Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

Man war in den ersten Tagen des Monats Oktober, die Weinlese begann, jene schöne Zeit, wo die entzweiten Familien sich bei den Krügen heurigen Weines zu versöhnen pflegten. Rognes war von einem Ende zum anderen vom Dufte der Reben durchschwängert, alle Welt aß Weintrauben vom Morgen bis zum Abend. Das Ende vom Liede war immer, daß die Männer betrunken und die Dirnen schwanger wurden.

Am Tage nach ihrer Heimfahrt aus Cloyes hatte Jesus begonnen, den Schatz des Vaters zu suchen, denn es kam ihm unwahrscheinlich vor, daß der Alte seine Papiere und sein Bargeld mit sich herumtrage, er mußte beides irgendwo versteckt haben. Doch ob auch Dreckbatzen ihrem Vater beim Suchen half, ob sie auch das ganze Quartier durchstöberten, trotz ihrer feinen Diebesnasen vergingen acht Tage, ohne daß sie das geringste entdeckten. Erst als in der zweiten Woche der Wilderer zufällig von einem Brett einen zersprungenen Kochtopf herunterholte, dessen man sich nicht mehr bediente, fand er in ihm, unter Linsen versteckt, ein sorgsam in das wachsleinene Futter eines Hutes gewickeltes Paket. Es waren ausschließlich Papiere, nicht ein Silber- oder Goldstück lag dabei. Zweifelsohne befand sich das Geld an einem anderen Ort, es mußte ein famoser Haufen sein, da der Vater seit fünf Jahren nichts ausgab. Jesus zählte die Papiere, es waren für dreihundert Franken Rente; doch während er die Scheine einzeln in die Hand nahm, fiel ein einzelnes Blatt zur Erde. Er hob es auf, es war ein mit grober Schrift bedeckter Bogen Stempelpapier, dessen Lektüre ihn verblüffte. Heiliges Kreuz! das also war's! Dorthin floß das Geld des Alten!

Die Sache schien geradezu unglaublich. Einen Monat, nachdem Fouan sein Eigentum unter seine Kinder verteilt hatte, war er aus Schmerz darüber, nichts mehr sein zu nennen, krank geworden. Er fühlte, so könne er nicht leben, es hätte ihm das Herz gebrochen. Er beging eine Dummheit. Gleichwie verliebte Greise wohl ihr Letztes einer Dirne geben, die es hinter ihrem Rücken mit den Jungen hält, hatte ihn seine Leidenschaft zu dem dümmsten aller Streiche verführt. Er, der einst ein so schlauer Patron gewesen, hatte sich von einem findigen Spitzbuben, dem alten Saucisse, überlisten lassen. Wie mußte ihn jener unstillbare Besitzhunger gequält haben, der all den alten Bauern, die sich bei der Bearbeitung des Bodens abgenützt, in den Knochen steckt! Wie mußte es in ihm gearbeitet, ihn Tag und Nacht gewurmt haben, daß er sich dazu verstanden, dem Papa Saucisse ein Papier zu unterzeichnen, laut dem jener ihm nach seinem Tode einen Morgen Acker hinterließ unter der Bedingung, daß ihm Fouan jeden Tag, solange er, Saucisse, lebe, fünfzehn Sous gebe. Saucisse war zehn Jahre jünger als Fouan! Allerdings hatte der erstere damals die Gemeinheit besessen, sich zu Bette zu legen, hatte gehustet und sich gebärdet, als gehe es mit ihm zu Ende, bis Fouan, durch sein heftiges Verlangen verblendet, sich beeilte, den ihm so vorteilhaft dünkenden Handel abzuschließen. Eine Sache, die deutlich darlegt, daß jeder, den, sei es für ein Mädchen, sei es für den Besitz eines Stück Landes, der Hafer sticht, wohl tut, die Sache zu verschlafen, und sich hüten soll, etwas zu unterschreiben. Diese fünfzehn Sous wurden seit fünf Jahren täglich erlegt, und je mehr Fouan zahlte, um so heftiger ward sein Verlangen nach diesem Acker. Derselbe müde Greis, der vordem all die Sorge und Plackerei seines mit Arbeit ausgefüllten Lebens abgeschüttelt, der jetzt in Frieden seine Tage beschließen und zuschauen konnte, wie andere der undankbaren Erde ihren Schweiß und ihr Blut hingaben, er wollte sich von neuem ihr zu eigen machen, wollte sich von ihr vollends aufbrauchen lassen. Die Menschen sind nicht gescheit! die Alten nicht klüger als die Jungen!

Einen Augenblick hatte Jesus den Gedanken, alles, die Staatspapiere, sowie diesen Schein, zu sich zu stecken. Doch ihm fehlte der Mut zu dieser Tat. Nach solch einem Raube hätte er müssen das Weite suchen, es war das etwas anderes als das Geld, das er dem Alten herauslockte, und worauf er jedesmal nur nötig hatte, wieder zu warten, bis sich eine zweite Gelegenheit biete. Wütend legte er die Papiere wieder an ihren Platz. Sein Zorn aber war so groß, daß er nicht vermochte reinen Mund zu halten. Am andern Morgen wußte ganz Rognes, daß Fouan seit fünf Jahren bereits nahe an vierzehnhundert Franken für ein Grundstück hergab, das höchstens dreitausend wert war; wenn der alte Gauner Saucisse noch fünf Jahre lebte, hatte er sein Feld bezahlt erhalten und konnte es nichtsdestoweniger bis zu seinem Tode behalten. Man spottete über den alten Fouan. Gleichzeitig aber gelangte er, den man nicht mehr beachtet hatte, wenn man ihm irgendwo begegnete, plötzlich wieder zu Ansehen; er wurde von neuem gegrüßt, wo er sich zeigte, seit man wußte, daß er noch Vermögen besaß, Geld und Ackerland zugleich.

