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Dreizehntes Kapitel.

»Wir müssen länger knieen, denn ich werbe.«

Königin Katharina.

Die Effinghams fühlten sich bald heimisch und die gewöhnlichen Anstandsbesuche wurden gemacht und entgegengenommen. Viele der alten Freunde traten wieder in den früheren vertraulichen Verkehr, und auch an einigen neueren Bekanntschaften fehlte es nicht. Wie gewöhnlich waren die paar ersten Besuche etwas gezwungen und förmlich; bald ging es jedoch in dem natürlichen Gange fort, und da die Familie keinen anderen Zweck hatte, als sich der Ruhe des Landlebens zu erfreuen, so war die vorübergehende kleine Unruhe bald vergessen.

Eva's Ankleidezimmer ging gegen den See hinaus, und wir finden sie eine Woche nach ihrer Ankunft an ihrem Toilettentisch. Annette besorgte wie gewöhnlich den Anzug ihrer Gebieterin, während Anna Sidley, die unwillkürlich auf alle eifersüchtig war, die um das geliebte Kind zu thun hatten, sich mit Herrichtung der Kleidungsstücke zu schaffen machte, von welchen sie glaubte, Eva werde sie diesen Morgen tragen. Grace, die eben den Händen ihres eigenen Mädchens entwischt war, befand sich gleichfalls in dem Gemache, um in einem jener Bücher zu blättern, welche angeblich Bericht erstatten über die ganze Abkunft und die Familien der höheren Klassen Großbritanniens. Eva besaß nämlich zufälligerweise unter der großen Anzahl von Reisehandbüchern, Gothaer Kalendern, Hofwegweisern und sonstigen Werken, die einem Reisenden zu Statten kommen, ein derartiges Adreßbuch des englischen Adels.

»Oh, da ist's!« rief Grace mit der Hast einer Person, welche nach langem, ärgerlichem Suchen endlich das, was sie wünscht, gefunden hat.

»Was ist da, Muhme?«

Grace erröthete und hätte sich die Zunge abbeißen mögen über ihre Unbesonnenheit; aber ihr edles Herz war keiner Täuschung fähig, und so gestand sie denn mit Widerstreben die Wahrheit.

»Ich habe mich blos nach der Familie des Sir George Templemore umgesehen. Es ist ärgerlich, mit Jemanden zusammenzuwohnen, von dessen Angehörigen man so gar nichts weiß.«

»Hast du den Namen gefunden?«

»Ja; ich sehe, er hat zwei verheirathete Schwestern und einen Bruder, der unter der Garde ist. Aber –«

»Was willst du mit deinem Aber, meine Liebe?«

»Sein Titel ist nicht von sehr hohem Alter.«

»Kein Baronetstitel ist sehr alt, da dieser Orden erst unter der Regierung Jakob I. gegründet wurde.«

»Ich wußte dieß nicht. Wie ich sehe, wurde sein Ahnherr im Jahre 1700 zum Baronet ernannt. Nun, Eva –«

»Nun, was, Grace?«

»Wir stammen Beide –« Grace wollte die Bemerkung nicht auf sich allein beschränken – »wir stammen beide von älteren Familien ab, als die seinige ist. Die deinige steht sogar noch viel höher im Range, und ich kann darauf Anspruch machen, daß die van Courtlandts weiter hinaufreichen, als auf 1700.«

»Dieß unterliegt keinem Zweifel, Grace; aber was willst du damit? Sollen wir etwa den Vortritt vor Sir George verlangen, wenn wir durch eine Thüre gehen?«

Grace erröthete bis zu den Schläfen, lachte aber unwillkürlich.

»Welch' ein Unsinn! In Amerika denkt Niemand an solche Dinge.«

»Mit Ausnahme von Washington, wo, wie ich höre, die Frauen der Senatoren sich gar viel herausnehmen. Du hast übrigens ganz Recht, Grace; Frauen haben in Amerika keinen andern Rang, als im Allgemeinen die gesellige Auszeichnung, die sie ihrer Bildung verdanken, und wir wollen nicht mit dem Beispiel eines Abweichens von der Regel vorangehen. Ich fürchte, unsere Herkunft wird für Nichts gelten, und wir müssen schon dem Baronet weichen, wenn er nicht etwa die Rechte unseres Geschlechtes anerkennt.«

»Du weißt, etwas so Thörichtes kommt mir nicht zu Sinne. Sir George Templemore scheint überhaupt gar nicht an Rang zu denken, denn sogar Mr. Powis behandelt ihn zwar achtungsvoll, aber doch wie seines Gleichen, und Sir George scheint einzuräumen, daß er dazu berechtigt sei.«

Annette flocht eben das Haar ihrer Gebieterin, um es aufstecken zu können; aber Eva wandte sich jetzt so plötzlich gegen Grace um, daß das Mädchen losließ und die Schultern der schönen blühenden Jungfrau plötzlich wieder mit den üppigen Flechten bedeckt waren.

