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Siebentes Kapitel.

Geschichte gibts in aller Menschen Leben,
Im Bilde zeichnend die Vergangenheit.
Wer richtig schaut, kann nahezu ermessen
Den Gang der Dinge, die da kommen sollen.

König Heinrich IV.

 

Am folgenden Morgen frühstückte der Baronet in State-Street. Bei Tische wurde nur wenig über die Ereignisse des vorigen Abends gesprochen, obschon hin und wieder ein Lächeln, wenn ein Auge dem andern begegnete, auf den Schwank in Mrs. Legend's Soirée hindeutete. Nur Grace machte eine ernste Miene, denn sie war daran gewöhnt, die gedachte Dame für eine sehr verständige Person zu halten und hatte sogar gehofft, die meisten von denen, welche gewöhnlich bei ihren Abendzirkeln figurirten, seien wirklich die geistvollen Personen, für die sie gelten wollten.

Den Morgen weihte man einer Besichtigung der dem Geschäftsleben bestimmten Stadttheile, und der zu diesem Zwecke verabredete Ausflug fand unter John Effingham's Leitung Statt. Die Entfernung war zwar nicht groß, aber das Wetter sehr kalt, weßhalb die Equipagen in Anspruch genommen wurden. Die Gesellschaft brach gegen Mittag auf.

Grace hatte nun aufgehört, von ihrer Muhme Bewunderung der New-Yorker Löwen zu erwarten, sintemal es Eva für nöthig gehalten, ihr zu erklären, daß wenigstens im beziehungsweisen Sinne über diese Provinzial-Merkwürdigkeiten nicht viel zu sagen sei. Sogar Mademoiselle Viefville war, nachdem die Frische ihrer Gefühle nachgelassen, allmählig dahin gekommen, wieder in natürlicher Weise von den Dingen zu sprechen, und die schnellfassende Miß van Courtland entdeckte bald, daß, wenn auf ähnliche Zustände in Europa angespielt wurde, diese stets in irgend einer Landstadt existirten. Es kam daher zu der stillschweigenden Uebereinkunft, über derartige Gegenstände nicht mehr zu sprechen, oder wenn je eine Aeußerung stattfand, so geschah es nur gelegentlich und als ob es mit dem regelmäßigen Gang der Unterhaltung zusammenhänge.

In Wall-Street machten die Equipagen Halt, und die Gentlemen stiegen aus. Das strenge Wetter hielt die Damen in den Wagen zurück, und Grace bemühte sich, ihren Begleiterinnen die Dinge so gut zu erklären, als sie konnte.

»Warum eilen denn die Leute so sehr?« fragte Mademoiselle Viefville. – Die Unterhaltung wurde französisch geführt; wir ziehen es übrigens vor, unserem Leser eine Uebersetzung derselben zu geben.

»Nach Dollars, glaube ich Mademoiselle – habe ich Recht, Grace?«

»Ich denke wohl,« entgegnete Grace lachend, »obschon ich von diesem Stadttheile nicht viel mehr weiß, als du.«

» Quelle foule! Ist jenes Gebäude, in welches die Gentlemen eben jetzt strömen, mit Dollars gefüllt? Die Stufen sind voll von Menschen!«

»Dieß ist die Börse, Mademoiselle, und sollte wohl mit Thalern belegt sein, wenn man aus der Lebensweise der Leute, welche sie besuchen, einen Schluß ziehen darf. Vetter Jack und Sir George mischen sich, wie ich sehe, in's Gedränge.«

Wir verlassen die Damen auf einige Minuten, um die Gentlemen auf ihrem Wege nach der Börse zu begleiten.

»Ich kann Euch jetzt bald eine Eigentümlichkeit dieses Landes zeigen, Sir George,« sagte John Effingham, »die, wenn sie gebührend veredelt wird, wohl die Mühe einer Reise über den Ocean lohnt. Ihr seid in dem Royal Exchange von London und in der Bourse von Paris gewesen, habt aber wohl noch nie eine Scene mitangesehen, wie ich Sie Euch jetzt zeigen werde. In Paris hat man den widerlichen Anblick von Weibern, die öffentlich in den Fonds spielen; doch dieß ist nur eine Kleinigkeit in Vergleichung mit dem, was Euch hier zu Gesicht kommen wird.«

Mit diesen Worten ging John Effingham die Treppe hinauf voran nach dem Bureau eines der bedeutendsten Aktionäre. Die Wände waren mit Planen behangen, von denen einige Häuser, andere den Riß von Grundstücken, wieder andere Straßen und einige ganze Städte darstellten.