Besonders die Familie schien wie ausgewechselt. Fanny hatte auf sehr gespanntem Fuße mit ihrem Vater gestanden, seit er sich zu seinem ältesten Sohne zurückgezogen, statt zu ihr zurückzukehren; jetzt brachte sie ihm Wäsche, ein ganzes Paket alter Hemden von Delhomme. Sie handelte dabei nicht sowohl aus Interesse wie vielmehr aus unbewußter Achtung vor dem Familienoberhaupte, das von neuem zählte, weil es noch etwas besaß. Der Vater aber war sehr hart, er gedachte ihrer Worte: »Papa wird uns auf den Knien bitten, ihn wiederzunehmen«, und er empfing sie mit der Frage: »Also kommst du, mich auf den Knien zu bitten, daß ich wieder zu euch gehen soll?« Diese Rede kränkte sie furchtbar; die empfindliche Bäuerin, deren Stolz ein Blick zu verletzen vermochte, weinte vor Scham und Zorn. Rechtschaffen, fleißig und reich, wie sie war, lebte sie mit aller Welt in Feindschaft. Delhomme mußte ihr versprechen, daß er hinfort dem Vater die Rente hintragen werde, denn sie schwur heilig und teuer, sie selbst werde mit ihm nie ein Wort wechseln.

Buteau aber setzte alle in Erstaunen, indem er eines Tages im Schloß vorsprach, um, wie er sagte, dem Alten einen kleinen Besuch zu machen. Jesus brachte lachend die Schnapsflasche, und man stieß miteinander an. Vollkommen sprachlos vor Verblüffung aber ward der Wilderer, als er seinen Bruder zehn Hundertsousstücke hervorziehen sah, die jener auf den Tisch legte mit den Worten:

»Vater, wir müssen doch unsere Rechnung ausgleichen ... Hier für das letzte Quartal Ihrer Rente.«

Wie dieser Lump, der seit Jahren keinen Sou mehr hergab, den Alten elektrisierte, als er ihm die Silbermünzen zeigte! Papa Fouan wollte das Geld seines Sohnes einstecken; der aber schob seinen Arm zurück.

»Halt! halt! Es geschah, um Ihnen zu zeigen, daß ich es hab' ... Ich verwahre Ihnen die fünfzig Franken, Sie wissen, wo diese Sie erwarten.«

Jesus horchte auf; er wurde böse.

»Weißt du, wenn du Papa vielleicht von mir fortlocken willst.

Doch Buteau nahm die Sache leicht.

»Wie, du bist eifersüchtig? Und wenn ich den Vater eine Woche hätte und du eine Woche, wäre das nicht recht und billig? He! wenn Sie sich in zwei Hälften zerschneiden könnten, Vater? ... Auf Eure Gesundheit inzwischen!«

Beim Abschied lud er beide ein, am nächsten Tage zu ihm zur Weinlese zu kommen. Man werde sich mit Trauben stopfen, soviel der Bauch nur halten wolle. Mit einem Worte, er war so liebenswürdig, daß Vater und Bruder ihn trotz alledem für eine famose Haut erklärten, für einen Burschen, mit dem zu leben sei, sobald man sich von ihm nicht übers Ohr hauen lasse. Sie gaben ihm ein Stück Weges das Geleit.

