon es ihr an den höheren Eigenschaften Eurer Lebensstellung gebrach.«

»Aber wir hatten doch Väter, Mr. Powis. Mir ist mein trefflicher, grundsatzfester und liebevoller – ja, ich darf wohl sagen, zärtlicher Vater Alles gewesen. Ohne ihn wäre ich in der That elend gewesen, aber mit ihm darf ich mich, trotz dieser rebellischen Thränen – Thränen, die ich der ansteckenden Kraft Eures eigenen Kummers zuschreiben muß – als gesegnet preisen.«

»Mr. Effingham hat dieses Gefühl wohl um Euch verdient, aber ich habe meinen Vater nie gekannt.«

»Euern Vater nicht gekannt?« rief Eva, und die Töne ihrer Stimme bekundeten eher die übermächtige Sympathie mit den Entbehrungen der Waise, als eine gewöhnliche Überraschung.

»Er schied von meiner Mutter vor meiner Geburt, und ich weiß nicht, ob er bald nachher starb, oder ob er sein Kind nicht für wichtig genug hielt, um sich veranlaßt zu sehen, auch nur ein einziges Mal über sein Geschick Kunde einzuziehen.«

»Dann hat er dieses Kind nie gekannt!« rief Eva mit einer Wärme und Freimüthigkeit, welche alle Rückhaltung, die der weiblichen Erziehung sowohl, als die der natürlichen Schüchternheit bei Seite setzte.

»Miß Effingham! theuerste Miß Effingham! – Eva – meine Eva, was darf ich aus dieser edelmüthigen Wärme folgern? Ach, laßt mich kein trügerisches Licht in der Ferne sehen; denn ich kann wohl mein einsames Elend ertragen und den Leiden eines abgeschiedenen Daseins Trotz bieten, aber nimmermehr unter der Täuschung einer solchen Hoffnung leben – einer Hoffnung, wie sie der Ausruf Eurer Lippen geweckt hat!«

»Ihr lehrt mich, wie wichtig die Vorsicht ist, Powis, und wir wollen jetzt zu Eurer Geschichte – zu jenem Vertrauen zurückkehren, das Ihr gewiß nicht unwürdig wegwerft. Vorderhand wenigstens bitte ich, daß Ihr alles Andere vergessen möget.«

»Ein so freundlicher, so ermuthigend gegebener Befehl – oder nehmt Ihr etwa Anstoß an meinen Worten, theuerste Miß Eva?«

Zum erstenmale in ihrem Leben legte Eva ihren leichten Arm in den ihres Begleiters und bekundete gerade in der Weise, wie sie diesen einfachen und alltäglichen Akt vornahm, eine hinreißende aber doch bescheidene Zuversicht zu dessen innerem Werth. Zugleich fuhr sie heiterer fort:

»Ihr vergeßt die Hauptsache des Befehls in demselben Augenblicke, in welchem Ihr mich glauben machen wollt, daß Euch Alles daran liege, ihm sogleich Folge zu leisten.«

»Wohlan denn, Miß Eva, ich will Euch unbedingter gehorchen. Warum mein Vater so bald nach der Verehlichung meine Mutter wieder verließ, habe ich nie erfahren können. Es scheint, daß sie nur wenige Monate mit einander lebten, obschon ich, mit Stolz darf ich sagen, die tröstliche Ueberzeugung in mir trage, daß meiner Mutter kein Vorwurf gemacht werden kann. Lange machte mich der Zweifel über einen Punkt unglücklich, der für den Mann stets am empfindlichsten ist – ich meine das Mißtrauen gegen die eigene Mutter; aber alles dieß fand, Gott sei Dank, während meines letzten Besuchs in England eine glückliche Aufklärung. Allerdings war Lady Dunluce meiner Mutter Schwester, und konnte um deßwillen mild gegen ihre Fehler sein; aber ein letzter Brief von meinem Vater, der nur einen Monat vor meiner Mutter Tod geschrieben wurde, bannt allen Zweifel, indem er nicht nur ihre Makellosigkeit beweist, sondern auch ihrem liebenswürdigen Charakter volle Anerkennung zu Theil werden läßt. Ein solcher Brief ist ein kostbares Dokument für den Sohn, Miß Effingham.«

Eva gab keine Antwort, aber Paul meinte, einen schwachen Druck der Hand zu fühlen, welche bisher so leicht auf seinem Arm geruht hatte, daß er denselben kaum zu bewegen wagte, um nicht das köstliche, obgleich kaum fühlbare Bewußtsein dieser Berührung zu verlieren.