»Dieß ist der Focus dessen, was Mr. Aristobulus Bragg den Städte-Handel nennt,« sagte John Effingham, als er seinen Begleiter auf alle diese Wunder aufmerksam machte. »Ihr findet hier jede Art von Liegenschaften, wie sie das Herz nur wünschen kann. Braucht man einen Landsitz, so hat man hier unter Dutzenden die Wahl. Feldwirthschaften sind zu Hunderten auf dem Markt. Dort seht Ihr blos ein halb Dutzend Straßen, und hier sind Städte von einem Umfang und einem Werthe, wie es der Käufer nur haben will.«

»Erklärt Euch näher; dieß übersteigt meine Fassungskraft.«

»Nehmt die Sache näher bei ihrer Bezeichnung. Mr. Hammer, habt die Güte, ein wenig hieher zu treten. Verkauft Ihr heute?«

»Nicht viel, Sir – nur ein paar hundert Bauplätze auf dieser Insel und sechs oder acht Meiereien mit einem kleinen Städtchen im Westen.«

»Könnt Ihr uns die Geschichte von diesem letzten Stück Eigenthum mittheilen, Mr. Hammer?«

»Mit Vergnügen, Mr. Effingham; wir wissen, daß Ihr Mittel besitzt, und hoffen, daß Ihr Euch zu einem Kaufe verleiten laßt. Das Dorf war vor 5 Jahren die Meierei des alten Volkert van Brunt, der mit seiner Familie durch Milchverkauf so viel darauf erzielte, daß er mehr als ein Jahrhundert davon leben könnte. Vor 2 Jahren verkaufte der Sohn das Gut an Peter Feeler, der für den Acre hundert Dollars, oder für die ganze Liegenschaft 5,000 Dollar zahlte. Im darauf folgenden Frühling verkaufte Mr. Feeler das Anwesen an John Search, einen so scharfen Patron, wie nur irgend einer zu finden ist, für 25,000, und dieser veräußerte es eine Woche darauf für 50,000 an Nathan Rise; Rise aber hatte das Land schon vor dem Kauf für 112,000 Dollars hartes Geld an eine Gesellschaft cedirt. Man könnte eigentlich jetzt den Riß herunter nehmen, denn es sind jetzt schon acht Monate, daß wir das Anwesen in Bauplätzen zu der runden Summe von 300,000 Dollars versteigern. Sobald wir die betreffende Weisung erhalten haben, wird vermuthlich das Land für eine Weile aus dem Markte bleiben.«

»Habt ihr keine andere Liegenschaft, Sir, welche dieselbe wunderbare Geschichte einer schnellen Werthzunahme böte?« fragte der Baronet.

»Diese Wände sind mit lauter Rissen von ähnlichen Besitzungen bedeckt. Einige sind innerhalb 5 Jahren um 2-300 Prozent gestiegen, andere aber nur um einige hundert. Berechnungen lassen sich in dergleichen Dingen nicht anstellen, da sie ganz von der Liebhaberei abhängen.«

»Und auf was gründet sich diese ungeheure Werthsteigerung? Erstreckt sich die Stadt bis zu diesen Feldern?«

»Sie geht noch viel weiter, Sir – d. h. auf dem Papier. Was die Häuser betrifft, so fehlt's wohl noch um eine tüchtige Strecke. Viel hängt davon ab, wie man eine Sache nennt. Wäre z. B. auf diesem Markte das Besitzthum des alten Volkert van Brunt eine Meierei genannt worden, so hätte es den Preis einer Farm eingebracht; sobald es aber in kleinen Stücken vermessen und in eine Karte gebracht war –«

»In eine Karte?«

»Ja Sir; in sichtbare Linien mit Fußen und Zollen statt der Acres. Sobald es gebührend auf die Karte gebracht war, hob es sich zu seinem rechten Werthe. Wir haben einen guten Theil Meeresgrund, der schöne Preise einbringt, weil er sich gut auf der Karte ausnimmt.«

Die Gentlemen dankten dem Auctionator für seine Höflichkeit und zogen sich zurück.

