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Drittes Kapitel.

Die Frühjahrsbestellung der Felder hatte begonnen. An einem grauen und kalten Februarnachmittag kam Hans mit seinem Pfluge zum großen Acker auf der Höhe hinaus, woselbst er vielleicht noch zwei Stunden zu arbeiten hatte. Auf Anraten seines einstigen Herrn nämlich wollte er in einem Winkel dieses Feldes schottischen Weizen anbauen, ein Versuch, zu dem Herr Hourdequin ihm das Saatkorn zur Verfügung gestellt.

Dort, wo Hans gestern die Scheidefurche gezogen, begann er jetzt anzupflügen. Die Hände an den Griffen des Pfluges, ermunterte er mit rauh klingendem »Dia, hü! hep!« seinen Gaul. Heftige Regengüsse nach wochenlangen Sonnentagen hatten die lehmige Erde gehärtet; nur mit Mühe schnitten Pflugschar und Sech durch den festen Boden. Die abgelöste Scholle knirschte am Streichbrett, das sie umlegte und den am Acker ausgebreiteten Mist darunter vergrub. Zuweilen versetzte ein im Wege liegender Stein dem Pfluge einen kurzen Ruck.

»Dia, hü! hep!«

Mit straffen Armen wachte Hans, daß die Furche sich gradaus strecke; während sein Pferd mit hängendem Kopfe gleichmäßig und stetig zog. Wenn der Pflug sich mit Erde und Strauchwerk füllte, entleerte ihn der Ackersmann mit rüttelnder Faust; dann glitt das Eisen von neuem dahin, die Scholle wälzte sich wie lebend hinterher; klaffend starrte der aufgeschlitzte Leib der Erde.

Er war am Raine angelangt; er machte Kehrt und schnitt eine neue Furche. Bald überkam ihn eine Art Rausch beim Einatmen des kräftigen, feuchten Geruches, der dem Boden entströmte; auch sein gleichmäßiger Gang und der unverwandte, feste Blick seiner Augen betäubten ihn. Nimmermehr konnte er ein echter Bauer werden. Er war nicht diesem Boden entwachsen, er blieb der Handwerker aus der Stadt, der Soldat, der den italienischen Feldzug mitgemacht, und was die Bauern weder sehen, noch fühlen, er sah und empfand es: den traurig ernsten Frieden der Ebene, den mächtigen Odem der Erde sowohl im Sonnenschein wie im Regen. Er hatte immer davon geträumt, sich aufs Land zurückzuziehen. Doch wie töricht war sein Wahn gewesen, daß, sobald er Hobel und Flinte beiseite gelegt, der Pflug sein Sehnen nach Ruhe stillen werde. Die Erde war wohl friedsam, schien freundlich denen zugetan, welche sie lieben; doch die Dörfer, die gleich Nestern von Ungeziefer daran kleben, alle diese menschlichen Insekten, die an der Erde saugen und nagen, verunzieren sie, machen sie uns widerlich und unleidlich. Hans erinnerte sich nicht, je soviel gelitten zu haben, als seit dem schon fernen Tage, da er den Fuß in die Borderie gesetzt.

Er hob ein wenig die Pflugsterzen, damit der Pflug sich leichter bewege. Eine kleine Ausbiegung der Furche ärgerte ihn; er kehrte um und schaute jetzt besser hin, während er sein Pferd antrieb.

»Dia, hü! hep!«

Ja, nichts als Ungemach diese zehn Jahre! Zuerst sein langes Warten auf Franziska; dann der Krieg mit den Buteau, wo nicht ein Tag ohne irgendeinen unangenehmen Vorfall, ohne häßliche Worte vorübergegangen. Seit zwei Jahren war er jetzt mit Franziska verheiratet, konnte er sich jetzt endlich glücklich nennen? Wenn auch er sie noch immer liebte, so war es ihm jetzt sehr wohl klar, daß sie ihn nicht so liebte, ihn niemals so von ganzer Seele lieben werde, wie er es gewünscht hätte. Beide lebten in bestem Einvernehmen, arbeiteten, sparten und brachten etwas vor sich. Und doch war es nicht das Rechte; er fühlte es deutlich, wenn er sie in seinen Armen hielt, daß sie ihm fremd blieb, daß ihre Gedanken fern von ihm weilten. Sie war jetzt im fünften Monat in der Hoffnung, und selbst dieses Ereignis hatte sie einander nicht näher gerückt; immer deutlicher wiederholte sich ihm jenes Empfinden, das ihn am Tage ihres Einzuges in dieses Haus überkommen, das Empfinden, er sei ein Fremder für sein Weib: ein Mann aus einer anderen Gegend, der, man wußte nicht wo, aufgewachsen, der anders dachte wie die Leute in Rognes, der ihr mit einem Worte so fremdartig erschien, daß sie sich selbst jetzt, wo er der Vater ihres Kindes werden sollte, keine innige Gemeinschaft mit ihm denken konnte. Nach ihrer Heirat hatte sie in ihrem noch frischen Zorn gegen die Buteau eines Tages aus Cloyes einen Bogen Stempelpapier mitgebracht, um ein Testament zugunsten ihres Mannes zu machen; denn man hatte ihr erklärt, daß, falls sie stürbe, ohne Kinder zu hinterlassen, das Haus und der Landbesitz ihrer Schwester zufalle, da nur das Mobiliar und das bare Geld in die Gütergemeinschaft der Eheleute einzurechnen seien. Später schien sie sich anders besonnen zu haben; das Blatt Papier lag noch heute unbeschrieben in ihrer Kommode. Ihm hatte es einen heimlichen Schmerz verursacht. Zwar dachte er nicht an sein persönliches Interesse; doch ihm schien das Schalten seiner Frau einen Mangel an Zuneigung zu verraten. Heute allerdings, wo sie ein Kind erwarteten, war jenes Testament vielleicht zwecklos, und dennoch tat dem Manne das Herz weh, sooft er in der Kommode das weiße Papier erblickte.

