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An den Jungfernbund zu Straßburg

Meinen Gruß zuvor!

Teure Mitschwestern! Indem ich euch dieses Heft widme, trete ich notgedrungen aus eurem Bunde aus, denn ich habe eben damit die Grundeigenschaft verloren, die allein zur Mitgliedschaft an dieser hehren Vereinigung befähigt: die literarische Jungfrauschaft.

Hin ist hin, verloren ist verloren.

Ich tröste mich damit, daß ich zwar die erste, aber nicht die einzige bleiben werde. Bald (seid dessen sicher, meine Teuren!) wird Aurikula die Schmachtende folgen, denn es ist unmöglich, daß sie die dreihundertundsiebenzig Gedichte noch länger in ihrer Kommode wird bergen können. Schon steht sie (es ist gemein, daß ich es verrate, aber vielleicht erleichtert es ihr den Bruch) mit Pierson in Korrespondenz. Er verlangt sechshundert Mark, und sie ist nur zu fünfhundert bereit. Armes Aurikelchen!

Und dann Proserpina mit der brandenden Seele! Sollte sie wirklich noch sehr lange an sich halten können, da doch ihr Drama Sumpf und Seuche schon sechs Akte hat? Es sei denn, sie machte eine Trilogie daraus. Zuzumuten ist ihr Alles!

Von der bescheidenen Alma will ich gar nicht reden. Diese Heuchlerin hat (kein Leugnen soll ihr helfen) ein ganzes Epos ans Dichterheim gesandt, und nur der Umstand, daß dieses Blatt eingegangen ist, hat das Schlimmste verhütet.

Nun! mögen die jüngeren Semester die Fahne des literarischen Magdtumes hochhalten! Zwar wird auch sie der Fischer oder Fontane einmal ereilen, aber immerhin: was ein braves Mädchen ist, wehrt sich.

Uebrigens, meine Lieben, eigentlich seid ihr mit diesem Heft allesamt eures Kleinods beraubt, denn ihr werdet es wol nicht in Abrede stellen wollen, daß ihr allemiteinander an diesen Steckbriefen mitgearbeitet habt. Schlagt die Protokolle auf und errötet! Ich habe das Ding im Grunde blos in mildere Form und zum Verleger gebracht. Ich sage daher nicht blos in meinem, sondern auch in eurem Namen den Herren Schuster & Loeffler herzlichsten Dank dafür, 1) daß sie's angenommen, und 2) daß sie Herrn Bruno Paul dafür gewonnen haben, diese kostbaren Bildnisse dazu zu zeichnen.

Es wäre mir aber nicht gelungen, den Verlag zur Herausgabe zu bewegen, wenn mir nicht einer der dreißig dabei geholfen hätte. Dabei wußte dieser übermenschlich liebenswürdige Herr, was für Schnödigkeiten gerade über ihn in dem boshaften Faszikel stehen. Blos, daß ich seinen Namen verschweige, hat er mir zur Bedingung gemacht. So können wir ihn nicht einmal zum Ehrenprotektor des J. B. St. ernennen. Aber es sei ihm hier wenigstens incognito unser Dank ausgesprochen.

Schließlich: was für ein Nest von Schlangen dieses Heft ist, wisst ihr ebenso gut wie ich. Werdet ihr mir (abgesehen von der Jungfernschaft) die Herausgabe verzeihen? Werdet ihr sie nicht gewagt und abscheulich finden, da es sich doch bei allen dreißig um Dichter handelt, denen wir oft genug wirkliche Genüsse verdankt haben? Und mehr: es sind unter ihnen alle unsre Bundesheiligen! Denkt an unsern Poggfredabend, und wie wir den Stilpe auf einen Sitz lasen! Denkt an unsre heißen Kämpfe um »Weib und Welt«! Denkt an unsre Ehrenrettung Heyses! Denkt an unsren Plan, das »Liebeskonzil« aufzuführen! Denkt an unsre Bierkarte an Conrad! Denkt an unsern Trauersalamander, als Wedekind eingesperrt wurde! Denkt an unsre »Holz«erei! Denkt an unsre Bahrfeier, wo jede von uns eine Stirnlocke trug (wieviel Stangenpomade habe ich geopfert!) Denkt an die gebratene Flunder, die wir zu Ehren Scheerbarts in unser Wappen gesetzt haben! Ach, – ich kriegs mit der Angst, daß ihr am Ende doch wütend werdet! In Druckerschwärze nimmt sich doch manches recht verrucht aus, was unter uns Jungfern, wenn wir einander zublinzten, gar nicht so böse klang.

Und trotz dem! Es soll doch ans Tageslicht! Gerade hier in Berlin ist mir der Entschluß immer fester geworden. Ihr ahnt es ja gar nicht in eurer Unschuld, wie es hier, aus den einzelnen Klüngeln heraus, nach Weihrauch stinkt. Mir wird übel, wenn ich allein an die direkt ekelhaften und stupiden Götzendienereien denke, die von denen um Hauptmann und George verübt werden. Und ihr könnt mir glauben: jeder Einzelne der Dreißig hat solch' einen Klüngel, wenn's auch nicht überall so frech und albern getrieben wird. Da ist es, aller vernünftigen Liebe unbeschadet, vielleicht ein ganz gutes Werk, auch einmal die Kehrseite der Medaille zu zeigen, selbst auf die Gefahr hin, daß man dabei ein paar Kilometer zu weit geht.

Und überdies: wenn in der bildenden Kunst die Karrikatur erlaubt ist, warum nicht in der Literatur?

Aber ich will mich nicht entschuldigen. Habe ich gegen das Zartgefühl des J. B. St. gefehlt, so entzieht mir die violett-grün-orangene Haubenschleife, auf die ich sonst als gefallenes Bundesmädchen Anspruch hätte; ich werde zwar weinen, aber den Schmerz überwinden.

Was aber den Zorn der Dreißig und ihrer Freunde oder gar der Kritik anlangt, den ich etwa auf mich ziehen werde, weil ich mich als annoch Unbekannter solcher Scheußlichkeiten erdreustet habe, so kann ich nur mein Haupt beugen und erklären, daß dies nur eine kleine Abschlags-* Zahlung auf künftige noch grimmigere Schnödigkeiten ist, die ich auf dem Herzen habe. Gesäuselt wird heute ohnehin genug auf dem deutschen Parnaß; ich will ein bischen den Boreas spielen. Ob meine Lunge kräftig genug dazu ist, wird sich zeigen.

Und damit Schluß und aus ganzem Herzen unser Feldgeschrei:

Dichte mit Maßen!

Heute noch und nimmermehr:
Ulrike die Unentwegte.

Berlin, im Februar
1900

Martin Möbius


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