Sagen aus Mecklenburg-Vorpommern
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Die Gründung von Riga

Vor vielen hundert Jahren reisten Bremer Kaufleute nach Wisby, der reichen Hansestadt auf der Insel Gotland. Schon hatten sie den Skagerak und Kattegat und damit den gefürchtetsten Teil der Meeresfahrt hinter sich, als plötzlich ein furchtbarer Sturm aufkam. Nach tagelangem Kampf gegen die entfesselten Elemente waren das Steuerruder zerbrochen und die Segel zerfetzt, und hilflos den Wellen überantwortet, trieb die Kogge in rasender Fahrt nach Norden. Für Augenblicke kam aus der Ferne die Insel Gotland in Sicht und verschwand wieder gleich einem Scheinen, als wollte der Himmel die armen Seereisenden durch ein Trugbild von Rettung und Geborgenheit narren.

Als die Winde sich endlich legten, wußten sie nicht mehr, wo sie sich befanden. Endlich klarte auch der Himmel auf, und am Stand der Gestirne erkannten sie, daß die Fahrt jetzt nach dem Westen ging. Wieder verstrichen einige Tage, der Kurs wechselte wieder nach Ost, und dann kam eine bewaldete Küste in Sicht. Sie waren, ohne daß sie es wußten, in die sturmgeschützte Bucht von Riga verschlagen worden. Zu jener Zeit hatten die Deutschritter dort noch nicht ihre Herrschaft angetreten, und wilde heidnische Völkerschaften bewohnten das Land. Eine sanfte Dünung setzte die Kogge an den Strand. Sie sahen sich um, und der Platz gefiel ihnen wohl. Sie entdeckten einen großen Strom, der sich hier ins Meer ergoß, und sie mußten dabei an ihre Heimatstadt denken, die ihren Reichtum auch dem Wasser verdankte, dem Strom, auf dem jene Waren herankamen, die sie über die Salzflut in alle Welt versandten. Da begann es sich im Wald zu regen, Lärm erhob sich, und eine Kriegerschar stürzte aus dem Gehölz. Ihr Anführer war ein strahlender Jüngling. Er befahl, die Schiffbrüchigen gefangenzunehmen. Die Bremer Kaufleute widersetzten sich nicht, denn ihre Waffe war nicht das Schwert, sondern ihre Klugheit und ihr geschäftlicher Sinn. Sie bedeuteten dem Herrscher, sie würden sich ihm aus Dankbarkeit nützlich erweisen, wenn er ihnen das Leben schenke. Da wurde der königliche Jüngling neugierig, und er wollte wissen, was sie für Künste beherrschten und wie sie ihm Nutzen bringen wollten. Sie machten ihm klar, daß sie für den Reichtum des Landes, das, wie sie erfuhren, Livland hieß, Holz und kostbare Felle wilder Tiere, viele schöne und nützliche Dinge einhandeln könnten. Nur müßte es ihnen erlaubt werden, an dem Fluß eine Niederlassung und einen kleinen Hafen zu errichten. Sie verbürgten sich dafür, Livland wohlhabend und glücklich zu machen, denn alles Wohlergehen in der Welt komme von den Verbindungen der Menschen untereinander.

Der König aber traute den Menschen aus dem fernen Lande nicht, denn er hatte nie gehört, daß man durch Handel reich werden könne und glaubte, daß nur der Krieg und die Kriegsbeute den Wohlstand mehrten. Darum dachte er nicht daran, den Vorschlag anzunehmen, sondern erwiderte lachend, er würde ihnen ein Gebiet überlassen, auf dem sie sich ansiedeln durften, aber es sollte nur so groß sein wie ein Stück Boden, ausgemessen nach einer Ochsenhaut. Zu seiner Überraschung nahmen die Kaufleute das Angebot an, denn sie hatten erkannt, daß in der Ausdrucksweise des Königs die Möglichkeit zu einer List steckte. Die Ochsenhaut wurde gebracht, und der König staunte nicht wenig, als er sah, wie die Männer ihre scharfen Messer nahmen und die Ochsenhaut in feine Streifen zerschnitten. Zusammengeknüpft ergaben die Streifen eine lange Lederschnur. Mit dieser umgrenzten die Kaufleute aus Bremen einen großen Raum am Strand, und als dann gar noch ein Stück Schnur übrigblieb, zeigte sich der König so entzückt von dem klugen Witz der Fremdlinge, daß er ihnen noch eine Insel im Strom als Draufgabe überließ. Auf dieser Insel entstand später der erste Stadtteil von Riga mit den Burgen Üxküll und Dahlen.

Doch bis es soweit kam, verging noch eine lange Zeit. Die Kaufleute errichteten erst einmal einige Holzhäuser am Flußufer und fingen, nachdem sie die Kogge wieder instandgesetzt hatten, einen bescheidenen Handel an. Um von den Liven Tauschwaren zu holen, mußten sie über einen Bach, der manchmal viel Wasser führte und nur schwer zu durchschreiten war. Da sich die Siedler auf den Brückenbau nicht verstanden, beeinträchtigte das Gewässer den Handel mit den Liven, die im Walde wohnten, bisweilen recht sehn. Da erschien eines Tages ein Riese, der sich erbot, gegen einen kleinen Fährlohn die Kaufleute auf seinen Schultern über den Bach zu tragen. Das bedeutete eine große Erleichterung für die tapferen Pioniere von Riga. So knapp sie auch an Geld waren, den Fährlohn zahlten sie gern und nannten den freundlichen Riesen ihren Großen Christoph.

Einmal in einer dunklen Nacht lockte den großen Christoph ein klägliches Rufen nach dem Bachufer. Dort fand er einen Knaben, der flehte über das Wasser getragen zu werden, denn seine Eltern wohnten tief im Wald. Der Riese fragte den Knaben, ob er auch den üblichen Fährlohn bezahlen könne, jedoch dieser jammerte, daß er nichts besitze als das dünne Hemdchen, das er am Leib trage. Der Riese brummte, daß, wenn er erst einmal eine Ausnahme mache, bald jeder eine haben wolle. Aber schließlich konnte er dem Jammern des Kindes nicht widerstehen, trug es zum andern Ufer und legte es dort zum Schlafen nieder. Fürsorglich bedeckte er es mit Laub, damit es nicht erfriere. Dann streckte auch er seine müden Glieder neben dem Knaben zur Ruhe aus. Als er am Morgen erwachte, war das Kind verschwunden, das Laub aber zu purem Gold geworden.

Es begab sich nun, daß der Große Christoph bald danach verschwunden war, ob er sich sterbend noch tiefer in seine Wohnhöhle verkrochen oder ob es ihn anderswo hingezogen hatte, es kam niemals zutage. Die Siedler aus Bremen aber fanden das Gold und erbauten davon, als sich kein Besitzer meldete, die Stadt Riga.

 


 


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