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Drittes Kapitel.

Ein ganzes Jahr lebte Fouan in dieser Weise stumm und einsam in dem leeren Hause. Man fand ihn dort unausgesetzt auf den Beinen; er kam und ging, seine Hände zitterten, er tat nichts. Stundenlang stand er vor den verschimmelten Trögen im Stall; dann wieder kehrte er zur Tür der leeren Scheune zurück und pflanzte sich dort auf wie in tiefes Sinnen verloren. Der Garten gab ihm noch etwas Beschäftigung; doch diese Arbeit begann ihm schwer zu werden; sein Körper neigte sich immer mehr vornüber der Erde zu, die ihn zu rufen schien. Zweimal mußten ihm Nachbarn zu Hilfe eilen: er war bewußtlos zwischen seinen Salatstauden liegen geblieben.

Seit Jesus die zwanzig Franken bekommen, zahlte nur Delhomme die Rente. Buteau gab keinen Sou her; er erklärte, lieber lasse er sich verklagen, ehe er zuschaue, wie sein Geld in die Taschen seines liederlichen Bruders fließe. In der Tat wußte Hyacinth seinem Vater noch von Zeit zu Zeit ein Almosen abzunötigen; denn der Alte vermochte nicht anders sich seiner Tränen zu erwehren.

Angesichts dieser traurigen Lage des Papa Fouan, dessen Schwäche täglich zunahm, der von seinem Ältesten ausgebeutet wurde und vor lauter Einsamkeit krank ward, faßte Delhomme den Plan, den Greis zu sich zu nehmen. Warum sollte er nicht sein Haus verkaufen und bei seiner Tochter wohnen? Er werde alles bekommen, was er brauche, und man sei nicht mehr genötigt, ihm die zweihundert Franken zu zahlen. Kaum hatte Buteau von diesem Angebot erfahren, so lief er zum Vater, sprach von seinen heiligen Pflichten als Sohn, und bot ihm dasselbe an. Geld zum Verschleudern, nein! Doch sobald es sich nur um den Vater allein handle, diesem stehe sein Haus offen, er möge kommen, er solle in Frieden bei ihm essen und schlafen. Der Hintergedanke des Burschen war, daß vermutlich seine Schwester den Alten zu sich ziehen wolle, um den ersparten Schatz zu bekommen. Allerdings begann selbst Buteau an dem Dasein dieses Schatzes zu zweifeln. Wenn er trotzdem Papa Fouan sein Haus öffnete, lag vor allem eine gewisse Prahlerei in diesem Gehaben; er hoffte heimlich, jener werde seinen Vorschlag ablehnen, und fürchtete gleichzeitig, er möge die Gastfreundschaft Delhommes annehmen. Übrigens brachte der Greis diesen Eröffnungen eine Abneigung entgegen, die fast wie Furcht aussah. Nein! nein! Besser sein trocken Brot daheim wie Braten bei anderen, es sei weniger bitter. Er habe in seinen vier Wänden gelebt, dort wolle er sterben.

So blieb alles beim alten, und es rückte Mitte Juli, der Tag des »heiligen Heinrich« heran, des Schutzpatrons von Rognes, den das Dorf mit einem Feste zu feiern gewohnt war. In den Wiesen an der Aigre pflegte um diese Zeit ein mit Leinwand gedeckter Tanzplatz errichtet zu werden; auf der Straße gegenüber dem Gemeindeamt baute man drei Zelte, einen Schießstand, eine Verkaufsbude, in der alles, selbst Bänder für die Mädchen feilgeboten wurden, und eine Roulette, wo man Gerstenzucker gewann.

Baillehache, der an jenem Tage in der Borderie frühstückte, stieg im Vorüberfahren bei Delhomme ab, um mit ihm zu plaudern, und dieser bat den Notar, er möge ihn doch zu Fouan begleiten und ihm zureden. Seit Roses Tode riet auch Baillehache dem Alten, er solle sich zu seiner Tochter zurückziehen und das Haus, das viel zu groß für ihn geworden, verkaufen. Es war gewiß seine dreitausend Franken wert; der Notar bot dem Greise sogar an, er wolle das Geld für ihn verwahren und ihm die Zinsen, wie er es zu seinen kleinen Bedürfnissen gerade brauche, ausfolgen.

Sie fanden Fouan in seiner gewohnten Hilflosigkeit; ohne Plan trippelte er durch das Gehöft, mit stumpfem Blick stellte er sich vor einem Holzstoß auf, den er sägen wollte, ohne die Kraft dazu zu finden. An jenem Morgen zitterten seine armen Hände noch mehr als gewöhnlich; denn er hatte am vorhergehenden Tage einen Angriff von Jesus bestehen müssen, der, um sich für das Fest zwanzig Franken zu verschaffen, dem Vater eine furchtbare Szene vorgespielt. Der Strolch hatte geheult, daß dem alten Manne grün und gelb vor den Augen geworden; hatte sich auf die Erde geworfen und gedroht, er werde sich umbringen; um diese Drohung recht wirksam zu machen, zog er ein langes Küchenmesser hervor, das er eigens zu dem Zwecke in seinem Ärmel verborgen gehabt. Der Vater hatte die zwanzig Franken hergegeben; ohne Umschweife gestand er es dem Notar.

»Würden Sie es nicht auch tun?« fragte er mit hilfloser Beklommenheit. »Ich kann mir nicht mehr helfen, ich kann nicht.«

Herr Baillehache benützte die Gelegenheit.

