Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Monate verflossen, der Winter verstrich, dann das Frühjahr. In Rognes ging alles seinen gewohnten Gang; es gehören Jahre dazu, um in dem stumpfen Einerlei dieses sich wiederholenden Arbeitslebens neue Ereignisse hervorzubringen. Doch im Juli zur Zeit der großen Hitze verursachten die wiederum bevorstehenden Wahlen einige Bewegung im Dorfe. Diesmal war damit eine große Angelegenheit von lokalem Interesse verknüpft.

Man sprach davon, alles war gespannt auf die Wahlreisen der Kandidaten.

Gerade an dem Sonntage, als das Eintreffen des Herrn Rochefontaine, des Fabrikbesitzers von Chateaudun, erwartet wurde, entstand zwischen Lise und Franziska eine furchtbare Szene. Wenn das Neue auch noch so lange auf sich warten läßt, es bereitet sich langsam vor: das letzte Band, welches die Geschwister vereinte, war so oft im Begriff gewesen, sich zu lösen, war so oft wieder geknüpft worden, ein einziger Zufall, eine Dummheit, die ohne Belang war, sollte genügen, es für immer zu zerreißen.

Als Franziska vormittags die Kühe von der Weide heimtrieb, traf sie vor der Kirche Hans und blieb in der einzigen Absicht, Schwester und Schwager zu reizen, mit ihm dem Hause gegenüber einen Augenblick plaudernd stehen. Als sie in den Hof trat, rief Lise:

»Weißt du, wenn du deine Kerle sehen willst, tu's wenigstens nicht vor unserem Fenster.«

Buteau, der ein Messer schliff, hob aufhorchend den Kopf.

»Meine Kerle?« versetzte Franziska laut. »Meine Kerle sehe ich ja hier genug; ich kenn' einen: wenn ich gewollt hätte, das Schwein würde mich nicht unter dem Fenster, sondern in deinem Bette gehabt haben.«

Diese Anspielung auf ihren Mann brachte Lise außer sich. Seit lange war es ihr einziger Wunsch, die Schwester hinauszuwerfen; selbst um den Preis, mit Franziska einen Prozeß zu führen, ihn zu verlieren und ihr die Hälfte des Erbes abzutreten, selbst um diesen Preis wäre die Ruhe ihres Hauses ihr nicht zu teuer erkauft erschienen. Gerade in diesem Punkte war sie uneins mit Buteau. Er wollte bis zum letzten Augenblick List anwenden, und verzweifelte außerdem nicht, sich eines Tages die Kleine gefügig zu machen. Die Frau aber wurde, wie sie ihn so hartnäckig der Schwester nachstellen sah, von einer seltsamen Eifersucht gepackt. Sie hätte nichts dagegen gehabt, daß er sie nehme, damit endlich Frieden im Hause sei; gleichzeitig aber neidete sie ihr die Jugend, den frischen, elastischen Körper. Der Gedanke, mit ihr zu teilen, schreckte sie nicht; ihr Schmerz gipfelte in dem Bewußtsein, von beiden die älteste, die weniger schöne zu sein.

»Miststecken!« schrie sie auf, »du selbst reizest ihn! ... Wenn du nicht immer hinter ihm her wärest, er würde dir dreckigem Ding gewiß nicht nachrennen.«

Franziska wurde leichenblaß, so griff ihr diese Lüge ans Herz. Schneidend kalt gab sie zurück:

»Gut, jetzt ist's genug ... Wart' zwei Wochen, und ich werde euch nicht mehr im Wege stehen; das willst du doch. Ja, in vierzehn Tagen bin ich einundzwanzig Jahre alt, dann geh' ich meiner Wege.«

»Aha, du erwartest deine Großjährigkeit, um uns dann Schwierigkeiten zu machen? ... Nein, Elende, nicht in zwei Wochen, auf der Stelle wirst du gehen! ... Marsch, pack' dich!«

»Ist recht ... Macqueron braucht gerad' jemand, er wird mich schon nehmen ... Lebt wohl!«

Nicht ein Wort mehr wurde zwischen ihnen gewechselt. Franziska verließ das Haus. Zwar warf Buteau Messer und Schleifstein beiseite und stürzte hinzu, um wieder einmal mit ein paar Hieben den Hader zwischen den Geschwistern zu schlichten; doch er kam zu spät, er konnte nur noch seiner Frau einen Schlag versetzen, daß dieser das Blut aus der Nase spritzte; aber Franziska war verschwunden.

»Verdammtes Weibervolk!« schrie er auf.

Was er so lange gefürchtet, so sorgsam verhütet, es war eingetreten. Er ahnte eine Reihe ärgerlicher Verwickelungen über sich hereinbrechen. Das Mädchen und das Land, beide entschlüpften ihm.

»Ich werd' nachher zu Macqueron gehen,« rief er zornig. »Sie muß wieder zurück, und sollte ich sie mit Fußtritten in den Hintern heimjagen.«

Bei Macqueron war man an jenem Sonntage in großer Aufregung, denn der eine der Kandidaten, Herr Rochefontaine aus Chateaudun, hatte sein Eintreffen für den Nachmittag zugesagt. Während der letzten Sitzungsperiode war Herr von Chédeville bei Hofe in Ungnade gefallen; die einen meinten infolge seiner zu deutlich geoffenbarten Zuneigung zu der Familie Orleans, die anderen glaubten infolge eines Skandals mit der jungen Frau eines Aufsehers der Kammer, die sich trotz seines Alters in den Löwen verliebt hatte. Wie dem auch sei, die Gönnerschaft des Präfekten hatte sich nach Schluß der Kammer von ihm abgewendet und war dem früheren unabhängigen Kandidaten, Herrn Rochefontaine, zuteil geworden. Ein Minister besichtigte die Fabrik in Chateaudun, und der Kaiser sprach sich anerkennend über eine Arbeit des Fabrikherrn aus, welche den Freihandel zum Gegenstande hatte. Nichtsdestoweniger hielt Herr von Chédeville seine Kandidatur aufrecht; denn sein Gut Chamade war inzwischen über und über belastet, und er bedurfte mehr denn je des Abgeordnetensitzes zur Durchführung von allerhand Geschäften, mit denen er bemüht war, sich über Wasser zu halten. So waren durch die Verkettung der Umstände die Rollen vertauscht: Herr von Chédeville war unabhängiger Kandidat, Herr Rochefontaine Kandidat der Regierung.