Hans hielt in seiner Arbeit inne, ließ das Pferd rasten und schüttelte in der kalten Luft die schwindelnde Betäubung ab, die ihn überkommen. Mit langsamem Blicke bestrich er die weite Ebene, diesen leeren Horizont, darin in der Ferne andere Pflüger mit ihrem Gespann aus dem nebelhaften Grau blickten. Er war überrascht, Fouan zu gewahren, der den neuen Weg von Rognes daherkam, um wieder einmal eines seiner alten Felder zu besuchen, wie ihm dies von Zeit zu Zeit noch einfiel. Hernach senkte der Bauer seinen Blick und schaute in die offene Furche zu seinen Füßen. Die vom Pfluge gewendete Scholle sah gesund und frisch aus, und darunter ruhte die fruchtfördernde Schichte des Düngers. Ihm aber stiegen allerhand verworrene Gedanken auf: wie sonderbar es sei, daß man den Boden so durchgrub, um Brot zu essen, wie traurig, daß Franziska ihn nicht liebe; noch andere verworrene Gedanken über das, was hier auf dem Acker wachsen werde, über sein Kind, das bald kommen solle, über all die Müh' und Arbeit, die man sich gebe, ohne doch jemals glücklich zu werden. Er faßte von neuem seinen Pflug und ließ seinen gurgelnden Ruf erschallen:

»Dia, hü! hep!«

Er hatte fast seine Arbeit beendet, als Delhomme, der zu Fuß von einem benachbarten Gute heimkam, am Rande des Feldes stehenblieb.

»He, Korporal, wißt Ihr das Neueste? ... Es scheint, wir bekommen Krieg.«

Er ließ seinen Pflug los und blickte den Sprecher erstaunt an; die Worte, die er gehört, schienen ihn aufs tiefste zu bewegen.

»Krieg, wieso?«

»Ja, mit den Preußen, wie ich höre ... Es steht in der Zeitung.«

Starren Blickes stand Hans da; er dachte an den Krieg in Italien. Wie glücklich war er damals gewesen, als es ihm vergönnt war, gesund dem Gemetzel zu entkommen! Mit welcher Leidenschaft hatte er sich darnach gesehnt, ruhig in seinem Winkel leben zu können. Jetzt brachte dieses Gerücht von einem neuen Kriege all sein Blut in Wallung.

»Alle Wetter, wenn uns die Preußen zu Leibe wollen, da müssen wir dreinschlagen!«

Delhomme war anderen Sinnes. Er schüttelte den Kopf und erklärte, es sei um den Ackerbau geschehen, wenn wieder die Kosaken ins Land zögen wie zu Napoleons Zeiten. Mit dem Dreinschlagen sei nichts gewonnen, man müsse vielmehr trachten, sich in Güte zu verständigen.

»Was ich da sage, gilt für die anderen ... Ich habe bei Herrn Baillehache Geld eingezahlt. Was auch geschehen möge, mein Sohn rückt nicht aus.

»Natürlich,« versetzte Hans ruhig. »Auch mich geht der Krieg nichts an; ich habe meine Zeit abgedient und bin heute verheiratet ... Also mit den Preußen! Na, denen wird man heimleuchten.«

»Guten Abend, Korporal.«

»Guten Abend.«

Delhomme ging. Weiter drüben hemmte er wieder seinen Schritt und verkündete seine Botschaft; bei einem dritten Acker machte er von neuem halt und rief einem Bauer die Neuigkeit zu. Das drohende Kriegsgerücht verbreitete sich unter dem traurig aschfarbenen Himmel über die ganze Beauce.

Hans, der sein Tagewerk beendet, wollte sofort das versprochene Saatkorn von der Borderie holen. Er spannte aus, ließ den Pflug am Rande des Ackers und schwang sich auf sein Pferd.

Während er sich entfernte, fiel ihm Fouan ein; er suchte ihn mit den Blicken, doch der Alte war verschwunden; er mochte hinter einem Strohschober, der auf Buteaus Felde stand, Schutz gegen die Kälte gesucht haben.

In der Farm band Hans sein Pferd an; doch suchte er vergeblich nach einem Knechte, die Leute mußten alle auf den Feldern beschäftigt sein. Er trat in die leere Küche, schlug mit der Faust auf den Tisch; endlich vernahm er Jacquelines Stimme aus dem Keller, wo sich die Milchwirtschaft befand.

