Sagen aus Mecklenburg-Vorpommern
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Die Kunst, mit Mahren umzugehen

Nachtalben gibt es überall, aber in Ostpreußen trifft man sie besonders häufig an. Sie heißen dort Mahren und sind junge Mädchen, die, von Hexen verzaubert, in der Nacht zu ganz kleinen Wesen zusammenschrumpfen, dann durch einen Mauerspalt oder ein Schlüsselloch in die Zimmer schlafender Menschen eindringen und sich ihnen auf die Brust setzen. Die Schläfer werden dann von furchtbaren Träumen geplagt. Meist erfolgt die Behexung in der Wiege. Schlimme Gevatterinnen, die heimlich das Hexenhandwerk betreiben, sprechen die Verwünschung aus, wenn die Taufe vollzogen wird. Doch gilt die Verwünschung nur für den Namen, den das Kind bei der Taufe erhält. Entdeckt jemand von einem Mädchen, daß es eine Mahr ist, dann braucht es nur auf einen anderen Namen umgetauft zu werden und es ist erlöst. Selbst dürfen sich die Mahren nie entdecken, sie müssen von den Schläfern überrascht und festgehalten werden. Das ist oft gar nicht so leicht, denn die Mahr ist meist schon fortgeflogen, wenn dem furchtbaren Traum ein qualvolles Erwachen folgt. Doch wem es gelingt eine Mahr zu erlösen, der kann sich kein besseres Eheweib wünschen.

Einem Schustergesellen in Angerburg gelang es einmal eine Mahr zu fassen, die als Strohhalm auf seiner Brust lag. Er legte den Halm in eine Schublade und wurde am Morgen von einem Mädchen geweckt, dem er immer die Schuhe besohlt hatte. Er führte die Jungfrau sofort in die Kirche, und als sie zugab, eine Mahr zu sein, und ihren bei der Taufe empfangenen Namen nannte, vollzog der Pfarrer sogleich die Umtaufe. Der Schustergeselle heiratete sie und wurde sehr glücklich.

Nicht weit davon waren gar die drei Töchter eines Gastwirts zu Mahren gemacht worden. Ein Wanderbursche, der in der Herberge übernachtete, hörte, als er noch vor Morgengrauen erwachte, wie sich die drei Mädchen im Nebenzimmer ihr Leid klagten. Er konnte daraus entnehmen, daß sie die ganze Nacht als Mahren unterwegs gewesen waren. Der Wanderbursch berichtete dem Gastwirt von seiner Entdeckung, und dieser ließ seine drei Töchter umtaufen.

Zwei Knechte schliefen zusammen in einer Kammer, und einer von ihnen wurde oft von einer Mahr heimgesucht. Einmal erwachte er, wällrend sie ihn noch plagte, und er rief seinem Kameraden zu: »Faß die Mahr auf meiner Brust... schnell, schnell.« Geschwind sprang der aus dem Bett, griff an die Brust des andern Knechts und hatte einen Strohhalm in der Hand, der sich verzweifelt hin und her wand, um zu entkommen. Der Heimgesuchte erinnerte sich an das Erlebnis des Schustergesellen in Angerburg und bat den Kameraden, den Strohhalm in die Tischlade zu legen. Am nächsten Morgen nahm er ihn heraus und aus dem Halm wurde ein wunderschönes junges Mädchen. Beide wollten sie gleich zur Frau nehmen. jeder glaubte mehr Recht auf das Mägdlein zu haben. Der eine, weil es ihn als Mahr heimgesucht, der andere, weil er es gefangen hatte. Aber schließlich ließ sich dieser doch davon überzeugen, daß die Mahr zu jenem mehr Zuneigung empfinden würde, den sie so oft nächtlich besuchte. Der heiratslustige Knecht aber wußte Rat. Er würde dem Pfarrer einen falschen Namen nennen und das Astloch in der Tür verstopfen, durch das sie schlüpfte, wenn sie ihn besuchte. Denn ein Mädchen oder eine Frau, die eine Mahr ist, mag sich noch so viel in Freiheit bewegen, mag zur Kirche gehen oder über Land wandern, ihre nächtliche Gestalt kann sie nicht wieder annehmen, wenn sie nicht ein zweites Mal das Schlupfloch benützt, das ihr bei ihrem Erscheinen als Zutritt diente. Es mag Jahre dauern, bis sie es findet, aber sie wird es immer suchen, denn der Trieb, wieder eine Mahr zu werden, ist unwiderstehlich. Diesen Plan führte er aus, heiratete und verstopfte das Astloch so gut, daß es überhaupt nicht zu entdecken war. Die Ehe wurde sehr glücklich. Der Knecht blieb am Hof des reichen Bauern, der ihn für seine braven Dienste von Jahr zu Jahr besser entlohnte. Kinder kamen und verschönten das Leben des Paares. Die Frau war lieb, und alle hatten sie gern, niemand merkte ihr etwas an von ihrem früheren Leben, nur dem Ehemann fiel auf, daß sie bisweilen in langes, tiefes Nachdenken versank. Da geschah es nun einmal, daß die Kinder beim Spielen an das Werg gerieten, mit denen das Astloch in der Tür verstopft und unsichtbar gemacht worden war. Sie zogen es heraus und verstreuten das Werg auf dem Boden. Bald darauf kam die Mutter ins Zimmer und entdeckte, was geschehen war. Sie sagte nichts, reinigte den Raum von den umherliegenden Strähnen, so daß der Mann, als er vom Feld kam, nichts bemerkte. In der folgenden Nacht flog die Mahr aus dem Haus, in dem sie so viele Jahre so glücklich gelebt hatte. Sie ist nie mehr wiedergekommen.

 


 


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