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Sechszehntes Kapitel.

Ihre Brust war ein weiter Bau, eine breite Straß',
Wo alle große Gedanken hatten freien Paß,
Und wo die Natur sich eine Wohnung thät wählen,
Daß im Winkel nur hausen die anderen Seelen.

John Norton.

 

Wir haben das Dorf Templeton bereits als ein Miniaturstädtchen bezeichnet. Es hatte zwar etwa ein halb Dutzend von Gründen umgebene Wohnungen, welche eigene Namen führten, aber doch kaum zwölfhundert Acres Flächenraum: denn seit Entstehung des Ortes hatte hier im Gegensatze zu der gewöhnlichen Ausbreitungslust der Landbevölkerung jene allen amerikanischen Städten so eigenthümliche Concentrations-Neigung Platz gegriffen, welche es fast zu einer gesetzlichen Vorschrift zu machen scheint, daß eine Privatwohnung nicht mehr als drei Fenster vorn hinaus und eine Façade von blos fünfundzwanzig Fuß haben dürfe.

In einer der abgeschiedensten Straßen (denn Templeton hatte seine Oeffentlichkeit, wie seine Abgeschiedenheit, obschon letztere ganz den Dorfcharakter in sich trug), wohnte eine Stroh-Wittwe, die einige Mittel besaß, fünf Kinder hatte und sich's angelegen sein ließ, ihr Licht leuchten zu lassen. Mrs. Abbot, denn so hieß diese Halbverlassene, stand just am Rande der sogenannten »guten Gesellschaft« des Dorfes, die allerunbehaglichste Lage, in welcher sich eine ehrgeizige und ci-devant hübsche Frau befinden kann. Sie hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, eine Scheidung zu erwirken und auf's Neue Freier um sich zu sehen, war auffallend – ja, eigentlich wüthend andächtig, hielt sich selbst für ein Musterbild von Vollkommenheit, obschon die Nachbarn gar Manches gegen sie einzuwenden hatten, und konnte überhaupt als ein possirliches, aber keineswegs seltenes Gemisch von Frömmigkeit und Tadelsucht, Menschenfreundlichkeit und Schadenfreude, Fraubaserei und Wohlwollen, ränkevoller Feindseligkeit und Anstand betrachtet werden.

Mrs. Abbots Hauswesen war nothwendig sehr klein; auch hatte sie keine andere Bedienung, als die eines Mädchens, welche sie ihre Hilf' nannte – eine nicht unpassende Bezeichnung, da letztere und die Frau des Hauses die meisten vorkommenden Geschäfte gemeinschaftlich besorgten. Dieses Mädchen war, abgesehen von ihren Obliegenheiten des Kochens und Waschens, die Vertraute von allen den unsteten Ansichten, welche ihre Frau im Allgemeinen von der Menschheit und von der Nachbarschaft insbesondere unterhielt, und mußte eben so oft, als bei irgend etwas Anderem, Beihilfe leisten, um Mrs. Abbot's Gutachten über die letztere in Umlauf zu setzen. Von den Effingham's wußte die Wittwe nichts weiter, als was sie von Leuten ihrer eigenen Klasse gehört hatte, da sie selbst erst kürzlich in dem Orte angelangt war. Sie hatte Templeton zum Wohnort gewählt, weil es hier sehr wohlfeil zu leben war, und obschon sie es versäumt hatte, Förmlichkeits halber den gewohnten Besuch im Wigwam zu machen, so grollte sie doch jetzt in ihrem Innern wenigstens mit Eva, weil diese aus zarter Rücksicht sich nicht aufdringen wollte, wo sie, allem Brauche gemäß, das vollkommenste Recht zu der Voraussetzung hatte, daß man nichts von ihr wolle. In dieser Stimmung saß sie am Morgen nach dem im letzten Kapitel erwähnten Gespräche in ihrem engen Wohnstübchen, bald mit Jenny plaudernd (denn so hieß die Gehilfin in allen Arbeiten), bald ihre Nadel in Bewegung setzend, noch öfter aber den Kopf zu dem nach der Hauptstraße des Orts hinliegenden Fenster hinaussteckend, um zu sehen, was etwa die Nachbarn treiben möchten.

»Mr. Effingham hat in Betreff des Vorsprungs ein ganz außerordentliches Verfahren eingeschlagen,« sagte Mrs. Abbot »und ich hoffe, das Volk wird ihn zur Besinnung bringen. Ja, Jenny, das Publikum hat sich des Platzes bedient, so lang ich mich erinnern kann, und ich wohne nun schon volle fünfzehn Monate in Templeton. – Was kann wohl Mr. Howel veranlassen, so oft nach jener Barbierstube zu gehen, die dem Fenster von Miß Bennet gegenüber liegt? – Man sollte glauben, der Mann sei lauter Bart.«

»Ich denke, Mr. Howel läßt sich bisweilen rasiren,« versetzte die logische Jenny.