»Und warum sollte Mr. Powis Sir George Templemore nicht in jeder Weise als seines Gleichen behandeln, Grace?« fragte sie mit einem Ungestüm, in dem sie die Förmlichkeit des Welttons, an welchen sie sonst so sehr gewohnt war, ganz vergaß.

»Je nun, Eva, der Eine ist ein Baronet und der Andere nur ein einfacher Gentleman.«

Eva Effingham blieb eine Minute schweigend sitzen, und nur ihr kleiner Fuß bewegte sich, obgleich man sie sorgfältig unterwiesen hatte, es gebühre einer Dame von Bildung, daß selbst dieser schöne Theil des weiblichen Körpers ruhig und zurückhaltend sei. Es gab aber auch in Amerika keine zwei Mädchen, die bei der Gleichheit der Jahre und geselligen Stellung mehr in ihren Ansichten oder Vorurtheilen, wenn man lieber so will, verschiedener gewesen wären, als die beiden Bäschen. Grace van Courtlandt, einer der besten Familien ihres Geburtslandes angehörig, hatte unwillkürlich von Kindheit an aus Romanen, die sich über die Kolonialsitten ausließen, und das gemeine Volk wegen seiner Aufdringlichkeit und Unwissenheit scharf mitnahmen, eine Vorstellung von erblichem Rang in sich aufgenommen, dessen Glanz ihre Einbildungskraft noch erhöhen half, weil sie ihn in dem auffallend begünstigenden Lichte der Ferne erschaute. Andererseits brachte Eva Alles mit Thatsächlichkeiten in Verbindung. Sie war früh mit den höchsten Zirkeln Europa's, ja sogar mit Angehörigen königlicher Häuser in lange, vertrauliche Berührung gekommen, und hatte daher den Prunk der Königswürde nicht blos an Gallatagen oder in ihrem auf die Sinne berechneten Nimbus gesehen; denn wenn auch die Beobachtung der Etiquette ihren Zweck haben mag, läßt sich doch kaum von ihr behaupten, daß sie auf einer vernünftigen Grundlage beruhe. Also wie gesagt, sie hatte mit den Großen und Hochgeborenen in innigem Verkehr gestanden – und dieß noch obendrein in so vielen verschiedenen Ländern, daß die Einflüsse der Nation, welche einen großen Theil ihrer Ansichten als Erbstücke auf Amerika übertragen hatte, völlig verwischt worden waren. Eine sorgfältige Beobachtung hatte sie die willkürlichen politischen Auszeichnungen kennen gelehrt, die unter den Menschen selbst einen so geringen Unterschied hervorzubringen vermögen, und weit entfernt, sich durch den Prunk des Lebens, unter dessen unmittelbarem Einfluß sie so lang verweilte, sich bethören zu lassen, war ihr vielmehr klar geworden, wie sie das Wahre von dem Falschen, das wirklich Nützliche und Ehrwürdige von dem Willkürlichen und Selbstsüchtigen zu sondern hatte. Unsere Heldin trug sich daher mit der Vorstellung, ein amerikanischer Gentleman dürfte wohl – ja, müsse sogar nothwendig die erste Stufe der Gesellschaft nach den souveränen Fürsten einnehmen, da in ihren Augen nur ein herrschender Monarch über ihm stehen konnte. Er werde, so glaubte sie, durch seine Stellung mehr als adelig, da der Adel seine Abstufungen hatte. Ihren Vater und John Effingham hatte sie in den ersten europäischen Zirkeln sich bewegen sehen, wo ihre Kenntnisse und ihre unabhängige Stellung Achtung fanden, ihr Benehmen ihnen Auszeichnung sicherte, und ihr persönliches Auftreten Bewunderung erregte; denn männlich und edel in Haltung und Grundsätzen, obschon nicht von der übrigen Menschheit durch die willkürlichen Schranken des Ranges getrennt, reich, feingebildet, von edler Abkunft und freier Gesinnung, traten sie mit der Würde einer Mannheit auf, die nichts zwischen sich und der Gottheit anerkannte. Eva hatte daher die Gentlemen ihres eigenen Geschlechtes als ebenbürtig mit allen, deren Bekanntschaft sie in Europa gemacht und vor denen sie sich so oft in den Erfordernissen einer wahren Distinction auszeichneten, betrachten gelernt. Fürsten und Herzoge hatten für sie um ihres bloßen Titels willen keinen Werth, und während ihr rascher Blick die lange Liste der künstlichen geselligen Abstufungen überflog, zugleich aber auch ihr die Entdeckung nahe gelegt wurde, daß Grace auf die zweideutige und blos konventionelle Stellung eines englischen Baronets so großes Gewicht legte, konnte sie nicht umhin, die Einbildung ihrer Verwandten in hohem Grade lächerlich zu finden.

