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Dritter Teil.

Erstes Kapitel.

Endlich hielt also Buteau seinen Anteil fest, diesen Grundbesitz, nach dem ihn so heftig verlangt, und dessen Annahme er länger als zwei Jahre mit einer aus Habsucht,. Groll und Eigensinn gemischten Starrköpfigkeit verweigert hatte. Er selbst hätte heute nicht zu sagen gewußt, warum er sich so auf seiner Weigerung versteift. Im Grunde hatte ihn keinen Augenblick die Begier verlassen, die Urkunde zu unterzeichnen, während die Angst übervorteilt zu werden ihn unablässig gemartert und er sich nicht hatte trösten können über den Schmerz, nicht die ganze Hinterlassenschaft, diese heute zerstückten neunzehn Morgen, sein nennen zu können. Nachdem er angenommen, war seine große Leidenschaft befriedigt, der Besitzhunger gestillt. Seine Genugtuung und Freude aber ward dadurch erhöht, daß der Bruder und die Schwester den kürzeren gezogen, daß sein Anteil jetzt, wo die neue Straße daran vorüberführte, mehr galt als die ihren. Sobald er den beiden begegnete, bespöttelte er sie und sagte mit schlauem Augenblinzeln:

»Hab' euch doch drangekriegt!«

Das war nicht alles. Auch die so lange hinausgeschobene Heirat wurde ein Triumph: die beiden Hektare, die ihm Lise brachte, und die an seinen Grund stießen. Denn der Gedanke an die notwendige Teilung zwischen den beiden Schwestern kam ihm nicht, oder vielmehr verlegte er sie in eine so ferne Zeit, daß er meinte, bis dahin Mittel und Wege finden zu können, sie zu umgehen. Er besaß, das Erbteil Franziskas mitgerechnet, acht Morgen Acker, vier Morgen Wiese und zwei und einen halben Morgen Weingarten. Das wolle er festhalten; eher werde er sich die Haut abziehen lassen, bevor er ein Ar davon hergebe; vor allem aber nahm er sich vor, um keinen Preis den mit dem Erbe der Geschwister fast drei Hektar messenden Acker am Rande der neuen Chaussee jemals aus der Hand zu geben. Weder sein Bruder noch seine Schwester besaßen ein gleichwertiges Feld. Er brüstete sich stolz, und seine Backen bliesen sich auf, wenn er von diesem Besitze sprach.

Ein Jahr ging ins Land, und dieses erste Jahr junger Besitzfreude ward für Buteau ein Quell nicht versiegbaren Glückes. Niemals hatte er, als er sich noch bei anderen verdungen, die Erde mit so tief schneidender Pflugschar durchgearbeitet: Jetzt war sie sein; bis ins Herz hinein wollte er sie befruchten. Abends kam er erschöpft heim mit seinem Pfluge, dessen Eisen wie Silber glänzte. Im März eggte er seine Kornsaat, im April den Hafer; unaufhörlich und unermüdlich widmete er all seine Manneskraft der Pflege seines Bodens. Gab's nichts mehr zu tun, so wandelte er nichtsdestoweniger hinaus zu seinen Äckern und weidete sich an ihrem Anblick. Er ging von einem Felde zum andern; bückte sich, griff mit seiner gewohnten Bewegung eine Handvoll Erde, zerdrückte sie und ließ sie durch die Finger rollen; er freute sich, wenn sie nicht zu trocken, nicht zu feucht war, wenn sie gesund und kräftig duftete, ein Geruch, der das emporwachsende Brot zu verraten schien ... Die Beauce rollte ihre grünen Auen vor ihm auf vom November bis zum Juli, von dem Augenblick, wo die ersten Halme sprossen, bis zur Zeit, wo die hohen Ährenstengel ins Gelbe tönen. Er wollte das Schauspiel immer genießen, es verlangte ihn, sich daran zu ergötzen, selbst ohne das Haus verlassen zu müssen; darum öffnete er das verschlossene Fenster der Küche, das rückwärts hinaus auf die Ebene schaute. Dort stellte er sich hin, überblickte das zehn Meilen weite Gefilde, einen riesengroßen flachen Plan, der sich unter der runden Wölbung des Himmels bis ins Unendliche verlor. Nicht ein Baum war sichtbar, nichts als die Telegraphenstangen der Chaussee Chateaudun-Orleans, die gradaus dahinlief, soweit das Auge reichte. Im Anfang war's wie ein grüner Hauch, der sich über die braunen Erdvierecke legte. Darauf dichtete sich dieser grüne Flaum; fast ganz gleichförmig getönte sammetene Matten überzogen die Flur. Dann trieben die Hälmchen empor, und jede Pflanzengattung gewann ihre Farbe. Buteau unterschied aus der Entfernung das gelbliche Grün des Weizens, das Blaugrün des Hafers, das grauschimmernde Grün des Roggens; ohne Zahl lagen all diese Felder kreuz und quer durcheinander, und die Rauten des Klees schachtelten sich dazwischen. Dies ist die Jahreszeit, in der die Beauce in ihrem jugendschönen Frühlingskleide bei all ihrer Eintönigkeit prächtig schmuck aussieht und das Auge erfrischt.