»O gewiß nicht; oder wenn er's thut – nein, kein verständiger Mann könnte daran denken, sich zu einem solchen Zweck vor dem Fenster einer Lady aufzupflanzen. – Orlando Furioso Samuel,« rief sie ihrem ältesten Sohne, einem eilfjährigen Knaben zu – »lauf nach dem Laden des Mr. Jones hinüber, höre, von was die Leute sprechen, und bring mir die Kunde zurück, sobald Jemand etwas verlauten läßt, was die Mühe des Anhörens verlohnt; und ehe du zurückkömmst, mein Sohn, geh zu Nachbar Brown und borge dessen Bratrost. Jenny, es ist die allerhöchste Zeit, an's Ueberhängen der Kartoffeln zu denken.«

»Ma!« rief Orlando Furioso Samuel von der Hausthüre aus, denn Mrs. Abbot hielt strenge darauf, daß alle ihre Kinder sie »Ma« nannten; sie war freilich so weit hinter dem Zeitalter zurück, daß sie nicht wußte, wie »Mutter« längst der weit gentilere Ausdruck geworden war. – »Ma,« rief Orlando Furioso Samuel, »wenn's aber im Laden des Mr. Jones nichts Neues gibt?«

»Dann gehst du in die nächste Schenke. Etwas muß an diesem schönen Morgen los sein, und ich sterbe vor Verlangen, zu erfahren, was es möglicherweise sein kann. Wohlgemerkt, du mußt außer dem Bratrost noch etwas mitbringen, Fury, oder du darfst mir dein ganzes Leben lang nicht wieder in's Haus kommen! Wie ich sagte, Jenny, das Recht des Publikums – d. h. unser Recht, denn wir sind ein Theil des Publikums – an diesen Vorsprung ist so klar wie der Tag, und ich kann mich nicht genug wundern über die Unverschämtheit des Mr. Effingham, daß er es in Abrede ziehen will. Ich wette, dieß hat ihm seine französische Tochter in den Kopf gesetzt, die, wie ich höre, ungeheuer arrogant ist.«

»Ist Eva Effingham Französisch?« entgegnete Jenny, geflissentlich alle die gewöhnlichen Ausdrücke der Höflichkeit und des Anstandes vermeidend, um dadurch ihre gute Erziehung zu zeigen. »Na, ich habe stets geglaubt, sie sei nichts, als eine geborne Templetonerin.«

»Was liegt daran, wo eine Person geboren ist? Der Ort, wo man lebt, ist das Wesentliche, und Eva Effingham hat sich so lang in Frankreich aufgehalten, daß sie nur gebrochen Englisch spricht. Miß Delby sagte mir in letzter Woche, sie habe bei Entwerfung einer Subscriptionsliste zum Zweck von Anschaffung eines neuen Kissens für das Lesepult ihrer Kirche das Wort ›Charität‹ wahrhaftig wie ›Carotte‹ geschrieben.«

»Ist dieß Französisch, Mrs. Abbot?«

»Ich glaube fast, Jenny. Die Franzosen sind sehr knauserig und geben ihren Armen nur Carotten zu essen; in dieser Weise sind sie wahrscheinlich zu dem Worte gekommen. He, Byansy, Alzumny Anne (Bianka Alzuma Anna)!«

»Marm!«

»Byansy Alzumy Anne, wer hat dich gelehrt, mich Marm zu nennen? Ist dieß die Art, wie du deinen Katechismus gelernt hast? Sag' augenblicklich ›Ma‹.«

»Ma.«

»Nimm dein Hütchen« – Mrs. Abbot liebte es, Kürze halber, dieses Wort wie »Hüttchen« auszusprechen– »nimm dein Hütchen, mein Kind, laufe zu Mrs. Wheaton hinab und frage sie, ob diesen Morgen in Betreff des Vorsprungs nichts Neues ausgekommen ist. Und hörst du, Byansy Alzumy Anne Abbot – wie doch das Kind gleich fortschießt, als handle sich's um Leben und Tod!«

»Ei, Ma, ich möchte auch die Neuigkeiten hören.«

»Dieß kann ich mir denken, meine Liebe; aber durch ein bischen weniger Hast wirst du weit mehr erfahren, als wenn du so sehr eilst. Geh auch zu Mrs. Green hin und frage sie, wie den Leuten gestern Abend die Erbauungsstunde des fremden Pfarrers gefallen habe – und bitte sie, wenn sie könne, mir eine Gießkanne zu borgen. Jetzt lauf und komm sobald als möglich wieder zurück. Wenn du Neuigkeiten weißt, Kind, so mußt du nie zögern.«

»Ich glaube, Mrs. Abbot, es hat Niemand das Recht, die Post anzuhalten?« lautete Jenny's sehr passende Frage.