»Ein einfacher Gentleman, Grace?« sprach sie langsam ihrer Verwandten nach. »Und steht nicht ein einfacher Gentleman – ein einfacher amerikanischer Gentleman – mit jedem Gentleman auf gleicher Höhe – insbesondere mit einem ärmlichen Baronet?«

»Mit einem ärmlichen Baronet? – Eva!«

»Ja, meine Liebe – mit einem ärmlichen Baronet. Ich kenne die volle Ausdehnung und den ganzen Sinn meiner Worte. Allerdings ist uns nicht so viel von der Familie des Mr. Powis bekannt« – Eva erröthete, während sie dieß sprach, obschon sie sich alle Mühe gab, gelassen und ruhig zu bleiben – »als uns wohl lieb wäre, aber wir wissen, daß er ein Amerikaner ist. Dieß ist wenigstens Etwas. Ferner sehen wir, daß er ein Gentleman ist, und welcher amerikanische Gentleman – welcher wahre amerikanische Gentleman kann auf einer niedrigeren Stufe stehen, als ein englischer Baronet? Glaubst du wohl, Grace, daß dein Onkel – daß Vetter Jack, der stolze, hochgesinnte Vetter Jack, sich dazu herablassen würden, die ärmliche Auszeichnung eines Baronetentitels anzunehmen, wenn durch eine Abänderung unserer [Institutionen] derartige gesellschaftliche Klassifikationen zulässig würden?«

»Und was könnten sie denn anders werden, als Baronete, Eva?«

»Grafen, Herzöge – ja, Fürsten! Solche Titel führen die höheren Klassen Europa's, und nur diese oder ein Aequivalent derselben dürften den höheren Klassen Amerika's zufallen.«

»Ich glaube kaum, daß Sir George Templemore zu bewegen wäre, Alles dieß einzuräumen.«

»Hättet Ihr nur, gleich mir, gesehen, Miß Grace, wie Miß Eva von Fürsten umringt und bewundert war,« ergriff Anna Sidley angelegentlich das Wort, »so würdet Ihr nicht glauben, daß ein einfacher Sir George nur halb gut genug wäre für sie.«

»Unsere gute Nanny meint einen Sir George,« unterbrach sie Eva lachend, »und nicht den in Frage stehenden Sir George. Aber im Ernst, theuerste Muhme, es hängt weit mehr, als man gewöhnlich glaubt, von uns selbst, und viel weniger von Andern ab, in welchem Lichte man uns betrachten soll. Weißt du nicht, daß es in Amerika Familien gibt, die, wenn sie geneigt wären, andere Einwendungen zu erheben, als die auf bloße Persönlichkeit Bezug haben, eben auf die Grundlage des Ranges hin einen Baronet oder den Träger eines rothen Bandes als unpassende Partieen für eine ihrer Töchter verwerfen würden? Wie abgeschmackt wäre es nicht, von einem Sir George, oder meinetwegen auch von dem Sir George, wenn er die Tochter eines Präsidenten der Vereinigten Staaten um ihrer Stellung willen verschmähen wollte; und doch stehe ich dafür, du würdest es, im Falle Mr. Jackson einen Sohn hätte, für keine persönliche Beehrung halten, falls er bei meinem lieben Vater um dich würbe. Geben wir uns daher selbst die gebührende Achtung, und tragen wir Sorge dafür, in Wahrheit Ladies und Gentlemen zu sein, so werden wir nicht nur keines Titelranges bedürfen, sondern bald alle derartigen Auszeichnungen zu Schanden machen, indem wir zeigen, daß sie für kein wirklich bedeutungsvolles Interesse, weder für unser Glück, noch für eine achtunggebietende Stellung nöthig sind.«

»Und glaubst du nicht, Eva, Sir George denke an den Standesunterschied zwischen uns?«