»Ich besitze noch andere Briefe von meinem Vater an meine Mutter,« fuhr der junge Mann fort, »aber keiner wirkt so wohlthuend auf mein Herz, wie dieser. Aus dem allgemeinen Tone derselben kann ich die Ueberzeugung nicht gewinnen, daß er sie je wahrhaft geliebt hat. Es ist grausam von einem Manne, Miß Effingham, ein Weib in einem derartigen Punkte zu hintergehen.«

»Ja wohl grausam!« entgegnete Eva mit Festigkeit. »Der Tod selbst wäre besser als eine solche Täuschung.«

»Ich glaube, mein Vater täuschte sich selbst ebensosehr als meine Mutter, denn es liegt eine seltsame Zusammenhanglosigkeit und ein Mangel an Bestimmtheit in einigen seiner Briefe, so daß meine Gefühle, die natürlich über einen derartigen Gegenstand sehr empfindlich sein mußten, mich von Anfang an kein Vertrauen in seine Zuneigung setzen ließen.«

»War Eure Mutter reich?« fragte Eva unschuldig, denn da ihr selbst ein großes Erbe in Aussicht stand, hatte sie früh ihre Wachsamkeit der Masse von Trug und Unehrlichkeit zugewandt, welche zeitliche Güter zu umlagern pflegen.

»Nein, sie hatte wenig außer ihrer hohen Abkunft und ihrer Schönheit. Ich bin im Besitze ihres Portraits, welches die letztere zureichend beweist – oder ich war es, sollte ich vielmehr sagen; denn ich spreche jetzt von jenem Miniaturbilde, das mir, wie Ihr Euch erinnert, die Araber raubten, und das ich seitdem nicht wieder gesehen habe. Was Vermögen betrifft, so besaß meine Mutter kaum so viel, um als Dame von Stand damit auszureichen; weiter nichts.«

Der Druck auf Pauls Arm wurde fühlbarer, als er von dem Miniaturbilde sprach, und er wagte es, den seiner Begleiterin etwas fester an sich zu drücken.

»Mr. Powis ließ sich also nicht durch feile Beweggründe bestechen, und dieß ist schon viel,« versetzte Eva in einer Weise vor sich hinsprechend, als sei sie sich nicht bewußt, daß sie überhaupt etwas sagte.

»Mr. Powis? Er war eine höchst edle und uneigennützige Seele. Nie hat ein edelmüthigerer oder weniger selbstsüchtiger Mann gelebt, als Francis Powis!«

»Ich glaubte, Ihr hättet Euern Vater nie persönlich gekannt!« rief Eva überrascht.

»Dieß ist auch der Fall; ich bemerke übrigens jetzt, daß Ihr irrtümlicherweise wähnt, mein Vater habe Powis geheißen, während sein Name Assheton war.«

Paul setzte sodann auseinander, wie er als Kind von einem Gentleman, Namens Powis, adoptirt worden sei und sich nach ihm genannt habe, als er fand, daß er von seinem eigenen natürlichen Vater verlassen worden; auch sei er nach dem Tode seines edelmüthigen Beschützers in das Erbe seiner Hinterlassenschaft eingetreten.

»Ich führte den Namen Assheton, bis ich Mr. Powis nach Frankreich begleitete, wo er mir rieth, den seinigen anzunehmen. Ich that dieß um so bereitwilliger, weil er die Ueberzeugung gewonnen zu haben glaubte, daß mein Vater todt sei und sein ganzes bedeutendes Vermögen seinen Neffen und Nichten hinterlassen habe, ohne in seinem Testamente auf mich anzuspielen; ja es hat sogar den Anschein gehabt, als wolle er seine Verehelichung ganz in Abrede ziehen. Wenigstens hatte die Person unter ihren Bekannten bis zum Tage seines Todes als unverheirathet gegolten.«

»In alledem liegt etwas so Ungewöhnliches und Unerklärliches, Mr. Powis, daß es mir vorkommt, Ihr verdienet Tadel, weil Ihr nicht genauer die Umstände erforschtet, als es, wie ich Eurem Berichte zufolge vermuthen möchte, geschehen ist.«

