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Viertes Kapitel.

Am nächsten Sonntag war der erste November, der Tag »Aller Heiligen«. Es schlug neun Uhr, als der Abbé Godard, der Pfarrer von Bazoches-le-Doyen, der den Gottesdienst in Rognes versah, oberhalb der Aigre-Brücke das Tal her abschritt. Piognes, das ehemals bedeutender gewesen, zählte heute kaum mehr dreihundert Einwohner und besaß infolgedessen schon seit Jahren keinen eigenen Geistlichen. Die Gemeinde schien sich nicht sonderlich viel daraus zu machen, und der Ortsvorstand hatte denn auch die halb verfallene Pfarrei dem Feldhüter zur Wohnung angewiesen.

Jeden Sonntag legte also der Abbé Godard zu Fuß den drei Kilometer langen Weg zurück, der Bazoches-le-Doyen und Rognes verband. Dick, kurzbeinig, mit rotem Nacken und einem Hals, dessen fette Wülste das Haupt zurückdrängten, zwang er sich aus Gesundheitsrücksichten zu dieser Marschübung. Doch an jenem Sonntag hatte er sich verspätet. Keuchend kam er offenen Mundes daher; sein feistes Gesicht, in dem die stumpfe, runde Nase und die grauen Äuglein im Fett verschwammen, war blutrot erhitzt; trotz des Frostes, der den Regengüssen der vergangenen Woche gefolgt war, schwenkte er seinen Priesterhut in der Hand, und der Wind spielte ihm durch das grau und rot gestreifte Haupthaar.

Der Weg fiel steil bergab. Das linke Ufer der Aigre war nur von wenigen Häusern bestanden, die der steinernen Brücke gegenüber eine Art Vorort bildeten. Stürmenden Schrittes eilte der Priester heran; er hatte weder stromauf noch abwärts einen Blick für das durchsichtige Gewässer, das sich zwischen Weiden und Pappelgebüsch langsam durch den Wiesengrund schlängelte. Am rechten Ufer begann das Dorf; eine doppelte Reihe von Gebäuden faßte die Straße ein; andere stiegen seitwärts zerstreut die Anhöhe empor. Dicht bei der Brücke stand das Gemeindehaus und daneben die Schule, eine weißbekalkte ehemalige Scheune, der man ein zweites Stockwerk aufgesetzt hatte. Einen Augenblick zögerte der Pfarrer und warf einen Blick in den offenen Hausflur; dann schaute er spähend zu den beiden gegenüberliegenden Läden. Der eine hatte ein sauber mit Flaschen und Gläsern besetztes Fenster, über dem auf einem gelben Holzschild in grünen Buchstaben » Macqueron, Gemischtwarenhändler« zu lesen stand. Die Tür des anderen kennzeichnete nur ein Stechpalmenzweig, und auf die Wand waren in schmuckloser Schrift die Worte » Tabak bei Lengaigne« geworfen. Zwischen beiden Häusern führte ein steilauf kletternder Pfad zur Kirche. Der Geistliche wollte ihn einschlagen, als ein alter Bauer seinen Weg kreuzte.

»Ihr seid's, Papa Fouan! ... Ich habe es eilig und wollte Euch nachher besuchen ... Wie geht's, sagt? Es ist unmöglich, hört mal, daß Euer Sohn Buteau die Lise in den Umständen läßt. Der Bauch wächst, daß es schon ein Ärgernis ist ... Sie gehört zu den Mutter-Gottes-Jungfrauen, das ist ja eine Schande, eine große Schande!«

Der Alte hörte ihm mit höflicher Achtung zu.

»Ja, Herr Pfarrer, was soll ich dabei tun, wenn Buteau nicht will? ... Schließlich hat der Bursch recht, man verheiratet sich nicht in seinem Alter, wenn man nichts hat.«

»Aber das Kind!«

»Ganz gewiß, allein noch ist es nicht da, und man kann ja niemals wissen, wie so etwas ausgeht ... Und dann, gerad so ein Kind ist nicht sehr ermutigend, wenn man selbst kein heiles Hemd am Leib trägt.«

Er sprach bedacht wie ein Mann, der das Leben kennt. Mit derselben maßvollen Sprache fuhr er fort:

»Übrigens, die Sache kann sich vielleicht ausgleichen lassen ... Ich verteile nämlich meinen Besitz; nach der Messe sollen die Parzellen ausgelost werden ... Wenn dann Buteau seinen Anteil hat, heiratet er am Ende seine Base.«

»Gut!« versetzte der Priester. »Ich rechne auf Euch, Papa Fouan.«

Ein klirrendes Glockengeläut schnitt ihm das Wort ab.

»Das ist das zweite Läuten, nicht wahr?« rief er erschreckt.

»Nein, das dritte, geistlicher Herr!«

»Ach, guter Gott! Dieser Mensch, der Bécu, kann schon wieder nicht auf mich warten!«

Fluchend klomm er den Berg hinauf; seine Brust keuchte wie ein Blasebalg; außer Atem langte er vor der Kirchtür an.

Die Glocke bimmelte immer noch. Aufgescheuchte Raben umschwirrten krächzend den Turm, einen Turm aus dem fünfzehnten Jahrhundert, der von der einstigen Bedeutung von Rognes Zeugnis gab. Vor der Tür wartete eine Gruppe Bauern; der Freidenker Lengaigne stand mitten unter ihnen und rauchte seine Pfeife. Abseits an der Mauer des Friedhofes harrte der Schulze, der Besitzer Hourdequin, ein stattlicher Mann mit energischen Gesichtszügen im Gespräch mit seinem Schreiber, dem Krämer Macqueron. Grüßend ging der Pfarrer vorüber, alle betraten in seinem Gefolge das Gotteshaus, nur Lengaigne wandte sich qualmend abseits.

