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Fünftes Kapitel.

Wenn's nur mit der Coliche nicht am selben Tage losgeht wie mit mir!« wiederholte Lise jeden Morgen.

Mit ihrem enormen Leib blieb sie vor der Kuh stehen, deren Bauch ebenfalls von einer übermäßigen Fülle war. Niemals hatte man eine trächtige Kuh von diesem Umfang gesehen; sie war wie eine Tonne anzuschauen, und ihre Beine schienen ganz dünn daneben. Die neun Monate fielen gerade auf den Tag des Sankt Fiacre, denn Franziska hatte das Datum verzeichnet, an dem sie Coliche zum Stier geführt. Lise war ihrer Sache weniger sicher, denn dies Kind kam, ohne daß man recht wußte wie; doch um den Sankt-Fiacre-Tag herum erwartete auch sie es, vielleicht einen Tag früher oder später. Sie wußte es eben nicht genau und wiederholte besorgt:

»Wenn's nur mit der Coliche nicht am selben Tage losgeht wie mit mir! ... Das wäre eine schöne Geschichte, du lieber Gott!

Die Coliche war seit zehn Jahren Eigentum der Geschwister, darum hing man sehr an ihr. Sie war gleichsam ein Mitglied der Familie geworden; zur Winterszeit brachte man die Abende in ihrem Stalle zu, ihre warme Ausdünstung ersetzte die Heizung im Hause. Die Kuh zeigte sich ihnen ebenfalls sehr zugetan; sie liebte besonders Franziska; aus ihren großen Augen schaute ein zärtlicher Blick, sobald sie das Mädchen gewahr wurde. Sie leckte sie mit ihrer scharfen Zunge, bis fast das Blut hervorquoll, sie ergriff mit ihren scharfen Zähnen die Schürze der Kleinen, um sie zu sich heranzuziehen und festzuhalten. Als darum die Zeit des Kalbens herannahte, ließ man ihr die sorgsamste Pflege angedeihen; sie bekam Suppen, wurde zur schönsten Tageszeit ins Freie geführt und unausgesetzt gehütet und überwacht. Es war nicht bloß die Liebe zu dem Tiere, welche diese Behandlung hervorrief, man vergaß auch nicht die fünfzig Pistolen, welche die Kuh darstellte, die Milch, die Butter, den Käse, ein ganzes Vermögen, das mit ihrem Leben auf dem Spiele stand.

Seit der Ernte waren vierzehn Tage vergangen; Franziska lebte wie früher, als sei nichts zwischen ihr und Buteau vorgegangen. Er schien sie vergessen zu haben; sie selbst vermied den Gedanken an solche Dinge, die ihre Sinne erregten. Hans, den sie getroffen und vor Buteau gewarnt, hatte sich nicht wieder bei ihnen blicken lassen. Er lauerte ihr hinter den Hecken auf und bat sie, sich abends aus dem Hause zu stehlen, um mit ihm zusammenzutreffen. Sie erschreckten solche Reden, sie schlug es ihm ab, indem sie ihre Kälte hinter einer ängstlichen Vorsicht versteckte. Später, wenn man daheim ihrer weniger bedürfe! Als er eines Abends ihrer habhaft geworden, wie sie zu Macqueron Zucker kaufen ging, verweigerte sie es hartnäckig, ihn hinter die Kirche zu begleiten, und sprach von nichts anderem als von der Coliche, nannte gewisse Anzeichen, –das Knacken der Knochen, das Öffnen des Hintern –die, wie der Bursch bestätigte, verriet, daß der Tag des Kalbens heranrücke.

Gerade am Vorabend des Sankt Fiacre wurde Lise von heftigen Schmerzen befallen, wie sie im Stall mit ihrer Schwester die Kuh beobachtete, die mit gespreizten Hinterfüßen stehend, Klagetöne hervorstieß, als leide sie ebenfalls.

»Was habe ich gesagt!« rief die Frau aufgebracht. »Na, das wird was werden!«

Vornübergebeugt preßte sie zornig mit beiden Händen ihren Leib, als wolle sie ihn strafen, und rief, er solle warten, sie habe Zeit. Wie Fliegen prickelte es ihr in den Seiten; von den Lenden zog ein unerträglicher Schmerz bis in die Knie hinunter. Sie war nicht zu bewegen, sich ins Bett zu begeben; sie ging hin und her und erklärte, sie wolle heute nicht entbinden.