Am Fuße des Gehänges begegneten ihnen Herr und Frau Karl, die nach einem Spaziergang an der Aigre mit ihrer Enkelin Elodia zur Villa Roseblanche zurückkehrten. Alle drei waren in Schwarz gekleidet, sie betrauerten den Tod von Frau Estelle, wie man die Mutter Elodias zu nennen pflegte. Die Frau war im Juli gestorben. Frau Karl hatte die Katastrophe geahnt; jedesmal wenn sie aus Chartres zurückkehrte, wiederholte sie, ihr armes Kind reibe sich auf. Bei ihrer schwächlichen Gesundheit vermochte Estelle sich nicht zu behaupten inmitten der großen Mühe und Arbeit, die sie aufwandte, um dem Hause in der Judengasse seinen wohlverdienten Ruf zu erhalten; sie mußte um so sicherer unterliegen, als ihr bequemer und untätiger Gatte sich immer weniger um das Haus kümmerte. Welch ein schmerzlicher Tag war für Herrn Karl das Begräbnis gewesen! Man hatte nicht gewagt, Elodia daran teilnehmen zu lassen, dem Kinde wurde das Ereignis erst mitgeteilt, als seine Mutter bereits drei Tage in der Erde ruhte. Herrn Karl schnürte es förmlich das Herz zusammen, wie er nach so vielen Jahren das Häuschen an der Ecke der Karpfengasse wieder erblickte. Dieses teure Haus mit dem gelben Anstrich, den stets geschlossenen grünen Rolladen, das Werk seines Lebens. Heute war es mit schwarzem Tuch behangen, die Tür stand offen und im Flur der Sarg zwischen vier Wachskerzen. Ihn rührte der Anteil, den das Stadtviertel an seinem Schmerze nahm. Die Feier ging wirklich in würdigster Weise vonstatten. Als man den Sarg auf die Straße hinausbrachte, bekreuzten sich alle Nachbarinnen, dann setzte sich der Zug in andächtigem Schweigen in Bewegung. Die fünf Mädchen des Hauses trugen dunkle Kleider, das Schickliche ihrer Erscheinung und ihres Auftretens in der Kirche wurde allgemein bemerkt und bildete abends den Gesprächsstoff der Stadt. Eine von ihnen weinte sogar auf dem Friedhof. Auf dieser Seite also wurde Herr Karl durchaus zufriedengestellt. Doch wie mußte er leiden, als er am nächsten Tage mit seinem Schwiegersohne Hektor Vaucogne Rücksprache pflegte und das Haus in Augenschein nahm. Es hatte schon ein Erhebliches von seinem einstigen Glänze eingebüßt; allerhand Ungehörigkeiten, die er seinerzeit nimmermehr geduldet haben würde, verrieten, daß der Arm eines energischen Mannes fehlte. Doch stellte Herr Karl mit Vergnügen fest, daß die vortreffliche Haltung der fünf Mädchen während der Trauerfeier sie in so vorteilhafter Weise in der Stadt bekannt gemacht hatte, daß das Haus sich eine Woche lang eines überaus reichen Besuches zu erfreuen hatte. Als er das Haus verließ, konnte er nicht umhin, seinem Schwiegersohne die Bedenken mitzuteilen, die ihn mit Sorge in die Zukunft blicken ließen; jetzt, wo die arme Estelle nicht mehr das Ruder in der Hand hielt, mußte Hektor ein anderer werden, mußte energisch mit zugreifen, wenn er nicht das Vermögen seiner Tochter aufs Spiel setzen wollte.

Sofort lud Buteau sie zur Weinlese ein. Doch sie lehnten dankend ab aus Rücksicht auf die Trauer, in der sie sich befanden. Sie schauten höchst trübselig drein, hatten langsame, müde Bewegungen und wackelten verzagt mit dem Kopfe. Alles, was sie annahmen, war die Aufforderung, den jungen Wein zu kosten.

»Wir kommen nur,« erklärte Frau Karl, »um diesen armen Schatz zu zerstreuen. Sie hat so wenig Unterhaltung hier bei uns, seit wir sie aus dem Kloster genommen. Was sollten wir tun? Sie ist siebzehn Jahre alt und kann nicht immerfort im Pensionat bleiben.«

Elodia stand mit gesenktem Blicke daneben und errötete ohne Ursache. Sie war sehr groß geworden, war schmächtig und hatte die Farbe einer im Schatten wachsenden Lilie.

»Was werden Sie mit dem jungen Fräulein machen?« fragte Buteau.

Sie errötete noch tiefer, während ihre Großmutter antwortete:

»Ja, wir haben uns noch keinerlei Plan gemacht ... Sie mag mit sich zu Rate gehen, wir werden ihren Wünschen nichts in den Weg legen.«

Aber Fouan hatte Herrn Karl auf die Seite genommen und fragte ihn mit Interesse:

»Geht das Geschäft?«

Mit verzweifelter Gebärde zuckte der Angeredete die Achseln und versetzte:

»Ach! fragen Sie mich nicht! Ich habe gerade heute morgen jemand aus Chartres gesprochen, und darum sind wir so mißgestimmt ... Ein verlorenes Haus! Man rauft sich auf den Fluren, man zahlt auch nicht mehr, so mangelhaft die Aufsicht.«

Er kreuzte die Arme und atmete tief auf. Er hatte noch etwas auf dem Herzen, ein neues Vergehen seines Schwiegersohnes, dessen Ungeheuerlichkeit er nicht verwinden konnte.

»Denken Sie sich nur, der Elende geht jetzt ins Café! ... Ins Café! ins Café, wenn man selbst eines im Hause hat.«

»Er ist geliefert,« versicherte Jesus, der diese Worte gehört.

Sie verstummten, denn eben traten Frau Karl und Elodia mit Buteau näher. Die drei sprachen von der Verstorbenen. Das junge Mädchen sagte, wie traurig es für sie sei, daß es ihr nicht vergönnt gewesen, die Mutter noch ein letztes Mal zu umarmen.

In ihrer einfachen Art schloß sie:

»Doch es scheint, das Unglück ist so plötzlich eingetreten, und das Geschäft war gerade so lebhaft in der Konditorei ...«

»Ja, aus Anlaß der vielen Taufen,« beeilte sich Frau Karl hinzuzusetzen, indem sie den anderen mit den Augen zuzwinkerte.

Alle blieben ernst und drückten mit stummem Nicken ihr Beileid aus. Elodia, deren Blick auf einen Ring gefallen, den sie am Finger trug, lehnte weinend ihre Lippen darauf.