»Wir wollen jetzt in das Verkaufzimmer gehen,« sagte John Effingham. »Ihr könnt Euch da ein Urtheil bilden über den Geist oder über die Energie, wie man's nennt, welche im gegenwärtigen Augenblick diese große Nation beseelt.«

Sie stiegen wieder hinab und traten in ein überfülltes Gemach, wo die Leute zu Zwanzigen in der furchtbaren Verblendung, durch noch höhere Steigerung eines vermeintlichen Werthes reich zu werden, gierig einander hinauftrieben. Der Eine kaufte kahle Felsen, der Andere Flußbetten und ein Dritter einen Sumpf – Alles auf Treue und Glauben der Karten. Unsere beiden Freunde blieben eine Weile stumme Zuschauer des Auftritts.

»Als ich zum ersten Mal dieses Zimmer betrat,« sagte John Effingham, mit seinem Begleiter wieder auf die Thüre zugehend, »kam es mir vor, als sei es mit lauter Wahnsinnigen angefüllt, und obschon ich schon öfter hier war, hat sich doch der Eindruck nicht viel geändert.«

»Und alle diese Leute setzen die Mittel ihres Fortkommens an die eingebildete Schätzung, die ihnen der Auctionator vorspiegelt?«

»Sie spielen eben so verwegen, wie Der, welcher seine Habe an das Fallen des Würfels setzt. Der Wahnsinn hat die Leute so vollständig ergriffen, daß sogar die augenfällige Wahrheit – eine Wahrheit, die wie jedes andere Naturgesetz an's Licht tritt: daß nämlich Nichts ohne Grundlage Bestand haben kann – ganz und gar übersehen wird. Ich möchte Niemand rathen, in diesem Hause Grundsätze auszusprechen, die Jeder in den nächsten paar Jahren bitter an sich selbst erproben muß, denn er könnte von Glück sagen, wenn er ungesteinigt davon käme. Ich habe schon viele ähnliche Spekulations-Uebertreibungen mit angesehen, aber keine, die so maaßlos, so weit verbreitet und so beunruhigend gewesen wäre, wie diese.«

»Ihr fürchtet also von der Gegenwirkung ernstliche Folgen?«

»In diesem Punkte sind wir besser daran, als ältere Nationen, denn die Jugend und der gute Urstoff des Landes beseitigt viel von der Gefahr; indeß sehe ich einem fürchterlichen Schlag entgegen, denn der Tag wird nicht ferne sein, an welchem New-York aus seiner Verblendung erwacht. Was Ihr hier seht, ist nur ein kleiner Theil der vorhandenen Tollheiten, denn der gleiche Geist verbreitet sich in einer oder der andern Gestalt über die ganze Gemeinschaft. Maaßloses Ausgeben von Papiergeld, unüberlegtes Creditiren, das von Europa aus sich über ganz Amerika erstreckt, und falsche Vorstellungen über den Werth von Besitzungen bei Leuten, die noch vor fünf Jahren nichts hatten, haben das gewöhnliche Gleichgewicht der Dinge vollkommen aufgehoben, und Geld ist so ganz und gar Lebenszweck geworden, daß man aufhört, es als Mittel zu betrachten. Die Weltgeschichte kann wohl kaum ein ähnliches Beispiel von einem großen Lande aufstellen, welches so unbedingt unter diesem verderblichen Einflusse stand, als es gegenwärtig bei uns der Fall ist. Alle Gewissenhaftigkeit verschwindet unter dem Alles verzehrenden Ringen nach Gewinn. Nationalmacht, dauernde Sicherheit, die gewöhnliche Ordnung der Gesellschaft, Gesetze, Constitution – kurz Alles, was dem Menschen theuer ist, wird vergessen oder verdreht, um diese unnatürliche Lage der Dinge zu erhalten.«

»Dieß ist nicht nur außerordentlich, sondern wahrhaft schaudererregend!«

»Ihr habt in Beidem Recht. Das ganze Gemeinwesen befindet sich in dem Zustande eines Menschen, der in den ersten Stadien aufregender Betrunkenheit steht und in der eitlen Vorstellung, daß er nur die Natur in ihren gewöhnlichen Verrichtungen unterstütze, Glas um Glas hinuntergießt. Diese allgemein verbreitete Bethörung erstreckte sich von der Küste an bis zu den äußersten Gränzen des Westens; denn obschon sich viel von dem eingebildeten Wohlstand begründen läßt, so verflicht sich doch das Wahre so sehr mit dem Falschen, daß nur ein äußerst sorgfältiger Beobachter die Scheidelinie ziehen kann, folglich wie gewöhnlich, die Unwahrheit vorherrschend bleibt.«