Als sich bis zehn Uhr noch immer nichts ereignete, legte sich Buteau schlafen, während die Geschwister, nachdem man Julius zu Bett gebracht, im Stall bei Coliche blieben, deren Leiden zuzunehmen schienen. Sie wurden besorgt, denn die Sache ging nicht vom Fleck, trotzdem die Beckenerweiterung stattgefunden. Warum kam das Kalb nicht zum Vorschein? Sie schmeichelten der Kuh, Sprachen ihr Mut zu und brachten Zucker und andere Leckerbissen herbei. Das Tier nahm nichts, sondern stand hängenden Kopfes da, ein zitternder Krampf lief ihm das Kreuz hinab. Gegen Mitternacht fühlte Lise, die sich stöhnend vor Schmerz gekrümmt, plötzlich eine große Erleichterung; ihre Stunde war noch nicht gekommen, sie aber bildete sich ein, sie habe sie hinausgeschoben, indem sie sich so heftig dagegen gesträubt, wie man ein Bedürfnis zurückdrängen kann. Die ganze Nacht wachten die Geschwister bei Coliche, legten ihr heiße Tücher auf den Leib und pflegten sie unermüdlich. Rougette, die vor zwei Jahren gekaufte Kuh, blickte schläfrigen Auges erstaunt auf das brennende Talglicht im Stall. Als bei Tagesgrauen noch immer kein Fortschritt festgestellt werden konnte, entschloß sich Franziska, ihre Nachbarin, die Frimat zu holen. Die letztere besaß Erfahrung in der Sache, sie hatte schon so mancher Kuh geholfen, und man pflegte sie in schwierigen Fällen gern zu Rate zu ziehen, um den Besuch des Tierarztes zu ersparen. Sobald sie Coliche gewahr geworden, machte sie ein bedenkliches Gesicht.

»Sie sieht nicht gut aus«, murmelte die Frau. »Seit wann ist sie so?«

»Seit zwölf Stunden!«

Sie schnüffelte kopfschüttelnd an dem Tier herum und blickte so finster dabei, daß die beiden Schwestern noch mehr Angst bekamen.

»Ach, da kommt die Blase«, schloß die Frimat ihre Untersuchung. »Warten wir ab.«

Den ganzen Morgen verfolgten die Frauen, wie die vom Fruchtwasser geschwellte und hervorgedrängte Blase sich bildete und wuchs. Man prüfte sie, sprach über den Umfang und die Form; die Weiber entdeckten nichts Außergewöhnliches, sie schien ihnen vielleicht etwas bedeutend. Doch um neun Uhr hielt die Geburtsarbeit von neuem inne, die Wasserblase hing schlaff herab und schaukelte kläglich hin und her bei dem krampfhaften Erzittern der Kuh, deren Zustand sich von Minute zu Minute verschlimmerte.

Als Buteau zum Frühstück vom Felde heimkam, ergriff ihn ebenfalls Besorgnis. Er sprach davon, Patoir zu holen, obwohl der Gedanke an die Geldausgabe ihn erschreckte.

»Ein Tierarzt?« versetzte die Frimat bitter. »Damit er sie umbringt, gelt? Die vom alten Saucisse ist ihm vor der Nase krepiert ... Nein, weißt du, ich werd' die Blase öffnen und dir dein Kalb herausholen!«

»Aber,« wandte Franziska ein, »Herr Patoir verbietet das Öffnen; er sagt, das Wasser hilft bei der Geburtsarbeit.«

Die Frimat zuckte ärgerlich die Achseln.

»Papperlapapp! Was weiß der?«

Und ehe man sich's versah, hatte sie mit einer Schere die Blase aufgeschnitten. Wie aus einer Schleuse platzte das Fruchtwasser hervor und bespritzte alle, da niemand Zeit gehabt, auf die Seite zu treten. Einen Augenblick schien Coliche eine große Erleichterung zu verspüren, und die alte Frau triumphierte. Sie schmierte sich die rechte Hand mit Butter ein und drang damit in den Leib der Kuh, um die Lage des Kalbes festzustellen. Angstvoll sahen Lise und Franziska zu, wie die Nachbarin bedächtig in der Kuh herumsuchte. Auch Buteau, der nicht wieder aufs Feld zurückgekehrt war, stand unbeweglich und mit angehaltenem Atem daneben.

