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Zweites Kapitel.

Mutter Rose, deren Beine nicht mehr vorwärts wollten, und die außerdem wieder ihre Ohnmachtsanfälle gehabt, ließ in diesem Sommer eines Tages ihre Großnichte Palmyre kommen, damit diese die Wohnung auf wasche. Fouan war seiner Gewohnheit gemäß auf die Felder hinausgegangen, um nach dem Stande des Getreides zu schauen; während das Mädchen, im Wasser hockend, den Fußboden scheuerte, stand die Alte neben ihr, folgte ihr Schritt um Schritt, und die beiden verarbeiteten in endlosem Geplauder dieselben Geschichten.

Zuerst war die Rede von dem Unglück Palmyres, die jetzt von ihrem Bruder geschlagen wurde. Ja, dieser unzurechnungsfähige Krüppel war böse geworden, und da er kein Bewußtsein hatte von der Stärke seiner Faust, die imstande gewesen wäre, Steine zu zermalmen, besorgte die Ärmste jedesmal, wenn er Hand an sie legte, er könne sie umbringen. Aber sie gab nicht zu, daß andere sich hineinmischten; sie schickte die Leute fort, die den Narren beruhigen wollten; ihrer übergroßen Zärtlichkeit allein gelang es, ihn zu besänftigen. In der letzten Woche hatte der Trottel so getobt, daß alle Nachbarn herzustürzten; noch heute sprach das ganze Dorf davon, wie jämmerlich er sie mißhandelt.

»Sag', mein Kind,« fragte Rose sie aus, »er hat dich wohl mit Gewalt mißbrauchen wollen?«

Palmyre hielt einen Augenblick in ihrer Arbeit inne und stieß, ohne geradeaus zu antworten, zornig hervor:

»Geht's die anderen etwas an? Haben sie nötig, bei uns zu spionieren? ... Wir bestehlen niemanden!«

»Aber wenn es wahr ist, was die Leute erzählen, daß ihr beisammen schlaft: das ist eine Sünde.«

Einen Augenblick verstummte das bedauernswerte Geschöpf; ihr verhärmtes, müdes Gesicht stierte ins Leere. Dann bückte sie sich wieder auf ihre Arbeit hinab und stammelte, während der magere Arm mit dem Scheuerlappen hin und her fuhr:

»Eine Sünde, wer weiß ... Der Pfarrer hat mich holen lassen und hat mir gesagt, daß wir in die Hölle kämen. 0, der liebe, arme Junge gewiß nicht ... ›Ein Unschuldiger, geistlicher Herr,‹ hab' ich geantwortet, ›ein Kind, das nicht mehr Bewußtsein besitzt als ein Kleines von drei Jahren, und das verhungert, wenn ich es nicht füttere? Ein Unglücklicher, der keine Freude am Leben hat ... Ich? mag sein! Das ist meine Sache. Wenn er mich eines Tages in einem Anfalle von Tobsucht, wie er sie jetzt zuweilen bekommt, erwürgt, dann werd' ich sehen, ob der liebe Gott mir wird verzeihen wollen.«

Rose kannte seit langer Zeit die Wahrheit; sie sah, daß sie keine neuen Einzelheiten erfahren werde, darum schloß sie:

»Natürlich, wenn etwas 'mal so ist ... Immerhin, es ist kein Leben, das du führst, mein Kind.«

Sie begann zu klagen, jeder trage sein Kreuz. So auch sie und ihr Alter: was mußten sie alles ausstehen, seit sie das gute Herz gehabt, den Kindern ihre Habe abzutreten! Kaum war sie auf diesem Felde, so hörte sie nicht mehr auf zu jammern.