»Nein, in der That nicht, denn wer könnte die Folgen davon berechnen? Ihr werdet Euch erinnern, Jenny, sogar die Frommen haben diesen Punkt aufgegeben, denn die öffentliche Bequemlichkeit war selbst für die Religion zu stark. Roger Demetrius Benjamin!« rief sie einen zweiten Knaben zu, welcher zwei Jahre jünger war, als sein Bruder. »Deine Augen sind besser, als die meinigen – wer sind alle jene Leute, die sich in der Straße versammelt haben. Ist nicht Mr. Howel darunter?«

»Ich weiß es nicht, Ma,« antwortete Roger Demetrius Benjamin gähnend.

»Dann eile sogleich hin und sieh nach; du brauchst dich nicht vorerst nach deinem Hut umzusehen. Auf dem Rückwege geh zum Schneider und frage, ob deine neue Jacke noch nicht fertig ist, und was es Neues gebe. Ich denke fast, Jenny, wir werden im Laufe des Tages noch etwas ausfinden, was des Hörens werth ist. Beiläufig, man sagt, Grace van Courtlandt, Eva Effingham's Muhme, sei im Zustande der Zerknirschung.«

»In der That, das ist die letzte Person, von welcher ich geglaubt hätte, daß sie sich durch etwas anfechten ließe, denn Jedermann spricht davon, sie sei so verzweifelt reich, daß sie auf Silber essen könnte, wenn sie wollte, und sie darf darauf zählen, früher oder später einen Mann zu kriegen.«

»Dieß muß ihre Sorgen nur erhöhen. Oh, es thut meinem Herzen wohl, wenn ich sehe, daß dieses flunkernde Volk gehörig geübt wird. Nichts würde mich glücklicher machen, als wenn ich sehen könnte, daß selbst Eva Effingham im Geiste stöhnen müßte! Sie würde daraus lernen, was es heißt, anderen Leuten Vorsprünge wegzunehmen.«

»Aber Mrs. Abbot, dann würde sie eine fast so fromme Frauensperson werden, als Ihr selbst seid.«

»Oh diese gewiß nicht, obschon ich nur eine arme, gnadebedürftige und im Grunde des Herzens verderbte Sünderin bin! Zwanzigmal im Tag wandeln mich Zweifel an, ob ich auch wirklich wiedergeboren bin oder nicht, denn die Sünde zieht die Fibern meines Herzens so stark an, daß es mir bisweilen vorkömmt, als würden sie eher brechen, als loslassen. Rinaldo Rinaldini Timothy, mein Kind, geh' über die Straße hinüber, sage Mrs. Hulbert mein Compliment und frage sie, ob es wahr sei, daß der junge Dickson, der Advokat, mit Aspasia Tubbs verlobt sei. Borge auch bei ihr einen Schaumlöffel, eine Zinnkanne oder sonst etwas, was du tragen kannst, denn wir könnten im Laufe des Tages etwas dergleichen brauchen. Ich glaube, Jenny, daß eine schlechtere Creatur als ich bin, kaum durch ganz Templeton aufzufinden ist.«

»Ei, Mrs. Abbot,« entgegnete Jenny, welche schon zu viel von dieser Selbster[niedrigung] gehört hatte, um sich sonderlich dadurch irren zu lassen, »Ihr gebt Euch ja fast ein eben so schlimmes Zeugniß, wie letzte Woche eine gewisse Person, die ich nicht nennen mag.«

»Und wer ist diese gewisse Person? – Die möcht' ich doch kennen! Ich wette, irgend Jemand von den Formalisten, die da glauben, aus dem Buch Beten, Knieen, Verbeugungenmachen und Kleiderwechseln mache die Religion aus! Dem Himmel sei Dank, ich bin ziemlich gleichgültig gegen die Ansichten solcher Leute. Hört, Jenny, wenn ich nicht besser zu sein glaubte, als einige Personen, die ich nennen könnte, so würde ich an meinem Seelenheil verzweifeln.«

»Mrs. Abbot!« schrie ein zerlumpter, schmutziger, baarfüßiger Knabe, der ohne anzupochen hereinstürzte und, den Hut auf dem Kopf, mitten im Zimmer stehen blieb – eine Hast, welche klärlich bekundete, daß der junge Gentleman gewohnt war, anderer Leute Besitzungen ohne Umstände zu betreten. »Mrs. Abbot, Ma möchte wissen, ob Ihr vielleicht diese Woche zu verreisen gedenkt.«

»Und warum wünscht sie dieß zu wissen, Ordeal Bumgrum?« Mrs. Abbot sprach diesen seltsamen Namen wie »Ordil« aus.