Aber die Saat wuchs noch mehr heran, und aus den weichen Matten ward ein Meer, ein grenzenloses Meer von Halmen. Des Morgens dunstete an schönen Tagen ein rosiger Nebel darüber empor; eine Brise fuhr in langgezogenen, regelmäßigen Stößen heran und wallte die grüne Flut auf: ein schaukelndes Gewoge, das am entgegengesetzten Ende der Ebene wieder verrann. Ein schwankendes Flimmern entfärbte die Spitzen der Halme; mit goldigem Schmelz umspann es die Weizenfelder, blaute den Hafer, übergoß mit violettem Geschimmer die zitternden Sprossen des Roggens. Unaufhörlich rollten neue Wellen daher; wie das Meer in der Flut, trieb es gärend heran. Abends blinkten die von dem sinkenden Gestirn grell beleuchteten Häuser gleich weißen Segeln aus der Ferne herüber; wie Schiffsmasten ragten halb versteckte Kirchtürme über die grüne See. Die Luft ward frisch; feuchte Nebel dämmerten hernieder; ein murmelndes Rauschen zog über den Ozean der Saaten, und wie eine ferne Küste hob sich ganz hinten der verschwommene Umriß eines Waldes ab.

Buteau betrachtete auch die zu seinen Füßen sich weitende Beauce bei schlechtem Wetter; gleichwie der Fischer von der Düne auf das bewegte Meer hinausblickt, wenn ihm der Orkan sein Brot raubt. Er beobachtete ein heftiges Gewitter, das die Lande mit einem fahlen Grau übergoß, während im knatternden Tosen des Donners brennend rote Blitze die triefenden Ähren durchglühten. Ein andermal sah er aus einer Entfernung von sechs Meilen eine Wasserhose sich nahen; erst war es eine falbe Wolke, die wie ein langgedrehter Strick daherwirbelte; dann plötzlich raste in tollem Galopp ein heulendes, tosendes Ungetüm vorüber; Verwüstung zeichnete seinen Weg: eine drei Kilometer breite Wahlstatt, auf der jeder Halm geknickt, entwurzelt, zerstampft war. Seine eigenen Äcker hatten nicht gelitten; mit versteckter Schadenfreude beklagte er das Unglück der anderen.

Je höher das Getreide emporwuchs, um so größere Freude bereitete Buteau der Anblick. Bald verschwand hinter der brandenden Flut ein Dorf, das wie ein graues Felseneiland am Horizont emporgeschaut. Von der Borderie waren nur noch die Dächer sichtbar, und auch diese versanken. Es blieb nichts wie eine Windmühle; gleich dem letzten Wahrzeichen einer Überschwemmung starrten ihre Flügel aus dem grünen Gewoge empor.

Ringsherum nichts als Getreide, ein riesiges, wallendes Meer von Getreide deckte die Erde.

»Falls der Sommer nicht zu trocken wird, kann es uns nicht an Brot fehlen«, sagte Buteau, wenn er sich abends zu Tische setzte.

Man hatte sich in dem kleinen Hause, so gut es ging, eingerichtet. Das Ehepaar bewohnte unter das große Zimmer; Franziska begnügte sich mit dem darüber gelegenen Kämmerchen, das einst der alte Mouche innegehabt. Es war gesäubert worden; man hatte ein Feldbett herbeigeschafft, eine alte Kommode, einen Tisch und zwei Stühle. Das junge Mädchen versah wie früher ihre Kühe, lebte, wie sie bisher gelebt. Doch in dem Frieden des Hauses schlummerte ein Vorwand zu Mißverstehen und Zerwürfnis: die noch unerledigte Frage der Erbschaftsteilung zwischen den beiden Geschwistern.