»Das ist alles, was man mir von der Mutter gegeben hat ... Großmama hat ihn ihr vom Finger gezogen und mir gebracht ... Sie trug ihn seit zwanzig Jahren, ich werde ihn bewahren, solange ich lebe.«

Es war ein alter Trauring, den die Zeit so abgenützt hatte, daß die Verzierungen fast verschwunden waren. Man ahnte, daß die Hand, die ihn getragen, keine Arbeit gescheut, daß sie immer rührig gewesen; sie hatte die Geschirre gereinigt, die Betten gemacht, gescheuert, gewischt, gesäubert überall und ohne Unterlaß. Dieser Ring erzählte soviel, er hatte in so verborgenen Winkeln, bei so geheimnisvollen Hantierungen sein Gold abgeschliffen; die Männer blickten wortlos und mit zuckenden Nasenflügeln auf das Kleinod.

»Wenn du ihn so lange abgenützt hast, wie deine Mutter,« sagte Herr Karl, von einer plötzlichen Rührung gepackt, »kannst du dich ausruhen ... Wenn er reden könnte, würde er dir erzählen, wie man mit Fleiß und Ordnung Geld verdient.«

Elodia küßte unter Tränen von neuem den goldenen Reifen.

»Ich wünsche,« nahm die Großmutter wieder das Wort, »daß du ihn an deiner Hochzeit trügest.«

Bei diesen Worten wurde das junge Mädchen so jäh aus seiner Rührung gerissen und von einem solchen Übermaß von Verwirrung erfaßt, daß es sich ganz bestürzt der Großmutter in die Arme warf und sein Gesicht an ihrem Busen barg. Die alte Dame beschwichtigte sie lächelnd.

»Du brauchst dich nicht zu schämen, mein Herz ... Du mußt dich mit dem Gedanken vertraut machen, liebes Kind. Es ist ja nichts Anstößiges dabei. Ich würde doch in deiner Gegenwart nichts Anstößiges reden, mein Engel ... Dein Vetter Buteau fragte soeben, was wir mit dir zu machen gedächten? Nun, siehst du, zuerst werden wir dir einen braven Mann suchen ... Aber, aber, schau uns doch an, reib' dich nicht an meinem Schal; du wirst dir das Gesicht ganz rot machen.«

Den anderen sagte sie ganz leise und mit dem Ausdruck froher Genugtuung:

»Was meint ihr? Ist das Kind erzogen? Die reine Unschuld!«

»Wenn uns nicht der Besitz dieses Engels tröstete,« fügte Herr Karl hinzu, »wir vermöchten den Kummer über das, was ich Euch vorher erzählt, nicht zu ertragen ... Dazu kommt noch, daß meine Rosen und Nelken dieses Jahr sehr gelitten haben; und ich weiß nicht, was in meinem Vogelhaus vorgeht, alle meine Vögel sind krank. Nur das Angeln entschädigt mich ein wenig; ich habe gestern eine drei Pfund schwere Forelle gefangen ... Nicht wahr, wenn man auf dem Lande lebt, will man doch glücklich sein?«

Sie trennten sich, nachdem das Ehepaar Karl sein Versprechen wiederholt, Buteau am Kosttage des neuen Weines zu besuchen. Fouan, Buteau und Jesus machten stillschweigend einige Schritte, dann faßte der Alte ihrer aller Gedanken in Worte zusammen:

»Ein Glückskind, der mal das Haus in Chartres mit dem Mädel erheiratet!«

Bécu, der mit seiner Stellung als Feldhüter auch das Amt eines Ausrufers verband, hatte die Eröffnung der Weinlese ausgetrommelt. Montagmorgen war das ganze Land auf den Beinen; jeder Bewohner besaß sein Stück Weingarten, und nicht eine Familie hätte versäumt, an diesem Tage zur Lese die Talwand der Aigre hinaufzuziehen. Das Dorf versetzte außerdem in Aufregung die am Vorabend erfolgte Ankunft des neuen Geistlichen, denn der Rat hatte sich endlich dazu verstanden, sich den Luxus einer eigenen Pfarrei zu gönnen. Bei seinem Einzug war es bereits so dunkel gewesen, daß niemand ihn recht deutlich gesehen hatte. Darum gab es kein Ende des Geschwätzes über den geistlichen Herrn; die Sache war interessant genug.