»Euren Berichten nach, Sir, war die Tulpenmanie von Holland eine Kleinigkeit in Vergleichung mit dieser?«

»Beide beruhen auf dem gleichen [Umstand], obschon die Wuth der Holländer lange nicht diese Ausdehnung gewann. Könnte ich Euch durch diese Straßen führen und Euch einen Blick thun lassen in die Geheimnisse der Interessen, Hoffnungen, Thorheiten und Verblendungen, die in der menschlichen Brust herrschen, so würdet Ihr als ruhiger Zuschauer im höchsten Grade staunen müssen, über die Art, wie unser eigenes Geschlecht sich einem so maßlos bethörenden Wahne hingeben kann. Doch gehen wir weiter – vielleicht stößt uns etwas auf, was als neuer Beleg dienen kann.«

»Mr. Effingham – ich bitte um Verzeihung, Mr. Effingham,« rief ein sehr anständig aussehender Kaufmann, der in der Börsenhalle umherging – »was haltet Ihr jetzt von unseren französischen Händeln?«

»Ich habe Euch bereits Alles gesagt, was ich über diesen Gegenstand zu bemerken habe, Mr. Bale. Während meines Aufenthalts in Frankreich schrieb ich Euch, es liege nicht in der Absicht der französischen Regierung, auf den Vertrag einzugehen, und Ihr habt seitdem gesehen, daß meine Ansicht durch den Erfolg gerechtfertigt wurde. Ihr seid im Besitz einer Erklärung des französischen Staatsministers, daß ohne Entschuldigung von Seite der amerikanischen Regierung das Geld nicht bezahlt werden solle, und ich habe Euch meine Meinung dahin abgegeben, alle diese Politik werde so schnell, als sich die Windfahne auf jenem Kirchthurme dreht, aufgegeben werden, sobald in Europa ein dazu drängender Fall eintritt, oder das französische Ministerium es für möglich hält, Amerika werde für einen Grundsatz das Schwert ziehen. Dieß sind meine Ansichten; Ihr mögt sie mit den Thatsachen vergleichen, und Euch selbst ein Urtheil bilden.«

»Niemand ist Schuld daran, als General Jackson, Sir – Alles geht von diesem Ungeheuer aus! Ohne seine Botschaft, Mr. Effingham, hätten wir das Geld längst schon.«

»Ohne seine Botschaft oder einen gleich entscheidenden Schritt würdet Ihr es nie erhalten, Mr. Bale.«

»Ah, mein theurer Sir, ich weiß, Eure Absichten sind gut; aber leider seid Ihr gegen den vortrefflichen Mann, den König von Frankreich, von Vorurtheilen eingenommen. Vorurtheile, Mr. Effingham, sind klägliche Verbesserer der Gerechtigkeit.«

Mr. Bale schüttelte jetzt lachend den Kopf und verschwand in dem Gedränge, vollkommen überzeugt, John Effingham sei ein von Vorurtheilen befangener Mann und nur er selbst freisinnig und gerecht.

»Wir haben hier einen Mann, dem es weder an Fähigkeiten noch an Rechtlichkeit gebricht, und doch läßt er sich durch seine Interessen und durch den Einfluß eben dieser Speculations-Manie dermaßen blenden, daß er seines Rechtsgefühls ganz und gar vergißt und weder auf Thatsachen, die so klar sind, wie der Tag, noch auf die Grundsätze Rücksicht nimmt, durch die allein ein Land gut geleitet werden kann.«

»Er hat Furcht vor einem Kriege und will daher nicht einmal an Thatsachen glauben, so lange sie dazu dienen, die Gefahr zu vergrößern?«

»Ganz richtig; denn sogar die Klugheit wird nur zu einer verkehrten Eigenschaft, wenn man unter einer Bethörung lebt, wie unsere jetzige ist. Solche Menschen sind dem Thoren zu vergleichen, der da sagt: ›es gibt keinen Tod!‹«

Die Gentlemen schloßen sich jetzt den Damen wieder an, und die Wagen fuhren durch eine Reihenfolge von engen, gekrümmten Straßen voll von Magazinen, in welchen die Produkte der civilisirten Welt aufbewahrt waren.

