Hermann Conradi
Lieder eines Sünders
Hermann Conradi

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Schwarze Blätter.

I.

       

Sind mir die Schwingen denn gebrochen?
Ist mir die alte Kraft verraucht,
Daß ich nicht mehr des Herzens unstät Pochen,
Und was aus seinen dunklen Tiefen taucht
In buntem, vielgestalt'gem Reigen,
Bemeistern kann? Schloß schon das Schweigen
Die Dichterlippe – jenes große Schweigen,
Das Ekel, Ueberdruß, Melancholie
Und Lebensunrast großsäugt in der Brust?
Versprühte mir schon alle Jugendlust?
Verlor ihr Diadem die Poesie?
Sind meine Wurzeln welk? Mein Stamm verdorrt?
Mein Laub von tauber Asche überstaubt?
Ich treibe fort und fort
In einem uferlosen Ocean,
Gebeugt das Haupt,
Das Auge stier und brennend, thränenlos . . .
Jedwedes Menschenloos
Dünkt mich nur ein Gewirr von Trug und Wahn,
Drin Afterweisheit, blöder Aberwitz
Gehalt und Sinn und tiefre Ordnung finden . . .
Und zuckt einmal in diese zähe Nacht
Blutrot ein Blitz
Aus einer höher'n Zone:
Dann schau' ich Frevel nur und Sünden
Und Schmach und Ohnmacht allerwärts . . .
Und dem zertret'nen Schmerzenssohne
Entschlägt sich seines letzten Hoffnungsschimmers
Das zerborstene Herz . . .

Was mich bewegt
In meiner Jugend großen Schwärmertagen:
Ich muß ihm thränenlos entsagen . . .

Das Urwort, das allein Erlösung beut,
Und das gewaltiger denn Raum und Zeit,
Drin alles Sein sich hell und klar begreift:
Es wird doch ewig ungefunden bleiben!
Wir sind bestimmt, ziellos dahinzutreiben,
Und unser Schicksal will's, daß aller Blütenträume
Auch nicht ein einz'ger –nicht ein einz'ger reift!

 
II.

           

Aus des Lebens lebendigstem Wellenschlag
Bin ich zu dir, o Mutter Nacht, geflüchtet!
Nimm' mich an deine Brust! Es floh der goldne Tag –
            Ich hab' auf den Tag verzichtet!

Aus des Lebens blutleerem Schattenspiel
Bin ich zu dir, o Todesnacht, geflüchtet!
Was ich erhofft: in dürren, tauben Staub zerfiel –
            Ich hab' auf den Staub verzichtet!

 
III.

 

So stürze, Moloch der Vernichtung,
In meine Brust und morde sie,
Die stolze Flamme meiner Dichtung,
Die Leuchte meiner Poesie!

So wirf mit deiner Keule nieder
Den Bau, den ich so hoch erricht't!
Ersticke die Empörungslieder!
Zertritt mein wildes Sturmgedicht!

Nur zu! Zerfetz' mit deinen Krallen
Das Document des freien Geist's!
Ich bin nun einmal dir verfallen!
Zermalmungsmächte, nun zerreißt's!

 
IV.

       

Im Sclavendienst der Lüge
Hab' ich den Tag verbracht . . .
Nun hat den Gnadenschleier leis
Herabgesenkt die Nacht.
Es schweigt verträumt die Runde,
Nur raunend der Nachtwind rauscht –
Ich aber mit brennendem Munde
Habe Stunde um Stunde
Mit Geistern auf nächt'gem Grunde
Wilde Zwiesprach getauscht!

Hei! Wie er mich umflattert,
Der Geister toller Schwarm!
Wie er mich preßt mit trunkner Lust
In seinen Riesenarm!
Wie Frage er auf Frage
In meine Seele schreit!
Und ob ich bang verzage,
Die Brust mir blutig schlage
Und bete, daß es tage:
Wie ist der Tag so weit!

 
V.

       

O! Welche namenlose Müdigkeit
Hat sich in meiner Seele festgenistet!
Stumpf jeder Lust, stumpf jedem Leid,
Giebt's Nichts, wonach mich noch gelüstet . . .
Giebt's Nichts – Nichts – Nichts! . . . Das Wort, wie klingt's so hohl!
Doch wie bedeutsam spiegelt's Alles wieder:
Des Lebens Inhalt, Mittelpunkt, Symbol –
Sein ganzes aberwitz'ges Auf und Nieder . . .

 
VI.

           

Es spiegelt sich das Abendrot
Goldgelben in den Regenpfützen . . .
Und schmiegt sich an die Scheiben dicht,
Daß sie wie rote Feuer blitzen . . .

Geregnet hat's den ganzen Tag,
Nun hellt sich's noch, bevor es nachtet . . .
–   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –
Hast du dein ganzes Leben lang
Das Leben bodenlos verachtet:

Zur Stunde, wenn's zum Sterben geht,
Wird sich die Nacht noch einmal – klären,
Und wert, daß du sie krampfhaft hältst,
Wirst du sie finden, die – Chimären!

 
VII.

             

Des Lebens buntes Formenspiel
Hat alle Farbe eingebüßt . . .
Es flüchtigt sich wie Schatten hin,
Draus schwarze Schwermut zu mir fließt . .

Die schwarze Schwermut hat sich eng
Um meine Seele festgekrallt –
Sie wuchtet sich um mein Gelenk
Und macht mich müde, welk und alt.