»Was gibt's?«

Die steile Stiege, die in diesen Keller führte, lag unmittelbar am Fuße der Treppe unter einer Falltür. Er kniete auf der obersten Stufe und spähte hinab.

»Oh, Korporal!«

Jetzt erblickte er die Cognette in dem nur durch eine Luke erleuchteten, halbdunklen Räume. Sie arbeitete inmitten der Sahnentöpfe, aus denen Milch tropfenweise in einen großen steinernen Bottich abfloß; sie hatte die Ärmel bis zu den Achseln emporgestreift, ihre nackten Arme waren über und über mit dem schaumigen Weiß betüncht.

»Komm' doch herunter ... Fürchtest du dich vor mir?«

Sie duzte ihn wie früher und schaute ihn herausfordernd, lächelnd an. Aber er blieb verlegen auf seinem Platze.

»Es ist wegen der Saat, die der Herr mir versprochen.«

»Ja, ja, ich weiß ... Wart', ich steig' hinauf.«

Als sie im hellen Taglicht erschien, kam sie ihm reizend frisch vor mit ihren weißen Armen und dem guten Milchgeruch, der ihr entströmte. Sie sah ihn fest mit ihren sündhaften Augen an und fragte scherzend:

»Du küssest mich nicht? ... Man braucht doch nicht unhöflich zu sein, weil man verheiratet ist.«

Er küßte sie auf beide Wangen, absichtlich laut schmatzend, damit es nur wie ein Freundschaftskuß aussehe. Doch er fühlte sich seltsam erregt, Erinnerungen wurden in ihm wach, ein eigenes Erschauern fuhr ihm durch die Glieder. Niemals hatte er mit seiner Frau, die er so sehr liebte, etwa Ähnliches empfunden.

»Also komm,« nahm Jacqueline wieder das Wort. »Ich werde dir den Weizen zeigen ... Denk' dir, es ist niemand im Hause, selbst die Magd ist auf dem Markte.«

Sie schritt über den Hof, ging in die Getreidescheuer und trat dort hinter einen Haufen Säcke; hier lag, von ein paar Brettern zusammengehalten, das Saatkorn. Er war ihr gefolgt; er fühlte sich etwas beklommen, sich mit ihr so allein in diesem versteckten Winkel zu befinden. Sofort schien er sich für das Getreide zu interessieren, schönes, schottisches Korn in der Tat.

»Es ist sehr groß!«

Sie ließ ihr Taubenlachen hören und kam rasch auf den Gegenstand zu sprechen, der sie am meisten interessierte.

»Deine Frau ist in der Hoffnung, wie? ... Ihr laßt euch also gehen! Geht es mit ihr? Sprich! Ist's so gut mit ihr wie mit mir?«

Er wurde sehr rot; sie aber amüsierte es höchlichst, ihn so erregt zu sehen. Doch mit einem Male verfinsterte sich ihr Blick, als erinnere sie sich an etwas Unangenehmes.

»Weißt du, ich hab' allerhand Scherereien gehabt. Glücklicherweise ist's vorüber, und alles hat sich zum Besten gewendet.«

Eines Tages nämlich war Hourdequins Sohn, der Hauptmann Leon, nach viel jähriger Abwesenheit auf dem Gut erschienen. Mit einem Blicke erkannte der junge Mann, welcher Art die Person war, der sein Vater das Bett der Mutter eingeräumt. Jacqueline war von Schreck erfaßt, denn sie sah ihre ehrgeizigen Pläne gefährdet, die nichts Geringeres anstrebten, als die Frau und Erbin Hourdequins zu werden. Doch der Offizier beging den Fehler, der Geliebten seines Vaters gegenüber ein gar zu plumpes Vorgehen einzuschlagen; er wollte sie verführen und sich dann von seinem Vater überraschen lassen, um ihn gründlich von seiner Leidenschaft zu heilen. Das war zu durchsichtig. Die Cognette spielte die Tugendhafte, schrie, weinte und beteuerte Hourdequin, sie werde das Haus verlassen, in dem man sie so wenig achte. Es fand eine heftige Szene zwischen den beiden Männern statt; der Sohn versuchte, dem Alten die Augen zu öffnen, das machte die Sache nur noch schlimmer. Zwei Stunden später verließ Herr Leon den Hof, indem er noch auf der Schwelle rief, er ziehe es vor, lieber alles zu verlieren, und wenn er je zurückkehre, geschehe es nur, um diese Dirne mit Fußtritten hinauszuwerfen.

