Hermann Conradi
Lieder eines Sünders
Hermann Conradi

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Klage des Jünglings.

         

Wo seid ihr hingegangen,
Meine frommen, unschuldigen Kinderaugen?
Wo seid ihr hingegangen,
Die ihr in prangenden Reizen
Die Welt mir verkündigt
In meines Lebens erster Morgenfrühe?

Wo seid ihr hingegangen,
Die ihr zärtlich bestauntet
Jedwede Creatur,
Flut und Kristall,
Und voll Inbrunst
Wunder um Wunder schautet?

Wo seid ihr hingegangen,
Meine frommen, unschuldigen Kinderaugen?
Sehet! Ich sehne mich euch nach,
Ein Jüngling, ein Mann,
Den die Welt sich nun malt
In nackten, nüchternen Farben!

Sehet! Ich sehne mich euch nach –
Ich weine euch nach –
Dem keuschen Blick
Meiner ersten Jugend –
Als zum ersten Male
Ich um mich blickte
Und der Bilder Fülle
Mich trunken machte –
Unsägliche Sehnsucht
In mir weckte –
Doch stilles Genügen
Zugleich mich besaß!

Sehet! Ich sehne mich euch nach,
Verlorene Augen der Unschuld,
Nun ich ein Anderer ward
Und anders die Welt
Sich mir verkündigt.

Es fiel
In der hingleitenden Zeiten Spiel
Binde und Hülle –
Und über mich strömte sich aus
Die Fülle
Der Wirklichkeiten, der märchenlosen –
Es verdorrten
Meiner frommen Neugier –
Meiner keuschen Sehnsucht
köstliche Jugendrosen!

Satt bin ich –
Und mein ungewirktes Auge
Träufelt in die zusammenschauernde Seele
Nur Tropfen des Ekels . . .
Weltgierig ward ich
Und allgierig
Und unersättlich –
Und spät und frühe
Durchtaumelte diese Brust
Unheimlicher Sehnsuchtsflammen
Schlangengezüngel.

Nimmer mir that ich genug –
Und auf mir lastete
Segen zugleich und härtester Fluch . . .

Und ich wuchs und ich lebte,
Bis in der zweiten
Oder der dritten Morgenfrühe meines Lebens
Ich alt schon ward
Und müde schon vor der Zeit . . .

Von mir hinweggezogen
Sind Drang und Sehnsucht
Und die Wollust des Wanderns
Und des schneidenden Weh's
Unergründlichkeit!

Nicht wunschlos ward ich
Und nicht hoffnungslos!

Doch Alles, was ich begehre –
Doch Alles, was ich erhoffe,
Ist so geringe,
So hohläugig, entmarkt –
Ueberschattet von den müden Brauen
Heimlich zehrender Melancholie . . .

Wo seid ihr hingegangen,
Meine frommen, unschuldigen Kinderaugen?

O! wäret ihr bei mir geblieben!
Stark und trotzig
Wie vor Zeiten
Wäre mein Lieben –
Und mein Hassen
Loderte auf in jähen Feuern!
Nun, da ihr mich verlassen,
Durchschreite ich welk und bekümmert
Meines wachsenden Lebens
Schmale, reizlose Dämmerungsgassen . . .

Es trauert entvölkert
Meiner Leidenschaften Serail –
Und ich ließ meiner ringenden Kraftgefühle
Felsengebirge,
Das in gigantischen Gegensätzen
Sich enthüllte,
Und sich erfüllte,
Zu gewaltigen Werdeschätzen!

Wo seid ihr hingegangen,
Meine frommen, unschuldigen Kinderaugen?

Sehet! Ich sehne mich euch nach,
Schürend
In toten, veraschten Kohlen –
Suchend und wie im Halbtraum spürend
Nach ein paar letzten mageren
Zukunftssymbolen!


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