»Ich habe die Füße,« murmelte die Frimat; »aber den Kopf finde ich nicht ... Es ist nichts wert, wenn man den Kopf nicht fühlen kann.«

Sie mußte ihre Hand hervorziehen. Die Goliche begann plötzlich schmerzhaft zu brüllen, drängte mit aller Kraft, und die Füße des Kalbes kamen zum Vorschein. Das war doch etwas! Den Buteaus fiel ein Stein vom Herzen; ihnen war, als hätten sie schon ein Stück von ihrem Kalbe, wie sie die Füße dort hervorgucken sahen. Als fürchteten sie, dieselben könnten wieder verschwinden, hatten sie nur noch den einen Gedanken, schnell das Kalb herauszuziehen.

»Es ist vielleicht klüger, die Sache ihren Gang gehen zu lassen«, wandte die Alte vorsichtig ein.

Franziska teilte diese Ansicht. Doch Buteau war sehr aufgeregt. Jeden Augenblick trat er hinzu, betastete die Füße des Kalbes, konnte nicht erwarten, daß sie länger wurden. Plötzlich ergriff er einen alten Strick, befestigte ihn an den hervorschauenden Gliedmaßen; Lise, ebenfalls fieberhaft erregt, half ihm; da gerade die Bécu, von ihrem Spürsinn geführt, in den Stall trat, faßten sie allesamt die Leine: voran Buteau, dahinter die Frimat, die Bécu, Franziska, und das Ende faßte Lise mit ihrem mächtigen Leib.

»Aufgepaßt! Ohe ho!« kommandierte Buteau ... »Verflixt! Das Kamel hat sich nicht einen Zoll breit gerührt, es ist angewachsen, meiner Treu!«

»Ohe ho!« wiederholten die Frauen keuchend und zogen ein zweites Mal.

Aber plötzlich zerriß der Strick; fluchend fiel die ganze Gesellschaft in die Streu.

Lise war bis an die Wand gerollt; erschreckt hoben die Weiber sie auf.

»Macht nichts, es hat mir nichts geschadet,« beteuerte sie.

Doch kaum stand sie auf den Beinen, so flirrte es ihr vor den Augen, sie mußte sich setzen. Eine Viertelstunde später krümmte sie sich wieder; die Wehen hatten von neuem begonnen und bearbeiteten in regelmäßigen Zwischenräumen ihren Leib. Sie hatte gemeint, es sei ihr gelungen, die Sache aufzuschieben. Welch ein Pech, daß die Kuh sich nicht mehr beeilte, sie ist imstande und holt das Tier ein. Man entwischt seinem Schicksal nicht: es stand geschrieben, daß Kuh und Weib zusammen niederkommen sollten. Sie stöhnte laut; Buteau fuhr sie zornig an:

»Warum, zum Teufel, hast du mitziehen müssen! Geht dich der Bauch der anderen etwas an? Entleere den eigenen zuerst!«

Sie litt solche Schmerzen, daß sie sich nicht enthalten konnte, ihm grob zu antworten. Wenn der Saukerl ihr den Bauch nicht gefüllt hätte, würde sie die schwere Last nicht haben.

»Das alles sind Redereien, die zu nichts führen«, bemerkte die Frimat.

»Es erleichtert immerhin«, meinte die Becu.

Der kleine Julius wurde zu den Delhommes geschickt, damit er nicht im Wege stehe. Man wartete in der größten Aufregung bis sieben Uhr abends, ohne daß die Lage der Dinge sich wesentlich veränderte. Lise wand sich wehklagend auf einem alten Stuhle; Coliche stöhnte ohne Unterlaß, den Leib in Schweiß gebadet und von Krämpfen geschüttelt. Rougette, die zweite Kuh, blökte, von Furcht ergriffen. Franziska verlor den Kopf. Buteau fluchte und meinte schließlich, man müsse noch einmal versuchen. Er holte zwei Nachbarn, und jetzt begannen sechs Personen mit Hilfe eines neuen Strickes zu ziehen, als gelte es, eine Eiche zu entwurzeln. Diesmal zerriß das Seil nicht, aber Coliche stürzte auf die Seite und blieb keuchend im Stroh liegen.