»Oh, sie möcht's eben wissen.«

»Und ich muß und will zuvor den Grund hören. Lauf daher augenblicklich nach Hause und frage deine Mutter, warum sie dich mit diesem Auftrag hieher geschickt hat. Jenny, ich kann mir nicht denken, was Mrs. Bumgrum veranlassen kann, durch Ordeal eine solche Frage an mich stellen zu lassen.«

»Ich habe gehört, Mrs. Bumgrum beabsichtige selbst eine Reise zu machen; vielleicht möchte sie Eure Gesellschaft haben.«

»Da kommt Ordeal schon wieder zurück, und wir werden bald im Klaren sein. Das ist ein Junge für Aufträge! Er ist mehr werth, als alle meine Söhne zusammengenommen. Nie sieht man ihn seine Zeit damit verlieren, daß er den Straßenwindungen folgt, denn er huscht stets wie eine Katze über die Gartenzäune weg oder schnurrt durch ein Haus, das ihm im Wege steht, wie der Eigenthümer, und wenn die Thüre auch nur einen Zoll weit offen steht. Nun, Ordeal?«

Aber Ordeal war athemlos, und obgleich ihn Jenny rüttelte, als wolle sie die Neuigkeiten aus ihm herausschütteln, und sogar Mrs. Abbot in ihrer Ungeduld nach Belehrung die Faust gegen ihn erhob, so konnte ihn doch nichts zum Sprechen veranlassen, bis er sich einigermaßen verschnaubt hatte.

»Ich glaube, er thut es absichtlich,« sagte die Dienerin ärgerlich.

»Das sieht ihm ganz gleich,« entgegnete die Gebieterin. »Der beste Neuigkeitsträger im Dorf ist verdorben, weil er einen kurzen Athem hat.«

»Wenn nur die Leute ihre Zäune nicht so hoch machten,« rief Ordeal, sobald er wieder zu Athem gekommen war. »Ich kann nicht einsehen, was ein Zaun nützen soll, wenn man nicht darüber wegklettern kann.«

»Was sagt deine Mutter?« rief Jenny, ihr Rütteln con amore wieder aufnehmend.

»Ma möchte wissen, Mrs. Abbot, ob Ihr Euren Namen selbst braucht oder ob Ihr denselben nicht auf einige Tage herborgen könntet, weil sie mit ihm nach Utika gehen möchte. Sie sagt, die Leute behandeln sie nicht halb so gut, wenn sie sich Bumgrum nennt, und möchte es daher diesmal mit dem Eurigen versuchen.«

»Ist dieß Alles? Du hättest nicht nöthig gehabt, wegen einer derartigen Kleinigkeit so sehr zu eilen, Ordeal. Mein Compliment an deine Mutter, und sage Ihr, mein Name sei ihr von Herzen gegönnt; ich hoffe, er werde ihr dienstlich sein.«

»Sie sagt, sie wolle Euch für die Benützung gerne bezahlen, wenn Ihr sagen wollt, was Ihr verlangt.«

»Oh, eine solche Kleinigkeit ist nicht der Rede werth; sie wird ihn wohl so gut wieder zurückbringen, als sie ihn mitnahm. Ich bin keine so unnachbarliche oder aristokratische Person, daß ich wünschen sollte, meinen Namen ganz für mich allein zu behalten. Sage deiner Mutter, sie solle ihn immerhin benützen, so lange es ihr beliebt, und mir nicht von Bezahlung sprechen. Ich könnte vielleicht einmal den ihrigen oder etwas Anderes von ihr borgen wollen, obschon, die Wahrheit zu sagen, meine Nachbarn sich über meine Unfreundlichkeit und meinen Stolz beklagen, weil ich nicht so viel von ihnen borge, als eine gute Nachbarin sollte.«

Ordeal entfernte sich, und Mrs. Abbot blieb einigermaßen in dem Zustande des Mannes zurück, der sich seines Schattens begeben hatte. Ein Pochen an der Thüre unterbrach jede weitere Erörterung des alten Gegenstandes, und auf den Ruf herein machte Mr. Steadfast Dodge seine Aufwartung. Dieser Gentleman und Mrs. Abbot waren, was Neuigkeiten betraf, verwandte Geister, denn Ersterer zog aus ihnen seinen Erwerb, während sie für Letztere Lebensluft waren.

»Willkommen, sehr willkommen, Mr. Dodge,« begann die Gebieterin des Hauses. »Ich höre, Ihr habt den gestrigen Tag bei den Effinghams zugebracht.«

»Ja wohl, Mrs. Abbot; die Effinghams bestanden durchaus darauf, und ich konnte mich diesem Opfer nicht wohl entziehen, nachdem ich so lange ihr Schiffsgefährte gewesen war. Außerdem gewährt es eine kleine Erholung, wieder Französisch sprechen zu können, nachdem man es Monate lang täglich geübt hat.«

»Ich höre, es ist Gesellschaft im Hause?«

»Nur zwei unserer Reisegefährten – ein englischer Baronet und ein junger Mann, von welchem weniger bekannt ist, als man wohl wünschen könnte. Er ist eine geheimnißvolle Person, und ich hasse alle Geheimnisse, Mrs. Abbot.«

»Hierin theilt Ihr also meine Gesinnung, Mr. Dodge. Ich bin der Ansicht, daß Alles bekannt sein sollte. In der That kann von keinem freien Lande die Rede sein, wo es Geheimnisse gibt. Ich habe keinen Vorbehalt vor meinen Nachbarn und, offen gestanden, kann's auch nicht leiden, wenn meine Nachbarn vor mir heimlich thun wollen.«