Am Tage nach Lises Verheiratung hatte der alte Fouan, der Franziskas Vormund war, darauf gedrungen, daß diese Teilung vorzunehmen sei, um späteren Mißhelligkeiten vorzubeugen. Aber Buteau erhob Einspruch. Wozu teilen? hatte er gemeint. Die Schwägerin sei noch zu jung und könne mit ihrem Grund und Boden nichts anfangen; es sei ja alles beim alten geblieben: sie lebe bei ihrer Schwester wie bisher, werde ernährt und gekleidet und habe gewiß keinen Grund, sich zu beklagen. Zu alledem schüttelte Papa Fouan den Kopf: man wisse nicht, wie es später komme, es sei am besten, alles zu ordnen. Auch die Kleine bestand auf ihrem Rechte und verlangte ihr Erbteil zu kennen, selbst wenn sie es auch einstweilen noch in den Händen ihres Schwagers belasse. Dieser jedoch schwatzte mit seiner bieder klingenden und scherzenden Rede den Willen der beiden tot. Man sprach nicht mehr davon, und Buteau erzählte jedem, der es hören wollte, wie einträglich und glücklich sie miteinander lebten.

»Verstehen muß man sich, das ist alles.«

Die ersten zehn Monate fand denn auch keinerlei Zwist zwischen den dreien statt; danach aber schien man sich eben nicht immer zu verstehen. Es fing mit kleinen Zänkereien an; man schmollte, sagte einander grobe Worte, und darunter gärte immerfort die ungelöste Frage von Mein und Dein.

Es war unleugbar, Lise und Franziska liebten sich nicht mehr mit ihrer einstigen großen Zärtlichkeit. Niemand sah sie jetzt abends, die Arme um den Leib geschlungen und in dasselbe Tuch gehüllt, spazieren gehen. Es war, als trenne sie etwas; eine gegenseitige Kälte nahm mehr und mehr überhand. Seit ein Mann im Hause war, schien es Franziska, als habe man ihr die Schwester genommen. Sie, die einst alles mit ihrer Lise geteilt, teilte diesen Mann nicht mit ihr, und so wurde er jenes fremde Etwas, jenes Hindernis, das ihr das Herz verschlossen, worin sie bisher allein gelebt. Wenn sie ausging, küßte sie jetzt die Schwester nicht mehr, sobald Buteau sie vorher geküßt; sie schien dann verletzt, als habe jemand aus ihrem Glase getrunken. In der Besitzfrage wurde sie eigensinnig und leidenschaftlich wie ein Kind: das ist mein, das ist dein. Ihre Schwester gehörte jetzt einem anderen, sie konnte nichts dabei tun; doch sie verlangte, was ihr eigen war: die Hälfte des Landes und des Hauses.

Das Unbehagen und die schlechte Laune Franziskas hatten noch einen anderen Grund, den sie selbst kaum hätte nennen kennen. Als ihr Vater nach dem frühen Tode der Mutter dies Haus mit ihnen bewohnte, hatte in dem alten Gemäuer nichts den schlummernden Frieden von Franziskas Sinnen gestört. Jetzt aber lebte ein Mann dort dicht neben ihr, ein brutaler Mann, der gewohnt gewesen, in allen Straßengräben, hinter allen Hecken die Dirnen hinzuwerfen, dem es nicht beikam, den Verkehr mit seiner Frau mit dem Schleier des Ungewußten vor Aug und Ohr der Jungfrau zu verstecken. Das freie Leben der Tiere hatte sie in alles eingeweiht und hatte sie mit Widerwillen gegen den Verkehr der Geschlechter erfüllt. Tagsüber zog sie es vor, ins Freie zu gehen und ließ das Ehepaar allein. Doch am Abend, wenn Buteau unmittelbar nach dem Speisen mit seinem Weibe zu scherzen begann, ergriff sie heftiger Zorn; sie rief, man solle doch wenigstens warten, bis sie das Geschirr abgewaschen; außer sich stürzte sie in ihr Zimmer hinauf, warf die Türen polternd hinter sich zu und barg den glühenden Kopf in ihren Kissen. Sie sah und hörte Wahngebilde und litt durch den Ansturm ihrer Mannbarkeit.