In der Vorhalle zerrte dicht bei der Pforte ein Mann noch immer am Glockenstrang.

»Genug, Bécu!« rief Abbe Godard außer sich. »Ich hab' Euch hundertmal befohlen, mit dem dritten Zeichen bis zu meiner Ankunft zu warten!«

Der Feldwächter, der gleichzeitig das Amt des Glöckners versah, hielt in seiner Arbeit inne; er war erschrocken, daß ihn der Geistliche beim Ungehorsam ertappt. Er war ein kleiner, fünfzigjähriger Mann mit viereckigem Schädel, grauem Schnurr- und Kinnbart, mit dem lederharten Gesicht eines altgedienten Soldaten über einem steifen, in engem Kragen eingeschnürten Hals. Er war vollgetrunken; ohne eine Entschuldigung vorzubringen, blieb er mit militärischem Gruß vor seinem Vorgesetzten stehen.

Der Pfarrer eilte an ihm vorüber und durchschritt das Kirchenschiff, indem er sein Auge über die Bänke schweifen ließ. Die Kirche war ziemlich leer. Links gewahrte er nur Delhomme, der seinem Amt als Gemeinderat zu Liebe erschienen war. Rechts, auf der Seite der Weiber, saß vielleicht ein Dutzend; er erkannte Celine Macqueron, dürr, nervig, mit herausforderndem Blick; Flora Lengaigne, ein rundes, sanft und gleichgültig dreinschauendes Mütterchen; die Bécu, eine bräunliche, lang aufgeschossene, schmutzige Person. Doch was den Abbé aufbrachte, war das Benehmen der Mutter-Gottes-Jungfrauen auf der ersten Bank. Dort saß Franziska zwischen ihren beiden Freundinnen Berta Macqueron, einer niedlichen Brünette, die in Cloyes wie ein Fräulein erzogen worden, und Susanne Lengaigne, einer häßlichen, kecken Blondine, die ihre Eltern bei einer Näherin von Chateaudun in die Lehre geben wollten. Alle drei kicherten in ungeziemender Art miteinander. Neben ihnen breitete gerade vor dem Hauptaltar die rundwangige muntere Lise den Skandal ihrer vorgerückten Schwangerschaft aus.

Der Priester trat in die Sakristei. Dort überraschte er die Chorknaben Delphin und Ernst, die sich bei der Füllung der Meßgefäße die Zeit mit mutwillig lärmendem Spiele vertrieben. Der erstere, der Sohn Bécus, war ein zwölfjähriger strammer Bursche, der bereits die Schule verlassen hatte und bei der Feldarbeit half, während Ernst, der älteste Sohn Delhommes, ein schmächtiger blonder Junge im selben Alter, der stets einen kleinen Handspiegel in der Tasche trug, seine Stunden mit Nichtstun ausfüllte.

»Ihr Taugenichtse!« donnerte der Geistliche. »Meint ihr hier in einem Stalle zu sein?«

Dann wandte er sich an einen hochgewachsenen, magern jungen Menschen mit blassem Gesicht und spärlichen gelben Bartstoppeln, der im Begriff stand, Bücher auf einem Regal zu ordnen:

»Wirklich, Herr Lequeu, Sie könnten wohl etwas fester auftreten, wenn ich nicht da bin.«

Lequeu war der Schulmeister, ein Bauernsohn, der mit der genossenen Bildung einen Haß gegen die Klasse, der er entsprungen, eingesogen hatte. Er war roh und grausam mit seinen Schülern und verbarg im Verkehr mit dem Pfarrer und dem Schulzen fortschrittliche Gedanken hinter einer gebührlichen steifen Haltung. Er sang im Chor und verwaltete die Kirchenbibliothek; doch hatte er unter allen Umständen verweigert, die Glocken zu läuten, trotzdem dies Amt gemeiniglich dem Schullehrer oblag. Er erklärte solch eine Beschäftigung für unwürdig eines freien Mannes.

»Ich habe hier nicht das Amt eines Aufpassers übernommen«, warf er hin. »In der Schule würde ich wissen, sie zur Ruhe zu bringen.«

Während der Geistliche, ohne zu antworten, hastig Chorhemd und Stola anlegte, setzte er hinzu:

»Eine stille Messe, nicht wahr?«

»Zweifelsohne und schnell! Ich muß vor halb elf zum Hochamt in Bazoches sein.«

Herr Lequeu nahm ein altes Meßbuch aus dem Schrank und verließ die Sakristei, um es auf den Altar zu tragen.

»Vorwärts! Vorwärts!« trieb der Abbé die Knaben an.

Noch ganz atemlos und in Schweiß gebadet, begab er sich mit dem Kelch in der Hand in die Kirche und begann seine Messe zu lesen. Die beiden Knaben ministrierten, während sie sich versteckt mutwillige und scherzende Blicke zuwarfen.