»Mein Gott! Rücksichten! Man verzichtet schließlich darauf; wenn die Kinder herzlos sind, sind sie's eben ... Wenn sie wenigstens die Rente zahlten.«

Sie erklärte der Großnichte zum hundertstenmal, daß nur Delhomme allein jedes Vierteljahr seine fünfzig Franken bringe. Auf die Minute! Buteau war immer im Rückstand und versuchte stets, ihnen etwas abzudrücken. So war diesmal der Termin schon zehn Tage verstrichen, und er ließ sich nicht sehen; er hatte versprochen, heute abend zu zahlen. Bei Jesus war die Sache noch einfacher: er gab nichts, man sah nicht einmal die Farbe von seinem Gelde. Heute früh hatte er sogar die Unverschämtheit gehabt, Dreckbatzen zu schicken, um fünf Franken zu borgen, damit sie ihrem Vater, der krank sei, eine Fleischbrühe machen könne. Man kenne diese Krankheit, ein gewisses Loch unter der Nase! Na, sie habe die Landstreicherin schön empfangen; habe ihr aufgetragen, dem Vater zu sagen, wenn er am Abend nicht die fünfzig Franken bringe, werde man ihm den Gerichtsvollzieher schicken.

»Nur, um ihm angst zu machen, denn der arme Junge ist ja im Grunde nicht schlecht«, fügte Rose hinzu, schwach werdend bei der Erinnerung an ihr Lieblingskind.

Abends kam Fouan heim und setzte sich in der Küche zu Tisch. Während er stumm auf seinen Teller gebückt aß, fing sie von neuem an zu jammern. War es möglich, daß sie von ihren sechshundert Franken nichts bekamen als die zweihundert von Delhomme, vielleicht hundert von Buteau, keinen Sou von den anderen: alles in allem gerade die Hälfte der Rente! Und die Taugenichtse hatten vor dem Notar unterzeichnet; die Sache stand schwarz auf weiß, war bei Gericht niedergelegt! Die kehren sich viel ans Gericht!

Palmyre, die in einem dunklen Winkel ein letztes Stück der Fliesen wusch, antwortete auf all dieses Gejammer gleich dem Kehrreim eines Klageliedes mit ihrem eintönigen: »Ja, gewiß, jeder hat seine Last zu schleppen, bis er hin wird!«

Rose entschloß sich endlich, Licht zu machen. Da kam die Große mit ihrem Strickstrumpf. An jenen langen Sommertagen gab es keine Abendunterhaltung; damit aber die geizige Person nicht genötigt sei, auch nur den kleinsten Lichtstumpf zu verbrennen, pflegte sie bei ihrem Bruder eine Stunde zuzubringen, bevor sie sich im Finstern zur Ruhe begab. Sie nahm Platz. Palmyre aber, die noch die Töpfe und Schüsseln zu scheuern hatte, verstummte erschreckt durch die Gegenwart ihrer Großmutter.

»Wenn du warmes Wasser brauchst, mein Kind,« rief ihr Rose zu, »brich einen Reisigbund an.«

Sie schwieg einen Augenblick und versuchte, von etwas anderem zu sprechen; denn die Fouans vermieden im Beisein der Großen zu klagen, weil sie wußten, daß es ihr Freude mache. Doch Rose vermochte nicht sich zu beherrschen.

»Geh,« setzte sie hinzu, »nimm nur gleich den ganzen Bund, wenn man das einen Bund nennen kann. Totes Zweigwerk, allerhand Abfall! ... Wahrhaftig, Fanny muß den Mist in ihrem Holzstall zusammenkehren, um uns den Quark zu senden.«

Fouan, der vor seinem Glase saß, fiel ihr ins Wort:

»Halt's Maul mit deinen Bündeln! Es ist eine Schweinerei, wir wissen's ja ... Was soll erst ich zu diesem erbärmlichen Krätzer sagen, den Delhomme mir für Wein schickt?«

Er hob sein Glas und ließ das Licht durchscheinen.

»Was er zum Teufel nur da hineingegeben hat? Das Spülwasser der Fässer ist noch mehr wert ... Und der Mann ist rechtschaffen! Die beiden anderen könnten uns vor Durst krepieren sehen und würden uns nicht einmal eine Flasche Wasser vom Fluß heraufholen.«

Endlich entschloß er sich und stürzte mit einem Zuge sein Glas hinunter. Doch er spie heftig aus.