»Wir bekommen es nicht,«, rief Buteau, »und das Vieh geht uns mit drauf.«

Franziska faltete bittend die Hände:

»Hole Herrn Patoir! ... Mag's kosten, was es wolle, hole Herrn Patoir!«

Noch kämpfte er mit seinem Entschluß; dann verließ er wortlos den Stall und zog den Wagen aus dem Schuppen.

Seit wieder vom Tierarzt die Rede war, wandte sich die Frimat protestierend von der Kuh ab und machte sich um Lise zu schaffen. Sie besaß auch in den Entbindungen der Frauen eine gewisse Praxis, hatte mancher Wöchnerin geholfen. Sie schien allerhand Besorgnis zu haben, teilte der Bécu ihre Befürchtungen mit, und diese begab sich zu Buteau, der im Begriff stand, sein Pferd einzuspannen.

»Hört, mit Eurer Frau geht's nicht gut. Wie wär's, wenn Ihr auch gleich den Doktor mitbrächtet?«

Verdutzt blickte er drein. Wie? Noch eine, die sich verhätscheln lassen will? Er kann doch nicht für alle Welt zahlen?

»Aber nein, nein!« rief Lise hinaus. »Es wird schon gehen! Man hat doch das Geld nicht zum Hinauswerfen.«

Flugs trieb ihr Mann den Gaul an, und das Gefährt verschwand im Abenddunkel auf der Landstraße von Cloyes.

Als endlich zwei Stunden später Patoir anlangte, fand er alles noch in derselben Verfassung. Coliche lag röchelnd auf der Seite, Lise krümmte sich wie ein Wurm auf ihrem Sessel. Seit vierundzwanzig Stunden dauerte die Sache.

»Welche von den zweien?« fragte der Tierarzt, der den Scherz liebte.

Lise duzend, fuhr er fort:

»Dicke, sei so gut und geh' zu Bett, du hast es nötig.«

Sie antwortete nicht und ging nicht. Er aber fing an die Kuh zu untersuchen.

»Teufel, euer Vieh ist in einem schönen Zustand. Ihr holt mich immer erst, wenn es schon zu spät ist ... Und ihr habt gezogen, ich seh' das. Unglaublich! Ihr Tölpel reißt lieber das ganze Tier auseinander, statt zu warten.

Den Blick zu Boden gerichtet, hörten sie ihn achtungsvoll an, nur die Frimat spitzte verächtlich die Lippen. Patoir zog seinen Rock aus, streifte die Hemdärmel empor, schob die Füße des Kalbes wieder in den Leib zurück, nachdem er vorher einen Faden daran geknüpft, um sie wieder hervorziehen zu können; hierauf tauchte er seine rechte Hand in das Innere des Tieres.

»Natürlich,« rief er nach einigen Augenblicken, »es ist, wie ich dachte: der Kopf ist nach links umgebogen. Ihr hättet bis morgen früh ziehen können und hättet es nie herausgebracht. Und wißt ihr, meine Kinder, euer Kalb ist geliefert. Ich hab' keine Lust, mir beim Umwenden von seinen Beißern die Finger zwicken zu lassen. Übrigens würde ich's doch nicht retten und könnte höchstens der Mutter Schaden tun.«

Franziska brach in Tränen aus.

»Herr Patoir, ich beschwöre Sie, retten Sie unsere Kuh! Die arme Coliche liebt mich so sehr.«

Lise, die gelbgrün geworden bei ihren immer noch zunehmenden Wehen, bat mit ihrer Schwester, und selbst Buteau, den fremdes Leid so wenig zu rühren pflegte, stimmte jammernd ein:

»Retten Sie unsere Kuh, unsere alte Kuh, die uns seit Jahren und Jahren so gute Milch gibt ... Retten Sie ihr das Leben, Herr Patoir ...«

»Ja, verstehen wir uns recht, ich werde genötigt sein, das Kalb zu zerschneiden.«

»Ach, das Kalb! Was liegt uns am Kalbe! ... Retten Sie nur die Kuh, Herr Patoir.«