»Dann werdet Ihr kaum einen Gefallen an den Effinghams finden können, denn ich bin noch nie mit einer verschlosseneren Familie zusammengekommen. Obgleich ich mich so lange mit Miß Eva in demselben Schiff aufhielt, habe ich sie doch nie über Appetitmangel, Seekrankheit oder etwas, was auf ihre Leiden Bezug gehabt hätte, sprechen hören; auch könnt Ihr Euch gar nicht denken, wie zurückhaltend sie in Betreff der Beaux ist. Ich glaube nicht, je dieses Wort aus ihrem Munde gehört zu haben, und aus ihrer Verschlossenheit sollte man glauben, sie habe in ihrem Leben nie einen Spaziergang oder einen Ausflug mit einem Manne gemacht. Ich halte sie für schrecklich arglistig, Mrs. Abbot.«

»Zuverlässig habt Ihr hierin vollkommen Recht, Sir, denn es gibt kein sichereres Zeichen, daß eine junge Frauensperson stets an die Beaux denkt, als wenn sie dieselben nie über die Lippen kommen läßt.«

»Ich glaube, dieß liegt in der Menschennatur; keine unschuldige Person nimmt in der Unterhaltung je an diesem Gegenstande Anstoß. Was haltet Ihr von der beabsichtigten Heirath in dem Wigwam, Mrs. Abbot?«

»Heirath!« rief Mrs. Abbot, wie etwa ein Hund nach einem Knochen schnappen würde. »Wie, jetzt schon? Hat man je etwas Unanständigeres gehört! Ei, Mr. Dodge, die Familie ist ja noch keine vierzehn Tage zu Hause – und sobald schon an's Heirathen denken? Es ist eben so schlimm, als wenn Wittwer nach dem ersten Monate schon sich wieder um Weiber umsehen.«

Mrs. Abbot machte stets einen Unterschied zwischen Wittwern und Wittwen, da die Ersteren, wie sie behauptete, heirathen könnten, wenn sie wollten, Letztere aber nur, wenn eine Werbung an sie erginge; auch fühlte sie bei dem Gedanken, daß ein Mann nach dem Tode seiner Gattin zu bald heirathen könnte, just jene Art von Entsetzen, die sich von einer Person erwarten ließ, welche wirklich auf einen zweiten Ehemann sann, noch ehe der erste todt war.

»Es ist freilich vielleicht ein Bischen vorschnell,« entgegnete Steadfast, »obschon sie schon lang mit einander bekannt sind. Ihr habt daher ganz Recht, wenn Ihr sagt, es würde anständiger sein, wenn sie zuwarteten und sähen, was sich in einem Lande für sie aufthut, das ihnen so zu sagen ein fremdes ist.«

»Aber wer ist das Paar, Mr. Dodge?«

»Miß Eva Effingham und Mr. John Effingham.«

»Mr. John Effingham!« rief die Dame entsetzt, denn dieß hieß einen ihrer eigenen Tagträume auf den Kopf schlagen. »Nein, dieß ist zu arg! Aber er soll sie nicht heirathen, Sir; das Gesetz wird's verhindern, denn wir leben in einem Lande der Gesetze. Ein Mann kann nicht seine eigene Nichte heirathen.«

»Es ist über alle Gebühr unschicklich und man sollte der Sache Einhalt thun. Aber freilich diese Effinghams thun so ziemlich, was sie wollen.«

»Es thut mir leid, hören zu müssen, daß sie so gar widerwärtig sind,« entgegnete Mrs. Abbot mit einem Blicke gieriger Frage, als fürchte sie, die Erwiederung möchte verneinend ausfallen.

»Es ist so arg, als nur möglich. Sie haben kaum das Mindeste an sich, was Euch gefallen könnte, meine liebe Marm; dabei sind sie so verschlossen, als fürchteten sie stets, sich eine Blöße zu geben.«

»Verzweifelt schlechte Neuigkeitsfreunde, habe ich mir sagen lassen, Mr. Dodge. Da ist zum Beispiel Dorindy (Dorinda) Mudge, die einen einzigen Tag lang bei Eva und Grace zu thun hatte; sie sagt mir, sie habe alles Mögliche versucht, um sie zum Sprechen zu bringen, indem sie von den allergewöhnlichsten Dingen anfing – von Dingen, die jedes meiner Kinder sogar weiß – zum Beispiel von Geschichten aus der Nachbarschaft und wie sich die Leute fortbringen; aber obschon sie ein Bischen zuhörten – und dieß ist allerdings Etwas – so war ihnen doch keine Sylbe als Antwort oder Bemerkung darauf zu entlocken. Sie sagt mir, sie habe mehreremale Lust gehabt, davon zu laufen, denn es sei ungeheuer unangenehm, mit so wortkargen Leuten umzugehen.«

»Ich sollte mir aber doch denken, daß Miß Effingham hin und wieder einen Wink fallen ließ über die Reise und ihre vormaligen Reisegefährten,« bemerkte Steadfast, einen unruhigen Blick auf seine Gefährtin werfend.