Nach seinem Bruche mit Rognes hatte sich der Abbe Godard monatelang nicht in dem Dorfe sehen lassen. Er taufte und verheiratete alle, die zu ihm nach Bazoches-le-Doyen kamen, hörte auch die Beichte, wenn man sich zu ihm bemühte; die Toten hätte er vermutlich uneingesegnet begraben lassen, eine Frage, die nicht aufgeklärt würde, weil in jener Zeit niemand gestorben. Er hatte dem Bischof erklärt, daß er sich lieber entheben lasse, ehe er den Gottesdienst versehe in diesem verruchten Lande von Säufern und sittenlosen Strolchen, die allesamt unrettbar verdammt seien, denn sie glaubten nicht einmal mehr an den Teufel. Der Bischof stand augenscheinlich auf Seite des Priesters; er ließ den Dingen ihren Lauf und wartete, daß die rebellische Herde sich bekehren möge. So lebte Rognes also ohne Geistlichen, ohne jede Messe im Zustande vollkommener Wildheit. Zuerst machte die Sache den Bewohnern einen etwas befremdenden Eindruck, doch im Grunde, lieber Gott, ging alles, wie es früher gegangen. Man gewöhnte sich; es regnete nicht mehr, nicht weniger, der Wind blies nicht stärker als bisher, und bei alledem ersparte die Gemeinde ein hübsches Sümmchen. Da es sich herausstellte, daß der Pfarrer keineswegs unentbehrlich sei, daß die Ernten nicht schlechter wurden, niemand schneller vom Leben zum Tode ging, warum sollte man nicht für immer auf einen Geistlichen Verzicht leisten? Viele vertraten diese Ansicht, und zwar nicht bloß die ungläubigen Stürmer wie Lengaigne, sondern auch manche vernünftige Männer, die gut zu rechnen verstanden, wie Delhomme zum Beispiel. Andere hinwiederum verdroß es, keinen Pfarrer zu haben; nicht daß sie mehr religiösen Sinn besessen als jene: der Gott, der keine Furcht mehr einflößte, war ihnen gleichgültig! Doch keinen Pfarrer, das sah so aus, als sei man zu unbemittelt oder geizig, um einen zu bezahlen; man erschien so armselig allen anderen Dörfern gegenüber, so erbärmlich, wie Leute, die nicht einmal zehn Sous für etwas Unnützes hinauswerfen können. Die Leute von Magnolles, die nur zweihundertdreiundachtzig Köpfe waren, zehn weniger als in Rognes, erhielten einen Pfarrer, den sie ihren Nachbarn mit so herausforderndem Hohne ins Gesicht warfen, daß die Sache noch mit Schlägereien enden konnte. Dann hatten die Frauen ihre Gewohnheiten; gewiß würde nicht eine darein gewilligt haben, ohne Priester verheiratet oder beerdigt zu werden. Selbst die Männer gingen zuweilen zur Kirche, weil alle dorthin gingen. Kurz, es hatte immer Geistliche gegeben, darum mußte man einen haben, selbst wenn sich niemand etwas aus ihm machte.

Natürlich wurde die Sache im Gemeinderate besprochen. Wenn der Schulze Hourdequin auch selbst nicht religiös war, hielt er doch die Religion zur Aufrechterhaltung von Tugend und Sitte für erforderlich. Trotzdem beging er den Fehler, in dieser Frage keine Stellung zu nehmen; er war von dem Wunsche beseelt, die Entschließungen der Gemeinde in keiner Weise zu beeinflussen. Das Dorf war arm: warum ihm die immerhin bedeutende Ausgabe aufnötigen, welche die Wiederherstellung des Pfarrhofes verursachen würde? Dazu kam, daß der Schulze die Hoffnung nicht aufgegeben, den Abbé Godard zu versöhnen.

Aber sein Stellvertreter Macqueron, der ehemals den Geistlichen nicht gewogen gewesen, stellte sich an die Spitze der Unzufriedenen, welche die Demütigung, keinen Pfarrer zu haben, nicht ertragen konnten. Dieser Macqueron mußte damals den Plan nähren, den Schulzen zu stürzen, um seinen Platz einzunehmen; es hieß auch, er sei der geheime Agent des Herrn Rochefontaine geworden, des Fabrikbesitzers von Chateaudun, der bei den nächsten Wahlen von neuem gegen Herrn von Chédeville kandidieren wolle. Herr Hourdequin hatte damals auf seinem Gute mancherlei Sorgen, die sein Interesse von den Sitzungen des Gemeinderates abzogen. Er ließ seinen Vertreter schalten und walten; bald stimmte der ganze Rat mit ihm für die Erhebung des Dorfes in ein Kirchspiel. Seit Macqueron sich bei Errichtung der neuen Straße sein Land hatte zahlen lassen, nachdem er vorher ausdrücklich versprochen, es umsonst zu geben, seit dieser Zeit erklärten ihn die Räte für einen Gauner, bezeugten ihm aber gleichzeitig eine besondere Hochachtung. Nur Lengaigne sprach gegen die Abstimmung, durch die das Land den Jesuiten überantwortet werde. Der Feldhüter Bécu brummte, denn man vertrieb ihn aus dem Pfarrhause und dem dazu gehörenden Garten und quartierte ihn in einem baufälligen Gemäuer ein. Einen Monat lang tünchten Arbeiter die Wände, ergänzten zerbrochene Fensterscheiben und verwitterte Dachschieferplatten; endlich am Vorabend hatte der neue Pfarrer seinen Einzug in das ausgebesserte Haus halten können.

Seit Tagesanbruch fuhren die Wagen zu den Weinbergen hinaus, jeder mit vier oder fünf großen Tonnen beladen, denen ein Boden herausgeschlagen war. Frauen und Mädchen mit ihren Körben saßen ebenfalls auf diesen Fuhrwerken, während die Männer, die Pferde peitschend, daneben gingen. In langer Reihe zogen die Gefährte hintereinander, man plauderte, scherzte, lachte von Wagen zu Wagen.

Das Gefährt Lengaignes fuhr unmittelbar hinter Macqueron; Flora und Celine, die seit sechs Monaten kein Wort miteinander gewechselt, versöhnten sich dem festlichen Tage zuliebe. Die erstere hatte die Bécu bei sich, die andere war von ihrer Tochter Bertha begleitet. Sofort kam die Unterhaltung auf den Pfarrer. Der Hufschlag der Pferde begleitete die Rede der Weiber, die durch die frische Morgenluft hallte.