Es war eine Kirche mit einem einzigen rundgewölbten, in Holz getäfelten Schiff, das infolge der hartnäckigen Weigerung des Gemeinderats, irgendwelche Ausbesserungen zu bewilligen, nach und nach verdarb. Das Wasser sickerte durch das schadhafte Schieferdach; große Flecke zeigten in der Holzbekleidung den Fortschritt der Verwitterung an; in dem mit einem Gitter verschlossenen Chor beschmutzte ein grünlicher Schimmel die Bilder der Apsis, und schnitt mitten durch das Gesicht des von Engeln umschwärmten Gott Vaters eine Linie.

Als der Priester das Gesicht seiner Gemeinde zuwandte, beruhigte sich der aufgeregte Mann, denn die Kirche hatte sich einigermaßen gefüllt. Der Schulze war erschienen, sein Schreiber, sowie zwei Gemeinderäte; Papa Fouan und Clou, der Hufschmied, der in den Musikmessen die Posaune blies. Lequeu saß würdevoll in der ersten Bank. Bécu, der zum Umfallen betrunken war, lehnte steif wie ein Pfahl im Hintergrund. Besonders auf der Frauenseite waren die Bänke besetzt; Fanny, Rose, die Große und noch andere kamen, so daß selbst die Mutter-Gottes-Jungfrauen, die sich jetzt mit musterhafter Andacht in ihre Meßbücher vertieften, zusammenrücken mußten. Dem Geistlichen schmeichelte besonders das Erscheinen von Herrn und Frau Karl nebst ihrer Enkelin Elodia; er in schwarzem Tuchrock, sie in grüner Seide, gingen sie durch ihre würdige Haltung der Gemeinde mit gutem Beispiel voran.

Der Abbé beeilte sich ... Er verschluckte sein Latein und überhastete die gewohnten Formeln. Die Predigt hielt er, ohne die Kanzel zu besteigen, auf einem Stuhle inmitten des Chores; er stotterte bisweilen, verlor den Faden, ohne ihn wiederzufinden. Die Beredsamkeit war seine schwächste Seite; er mußte die Worte suchen, machte hem! hem! und gelangte niemals bis ans Ende seiner Sätze. Dies war der Grund, warum ihn der Bischof seit fünfundzwanzig Jahren in der kleinen Pfarrei Bazoches-le-Doyen vergaß. Hurtig erledigte er sein Pensum; wie tolle Signale einer elektrischen Leitung klingelten die Glöckchen beim Erheben der Hostie; mit einem »Ite missa est« verabschiedete der Priester die andächtige Schar.

Kaum hatte sich die Kirche geleert, so erschien der Abbé Godard wieder mit dem dreieckigen Priesterhut in der Überstürzung schief auf dem Kopfe. Vor der Kirchentür hatten sich Celine, Flora, die Bécu und andere Weiber versammelt, die sich aufgebracht darüber aussprachen, daß der Pfarrer den Gottesdienst so im Galopp abgemacht. Wofür hielt er sie denn, daß er ihnen selbst an einem Festtage nicht mehr gab?

»Sagt, geistlicher Herr!« redete Celine ihn mit ihrer schneidenden Stimme an. »Was haben wir Ihnen getan, daß Sie uns wie ein Bündel Hadern expedieren?«

»Ja! die Meinen warten auf mich ... Ich kann nicht in Bazoches und in Rognes zu gleicher Zeit sein ... Haltet euch einen eigenen Pfarrer, wenn ihr ein Hochamt haben wollt.«

Das war ein alter Streit zwischen der Gemeinde Rognes und dem Abbé. Die Kirchkinder verlangten mehr Rücksicht; der Priester hielt sich an die knappe Erfüllung seiner Pflicht einer Gemeinde gegenüber, die sich nicht bloß weigerte, ihre Kirche ausbessern zu lassen, sondern die ihn außerdem durch fortwährende, unerhörte Ärgernisse entmutigte. Auf die Mutter-Gottes-Jungfrauen deutend, die zusammen dahinschritten, schloß er:

»Ist es nicht schmählich, die heilige Handlung mit einer Jugend vorzunehmen, die keinerlei Achtung vor den Geboten Gottes hat?«

»Ich hoffe, Sie sagen es nicht für meine Tochter?« fragte Celine gereizt.

»Auch nicht für die meine?« setzte Flora hinzu.

Jetzt wurde er böse.

»Ich sag' es für die, die es angeht ... Das ist ja ein Skandal, man schaue nur hin! Ich vermag nicht eine Prozession vorzunehmen, ohne daß wenigstens eins von den Mädchen guter Hoffnung ist ... Nein, ihr könnt den lieben Gott selbst um die Geduld bringen.«

Er ließ sie stehen. Die Bécu, die stumm geblieben, versuchte Frieden zu schaffen zwischen den beiden Müttern, die sich jetzt ihre Töchter gegenseitig an den Kopf warfen; doch sie tat soviel boshaft gemeinte Anspielungen in ihre Rede, daß der Streit nur noch ärger ward. Was die Berta angehe, nun, man werde ja sehen, wohin sie es bringe mit ihrem Sammetleibchen und ihrem Piano. Und die Susanne erst! Ein netter Gedanke, sie nach Chateaudun in die Lehre zu geben, damit sie dort verführt werde!