»Gerade wollte ich mit Euch darüber plaudern. Das kann nicht so weiter fortgehen, Papa Fouan, Ihr laßt Eure Haut dabei. In Eurem Alter ist es unklug, allein zu leben; wenn Ihr nicht bis aufs Hemd ausgeplündert werden wollt, hört auf den Rat Eurer Tochter; verkauft und zieht zu ihr.«

»Sie raten mir das auch?« versetzte der Alte.

Er warf einen scheuen Blick auf Delhomme, der sich absichtlich ferngehalten. Als der Schwiegersohn diesen mißtrauenden Augenblitz auffing, brach er sein Schweigen.

»Wissen Sie, Vater, ich sage nichts, weil Sie vielleicht glauben könnten, ich hab' ein Interesse daran, Sie zu mir zu nehmen ... Teufel, nein! es wird eine Störung geben ... Allein, es schmerzt mich zu sehen, wie es Ihnen so schlecht geht, während Sie es doch so bequem haben könnten.«

»Gut, gut,« gab der Alte zurück, »will's noch überlegen ... Wenn ich entschlossen bin, werd' ich's schon sagen.«

Weder Delhomme noch der Notar vermochten ihn zu einer andern Antwort zu bewegen. Er verbat sich, daß man ihn so dränge; seine nach und nach erloschene Autorität suchte Zuflucht in diesem greisenhaften Eigensinn, der selbst dem eigenen Wohlleben zuwiderhandelte. Dazu kam ein gewisser Schreck, den ihm der Gedanke, kein Haus zu besitzen, einflößte, nachdem er den Verlust seiner Felder noch nicht einmal verschmerzt. Kurz und gut, er sagte nein, weil alle wollten, er solle ja. sagen. Was hatten denn diese Halunken dabei zu gewinnen? Er wird ja sagen, wenn er will.

Jesus hatte am Vorabend in seiner Freude die Schwäche gehabt, Dreckbatzen seine vier Fünffrankenstücke zu zeigen. Doch als er sich schlafen legte, behielt er sie in der geschlossenen Faust; denn das letztemal hatte das freche Mädel ihm ein Stück unter seinem Kopfkissen hervor weggestiebitzt und ihm weiszumachen versucht, er habe es im Rausche verloren. Bei seinem Erwachen erschrak er nicht wenig: die Hand war leer. Doch er fand sein Geld ganz warm im Bette liegen; dies machte ihn ungemein vergnügt, er lachte laut auf: »Ein Hundsfott, wer heut nur einen Sou heimbringt!«

Vergeblich bestürmte Dreckbatzen den Vater den ganzen Vormittag, er möge ihr doch eines von seinen Fünffrankenstücken geben, »ein ganz kleines«, meinte sie schalkhaft. Er wies sie schroff ab; er war nicht einmal erkenntlich für die Eier, die sie gestohlen und ihm zum Frühstück als Rührei auftischte. Nein, nein, erklärte er ihr, es sei ganz schön, den Papa lieb zu haben, aber das Geld sei für die Männer gemacht. Wütend wandte sie ihm den Rücken, zog ihr blaues Halbseidenkleid an, ein Geschenk ihres Vaters aus der Zeit, als er sein Erbteil verputzt, und rief davoneilend, sie werde sich ebenfalls amüsieren. Kaum war sie zwanzig Schritt vom Hause entfernt, so drehte sie sich um:

»Schau her, Vater!«

Ihre magern Finger hielten in der erhobenen Rechten ein glänzendes Fünffrankenstück.

Er glaubte sich doch bestohlen, erbleichte, suchte in seinen Taschen. Aber die zwanzig Franken waren vollzählig vorhanden: Die Kleine mußte mit ihren Gänsen das Geld erschachert haben. Die Sache erschien Hyacinth sehr gelungen; er lächelte väterlich und ließ das Mädel laufen.

Jesus war nur in einem Punkte empfindlich: im Punkte der Moral. Darum geriet er eine halbe Stunde später in großen Zorn. Er war nämlich ebenfalls im Begriff, seinen Unterschlupf zu verlassen, als ihn ein sonntäglich herausgeputzter Bauer unten vom Wege herauf anrief:

»Jesus, holla, Jesus!«

»Was gibt's?«

»Deine Tochter liegt bei Wilhelms Feld im Graben.«

»Im Graben?«

»Ja, und ein Mann liegt auf ihr.«

Wütend hob er beide Fäuste zum Himmel:

»Gut! Dank schön! Ich hol' meine Peitsche! ... Ah, potz Blitz und Kanonen, die Dirne entehrt meinen Namen!«

Er sperrte die Tür wieder auf und langte von der Wand die große Fuhrmannspeitsche herab, deren er sich zur Züchtigung seiner Tochter zu bedienen pflegte. Damit machte er sich auf den Weg, schlich duckend die Hecken entlang, um die Liebenden zu überraschen.

Doch als er bei der Biegung der Straße über die Chaussee schlüpfte, bemerkte ihn Ernst, der den Wächter machte, während sein Freund Delphin bei Dreckbatzen war. Die beiden Burschen pflegten abwechselnd mit dem Mädchen zu liebeln und Wache zu halten.

»Aufgepaßt, Jesus kommt!« schrie der Junge.

Er hatte die Peitsche gesehen; wie ein Hase setzte er übers Feld.