»Dafür kann ich nicht stehen,« entgegnete Eva gleichgiltig. »Er ist übrigens ein vernünftiger, bescheidener Mann, und wenn er bemerkt, daß wir den Besten eines großen Landes angehören, so dürfte er leicht zu bedauern Anlaß finden, daß es ihm in seinem Vaterlande nicht eben so gut geworden ist – namentlich, Grace, seit er dich kennen gelernt hat.«

Grace erröthete, und in ihrem Antlitze drückte sich freudige Ueberraschung, ja sogar Entzücken aus. Es ist unnöthig, dieses Wiederstrahlen einer inneren Aufwallung in seinen Ursachen zu zergliedern, aber es erscheint uns am Orte, den Ausdruck der Ueberraschung etwas näher zu beleuchten. Nur Zeit und ein Wechsel der Umstände können je eine Provinz oder eine Provinzialstadt zu der unabhängigen Haltung erheben, welche eine Hauptstadt oder ein Metropolitanland so auffallend auszeichnet. Man könnte ebensogut von den Insassen der Kinderstube erwarten, sie sollen die im Besuchszimmer geltenden Ansichten mißachten, als daß man glauben könnte, der Provinziale werde nach freier, geistiger Richtung handeln. Es liegt daher nahe, daß Grace van Courtlandt bei ihrem beschränkten gesellschaftlichen Verkehr, ihren allgemeinen Lebensansichten, ihrer Abkunft und ihren provinziellen Gewohnheiten, in Allem, was auf Denkfreiheit Bezug hatte, wohl nichts Anderes als das gerade Widerspiel von Eva sein konnte. Wäre Grace auch nur eine Angehörige von Neu-England gewesen, so würde der bloße Rang des Baronet weit weniger Einfluß auf sie geübt haben; denn obschon die Bevölkerung jenes Theils der Union im Allgemeinen weit mehr an Großbritannien hängt, als jede andere, so fühlt sie doch vielleicht derartige Einflüsse viel weniger, weil ihre Colonialgewohnheiten nur in geringer Beziehung zu den aristokratischen Gebräuchen des Mutterlandes stehen.

Außerdem war Grace, wie es überhaupt bei den meisten alten Familien unter der New-Yorker Gentry der Fall ist, mit den höheren Klassen Englands durch die Bande des Bluts verkettet, und die Ueberlieferung ihres Geschlechts kam denen ihrer Kolonie zu Hilfe, um dem Respect, den sie vor einem englischen Titel fühlte, Bestand zu geben. Dieselben Gefühle würden sich wohl auch bei Eva entwickelt haben, wenn sie nicht so jugendlichen Alters in eine Sphäre versetzt worden wäre, wo sie die bereits erwähnten Ansichten in sich aufgenommen hatte – Ansichten, die in ihrem moralischen System nicht weniger tief wurzelten, als diejenigen, welche Grace in ihrem Innern trug.

»Dieß ist eine seltsame Art, den Rang eines Baronet zu beurtheilen, Eva,« rief Grace, sobald sie sich ein wenig von der Verwirrung erholt hatte, in welche sie durch die persönliche Anspielung versetzt wurde. »Es fragt sich wohl sehr, ob du Sir George Templemore veranlassen könntest, seine eigene Stellung mit deinen Augen zu betrachten.«

»Nein, meine Liebe, ich denke, er wird weit wahrscheinlicher nicht nur seine Stellung, sondern auch die meisten anderen Dinge mit den Augen einer andern Person betrachten. Wir wollen übrigens jetzt von andern Gegenständen sprechen, denn ich gestehe, wenn ich bei Titeln verweilen soll, so sind mir die fürstlichen weit lieber, da ein einfacher Chevalier kaum ein Gefühl erregen kann, das –«

»Was willst du, Eva?« unterbrach sie Grace rasch; »ein englischer Baronet gehört dem Adel an, und Sir George Templemore hat mir dieß erst gestern Abend versichert. Die Heraldiker haben, glaube ich, in neuester Zeit diese Thatsache zu ihrer eigenen vollständigen Befriedigung ermittelt.«

»Das freut mich, meine Liebe,« entgegnete Eva, die nur mit Mühe ein Gähnen unterdrücken konnte, »denn es ist in ihren Augen ein Gegenstand von großer Wichtigkeit. Jedenfalls gebe ich zu, daß Sir George Templemore – mag er nun Ritter oder Baronet, großer Baron, kleiner Baron oder Krautjunker sein, wie man sie in diesem Lande nennt, – ein edler Mensch ist, und was kann eine vernünftige Person weiter verlangen? – Weißt du auch Mühmchen, daß sich der Wigwam in der nächsten Woche zum Ueberfließen füllen wird? Es wird wohl nothwendig sein, das Berathungsfeuer anzuzünden und mit Vielen die Pfeife des Willkomms zu rauchen.«