Das Schlimmste bei der Sache war, daß Buteau, als er sie sich so sehr um diese Dinge kümmern sah, sie neckte und hänselte. Was sei dabei? Was werde sie denn erst sagen, wenn sie sich einmal verheirate? Auch Lise sah darin nichts Arges. Er aber entwickelte seine Ansichten über diesen Punkt: da einem der liebe Gott das Vergnügen beschert habe, das einem nichts koste, so habe man das Recht, es nach Herzenslust zu genießen. Aber keine Kinder! O nein! Dergleichen Torheiten stelle man genug an, wenn man ledig sei; ihr Julius sei eine schöne Bescherung gewesen! Wenn man verheiratet sei, dann sei man vernünftig; ein Kind, ein Esser mehr! Danke schön; man brauche ohnehin schon genug Brot im Hause. Darum überwachte er sich selbst und seine Frau, die »das« auf ein Ja und Nein weg habe, wie er sagte. Er wolle Brot säen, aber keine Kinder.

Bei diesen Reden, bei den Küssen und Liebkosungen des Ehepaares, deren Zeuge sie war, oder die sie ahnte, wuchs die Verwirrung Franziskas. Man warf ihr vor, daß ihr Charakter sich geändert habe; in der Tat hatte sie ganz unerklärliche Launen, und ihre Stimmung sprang von einem Gegensatz in den anderen; bald war sie ausgelassen, bald traurig, mürrisch, böse. Wenn des Morgens Buteau in seiner ungenierten Art halbnackt durch die Küche ging, warfen ihre Augen ihm einen schwarzlodernden Blick nach. Lappalien riefen zwischen ihr und ihrer Schwester Streitereien hervor; selbst eine Tasse, die sie eines Tages zerbrochen, genügte, die beiden zu entzweien. Gehörte ihr diese Tasse nicht ebensogut, erwiderte Franziska erbittert, oder war nicht mindestens die Hälfte davon ihr Eigentum? Hatte sie nicht das Recht, die Hälfte von allem zu zerbrechen, wenn es ihr Spaß machte? Diese Frage von Mein und Dein spitzte sich immer mehr zu, und solche Wortgefechte ließen eine tagelang anhaltende Mißstimmung zurück.

Dazu kam, daß auch Buteau sehr schlechter Laune war. Die Erde litt unter einer entsetzlichen Dürre; sechs Wochen lang war nicht ein Tropfen Regen gefallen. Mit geballten Fäusten kehrte er abends in die Wohnung heim, verzweifelt über die trostlosen Aussichten: Die ganze Ernte schien in Frage gestellt; der Roggen verkümmerte, der Hafer blieb mager, die Ähren verdorrten, bevor noch die Frucht ansetzte. Buteau litt mit seinem Getreide; er verlor den Appetit, kränkelte, magerte ab, schrumpfte sichtlich zusammen vor Mißbehagen und Unmut. Eines Morgens rannte der aufgeregte Mann zum erstenmal mit Franziska zusammen. Es war sehr heiß; er hatte sich am Brunnen im Hofe gewaschen und setzte sich in offenem Hemd und herabgleitenden Beinkleidern an den Frühstückstisch, um seine Suppe zu verzehren. Franziska, die den halbentblößten Mann bediente, ging erst stumm um ihn herum; dann aber rief sie feuerrot:

»Knöpf dich doch zu, das ist ja ekelhaft.«

Er war schlecht gelaunt; grob gab er zurück:

»Donnerwetter! hören die Nörgeleien bald auf? ... Schau nicht hin, wenn's dir mißfällt. Du scheinst Lust danach zu haben, Rotznase, weil du immer danach schielst!«

Ihre Röte wurde Purpur, sie stammelte etwas. Lise aber setzte unklugerweise hinzu:

»Er hat recht, du langweilst uns schließlich. Geh fort, wenn man nicht mehr sein eigener Herr im Hause sein kann.«

»Gut, ich werde gehen«, platzte Franziska wütend heraus und verließ die Küche, indem sie die Tür dröhnend ins Schloß warf.

Doch am nächsten Tag war der Schwager wieder liebenswürdig, versöhnlich und gut aufgelegt. In der Nacht hatte sich der Himmel überzogen; seit zwölf Stunden rieselte ein lauer, feiner Regen auf die Äcker, einer jener Sommerregen, die dem Lande neues Leben geben. Buteau hatte das auf die Ebene blickende Fenster geöffnet, stand seit dem frühen Morgen freudestrahlend dort und beobachtete mit den Händen in den Taschen, wie dies wohltätige Wasser herabfloß.