»Verwünschtes Gift, das! Sie haben's vielleicht darauf abgesehen, daß ich sogleich ins Gras beißen soll.«

Jetzt ließen Fouan und Rose ohne Rückhalt ihrem Groll die Zügel schießen. Ihre verbitterten Herzen machten sich Luft; bald der eine, bald die andere, ergingen sie sich abwechselnd in herben Anklagen gegen ihre Kinder. Zunächst die zehn Liter Milch für die Woche: erstens bekamen sie nicht sechs, und dann, wenn die Milch auch nicht der Herr Pfarrer getauft hatte, gut christlich war sie, das stand fest. Dann die Eier; wahrlich, die mußten extra für sie von den Hühnern so klein bestellt werden, denn auf dem ganzen Markte von Cloyes gab es solche Eier nicht; eine Seltenheit zum Anschauen, und dabei mit solchem Mißvergnügen hergegeben, daß sie unterwegs Zeit hatten zu verderben. Und die Käse, die Käse! Rose bekam Leibschmerzen, sooft sie davon aß. Sie eilte, einen aus der Vorratskammer zu holen; Palmyre sollte durchaus davon kosten. »Ist das nicht ein Fraß? Schreit das nicht um Rache? Sie müssen Mehl hineintun, oder gar vielleicht Gips.« Aber Fouan unterbrach seine Frau mit der Klage, daß er jetzt nur noch für einen Sou Tabak täglich rauchen könne. Sofort fiel sie ein und sprach von ihrem schwarzen Kaffee, den sie hatte aufgeben müssen. Dann fingen beide an, von ihrem kranken, alten Hunde zu erzählen, den sie am vorigen Tage hatten ertränken müssen, weil sie sein Futter nicht mehr erschwingen konnten.

»Ich hab' ihnen alles gegeben,« schrie der Alte auf, »und die Elenden lassen mich Not leiden! ... Ihr werdet schon sehen, der Schmerz, so darben zu müssen, bringt uns um.«

Sie schwiegen endlich. Die Große aber, die nicht den Mund aufgetan, blickte einen nach dem anderen mit ihren runden, bösen Vogelaugen an und rief:

»Recht geschieht euch!«

Im selben Augenblick trat Buteau ein. Palmyre, die ihre Arbeit vollendet hatte, benutzte die Gelegenheit, zur Tür hinauszuschlüpfen, nachdem ihr Rose fünfzehn Sous gezahlt. Buteau blieb in der Mitte des Zimmers stehen unbeweglich und stumm; denn der Bauer liebt nicht, das erste Wort zu reden. Zwei Minuten verstrichen. Der Vater ward genötigt, das Gespräch zu eröffnen.

»Also endlich kommst du, na, das ist ein Glück ... Seit zehn Tagen läßt du uns warten.«

Der Sohn schlenkerte hin und her, endlich antwortete er:

»Wenn man nicht kann, kann man nicht. Jeder weiß, wo ihn der Schuh drückt.«

»Möglich, doch wenn es so fortgeht, können wir schließlich verhungern ... Du hast unterschrieben; es ist deine Pflicht, pünktlich auf Tag und Stunde zu zahlen.«

Als Buteau seinen Vater böse werden sah, lachte er auf:

»Weißt du, wenn ich zu spät komme, geh ich wieder ... Ich finde es schon sehr anständig, wenn man überhaupt zahlt; es gibt Leute, die es nicht tun.«

Diese Anspielung auf Jesus beunruhigte Rose. Sie wagte zwar keinen Einspruch, doch erlaubte sie sich, ihren Mann am Wams zu zupfen. Er war im Begriff gewesen aufzufahren, besann sich aber.