Jetzt ließ sich der Tierarzt, der eine blaue Schürze mitgebracht hatte, eine leinene Hose geben, trat hinter die Rougette, entkleidete sich vollständig, zog schnell das Beinkleid an und band sich die Schürze um den Leib. Als der feiste, kurzbeinige Herr, mit seinem gutmütigen Doggengesicht in diesem leichten Kostüm wieder zum Vorschein kam, hob die Coliche das Haupt, hörte zu brüllen auf und blickte augenscheinlich verwundert den Mann an. Keines der Anwesenden aber lächelte über die seltsame Erscheinung; bange Erwartung nahm aller Herzen gefangen.

»Steckt Lichter an!«

Er ließ vier Lichter auf den Boden stellen, dann streckte er sich auf dem Bauche hinter der Kuh, die sich nicht mehr erheben konnte, ins Stroh. Einen Augenblick blieb er so beobachtend dicht vor dem Hinterteil des Tieres liegen; dann zog er an dem Bindfaden von neuem die beiden Füße hervor und untersuchte sie aufmerksam. Zu seiner Rechten hatte er ein längliches, kleines Etui auf die Erde gelegt; auf einen Ellbogen gestützt, zog er daraus ein Messer hervor, als ihn plötzlich ein dumpfes Stöhnen auf fahren ließ ... Kniend erhob er sich.

»Wie, dicke Mama, du bist noch da? ... Hab's mir gedacht, das könnte nicht die Kuh sein.«

Lise quälte sich in den furchtbarsten Schmerzen.

»Aber, mein Gott, mach doch deine Geschichte anderwärts ab und laß mich hier ruhig meine Geschäfte verrichten! Das stört mich, wahrhaftig, das macht mich nervös, wenn du hinter mir winselst ... Hat man so etwas schon gesehen? Führt sie hinaus, Leute!«

Die Frimat und die Bécu nahmen Lise je unter einem Arm und führten sie ins Zimmer. Sie ließ sie gewähren; ihr fehlte die Kraft, Widerstand zu leisten. Doch als man durch die Küche kam, wo ein einziges Talglicht einsam brannte, bestand sie darauf, daß man wenigstens alle Türen offen lasse, damit sie höre, was vorgehe. Die Frimat bereitete schnell das auf dem Lande übliche Schmerzenslager der Wöchnerinnen: drei am Fußboden umgestürzte Stühle, ein Bund Stroh und ein Laken darüber. Angekleidet, wie sie war, streckte sich Lise darauf hin, den Kopf an einen Stuhl gelehnt, jeden Fuß an einen der beiden anderen gestemmt.

Ihr Rock war auf die Brust zurückgeschlagen und enthüllte den ungeheueren Bauch und die auseinandergespreizten, dicken, weißen Schenkel, daß man ihr bis ins Herz hineinschauen konnte.

Im Stalle leuchteten inzwischen Franziska und Buteau, am Boden hockend, dem Arzte bei seiner Arbeit. Patoir hatte sich wieder auf dem Bauch ausgestreckt. Er schälte mit seinem Messer die Haut vom Gelenk des linken Beines, zog an, und der Schenkel des Kalbes löste sich aus. Aber Franziska wurde plötzlich blaß, ließ den Leuchter fallen und rief davoneilend:

»Die arme Coliche ... Ich will es nicht mit ansehen! Ich will nicht! Ich will nicht!«

Patoir wurde böse, denn er mußte wieder aufspringen, um das Feuer zu ersticken, welches das Licht im Stroh entzündet.

»Verwünschtes Mädel! Das hat Nerven wie eine Prinzessin! ... Sie ist imstande und räuchert uns wie die Schinken.«

Franziska lief schnurstracks in das Zimmer, wo Lise niederkam. Der Anblick ihrer Schwester mit den auseinandergespreizten Schenkeln rührte sie nicht im geringsten, erschien ihr eine natürliche und gewöhnliche Sache nach dem, was sie soeben gesehen. Mit einer Handbewegung verscheuchte sie das Bild der lebend zerschnittenen Gliedmaßen von ihren Sinnen, und erzählte in abgerissenen Worten, was der Arzt mit der Kuh mache.