Jacqueline in ihrem Triumph meinte, alles wagen zu können. Sie erklärte Hourdequin, nach solchen Ärgernissen, die sie im ganzen Lande zum Gegenstande des Gespöttes machten, sei sie es sich selbst schuldig, den Hof zu verlassen, wenn er sie nicht heirate. Sie begann sogar, ihren Koffer zu packen. Der Gutsbesitzer war noch aufgeregt von dem Bruch mit seinem Sohne und zwar um so mehr, als er sich im Unrecht fühlte und tiefen Schmerz empfand; er beantwortete die Zumutung seiner Geliebten mit zwei wuchtigen Ohrfeigen. Sie begriff, daß sie sich übereilt habe, und brachte ihre Abreise nicht wieder zur Sprache. Übrigens war sie jetzt unumschränkte Herrin auf dem Gutshofe, nicht nur, daß sie offen das Ehezimmer des Besitzers teilte und abgesondert von den Leuten mit ihm speiste, sie befahl, zahlte die Knechte, hatte die Schlüssel der Kasse in ihrer Verwahrung, beherrschte ihren Herrn so vollkommen, daß er keinen wichtigen Entschluß mehr faßte, ohne ihren Rat einzuholen. Es ging abwärts mit ihm, er alterte; sie verzweifelte nicht, auch seinen letzten Widerstand zu besiegen und ihn zum Entschluß zu bewegen, sobald sie ihn moralisch vollkommen heruntergebracht habe. In seinem ersten Zorn nach der Entfernung seines Sohnes hatte er sich zu dem Schwur hinreißen lassen, ihn enterben zu wollen; sie arbeitete darauf hin, ihn zu einem Testament zu ihren Gunsten zu bestimmen; eines Nachts entriß sie ihm ein förmliches Versprechen, und schon hielt sie sich für die Herrin des Hofes.

»Seit Jahren geb' ich mich mit dem alten Esel ab,« schloß sie; »du kannst dir denken, daß ich's nicht seiner schönen Augen wegen tue.«

Hans mußte lächeln. Beim Sprechen hatte sie mechanisch ihre nackten Arme in das Getreide getaucht, zog sie wieder daraus hervor und vergrub sie nochmals in die Körner; ein feiner Staub klebte an der feuchten Haut. Er schaute ihr zu; dabei machte er eine Äußerung, die ihm sofort leid tat:

»Und mit Tron steht's immer noch beim Alten?«

Sie schien nicht verletzt; ohne Scheu stand sie ihm Rede wie einem alten Freunde.

»Ich hab' ihn ganz gern, den großen Viechskerl, aber er ist, weiß Gott, unvernünftig! ... Stell' dir vor, daß er den Eifersüchtigen spielt! ... Wahrhaftig, er macht mir Szenen: ich soll mit niemandem verkehren als allenfalls mit dem Herrn; es scheint, selbst das ist ihm zuviel, er kommt nachts an unserem Zimmer horchen.«

Wieder lächelte Hans. Ihr aber war nicht heiter zumute, denn sie hegte eine geheime Furcht vor dem Koloß Tron, den sie für falsch und heimtückisch hielt wie alle Percheronen. Er hatte ihr gedroht, er werde sie erdrosseln, wenn sie ihn betrüge; darum zitterte sie, so oft er ihr nahte, trotz des Wohlgefallens, das die schmächtige Person immer noch an dem Riesenkörper des Knechtes fand.

Aber sie zuckte die Achseln, wie um zu sagen, sie sei mit anderen fertig geworden. Wieder mit ihrer guten Laune fuhr sie fort:

»Sag', Korporal, es ging' besser mit uns beiden; wir paßten zusammen, gelt?«

Ihn immerfort mit ihrem lüsternen Blick anblinzelnd, fuhr sie fort, in dem Korn zu wühlen. Er aber vermochte nicht länger seine Sinne zu beherrschen, vergaß sein Weib, vergaß das Kind, das ihm geboren werden sollte; er ergriff ihren Arm, streichelte die sanft bepuderte Haut bis zur Achsel hinauf. Das hatte sie gewollt, seit sie ihn auf der Kellerstiege erblickt. Halb war's das Wiedererwachen alter Liebe, vor allem aber die unlautere Begier, ihn einer anderen zu entreißen, zu zeigen, daß sie mehr Gewalt über ihn ausübe als die rechtmäßige Frau. Schon hielt er sie in seinen Armen; da tauchte die hohe, dürre Gestalt des Schäfers Soulas hinter den Getreidesäcken auf. Der Alte räusperte sich und spuckte; die beiden ließen einander fahren, und Hans stotterte:

»Ja, sehr wohl; ich werde mir fünf Hektoliter davon holen ... Er ist groß, prächtig groß!«

Sie blickte wütend nach dem Schäfer hinüber, der sich immer noch dort zu schaffen machte und murmelte zwischen den Zähnen:

»Das ist zuviel! Selbst wenn man meint, allein zu sein, spioniert einem der Mensch nach! Warte, ich werd' ihn mir vom Halse schaffen!

Hans beeilte sich, die Scheuer zu verlassen. Er band sein Pferd los und nahm es am Zügel. Vergeblich machte ihm Jacqueline Zeichen, er solle bleiben; denn sie hätte ihn lieber in ihrem Wohnzimmer versteckt, statt auf ihr Gelüste zu verzichten. Er aber rief, er werde morgen wiederkommen, und beeilte sich, den Hof zu verlassen. Vor dem Tore holte ihn Soulas ein.