»Ein großer Theil von alledem ist wieder eine Frucht derselben bejammernswürdigen Verblendung,« sagte John Effingham, als die Wagen langsam durch die mit Waarenballen beengten Straßen fuhren. »Der Mann, der seine Grundstücke im Innern des Lands vortheilhaft verkauft hat und Kredit besitzt, hält sich schon für reich und führt eine verhältnißmäßig kostspieligere Lebensweise; der junge Mensch vom Dorfe her wird ein Kaufmann – wenigstens was man hier Kaufmann nennt – und erhält in Europa einen Kredit, der hundertmal seine Mittel übersteigt; er ist also in der Lage, diese eingebildeten Bedürfnisse zu nähren. So kommt es denn, daß es aller Enden und Orten von Abenteurern wimmelt, ephemeren Ausgeburten desselben weitverbreiteten Geistes einer rücksichtslosen Thorheit. Der Werth von Millionen geht aus diesen Straßen hervor, um die Eitelkeit derer zu nähren, welche wohlhabend zu sein meinen, weil sie Etwas in Händen haben, was eine Preissteigerung, wie die von dem Auctionator erwähnte verspricht; dabei haben sie keine bessere Sicherheit für wirkliche Zahlung, als etwa Derjenige, der einen Gegenstand vom Werthe eines Dollars zu hundert anschlägt

»Machen sich die Wirkungen dieses Zustandes der Dinge in Eurem gewöhnlichen Verkehre bemerklich?«

»Ueberall. Das Verlangen, schnell reich zu werden, hat alle Klassen ergriffen. Sogar Weiber und Geistliche sind davon angesteckt, so daß wir ganz und gar unter der thätigen Leitung ›der Geldgier‹, diesem verderblichsten aller Einflüsse, stehen. Ich würde an dem Lande ganz und gar verzweifeln, wenn ich nicht die Ueberzeugung fühlte, daß die Krankheit zu ungestüm ist, um Bestand haben zu können; auch hege ich die Hoffnung, daß die Zeit einer ruhigen Ueberlegung und der Reue, welche folgen muß, im Verhältniß zu den Ursachen stehen wird.«

Nach dieser Musterung der Stadt kehrte die Gesellschaft nach State Street zurück, wo der Baronet sein Mittagsmahl einnahm, weil er am folgenden Tage nach Washington zu gehen gedachte. Die Verabschiedung am Abend war freundlich und herzlich. Mr. Effingham hatte seinen vormaligen Reisegefährten liebgewonnen, und lud ihn für den Monat Juni zu einem Besuch in den Bergen ein, um welche Zeit er selbst nach seinem Landsitze zurückzukehren gedachte.

Sir George war noch im Abschiednehmen begriffen, als die Lärmglocken den Ausbruch einer Feuersbrunst verkündigten. In New-York wird man an derartige Scenen so gewöhnt, daß fast eine Stunde entschwand, ehe Jemand aus der Effinghamschen Familie sich über die lange Fortdauer des Getümmels Gedanken zu machen begann. Dann aber schickte man einen Bedienten ab, um sich nach dem Grund zu erkundigen, und dieser kehrte mit dem Berichte zurück, daß die Sache ernstlicher sei, als gewöhnlich.

Wir glauben, daß diese Unglücksfälle in Constantinopel und New-York am häufigsten vorkommen. In letzterer Stadt ist es gar nichts Seltenes, daß zwanzig oder dreißig Häuser niederbrennen, ohne daß die Einwohner des gleichen Viertels etwas davon erfahren, bis sie durch die Tagespresse davon unterrichtet werden; denn die beständige Wiederholung des Feuerlärms verhärtet Ohr und Gefühl gegen den Hilferuf. Ein paar Abende vorher hatte eine größere Feuersbrunst stattgefunden, und es war jetzt ein Gerücht im Umlaufe, daß die Strenge des Wetters und der Zustand der Schläuche und Spritzen die gegenwärtige Gefahr verdoppelten. Auf diese Kunde hin hüllten sich die beiden Herren Effingham in ihre Ueberröcke und gingen mit einander auf die Straße.