Abbé Godard wollte inzwischen über den Platz und begegnete plötzlich dem Ehepaar Karl. Sein breites Gesicht verzog sich zu einem liebenswürdigen Lächeln; der Dreimaster beschrieb einen tiefen Bogen. Herr Karl dankte mit Selbstwürde; seine Frau machte eine reizende Verbeugung. Doch der Pfarrer sollte anscheinend heute nicht zu Ende kommen mit den Begrüßungen; er hatte noch nicht den Fußweg erreicht, als ihn eine neue Begegnung aufhielt. Es war eine große, vielleicht dreißigjährige Frau, die ausschaute, als zähle sie fünfzig. Mit spärlichem Haupthaar, mit gelbem, verwelktem Gesicht, gebrochen durch ein Leben über harter Arbeit, kam sie taumelnd daher; eine schwere Last Reisig schwankte auf ihrem gebeugten Rücken.

»Palmyre,« rief er sie an, »warum seid Ihr am Aller-Heiligen-Tag nicht zur Messe gekommen? Das ist schlecht von Euch.«

Sie seufzte.

»Gewiß, hochwürdiger Herr; aber wie soll ich's anfangen? Es ist kalt bei uns zu Hause; mein Bruder friert, darum bin ich gegangen und hab dieses Reisig an den Hecken zusammengesucht.

»Ist die Große immer noch so hart mit euch?«

»O Gott! die stürbe, ehe sie uns ein Stück Brot oder ein Scheit Holz hinwürfe.«

Mit ihrer müden Sprache wiederholte sie ihre ganze Geschichte: wie die Großmutter sie verstoßen, wie sie mit ihrem Bruder in einem verlassenen Stall Zuflucht gesucht. Dieser arme Hilarion mit seinem lahmen Bein und seiner Hasenscharte auf der Lippe war ein harmloser Bursch, doch so geistesstumpf trotz seiner zwanzig Jahre, daß er nirgends Verdienst fand. So arbeitete sie denn für ihn; denn sie hatte zu dem armen Trottel die zärtliche Liebe einer Mutter.

Wie der Abbé der bedauernswerten Frau zuhörte, verklärte sich sein schweißiges Gesicht in großer Güte; seine zornblitzenden Augen widerstrahlten Nächstenliebe und Mitleid; den großen Mund verschönte ein schmerzensreich wehmütiger Zug. Dieser wütige Brummbär hatte ein Herz, das in leidenschaftlicher Liebe an den Unglücklichen hing; sein Geld, seine Wäsche und Kleider verteilte er unter sie, so daß es in der ganzen Beauce keinen Geistlichen gab, der eine armseligere Sutane getragen hätte, als er.

Er blickte sich um, ob ihn niemand beobachte, dann suchte er in seinen Taschen und reichte der Frau ein Hundertsousstück:

»Da, versteckt es, denn ich hab' nichts mehr für die anderen ... Aber ich will der Großen noch einmal ins Gewissen reden, da sie gar so grausam mit euch ist.«

Schnell machte er sich aus dem Staube. Als er pustend die Talwand am jenseitigen Ufer der Aigre emporeilte, holte ihn der nach Bazoches-le-Doyen heimkehrende Fleischer ein, nahm ihn auf seinen Wagen, und im schüttelnden Trabe ging's über die Ebene dahin; hüpfend verschwand der Dreimaster des Priesters in der Ferne.

Inzwischen hatten die Bauern den Kirchplatz verlassen; auch Fouan und Rose kehrten in ihre Wohnung zurück, wo Grosbois bereits ihrer harrte. Kurz vor zehn Uhr erschienen Delhomme und Jesus. Doch vergeblich warteten sie auf Buteau. Diesem Menschen war es unmöglich, einmal pünktlich zu erscheinen; er mochte unterwegs zum Frühstück eingekehrt sein und hatte sich dort verplaudert. Man wollte ohne ihn die Verlosung vornehmen; die Bange vor seinem jähzornigen Temperament jedoch bestimmte sie, die Sache bis nach dem Essen aufzuschieben. Grosbois nahm von den Fouans ein Stück Speck und ein Glas Wein an. Bald trank er die ganze Flasche aus, dann eine zweite, bis er sich in seinem gewöhnlichen betrunkenen Zustande befand.

Es schlug zwei Uhr, und immer sah man noch keinen Buteau. Jetzt hielt es Hyazinth nicht länger im Hause des Vaters aus. Die Luft war an diesem Feiertage mit Zecherei und Gelage geschwängert; Jesus machte sich aus dem Staube, schlenderte zu Macqueron hinüber und lugte hinein. Das genügte: die Tür der Schänke wurde aufgerissen, Bécu steckte den Kopf hervor und rief:

»Komm herein, ich zahl ein Glas!«

Eine brüderliche Anhänglichkeit zog den alten Soldaten, der nie nüchtern gewesen, zu dem trinklustigen Wildschützen hin. Wenn Bécu, mit seinem Feldhüterschild am Arm, seinem Amte nachging und hundertmal drauf und dran war, den Sohn Fouans auf der Tat zu ertappen, siegte sein Herz über sein Pflichtgefühl: er ging vorüber, als kenne und sehe er den Wilderer nicht; doch in der Kneipe, sobald er trunken war, behandelte er ihn als Bruder.

»Eine Partie Pikett, willst du? ... Blitz und Kanonen! Wenn die Beduinen uns stören, schneiden wir ihnen die Ohren ab!«

Beide nahmen an einem Tischchen Platz und begannen, Karten zu spielen. Sie lärmten und schrien dabei und gossen einen Liter Wein um den andern in ihre Kehlen.