»Es ist gut, gib deine fünfzig Franken her, ich habe die Quittung bereit.«

Langsam suchte Buteau in seinen Taschen, indem er die Große, deren Gegenwart ihm ungelegen schien, mit einem Seitenblick streifte. Sie ließ den Strickstrumpf ruhen, schaute in ihrer durchbohrenden Art zu ihm hinüber, als verlange es sie, das Geld zu sehen, das er hervorziehen werde. Auch die Eltern, die hereingetreten waren, ließen keine seiner Bewegungen aus den Augen. Unter diesen drei Paar starr auf ihn gerichteten Augen langte er ein erstes Fünffrankenstück aus der Tasche.

»Eins«, sagte er, es auf den Tisch legend.

In immer größeren Pausen folgten die anderen, die er mit einer sichtlich schwächer werdenden Stimme zu zählen fortfuhr. Nach dem fünften Stück hielt er inne, suchte sehr lange, um noch eines zu finden; dann rief er mit einer kräftig und laut werdenden Sprache:

»Und sechs!«

Das Ehepaar Fouan wartete noch immer; doch nichts folgte.

»Wie? Sechs?« ließ sich endlich der Alte hören. »Es sollen zehn sein ... Hältst du uns zum besten? Das letzte Quartal waren es vierzig Franken und jetzt dreißig?«

Sofort verfiel Buteau in einen kläglichen Ton. Es gehe ihm herzlich schlecht, beteuerte er. Der Preis des Getreides sei noch weiter gefallen, der Hafer gedeihe nicht. Zu alledem sei sein Pferd krank; er habe bereits zweimal zu Herrn Patoir schicken müssen. Was solle werden? Er habe die größte Mühe, auszukommen.

»Das geht mich nichts an!« schrie Fouan außer sich. »Gib fünfzig Franken her, oder ich verklage dich.«

Aber der Alte beruhigte sich bei dem Gedanken, er könne die dreißig Franken als Abschlagszahlung annehmen.

»Gut, so gibst du mir die fehlenden zwanzig Franken in der nächsten Woche ... Ich werde es auf dem Papier vermerken.«

Doch schon hatte Buteau mit flinker Hand das Geld wieder ergriffen.

»Nein, nein, das gilt nicht! ... Ich will quitt sein. Lassen Sie die Bescheinigung, wie sie ist, oder ich geh' ... Ah, weiter fehlte nichts! Ich schröpfe mich, um Sie zu bezahlen und sollte nachher noch schuldig sein? Das geht nicht!« Es entstand ein ernster Wortstreit. Vater und Sohn wiederholten unermüdlich dieselben Reden; der eine verzweifelt, daß er nicht das Geld sofort eingesteckt; der andere, das Silber in der Faust haltend, entschlossen, es nicht ohne Quittung herauszugeben. Ein zweitesmal mußte die Alte ihren Gatten am Rock ziehen, und wieder gab er nach.

»Da, verwünschter Dieb, da ist das Papier! Ich sollte es dir mit einer Ohrfeige auf dein Lügenmaul heften ... Gib das Geld her!«

Von Hand zu Hand fand der Austausch statt. Buteau aber war wie umgewechselt, nachdem es vorüber; er empfahl sich mit der größten Liebenswürdigkeit, indem er allen ein frohes Lebewohl zurief. Fouan sank erschöpft auf einen Stuhl. Die Große aber ergriff von neuem ihre Strickerei, zuckte die Achseln und schleuderte ihm die beiden Worte ins Gesicht:

»Du Viechskerl!«

Es entstand eine stumme Pause. Da öffnete sich wiederum die Tür, und Jesus trat ein. Durch Dreckbatzen unterrichtet, daß sein Bruder heute zahle, hatte er sein Fortgehen abgelauert, um seinerseits zu erscheinen. Sein Gesicht war mild; er war nüchtern, und nur der Rausch der letzten Nacht lag wie ein Nebel über seinen Zügen. Schon von der Schwelle schoß sein Blick geradewegs zu den sechs Silberstücken, die Fouan die Unklugheit gehabt, wieder auf den Tisch zu legen.

»Hyacinth«, rief Rose in der Freude, ihn wiederzusehen.