Hourdequin, obwohl Schulze von Rognes, blieb Herrn von Chédeville treu. Er war entschlossen, den Wünschen der Regierung keinerlei Rechnung zu tragen und selbst offen für seinen Kandidaten einzutreten. Zunächst mochte er sich nicht wie eine Wetterfahne nach jedem von der Präfektur wehenden Winde drehen, dann aber meinte er, bei der drohenden Ackerbaukrise dränge ihn sein persönliches Interesse auf die Seite des Schutzzöllners und nicht auf die des Freihändlers. Seit einiger Zeit zog ihn der Ärger, den Jacqueline ihm machte, im Verein mit den Sorgen, die ihm sein Gut bereitete, von seinen Obliegenheiten als Gemeindevorstand ab. Ewig damit beschäftigt, dem Treiben der Cognette nachzuspähen, die mit dem Betrügern eigenen Glück fortfuhr, sich ungestraft an dem strammen Kuhhirten Tron zu ergötzen, überließ der Schulze seinem Vertreter Macqueron die Erledigung der laufenden Geschäfte. Als darum der Anteil, den er an dem Ausgang der Wahlen nahm, ihn bewog, wieder dem Gemeinderate vorzustehen, mußte er zu seiner Überraschung feststellen, daß ihm dieser abtrünnig geworden.

Diese kalte, fast feindliche Haltung der Räte dem Vorsteher gegenüber war das Werk Macquerons, dessen listiges Wühlen endlich zum Ziele geführt. Diesem reich gewordenen Bauer, der stets so schmierig und lodderig einherging, trotzdem er den vermögenden Herrn hervorkehren wollte, der nicht zu arbeiten braucht, war in seiner beschäftigungslosen Langeweile ein ehrgeiziger Wunsch aufgestiegen, der bald sein ganzes Dasein ausfüllte. Warum sollte er nicht Schulze werden können? Seit jenem Augenblick hatte er sich bemüht, Hourdequins Stellung zu unterwühlen, indem er den Haß schürte, der unbewußt in jedem Einwohner von Rognes schlummerte gegen die einstigen Grundherren und gegen den Stellvertreter, den Bürgerssohn, der heute die großen Grundkomplexe besaß. Natürlich hatte dieser seine Ländereien fast umsonst an sich gebracht, hatte einen Diebstahl begangen zur Zeit der Revolution. Die armen Teufel dürfen nie solche günstige Gelegenheiten ausnützen, dergleichen fällt immer den Kanaillen zu, die ihr Leben lang nichts getan, als sich die Taschen vollzustopfen. Was alles auf der Borderie vorging! Welch eine Schmach, diese Cognette, die ihr Herr mit allen seinen Knechten teilte! All dies wurde jetzt zur Sprache gebracht, wurde in unverschleierten Ausdrücken von Mund zu Mund weitergetragen und selbst von denen mit Behagen wiederholt, die vielleicht ihre eigene Tochter verkauft haben würden, wenn es sich gelohnt hätte. Ein Bürger, hieß es schließlich, solle in der Stadt bleiben und mit den Bürgern stehlen und Unzucht treiben, doch eine Bauerngemeinde brauche einen Bauer zum Schulzen.

Sobald die Frage der Wahlen zur Sprache kam, fühlte Hourdequin den ersten Widerstand von seiten seiner Räte. Kaum hatte er den Namen des Herrn von Chédeville genannt, so verhärteten sich plötzlich alle Gesichter und sahen aus, als seien sie aus Holz geschnitzt. Seit Macqueron in Erfahrung gebracht, daß der Besitzer dem alten Kandidaten treu bleibe, war es ihm klar, daß dies das Feld sei, auf dem er den unbequemen Schulzen schlagen und aus dem Sattel heben könne; deshalb hatte er es sich angelegen sein lassen, den Präfekten seiner Anhänglichkeit zu versichern und ihm die förmliche Zusage seiner Verwendung für die Wahl des Herrn Rochefontaine zu machen. Jedem, der es hören wollte, sagte er, sein Amt als Schulze schreibe ihm den Weg vor, den er zu gehen habe, alle anständigen Leute müßten die Regierung unterstützen. Dieses letztere Wort übrigens genügte; er hatte keineswegs nötig, die Mitglieder des Gemeinderates noch eines weiteren zu belehren, die von dem Wunsche beseelt waren, daß alles beim alten und in Ruhe und Ordnung bleibe und daß das Getreide sich gut verkaufe. Delhomme, der als ehrenwert und rechtlich gekannte Mann, erklärte, man müsse den Kandidaten des Kaisers wählen; denn der Kaiser wisse sicher, was er zum Wohle des Landes zu tun habe. Clou und die anderen schlössen sich ohne weiteres dieser Meinung an. Nur allein Lengaigne blieb auf Seite des Schulzen, weil es ihn verdroß, daß sein Nebenbuhler Macqueron solches Ansehen gewann.