Macqueron lehnte schläfrig in einem Winkel und drehte die Daumen. Seit der Wirt in der Spekulation mit den Weinen von Montigny ein Vermögen verdient hatte, war er träge geworden, jagte, fischte und spielte den Bürger. Dabei war er ungemein schmutzig und trug zerrissene Kleider, während seine Tochter Berta in seidenen Röcken einherging. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sie längst den Kramladen und die Schänke zugesperrt; denn er war ehrgeizig und trug sich mit dunklen Hoffnungen einstiger Größe. Doch sein Weib hing mit zäher Gier am Gewinn; und während er im Nichtstun die Stunden verträumte, fuhr sie fort, den Gästen die Gläser zu füllen. Er ließ es geschehen, um dem Nachbar Lengaigne, der den Tabaksladen hielt und ebenfalls Wein und Schnaps schänkte, einen Possen zu spielen; denn zwischen beiden bestand eine alte, nie erloschene Nebenbuhlerschaft, die bei jeder Gelegenheit wieder aufloderte.

Übrigens vergingen Wochen, während welcher die beiden Nachbarn in Frieden lebten. So trat auch heute Lengaigne bei ihm ein mit seinem Sohne Viktor, einem langen, linkischen Gesellen, der im nächsten Jahre zur Militärauslosung mußte. Lengaigne selbst, ein großgewachsener Mann, mit einem eulenartigen Köpfchen auf breiten, knochigen Schultern, war Bauer geblieben und bestellte sein Feld, während seine Frau den Tabak abwog und im Keller Wein zapfte.

Ihm verlieh ein gewisses Ansehen im Orte der Umstand, daß er die Bauern rasierte und ihnen das Haar schnitt, ein Gewerbe, das er von seiner Militärzeit mitgebracht und teils zu Hause inmitten der zechenden Gäste, teils in den Wohnungen seiner Kunden ausübte.

»Nachbar, rasieren wir den Bart heute?« rief er unter der Tür.

»Richtig! Ich hab' dir gesagt, daß du kommen sollst,« gab Macqueron zurück. »Na, meinetwegen jetzt gleich, wenn's dir recht ist.«

Er langte ein Rasierbecken von der Wand und holte laues Wasser und Seife, während der andere ein riesengroßes Messer aus der Tasche hervorzog, das er an dem Leder zu wetzen begann. Aber eine kläffende Stimme keifte aus dem Kramladen herüber:

»Halt! Ihr wollt mir doch nicht wieder eure Schmutzerei auf den Tischen machen, wo getrunken wird? Nichts da! ... Bei mir soll man nicht Haare in den Gläsern finden!«

Celine spielte auf die unsaubere Wirtschaft beim Nachbar an, wo die Kunden, wie sie zu sagen pflegte, mehr Haare als unverfälschten Wein vorgesetzt bekamen.

»Verkauf dein Salz und deinen Pfeffer und laß uns in Ruh',« antwortete ihr Mann, ärgerlich über diese eheliche Einmischung in Gegenwart seiner Gäste.

Jesus und Bécu lachten: »Da hat sie eins!« Sie verlangten einen neuen Liter, den die Frau wutschnaubend und wortlos brachte. Die beiden Kumpane spielten immerfort; heftig schleuderten sie die Karten auf den Tisch, als wenn sie sich Hiebe versetzten: »Atout, Atout und Atout!«

Lengaigne hatte bereits seinen Kunden eingeseift und hielt die Nasenspitze zwischen Mittelfinger und Daumen, als die Tür sich wieder öffnete und Lequeu, der Schulmeister eintrat.

»Guten Abend allerseits!« grüßte er.

Er lehnte sich an den warmen Ofen, während der junge Viktor dem Kartenspiel zuschaute.

»Was ich sagen wollte,« benutzte Macqueron jetzt einen Augenblick, wo Lengaigne ihm den Seifenschaum auf die Schulter strich, »Herr Hourdequin hat heute vor der Messe wieder von der Straße gesprochen... Es muß doch ein Entschluß gefaßt werden ...«

Es handelt sich um den geraden Weg von Rognes nach Chateuadun, der die Entfernung zwischen beiden Orten um fast zwei Meilen abkürzen sollte; denn bisher mußten die Fuhrwerke über Cloyes fahren. Natürlich hatte der Gutshof ein erhebliches Interesse an der Anlage dieser neuen Verbindung, und der Schulze rechnete, um den Gemeinderat für die Sache zu gewinnen, wesentlich auf die Unterstützung seines Schreibers. Diesem aber mußte eine rasche Lösung der Frage ebenfalls von Vorteil sein. Es war nämlich geplant, die oberhalb des Tales anzulegende Chaussee gleichzeitig mit dem durch den Aigregrund führenden Weg zu verbinden, um so auch Fahrzeugen den Zugang zur Kirche zu ermöglichen, die man jetzt nur auf schmalen Stegen erreichen konnte. Diese Vereinigung beider Landstraßen wäre am zweckdienlichsten zwischen den Schänken hindurch über die jetzige enge Gasse geführt worden. Es genügte, diesen Aufstieg zu erweitern, die Steigung zu regeln und zu mindern. Das Grundstück des Krämers aber war dann von einem breiten Wege begrenzt, was seinen Wert nicht unwesentlich erhöhen mußte.

»Da,« begann er wieder, »es scheint, die Regierung ist bereit, uns bei diesem Unternehmen zu unterstützen, und wartet nur darauf, daß wir uns endgültig für die Sache erklären ... Nicht wahr, du bist dabei?«

Lengaigne, der wohl Gemeinderat war, jedoch nicht einmal das kleinste Stück Garten neben seinem Hause besaß, versetzte:

»Ich? Mir ist es gleich! Was geht mich dein Weg an?«

Indem er jetzt die zweite Backe in Arbeit nahm, deren harte Haut er wie mit einem Reibeisen zu raspeln begann, zog er über die Farm los.