»Ich habe von Mr. Powis gehört, daß sein Verwandter, Kapitän Doucie am Montag anlangen werde.«

»Und am Dienstag kommt Mrs. Hawker, am Mittwoch Mr. und Mrs. Bloomfield und spätestens am Donnerstag wird der ehrliche, wackere, cigarrenrauchende Literatisfeind, Kapitän Truck eintreffen. Dieß ist für's Land schon ein hübsch großer Kreis, und ich höre, daß die Gentlemen von den Booten und anderen Vergnügungen sprechen. Ich glaube übrigens, mein Vater hält in der Bibliothek eine Berathung, für welche er unsere Anwesenheit wünscht; wenn es dir daher genehm ist, so wollen wir nicht säumen, uns ihm anzuschließen.«

Da Evas Toilette jetzt beendigt war, so erhoben sich die beiden Damen und begaben sich gemeinschaftlich nach dem Bibliothekzimmer hinunter. Mr. Effingham stand an einem mit Rissen bedeckten Tische, und an seiner Seite befanden sich einige achtbar aussehende Techniker. Das Benehmen der Letzteren war ruhig, höflich und achtungsvoll – ein Gemisch von männlicher Einfachheit mit gebührender Ehrerbietung für die Jahre und Stellung des Hausherrn; indeß hatten Alle mit Ausnahme eines Einzigen ihre Hüte auf. Dieser Letztere hatte durch einen vertraulichen Verkehr mit der Familie Effingham mehr feine Sitten angenommen und daraus gelernt, daß die Achtung gegen sich selbst sowohl als gegen Andere es nothwendig mache, im Umgang mit guter Gesellschaft die lange hergebrachten Regeln des Anstandes zu beobachten.

Seine Begleiter benahmen sich, ohne übrigens eine Spur von Rohheit an den Tag zu legen oder zu beabsichtigen, aus dem einfachen Grunde weniger anständig, weil unwillkührlich eine freie Gewohnheit an die Stelle der alten Schicklichkeitsgesetze getreten war, – eine Gewohnheit, deren Ursprung leider aus gewissen falschen und unpraktischen politischen Ansichten, durch die Künste verschmitzter Demagogen in's Leben gerufen, abgeleitet werden muß. In der That wußte von den drei an schwere Arbeit gewöhnten Männern, die, obschon im Grunde höflich und sogar leutselig, mit bedecktem Haupte in Mr. Effinghams Bibliothekzimmer standen, wahrscheinlich nicht ein Einziger, daß er sich irgend einer Ungebühr schuldig machte, da sie weiter nichts thaten, als was ihnen unwillkührlich in Folge einer fehlerhaften und gemeinen Angewöhnung zur andern Natur geworden war.

»Es freut mich, daß du kömmst, meine Liebe,« sagte Mr. Effingham, als seine Tochter in das Zimmer trat, »denn ich bedarf wohl hier deiner Unterstützung zu Festhaltung meiner Ansichten. John beharrt in einem hartnäckigen Schweigen, und was diese anderen Gentlemen betrifft, so fürchte ich, sie haben entschieden Partie gegen mich genommen.«

»Ihr könnt stets auf meinen Beistand zählen, theuerster Vater, wie unbedeutend er auch sein mag; doch um welchen bestrittenen Punkt handelt sich's jetzt?«

»Um einen Vorschlag, das Innere der Kirche zu verändern, und unser Nachbar Mr. Gouge hat die Risse mitgebracht, nach welchen er, wie er sagt, letzter Zeit mehrere Kirchen in der County veränderte. Sein Gedanke zielte darauf hin, die Kirchenstühle ganz zu beseitigen und sie in sogenannte ›Slips‹ umzuwandeln, die Kanzel niedriger zu machen und den Boden nach Weise eines Amphitheaters zu erhöhen.«

»Kann für einen derartigen Wechsel ein zureichender Grund vorhanden sein?« fragte Eva überrascht. » Slips! schon das Wort hat einen gemeinen Klang und riecht nach einer nutzlosen Neuerung. Ich zweifle, ob es überhaupt orthodox ist.«

»Jedenfalls ist es sehr populär, Miß Eva,« entgegnete Aristobulus, der aus einem Fenster vortrat, wo er bei Seite mit einem Andern geflüstert hatte. »Die Mode wird allgemein und beginnt bei allen Glaubensbekenntnissen vorherrschend zu werden.«

Eva wandte sich unwillkürlich um und bemerkte zu ihrer Ueberraschung, daß der Herausgeber des »Active Inquirer« ihre Gesellschaft vergrößert hatte. Die Begrüßungen von Seiten der jungen Dame waren abgemessen und stattlich, während Mr. Dodge, der sich inzwischen aus purem Respekt vor der öffentlichen Meinung von seinem Schnurrbart getrennt hatte, in geziertem Tone antwortete, um sich vor den anwesenden Fremden den Schein zu geben, als stehe er mit der ganzen Familie auf vertraulichem Fuße.