Dreckbatzen warf Delphin ab und sprang empor. Der Vater! Sie hatte noch die Geistesgegenwart, ihrem Liebhaber das Fünffrankenstück zuzustecken.«

»Da, verwahr' mir das und mach', daß du fortkommst!« Wie ein Ungewitter stürmte Jesus heran, die Riesenpeitsche knallte gleich Büchsenschüssen in seiner Hand.

»Dirne! Wart', ich werd' dich Anstand lehren.«

Er erkannte den Sohn des Feldhüters, doch der flinke Junge entwischte ihm. Nicht so glücklich war das Mädchen. Sausend traf sie der erste Hieb auf die nackten Schenkel, und die Jagd begann.

Stumm floh das an solche Szenen gewöhnte Kind vor dem wütenden Manne. Gewöhnlich pflegte er sie auf dem kürzesten Wege nach Hause zu jagen und dort einzusperren; dem wollte sie entgehen und versuchte die Ebene zu gewinnen. Fast schien es, als solle ihr dies gelingen. In der Mitte der Straße nämlich stand Herr Karl, der Elodia zum Volksfest führte. Er hatte alles mit angesehen; rot vor sittlicher Entrüstung, hielt er sich an der Seite seiner Enkelin, die mit weit aufgerissenen Augen unschuldig und verblüfft dreinschaute. Dreckbatzen erkannte die beiden und wollte sich in ihren Schutz stellen. Herr Karl stieß sie zurück. Jesus stürzte herzu; die Peitsche knallte, und die gehetzte Sünderin begann jetzt um den Onkel und die Cousine herumzurennen, während ihr Vater hinterdreinlief, die Peitsche schwingend, dem Kinde fluchend und ihm in der Kasernensprache seine lasterhafte Aufführung vorwerfend. Herr Karl versteckte entsetzt den Kopf Elodias an seiner Brust, damit sie nicht sehe und höre; doch diese fabelhafte Begebenheit brachte auch ihn um seine Besinnung; er vermochte sich nicht zu beherrschen und rief aus:

»Verwünschte Gassendirne, willst du gehen! Wer, zum Henker, hat mir solch Gesindel in dieses Bordell von einem Land hergebracht!«

Ihrer Deckung beraubt, fühlte sich Dreckbatzen verloren. Ein Peitschenhieb, der ihr wie ein Lasso die Brust unter den Achseln umschnürte, drehte sie gleich einem Kreisel; ein zweiter warf sie zu Boden; ihr blieb nur noch die eine Rettung, so schnell wie möglich ihre Wohnung zu gewinnen. Sie setzte über die Hecken, sprang über Gräben, stürzte quer durch die Weingärten, auf die Gefahr, sich an den Stützhölzern aufzuspießen. Aber ihre dünnen Beinchen trugen sie nicht schnell genug; immerfort pfiffen die sausenden Hiebe um ihre Schultern, ihre Hüften. Ihr machte es schließlich Spaß, diese züngelnden Hiebe schienen ihr eine Art pikanter Reizung; mit einem nervösen Lachen schlüpfte sie endlich in das verlassene Kellerloch am Berge und verkroch sich in einem Winkel, wo ihr die Peitsche nichts mehr anhaben konnte.

»Gib deine fünf Franken heraus«, befahl der Vater. »Das soll deine Strafe sein.«

Sie versicherte, daß sie das Geld unterwegs verloren. Er spottete ungläubig, durchsuchte ihre Taschen; als er nichts fand, geriet er von neuem in Wut.

»Du hast sie deinem Liebhaber gegeben? ... Herr du meines Lebens! Ist das ein viechsdummes Mensch! Sie steckt ihm noch obendrein Geld zu!«

Polternd und fluchend trollte er sich von dannen, nachdem er die Tür geschlossen und seiner Tochter erklärt hatte, sie werde dort bis zum nächsten Morgen bleiben, denn er komme diese Nacht nicht heim.

Dreckbatzen untersuchte, sobald sie allein war, ihren Körper, der glücklicherweise nur einige blaue Striemen aufwies, kämmte sich und kleidete sich wieder an. Hierauf schraubte sie mit erprobter Geschicklichkeit das Türschloß ab und machte sich aus dem Staube, ohne nur die Pforte zu schließen. Mögen die Diebe kommen! Sie werden schon sehen, ob es hier was zu stehlen gibt. Sie wußte, daß sie Ernst und Delphin in einem Gehölz am Ufer der Aigre wiederfinden werde; dorthin lenkte sie ihre Schritte.

Die beiden Jungen waren richtig an Ort und Stelle; diesmal war Ernst an der Reihe und Delphin machte den Aufpasser. Darauf zog er das aufbewahrte Silberstück hervor, und die beiden Burschen zählten ihre eigene Barschaft: Ernst hatte drei Franken, Delphin sechs Sous. Das Mädchen entschied, man solle alles gemeinschaftlich verjubeln. Sie eilten zum Festplatz, Dreckbatzen kaufte sich eine rote Atlasschleife und steckte sie ins Haar; dann führte sie ihre Freunde an einen Tisch, wo Zuckerplätzchen ausgewürfelt wurden, und ließ sie spielen.

Als Jesus bei Lengaigne ankam, fand er Bécu dort, der sein Feldhüterschildchen auf einer neuen Bluse trug. Zornig ging er auf ihn zu.

»Sag' 'mal, versiehst du so dein Amt? ... Weißt du, wo ich deinen Tagedieb von Sohn gefunden habe?«

»Wo?«

»Im Straßengraben auf meiner Tochter ... Ich werde an den Präfekten schreiben, daß er dich absetzt, Lumpenvater, selbst ein Lump.«

Bécu wurde böse.