»Es gibt also auch keine Zucht und Sitte mehr,« sprach der alte Mann, »auch du bindest wieder mit ihr an? ... Leiste ihr wenigstens den Dienst, sie zu warnen, sie soll ihren Mund halten, wenn sie nicht will, daß ich den meinen auftue. Wir werden eines Tages was erleben, du wirst's sehen!«

Hans zuckte unwirsch die Achseln. Er schämte sich dessen, was er im Begriff gewesen zu tun. Er glaubte doch, Franziska so sehr zu lieben; wie nur kam's, daß ihn zu ihr nie dies leidenschaftliche Verlangen trieb, das ihn heute wieder bei Jacquelines Anblick gepackt? Liebte er denn die letztere mehr als seine Frau? Hatte es ihm dies schlechte Weibsbild angetan? Die Vergangenheit wachte vor ihm auf; sein Zorn aber wuchs mehr und mehr; denn er fühlte, er werde trotz seiner Empörung zu ihr zurückkehren. Er sprang auf sein Pferd und galoppierte davon, um recht schnell nach Rognes zurückzukehren.

Franziska war an jenem Nachmittage der Gedanke gekommen, auf die Höhe hinaufzugehen, um Klee für ihre Kühe zu schneiden. Sie versah gewöhnlich diese Arbeit; doch ging sie ungern allein; sie war besorgt, den Buteau zu begegnen, die bei jedem Zusammentreffen einen Streit vom Zaun brachen. Heute aber hoffte sie, oben ihren Mann zu finden; darum ergriff sie eine Sense und machte sich auf den Weg. Das Pferd konnte dann den Klee heimtragen. Sie war nicht wenig überrascht, als sie den ausgespannten Pflug dort liegen sah und keine Spur von ihrem Gatten entdeckte; wo mochte er nur sein? Noch unangenehmer aber ward sie berührt, als sie vor ihrem Feld Buteau und Lise erblickte, die sehr aufgeregt miteinander zu reden schienen. Die beiden waren sonntäglich gekleidet; sie mochten in irgendeinem Dorfe einen Besuch gemacht haben und kamen auf dem Heimweg hier vorüber. Einen Augenblick dachte Franziska umzukehren. Aber sie schämte sich ihrer Furcht; sie hatte doch wohl das Recht, wenn es ihr beliebte, nach ihrem Acker zu sehen; ohne ihren Schritt zu beschleunigen oder zu verzögern, kam sie näher heran mit der Sense auf der Schulter.

In Wahrheit war Franziska jedesmal bis ins Innerste bewegt, wenn sie Buteau begegnete, zumal, sobald er allein war. Seit zwei Jahren hatte sie kein Wort mit ihm gewechselt; doch sie vermochte ihn nicht anzuschauen, ohne daß es ihr einen Riß durchs Herz gab. Vielleicht war's Zorn, vielleicht etwas anderes. Mehrmals wenn sie sich zu ihrer Kleewiese begeben, hatte sie ihn vor sich denselben Weg dahinschreiten sehen. Er drehte sich dann wiederholt nach ihr um und starrte sie mit seinen gelbgefleckten grauen Augen an. Sie erschauerte bei diesem Blick; unwillkürlich ging sie schneller, während er in einen langsameren Gang verfiel; endlich mußte sie an ihm vorüber; ihre Augen durchbohrten einander eine Sekunde. Sodann hatte sie das erschreckende und gleichzeitig süße Gefühl, ihn hinter sich zu wissen; ihr Gang wurde steif und ungeschickt dabei. Bei ihrer letzten Begegnung war sie dermaßen verlegen geworden, daß sie beim Sprung von der Chaussee mit dem schwangeren Leib auf ihr Feld hinstürzte. Er lachte dabei laut auf.