»Jetzt sind wir Rentner, der liebe Gott arbeitet für uns ... Ah! Potz Blitz! Solch ein Faulenzen ist mehr wert, als wenn man sich den ganzen Tag ohne Profit schindet, daß einem die Rippen knacken.«

Langsam und stetig regnete es immerfort, und die durstige Beauce, die keinen Fluß und keinen Quell besitzt, trank das erquickende Naß. Ein eigenes Geräusch zog wie ein behagliches Schlürfen und Schlucken über die Lande; jede Scholle labte sich, jeder Halm frischte auf und reckte verjüngt seine Ähre empor, die bald fruchtstrotzend anschwellen sollte. Er aber trank gleich der Erde, gleich dem Getreide mit all seinen Poren. Neubelebt und geheilt trat er immer wieder ans Fenster und rief:

»Nur zu, immer zu! ... Das sind Fünffrankenstücke, die herunterfallen.«

Plötzlich hörte er jemand die Tür öffnen, wandte sich um und war nicht wenig überrascht, den alten Fouan zu erblicken.

»Ah! Papa! ... Du kommst wohl von der Froschjagd?«

Der Alte arbeitete eine Weile an seinem großen blauen Regenschirm, der nicht schließen wollte; dann trat er näher, indem er seine Holzschuhe auf der Schwelle ließ.

»Ein tüchtiger Guß!« versetzte er einfach. »War nötig.«

Seit die Teilung im letzten Jahre endgültig geworden, unterschrieben und registriert war, hatte der Alte keine andere Beschäftigung mehr, als die Äcker, die einst ihm gehört, zu besuchen. Täglich sah man ihn dort herumstreichen; jedes seiner Felder interessierte ihn noch, stimmte ihn traurig oder froh, je nach dem Stande der Saat, oder ließ ihn auf seine Kinder schelten, es sei nicht mehr das, es liege an ihnen, wenn es so schlecht gehe. Dieser Regen hellte auch dem alten Manne die Laune auf.

»Du willst uns im Vorübergehen guten Tag sagen?« begann Buteau wieder.

Franziska, die bisher stumm geblieben, trat heran und sprach mit bestimmtem Tone:

»Nein, ich habe den Onkel gebeten zu kommen.«

Lise, die neben dem Tische stand und Erbsen aushülste, ließ ihre Arbeit aus der Hand gleiten; ihr Gesicht verhärtete sich plötzlich, sie wartete schweigend. Buteau hatte unwillkürlich die Fäuste geballt; doch er lächelte gleich wieder, entschlossen, mit dem jungen Mädchen in gutem Einvernehmen zu bleiben.

»Ja,« erklärte der Greis bedächtig, »die Kleine hat gestern mit mir Rücksprache genommen ... Ihr seht, daß ich recht hatte, als ich alles vorher regeln wollte. Jedem das Seine, das bringt keinen Streit, im Gegenteil, das kommt den Streitereien zuvor ... Jetzt müssen wir es zu Ende bringen. Es ist ihr Recht, nicht wahr, daß sie wissen will, was ihr gehört? Ich wäre strafbar... So wollen wir also einen Tag bestimmen, wo wir alle zusammen zu Herrn Baillehache gehen.«

Doch Lise konnte nicht länger an sich halten.

»Warum schickt sie uns nicht die Gendarmen? Das sieht ja meiner Treu aus, als wenn wir sie betrügen!... Mach' ich solch Gerede? Erzähl' ich im Dorfe, was für ein dreckiges Ding sie ist, daß man nicht weiß, bei welchem Ende sie anfassen?«

Franziska wollte im selben Tone antworten; doch Buteau packte sie scherzend von rückwärts und lachte:

»Sind das Dummheiten!... Man zankt sich wohl 'mal, aber man liebt sich darum nicht weniger; ist's nicht so? Na, das wäre was, wenn zwei Schwestern sich nicht vertragen wollten!«

Das Mädchen hatte sich hastig von ihm losgerissen, und der Streit schien noch heftiger entbrennen zu wollen, als Buteau plötzlich mit fröhlichem Ruf einen neuen Ankömmling begrüßte.

»Korporal!... Ist das ein Wetter, gelt? Du bist naß wie ein Pudel, mein Junge.«

Hans war, wie er zuweilen tat, von dem Gut auf einen Sprung herübergekommen. Er hatte sich nur einen Leinensack um die Schultern geworfen und war durch und durch naß geworden; er dampfte ordentlich, und das Wasser rann von seinen Kleidern. Während er sich lachend die Tropfen abschüttelte, war Buteau wieder ans Fenster getreten und geriet von neuem in Begeisterung über den Regen, der immer noch ohne Unterlaß die Felder berieselte.