»Deine Tochter? Glaub's, die treibt sich ja überall herum ... Aha, sie hat Delphin verführt? Wart, ich werd' sie von den Gendarmen packen lassen!«

»Versuch's, Bandit!«

Aug in Aug standen die beiden Männer einander gegenüber. Doch plötzlich verflog ihr Zorn.

»Man muß sich auseinandersetzen«, meinte Jesus. »Trinken wir eins.«

»Keinen Sou!« antwortete Bécu.

Der andere zog aber sein erstes Fünffrankenstück hervor, warf es in die Luft, kniff es wie ein Monokel in den Augenwinkel, und rief lustig:

»Machen wir es klein, Alterchen! ... Komm hinein, Kamerad! Die Reih' ist an mir, du zahlst oft genug.«

Sie schritten in bester Laune und Eintracht über die Schwelle der Kneipe.

Lengaigne hatte einen vortrefflichen Gedanken gehabt. Der Besitzer des Tanzzeltes, das alljährlich auf der Wiese aufgeschlagen worden, war nämlich diesmal ausgeblieben, weil ihm der Ertrag des letzten Festes nicht seine Kosten gedeckt. Dies hatte Lengaigne bestimmt, in der Scheuer, die hinter seiner Schankstube lag und deren Tor auf die Straße hinausführte, einen Ball abzuhalten. Er ließ sogar die Wand des Trinkzimmers durchbrechen, so daß beide Räume verbunden waren. Dieser glückliche Einfall zog das ganze Dorf zu ihm hin, während sein Gegner Macqueron in seinen leeren Wänden vor Wut barst.

»Sofort zwei Liter, jedem einen!« bestellte Jesus überlaut.

Aber während Flora in glücklichster Stimmung über den reichen Besuch ihres Hauses die Neuankommenden bediente, bemerkte Jesus, daß ihr Mann sich im Lesen eines Briefes unterbrochen hatte, den er einer Gruppe Bauern vortrug. Auf die Frage des Gastes erwiderte der Wirt bedeutungsvoll, es sei ein Schreiben seines Sohnes Viktor aus der Garnison.

»Ah! Ah! Ah!« rief Becu. »Na, was erzählt denn der Bursch? Mußt noch 'mal von vorn anfangen.«

Lengaigne begann von neuem.

»Meine lieben Eltern, ich lasse Euch wissen, daß wir jetzt in Lille in Flandern liegen seit einem Monat weniger sieben Tagen. Das Land ist nicht übel, wenn nicht der Wein so teuer wäre, denn man muß ihn bis sechzehn Sous den Liter zahlen ...«

Die ganzen vier Seiten schülerhaften Geschreibsels enthielten fast nichts anderes; derselbe Satz kehrte immer wieder in den langgezogenen Sätzen. Die Zuhörer aber besprachen jedesmal diese interessante Sache: »Ist es möglich, daß es so teure Städte gibt? Verdammte Garnison!« In den letzten Zeilen guckte etwas wie ein Aderlaß durch: der Briefschreiber erbat zwölf Franken, um ein Paar Stiefel ersetzen zu können, die er verloren habe.

»Ah! Ah!« schrie Bécu. »Ein ganzer Kerl, der Bursch!«

Nachdem die zwei Liter geleert worden, verlangte Jesus zwei Flaschen versiegelten Weines zu zwanzig Sous. Er zahlte stets sofort, um die Aufmerksamkeit der anderen Gäste zu erregen; er klopfte mit seinem Gelde auf den Tisch und lärmte über Gebühr. Sobald das erste Silberstück vertrunken war, zog er ein zweites hervor, klemmte es sich wieder ins Auge und schrie, es sei nicht das letzte: wenn sie alle verjubelt seien, gebe es noch mehr.

In dieser Weise verging der Nachmittag. Trinker drängten herein, hinaus, ein allgemeiner Rausch erhitzte die Köpfe. Alle diese Leute, die so schweigsam, so überlegt blickten an den Wochentagen, schrien, hieben mit Fäusten auf die Tische und spien unaufhörlich. Ein großer, magerer Mensch bekam Lust, sich rasieren zu lassen, und sofort setzte ihn Lengaigne mitten unter die anderen Bauern und begann ihm das Leder zu kratzen, daß es sich anhörte, als scheure man ein Schwein ab. Kaum war er fertig, so nahm ein zweiter den Platz ein, dann ein dritter; es machte ihnen Vergnügen. Dabei schwatzte man hin und her und zog über Macqueron her, der sich nicht vor der Tür seiner leeren Schenke sehen ließ. War's nicht die Schuld dieses sauberen Amtsgehilfen, wenn der Tanzmeister nicht hatte kommen wollen? Man half sich, wie man konnte. Natürlich ziehe er es vor, Chausseen zu bewilligen, damit man ihm das Land, das er umsonst hergebe, dreimal über den Wert bezahle. Diese Anspielung rief eine lärmende Heiterkeit hervor. Die dicke Flora aber, für welche dieser Tag den schönsten Triumph bedeutete, lief, trotzdem sie alle Hände voll zu tun hatte, jedesmal unter die Tür und lachte höhnisch, sobald sie Celines neidentfärbtes Gesicht drüben hinter den Scheiben gewahrte.

»Zigarren, Frau Lengaigne!« befahl Jesus mit schallender Stimme. »Von den teuren, zu zehn Centimes!«

Als es dunkel geworden und man die Petroleumlampen angezündet hatte, kam die Becu, um ihren Mann heimzuholen. Doch die beiden Kumpane waren in eine Kartenpartie verwickelt.