»Populär oder nicht, Mr. Bragg, in keinem Falle kann es schicklich genannt werden,« entgegnete Eva, sobald sie gegen Mr. Dodge ihren tiefen Knix gemacht hatte. »Es heißt in der That die Ordnung der Dinge umwerfen, wenn man den Sünder erhebt und den Heiligen erniedrigt.«

»Ihr vergeßt, Miß Eva, daß nach dem alten Plane das Volk nicht sehen konnte; es wurde unnatürlicherweise drunten gehalten, wenn ich mich so ausdrücken kann, und Niemand hatte einen guten Lugaus, als der Pfarrer und die Sänger in der vorderen Reihe der Gallerie. Dieß war ungerecht.«

»Ich sehe nicht ein, daß ein ›guter Lugaus‹, wie Ihr's nennt, ein wesentliches Erforderniß der Andacht ist; deßgleichen kann ich mir nicht denken, wie man eine Belehrung nicht eben so gut sollte hören können, wenn man unter, als wenn man über dem Lehrer sitzt.«

»Pardon, Miß,« – Eva wich zurück, wie sie stets that, wenn Mr. Bragg sich dieser gemeinen und verächtlichen Anredeweise bediente – »wir setzen Niemand hinauf oder hinunter, und spielen auf Nichts ab, als auf eine gerechte Gleichheit. Alles soll so nahe wie möglich eine gleiche Höhe haben.«

Eva blickte verwundert umher und zögerte einen Augenblick, als ob sie ihren Ohren nicht traue.

»Gleichheit! – Gleichheit mit was! Sicherlich doch nicht mit den verordneten Dienern der Kirche, wenn sie in Ausübung ihrer heiligen Obliegenheiten begriffen sind – sicherlich doch nicht mit der Gottheit?«

»Wir betrachten die Sache nicht ganz in diesem Lichte, Fräulein – das Volk baut die Kirchen; dieß werdet Ihr zugeben, Miß Effingham – und auch Ihr werdet's einräumen müssen, Mr. Effingham!«

Die beiden angezogenen Personen machten einfach eine bejahende Verbeugung, ohne jedoch zu sprechen.

»Gut; wenn das Volk die Kirche baut, so fragt es natürlich sich selbst, zu welchem Zwecke es baue.«

»Zur Gottesverehrung,« entgegnete Eva mit einer ruhigen Feierlichkeit, die sogar den nicht leicht zu bewältigenden selbstgefälligen Aristobulus ein wenig einschüchterte.

»Ja, Miß, zur Gottesverehrung und zur Bequemlichkeit des Publikums.«

»Allerdings; man baut für die öffentliche Bequemlichkeit und für öffentlichen Gottesdienst,« fügte Mr. Dodge bei, auf die beiden Beiwörter einen besonderen Nachdruck legend.

»Vater, Ihr wenigstens werdet nicht hierauf eingehen.«

»Nicht gerne, meine Liebe. Ich gestehe, daß es allen meinen Begriffen von Anstand zuwider ist, sehen zu müssen, wie der Sünder, selbst wenn er sich für den demüthigsten und reuigsten ausgibt, sich so breit macht, daß man sich des Gedankens an Eigenliebe und Selbstüberschätzung nicht erwehren kann.«

»Ihr werdet einräumen, Mr. Effingham,« entgegnete Aristobulus, »daß Kirchen gebaut werden, um das Publikum bequem unterzubringen – es handelt sich um die Oeffentlichkeit, wie Mr. Dodge ganz richtig bemerkt hat.«

»Nein, Sir, der einzige Zweck ist der Dienst des Herrn, wie meine Tochter ganz richtig bemerkt hat.«

»Nun ja, Sir, auch dieß gebe ich zu.«

»Mr. Bragg meint ohne Zweifel, daß die Bequemlichkeit des Publikums als zweite Rücksicht beachtet werden müsse,« bemerkte John Effingham, der sich jetzt zum ersten Mal über den Gegenstand vernehmen ließ, mit seiner gewöhnlichen Schärfe.