»Ja, ich bin's. Schönen guten Tag.«

Er trat näher heran und ließ keinen Augenblick die weißen Münzen aus dem Auge, die wie Monde im Scheine des Talglichtes leuchteten. Der Vater wandte sich um, erhaschte den Blick des Strolches und gewahrte das vergessene Geld. Rasch stellte er einen Teller darauf, um es zu verstecken. Zu spät. Ich Viechskerl! dachte er bei sich. Die Große hat recht.

Dann sagte er laut mit rauher Stimme:

»Du tust wohl, daß du zahlen kommst, denn so wahr uns das Licht da bescheint, ich wollte dir morgen den Gerichtsvollzieher schicken.«

»Ja, Dreckbatzen hat mir's gesagt,« seufzte Jesus demütig, »und darum komm' ich her; denn, nicht wahr, du kannst doch nicht wollen, daß ich mir etwas antun soll? Bezahlen, guter Gott, womit zahlen, wenn man nicht einmal genug Brot hat, um seinen Hunger zu stillen ... Wir haben alles verkauft; ich schneide nicht auf, komme schauen, ob ich nicht die Wahrheit sage. Kein Bettuch mehr, keine Möbel, nichts ... Und zu alledem bin ich krank.«

Ein spöttelndes Murmeln begrüßte die letzten Worte; ohne darauf achtzugeben, fuhr er fort:

»Vielleicht sieht man mir nicht viel an; aber es ist etwas nicht in Ordnung in meinem Leib: ich huste, ich fühle, es geht mit mir zu Ende ... Wenn man wenigstens eine warme Suppe hat, geht's noch an; kann man sich die aber nicht verschaffen, muß man abfahren; hab' ich nicht recht?... Sicher würde ich zahlen, wenn ich Geld hätte. Sage mir, wo ich welches finde, damit ich's hole, dir zahle, was ich schuldig bin und mir eine Kraftbrühe mache. Seit vierzehn Tagen hab' ich keinen Bissen Fleisch im Munde gehabt, mein Ehrenwort.«

Rose wurde weich, während Fouan noch böser wurde:

»Du hast alles versoffen, du Tagedieb! So schöne Äcker, die seit Jahren und Jahren in der Familie waren; du hast sie verpfändet! Ich weiß, seit Monaten lebst du in Saus und Braus und die Landstreicherin, deine Tochter, auch; wenn's jetzt zu Ende ist, krepiere in Teufels Namen!«

Jesus zögerte nicht länger, er fing an zu weinen.

»So kann kein Vater reden, nein, das ist nicht möglich, das wäre gegen die Natur ... Ich hab' ein weiches Herz, und das ist der Grund von meinem Unglück. Wenn man kein Geld hat, mag sein. Doch wenn man Geld hat, seinem Sohne ein Almosen zu verweigern? ... Ich werd' zu fremden Leuten betteln gehen müssen; die Schande, mein Gott, die Schande!«

Zwischen jedem Satze, der sich durch Tränen hervorwürgte, warf er auf den Teller am Tische einen Seitenblick, der den Alten erzittern ließ. Darauf tat er als überwältige ihn sein Schmerz; er verlor die Sprache und stieß nur noch ein gurgelndes Schreien hervor wie jemand, den man erwürgt.

Rose war vollständig gewonnen durch dieses Weinen; flehend streckte sie ihre gefalteten Hände zu Fouan hinüber.

»Ich bitt' dich, Mann!«

Doch dieser wehrte sich noch und fiel ihr ins Wort:

»Nein, nein, er hält uns zum besten ... Willst du zu heulen auf hören, Mensch, die Nachbarn kommen; du machst uns krank mit dem Geflenn.«

Aber das verdoppelte nur das Gegröhle des Trunkenboldes.