Auch die Verleumdung tat das ihre, um die Stellung des Gutsbesitzers zu untergraben. Es hieß, er sei ein »Roter« geworden und teile die Meinung jener Spitzbuben, welche die Revolution anstrebten in der Absicht, die Bauern auszurotten. Selbst der zaghafte, scheue Abbé Madeline trat auf die Seite des Vertreters, dem er seine Stelle zu verdanken meinte, und arbeitete für Herrn Rochefontaine, trotzdem der Bischof noch Herrn von Chédeville geneigt schien. Ein letztes Gerücht aber vernichtete das Ansehen des Schulzen vollends; es wurde erzählt, er habe bei Gelegenheit der Errichtung des Weges Rognes-Chateaudun die Hälfte der staatlichen Gelder in seine Tasche gesteckt. Niemand vermochte zu erklären, wie Hourdequin es sollte angestellt haben; das Geheimnisvolle aber verlieh der Sache noch unheimlichere Ausdehnung. Wenn man Macqueron darnach fragte, so machte er das erschreckte, bekümmerte und zurückhaltende Gesicht eines Mannes, dem gewisse Rücksichten den Mund schlossen. Und doch war er es gewesen, der diese Lüge erfunden, damit der gegen ihn selbst erhobene Vorwurf endlich verstumme, er habe sein Land erst um sonst versprochen und es sich nachher dreimal über den Wert bezahlen lassen. So also war die Gemeinde in gärender Erregung, der Rat in zwei Lager gespalten, auf der einen Seite der Vertreter und sämtliche Räte mit alleinigem Ausschluß Lengaignes, auf der andern der Schulze, der erst jetzt den Ernst der Lage erfaßte.

Schon zwei Wochen vorher war Macqueron eigens nach Chateaudun gefahren, hatte sich in unterwürfigstem Tone Herrn Rochefontaine zur Verfügung gestellt und ihn gebeten, er möge bei ihm absteigen, falls er geruhen solle, nach Rognes zu kommen. Darum ließ der Schankwirt an jenem Sonntagnachmittag keinen Augenblick die Landstraße aus den Augen, trat jeden Augenblick vor seinen Laden und spähte nach dem Kandidaten aus. Er hatte Delhomme, Clou und andere Räte verständigt, diese tranken in der Schenke ein Glas Wein, der Ankunft des Fabrikherrn gewärtig. Auch Papa Fouan saß dort und spielte mit Bécu Karten, während der Schulmeister Lequeu, der niemals etwas verzehrte, sich abseits in eine Zeitung vertieft hatte. Sehr unangenehm war dem Wirt die Anwesenheit zweier anderer Gäste, Jesus und sein Freund Canon, die einander gegenüber vor einer Flasche Branntwein saßen. Macqueron schielte zu den beiden hinüber, doch fand er keinen Vorwand, sie hinauszuweisen; denn die Strolche verhielten sich gegen ihre Gewohnheit ruhig und blickten nur spöttelnd drein. Es schlug drei Uhr, Herr Rochefontaine, der für zwei Uhr sein Eintreffen angezeigt, war noch nicht erschienen.

»Celine,« rief der Schenkwirt plötzlich seiner Frau zu, »hast du den Bordeaux heraufgeholt, um dem Herrn ein Glas vorzusetzen?«

Celine, die gerade ihre Gäste bediente, machte eine verzweifelte Gebärde, sie hatte es vergessen! Hurtig lief ihr Mann in den Keller. In dem Nebenraum, wo sich der Kramladen befand, sah man durch die offene Tür Bertha drei Bäuerinnen rosa Bänder verkaufen, während die bereits in Dienst getretene Franziska trotz des Sonntages die Fächer abstäubte. Der Vertreter hatte, um sich ein Ansehen als Teilhaber der Dorfobrigkeit zu geben, sofort das junge Mädchen aufgenommen; er fühlte sich geschmeichelt, daß es sich unter seinen Schutz gestellt. Seine Frau brauchte gerade eine Stütze, man gab der Kleinen Kost und Wohnung, bis sie sich wieder mit den Buteau ausgesöhnt habe; denn sie schwor, sie werde sich umbringen, wenn man sie mit Gewalt dorthin zurückführe.

Plötzlich hielt ein mit zwei prächtigen Pferden bespannter Landauer vor der Tür, und Herr Rochefontaine stieg ab, erstaunt und verletzt, daß niemand zu seinem Empfange herbeieilte. Zögernd näherte er sich der Pforte; da kam Macqueron in jeder Hand eine Flasche aus dem Keller. Der Wirt geriet in eine grenzenlose Verlegenheit, wußte nicht, wohin mit beiden Flaschen, und stotterte:

»O mein Herr, wie unangenehm! Seit zwei Stunden warte ich, ohne mich vom Fleck zu rühren, und jetzt gerade bin ich einen Augenblick in den Keller hinabgegangen ... Ja, für Sie nämlich ... Wollen Sie ein Gläschen trinken, Herr Abgeordneter?«

Rochefontaine, der nur erst Kandidat war und den die Verwirrung des armen Mannes hätte rühren sollen, schien im Gegenteil noch unzufriedener zu werden. Er war ein hochgewachsener, noch nicht achtunddreißigjähriger Mann, mit kurzgeschnittenem Haar und gestutztem Bart in feiner, aber einfacher Kleidung. Er war von fast schroffer Kälte, sprach kurz und in einem Tone, der immerfort daran erinnerte, daß er gewohnt war zu befehlen und verstand, seine zwölfhundert Arbeiter in Respekt zu halten. Er schien entschlossen, mit diesen Bauern nicht viel Umstände zu machen.

Celine und Bertha stürzten ebenfalls herzu, die letztere blickte den Fremden aus ihren blauumrandeten Augen dreist an und sagte dann:

»Treten Sie gütigst ein, mein Herr! Erweisen Sie uns die Ehre!«

Doch der Herr streifte sie mit einem einzigen prüfenden Blick und beachtete sie nicht weiter. Aber er verstand sich endlich dazu, über die Schwelle zu schreiten; im Schenkzimmer jedoch verweigerte er, sich zu setzen.