»Lange Zeit – viele bittere Jahre scheute ich mich vor jeder Erkundigung, um nicht etwas erfahren zu müssen, was dem Namen meiner Mutter nachtheilig werden konnte. Später hielt mich mein Beruf lange Zeit in fernen Meeren, und die letzte Reise, wie auch die schmerzliche Krankheit meines trefflichen Wohlthäters hinderte mich, sogar dem Wunsche, meiner Familie nachzufragen, Raum zu geben. Der verletzte Stolz von Mr. Powis, welcher sich mit Recht beleidigt fühlte über die cavalierartige Weise, wie die Familie meines Vaters seine Annäherung zurückwies, diente dazu, mich diesem Theile meiner Verwandten zu entfremden und allen weiteren Anknüpfungen Einhalt zu thun. Sie thaten sogar, als bezweifelten sie das Faktum, daß mein Vater je verheirathet gewesen sei.«

»Aber Ihr hattet Beweise dafür?« fragte Eva angelegentlich.

»Unwiderlegliche Beweise. Meine Tante Dunluce war bei der Trauung anwesend, und ich bin im Besitze des Certificats, welches meiner Mutter von dem functionirenden Geistlichen ertheilt wurde. Aber ist es nicht seltsam, Miß Effingham, daß bei allen diesen Umständen, welche für meine Legitimation sprachen, sogar Lady Dunluce und ihre Familie bis auf die letzte Zeit die Thatsache bezweifelten?«

»Dieß ist in der That unerklärlich, wenn Eure Tante der Trauung persönlich angewohnt hat.«

»Sehr wahr; aber einige Umstände, zu denen vielleicht noch der sehnliche Wunsch ihres Gatten, des General Doucie, kam, die in Anwartschaft stehende Baronie als einziger Erbe auf seine Familie bringen zu können, wenn man meine Rechte für ungiltig erklärte – hatten sie auf den Glauben geführt, mein Vater sei bereits verheirathet gewesen, als er den feierlichen Bund mit meiner Mutter einging. Doch auch dieser Fluch ist mir glücklicherweise abgenommen worden.«

»Armer Powis,« sagte Eva mit einer Theilnahme, die sich in ihrer Stimme noch deutlicher sogar ausdrückte, als in ihren Worten; »bei Eurer Jugend habt Ihr in der That schon viel erduldet.«

»Ich habe es ertragen lernen, theuerste Miß Effingham; ich bin so lang als ein einsames, verlassenes Wesen dagestanden, für das Niemand Theilnahme fühlte.«

»Oh, sprecht nicht so – wir wenigstens haben stets Theilnahme für Euch gefühlt, haben Euch immer geachtet, und jetzt auch gelernt –«

»Was gelernt?«

»Euch zu lieben!« erwiederte Eva mit einer Festigkeit, welche sie später selbst in Erstaunen versetzte. Sie fühlte übrigens, daß ein Wesen in solcher Stellung ein Anrecht an offene Behandlung hatte, und daß es unbillig gewesen wäre, gegen Paul die Rückhaltung zu beobachten, die ihr Geschlecht bei ähnlichen Anlässen an den Tag zu legen pflegt.

»Zu lieben?« rief Paul, ihren Arm fallen lassend. »Ach, Miß Effingham – Eva – aber jenes wir

»Ich meine damit meinen theuren Vater – Vetter Jack – mich –«

»Ein solches Gefühl wird eine Wunde, wie die meinige ist, nicht heilen! Eine Liebe, die getheilt ist, – wäre es auch mit so trefflichen Männern, wie Euer Vater und Euer würdiger Vetter, kann mich nicht glücklich machen. Doch warum sollte ich, der Verwaiste, welcher sogar an den Namen, den er trägt, kein gesetzliches Anrecht hat und aller verwandtschaftlichen Beziehung baar ist, das Auge zu einem Wesen, wie Ihr, erheben!«

Die Windungen des Pfades hatten sie in die Nähe eines der Wigwamfenster gebracht, aus dem ein starkes Licht hervorging und Eva's holde Züge erhellte, wie sie eben ihre Augen zu denen ihres Begleiters erhob. Ihr Antlitz glühte von natürlichem Gefühl und sittiger Bescheidenheit – ein Kampf zweier Empfindungen, welcher ihre Anmuth doppelt bezaubernd erscheinen ließ. Um ihren Mund schwebte ein Lächeln der Ermuthigung, das unmöglich zu mißdeuten war.