»Kommst du? Es ist schon acht Uhr vorüber. Wir müssen doch essen.«

Er maß sie mit dem starren Blick Betrunkener.

»Geh zum Henker!«

Jesus aber rief hoch vergnügt:

»Frau Bécu, ich lade Sie ein ... Gelt, wir wollen uns 'mal alle drei was Gutes tun ... Geben Sie acht, Wirtin! Bringen Sie uns vom Besten, Schinken, Kaninchen, Nachtisch ... Und haben Sie keine Angst. Schauen Sie her ... Aufgepaßt!«

Er tat, als suche er überall an sich herum. Dann plötzlich zog er ein drittes Silberstück hervor und hielt es in die Luft.

»Kuckuck! Da ist es!«

Alles lachte; einem Dicken rannen die Tränen über die Wangen. Dieser Jesus war doch eine gelungene Haut!

Ein paar Bauern traten heran und befühlten zum Scherz seinen Körper, als meinten sie, er müsse die Fünffrankenstücke unter der Haut versteckt haben. Beim Essen aber wiederholte der Strolch zehnmal:

»Wissen Sie, Frau Bécu, wenn's Ihrem Manne recht ist, nehme ich Sie heut zu mir nach Haus mit. Wir wollen's einmal miteinander probieren! ... Einverstanden?«

Das alte Weib war fabelhaft schmutzig, denn, entschuldigte sie sich, sie habe nicht beabsichtigt, beim Feste zu bleiben. Sie war schwarz, mager, zusammengetrocknet gleich einer verrosteten Stricknadel. Das hinderte Hyacinth nicht, ihr an die nackten Schenkel zu greifen. Sowohl sie selbst, wie ihr vollständig betrunkener Mann lachten zu dem Scherze.

»Der wären zwei nicht zuviel!« meinte Becu geifernd.

Es war zehn Uhr, der Ball begann. Durch die Verbindungstür leuchteten die vier Lampen, die an Drähten vom Gebälk herabhingen. Clou, der Hufschmied, war da mit seiner Posaune, und der Neffe eines Seilers aus Bazoches-le-Doyen, der die Geige spielte. Der Eintritt war frei, jeder Tanz kostete zehn Centimes. Der Lehmboden war mit Wasser bespritzt worden, damit es nicht staube. Wenn die Musik schwieg, vernahm man vom Schießstande her das kurze, regelmäßige Knallen der Büchsen. Die sonst so finstere Straße aber war hell beschienen von den Scheinwerfern der beiden Buden, dem in Gold glitzernden Zelte des Kramhändlers und dem Roulettespiel, das gleich einer Kapelle mit roten Vorhängen geschmückt war und mit Spiegeln an den Wänden.

»Seht, da ist die Kleine!« rief Jesus trüben Blickes.

Dreckbatzen, von Delphin und Ernst begleitet, trat in den Tanzsaal, und ihr Vater schien keineswegs erstaunt, sie dort zu sehen, obwohl er sie eingeschlossen hatte. Außer der roten Schleife, die in ihrem Haar steckte, trug sie ein Halsband aus falschen Korallen, Perlen in Siegellack, die sich blutrot von ihrer braunen Haut abhoben. Die drei waren müde von ihren Streifereien durch den Festplatz und hatten sich mit allerhand Zuckerwerk den Magen verdorben. Delphin war in Bluse und trug seinen runden, struppigen Kopf ohne Bedeckung, ein kleiner Wilder, der sich im freien Felde, in Schlupfwinkeln und Höhlen wohl fühlte. Ernst hingegen liebte bereits städtische Eleganz; er trug einen bei Lambourdieu gekauften Anzug, einen jener in der niederen Konfektion von Paris grosweise verfertigten Anzüge, und einen melonenförmigen Hut, um seine Verachtung gegen das Heimatsdorf zu zeigen.

»Kleine!« rief Jesus. »Komm her, kost' 'mal das hier ... He? Ist das ein famoser Saft?«

Er ließ sie aus seinem Glase trinken, während die Bécu ihren Sohn strengen Tones fragte:

»Was hast du mit deiner Mütze gemacht?«

»Verloren.«

»Verloren? Komm her, daß ich dir eine herunterhau'!«

Doch Bécu, geschmeichelt durch die vorzeitigen Galanterien seines Sohnes, legte sich ins Mittel.

»Laß ihn doch, er wird jetzt ein Mann ... Also ihr Taugenichtse bändelt schon mit Mädels an? ... Ein Hauptkerl, hol mich der Fuchs!«

»Geht, amüsiert euch«, schloß Jesus väterlichen Tones. »Und führt euch anständig auf.«

»Sie sind besoffen wie die Schweine«, sagte Ernst verächtlich, während das Kleeblatt in den Ballsaal zurückging.

Dreckbatzen lachte.