Als Buteau abends der Lise in hämischer Weise den Vorfall berichtete, wechselten beide einen Blick, der verriet, daß ihre Gedanken dieselben waren: Wenn sich das Frauenzimmer samt seinem Kinde erschlagen hätte, bekäme der Mann nichts, Haus und Feld würden wieder ihr Eigentum. Sie kannten von der Großen die Geschichte von dem ungeschriebenen Testamente, das seit der Schwangerschaft Franziskas überflüssig schien. Aber sie hatten niemals Glück gehabt; ihnen passierte es gewiß nicht, daß das Schicksal sie mit einem Schlage von Mutter und Kind befreite. Abends beim Schlafengehen kamen sie wieder darauf zurück und plauderten ein Langes und Breites über die Sache; es stirbt ja niemand davon, daß man von seinem Tode spricht. Gesetzt den Fall, Franziska stürbe, ohne einen Erben zu hinterlassen, wie das alles aufs beste schlichten würde, welche Gerechtigkeit vom lieben Gott! Mehr und mehr hingerissen von ihrem Hasse, erklärte Lise schließlich, ihre Schwester sei nicht mehr ihre Schwester, sie werde der Elenden selbst den Kopf unters Beil halten, wenn sie dadurch wieder in den Besitz ihres Heimes gelangen könne, aus dem diese Person sie in so schändlicher Weise vertrieben. Buteau ging nicht so weit, er meinte, es sei schon sehr hübsch, wenn das Kind vor der Geburt umkomme. Diese Schwangerschaft war seine größte Verzweiflung, denn ein Kind werde das Ende seines hartnäckigen Hoffens, den endgültigen Verlust des halben Erbteiles bedeuten. So plaudernd legten sie sich nieder, und Lise löschte das Licht; dabei lachte sie vor sich hin und äußerte, solange ein Kind nicht geboren sei, könne es sehr wohl auch nicht lebend zur Welt kommen. Ein Schweigen herrschte in der Dunkelheit; darauf fragte er, warum sie das sage? Sie schmiegte sich an ihn, legte ihren Mund an sein Ohr und machte ihm ein Bekenntnis: im letzten Monat war sie gewahr geworden, daß ihr schon wieder ein Unglück passiert; ohne ihm etwas davon zu sagen, hatte sie sich deshalb auf den Weg gemacht zu Sapin, einer alten Frau in Magnolles, die allerhand Zauberkünste kannte. Ein drittes Kind, dank' schön, er würde ein schönes Gesicht gemacht haben! Die Sapin hatte ganz einfach mit einer Nadel die Gefahr beseitigt. Ihr Mann hörte ihr zu, ohne ein Zeichen von Zustimmung oder Mißbilligung zu geben, seine Zufriedenheit äußerte sich nur in der launigen Art, wie er versetzte, sie hätte sich die Nadel für Franziska verschaffen sollen. Sie lachte, umfaßte ihn zärtlich und flüsterte, die Sapin kenne noch ein anderes Mittel; etwas ganz Merkwürdiges! Was denn? Das könne nur ein Mann machen: er müßte nämlich der Frau mit dem Finger drei Kreuze auf den nackten Leib beschreiben und dabei ein »Ave« von rückwärts hersagen. Buteau lachte nicht mehr; zwar schienen beide einige Zweifel an der Sache zu hegen, doch der Aberglaube, der diesen Leuten in Fleisch und Blut übergegangen, behauptete sein Recht; war es doch bekannt, daß die Hexe von Magnolles eine Kuh in ein Wiesel verwandelt und einen Toten erweckt hatte. Das Mittel mußte helfen, weil die Alte es gesagt hatte. Wenn man das bei der Franziska versuchen könnte! Warum nicht? war sie doch Buteaus Geliebte gewesen! Niemals! wehrte dieser ab, als seine Frau diese alte Lüge wiederholte.

Seit jener Nacht dachte das Ehepaar unausgesetzt an das Kind, das Franziska gebären sollte, und das ihnen für immer Haus und Feld entreißen würde. Sobald sie der jungen Frau begegneten, maßen sie mit den Blicken den Umfang ihres Leibes; auch heute, als die Kleine des Weges daherkam, war ihr Zustand ihre erste Sorge, und sie stellten mit Entsetzen fest, daß es bald zu spät sein werde.

»Zum Satan!« schrie Buteau, auf das Feld deutend, »der Dieb hat uns einen guten Fuß breit von unserem Acker weggepflügt ... Da, ist es sonnenklar; hier ist der Grenzstein!«

Franziska war im gleichen, langsamen Schritte näher herangekommen, indem sie sich Mühe gab, ihre Bangigkeit den Blicken der Verwandten zu verbergen. Sie begriff jetzt, warum die zwei so aufgeregt waren, Hans mochte ihren Acker angepflügt haben. Die Grenzlinie beider Grundstücke war ein Vorwand ewigen Haders; fast kein Monat ging vorüber, ohne daß man mit heftigen Klagen übereinander herfiel; das mußte mit Tätlichkeiten und Prozessen enden.

»Hörst du,« hub Buteau die Stimme, »ihr seid auf unserem Grunde, ich werde euch verklagen.«

Ohne nur das Haupt zu wenden, betrat die junge Frau ihr Kleefeld.

»Man spricht mit dir!« schrie Lise außer sich. »Schau dir den Markstein an, wenn du meinst, wir lügen.«

Da die Schwester beharrlich nichts als ein verächtliches Schweigen zur Antwort gab, verlor sie alles Maß; mit geballten Fäusten schritt sie zu ihr hinüber.

»Du höhnst uns, Kanaille! ... Ich bin die Ältere, du schuldest mir Achtung, ich werde dich zwingen, mich auf den Knien um Verzeihung zu bitten für das, was du mir angetan hast.«

Sie stand sinnlos vor Wut neben ihr und fragte sich, wie sie sie umbringen solle? Mit Faustschlägen, mit Fußtritten, oder solle sie ihr mit einem Feldstein den Schädel zerschmettern.

»Auf die Knie, auf die Knie vor mir!«

Franziska, immer noch stumm, spie ihr ins Gesicht wie an jenem Tage, als sie in ihres Vaters Haus eingezogen., Lise kreischte wild auf; doch Buteau schob sie heftig zur Seite.

»Laß, das ist meine Sache!«

Ob sie ihn lassen wollte? Er mochte ihr das Kreuz brechen wie einen morschen Baum, mochte sie zertreten, mißbrauchen, ihr war's recht. Sie blickte sich um, ob niemand sie überraschen könne. Die Ebene weitete sich endlos unter dem finsteren Himmel; kein Mensch war sichtbar.