»Ja, die heutigen Bürger sind noch gefährlicher als die einstigen Grundherren. Bei der Teilung haben sie alles an sich gerafft, machen nur Gesetze zu ihrem eigenen Nutz und Frommen, und mästen sich mit dem Elend der armen Leute!«

Die anderen hörten verlegen diesem Ausfall zu, im Innern vergnügt, daß er den Mut besaß, dem hundertjährigen Haß des Bauers gegen die Großgrundbesitzer Worte zu leihen.

»Es trifft sich gut, daß wir unter uns sind,« brummte Macqueron und schielte mißtrauisch zum Schulmeister hinüber. »Ich bin für die Regierung ... So hat unser Abgeordneter, Herr von Chédeville, der, wie man sagte, ein Freund des Kaisers ist ...«

Wütend schwenkte Lengaigne sein Messer:

»Auch ein famoser Halunke! ... Kann ein solcher Erzmillionär, der mehr als tausend Hektar bei Orgères besitzt, euch nicht die Straße umsonst bauen, statt daß er dafür der Gemeinde Geld aus den Taschen ziehen will?... Ein Schuft das!«

Diese Kühnheit verblüffte den Krämer; er protestierte:

»Nein, nein, er ist sehr rechtschaffen und nicht stolz ... Ohne ihn hättest du nicht deinen Tabaksladen bekommen. Was würdest du sagen, wenn er es dir wieder wegnähme?«

Lengaigne ward sofort beruhigt. Schweigend begann er dem andern das Kinn zu rasieren. Er war zu weit gegangen, er kannte keine Grenze, wenn er in Zorn geriet; seine Frau hatte Recht, wenn sie meinte, seine Ansichten könnten ihm noch einmal einen bösen Streich spielen.

Jetzt aber brach zwischen Bécu und Jesus ein Streit aus. Der erstere war roh und rauflustig im Rausch, während sein Spielpartner, ein so gefährlicher Bursch er im nüchternen Zustand sein konnte, mit jedem Glase Wein weicher wurde und volltrunken die Menschenfreundlichkeit und Milde eines Apostels entwickelte. Hierzu kam der krasse Gegensatz ihrer politischen Meinungen: Der Wilderer war Republikaner, ein »Roter«, der sich rühmte, 1848 in Cloyes den Bürgerinnen »eingeheizt« zu haben. Der Feldhüter hingegen war eifriger Bonapartist und vergötterte den Kaiser, den er persönlich zu kennen vorgab:

»Ich schwöre es! Wir hatten zusammen einen Heringssalat gegessen; darnach sagte er mir: Nicht ein Wort darüber; ich bin der Kaiser! ... Ich hab ihn wohl erkannt nach seinem Bild auf den Hundertsousstücken.«

»Möglich! ... Eine Kanaille nichtsdestoweniger; er prügelte seine Frau und hat niemals ein Herz für seine Mutter gehabt.«

»Schweig, zum Donnerwetter! oder ich zerschlag' dir das Maul!«

Man mußte Bécu die Flasche entreißen, die er in der Faust schwang, während Jesus sanften Blickes dreinschaute und mit lächelnder Ergebung den Hieb erwartet hatte. Brüderlich setzten sie das Spiel fort. »Atout, Atout und Atout!«

Macqueron, dem die stumme Gleichgültigkeit des Schulmeisters verdächtig vorkam, entschloß sich, ihn geradezu um seine Meinung zu befragen:

»Herr Lequeu, was sagen sie?«

Lequeu, der seine langen, bleichen Hände an der Ofenröhre wärmte, lächelte überlegen wie jemand, dem seine Stellung Schweigen aufnötigt.

»Ich sage nichts; es geht mich nichts an.«

Jetzt steckte Macqueron das Gesicht in eine Waschschüssel, spülte pustend die Seife ab und sprach dabei:

»Also hört mich, ich will etwas tun ... Ja, hol' mich der Henker! wenn der neue Weg bewilligt wird, gebe ich mein Land dazu gratis her.«

Die Erklärung verblüffte die anderen. Selbst Bécu und Jesus hoben das Haupt. Es entstand eine Stille; alle blickten ihn an, als wenn er plötzlich den Verstand verloren habe. Aber hingerissen durch den Eindruck, den seine Worte gemacht, fuhr er, obwohl mit zitternden Händen, fort:

»Es wird einen halben Morgen ausmachen ... Ein Hundsfott, wer sein Wort bricht, es bleibt dabei!«

Krank vor Ärger über die Freigebigkeit des Nachbars, entfernte sich Lengaigne mit seinem Sohne Viktor und brummte dabei:

»Dem kostet der Grund und Boden nicht viel, er hat die Leute genug betrogen!«

Macqueron nahm trotz der Kälte seine Flinte von der Wand und ging schauen, ob er einen Hasen, den er gestern bei seinem Weingarten gesehen, erwischen könne. Es blieben nur Lequeu, der, ohne etwas zu verzehren, dort seine Sonntage verbrachte, und die beiden in ihre Karten vertieften Spieler. Stunden vergingen; andere Bauern kamen und entfernten sich wieder.