»Hier sind unsere Freunde vom Gemeinderat,« begann Macqueron, der sich gesammelt. »Sie sind sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen; nicht wahr, meine Herren, sehr erfreut!«

Delhomme, Clou und die anderen Räte hatten sich erhoben, ziemlich bestürzt durch das steife Auftreten des Herrn Rochefontaine. Ihre Ergebenheit verwandelte sich in unterwürfigen Respekt; jede feste Willensäußerung, jedes feste Auftreten flößte diesem Volke eine sklavische Furcht ein. In tiefem Schweigen hörten sie an, was er ihnen zu sagen gekommen war: Er sprach von der Übereinstimmung seiner Grundsätze mit den Ansichten des Kaisers; von seinen fortschrittlichen Gedanken vor allem, denen er es verdanke, daß die Regierung ihn dem früheren Kandidaten, jenem Vertreter unheilsamer Grundsätze vorgezogen; hierauf versprach er Wege, Eisenbahnen, Kanäle; jawohl einen Kanal, der die Beauce durchschneiden solle, um diesem seit Jahrhunderten verschmachtenden Landstrich Wasser zuzuführen. Verblüfft hörten ihm die Bauern zu. Was sagte er? Sie sollten gar eine Wasserstraße bekommen? Er fuhr fort: Jetzt drohte er, die, welche gegen ihn stimmen sollten, würde die Trockenheit der Jahreszeiten und der Unwille der Regierung ihren Starrsinn entgelten lassen. Alle blickten einander an. Der verstand, sie zu rütteln, mit dem durfte man es sich nicht verderben.

»Zweifelsohne, zweifelsohne!« wiederholte Macqueron bei jedem Satze seines Kandidaten, trotzdem ihm dessen Schroffheit unbehaglich zu werden begann.

Aber Bécu billigte mit eifrigem Kopfnicken diesen militärischen Schneid, während der alte Fouan mit seinen weit aufgerissenen Augen zu sagen schien, der Kandidat sei ein ganzer Mann. Selbst der sonst so unberührte Lequeu war ganz rot geworden, ohne daß man zu unterscheiden vermochte, ob ihm Freude oder Zorn das Blut in die Wangen trieb. Nur die beiden Kanaillen Jesus und Canon trugen eine unverhüllte Verachtung zur Schau; sie hielten es unter ihrer Würde, sich laut zu äußern; sie zuckten die Achseln und lächelten.

Kaum hatte Herr Rochefontaine seinen Vortrag beendet, so wandte er sich zur Tür. Der Vertreter geriet in Verzweiflung:

»Wie, mein Herr! Sie wollen uns nicht die Ehre erweisen, ein Glas Wein anzunehmen?«

»Nein, ich danke; ich habe mich bereits verspätet ... Man erwartet mich in Magnolles, in Bazoches, in zwanzig Orten. Leben Sie wohl!«

Bertha gab dem ungalanten Herrn nicht einmal das Geleite. In den Kramladen zurückkehrend, sagte sie zu Franziska:

»Ist das ein unhöflicher Mensch! Wenn ich zu wählen hätte, ich würde für den anderen, für den Alten stimmen.«

Herr Rochefontaine hatte wieder seinen Wagen bestiegen, als ihn das Knallen einer Peitsche das Haupt wenden hieß. Es war Hourdequin, der in seinem bescheidenen Wagen ankam, den Hans lenkte. Der Besitzer hatte nur durch Zufall von einem seiner Ackerknechte, welcher dem Landauer begegnet war, die Ankunft des Kandidaten erfahren. Er eilte herbei, um der Gefahr ins Gesicht zu sehen; denn er war um so mehr besorgt, als er seit acht Tagen Herrn von Chédeville vergeblich bat, sich im Orte zu zeigen; den Löwen hielt irgendeine Dame seines Herzens zurück, vielleicht die schöne Frau des Aufsehers der Kammer, und er hatte seinem Drängen immer noch nicht nachgegeben.

»Sie sind es!« rief er Herrn Rochefontaine zu. »Ich wußte Sie noch nicht im Lande.«

Die Wagen hielten nebeneinander; die beiden Insassen hatten sich die Hände gereicht; dann plauderten sie, jeder in seinem Gefährte sitzend. Sie kannten einander; hatten sie doch manchesmal bei dem Schulzen von Chateaudun miteinander gefrühstückt.

»Also Sie sind gegen mich?« fragte plötzlich der Kandidat in seiner schroffen Art.

Hourdequin, der in Ansehung seiner Stellung als Schulze vorgezogen hätte, nicht zu offen zu handeln, ward einen Augenblick durch diese Anrede aus der Fassung gebracht. Wie gut jener unterrichtet war! Doch auch ihm fehlte es nicht an Schulterbreite; er antwortete höflich, um der Auseinandersetzung kein unfreundliches Gepräge zu verleihen:

»Ich bin gegen niemand, ich bin für mich ... Mein Mann ist, wer meine Interessen vertritt. Wenn man bedenkt, daß das Getreide auf sechzehn Franken gefallen ist, genau was mich seine Erzeugung kostet! Da ist's ebensogut, keinen Pflug mehr anrühren, sich hinlegen und krepieren!«

Sofort wurde der andere leidenschaftlich.

»Der Schutzzoll, nicht wahr, damit das heimische Getreide seinen Preis verdoppele? Damit ein Vierpfundbrot zwanzig Sous koste und die Armen verhungern? ... Wie können Sie, ein Mann des Fortschritts, auf diese Ungeheuerlichkeiten zurückkommen?«

»Ein Mann des Fortschritts, ein Mann des Fortschritts,« wiederholte Hourdequin lachend; »natürlich bin ich ein solcher; aber das kommt mir so teuer zu stehen, daß ich mir bald diesen Luxus nicht mehr werde gestatten können. Die Maschinen, der chemische Dünger, all diese neuen Methoden, wissen Sie, sind vortrefflich erdacht, haben aber den einen Übelstand, daß sie uns nach allen Regeln der Vernunft zugrunde richten.«

»Weil es Ihnen an Ausdauer fehlt, weil Sie verlangen, daß Ihnen die Wissenschaft sofort vollkommen günstige Ergebnisse liefere, weil die unvermeidlichen Proben und Versuche Sie dermaßen entmutigen, daß Sie selbst für die errungenen Vorteile blind werden und alles leugnen.«

»Vielleicht. Ich hätte nur Proben und Versuche gemacht? ... Gut denn, soll man mich dafür auszeichnen, und mögen andere, gutwilligere Fortschrittsfreunde die Sache fortsetzen.«