»Ich hab' ihn gesehen, wie er seinen Koffer ablud.«

»Ah! ... Wie sieht er denn aus?«

»Mein Gott, es war so finster ... Er kam mir sehr groß vor, sehr mager, mit einem langen, fahlen Gesicht, das gar nicht aufhört und nicht sonderlich stark... Vielleicht dreißig Jahre alt. Sehr sanft schaut er aus.«

»Ich höre, er kommt von den Auvergnaten aus den Bergen, wo zwei Dritteil des Jahres alles unter Schnee liegt.«

»Ein Elend so was! Da wird's ihm gefallen hier bei uns.«

»Sicher! ... Und, weißt du, er heißt Madeleine.«

»Nein, Madeline.«

»Madeline, Madeleine, das ist doch kein Name für einen Mann.«

»Ich glaub', er wird uns in den Weingärten besuchen. Macqueron hat versprochen, ihn herzubringen.«

»Da muß man aufpassen.«

Die Wagen hielten am Fuße der Weinberge auf dem Wege, der die Aigre entlang läuft. In jedem der kleinen Weingärten bewegten sich die Weiber gebückten Ganges, die Hinterbacken hoch, zwischen den Spalieren, schnitten mit ihren Messern die Trauben ab und warfen sie in die Körbe. Die Männer wiederum leerten diese Körbe in Butten, trugen diese zu den Wagen unten am Wege hinab und schütteten ihren Inhalt in die großen Tonnen. Waren alle Tonnen gefüllt, so fuhr man damit heim, tat alles in den Maischbottich und machte sich wieder auf den Weg, um eine neue Ladung zu holen.

Der Nachttau hing noch so dicht an allem Grün, daß die Röcke der Frauen bald durchnäßt waren. Glücklicherweise war das Wetter herrlich schön, und die Sonne trocknete die Kleider bald. Seit drei Wochen hatte es nicht geregnet; nachdem der feuchte Sommer Besorgnisse geweckt um das Gedeihen der Trauben, hatten diese letzten, trockenen, warmen Tage genügt, den Wein zu süßer Reife zu bringen. Darum freute sich alles dieses schönen Sonnenlichtes, das für die Jahreszeit so überaus warm war. Die Burschen und die Mädel waren wohlgemut, lachten, riefen, schrien und machten die tollsten und frechsten Späße.

»Diese Geline!« sagte Flora zu Bécu, indem sie sich aufrichtete und zu der unweit arbeitenden Macqueron hinüberdeutete. Die Person hat sich immer so viel eingebildet auf das feine Gesicht ihrer Bertha! ... Jetzt wird die Kleine gelb wie eine Zitrone und trocknet täglich mehr zusammen.«

»Ja,« meinte Bécu, »wenn man die Mädel nicht verheiratet! Sie tun Unrecht, sie nicht dem Sohne des Stellmachers zu geben. Man sagt, sie töte sich mit ihren schlimmen Gewohnheiten.«

Sie fuhr fort, ihre Trauben zu schneiden. Mit erhobenem Gesäß wackelnd, setzte sie hinzu:

»Und der Schulmeister scherwenzelt immerfort um das Ding herum.«

»Na, ob!« rief Flora. »Dieser Lequeu würde mit seiner Nase Geld aus dem Pferdemist hervorstochern ... Seht, da kommt er schon, der Schafskopf.«

Sie verstummten. Der seit kaum zwei Wochen vom Militär zurückgekehrte Viktor nahm ihre Körbe und entleerte sie in die Butte Delphins, den Lengaigne zur Lese gedungen hatte, da er selbst in seiner Schenke unentbehrlich sei, wie er sagte. Delphin, der niemals das Dorf verlassen, der wie eine junge Eiche auf dem angestammten Boden emporwuchs, starrte verwundert den Rekruten an. Viktor war nicht wiederzuerkennen mit seinem Schnurrbart und kleinem Kinnbärtchen, mit seinem kecken Gesicht unter der mitgebrachten Soldatenmütze; es machte ihm Spaß, dem Burschen so gewaltig zu imponieren; er spreizte sich und tat, als schere er sich keinen Pfifferling um die ganze Welt. Doch er täuschte sich, wenn er meinte, bei dem andern Neid zu erwecken. Mochte er noch so fabelhafte Garnisonsgeschichten erzählen, allerhand Lügen erfinden von Zechgelagen und Liebeleien; der Bauer hörte ihm wohl verblüfft zu, aber keinerlei Verlangen nach ähnlichen Genüssen wurden in ihm rege. Delphin schüttelte den Kopf: nein, nein! es kostet alles zuviel Geld, wenn man seinen Winkel verlassen muß! Schon zweimal hatte er es ausgeschlagen, Ernst nach Chartres zu folgen, um dort in einem Restaurant sein Glück zu machen.

»Aber, du Maulwurf, wenn du Soldat werden mußt?«

»Soldat! ... Man lost sich einfach frei!«

Viktor lachte ihn aus; doch jener blieb bei seiner Ansicht. Welch ein Hasenfuß, und der Mensch war gebaut wie ein Kosak! Plaudernd fuhr der Rekrut fort, die Körbe in die Butte zu entleeren, die Delphin, ohne sich nur zu bücken unter der Last, auf dem Rücken trug.