Gegen fünf Uhr riß eine ungeschlachte Hand die Tür auf: Buteau erschien mit Hans. Sobald er Jesus gewahr wurde, schrie er ihn an:

»Ich hätte hundert Sous gewettet ... Hast du alle Welt zum besten? Wir warten!«

Der Trunkenbold versetzte geifernd:

»Das ist stark! ... Ich wart' auf dich ... seit heut früh muß ich hier wie ein Angemalter sitzen ... Das ist stark!«

Buteau hatte sich in der Borderie aufgehalten, wo Jacqueline, die seit ihrem fünfzehnten Jahr seine Freundin war, ihn eingeladen, in Gesellschaft mit Hans einen Braten zu verzehren, da der Besitzer nach der Messe nach Cloyes frühstücken gegangen war. Die beiden hatten lange getafelt und sich nicht mehr verlassen.

Bécu rief laut, »er zahle die fünf Liter, doch es müsse nachher weiter gespielt werden.« Jesus erhob sich schwerfällig und folgte seinem Bruder, indem er mit einem gutmütigen Blick in seinen verschleierten Augen vor sich hinlachte.

»Wart auf mich,« bedeutete Buteau seinem Freund Hans, und komm mir in einer halben Stunde nach ... Du weißt, daß ich dich zum Mittagessen bei meinem Vater einlade!«

Nachdem die Brüder bei den Fouans eingetreten, waren alle versammelt. Der Alte stand, den Blick am Boden, in der Mitte des Raumes; die Mutter saß am Tische und strickte mechanisch. Grosbois ihr gegenüber hatte soviel gegessen und getrunken, daß er mit halb geschlossenen Augen in seinem Stuhle zusammengesunken war, während Delhomme und Fanny auf zwei niedrigen Schemeln am Fenster geduldig warteten. Was man in diesem verräucherten Räume mit seinen ärmlichen alten Möbeln und seinem verbrauchten Geräte wohl noch nie gesehen: auf dem Tische lagen ein weißer Bogen Papier und eine Feder, und ein Tintenfaß stand neben dem Hute des. Feldmessers, einem riesigen rotschimmernden Zylinder, den er seit zehn Jahren in Regen und Sonnenschein getragen. Es wurde Abend. Durch das schmale Fenster drang ein grau schimmerndes Dämmern herein, in welchem der Hut mit seiner flachen Krempe und seinem urnenförmigen Bauche noch mächtiger und umfangreicher erschien.

Doch Grosbois, der selbst in der Trunkenheit niemals die Geschäfte vergaß, ermunterte sich.

»Wir sind vollzählig ... Ich hab' euch schon gesagt, daß der Akt fertig ist ... Ich war gestern bei Herrn Baillehache; er hat ihn mir gezeigt ... Hinter jedem Namen ist ein leerer Raum gelassen für die Nummern, und die wollen wir jetzt auslosen; der Notar schreibt sie dazu, und Sonnabend könnt ihr bei ihm unterzeichnen.«

Er schüttelte den letzten Rest von Schläfrigkeit ab und hob die Stimme:

»Also ich will die Lose herrichten.«

Mit einer hastigen Bewegung traten die Kinder an den Tisch, ohne nur den Versuch zu machen, ihr Mißtrauen zu verbergen. Sie überwachten den Mann und spähten wie einem Taschenspieler jeder seiner Bewegungen nach, als könne er ihnen eines der drei Teile beiseiteschaffen.

Der Feldmesser zerschnitt jetzt mit seinen schweren, vom Alkohol zitternden Händen das Blatt Papier in drei gleiche Stücke, dann schrieb er auf jedes eine Zahl, 1, 2, 3, mit dick aufgetragenen großen Ziffern. Alle sahen über seine Schultern hinweg der Arbeit zu. Selbst die beiden Alten stellten mit zufriedenem Kopfnicken fest, daß kein Betrug möglich sei. Die Lose wurden gefaltet und in den Hut geworfen. Ein feierliches Schweigen zog durchs Gemach.

Nach zwei langen Minuten ließ sich Grosbois hören:

»Ihr müßt euch entscheiden ... Wer will anfangen?«

Niemand rührte sich. Es wurde finsterer; der Hut schien in dem Dunkel zu wachsen.

»Nach der Altersstufe; wollt ihr?« schlug der Feldmesser vor. »Du, Jesus als der Älteste beginnst.

Der Saufbold trat gutwillig hinzu; doch er verlor das Gleichgewicht und wäre fast zu Boden gefallen. Dann fuhr er mit der Faust in den Hut, als wolle er ein Felsstück hervorziehen. Er packte eines der Papiere und trat damit ans Fenster.

»Zwei!« lallte er und kicherte, als komme ihm die Nummer besonders komisch vor.

»Du, Fanny!« rief Grosbois.

Fanny steckte ihre Hand in den Zylinder; doch sie beeilte sich nicht, sie hervorzuziehen; sie suchte, griff die Lose und schien sie eines nach dem andern abzuwägen.

»Das Aussuchen ist verboten!« schrie Buteau wütend. Die Leidenschaft schnürte ihm die Kehle, er war blaß vor Aufregung, seit sein Bruder die Zwei gezogen.

»So? Warum denn?« gab sie zurück. »Man darf doch fühlen; ich schau ja nicht hin.«

»Mach' zu!« murmelte der Vater, »es ist ein Teil so groß wie der andere.«

Endlich entschied sie sich und lief mit ihrem Los zum Fenster.