»Das geht nicht, ich muß mal nachschauen!« unterbrach sie Lise, und versuchte trotz ihrer Leiden sich zu erheben.

Doch die Frimat und Bécu hielten sie gewaltsam zurück.

»Wollt Ihr liegen bleiben! Was habt Ihr denn nur im Leibe?«

Die Frimat setzte hinzu:

»Nun habt Ihr auch die Blase zum Platzen gebracht!«

In der Tat war das Wasser in einem plötzlichen Strahl hervorgeschossen, den das Stroh unter dem Laken sogleich einsog; und es begannen die letzten Ausstoßungswehen. Der nackte Bauch drängte unwillkürlich, schwoll an zum Bersten, während die mit blauen Strümpfen bekleideten Beine sich einbogen und wieder öffneten mit der unbewußten Bewegung eines untertauchenden Frosches.

Die Bécu sagte:

»Zu Eurer Beruhigung will ich hingehen und werde Euch Nachricht bringen.«

Von dem Augenblick an lief die Frau des Feldhüters hin und zurück vom Stall ins Zimmer, ja, um sich den Weg abzukürzen, begnügte sie sich bald, aus der Küche ihre Botschaft der Entbindenden zuzurufen. Patoir setzte inzwischen die Zerstückelung des Kalbes fort, immer in der mit Blut und Schleim getränkten Streu am Boden liegend; es war ein schmutziges Geschäft, bei dem er sich vom Kopf bis zu den Füßen besudelte.

»Es geht alles gut, Lise«, verkündete die Stimme der Bécu. »Jetzt haben wir die zweite Schulter ... Jetzt macht er den Kopf los ... Er hat den Kopf; was für ein Kopf! ... Jetzt ist's vorbei, der Körper ist wie ein Paket herausgefallen.«

Die Wöchnerin begleitete jeden Teil der Operation mit einem schmerzwimmernden Seufzer, aus dem nicht zu entnehmen war, ob er dem Kalbe oder ihrem eigenen Leiden gelte. Doch plötzlich erschien Buteau mit dem Kopfe des Kalbes, um ihn ihr zu zeigen.

»Das schöne Kalb!« riefen alle wie aus einem Munde.

Inmitten ihrer Geburtsarbeit stöhnte Lise mit dem Ausdruck unsäglichen Bedauerns:

»Gott! ist das ein Unglück! ... Das schöne Kalb, mein Gott! ... Nein, solch schönes Kalb, ist das jammerschade! ... Mein Lebtag hab ich nicht ein so schönes Kalb gesehn!«

Auch Franziska stimmte in diese Wehklage ein; bald erhoben alle ein Wehklagen über das verlorene Kalb, und ihre Reden wurden so anzüglich und verletzend, daß Patoir beleidigt herankam. An der Tür blieb er verschämt stehen, dann hob er die Stimme:

»Wißt ihr, ich hab euch darauf vorbereitet, weil ich euch kenne ... Ihr habt verlangt, ich soll euch eure Kuh retten; ich bitt' mir aus, daß ihr jetzt nicht überall erzählt, ich habe euch das Kalb ums Leben gebracht! Verstanden?«

»Natürlich, natürlich«, murmelte Buteau, mit ihm in den Stall zurückkehrend. »Immerhin haben Sie das Kalb zerschnitten.«

Lise, die zwischen ihren drei Sesseln auf der Erde saß, ward jetzt von einer Wehe durchrüttelt, die aus den Lenden kommend, unter der Haut bis in die Tiefe der Schenkel drang und eine immer größere Erweiterung des Leibes herbeiführte. Franziska, die in ihrer Verzweiflung wegen der Kuh bisher nicht hingeschaut hatte, blieb plötzlich ganz betroffen vor ihrer Schwester stehen, deren Blöße ihr gleichsam verkürzt erschien: nichts als die emporgehobenen Ecken der Knie rechts und links von der Kugel des Bauches, in welchem eine runde Höhlung war. Dies war so unerwartet, so formlos, so ungeheuerlich, daß sie davon nicht verletzt schien. Niemals hätte sie sich so etwas vorgestellt: das klaffende Loch einer eingestoßenen Tonne, die weit offene Luke eines Heubodens, durch welche das Heu hinausgeworfen wird, und die von dichtem, schwarzem Efeu starrt. Als sie sah, wie eine zweite, kleinere Kugel –der Kopf des Kindes –bei jeder Wehe zum Vorschein kam und wieder verschwand –gleichsam ein fortwährendes Blindekuhspiel –da wurde sie von einem so heftigen Lachreiz gepackt, daß sie husten mußte, damit man sie nicht der Herzlosigkeit zeihe.

