Hermann Conradi
Lieder eines Sünders
Hermann Conradi

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Licht den Lebendigen!

       

Ich hab' mich Jenen je und je gesellt,
Die, ausgestoßen, nur des Tempels Stufen
Und nie das Allerheiligste betreten . . .

Umsonst erklingt ihr banges Hülferufen,
Umsonst springt von den Lippen brünstig Beten,
Umsonst ersteht auf ihnen – ja! – ein Held
Der sie aus ihrer Knechtschaft an das Licht
Der goldnen Freiheit führen will – ein Sieger:
Er fällt im Kampf wie ein gemeiner Krieger –
Doch die Galeerenketten bricht er nicht! . . .
Er bricht den Fluch nicht, der auf ihnen liegt
Vom Anbeginn der Welt als ein Verhängniß –
Das Leben ist für sie nur ein Gefängniß –
Sie sterben in der Tiefe – Keiner siegt!

Ich hab' mich ihnen je und je gesellt:
Frommt dem Poeten denn – ich frag' es dreist –
Ein ander Loos? – Wo sich in bangen Qualen
Um niegelöste Rätsel müht ein Geist;
Wo auf die Wangen, die verfallnen, fahlen,
Der Hunger seine Fingerspur geprägt;
Wo sich in wildem Ingrimm eine Hand
Zur Faust zusammenballt, wo, stets verkannt,
Ein Mann im Innersten Empörung hegt –
Empörung gegen sie, die Kettenschmieder:
Da tret' ich hin und singe meine Lieder –
Ja! Lieder, die ich nicht erkünstelt und erdacht,
Die ich auf tiefstem Seelenschacht,
Aus meines Herzens Tiefe trug an's Licht –
Und was ich nicht gefühlt, das sing' ich nicht! . .

Wohl soll des Sängers Lied auf Wunden leise
Den Balsam legen! Von den Stirnen bannen
Soll es die Furchen, Thränen aus den Augen . . .
Doch giebt's auch Lieder, die dazu nicht taugen:
Sie ragen trotzig wie die Wettertanne,
Sie zucken wie der Blitz mit loh'nden Zungen,
Sie hallen wie der Donner krachend hallt –
Sie singen von der Schergen Allgewalt,
Von Buben, die der Knechtschaft sich verdungen!
Sie singen eine einz'ge Weise nur:
Die Weise der Empörung gen Despoten!
Sie flammen wild zusammen zu dem Schwur:
Licht den Lebendigen – die Nacht den Todten! . .


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