Um sich einen Spaß zu machen, fragte Viktor und zeigte auf Bertha:

»Ist der was gewachsen, seit ich fort bin?«

Delphin lachte laut auf; denn die wunderliche Erscheinung bei Macquerons Tochter war der ewige Gegenstand des Spaßes unter den jungen Leuten des Ortes.

»Ei, ich habe die Nase nicht hingesteckt; möglich, daß im Frühjahr auch ihr etwas gewachsen ist.«

Im Weingarten Macquerons arbeitete Bertha mit den zimperlichen Manieren eines Stadtfräuleins. Statt des Messers bediente sie sich einer kleinen Schere; die Dornen und Mücken machten ihr viel zu schaffen, und sie war untröstlich, daß ihre vom Tau befeuchteten feinen Schuhe nicht trocknen wollten. Trotzdem ihr Lequeu zuwider war, duldete sie seine zudringliche Zuvorkommenheit; es schmeichelte sie, daß der einzige gebildete Mann in dem Orte ihr den Hof machte. Er zog schließlich sein Schnupftuch hervor und wischte damit auf ihren Stiefelchen herum. Doch etwas anderes zog plötzlich die Aufmerksamkeit des Paares auf sich.

»Ja,« murmelte Bertha, »hat die ein Kleid! ... Ich hab' schon gestern gehört, daß sie gleichzeitig mit dem neuen Pfarrer angekommen.«

Es war Suzanne Lengaigne, die sich in ihrem Heimatsdorfe sehen ließ, nachdem sie sich drei Jahre in Paris herumgetrieben. Sie war am Vorabend eingetroffen, hatte heute früh die anderen zur Lese aufbrechen lassen, während sie im Bette geblieben war mit dem Vorsatz, wenn das ganze Dorf in den Weingärten versammelt sei, dort zu erscheinen und alle mit ihrer Toilette zu verblüffen.

Das Aufsehen, das sie hervorrief, war außerordentlich. Sie trug ein Seidenkleid, dessen reiches Blau das Blau des Himmels in den Schatten stellte. In dem hellen Sonnenlicht hob sich ihre Gestalt glänzend ab aus dem dunklen Grün der Reben; es war ein großer Triumph. Sie sprach und lachte sehr laut, ergriff Trauben, hob sie empor und ließ sich so die Beeren in den Mund gleiten; sie scherzte mit Delphin und ihrem Bruder Viktor, der ungemein stolz auf sie war. Ihre Mutter und die Bécu waren hingerissen vor Bewunderung, hielten in ihrer Arbeit inne und blickten feuchten Auges zu ihr auf. Diese Bewunderung der Ihren ward von allen Nachbarn geteilt; überall ruhten die Hände; alles betrachtete sie, erkannte sie kaum wieder, so sehr hatte sie sich zu ihrem Vorteil verändert. Früher war sie eher häßlich gewesen: heute war sie ein prächtiges Mädchen; vermutlich machten die kleinen blonden Locken, die sie ins Gesicht gekämmt trug, sie so hübsch. Dabei war sie reich gekleidet, wohl genährt, und ihr Gesicht strahlte; sie errang mit einem Schlage die Hochachtung aller, die sie so bewundernd anstarrten.

Selbst Celine, die gelb vor Neid mit gespitzten Lippen zwischen ihrer Tochter Bertha und Lequeu stand, vergaß sich.

»Hat die Schick! ... Flora erzählt jedem, der es hören wollte, daß ihre Tochter Dienerschaft und Pferde und Wagen habe. Es kann schon wahr sein; denn man muß viel Geld verdienen, um sich so teure Sachen aufzuhängen.«

»Diese Frauenzimmer!« wandte der Schulmeister ein, um sich liebenswürdig zu machen; »man weiß, wie sie ihr Geld verdienen.«

»Was macht's, wie sie's verdienen?« versetzte Celine bitter. »Sie haben es aber.«

Doch in diesem Augenblick trat Suzanne zu Bertha heran, die einst mit ihr zu den Mutter-Gottes-Jungfrauen gehört hatte.

»Guten Tag, wie geht's?« begrüßte sie die Kameradin.

Sie musterte Bertha, bemerkte ihr welkes Gesicht, und ihren frischen, üppigen Leib emporreckend, entgegnete sie lachend:

»Es geht dir gut, nicht wahr?«

»Sehr gut, danke,« antwortete Bertha verlegen und besiegt.

An jenem Tage triumphierten die Lengaignes über die Macquerons; die Erscheinung Suzannes war ein niederschmetternder Schlag für den letzteren und seine Frau. Außer sich verglich Flora die gelbhäutige Magerkeit, die frühen Falten und Runzeln ihrer Bertha mit der rosigen, vollbusigen Frische der Tochter der andern. War das gerecht? Ein Mädchen, das in Paris ein liederliches Leben führte, das von früh bis spät mit Männern zu tun hatte, war stark und blühend, und ihr sittsames Kind sah verlebt und alt aus wie eine Frau, die drei Kinder gehabt.

Nein, die Tugend wird nicht belohnt.

Das ganze Volk der Weinleser machte Suzanne den Hof. Sie küßte die inzwischen herangewachsenen Kinder und rührte die Alten, indem sie Erinnerungen aus vergangener Zeit wachrief. Man sei, wer man will, wenn's einem geglückt ist, braucht man niemanden. Diese aber hatte noch außerdem ein gutes Herz, schämte sich ihrer Familie nicht und besuchte die alten Bekannten, trotzdem sie reich war.