»Ich hab' euch nicht erzählt ... morgen kommt der Gerichtsvollzieher zu mir. Ja, wegen eines Wechsels, den ich dem Lambourdieu unterschrieben habe ... Ach, ich bin ein elender Kerl, ich entehre euch, ich muß ein Ende machen. Ich bin ein Lump, ein Lump, für mich gibt's nur noch eins: ins Wasser, wo es am tiefsten ist ... Wenn ich wenigstens dreißig Franken hätte.«

Auch Fouans Widerstand war besiegt. Er bebte, als er die Summe nennen hörte; er nahm den Teller fort: was half's, wenn der schlechte Kerl das Geld durch den Weißen Ton hindurch sah und zählte.

»Du willst alles! Ist das recht und billig, mein Gott? Da, wir können's nicht mehr mit anhören, nimm die Hälfte, geh zum Kuckuck und laß dich nicht wieder sehen.«

Jesus war plötzlich geheilt. Er schien nachzudenken.

»Fünfzehn Franken,« sagte er dann, »nein, das reicht nicht, das kann mich nicht herausreißen ... Sagen wir zwanzig, und ich geb euch Ruh'.«

Kaum hatte er die zwanzig Franken in der Tasche, so belustigte er alle mit der Erzählung eines Schabernacks, den er dem Bécu gespielt: Er hatte in dem verbotenen Teil der Aigre falsche Grundangelschnüre gelegt; Bécu wollte sie herausziehen, sie gaben nicht nach, und der Feldhüter plumpste ins Wasser. Jesus ließ sich noch ein Glas von dem schlechten Weine Delhommes einschenken, erklärte, der Schwager sei ein Spitzbube, daß er es wage, seinem Vater solch ein Gesöff zu schicken, und ging dann.

»Er ist doch ein lieber Junge«, meinte Rose, nachdem sich die Tür geschlossen.

Die Große erhob sich, legte ihre Handarbeit zusammen und blickte ihre Schwägerin und darauf ihren Bruder scharf an. Als sie sich zur Tür wandte, machte sie ihrem langverhaltenen Ingrimm mit den Worten Luft:

»Nicht einen Sou, ihr Narrenvolk! Nicht einen Sou bekommt ihr je von mir!

Auf der Straße begegnete sie Buteau, der von Macqueron kam. Er hatte eben Jesus dort eintreten sehen, der in bester Laune gewesen und in dessen Taschen Silber geklimpert.

»Ja, ja,« bestätigte die Große Buteaus Verdacht, »diese Kanaille hat dein Geld fortgetragen. Wird sich der Schuft damit ein Gutes tun und sich über dich lustig machen!«

Buteau geriet in eine unmäßige Wut. Mit beiden Fäusten donnerte er an die Tür seines Vaters; er hätte sie eingeschlagen, wenn man ihm nicht geöffnet hätte. Die Alten waren schon im Begriff, sich zur Ruhe zu begeben. Rose hatte ihr Kleid ausgezogen und ihre Haube abgenommen; im Unterrock stand sie da, und ihr graues Haar fiel über die Schläfe herab. Der Sohn stürzte ins Zimmer.

»Mein Geld, mein Geld!« brüllte er.

Die Eltern wichen erschrocken zurück, sie verstanden nicht gleich, Er tobte:

»Glaubt ihr, ich schinde mich für meinen sauberen Bruder? Er tut nichts, und ich soll ihm mein Geld in den Hals stecken? Nein! Nein!«

Fouan wollte leugnen; doch Buteau schnitt ihm heftig das Wort ab.

»Jetzt lügst du gar! ... Ich sag' dir, er hat mein Geld. Ich hab' es gefühlt, hab' es in der Tasche dieses Erzlumpen klingen hören! Mein Geld, das ich im Schweiß verdient, mein Geld, das er jetzt versäuft! Wenn's nicht wahr ist, zeige mir's doch! ... Zeige es her, ich kenne es genau! Zeige mir mein Geld!«

Zwanzigmal wiederholte er diese Worte, an denen sein Jähzorn immer hitziger aufflammte. Er schlug mit den Fäusten auf den Tisch, verlangte das Geld zu sehen, gleich auf der Stelle; er werde es nicht nehmen, er wolle es nur sehen. Als die beiden Alten stotterten und nicht wußten, was ihm entgegnen, kannte seine Wut keine Grenzen mehr.