»Dieß scheint kein gewöhnlicher Brand zu sein, Ned,« sagte John Effingham, den Blick zu dem düstern Himmelsgewölke erhebend, das von leuchtenden Feuerstrahlen erhellt war. »Die Gefahr ist nicht fern und könnte wohl ernstlich werden.«

Der Richtung des Menschenstroms folgend, erreichten sie bald den Schauplatz des Brandes, der mitten unter den Massen von Magazinen und Vorrathshäusern, über welche John Effingham kürzlich erst seine Bemerkungen gemacht hatte, ausgebrochen war. Eine kurze, schmale Straße von hohen Gebäuden stand bereits vollständig in Flammen. Man konnte dem Feuer nur mit größter Gefahr beikommen; auch wirkten der eingefrorene Zustand des Lösch-Apparats, die bereits eingetretene Erschöpfung der Feuermannschaft und die ungemeine Kälte der Nacht zusammen, um die Sachlage im höchsten Grade bedrohlich zu machen.

Die New-Yorker Feuermannschaft hat über die von anderen Plätzen die Ueberlegenheit eines Veteranen den Rekruten gegenüber; aber auch die besten Truppen können erliegen, und bei dieser denkwürdigen Gelegenheit verhielten sich die berühmten Feuermänner aus verschiedenen Ursachen eine Weile so ziemlich als unthätige Zuschauer der schrecklichen Scene.

Ein paar Stunden schienen alle Versuche, dem Brande Einhalt zu thun, völlig hoffnungslos zu sein, und selbst die Kühnsten und Beharrlichsten wußten kaum, wohin sie sich wenden sollten, um sich nützlich zu machen. Es gebrach an Wasser; zu viele Punkte bedurften des Beistandes, und der Brand erstreckte sich vermittelst zahlloser, unregelmäßiger, enger Straßen von einem gemeinsamen Mittelpunkte nach allen Richtungen hin; dazu kam noch, daß in den verschütteten Durchgängen die Hitze bald unerträglich war – lauter Momente, welche bald die Schrecken des Auftritts zur Verzweiflung steigerten.

Diejenigen, welche in der Nähe der Feuermassen standen, froren auf einer Seite unter der Grönlandkälte der Nacht, während auf der anderen ihre Körper von der ungestümen Glut der Flammen fast gebraten wurden. Es lag etwas Schreckliches in diesem Kampfe der Elemente, denn die Natur schien die Hitze in möglichst engen Gränzen zu verdichten, als wolle sie vorsätzlich die verzehrende Macht derselben erhöhen. Die Wirkung war schaudererregend, denn ganze Gebäude schienen blos unter der Berührung sich aufzulösen, sobald sie von den Flammenzungen umleckt wurden.

Das gewöhnliche Geschrei war nicht mehr zu vernehmen, wie es als Hohn klänge, wenn man in einer Schlacht Mord rufen wollte, und so weit die Lärmglocken gereicht hatten, befand sich Alles auf den Beinen. Sir George Templemore traf mit seinen Freunden am Rande dieses Feuermeers zusammen. Der Morgen nahete heran, und immer wüthete die Brunst in ihrer vollen Höhe. Bereits lag ein weiter Raum in Schutt und Asche, und das Feuer erstreckte sich in vielen Linien nach jeder möglichen Richtung.

»Wir haben hier eine schreckliche Mahnung für Diejenigen, die ihre Herzen an Reichthümer setzen,« bemerkte Sir George Templemore mit Beziehung auf die Unterhaltung des vorigen Abends. »Was sind die Entwürfe der Menschen in Vergleichung mit dem Willen der Vorsehung!«

»Ich sehe voraus, daß dieß le commencement de la fin ist,« entgegnete John Effingham. »Die Verwüstung ist bereits so groß, daß sie die gewöhnlichen Schutzmaßregeln gegen derartige Verluste, die Versicherungsanstalten, zu Grunde richten muß. Man zerbreche an einer so hinfälligen, zarten Maschine nur einen einzigen Nagel, und man wird sehen, wie das Ganze sich auflockert und in Stücke zusammenfällt.«

»Geschieht denn nichts, um den Flammen Einhalt zu thun?«

»Sobald sich die Leute von dem panischen Schrecken erholt haben, wird mehr Ordnung in ihre Plane kommen und ihre Thatkraft wieder aufleben. In den breiteren Straßen ist das Feuer bereits auf sicherere Gränzen gebracht; auch spricht man von einem günstigeren Wechsel des Windes. Man glaubt, in einer Frist von kaum sechs Stunden seien schon fünfhundert Gebäude das Opfer geworden.«

