Sagen aus Mecklenburg-Vorpommern
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Die Wolfsjungen

In der Elchniederung nahe dem Memelstrom trieb sich ein Junge herum, der auf einem Bein hinkte und ein verschlossenes Wesen zur Schau trug. Man bekam ihn nur selten zu Gesicht und wußte nicht, wo er zuhause war und wie er sich ernährte. So kamen Gerüchte auf, daß er dem Bösen zu Diensten war. Einmal zwischen dem Christtag und den Rauhnächten ging der Junge von Dorf zu Dorf und forderte jeden anderen Jungen, dessen er ansichtig wurde, auf, ihm zu folgen. Zauderte einer der Aufgeforderten, dann zog der Hinkende eine Geißel hervor, deren Schnüre aus Eisendraht geflochten waren und zwischen denen noch stählerne Kugeln baumelten. Mit dieser Rute peitschte er den Rücken der Zögernden und zwang sie so unter seinen Willen. So sammelte er wohl weit über hundert Jungen um sich und trieb sie unter erbarmungslosen Hieben hinaus auf ein weites Feld.

Sobald sie dieses erreicht hatten, ging eine schreckliche Verwandlung mit den Knaben vor. Ein dichtes Fell kroch, von ihren Füßen beginnend, an ihren Körpern hinauf, zuletzt nahm das Gesicht tierische Züge an, sie waren zu Wölfen geworden. Allein der Hinkefuß behielt seine menschliche Gestalt. Mit der Eisenpeitsche trieb er das Rudel erbarmungslos an, in Viehherden hinein und in Schafställe, wo die Raubtiere grausam wüteten. .Kam das Rudel an einen Wasserlauf, dann ließ der böse Knabe seine Eisenrute über die Wellen hinsausen, sofort teilte sich die Flut, und die Tiere konnten, ohne naß zu werden, das Hindernis überqueren. An Menschen versagte die Kraft der Verzauberten. Begegneten sie einem Menschen, dann nahmen sie kläglich winselnd Reißaus. Nach zwölf Tagen und Nächten fiel das Wolfsfell ab, und die Jungen wurden wieder, was sie gewesen waren. .Freilich, ihre Schultern und ihr Rücken sahen böse aus. Von Geißelhieben zerfleischt, dauerte es viele Wochen, bis sie von den Wunden genasen.

Der Junge zeigte sich später auch noch jenseits der Memel, und einmal soll er an die tausend Jungen zu einem Wolfsrudel gemacht haben.

 


 


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