»Darf ich meinen Sinnen trauen! Werdet Ihr – wollt Ihr – könnt Ihr auf die Bewerbung eines Mannes, wie ich bin, hören?« rief der Jüngling, während er mit seiner Begleiterin an dem Fenster vorbeieilte, damit nicht irgend eine Unterbrechung seine Hoffnungen vernichten möchte.

»Ist ein zureichender Grund vorhanden, warum ich nicht sollte, Powis?«

»Keiner, als meine unglückliche Stellung zu meiner Familie, meine beziehungsweise Armuth und mein Unwerth im Allgemeinen.«

»Eure unglückliche Stellung zu Euern Verwandten würde eher ein neues und theureres Band zwischen uns abgeben; Eure beziehungsweise Armuth ist, wie Ihr bemerkt, nur beziehungsweise und kann nicht in Betracht kommen, wo bereits hinreichend vorhanden ist, und was Euren Unwerth betrifft, so fürchte ich, er wird mehr denn aufgewogen in dem des Mädchens, welches Ihr so übereilt vor aller übrigen Welt erwählt habt.«

»Eva – theuerste Eva –« sagte Paul, ihre beiden Hände fassend und mit ihr an dem Eingange in einem Gesträuch stehen bleibend, welches den Pfad dicht beschattete und wo das schwache Licht der Sterne ihn einigermaßen in den Stand setzte, in ihren Zügen zu forschen. – »Ihr werdet mich über diesen hochwichtigen Punkt nicht im Zweifel lassen – steht mir wirklich solch ein Glück in Aussicht?«

»Wenn Euch die Treue und Liebe eines Herzens, welches ganz das Eurige ist, glücklich machen kann, Powis, so haben Eure Leiden ein Ende.«

»Aber Euer Vater?« rief der junge Mann fast athemlos in seiner Hast, Alles zu erfahren.

»Ist hier, um zu bekräftigen, was seine Tochter eben erst erklärt hat,« sagte Mr. Effingham, der allein aus dem Gesträuche heraustrat und freundlich seine Hand auf Pauls Schulter legte.

»Eine der schwersten Sorgen, die mich je bedrückt haben, ist meinem Herzen abgenommen, Powis, nun ich endlich finden darf, daß ihr euch gegenseitig so gut versteht. Mein Vetter John hat mir, wie es seine Pflicht war, Alles mitgetheilt, was Ihr ihm von Eurem vergangenen Leben erzähltet, und es sind keine weiteren Enthüllungen nöthig. Wir kennen Euch seit Jahren und nehmen Euch so freudig in unsere Familie auf, wie nur irgend ein kostbares Gut, das uns die Vorsehung zuweist.«

»Mr. Effingham! – theurer Sir,« versetzte Paul, dem Entzückung und Ueberraschung fast den Athem benahm; »dieß übersteigt in der That meine kühnsten Hoffnungen – und noch dazu diese edle Freimüthigkeit von Eurer lieblichen Tochter –«

Pauls Hände waren, er wußte nicht wie, in die des Vaters gekommen; dann aber machte er sich hastig los und wandte sich, um Eva wieder aufzusuchen – aber sie war entflohen. Während des kurzen Zwischenraums zwischen der Anrede ihres Vaters und der Erwiederung Pauls hatte sie Mittel gefunden, sich unsichtbar zu machen und die Gentlemen allein zu lassen. Der junge Mann wollte ihr folgen; über der besonnenere Mr. Effingham sah, daß die Gelegenheit jedenfalls sehr günstig zu einem Privatgespräch mit seinem künftigen Schwiegersohn, dagegen wenigstens zu einer sonderlich vernünftigen Unterhaltung unter den Liebenden nicht sehr geeignet war, weßhalb er den Arm des jungen Mannes ergriff und ihn nach einem abgelegeneren Gartengange führte. Eine halbe Stunde vertraulichen Gesprächs beruhigte die Gefühle Beider und machte Paul Powis zu einem der glücklichsten Sterblichen.


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