»Das gießt! Das gießt! Der reine Segen!... Nein, wahrhaftig, es ist einzig, wie das gießt!«

Dann wandte er sich wieder ins Zimmer und fuhr fort:

»Du kommst zu gelegener Stund'. Die beiden da liegen sich in den Haaren... Franziska verlangt die Teilung, sie will uns verlassen.«

»Wie, das Kind will...?« versetzte Hans stockend.

Sein Verlangen nach diesem Mädchen war eine heimliche, heftige Leidenschaft geworden, für die er keine andere Befriedigung wußte als seine Besuche in diesem Hause, wo man ihn wie einen Freund aufnahm. Schon lange hätte er um ihre Hand angehalten, wenn er im Vergleich zu ihr nicht so alt gewesen. Er mochte warten, solange er wollte, die fünfzehn Jahre Altersunterschied verschwanden nicht: sie waren und blieben ein auf dem Lande so enorm scheinendes Hindernis, daß es niemandem, weder ihrem Schwager, noch ihrer Schwester, noch ihr selbst beikam, er könne jemals den Gedanken fassen, sie zur Frau zu begehren. Dies war auch der Grund, warum Buteau den Freund so herzlich aufnahm und keine Bange vor den Folgen hatte.

»Ein Kind! Ja, das ist das richtige Wort«, bestätigte der Hausherr, väterlich die Achseln zuckend.

Doch Franziska blieb starr und steif und wiederholte, die Augen zu Boden geheftet:

»Ich will mein Erbteil.«

»Das wäre das Klügste«, meinte Papa Fouan.

Da ergriff Hans ihre beiden Hände und zog sie zu sich heran. Er zitterte, wie sie ihm so nahe gegenüberstand, und seine Stimme ward mehr und mehr bewegt, als er in seiner treuherzigen Art auf sie einsprach und sie bat zu bleiben. Wohin wolle sie gehen? Zu Fremden? In Dienst nach Cloyes oder nach Chateaudun? Sei sie nicht besser aufgehoben in diesem Hause, wo sie aufgewachsen unter den Ihren, die sie liebten? Sie hörte ihm zu und ward auch ihrerseits gerührt; denn wenn sie auch nicht daran dachte, in ihm einen Liebhaber zu sehen, pflegte sie doch gern seinen Worten Gehör zu schenken, teils aus großer Freundschaft zu ihm, teils auch ein wenig aus Furcht; weil er ihr so ernst vorkam.

»Ich verlange mein Erbteil,« wiederholte sie weniger fest als vorher; »doch sag' ich nicht, daß ich fortgehen will.«

»Aber, kleiner Trotzkopf,« bemerkte Buteau, »was willst du denn mit deinem Erbe anfangen, wenn du hier bleibst! Du hast alles wie deine Schwester und wie ich; warum willst du also die Hälfte? ... Nein, das ist zum Totlachen! ... Hör' mich an: Am Tage, wo du dich verheiratest, teilen wir.«

Hans blickte immer noch das geliebte Mädchen an; in seinen Augen flirrte es bei den letzten Worten, als verlasse ihn die Selbstbeherrschung.

»Du verstehst? Am Tage deiner Verheiratung«, stotterte er. Sie schwieg beklommen.

»Und jetzt, Franziska, gib deiner Schwester einen Kuß, das ist gescheiter«, schloß der Bursch.

Die feiste, gemütliche Hausmutter Lise war noch nicht schlecht; sie weinte, als ihr jetzt die Kleine an die Brust sank. Wohlgelaunt, daß die Sache aufgeschoben, rief Buteau: »Zum Teufel auch, jetzt müsse man eins trinken.« Er brachte fünf Gläser, entkorkte eine Flasche und ging dann nochmals in den Keller, um eine zweite zu holen. Das lederharte Gesicht des alten Fouan war leicht gerötet, als er erklärte, er für seine Person sei für gute Ordnung und Pflicht. Alle tranken; die Männer wie die Frauen stießen auf die Gesundheit jedes einzelnen an, und auf das Wohl der ganzen Gesellschaft.

»Ein gutes Ding der Wein«, erklärte Buteau, indem er sein Glas lärmend auf den Tisch setzte. »Aber sagt, was ihr wollt, er ist nicht das Wasser wert, das da herunterfällt ... Schaut nur hin! Noch immer mehr, immer mehr! Herrlich, meiner Treu!«

Alle drängten sich an das Fenster und sahen mit einer Art Verzückung dem lauen, unaufhörlich herniederströmenden Regen zu, als gewahre ihr Auge, wie unter dem wohltätigen Bade die grünen Halme wuchsen.


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