»Nur noch ein wenig Geduld«, erklärte die Frimat. »Es ist sogleich geschehen.«

Sie kniete zwischen den Beinen der Gebärenden und spähte so nach dem Kinde, um es zu empfangen. Aber es machte Umstände, wie die Bécu bemerkte: einen Augenblick verschwand es sogar, als habe es sich ganz zurückgezogen. Jetzt erst schüttelte Franziska den Bann ab, den dieses sie anstarrende Ofenloch über sie gebracht hatte; sie ward verlegen, ergriff die Hand ihrer Schwester und sagte, mit abgewandtem Gesicht:

»Arme Lise, wie leidest du!«

»Ja, ja; und niemand beklagt mich... Wenn man mich beklagte ... Ach, ach! es fängt schon wieder an! Will es denn nicht endlich heraus?«

Es dauerte so lange. Plötzlich hörten die Weiber laute Rufe aus dem Stalle.

Patoir, überrascht, daß Coliche immer noch zu stöhnen fortfuhr, hatte die Anwesenheit eines zweiten Kalbes vermutet. In der Tat, kaum untersuchte er nochmals den Leib der Kuh, so holte er daraus ohne Mühe, als wenn er ein Schnupftuch aus der Tasche ziehe, ein zweites Junges hervor. Die Freude des gemütlichen Tierarztes war so groß, daß er diesmal Anstand und Schicklichkeit vergaß, und von Buteau gefolgt, mit seinem Kalb ins Zimmer der Wöchnerin stürzte.

»Na, Mütterchen, Ihr wolltet ein Kalb, da habt Ihr eines!«

Der halbnackte Mann sah unendlich komisch aus; Brust, Arme, Gesicht waren über und über mit Schmutz besudelt, und in seiner Schürze hielt er das noch nasse Tier, das wie betrunken den wackelnden großen Kopf emporstreckte.

Alles jubelte. Doch als Lise das Kalb erblickte, ward sie plötzlich von einem unbezwinglichen Lachreiz ergriffen.

»Wie drollig! Gott, ist das verrückt, mich so zum Lachen zu bringen... Oh la la, das tut weh!... Nein, nein, hört auf, ich darf nicht lachen, ich geh' zugrunde.«

Aber unaufhörlich kicherte das gewaltsam unterdrückte Lachen gleich einem Schnarchen in ihrer feisten Brust, kollerte bis in den Leib hinab, wo es einen Sturm entfesselte. Sie schwoll davon an, und der Kopf des Kindes hatte seine Pendelbewegung wieder angenommen wie ein abfliegender Ball.

Es wurde noch ärger, als Patoir sich mit dem Handrücken das Gesicht trocknen wollte, wobei er die ganze Stirn mit Kuhmist beschmierte. Alle hielten sich die Seite, die Wöchnerin aber schrie, sich windend, mit den schrillen Lauten einer eierlegenden Henne:

»Hört auf, ich komm' um! Es geht los!«

Das klaffende Loch erweiterte sich noch mehr, daß man glauben mochte, die Frimat, die immer noch vor ihr kniete, werde darin verschwinden; plötzlich brach wie eine Kugel aus einer Kanone das Kind daraus hervor, ganz rot, mit seinen weichen, blassen Gliedmaßen; man hörte nur ein glucksendes Geräusch wie aus dem Halse einer sich leerenden Riesenflasche. Dann begann das Kleine zu winseln, während die Mutter, geschüttelt wie ein schlaff werdendes Euter, noch immer lachte. An dem einen Ende winselte es, am andern Ende lachte es. Buteau schlug sich auf die Schenkel, die Bécu hielt sich die Seiten, Patoir lachte hell auf; selbst Franziska, deren Hand die Schwester in der äußersten Anstrengung schier zerdrückt hatte, ließ nunmehr ihrer Lachlust freien Lauf; sie sah noch immer die Öffnung, so groß wie ein Tor, daß der ganze Gatte hinein konnte.