Hourdequin lachte laut über den Scherz, den er für überzeugend hielt. Doch lebhaft fiel Herr Rochefontaine ein:

»Also Sie wollen, daß der Arbeiter verhungere?«

»Verzeihung! Ich will, daß der Bauer zu leben habe.«

»Aber ich beschäftige zwölfhundert Arbeiter und kann doch die Löhne nicht erhöhen, ohne Bankerott zu machen ... Wenn das Getreide dreißig Franken kostete, würden meine Leute wie die Fliegen hinsterben.«

»Und hab' ich keine Arbeiter? Wenn das Getreide sechzehn Franken gilt, hungern wir; es gibt arme Teufel auf dem Lande, die buchstäblich vor Entbehrung umkommen.«

Wieder lachend, setzte er hinzu:

»Mein Gott, jeder predigt für seinen Heiligen ... Wenn ich Ihnen das Korn billig verkaufe, macht der Grundbesitz in Frankreich Bankerott; wenn ich es Ihnen nicht billig verkaufe, begreife ich wohl, daß die Handarbeit im Preise steigt, daß ihre Erzeugnisse sich verteuern, meine Werkzeuge, meine Kleider, die hundert Dinge, die ich gebrauche ... Ein toller Wirrwarr, in dem wir alle unsere Haut lassen werden.«

Beide, der Landmann und der Fabrikherr, der Schutzzöllner und Freihändler blickten einander an, der eine mit dem Lächeln seiner so viel Ernst bergenden Liebenswürdigkeit, der andere rückhaltslos herausfordernd. Die zwei Männer stellten den Kampf ums Dasein in der wirtschaftlichen Frage dar.

»Man wird den Bauer schon zu zwingen wissen, daß er dem Arbeiter Brot schafft,« sagte Rochefontaine.

»Sorgen Sie dafür, daß zunächst der Bauer zu essen hat,« versetzte Hourdequin.

Er sprang aus dem Wägelchen, während der andere seinem Kutscher den Namen eines Dorfes zuwarf. Macqueron war es höchst unangenehm, daß seine Kollegen vom Gemeinderate von der Schwelle des Hauses alles mitangehört; er meinte, man wolle doch noch, alle miteinander, ein Gläschen trinken. Doch wiederum lehnte der Kandidat ab: ohne jemandem die Hand zu reichen, drückte er sich in die Ecke seines Landauers, der beim hallenden Trab der starken Pferde zum Dorf hinausrollte.

Lengaigne, der unter seinem Laden der Szene beigewohnt hatte, rief laut lachend zum Nachbar hinüber:

»Küß mir den Hintern und sag' schön' Dank!«

Hourdequin trat bei Macqueron ein und nahm den angebotenen Trunk an. Hans band sein Pferd an den Fensterladen, dann folgte er seinem Herrn. Franziska winkte ihrem Bräutigam aus dem Kramladen zu; er ging zu ihr, und sie erzählte ihm, was zwischen ihr und ihrer Schwester vorgefallen, und daß sie das Haus verlassen. Er ward so beklommen und hatte solche Bange, sie vor den Gästen bloßzustellen, daß er ihr nur hastig zuflüsterte, sie wollten sich abends sehen und alles besprechen; nachher kam er wieder in die Schenke hinaus und ließ sich auf eine Bank nieder.

»Teufel auch!« schrie Hourdequin seinen Kollegen zu. »Ihr schämt euch nicht, für den Menschen zu stimmen?!«

Seine Unterredung mit Herrn Rochefontaine hatte in ihm den Entschluß zum offenen Kampfe zur Reife gebracht, mochte er auch dabei zu Falle kommen. Darum schonte er den Kandidaten nicht mehr; er verglich ihn mit Herrn von Chédeville, diesem vortrefflichen Manne, der nicht stolz tat mit den Landleuten, der immer entgegenkommend war, immer froh, ihnen einen Dienst leisten zu können, ein echter Edelmann des alten Frankreich. Daneben dieser trockene, steife Zehn-Schritt-vom-Leib', dieser moderne Millionär! Wie der Mann von oben herab zu sprechen verstand! Wie er nicht einmal ein Glas Wein annahm, als fürchte er, sich zu vergiften!«

»Nein, nein, das ist unmöglich, man tauscht nicht ein gutes Pferd gegen eine einäugige Mähre aus. Was werft ihr Herrn von Chédeville vor? Jahrelang ist er euer Abgeordneter, hat stets seine Schuldigkeit getan, und jetzt wollt ihr ihn für einen Mann im Stich lassen, auf dessen Namen ihr bei den letzten Wahlen, als er der Regierung gegenüberstand, nicht kommen konntet? Erinnert euch doch zum Kuckuck!«

Macqueron mochte sich nicht geradezu aussprechen, darum machte er sich mit der Bedienung seiner Gäste zu tun. Die Bauern hatten ihrem Schulzen zugehört, ohne daß eine Falte in ihren Gesichtern ihre Gedanken verraten. Endlich nahm Delhomme das Wort:

»Wenn man die Leute nicht kennt!«

»Aber jetzt habt ihr diesen Vogel kennengelernt! Ihr habt gehört, er will das Getreide zu einem billigen Preise: er wird in der Kammer dafür stimmen, daß das fremde Korn das unsere verdrängt. Ich hab' euch schon auseinandergesetzt, das ist unser Untergang ... Und ihr seid am Ende so kurzsichtig und glaubt ihm, wenn er euch allerhand Versprechungen macht. Ja, ja, wählt ihn nur! Er wird euch eine Nase drehen nachher.«

Ein leeres Lächeln erschien auf den gerbharten Zügen Delhommes. Die in diesem geraden, aber beschränkten Verstände schlummernde Schlauheit trat in den bedächtig gesprochenen Worten hervor:

»Er sagt, was er sagt, man glaubt davon, was man davon glaubt ... Er oder ein anderer, mein Gott! ... Man hat nur einen Gedanken, sehen Sie, den nämlich, daß die Regierung stark sei, damit Handel und Wandel gedeihen; damit man keinen Bock schießt, ist es das Beste, der Regierung den Abgeordneten zu schicken, den sie verlangt ... Uns genügt, daß dieser Herr aus Chateaudun der Freund des Kaisers ist.«

Dies Wort brachte Hourdequin um seinen Gleichmut. Früher war Herr von Chédeville der Freund des Kaisers gewesen! Dieses Geschlecht von Knechten liegt immer dem Herrn zu Füßen, der sie peitscht und sie füttert; sklavische Unterwürfigkeit und Selbstsucht sind ihr Erbteil, es sieht nichts, kennt nichts, wie die Sorge ums tägliche Brot.