»Eins!«

»Also Buteau hat drei,« hob Fouan wieder an. »Zieh' sie, mein Junge!«

In dem wachsenden Dunkel sah niemand, wie das Gesicht des jungen Mannes sich verzerrte. In maßlosem Zorne brach er los:

»Nie und nimmermehr!«

»Wieso?«

»Ah! Ihr meint, ich bin damit zufrieden? um keinen Preis! ... Das letzte und schlechteste Los habt ihr für mich aufgehoben? Das paßt mir nicht! Ich hab's euch oft genug gesagt, daß ich die Teilung anders haben will. Nein! Nein! Das war' ja zum Lachen! ... Meint ihr, ich durchschaue eure Mogeleien nicht? Hätte nicht der Jüngste zuerst losen müssen? Nein, ihr betrügt, ich ziehe nicht!«

Der Vater und die Mutter sahen ihm zu, wie er mit Händen und Füßen um sich hieb.

»Mein armes Kind, du verlierst den Verstand,« sagte Rose.

»Mama, ich weiß wohl, du hast mich nie geliebt. Du würdest mir die Haut abziehen, um sie meinem Bruder zu geben... Ihr alle wollt mein Verderben.«

Fouan unterbrach ihn rauh:

»Genug der Dummheiten!... Willst du losen?«

»Ich besteh' darauf, daß man noch einmal von vorne anfängt.«

Aber alle widersprachen. Jesus und Fanny hielten krampfhaft ihre Nummern, als fürchteten sie, man könne sie ihnen wieder entreißen. Delhomme erklärte, die Verlosung sei unparteiisch und gerecht vorgenommen, und Grosbois drohte verletzt, er verlasse das Haus, wenn man seine Ehrlichkeit in Frage stelle.

»Dann verlang' ich, daß mir der Vater zu meinem Anteil tausend Franken dreingibt von dem Gelde, das er versteckt hat.«

Der Alte war einen Augenblick wie betäubt; er stotterte. Dann richtete er sich auf und trat mit furchtbarer Drohgebärde dicht vor seinen Sohn hin:

»Was sagst du, Schuft? Soll man mich ermorden? Und wenn man das ganze Haus niederreißt, wird nicht ein Heller gefunden... Nimm das Los, zum Kreuz Donnerwetter! oder du bekommst nichts!«

Buteau wich keinen Schritt vor der geballten Faust des alten Mannes zurück.

»Nein!« sagte er hartnäckig.

Alle schwiegen verlegen. Der enorme Hut mit dem einen Lose, an das niemand rühren wollte, stand wie ein Gegenstand der Verlegenheit inmitten des Tisches.

Um der Sache ein Ende zu machen, riet der Feldmesser dem Alten, er solle selbst die letzte Nummer ziehen. Fouan tat es mit ernster Miene; dann ging er ans Fenster, um die Ziffer zu lesen, als sei sie ihm nicht schon bekannt gewesen.

»Drei! ... Du hast den dritten Anteil, verstehst du? ... Die Urkunde ist fertig. Herr Baillehache wird sicher nichts mehr daran ändern, denn was abgemacht ist, ist abgemacht ... Du schläfst hier, ich gebe dir also diese Nacht zur Überlegung ... So, wir sind fertig und damit basta!«

Das Dunkel verbarg Buteaus Gesicht; er schwieg, während die anderen mit lauter Rede ihre Zustimmung ausdrückten. Die Mutter aber entschloß sich endlich, ein Licht anzuzünden, um den Tisch zu decken.

In diesem Augenblick erschien Hans vor dem Hause, seinen Kameraden aufzusuchen. Im Schatten des Weges bemerkte er zwei aneinandergeschmiegte weibliche Gestalten, die sich bemühten, durchs Fenster zu erspähen, was bei den Fouans vorgehe. Die ersten Schneeflocken flatterten von dem schiefergrauen Himmel herab.

»O, Herr Hans!« flüsterte eine weiche Stimme. »Sie haben uns erschreckt!«

Er erkannte Franziska, die das hübsche Oval ihres frischen Gesichtes mit einem großen Tuch umhüllt hatte. Sie hielt einen Arm um die Taille ihrer Schwester Lise geschlungen und neigte das Haupt an deren Schulter. Die Geschwister liebten sich; man pflegte ihnen stets in dieser zärtlichen Gemeinschaft zu begegnen. Lise war größer als ihre Schwester, mit angenehmen, wenn auch weniger zarten Zügen; sie trug ihr Unglück mit still lächelnder Ergebung.

»Ihr spioniert?« fragte er munter.

»Natürlich,« versetzte Lise frei, »es interessiert mich zu erfahren, was sie drinnen brauen... Wollen sehen, ob es den Buteau zur Entscheidung bringt.«

»Wenn er das Land hat, der schlechte Kerl,« meinte Franziska, »ist er imstande, sich eine reiche Frau zu suchen.«

Doch Hans gab ihnen gute Hoffnung: die Verteilung müsse bereits beendet sein; das übrige werde sich finden. Er erzählte ihnen, daß er bei den Alten zum Essen geladen sei; darauf rief ihm Franziska zum Abschied zu:

»Nun, dann sehen wir uns ja nachher; wir kommen zur Abendunterhaltung.

Er schaute ihnen nach, wie sie sich im Dunkel verloren. Der Schnee fiel jetzt dichter; ein flockiger Flaum verbrämte die Kleider der eng nebeneinander dahinwandelnden Mädchen.


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