»Bei Leibe; Dorindy behauptet, es sei unmöglich, auch nur das geringste Wörtchen über einen Nebenmenschen von ihr herauszukriegen. Als sie von der kürzlichen unangenehmen Geschichte in der Familie des armen Mr. Bronson sprach – eine traurige Angelegenheit dieß, Mr. Dodge, und es sollte mich nicht Wunder nehmen, wenn sie zuletzt noch Mr. Bronson das Herz bräche – aber als Dorindy davon anfing, und sie ist doch wahrhaftig schlimm genug, um die Empfindsamkeit eines Frosches rege zu machen, gab keine von den jungen Damen darauf eine Antwort oder stellte auch nur eine einzige Frage. In dieser Hinsicht, höre ich, ist Grace so schlimm, wie Eva, und Eva so schlimm wie Grace. Statt mehr von der Sache wissen zu wollen, was thut meine Miß Eva? – sie wendet sich zu einigen Klecksereien und zeigt ihrer Muhme, was sie Eigenthümlichkeiten einer Schweizer Landschaft zu nennen beliebt. Dann beginnen die beiden Dirnen von der Natur zu sprechen – unsere schöne Natur, sagt Dorindy, habe Eva die Unverschämtheit gehabt, sie zu nennen – als ob die menschliche Natur sammt ihren Gebrechen und Sündhaftigkeiten kein passenderer Gegenstand für die Unterhaltung eines jungen Frauenzimmers wäre, als ein thörichtes Geplauder über Seen, Felsen und Bäume – und dieß dazu noch in einer Weise, als ob die Natur um Templeton ihr gehörte. Nach meiner Ansicht ist wohl die schreiendste Unwissenheit die Ursache von alledem, Mr. Dodge, denn Dorindy sagt, sie wüßten so wenig von den verwickelten Wegen in der Nachbarschaft, als ob sie in Japan lebten.«

»Lauter Stolz, Mrs. Abbot – eitel Stolz und Hochmuth. Sie halten sich für zu vornehm, um in die Umständlichkeiten von gemeiner Leute Geschichten einzugehen. Auf dem Wege von England her habe ich oft Miß Eva Effingham angebohrt, und es war ihr stets viel zu gering, auf Dinge von Privatinteresse einzugehen, obschon ich wußte, daß es ihr an der erforderlichen Bekanntschaft mit der Sache durchaus nicht fehlte. Oh, sie ist ein wahrer Tartar in ihrer Weise, und was sie nicht thun will, dazu werdet Ihr sie nimmermehr bewegen.«

»Habt Ihr davon gehört, daß sich Grace im Zustand der Zerknirschung befindet?«

»Keine Sylbe davon! Und durch welche Predigt, Mrs. Abbot?«

»Das ist mehr, als ich Euch sagen kann, aber ich stehe dafür, nicht durch die des Kirchenpfarrers. Ich habe nie davon gehört, daß unter seiner Seelsorge eine wahre wirksame Wiedergeburt und eine fruchtbringende Bekehrung stattgefunden hätte.«

»Nein, das ganze Bekenntniß hat überhaupt sehr wenig Salbung. Wie kalt und theilnahmlos sind sie nicht in diesen eindringlichen Zeiten! Ich wette, kein Sünder hat sich je auf ihrem Boden gekrümmt, und durch ihre Macht ist nie ein Elender im Nu zu einem Heiligen umgewandelt worden. Dagegen haben wir allen Grund, dankbar zu sein, Mrs. Abbot.«

»Ja wohl, und zwar für die allerglorreichsten Vorrechte. Und welch' ein gottloser Stolz ist es nicht, daß ein sündiges Wesen, wie Eva Effingham, sich zu solchem Dünkel aufblähen kann, um sich für zu hoch zu halten, an den Angelegenheiten der Nebenmenschen Antheil zu nehmen und sich Gedanken darüber zu machen. Was dagegen mich betrifft, so hat die Wiedergeburt mein Herz so weit geöffnet, daß es mir wahrhaftig ist, als müßte ich von der geringsten Creatur in Templeton Alles wissen.«

»Das ist der wahre Geist, Mrs. Abbot. Haltet nur daran fest, und die Erlösung kann Euch nicht entgehen. Auch ich schreibe nur deßhalb eine Zeitung, um meine Theilnahme für das Menschengeschlecht an den Tag zu legen.«

»Ich hoffe, Mr. Dodge, die Presse wird die Angelegenheit mit dem Vorsprung nicht einschlafen lassen, denn sie ist die ächte Hüterin der öffentlichen Rechte, und ich kann Euch sagen, daß die ganze Gemeinde von ihr in dieser Crisis Unterstützung erwartet.«