»Wohlan, zum Teufel auch, ich schwöre euch: am Tage, wo dieser Rochefontaine gewählt wird, gebe ich meine Entlassung! Glaubt ihr, ich bin ein Hanswurst, der jetzt weiß, dann schwarz sagt ... Wenn diese Banditen, die Republikaner, in den Tuilerien säßen, wahrhaftig, ihr wäret mit ihnen!«

Macquerons Augen blitzten auf. Endlich war das Ziel erreicht: der Schulze hatte seine Abdankung unterzeichnet; denn bei seiner Unbeliebtheit war die Drohung, die er eben ausgesprochen, allein hinreichend, das ganze Land gegen die Wahl des Herrn von Chédeville zu bestimmen.

Doch in diesem Augenblick machte Jesus, den man im Winkel mit seinem Freunde Canon vergessen, sich so bemerkbar, daß aller Blicke sich ihm zuwandten. Die Ellbogen auf den Rand des Tisches gestützt, das Kinn in der Hand, wiederholte er, indem er die Bauern einen nach dem andern ansah:

»Viechskerle! Viechskerle!«

Gerade wie er dies Wort aussprach, trat Buteau ein. Sein lebhaftes Auge entdeckte sofort Franziska im Kramladen nebenan und erkannte gleichzeitig Hans, der auf einer Bank an der Wand, seinen Herrn erwartend, den anderen zuhörte. Gut, das Mädel und ihr Galan waren da, man wird was erleben.

»Da ist mein Bruder, der größte Viechskerl von allen,« höhnte Jesus.

Ein drohendes Gemurmel erhob sich; man wollte den Unhold vor die Tür setzen: doch Leroi, genannt Canon, erhob jetzt seine heisere Stimme, die er in allen sozialistischen Versammlungen der Pariser Vorstädte versucht hatte:

»Halt's Maul, Junge! Sie sind nicht so dumm, wie sie aussehen ... Hört, ihr Bauern, was würdet ihr sagen, wenn man drüben an das Gemeindehaus ein Plakat anschlüge, darauf in großen Lettern zu lesen stünde: Revolutionäre Gemeinde von Paris: primo, alle Steuern sind aufgehoben; secundo, der Militärdienst ist aufgehoben! ... He? was würdet ihr für Gesichter machen?«

Die Wirkung dieser Worte war eine außerordentliche. Delhomme, Fouan, Clou, Bécu selbst blickten starr drein; Lequeu ließ seine Zeitung aus der Hand gleiten; Hourdequin, der im Begriff gewesen, sich zu entfernen, kehrte auf der Schwelle um; Buteau vergaß Franziska und setzte sich auf eine Tischecke. Alle schauten den Mann in Lumpen an, diesen Wegelagerer, welcher der Schrecken der Orte war, durch die er streifte, und von Diebstahl und erzwungenen Almosen lebte. Noch in der letzten Woche hatte man ihn von der Borderie verjagt, wo er wie ein Schreckgespenst bei sinkender Nacht erschienen war; darum wohnte er bis auf weiteres bei Jesus.

»Ich seh', das kitzelt euch doch,« hub er lachend wieder an.

»Alle Wetter, ja!« bekannte Buteau. »Wenn man denkt, daß ich noch gestern wieder dem Einnehmer Geld hingetragen habe! Das hört nie und nimmermehr auf; sie ziehen einem die Haut vom Leibe!«

»Und nicht mehr zusehen brauchen, wie unsere Burschen zum Militär ziehen müssen!« rief Delhomme. »Ich kaufe Ernst los und weiß, was mich das kostet.«

»Wenn ihr nicht zahlen könnt,« setzte Fouan hinzu, nimmt man sie euch und bringt sie um.«

Canon triumphierte.

»Du siehst,« wandte er sich an Jesus, »sie sind nicht so dumm, deine Bauern.«

Dann wandte er sich wieder zu den anderen:

»Man sagt uns immer, ihr seid Konservative, ihr würdet gegen die Revolution auftreten... Konservativ für eure Interessen, ja, nicht wahr? Ihr würdet euch dem Lauf der Dinge nicht entgegenstellen; im Gegenteil, ihr würdet helfen, das zu schaffen, was euch nützen soll. Hab ich nicht recht? Wolltet ihr nicht mit zugreifen, um euer Geld und eure Kinder zu behalten? ... Ihr wäret ja die eselhaftesten Tröpfe, wenn ihr es nicht tätet!«

Niemand trank mehr; ein Unbehagen begann sich auf all diesen schwerfälligen Gesichtern auszudrücken. Er aber ergötzte sich im voraus an der Wirkung, die er hervorzubringen dachte, und fuhr spöttelnd fort:

Darum bin ich, der ich euch kenne, so unbesorgt, wenn ihr mich mit Steinwürfen von euren Türen verjagt ... Wie der dicke Herr da vorhin sagte, ihr werdet es alle mit uns halten, mit den Roten, den Kommunisten, sobald wir in den Tuilerien sitzen.«

»Nein!« riefen Buteau, Delhomme und die anderen.

Hourdequin, der aufmerksam zugehört, zuckte die Achseln.