Dieselbe Börse, die kürzlich noch wie ein gewühlvoller Tempel des Mammons ausgesehen hatte, stand jetzt als eine schwarze, glühend heiße Ruine da; die Marmorwände waren zerrissen, entstellt, wankend oder eingestürzt. Das Gebäude lag an den Gränzen der Zerstörung, und unsere Freunde konnten ihre Stellung in der Nähe nehmen, um die Scene zu überblicken. Ihre ganze unmittelbare Umgebung hatte den stillen Charakter der Verödung angenommen, während die Blitze der Flammen in der Ferne noch immer das Fortschreiten des Brandes bezeichneten. Diejenigen, welche die Oertlichkeiten kannten, begannen nun von den natürlichen oder zufälligen Schranken, z. B. dem Wasser, den Kaiöffnungen und den breiteren Straßen als den einzig wahrscheinlichen Mitteln, der drohenden Verwüstung Einhalt zu thun, zu sprechen. Das Prasseln der Flammen entfernte sich immer weiter, und das Geschrei der Löschmannschaft war bald kaum mehr zu vernehmen.

Als der furchtbare Auftritt so weit gediehen war, langte ein Haufen Matrosen mit Pulver an, um einige Gebäude in den Straßen, welche nicht an sich zureichende Schranken besaßen, um das Fortschreiten der Flammen zu hindern, in die Luft zu sprengen. Die Zerstörungsmittel in ihren Armen tragend, näherten sich diese wackeren Burschen unter der Anführung ihrer Offiziere stätigen Schritts dem Rande der Feuerströme und pflanzten daselbst ihre Fäßchen auf, dann legten sie mit der kühnen Gleichgültigkeit, die man allein durch Uebung gewinnt, und mit einer Umsicht, welche ihrer Besonnenheit alle Ehre machte, die Leitlinien an. Dieser von Klugheit geleitete Muth wurde mit vollständigem Erfolg belohnt, und Haus um Haus stürzte unter der Explosion zusammen, ohne glücklicherweise irgend Jemand zu beschädigen.

Von dieser Zeit an wurden die Flammen weniger unbändig, obschon der Morgen anbrach, der Tag fortschritt und abermals eine Nacht folgte, ehe man völlig über das Feuer Herr wurde. Ja sogar Wochen und Monate lang stiegen noch immer aus den morschen Trümmern Rauchwolken auf, da das wilde Element gleich einem schlummernden Vulkan so zu sagen in den Eingeweiden der Erde fortzuglosten schien.

Der Tag, welcher auf dieses Unglück folgte, war denkwürdig um der Rüge willen, mit der er das gierige Sehnen nach Reichthum strafte. Menschen, die ihre Herzen an Gold gesetzt hatten, und sich nur im Besitze desselben stolz fühlten, mußten jetzt die Unsicherheit ihres Mammons empfinden; und Diejenigen, welche kürzlich noch wie Götter umherstolzirt waren, begannen nun zu lernen, wie völlig bedeutungslos der blos Reiche ist, sobald er seine Habe verloren hat. Achthundert Gebäude, darunter Fabriken aller Art, sammt dem verschiedenartigsten Rohmaterial, waren so zu sagen in einem Nu vernichtet worden.

Eine schwache Stimme ließ sich zwar von der Kanzel vernehmen, und es trat ein Augenblick ein, in welchem Diejenigen, welche sich eines besseren Zustandes der Dinge erinnern konnten, der Hoffnung Raum zu geben begannen, daß vielleicht nunmehr gediegene Grundsätze wieder die Oberhand gewinnen könnten und die Gemeinschaft sich einigermaßen reinigen würde. Vergebliche Erwartung! Die Verblendung hatte zu weit um sich gegriffen und zu verderbliche Wirkungen hervorgebracht, um selbst durch diese schreckliche Mahnung sich aufhalten zu lassen; und ein nachhaltiger Schlag blieb einer Form vorbehalten, die auf einem Gesetz der Natur zu beruhen scheint: das anlaßgebende Laster muß nämlich seine eigenen Strafmittel mit sich führen.


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