»Wir werden nicht ermangeln, unsere Pflicht zu erfüllen,« versetzte Mr. Dodge, mit gedämpfter Stimme über seine Schulter zurücksehend. »Wie, soll ein einziges unbedeutendes Individuum, welches kein Haar mehr Recht hat, als der gemeinste Bürger im Lande, diese große und gewaltige Gemeinschaft unterdrücken? Was liegt daran, wenn Mr. Effingham auch den Landvorsprung wirklich eignete!«

»Aber er eignet ihn nicht!« unterbrach ihn Mrs. Abbot. »So lang ich Templeton kenne, hat er stets dem Publikum gehört. Außerdem sagt das Publikum, der Platz sei sein Eigenthum, und was in diesem glücklichen Lande das Publikum sagt, ist Gesetz.«

»Wir wollen nur annehmen, die Gemeinde habe keine Eigenthumsberechtigung –«

»Aber sie hat sie, Mr. Dodge,« wiederholte die Dame mit noch größerer Entschiedenheit.

»Gut, Marm, sei es so oder so, wir leben nicht in einem Lande, in welchem die Presse schweigen darf, wenn ein einzelnes, unbedeutendes Individuum sich unterfängt, das Publikum mit Füßen zu treten. Ueberlaßt die Sache uns, Mrs. Abbot; sie ist in guten Händen und soll gebührend gewahrt werden.«

»Ich bin in meinem Gott froh darüber!«

»Ich sage Euch dieß übrigens nur als einer Freundin,« fuhr Mr. Dodge fort, indem er vorsichtig aus seiner Tasche ein Manuscript zog, um es der Dame vorzulesen, welche sich mit verzehrender Neugier in eine hörgerechte Stellung brachte.

Mr. Dodges Manuscript enthielt einen angeblichen Bericht über die Geschichte mit dem Vorsprung. Er war dunkel gehalten und nicht frei von Widersprüchen; aber Mrs. Abbot's Einbildungskraft ergänzte alle Lücken und wußte die Inkonsequenzen zurechtzulegen. Der Aufsatz warf so sehr mit Verachtungsbetheuerungen gegen Mr. Effingham um sich, daß sich wohl jeder vernünftige Mann wundern mußte, warum eine sonst so passive Eigenschaft in diesem besonderen Falle plötzlich so ungestüm zum Losbrechen gekommen war. Was die Thatsachen betraf, war auch nicht eine einzige treu angegeben, dagegen aber absichtlich manche schamlose Lüge eingeflochten, welche wesentlich dazu diente, dem Ganzen ein bestechendes Colorit zu geben.

»Ich glaube, so wird's recht sein,« sagte Steadfast; »auch haben wir Sorge dafür getroffen, daß der Artikel gehörig in Umlauf kömmt.«

»Ja, dieß ist heilsam für sie,« rief Mrs. Abbot, fast athemlos vor Vergnügen. »Hoffentlich werden's doch die Leute glauben!«

»Seid unbesorgt. Handelte sich's um eine Parteisache, so gäbe es natürlich eine Theilung von Gläubigen und Ungläubigen; in Privatangelegenheiten aber, Marm, glauben die Leute stets Alles, was ihnen zu reden gibt.«

Das tête à tête wurde jetzt durch die Rückkehr von Mrs. Abbots verschiedenen Abgesandten unterbrochen, von denen jeder Einzelne, gleich der aus der Arche ausgesandten Taube, etwas zurückbrachte, was Anlaß zu weiterer Fraubaserei gab. Der Vorsprung war das gemeinsame Thema, und obgleich verschiedene Berichte unter einander im schnurgeraden Widerspruch standen, so fand doch Mrs. Abbot in dem Alles umfassenden Wohlwollen ihres frommen Herzens Mittel, überall eine Bekräftigung ihrer Wünsche aufzuklauben.

Mr. Dodge hielt Wort, und der Bericht erschien. Alle Pressen der Gegend fielen mit Gier darüber her, weil sie etwas darin gefunden hatten, um die Spalten ihrer Blätter zu füllen. Niemand schien geneigt zu sein, über die Wahrheit der Erzählung oder über den Charakter des ursprünglichen Berichterstatters Erkundigung einzuziehen. Sie war einmal gedruckt, und dieß galt bei der großen Anzahl der Zeitungsschreiber und ihren Lesern als zureichende Weihe. In der That gab es nur Wenige, welche Ruhe genug besaßen, um nicht in das allgemeine Geschrei einzustimmen, und so wurde denn dieses grobe Unrecht rückhaltslos und ohne Gewissensbisse von Denjenigen, welche ihren eigenen Aeußerungen nach die regelmäßigen und natürlichen Verfechter der Menschenrechte waren, an einem einzigen harmlosen Bürger geübt.

John Effingham machte seinen erstaunten Vetter mit dem kalten Spott, mit welchem er so gerne die Schwächen und Gebrechen des Landes zu geißeln pflegte, auf diesen außerordentlichen Auftritt einer rücksichtslosen Rechtsmißachtung aufmerksam; seine Festigkeit überigens, die durch Mr. Effingham unterstützt wurde, that einer Veröffentlichung der in dem Meeting erlassenen Resolutionen Einhalt, obschon er sie einige Zeit nachher selbst dem Drucke überantwortete, weil er hierin das wirksamste Mittel sah, den wahren Charakter des sinnlosen Pöbels bloßzustellen, welcher die Würde der Freiheit so sehr verletzt hatte, indem er trotz des vielen Geschreis von ihr auf's Unzweideutigste bekundete, wie wenig von dem wahren Geiste derselben in ihm wohnte.