»Ihr schwätzt umsonst, mein Bester!«

Doch Canon lächelte zuversichtlich. Auf seinem Sitze zurückgelehnt, rieb er sich mit einer unbewußten Bewegung erst die eine, dann die andere Schulter an der Wand. Dabei fing er an, ihnen diese Revolution zu erklären, mit deren geheimnisvoller und unklarer Prophezeiung er von Gut zu Gut die Herren und Knechte zu erschrecken pflegte. Zunächst würden sich die Kameraden in Paris der Herrschaft bemächtigen; das werde vermutlich sehr leicht und ganz natürlich vor sich gehen, man werde weniger Menschen niederschießen, als manche glauben, denn der ganze große Zauber gehe von selbst aus dem Gefüge, so morsch sei er. Sobald man die Macht in der Hand habe, werde man am selben Abend die Rente auflösen, werde sich der großen Vermögen bemächtigen, damit alles Geld wieder Eigentum des Volkes sei; und hierauf werde man eine neue Gesellschaft gründen, werde ein riesiges Finanz-, Industrie- und Handelshaus gründen, die Arbeit und der Wohlstand würden vernünftig verteilt werden. Auf dem Lande sei es noch viel einfacher: Man enthebe zunächst die Gutsbesitzer ihres Eigentums, nehme den Grund und Boden...

»Versucht es einmal!« fiel ihm Hourdequin wieder in die Rede. »Mit Sensenhieben würde man euch empfangen: nicht ein Bauer würde euch nur eine Handbreit seines Ackers hergeben.«

»Rede ich von den Bauern? Meinen Sie, wir würden den Armen etwas anhaben wollen?« versetzte Canon höhnisch. »Wir müßten ja blitzdumm sein, wenn wir es mit den Kleinen verderben wollten... Nein, nein, die armen Kerle, die sich auf ihren paar Morgen zu Tode schinden, sollen verschont bleiben... Was wir nehmen, sind die zweihundert Hektar der wohlgenährten Herren Ihrer Sorte, welche die Knechte im Schweiße ihres Angesichts arbeiten lassen, damit sie, die großen Herren, Geld verdienen... Meiner Seel', ich glaub' nicht, daß Ihre Nachbarn mit ihren Sensen herkommen werden, um Sie zu verteidigen; ihre Freude wird zu groß sein.«

Macqueron schlug eine helle Lache auf, als komme ihm die Sache spaßhaft vor, und all' die anderen stimmten ein. Der Besitzer erbleichte, wie er den alten Haß sich so laut verraten sah; dieser Lump hatte recht, nicht einer von diesen Bauern, selbst nicht der ehrenwerteste, würde ihm zu Hilfe eilen; im Gegenteil, sie würden den Plünderern Beistand leisten.«

»Also,« fragte Buteau, »ich besitze ungefähr zehn Sester und kann sie behalten, man wird mir sie lassen?«

»Selbstredend, Kamerad... Allein wir sind gewiß: wenn ihr später nebenan die auf den Besitzungen des Volkes erlangten Erfolge sehen werdet, so kommt ihr, ohne daß man euch bittet, und legt euer Stück zum Ganzen... Eine Kultur im großen, viel Geld, Maschinen, noch anderes, die neuesten Errungenschaften der Wissenschaft. Ich verstehe hiervon nichts, aber man muß die Kameraden in Paris darüber reden hören; die beweisen haarscharf, daß der Ackerbau verloren ist, wenn man sich nicht entschließt, ihn in dieser Weise zu betreiben ... Ja, aus eigenem Antriebe gebt ihr einmal eure Felder her.«

Buteau machte ein durchaus ungläubiges Gesicht, doch war er beruhigt, weil man nichts von ihm verlangte. Hourdequin aber lieh ein aufmerksames Ohr, seit der Strolch von dieser großen nationalen Bodenkultur sprach. Die anderen warteten wie im Theater das Ende ab. Zweimal schon hatte Lequeu, dessen fahles Gesicht eine purpurne Röte überzogen, den Mund geöffnet, um sich hineinzumischen; doch seine kluge Vorsicht hieß ihn schweigen.

»Und mein Teil!« schrie plötzlich Jesus. »Jeder muß sein Teil haben. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.«

Canon hob so hastig die Hand, als wolle er auf den Freund dreinschlagen.

»Willst du mir Ruh' geben mit deiner Freiheit, deiner Gleichheit und Brüderlichkeit? ... Hat man nötig, frei zu sein? Ein toller Unsinn! Du willst wohl, daß die Bürger uns wieder in die Tasche stecken? Nein, nein, man wird das Volk zum Glück zwingen, ob es will oder nicht! ... Also, du möchtest der Ebenbürtige, der Bruder eines Gerichtsvollziehers sein? Aber Rindskopf, mit diesem Wahnsinn haben ja deine Republikaner von 48 sich den Garaus gemacht.«

Jesus erklärte verdutzt, er sei für die große Revolution.

»Halt's Maul! ... He? 89, 93! eine nette Musik, ein sauberes Lügenkonzert, mit dem man uns die Ohren vollbrummt! Zählt so was überhaupt mit, kann es sich mit dem vergleichen, was wir zu tun haben? Wart' nur, laß das Volk erst Herr sein! Das dauert nicht mehr so lang; alles geht aus dem Leim, ich verspreche dir, daß unser Jahrhundert, wie man's nennt, einen großartigeren Abschluß haben wird als das vorige. Eine wunderbare Reinigung, eine kolossale Ausmistung, wie man sie nie erlebt hat.«

Alle erschauerten bei diesen Worten; selbst Jesus fuhr entsetzt auf; dann kehrte er das Gesicht abseits, ihm mißfiel die Sache, sobald man nicht Bruder und Bruder sein sollte. Hans, der bisher mit Interesse zugehört, machte eine ablehnende Gebärde. Doch Canon hatte sich erhoben; seine Augen flammten, eine prophetische Verklärung malte sich in seinen Zügen, als er fortfuhr:

»Das muß kommen, es ist unausbleiblich, wie ein in die Luft geschleuderter Stein unbedingt zur Erde fallen muß ... Damit haben nichts zu tun die Pfaffengeschichten, die Märchen von Jenseits, noch das Recht und die Gerechtigkeit, die man ebensowenig je gesehen wie den lieben Gott! Nein, nur das eine wird die allein geltende Triebfeder sein: das Verlangen, das wir alle haben und haben dürfen, glücklich zu sein! ... Merkt's euch, Kameraden, man wird dafür sorgen, daß jeder möglichst sein Leben auskostet und möglichst wenig zu arbeiten hat. Die Maschinen werden für uns arbeiten, wir haben nur nötig, sie zu überwachen, und zwar niemand mehr als täglich höchstens vier Stunden; vielleicht kommt man sogar so weit, daß man gar nichts zu tun braucht. Ein Vergnügen! all unsere Bedürfnisse sollen Pflege und reichliche Befriedigung finden, Fleisch, Wein, Weiber, dreimal mehr als heute werden wir von allem genießen, weil wir kräftiger und gesünder sein werden. Keine Armen, keine Kranken, keine unglücklichen Greise wird es mehr geben, denn alles wird besser eingerichtet sein, ein weniger saures Leben, bessere Krankenhäuser, tüchtige Altersversorgungs-Anstalten. Ein wirkliches Paradies; alle Errungenschaften unseres Geistes, alles Wissen wird nur dem einen Zwecke dienen, uns das Leben zu verschönern, und es wird eine Freude sein zu leben.«

Buteau war hingerissen, er hieb mit der Faust auf den Tisch und brüllte:

»Die Steuern zum Teufel! Der Militärdienst zum Teufel, alle Scherereien zum Teufel! nichts wie Vergnügen! Ich unterschreibe.«

»Gewiß,« bestätigte Delhomme ernst, »man müßte sich selbst nicht liebhaben, wenn man nicht unterschreiben wollte.«

Auch Fouan stimmte zu, ebenso Macqueron, Clou und die anderen. Bécu, der Freund der Obrigkeit, trat entsetzt zu Hourdequin hinan und fragte ihn flüsternd, ob er diesen Banditen, der den Kaiser angreife, nicht dingfest machen solle. Doch der Besitzer beruhigte ihn mit einem Achselzucken. Ach ja, das Glück! Man träumte davon, es durch die Wissenschaft zu erreichen, wie man bisher gemeint, es durch Recht und Gerechtigkeit zu erlangen; der neue Grundsatz war vielleicht folgerichtiger, denn er ließ der Verwirklichung Zeit und Spielraum. Von neuem wollte der Schulze aufbrechen; er rief Hans, der kein Wort von dem Gespräch verloren. Im selben Augenblick aber gab plötzlich Lequeu dem Bedürfnis nach, seine Meinung zu äußern, was ihm wie eine mühsam verhaltene Wut die Brust beklommen. Mit seiner kreischenden Stimme rief er:

»Wenn ihr alle nicht krepiert seid, bevor diese herrlichen Dinge sich verwirklichen. Krepiert vor Hunger oder niedergemacht von den Gendarmen, wenn euch der Hunger rebellisch macht.

Man starrte ihn an, ohne zu verstehen.

»Sicher gibt es, wenn das Getreide noch ferner aus Amerika eingeführt wird, in hundert Jahren nicht einen einzigen Bauern mehr in Frankreich ... Kann es unser Boden mit dem da drüben aufnehmen? Uns bleibt nicht einmal die Zeit, die neue Bodenkultur zu erproben; ehe wir es uns versehen, hat uns der andere Weltteil mit Getreide überschwemmt. Ich habe ein Buch gelesen, das es deutlich beweist; ihr seid geliefert ...«

Doch inmitten seiner zornigen Rede fühlte er all die bestürzten Blicke auf sich gerichtet. Er brach ab, ballte grollend die Faust, ergriff seine Zeitung und tat, als fahre er im Lesen fort.

»Das stimmt,« fiel Canon ein, »gerade wegen der Einfuhr aus Amerika seid ihr geliefert, wenn sich das Volk nicht der großen Ländereien bemächtigt.«

»Und ich,« schloß Hourdequin, »ich wiederhole euch, dieser Einfuhr muß vorgebeugt werden ... Jetzt stimmt für Herrn Rochefontaine, wenn ihr einen anderen Schulzen wollt, und wenn es euch recht ist, daß das Korn für fünfzehn Franken verkauft wird.«

Er bestieg seinen Wagen. Hans wechselte einen Blick des Einverständnisses mit Franziska, dann folgte er seinem Herrn.

»Man darf nicht zuviel an diese Sachen denken, man würde den Verstand verlieren,« sagte der Bursche, das Pferd antreibend. Der Besitzer nickte.

In der Schenke plauderte Macqueron leise sehr lebhaft mit Delhomme. Canon blickte wieder mit seinem höhnenden Lächeln drein, während er die Branntweinflasche mit Jesus leerte, der etwas aus der Fassung geraten schien, und den sein Kumpan »Fräulein Dreiundneunzig« anredete. Als Buteau aus seinen Grübeleien erwachte, sah er plötzlich, daß Hans verschwunden war, und gewahrte gleichzeitig Franziska, die an Berthas Seite dem Gespräch der Männer zugehört hatte. Er war ärgerlich, daß ihn die verdammte Politik seine eigenen Angelegenheiten hatte vergessen lassen. Er hatte eine lange Unterredung mit Celine, die ihn bestimmte, kein Aufsehen zu machen; es sei besser, daß Franziska von selbst zu ihm zurückkehre, sobald man sie beruhigt habe. Buteau ging endlich ebenfalls, indem er erklärte, er werde das Mädel mit einem Stock und einem Knüttel holen, wenn sie sich nicht bekehre.

Am nächsten Sonntag wurde Herr Rochefontaine erwählt; Hourdequin reichte dem Präfekten sein Entlassungsgesuch ein, um einer Enthebung vorzubeugen. Macqueron ward Schulze von Rognes.

Am Abend desselben Tages überraschte man Lengaigne dabei, wie er vor der Haustür seines siegreichen Gegners eine Zaunrose pflanzte.

»Ich tue es, wo es mir beliebt! rief er wütend. »Jetzt regieren ja ohnehin die Schweine.«


 << zurück weiter >>