»Ich glaub's! Ich rechnete darauf ... Darum sind sie ja so zahm.«

Der Ball wurde lebhafter, man vernahm nichts mehr als die Posaune von Clou, die das dünne Gefiedel der Violine erstickte und verschlang. Die starken Sohlen der Tanzenden kneteten den reichlich begossenen Fußboden. Aus all den fliegenden Weiberröcken aber, aus den Wämsern und Miedern, die sich unter den Achseln mit großen Schweiß flecken näßten, stieg ein durchdringender Geruch empor und mengte sich mit dem ätzenden Qualm der Lampen. Aber zwischen zwei Quadrillen erregte das Erscheinen Bertas Aufsehen. Die Tochter Macquerons hatte ein seidenes Kleid, das genau nach dem Muster einer Toilette gemacht war, welche die Tochter des Steuereinnehmers von Cloyes am Sankt-Lubin-Tage getragen. Sollten ihre Eltern ihr erlaubt haben zu kommen? Oder war sie ihnen heimlich entschlüpft? Es wurde sehr bemerkt, daß das Fräulein ausschließlich mit dem Sohne eines Stellmachers tanzte, mit dem zu gehen ihr Macqueron verboten, weil die beiden Familien in Feindschaft waren. Jeder machte seine Glossen; es scheint, daß die Kleine es nicht mehr für gut befindet, sich allein die Gesundheit zu ruinieren.

Trotz seiner Trunkenheit bemerkte Jesus am Eingang des Tanzbodens den häßlichen Kopf des Schulmeisters, dessen Blick den Tanz Bertas und ihres Galans verfolgte. Er vermochte nicht, an sich zu halten.

»He! Herr Lequeu,« rief er, »tanzen Sie nicht mit Ihrer Geliebten?«

»Wer ist das, meine Geliebte?« gab der Schulmeister grüngelb vor Ärger zurück.

»Nun, die Seidene da drüben!«

Wütend, daß man ihn durchschaut, wandte sich Lequeu ab und verharrte unbeweglich in dem überlegenen Schweigen, mit dem sein Stolz sich zu umgeben pflegte. Jesus aber rief den vorbeistreifenden Wirt heran.

»Na? Hab' ich's dem Tintenkleckser gegeben? ... So ein Männchen glaubt, die reichen Mädchen sind für ihn da! Wart ein wenig! ... Übrigens ist an der Berta nicht mal was dran; die hat ja nur auf dem Kopfe Haare.«

Sehr aufgeräumt bekräftigte er die Sache, als ob er sie gesehen habe. Man sprach davon von Cloyes bis Ghateaudun; alle Burschen trieben ihren Spaß damit. Nicht ein Härchen, auf Ehrenwort! Die Stelle ist so glatt wie das Kinn eines Pfarrers. Erstaunt über dieses Naturwunder erhoben sich alle, um Berta nachzublicken, wie sie mit fliegenden Röcken im Tanze vorüberkam.

Lengaigne duzend, setzte Jesus hinzu:

»Da ist deine Tochter aus anderem Stoff gemacht; die hat welche, wie?«

Geschmeichelt versetzte jener:

»Na ob!«

Susanne war jetzt in Paris, »in der höheren Mädchenschule«, wie man sich erzählte. Ihr Vater behandelte die Sache diskret, redete von einem guten Platz, den sie habe. Während er noch sprach, fragte ihn ein eben eintretender Bauer, wie es seinem Sohne Viktor gehe? Er zog wieder den Brief hervor: »Meine lieben Eltern, ich lasse Euch wissen, daß wir jetzt in Lille in Flandern liegen ...« Alles horchte auf. Leute, die das Schreiben schon fünf- oder sechsmal vernommen, traten herzu. »Sagt er wirklich sechzehn Sous?« »Ja, sechzehn Sous! Da steht's.«

»Verflixtes Land!« meinte Bécu.

In diesem Augenblick kam Hans und schritt geradewegs zum Tanzboden, als suche er dort jemanden. Enttäuscht und betrübt kehrte er in die Schankstube zurück. Seit zwei Monaten wagte er nicht mehr so häufig Besuche bei Buteau zu machen, denn dieser begegnete ihm kühl, fast feindlich. Zweifelsohne hatte er seine Gefühle für Franziska schlecht verborgen; der Kamerad mochte die tiefe Freundschaft, die ihn ganz erfüllte, gewahr geworden sein. Das mißfiel ihm vermutlich, durchkreuzte es doch seine Pläne.

»Guten Abend«, rief Hans und näherte sich dem Tische, wo Fouan und Delhomme eine Flasche Bier tranken.

»Wollen Sie mithalten, Korporal?« bot ihm Delhomme höflich an.

Hans nahm an und sagte, nachdem er mit beiden angestoßen:

»Merkwürdig, daß Buteau nicht da ist.«

»Da kommt er grad!« versetzte Fouan.

Buteau war allein, was Hansens Stirne noch mehr umdüsterte. Der andere machte die Runde durch das Lokal und schüttelte diesem und jenem die Hand; endlich blieb er vor dem Tische seines Vaters und seines Schwagers stehen und erklärte, er trinke nichts und wolle sich nicht setzen.

»Lise und Franziska tanzen nicht?« fragte Hans nach einer Weile, und seine Stimme zitterte.

Buteau blickte ihn scharf an mit seinen kleinen, grauen Augen.

»Franziska schläft, das ist gesünder für die Jugend.«

Eine Szene an einem anderen Tische brach die Unterhaltung ab. Jesus lag sich mit Flora in den Haaren: er hatte eine Flasche Rum verlangt, um einen gebrannten Punsch zu machen; sie weigerte sich, sie ihm zu geben.

»Nichts mehr! Sie sind betrunken genug.«

»Wa ... Was piepst du da? Glaubst du, Hexe, ich werde dich nicht bezahlen? Ich kauf dir deine ganze Baracke ab, willst du? Ich brauch' mich nur zu schneuzen, schau her!«

Er hielt in der Faust sein letztes Fünffrankenstück versteckt, faßte seine Nase mit zwei Fingern, prustete laut, tat als schnaube er das Geld heraus, und zeigte es dann wie eine Hostie herum.

