Sagen aus Mecklenburg-Vorpommern
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Die Kaienmühle bei Rostock

An das Tor der Kaienmühle bei Rostock klopfte vor vielen Jahren abends in der Dämmerstunde ein Wanderbursche, der den Meister um Arbeit ansprach. Da der Müller gerade einen Gehilfen brauchte, wurde der Geselle sogleich angenommen.

Nachdem der Bursche zu Abend gegessen hatte, wies ihm der Meister seine Schlafkammer, wohin sich der Geselle auch bald begab. Hier traf er den zweiten Müllerburschen, der ihm sofort seine Freude kundgab, daß er jetzt nicht mehr auf der Mühle zu sein brauche, »denn«, fügte er hinzu, »auf der Mühle ist es nicht geheuer.« Auf die Frage des Gesellen, was denn dort los sei, erzählte er, daß er nachts bei seinem Umgang durch die Mühle wiederholt eine weiße Gestalt gesehen habe.

Der neue Geselle nahm sich vor, gleich in der ersten Nacht der Sache auf den Grund zu gehen. Er begab sich an die bezeichnete Stelle, und richtig – die Gestalt war wieder da.

Der Müllergehilfe rief: »Alle guten Geister loben den Herrn!«

»Ich auch«, erwiderte die Gestalt.

»Halt!« dachte der Müller, »vom Bösen ist sie nicht«, und fragte nun die Erscheinung weiter aus.

Da erfuhr er denn, daß sie einst ein reisender Müller gewesen, der dicht bei der Mühle erschlagen und an der Hecke, die sich um das Haus zog, eingescharrt worden sei. Die Gestalt forderte den Gesellen auf, dafür zu sorgen, daß der Leichnam in geweihter Erde seine Ruhe finde; zum Zeichen dafür, daß er das tun wolle, möge der Geselle ihr die Hand geben. Dagegen sträubte sich jedoch der Müller; da bat ihn der Geist, er möge doch nur sein Kleid berühren. Dies tat der Geselle, und sofort war das Gewand an der erfaßten Stelle pechschwarz. Nachdem der Erschlagene dem Gehilfen noch mitgeteilt hatte, daß er das Geld für die Beerdigung in seiner Rocktasche trage, war er verschwunden.

Am andern Morgen erzählte der Geselle seinem Meister den Vorfall. Sie gruben an der bezeichneten Stelle nach und fanden auch bald den Leichnam, der deutliche Merkmale eines gewaltsamen Todes an sich trug. In der Rocktasche steckte ein Louisdor, von dem sich die Kosten des Begräbnisses auf dem Biestower Friedhof leicht bestreiten ließen.

Seit dieser Zeit wurden die Müller auf der Kaienmühle von keiner Erscheinung mehr belästigt.

 


 


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