»Er hat mein Geld, das ist klar! ... Aber soll mich der Teufel granweis holen, wenn ich euch noch einen Sou bringe! Für euch hätte ich mir's noch abgedarbt; aber für diesen Galgenstrick möchte ich mir lieber die Arme abschneiden!«

Doch auch der Alte wurde schließlich böse.

»Genug! Gehen dich unsere Angelegenheiten etwas an? Mir gehört dein Geld, ich kann damit machen, was mir beliebt.«

»Was faselst du?« versetzte Buteau und trat mit geballten Fäusten vor den alten Mann hin. Ich soll dir wohl alles sagen ... Gut, ich finde es gemein, jawohl, gemein, den Kindern das Geld aus der Tasche zu ziehen, während du sicher genug zum Leben hast. Du magst hundertmal nein sagen! Dein Geld ist hier, ich weiß es.«

Der Greis wußte sich nicht zu helfen, schlotternd stand er da, ohnmächtig, sich des Unholds zu erwehren.

»Nein, nein,« stammelte er, »ich hab' keinen Liard ... Laß uns in Ruh!«

»Und wenn ich suchte, wenn ich suchte!« gab Buteau zurück; und schon riß er die Schubladen auf und klopfte an die Wände.

Rose packte der entsetzliche Gedanke, Vater und Sohn möchten handgemein werden; sie klammerte sich an den Burschen und rief:

»Unglücklicher, willst du uns denn umbringen?«

Er riß sich los, ergriff die Mutter an beiden Armen, rüttelte sie, daß der graue, welke Kopf hin und her taumelte, und schrie ihr ins Gesicht:

»Du bist an allem schuld! Du hast Hyacinth das Geld gegeben ... Mich hast du nie geliebt, alte Vettel!«

Damit schleuderte er sie rücklings an die Wand. Mit einem dumpfen Schrei brach sie zusammen.

Noch einen Blick warf er auf die wie ein Paket Lumpen am Boden liegende Greisin, dann stürzte er mit wahnsinnig wilden Augen aus dem Zimmer und warf dröhnend die Tür zu, indem er fluchte: »Donnerwetter! Donnerwetter!«

Am nächsten Tage war Rose nicht imstande, das Bett zu verlassen. Man rief den Doktor Finet; dreimal kam er, ohne ihr helfen zu können. Als er sie bei seinem dritten Besuch im Sterben traf, nahm er Fouan beiseite und bat ihn zu gestatten, daß er schon heute den Totenschein und die Erlaubnis zur Beerdigung schreiben und zurücklassen dürfe. Das erspare dem Arzte einen vierten Weg; er pflegte bei großen Entfernungen sich in dieser Weise zu helfen. Doch die Alte lebte noch sechsunddreißig Stunden.

Doktor Finet antwortete, wenn man ihn fragte, Altersschwäche und Erschöpfung hätten die alte Frau hingerafft; wenn der Körper keine Kraft mehr besitze, müsse man eben heimgehen. Doch in Rognes, wo die Sache ruchbar geworden, sagten alle, sie sei an Bluterstarrung gestorben.

Sehr viele Leute folgten dem Leichenzuge, Buteau und die anderen Familienglieder benahmen sich sehr würdig dabei.

Nachdem man das Loch auf dem Friedhof zugeworfen, kehrte der alte Fouan allein in das Haus heim, in dem sie fünfzig Jahre lang zusammen gelebt und gelitten.

Stehend verzehrte er ein Stück Käse und Brot; dann irrte er durch das Gebäude, durch den öden Garten und suchte, womit er seinen Kummer töten könne ... Er wußte nichts anzufangen und ging schließlich zur Anhöhe hinauf zu seinen alten Feldern, um zu schauen, ob das Getreide wachse.


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