Dem Menschenkenner gab der Ausgang dieser Angelegenheit reichen Stoff zu Nutzanwendungen. Sobald in Betreff der wirklichen Eigenthumsrechte an den bestrittenen Platz die Wahrheit allgemein bekannt und das Publikum zu der Ueberzeugung gekommen war, es habe bisher nicht nur kein Recht besessen, sondern sich im Gegentheil blos einer Gunst erfreut, machte sich bei denen, welche sich durch ihre anmaßenden Behauptungen und unanständige Ausfälle am meisten blosgestellt hatten, die Eigenliebe geltend, und sie begannen in dem Benehmen der Gegenpartie Entschuldigungsgründe für ihr eigenes zu suchen. Man rechnete es Mr. Effingham laut zum Vorwurfe an, daß er nicht gehandelt habe, wie er doch wirklich gehandelt hatte – er hätte nämlich dem Publikum sagen sollen, daß es kein Anrecht an das Eigenthum habe; und machte man auf die Abgeschmacktheit dieses Einwurfs aufmerksam, so beschwerte man sich über die Form, wie es geschehen sei, obgleich diese gerade die war, welche sonst jeder andere einzuschlagen pflegte. Außer diesen hohlen und unbestimmten Beschuldigungen begannen Diejenigen, welche bei der Rechtsverletzung am meisten betheiligt gewesen waren, alle ursprünglichen Behauptungen abzuläugnen, indem sie erklärten, sie hätten lange vorher gewußt, daß das Grundstück Mr. Effingham gehöre; nur hätten sie sich nicht gefallen lassen wollen, daß er oder irgend ein anderer Mensch sich herausnehmen solle, ihnen zu sagen, was ihnen schon zum Voraus so gut bekannt war. Kurz das Ende der Geschichte zeigte die menschliche Natur mit ihrer ganzen gewöhnlichen Verdrehungssucht, Lügenhaftigkeit, Widerspruchsfülle und Inkonsequenz. Die in der Sache Betheiligten sprachen zwar großartig von Freiheit; aber doch waren die, auf welche die meiste Schuld fiel, die lautesten in ihren Klagen, als ob ihnen allein Unrecht geschehen sei.

»Ich muß gestehen, John,« sagte Mr. Effingham, »das Land zeigt sich uns nach so langer Abwesenheit nicht im vortheilhaftesten Lichte; indeß ist kein Land und keine Staatsverfassung von Irrthümern freizusprechen.«

»Du betrachtest's, wie gewöhnlich, von der besten Seite, Ned; aber wenn du nicht, noch ehe zwölf Monate um sind, ganz so denken lernst wie ich, so will ich in meinem ganzen Leben nicht wieder prophezeien. Ich möchte nur den Gedanken auf den Grund kommen, die sich Miß Effingham bei dieser Gelegenheit gebildet hat.«

»Miß Effingham ist schmerzlich betroffen, erschüttert und in ihren Erwartungen ganz und gar getäuscht,« versetzte Eva; »aber dennoch verzweifelt sie nicht an der Republik. Erstlich hat keiner von unseren achtbaren Nachbaren an diesem ärgerlichen Vorfall Theil genommen, und dieß ist schon Etwas, obschon ich gestehe, daß es mich sehr überrascht, daß ein beträchtlicher Theil der Gemeinde, der sich noch selbst achtet, ruhig zusehen kann, wenn ein unwissender Bruchtheil des Gesammtkörpers in einer Sache, welche mit dem Rechtsgefühl und einem gesunden Urtheil in so enger Verbindung steht, so große Verstöße sich zu Schulden kommen läßt.«

»Ihr müßt erst noch lernen, Miß Effingham, man könne so sehr von Freiheit übersättigt werden, daß man gegen alle zarteren Gefühle unempfindlich wird. Unsere gute Republik begeht die maßlosesten Ungeheuerlichkeiten unter dem Vorwande, daß sie durch das Volk geschehen. Vor diesem Popanz beugt sich die Nation eben so unterwürfig, als es Geßler den Schweizern, seinem eigenen Hut oder dem von Rudolphs Stellvertreter gegenüber, nur hätte zumuthen können. Der Mensch muß seine Götzen haben, und die Amerikaner können Niemand dazu machen, als sich selbst.«

»Und doch, Vetter Jack, würdet Ihr Euch unglücklich fühlen, wenn Ihr unter einem weniger freien Systeme leben müßtet. Ich fürchte, Ihr laßt Euch die Ziererei zu Schulden kommen, bisweilen Etwas zu sagen, was Euch nicht von Herzen geht.«


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