Hermann Conradi
Lieder eines Sünders
Hermann Conradi

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Offenbarung.

       

Zur Nacht, zur Nacht an den Wassern ich ging –
Die Nacht lag schwarz, zerlastend, schwül . . .
Und meiner Seele Angstgefühl
Mit zuckendem Finger die Engniß umfing . . .

Von den Wassern herauf erklang es, erscholl,
Als orgelte drunten ein Sturmchoral,
Und doch war die Welt des Schweigens so voll –
Nur in mir schrie die Qual . . .

Die Nacht zerdrückte mich und zerschmolz
Mit brünstigem Atem, was einst empor
In märzigen Träumen sich reckte so stolz –
Draus aber kroch Angst nur und Furcht hervor . . .

Nur Furcht vor dem hellen, dem harten Licht,
Das Alles in zwingende Nähe schiebt,
Dran meiner Seele harmonisch Gedicht
In tausend Fetzen und Splitter zerstiebt . . .

Der Wind strich feucht und die Flut lief sacht –
Mich deckte der Nacht blauschwarzer Schild –
Da hat es sich mir in Gnaden enthüllt
Und satte Genesung mir eingebracht . . .

Wohl tröstet die Nacht und zärtlich giebt
Sie der Einsamkeit Brust dem Verirrten hin –
Sie hat die Verlassenen immer geliebt
Und den wundenzerfolterten Duldersinn.

Sie dämpft das Weh und blendet den Blick
Vor des Tages zerkrümelter Vielheitswelt –
Doch wenn sich der Himmel im Osten erhellt,
Bescheert sie sterbend das reichste Glück . . .

Wie der Tag allmählich zur Erde kehrt
Und langsam wächst zu hellerem Schein:
So reife mein Herz, von Neuem bewehrt,
Gemach in seine Bezirke hinein
. . .

Zur Nacht, zur Nacht mein Auge hing
An der schwarzen Flut – die Nacht lag schwül –
Doch meiner Seele Kraftgefühl
Frohlockend dem Frührot entgegenging . . .


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