Eva wandte sich rasch um und blickte nach ihrem Verwandten hin. Er stand mit gekreuzten Armen in der Nähe des Tisches, und in seinem schönen Gesichte drückte sich die ganze Bitterkeit und Verachtung aus, die ein so ruhiges gentlemanisches Antlitz nur verrathen konnte.

»Vetter Jack, dieß darf nicht stattfinden,« sagte sie dringend.

»Gleichwohl wird es stattfinden, Mühmchen Eva.«

»Gewiß nicht, – gewiß nicht! Unmöglich können die Menschen so weit alles Schicklichkeitsgefühl vergessen, um den Tempel Gottes in ein Komödienhaus umwandeln zu wollen, in welchem die Bequemlichkeit der Zuschauer die Hauptrücksicht bildet!«

» Ihr seid gereist, Sir,« sagte John Effingham, durch sein Auge andeutend, daß die Worte insbesondere Mr. Dodge gälten, »und müßt auch in anderen Theilen der Welt Orte der Gottesverehrung besucht haben. Ist Euch bei solchen Gelegenheiten, namentlich in katholischen Ländern, die schöne, einfache Art nicht angenehm aufgefallen, wie alle Klassen, Vornehm und Gering, Reich und Arm, in gemeinsamer Demuth vor dem Altare knieten?«

»Gott behüte, nein, Mr. John Effingham. Die Gemeinheit eines solchen Ritus hat mir einen wahren Abscheu eingeflößt, und es wandelte mich wahrhaft ein Grauen an bei dem Anblick der wegwerfenden Weise, wie die Leute auf den kalten feuchten Steinen knieten, als ob sie nichts Besseres als Bettler wären.«

»Und waren sie nicht Bettler?« fragte Eva in fast strengem Tone. »Müssen sie sich nicht als solche betrachten, wenn sie bei dem Einigen, großen und allmächtigen Gott um Erbarmen flehen?«

»Miß Effingham, das Volk will nun einmal durchaus obenan stehen, und es ist vergeblich, ihm sagen zu wollen, daß es nicht in der Kirche eben so gut wie im Staat die höchsten Sitze haben solle. Ueberhaupt kann ich keinen Grund einsehen, warum der Pfarrer eine Stellung haben soll, die ihn über seine Pfarrkinder erhebt. Die Kirchen der neuen Ordnung sorgen für die Bequemlichkeit des Publikums und stellen Jedermann so zu sagen auf gleiche Höhe. In den alten Zeiten war eine Familie in ihrem Kirchenstuhl begraben; sie konnte weder sehen noch gesehen werden, und ich erinnere mich noch recht gut, wie ich seiner Zeit kaum der Perücke unseres Geistlichen ansichtig werden konnte; dieser war nämlich ein Mann von der alten Schule und hätte, so weit die Nebenmenschen etwas von ihm hatten, eben so gut in seiner Schlafkammer beten können. Ich muß sagen, ich bin für die Freiheit, wäre es auch nur in den Kirchenstühlen.«

»Es thut mir leid, Mr. Dodge,« entgegnete Eva mit mehr Milde, »daß Ihr Eure Reisen nicht bis in die Länder der Muselmänner ausdehntet, wo die meisten christlichen Sekten wenigstens über jenen Theil der Gottesverehrung, der auf Würde berechnet ist, nützliche Belehrung einholen könnten. Dort würdet Ihr gar keine Sitze gesehen haben, sondern nur Sünder, die sich in Massen auf den kalten Steinen niederbeugten; man weiß da nichts von gepolsterten Stühlen und Besuchzimmer-Bequemlichkeiten. Wir Protestanten sind in dieser Hinsicht weit zurück gegen unsere Vorfahren, und die Neuerung, von der Ihr jetzt sprecht, ist meiner Ansicht nach ein unehrerbietiger, fast sündiger Eingriff in die Würde eines Tempels.«

»Ah, Miß Eva, dieß kommt daher, daß man Formen an die Stelle des Wesentlichen setzt,« rief der Herausgeber. »Ich für meinen Theil muß gestehen, daß ich mich wahrhaft erschöpft fühlte von den Uebertreibungen, mit denen man in den meisten Ländern, die ich besuchte, die Gottesverehrung beging. Würdet Ihr's wohl glauben, Mr. Bragg? – vernünftige Wesen, leibhaftige bona fide lebendige Männer und Weiber knieten auf dem Pflaster wie eben so viele Kameele in der Wüste, die bereit sind, sich von ihren Herren Lasten auflegen zu lassen!« – Mr. Dodge liebte es nämlich, seine Bilder aus den verschiedenen Welttheilen, die er gesehen hatte, zusammenzulesen. – »Kein Stuhl, kein Polster, nicht eine einzige Bequemlichkeit, die für ein freies, vernünftiges Wesen paßt. Nein, Alles wurde in der wegwerfendsten Weise geübt, als ob verantwortliche Menschenseelen um kein Haar besser seien, als die Stummen in einem türkischen Palaste.«

»Ihr solltet dieß in den ›Active Inquirer‹ rücken lassen,« sagte Aristobulus.