»Das schneuze ich aus, wenn ich verschnupft bin!«

Donnernder Beifall erschütterte die Wände. Floras Widerstand war gebrochen, sie brachte den Liter Rum, Zucker und eine Schüssel. Jesus aber lenkte jetzt die Aufmerksamkeit des ganzen Saales auf seine Person, wie er mit erhobenen Ellbogen den brennenden Grog umrührte, während die Flammen sein kupfernes Gesicht durchglühten und den dichten Nebel des Tabak- und Lampenqualmes in roten Rauch verwandelten. Doch der Anblick des Geldes hatte Buteau aufgeregt.

»Du Lump,« brach er los, »schämst du dich nicht, so das Geld zu vertrinken, das du unserm Vater stiehlst?«

Der andere nahm die Sache scherzend.

»Der Kleine spricht! Hast heut wohl noch nichts gegessen, mein Junge, daß du so albernes Zeug daherschwatzest?«

»Ich sag', daß du ein Schurke bist, der im Zuchthaus enden wird. Um deinetwegen ist unsere Mutter aus Gram gestorben.«

Der Trunkenbold hieb mit seinem Löffel in die brennende Schüssel, daß die Flammen lodernd emporzüngelten; dabei kicherte er in sich hinein:

»Gut, gut! nur weiter! ... Natürlich bin ich's, wenn du es nicht bist.«

»Und ich sag' ferner, daß Faulenzer von deinem Gelichter nicht verdienen, daß das Getreide wächst ... Wenn man bedenkt, daß du unser Eigen, diesen ganzen schönen Grund, den unsere Alten mit soviel Mühe für uns zusammengehalten, daß du das verpfändet, Fremden hingeworfen hast ... Elende Kanaille, was hast du mit unserm Land gemacht, mit unserer Erde?«

Jetzt wurde Jesus lebhaft. Sein Punsch erlosch, er aber richtete das Haupt empor, lehnte die Hünengestalt in seinem Stuhl zurück und begann, während alles seiner Antwort lauschte:

»Die Erde?! Aber sie hat dich ja zum besten, deine Erde! Du bist ihr Sklave, sie nimmt dir dein Vergnügen, deine Kraft, dein Leben, Dummkopf! Und sie bereichert dich nicht einmal! ... Ich hingegen, der ich die Hand in den Schoß lege und sie verachte, der ich nichts für sie habe als Fußtritte, ich, siehst du, bin Rentier und trink' nach meinem Durst! ... Du Hansnarr du!«

Die Bauern lachten noch, während Buteau, durch diesen plötzlichen Ausfall überrascht, nur zu stottern wußte:

»Nichtsnutz! Faulpelz, der nichts arbeitet und sich noch dessen rühmt.«

»Die Erde, welch ein Ammenmärchen!« fing Jesus lauter als vorher an. Du bist einfältig, mein Junge, wenn du immer noch an diese Fabel glaubst ... Die Erde, der Grundbesitz? Gibt's denn das überhaupt? Es gehört mir, es gehört dir, es gehört niemandem. War's nicht des Alten Eigentum? Hat er's nicht zerstückeln müssen, um es uns zu geben? Und wirst du's nicht wieder zerschneiden für deine Kinder? ... Also was? Das kommt, das geht, das vermehrt sich, verringert sich ... Es verringert sich ganz besonders; denn schau, heut kommst du dir wie ein großer Herr vor mit deinen sechs Morgen, und unser Vater hatte neunzehn ... Mich hat es angewidert, es war mir zu klein, ich hab's verjuckst. Und dann, mein Junge, ich liebe die soliden Anlagen, und der Grundbesitz, weißt du, der geht aus der Naht! Ich würd' nicht einen Liard darauf wagen; schlechtes Geschäft das; mir schwant etwas von einer Katastrophe, einem Riesenbankerott, wo ihr die Gimpel seid.«

Eine Totenstille herrschte in der Schenke. Niemand lachte mehr; besorgt blickte alles nach dem unheimlichen Recken, der in seinem Rausche seine Gedanken hervorsprudelte, die im Feldzug in Afrika, in allen Städten, die er durchstreift, in allen Weinstuben, die er besucht, sich in ihm abgelagert hatten; ein wirres Durcheinander von Vorstellungen, aus denen sich deutlich abhob: der Achtundvierziger, der Kommunist, dem 1789 als das Höchste galt.

»Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! Jawohl, aber nicht ohne eine neue Revolution. Man hat uns betrogen bei der Teilung, die Bürger haben alles genommen, aber, potz Blitz und Kanonen! man wird sie zwingen, es wieder herauszugeben ... Ist ein Mensch nicht soviel wert wie der andere? Ist es zum Beispiel Gerechtigkeit, daß dieser Tropf in der Borderie alles hat und ich nichts? Ich verlange meine Rechte, verlange mein Teil, jedermann soll sein Teilhaben.«

Bécu war zu betrunken, um die Obrigkeit zu verteidigen; er nickte, ohne zu verstehen. Nur einen Augenblick schien er etwas klarer zu sehen, er lallte:

»Ja! Ja! ... Aber der König ist der König. Was mein ist, gehört nicht dir.«

Ein Beifallsgemurmel lief durch die Menge, und Buteau vergalt ihm, indem er rief:

»Hört ihn nicht an; er verdient, das man ihn abtut.«

Das Lachen setzte wieder ein; Jesus aber verlor alles Maß, er sprang auf, fuchtelte mit den Fäusten durch die Luft und donnerte los:

»Wart, wenn's wieder losgeht, wollen wir uns sprechen ... Jawohl, ich hab' ein Wort mit dir zu reden, verwünschte Memme! Du spielst den Helden heut, weil du mit dem Schulzen, mit seinem Schreiber, mit deinem Viersousabgeordneten bist! Nicht wahr? dem Herrn Abgeordneten machst du Katzenbuckel, bist vernagelt genug, dir einzubilden, er sei der Stärkere, er könne dir dein Getreide verkaufen helfen? Ich hab' nichts zu verkaufen, aber mit dir, mit dem Schulzen, seinem Schreiber, dem Abgeordneten, mit den Gendarmen –schau her, was ich mit euch allen mache! Morgen kommt an uns die Reihe, da werden wir die mächtigen sein; nicht ich allein, all' die armen Teufel, die genug haben, in Hunger und Elend zu verkommen, und dann die anderen, ihr nämlich, gewiß ihr, sobald ihr mal werdet müde sein, den Bürger zu füttern und euch selbst nicht einmal satt zu essen! ... Dann gibt's keine Grundbesitzer mehr, das Land gehört dem, der es nimmt. Hörst du, Junge, das Land, ich nehm's mir und scheiße drauf.«

»Ja, komm' nur, daß ich dich niederschieß' wie einen Hund!« rief Buteau so außer sich, daß er, die Tür hinter sich ins Schloß werfend, ins Freie stürzte.

Lequeu hatte sich schon vor einer Weile protestierend zurückgezogen; er durfte sich als Beamter nicht durch das Anhören solcher Dinge bloßstellen. Fouan und Delhomme schwiegen beschämt und bückten sich auf ihr Glas nieder; sie wußten, daß der Säufer noch lauter schreien würde, wenn sie versuchen wollten, ihn zu beschwichtigen. Die Bauern an den benachbarten Tischen aber begannen zu grollen: Wie, ihr Gut sei nicht ihr Eigen, man wolle es ihnen nehmen? Sie wurden unruhig und machten Miene, sich auf den Empörer zu werfen und ihn mit Fausthieben hinauszuwerfen. Da aber erhob sich Hans. Er hatte den Schreier nicht aus den Augen gelassen, hatte keines seiner Worte verloren und blickte ernst drein, als suche er, was wohl Wahres sei an diesen Worten, die ihn ebenfalls mächtig bewegten.

»Jesus,« sprach er gemessen, »Ihr tätet besser, zu schweigen. All' diese Dinge spricht man nicht aus; wenn Ihr zufällig recht habt, seid Ihr sehr töricht, denn Ihr bringt Euch selbst um dieses Recht.«

Dieses bedachte und weise Wort beruhigte Jesus sofort. Er fiel wieder auf seinen Stuhl und erklärte, ihm sei schließlich alles egal. Er begann wieder seine Dummheiten, küßte die Bécu, deren Mann mit dem Kopf auf dem Tisch eingeschlafen war; er nahm die Schüssel in die Hand und trank seinen Punsch aus. Die muntere Laune kehrte zurück; dichter qualmte der Tabakrauch, alle erklärten, Jesus sei trotz alledem eine gesunde Frucht.

Im Hintergrunde der Scheuer drehten sich noch immer die Paare. Clou ließ kräftig den begleitenden Baß der Posaune schwellen, deren dröhnende Stimme das dünne Gezirp der Geige überbrummte. Tänzer und Tänzerinnen trieften von Schweiß, der den rußigen Dampf der Lampen durchdunstete. Die rote Kleidung von Dreckbatzen schimmerte durch den Nebel; bald war's Ernst, mit dem sie walzte, bald lag sie in den Armen Delphins.

Auch Berta war noch da und wirbelte immer nur mit ihrem treuen Galan durch das kreisende Gewoge, während in einem Winkel die Burschen, denen sie einen Korb gegeben, im Chor ihrer spotteten. Wenn es diesem Tölpel gleichgültig war, ob sie hatte oder nicht, dann tat sie recht, bei ihm zu bleiben; andere hätten trotz ihres Geldes lieber gewartet, bis ihr welche wüchsen.

»Gehen wir schlafen«, sagte Fouan zu Hans und Delhomme.

Nachdem auf der Straße Hans den beiden Lebewohl gesagt, schritt der Alte schweigend dahin und schien die Reden, die er heute gehört, in seinem Hirn zu verarbeiten. Als hätten ihn diese Dinge entschieden, wandte er sich plötzlich an seinen Schwiegersohn:

»Ich werde das Haus verkaufen und zieh' zu Euch. Es ist abgemacht ... Gute Nacht!«

Langsamen Schrittes wandelte er einsam seinem Heim zu. Aber sein Gang war beklommen, seine Füße strauchelten auf dem finstern Wege; eine unsägliche Traurigkeit hing bleischwer an seiner Ferse, er taumelte wie ein Trunkener. Er hatte kein Land mehr und bald auch kein Haus mehr. Ihm war's, als zersäge man ihm die alten Dachbalken, als hebe man die graue Schieferbedachung hinweg, die ihn so lange beschirmt; ihm kam's vor, als sei er plötzlich ohne Heim, ohne Obdach, müsse wie ein Bettler Tag und Nacht die Wege entlang irren, und wenn es regne, triefe das kalte, endlos rieselnde Wasser auf sein Haupt.


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