»Geh los drauf, es sieht uns niemand!«

Buteau schritt auf Franziska zu. Wie sie ihn mit dem flammenden Blicke sich nahen sah, glaubte sie, daß er sie prügeln wolle. Sie hatte ihre Sense nicht aus der Hand gelegt, aber sie zitterte; er hatte übrigens schon den Griff der Sense erfaßt, entriß sie ihr und schleuderte sie in das Kleefeld. Um ihm zu entkommen, blieb ihr nichts übrig, als zurückzuweichen; so gelangte sie in das benachbarte Feld und lenkte ihre Schritte nach dem Schober, der daselbst stand, als hoffe sie, dort einen Wall zu finden. Buteau beeilte sich nicht, schien sie dorthin zu drängen und öffnete allmählich die Arme mit einem stillen Lachen, das sein Zahnfleisch sehen ließ. Plötzlich begriff sie, daß er sie nicht prügeln wolle. Nein, er wollte etwas anderes: das, was sie ihm so lange Zeit verweigert hatte. Da begann sie noch mehr zu zittern, denn sie fühlte sich von ihrer Kraft verlassen; sie, die ehemals so tapfer war und kräftig losschlug mit dem Rufe, daß es nie geschehen werde. Und doch war sie kein Kind mehr; zum heiligen Martinstag war sie dreiundzwanzig Jahre alt geworden; sie war jetzt ein voll entwickeltes Weib mit noch frischem Munde, die Augen talergroß. Es überkam sie ein Gefühl, so warm und so weich, als seien ihre Glieder gelähmt.

Buteau zwang sie noch immer zurückzuweichen und sprach endlich mit leiser, keuchender Stimme:

»Du weißt, es ist nicht aus zwischen uns beiden, du mußt mein werden!«

Er hatte sie an den Schober gedrückt, faßte sie jetzt an den Schultern und warf sie um. Doch jetzt begann sie sich verzweifelt zu wehren gleichsam in der Gewohnheit ihres langen Widerstandes. Er hielt sie fest und trachtete, ihnen Fußstößen auszuweichen.

»Was riskierst du denn, dummes Vieh, da du ohnehin schwanger bist? Ich werde dir doch nicht noch eins dazu machen!«

Sie brach in Tränen aus, ihr Leib ward von nervösen Zuckungen geschüttelt. Er konnte nicht Besitz von ihr ergreifen, denn er ward bei jedem neuen Angriff zur Seite geworfen. Die Wut machte ihn roh, und er schrie, zu seinem Weibe gewendet:

»Was stehst du da, Gafferin? Halte sie doch fest, wenn du willst, daß es geschehen soll!«

Lise war in einer Entfernung von zehn Schritten unbeweglich stehengeblieben und schaute bald auf die weite Ebene, ob niemand komme, bald wieder mit ruhiger Miene auf die beiden Ringenden. Auf den Ruf ihres Mannes schwankte sie nicht einen Augenblick; sie trat näher, erfaßte das linke Bein ihrer Schwester, zog es zur Seite und setzte sich darauf. Franziska mußte furchtbar leiden, denn sie überließ sich willenlos mit geschlossenen Augen ihren Peinigern. Doch war sie bei voller Besinnung; als Buteau fertig war, wurde sie von einem solchen Wonnegefühl ergriffen, daß sie einen langen Ruf ausstieß und ihn mit beiden Armen umschlang, so stark, daß er schier erstickte. Hinter dem Schober tauchte jetzt das bleiche Haupt des alten Fouan auf. Er hatte alles mit angesehen. Doch sofort trat er wieder hinter den Schober zurück; er hatte Furcht.

Buteau hatte sich erhoben, und Lise beobachtete ihn scharf. Sie dachte nur an eins: ob er die Sachen auch gut mache. Allein in seiner Sinnesraserei hatte er alles vergessen, die drei Kreuze und das Ave Maria, das von rückwärts herzusagen war. Sie war darüber ganz außer sich. Also um des Vergnügens willen hatte er es getan?«

Doch Franziska ließ ihr keine Zeit zu Erklärungen. Einen Augenblick war sie am Boden liegengeblieben, eine Beute dieser ihr bisher unbekannten Liebeswonne. Doch plötzlich erwachte sie zur Wirklichkeit: sie liebte Buteau, hatte niemals einen andern geliebt und wird niemals einen andern lieben. Diese Entdeckung erfüllte sie mit Scham und Wut gegen sich selbst. Mit einem Sprunge war sie auf den Beinen und schrie:

»Ihr Schweinehunde! ... Jawohl, Schweinehunde alle zwei; ihr habt mich zugrunde gerichtet! Bessere als ihr sind schon geköpft worden! ... Ich werde es Hans erzählen! ... Er wird seine Rechnung mit euch machen!«

Buteau zuckte die Achseln und erwiderte:

»Hör' auf! Du starbst schier vor Verlangen danach! Ich fühlte ja, wie du vor Behagen zucktest! ... Auf nächstens wieder!«

Diese Worte brachten Lise vollends in Wut, und ihr ganzer Ingrimm wandte sich jetzt gegen Franziska.