»Alles zu seiner Zeit, Sir; ich habe noch viele Dinge in petto, über die ich einige Bemerkungen zu geben gedenke, wie geringfügig sie auch sein mögen – insbesondere über die Ungebühr des beständigen Knieens von Seiten vernünftiger Wesen. Meiner Ansicht nach, Gentlemen und Ladies, lag es nie in der Absicht Gottes, daß ein Amerikaner knieen soll.«

Die achtbaren Handwerksleute, die um den Tisch herstanden, gingen nicht unbedingt auf diese Ansicht ein, denn einer derselben bemerkte sogar, er sehe kein großes Unrecht darin, wenn der Mensch vor der Gottheit kniee; indeß neigten sie sich doch augenscheinlich insgesammt zu der Ansicht hin, daß die neue Art von Kirchensitzen besser sei, als die alte.

»Es kommt mir immer vor, Miß Effingham,« sagte der Eine, »daß ich auf den niedrigen Sitzen die Predigt besser hören und verstehen könne, als wenn ich in einem der alten, hochlehnigen Dinger stecke, die wie die Abfachung eines Pferdestalls aussehen.«

»Aber könnt Ihr nicht besser Einkehr in Eurem Innern halten, Sir? – Gibt es eine bessere Gelegenheit, alle Gedanken fern von Zerstreuung dem Gottesdienste zu weihen?«

»Ihr meint wohl jetzt die Gebete, möchte ich schließen?«

»Allerdings, Sir – ich meine die Gebete der Bitte und des Dankes.«

»Ei, diese überlassen wir so ziemlich dem Pfarrer, obschon ich zugeben will, daß man sich auf den neuen Sitzen nicht so gut anlehnen kann, wie in den alten Stühlen. Für's Sitzen sind die neuen besser, aber nicht so gut zum Anlehnen. Aber gerade das Sitzen kommt eben jetzt bei den Leuten in unserer Gegend ganz besonders in Gunst, Miß Effingham, und so ist's, wie ich sehe, auch in der hiesigen. Die Predigt ist im Grunde doch die Hauptsache.«

»Ja,« bemerkte Mr. Gouge, »eine gute, eindringliche Predigt ist mir jeden Tag lieber, als ein gutes Gebet. Man kann auch mit einem Gebet zweiter Sorte fortkommen, aber die Predigt muß stets von erster Qualität sein.«

»Diese Gentlemen betrachten die Religion so ziemlich wie den Schnaps an einem kalten Tage,« bemerkte John Effingham, »den man in gehöriger Dosis zu sich nehmen muß, wenn er das Blut in rascheren Umlauf bringen soll. Sie sind nicht die Leute, die sich wie verlorene Schafe in Kirchenstühle einpferchen lassen – nein, gewiß nicht.«

»Mr. John muß immer sein Sprüchlein anbringen,« bemerkte der Eine; und Mr. Effingham entließ nun die Handwerker, indem er ihnen bedeutete, er wolle sich die Sache weiter erwägen.

Sobald diese Leute fort waren, wurde der Gegenstand von den Zurückbleibenden noch eines Weiteren erörtert. Sämmtliche Effinghams vereinigten sich dahin, der Neuerung als einem unehrerbietigen Verstoß gegen den Anstand, der sich mit ihrem Schicklichkeitsgefühl und der ungestörten Selbstdemüthigung, welche dem Gebete ziemen, nicht vertrage, während die Herren Bragg und Dodge nicht davon abzubringen waren, daß die Volksstimme laut diesen Wechsel fordere. Sie meinten dabei, daß es unverträglich sei mit der Menschenwürde, sich auch in einer Kirche einpferchen zu lassen, sintemal eigentlich eine gute, eindringliche Predigt, wie sie's nannten, bei der öffentlichen Gottesverehrung weit mehr in Anschlag komme, als alle Gebete und Lobpreisungen, die aus der Seele oder der Kehle kommen könnten.


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