Hermann Conradi
Lieder eines Sünders
Hermann Conradi

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Kaum dunkelts . . .

       

Kaum dunkelts – und die nackte Schande würmt
Goldhungrig wieder durch die Gassen . . .
In mir war's still. als hätt' es ausgestürmt –
Als hätt' ich allen Zwiestreit eingethürmt –
Nun wähn' ich wieder mich so gottverlassen . . .

In's Abendrot, das kaum die Nacht verschlang,
Hatt' ich ein Märchen kühn von Gott geträumt . . .
Und der Begeistrung Flammenüberschwang,
Des heil'gen Geistes heißer Gipfeldrang,
Hatt' himmelöffnend mir die Welt verschäumt . . .

Auf stillen Pfaden, wo vom lauten Markt
Nur selten ein verirrtes Klingen tönt,
War ich in Gott gewachsen und erstarkt,
Hatt' alle Unrast tapfer eingesargt,
Und in mir war der Geist, der da versöhnt! . .

Nun schweif' ich wieder durch das Stadtgewühl . .
Kaum dunkelts, und der Frühlingshimmel hat
Noch keine Sterne . . . Und mein Kraftgefühl
Zerschellt an dieser Thoren seichtem Spiel –
Die Schwingen meiner Seele sinken matt . . .

Das alte Lied! . . Auf allen Lippen liegt
Nach Gold, nach rotem Gold der wilde Ruf . .
Die Sünde hat jedwedes Herz besiegt,
Und wie ein Schrei durch alle Lüfte fliegt:
Wir sind die Frucht, die Kains Same schuf! . . .

Mit frechem Blick lädt sich die Schande ein,
Im Winkel hockt das Elend, ein Fragment . .
Und drüber nun ein heller Sternenschein – –
Ich treibe brütend durch der Menschen Reih'n . . .
–   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –
Wann siegt die Stunde, da der Kampf entbrennt?


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