»Das ist wahr, Metze, ich hab' es gesehen. Du hast ihn umklammert und hast ihn gezwungen! Du hast meinen Mann verführt! ... Ja, am Tage nach meiner Hochzeit hast du ihn verführt! ...«

Ihre Eifersucht brach los seltsam genug nach ihrer willfährigen Nachsicht; eine Eifersucht, die sich weniger auf den Akt selbst bezog, als auf jene Hälfte, welche die Schwester ihr von ihrem Leben genommen. Wäre dieses Mädchen –Blut von ihrem Blute –nicht geboren worden, sie hätte nicht alles teilen müssen. Sie verabscheute sie, weil sie jünger, frischer, begehrenswerter war.

»Du lügst!« rief Franziska. »Du weißt wohl, daß du lügst!«

»Ach, ich lüge? Bist nicht du es, die ihm nachstellte, die ihn bis in den Keller verfolgte?«

»Du lügst!« schrie Franziska außer sich; »du weißt wohl, daß du lügst! Du elendes Biest hast mich festgehalten, hast mir schier das Bein zermalmt! ... Du bist ekelhaft, oder hast mich vielleicht umbringen wollen! ...«

Lise versetzte ihr eine Maulschelle. Diese Roheit versetzte Franziska in eine solche Wut, daß sie sich auf ihre Schwester stürzte. Buteau stand mit den Händen in den Taschen abseits und lachte. Der Kampf dauerte fort; sie rissen einander die Hauben vom Kopf, bissen und kratzten einander, fuhren einander mit den Nägeln ins Fleisch. Einander fortwährend stoßend, waren sie bis in das Kleefeld zurückgewichen. Plötzlich stieß Lise ein Geheul aus: Franziska hatte ihr die Nägel in den Hals getrieben. Ihr flimmerte es rot vor den Augen, und klar tauchte der Gedanke vor ihr auf, die Schwester umzubringen. Sie bemerkte zur Linken Franziskas die Sense mit aufwärts gekehrter Spitze am Boden liegen. Mit aller Kraft stieß sie Franziska gegen diese blinkende Klinge. Die Unglückliche strauchelte, fiel nach links und stieß einen furchtbaren Schrei aus: die Sense war ihr in die Seite gedrungen.

»Donnerwetter!« stammelte Buteau.

Das war alles. Eine Sekunde hatte genügt, und die nicht wiedergutzumachende Tat war geschehen. Lise sah mit Erstaunen, was sie gewollt, so rasch verwirklicht und betrachtete das zerschnittene Kleid, das von einem Blutstrom gefärbt wurde. Sollte das Eisen bis zu dem Kleinen eingedrungen sein, daß es so stark floß? Hinter dem Schober guckte das bleiche Gesicht Fouans wieder hervor; er hatte alles gesehen; seine trüben Augen blinzelten.

Franziska bewegte sich nicht mehr, und Buteau, der näher getreten war, wagte nicht, sie zu berühren. Ein Windstoß zog vorüber und drang ihm eiskalt bis an die Knochen; sein Haupthaar sträubte sich in einem Schauer des Entsetzens.

»Sie ist tot, komm fort,« rief Buteau.

Er faßte seine Frau an der Hand und zog sie hinweg; sie rannten über das öde Feld. Ein Windstoß blähte die Bluse des Mannes und zerrte an den aufgelösten Flechten der Frau; sie hielt ihre Haube in der Hand, und beide stürmten wie gehetzte Tiere dahin, immerfort wiederholend:

»Sie ist tot, Donnerwetter! ... Fort! Fort!«

Immer wilder ward ihre Flucht; keuchend und außer Atem stießen sie wie unbewußt immer dieselben Worte hervor:

»Tot, Donnerwetter! Tot, Donnerwetter!«

Sie verschwanden. Mit geschlossenen Wimpern lag Franziska im Grase. Hinter dem Schober blickte wie ein Gespenst das kahle Haupt des alten Fouan hervor; er stierte auf die blutende Gestalt am Boden; schaudernd, als wolle man auch ihm ans Leben, verkroch er sich wieder in seinem Versteck.

Einige Minuten später kam Hans.

»Was ist, was fehlt dir?« fragte er erstarrend, als er sein Weib in ihrem Blute liegen sah.

Franziska hatte die Augen wieder geöffnet, rührte sich aber nicht; mit ihren großen, schmerzerfüllten Augen blickte sie ihn lange an; aber sie antwortete nicht, sie schien weit fernab mit seltsamen Gedanken beschäftigt.

»Du bist verwundet, du blutest! Was ist dir geschehen?«

Jetzt wagte sich der Alte hervor, Hans erblickte ihn.

»Um alles! sagen Sie mir, was ist ihr begegnet?«

Da sagte Franziska mit leiser Stimme:

»Ich bin Gras holen gekommen und bin über die Sense gestürzt ... Ach, es ist aus!«

Ihr Blick hatte den Fouans gesucht; sie sagte ihm mit diesem Blicke die anderen Dinge, welche die Familie allein wissen durfte. Der Alte begriff und stammelte in seiner Bestürzung:

»Es ist wahr; sie ist gefallen und hat sich verwundet ... Ich war da und hab' es gesehen.«

Es mußte eine Bahre aus Rognes geholt werden. Franziska blutete immerfort. Mehr tot als lebend brachte man sie ins Dorf.


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