»Es ist ein Mädchen«, erklärte die Frimat.

»Nein, nein,« sagte Lise; »ich will kein Mädchen, ich will einen Knaben.«

»Dann, meine Liebe, stecke ich sie wieder zurück, und du kannst dir morgen einen Jungen machen lassen.«

Das Gelächter brach von neuem los; man wird schier krank davon. Die Kindbetterin beruhigte sich allmählich und sagte, als sie das Kalb erblickte, mit Bedauern:

»Das andere war so schön! ... Wie schade, es wären zwei Kälber gewesen.«

Patoir machte sich auf den Heimweg, nachdem man der Coliche zwei Liter gezuckerten Weines gegeben. Die Frimat entkleidete inzwischen Lise und brachte sie ins Bett, während die Bécu und Franziska das Stroh forträumten und das Zimmer auskehrten. Zehn Minuten später war alles in Ordnung; nur das unaufhörliche Winseln des Kindes, das man in warmem Wasser wusch, erinnerte daran, daß hier eben eine Entbindung stattgehabt. Die Frauen banden das Kleine in seine Wickeltücher und legten es in die Wiege; nach und nach wurde es still. Die Mutter übermannte ein bleischwerer Schlaf; mit blutgefülltem, fast schwarzem Gesicht lag sie unbeweglich in dem graubraunen Linnen des Bettes.

Als gegen Mitternacht die beiden Nachbarinnen heimgegangen, sagte Franziska zu Buteau, er tue wohl, im Futterboden Ruhe zu suchen. Sie selbst hatte sich neben die Bettstelle eine Matratze auf den Fußboden gelegt, auf der sie zu schlafen gedachte, um die Schwester nicht verlassen zu müssen. Er antwortete nicht, schweigend rauchte er seine Pfeife zu Ende.

Es war sehr still geworden, man vernahm nichts als das regelmäßige Atmen der Schlafenden.

Franziska streckte sich auf ihre Lagerstätte im Schatten der Bettstelle und versuchte ebenfalls zu schlummern. Plötzlich fühlte sie sich ergriffen. Es war Buteau, der seinen Gedanken, das Mädchen besitzen zu wollen, nicht aufgegeben; das Verlangen nach ihr mußte ihn in diesem Augenblick unwiderstehlich gepackt haben, daß er sich nicht scheute, sie hier dicht neben dem Bette seiner Frau zu überfallen nach Vorgängen, die keineswegs einladend waren. Sie stieß ihn zurück, beide rangen miteinander. »Was liegt daran? Ich bin für zwei gut genug«, grinste er.

Er kannte sie wohl; er wußte, sie werde nicht schreien. In der Tat zu stolz, ihre Schwester anzurufen, leistete sie ihm Widerstand, ohne einen Laut von sich zu geben. Er aber hielt sie mit kräftiger Faust; fast nahm's ihr den Atem, schon schien sie verloren.

»Sei doch gescheit,« flüsterte er, »es geht so gut ... Man bleibt immer beieinander in diesem Haus.«

Einen Schrei des Schmerzes unterdrückend, brach er ab: sie; hatte ihm ihre Fingernägel in den Nacken getrieben. Wütend zischelte er:

»Wenn du glaubst, du kannst deinen sauberen Galan heiraten ... Niemals, solang du minderjährig bist ...«

Er fuhr ihr mit roher Hand unter die Röcke, doch ein kräftiger Fußtritt traf ihn zwischen den Beinen; er schrie laut auf. Mit einem Satze war er auf den Füßen und sah nach dem Bette. Seine Frau schlief so fest, daß sie nichts gehört hatte. Mit drohender Gebärde ließ er das Mädchen allein.

Franziska legte sich auf ihrer Matratze zurecht; tiefer Friede herrschte im Gemach; starren Auges blickte sie ins Dunkel. Sie wollte nicht, niemals werde sie ihm zu Willen sein, nicht einmal, wenn ihr selbst darnach verlangen sollte. Während dieser Vorsatz in ihr reifte, wunderte sie sich gleichzeitig über ihn; denn ihr war doch noch nie der Gedanke gekommen, daß sie Hans heiraten könne.


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