 
VIII.

               

Es hat um mich die Einsamkeit
Gebreitet ihrer Schatten Fülle . . .
Und doppelt fühlbar wird mein Leid
Inmitten dieser tiefen Stille . . .

Von Welt und Menschen abgetrennt
Spür' ich, wie sich mein Schmerz verdichtet –
Sich schließt zu einem Element,
In dem sich alles siebt und sichtet.

Und um mich schürzt sich's wie ein Netz
Und engt sich immer mehr zusammen:
Das ist der Einsamkeit Gesetz . . .
Und mich ersticken ihre Flammen . . .

 
IX.

             

In der Entsagung stumpfes Brüten
Hab' ich die Seele eingewiegt –
Verdorrt sind meiner Sehnsucht Blüten,
Und meiner Kraft Quell ist versiegt . . .

Falb und gestaltlos wie der Haide
Verdämmernde Monotonie
Liegt mir mein Leben! Und ich scheide,
Als hätt' ich's nie gekostet – nie!

Als hätt' ich nie an seinen Feuern
Gesessen und gesogen Glut;
Als hätt' mit seinen Ungeheuern
Gerungen nie mein Heldenmut!

Als hätt' ich nie auf seinen Höhen
Gestanden: Blick und Seele weit!
Als hätt' ich nie in seinen Thälern
Erfahren, wie das Elend schreit!

Mein Herz ist still – mein Auge trocken –
Nicht mehr bewegt mich Menschenbrauch –
Wie Summen fernverträumter Glocken
Spür' ich des ew'gen Herbstes Hauch.

 
X.

       

Nach goldumsäumten Tagen –
Nach Stunden wonnereich:
Dies trauernde Entsagen,
Dies bangende Verzagen
So alltagswelk und bleich?

Fahrt wohl, ihr Weggesellen –
Stunden Himmelgeläuts!
Versiegt sind nun die Quellen –
Es klappern die Narrenschellen –
Denn ich – ich kroch zu Kreuz!

 
XI.

       

O! – Daß mir doch ein Etwas – Schicksal – Gott –
Nennt, wie Ihr's wollt! – die Kraft, die rießengroße,
Weltbändigende, gäbe, daß ich Alles,
Was sich entringt in Farben und Gestalten
Dem ewig unerschöpften Schooße,
Erfassen und behalten könnte!
Daß mir ergreifbar immer bliebe
Der herbe Widerstreit der Elemente
Das große Schicksalsspiel von Haß und Liebe!

In Eins – in Eins möcht' Alles ich verballen –
In Eins – in Eins möcht' Alles ich verkitten –
Und was ich je voll Götterlust durchfühlt –
Was mich durchwühlt –
Mit rohen Schmerzensfäusten mich erstritten:
In einem Tönen sollt' es widerhallen,
Und Meister dieser Melodienfülle,
Fänd' in der Brandung Sturm und Dröhnen
Ich dennoch tiefste Herzensstille
Und ein entsühnendes Versöhnen!

So aber halt' ich stets nur, was getrennt –
Und ob die Sehnsucht mir die Brust zerbrennt:
Auf irrer Spur
Läßt mich die Stunde nur
Am Einzelnen verbluten,
Und fruchtlos send' ich meine Speere aus . . . .

Ein neues Stürmen und ein neu Ermüden –
Ein neues Trotzen – und doch kein Erklimmen –
Umsonst verrollen meiner Seele Feuerfluten,
Und ihre Leuchten sind im Niederglimmen . . .
Ja! Fruchtlos send ich meine Speere aus – –
O! fänd' ich endlich – endlich mich nach Haus!

Denn unbezähmbar in des Zwiestreits Fülle
Wird mir der Drang zur Stille . . .

Im Thal der Weg, wo Bild zu Bild sich reiht,
Wo eins das andere verdrängt, enterbt,
Wo jedes sich mit eignem Reize färbt,
Und keins sich rundet zur Gemeinsamkeit –
Wird mir trotz meinem jungen Jahr zu weit . . .

Der Einheit Größe, die den Gipfel krönt,
Ließ mich das Schicksal nicht ersteigen – –
Nun denn! So scheid' ich unversöhnt –
Und eine and're, große Harmonie
Giebt mir das letzte, weltzeitlose Schweigen . .

 
XII.
Liebeserklärung.

       

So hast du denn auch mich bezwungen
Die ich verachtet grenzenlos!
Zu deinem Liebsten mich gedungen –
Gezerrt zu deinen feilen Schooß!

In deinen Armen lieg' ich stündlich,
Und deine Mätzchen lehrst du mich –
Frau Lüge! Wir betreiben's gründlich – –
Und ich – o Scheusal! – liebe dich!

 
XIII.

       

Ich weiß ––– ich weiß: Nur wie ein Meteor,
Der flammend kam, jach sich in Nacht verlor,
Werd' ich durch unsre Dichtung streifen!
Die Laute rauscht. Es jauchzt wie Sturmgesang, –
Wie Südwind kost – es gellt wie Trommelklang
Mein Lied und wird in alle Herzen greifen . . .

Dann bebt's jäh aus in schriller Dissonanz . . .
Die Blüten sind verdorrt, versprüht der Glanz –
Es streicht der Abendwind durch die Cypressen . . .
Nur Wen'ge weinen . . . Sie verstummen bald.
Was ich geträumt: sie geben ihm Gestalt –
Ich aber werde bald vergessen . . .


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