Sobald der erste Schlag der Mittagsstunde ertönte, setzte sich alles ins Grüne, und man aß Brot und Käse. In den Gängen guckten die mit blauen Tüchern umwundenen Köpfe der Weiber über das Gehänge der Reben. Eigentlich hatte niemand Hunger, denn seit Tagesanbruch stopften sie sich mit Trauben voll. Der Mund pappte von dem zuckerigen Saft, die Bäuche waren aufgebläht wie die Tonnen, und es gärte darin gleich gewissen Hausmitteln; schon verschwand jeden Augenblick eines der Mädchen hinter einer Hecke. Dann lachten die Männer natürlich und riefen: »Oh! Oh!« Kurz, man war in frühester Laune und genierte sich nicht im geringsten.

Das Frühstück war gerade beendet, als unten am Wege Macqueron mit dem Abbé Madeline sichtbar ward. Sofort war Suzanne vergessen; alles hatte nur noch Augen für den Pfarrer. Wahrlich, der Eindruck, den der Geistliche machte, war kein guter: er war dürr wie eine Stange und blickte traurig drein wie auf einem Begräbnis. Aber er grüßte bei allen Weingärten und sagte jedermann ein freundliches Wort, man fand ihn sehr höflich und freundlich. Ein großes Kirchenlicht mag er nicht sein; er wird zu gängeln sein, man wird leichter mit ihm fertig werden als mit dem Hitzkopf, dem Abbé Godard. Einige machten sich hinter seinem Rücken über ihn lustig. Er stieg bis zum Rande der Anhöhe hinauf und blickte unbeweglich auf die riesige, flache, graue Flur der Beauce. Eine Art Furcht beklemmte ihm die Brust, eine verzweifelte Schwermut drängte Tränen in die klaren Augen des Hochländers, der an den engen Horizont der Bergschluchten der Auvergne gewohnt war.

Dort oben befand sich der Weingarten Buteaus, wo Lise und Franziska die Trauben schnitten. Jesus war bereits berauscht von dem unmäßigen Genuß der Beeren und stopfte immer mehr in sich hinein, während er scheinbar die Körbe in die Butten entleerte. Es gärte in ihm und füllte seinen Bauch dermaßen mit Gasen, daß sie ihm durch alle Löcher entschlüpften. Buteau war darüber verdrossen, weil der Pfarrer da war, allein Jesus erwiderte:

»Es geschieht doch nicht, um ihn zu ärgern, es geschieht zu meinem Vergnügen.«

Papa Fouan saß auf einem Steine, blickte frohen Mutes drein und freute sich des schönen Wetters und der reichen Ernte.

Er lächelte verstohlen, als die Große, deren Grundstück daneben lag, herüberkam, ihm guten Tag zu bieten; wie alle anderen, hatte auch sie wieder angefangen, ihm Achtung zu bezeigen, seit sie erfahren, daß er noch Geld besaß. Plötzlich aber lief sie davon, sie hatte bemerkt, wie Hilarion ihre Abwesenheit benützte, um sich an den Trauben gütlich zu tun. Sie schwang ihren Stock: »Verwünschtes Schwein, das mehr frißt, als es arbeitet!«

»Das wird ein Vergnügen sein, wenn die Tante mal heimfährt«, sagte Buteau, sich einen Augenblick neben den Vater setzend, um ihm zu schmeicheln. »Ist das herzlos, den armen Trottel auszubeuten, weil er stark und dumm ist wie ein Esel.«

Darauf fiel er über die Delhommes her, deren Besitz gerade gegenüber unten am Wege lag. Sie besaßen den schönsten Weinberg im Lande, fast drei Hektar in einem ganzen Stück; wohl zehn Personen waren darin mit der Lese beschäftigt. Ihre Stöcke waren besonders gut gepflegt und gaben Trauben, wie kein Nachbar ähnliche erzielte; dies machte sie stolz, sie hielten sich abgesondert und lachten nicht einmal, wenn plötzlich ein Mädchen an ihnen vorüberrannte und hinter den Hecken verschwand. Zweifelsohne hätten sie sich die Beine gebrochen, wenn sie heraufgekommen wären, dem Vater guten Tag zu wünschen, meinte Buteau; denn sie taten, als ahnten sie nicht, daß er dort oben war. Dieser ausgestopfte Biedermann, der Delhomme, mit seinem protzigen Getue von Fleiß und Rechtlichkeit! und die zänkische Person, die Fanny, die bei jedem Worte beleidigt ist, als wenn man sie auf die Hühneraugen getreten habe; dabei rücksichtslos gegen den eigenen Vater!

»Ich habe dich wirklich lieb, Vater,« fuhr Buteau fort, »während meine Schwester und mein Bruder ... Es tut mir noch heute das Herz weh, daß man sich wegen Läppereien getrennt hat.«

Er schob die Schuld auf Franziska, der Hans den Kopf verdrehe. Aber jetzt mucke sie nicht, versicherte er, denn wenn nur das Geringste vorkomme, werde er ihr im Mistpfuhl den Kopf waschen.

»Weißt du, Vater, überlege es dir ... Möchtest du nicht wieder zu uns zurückkehren? ...«

Fouan schwieg vorsichtig. Er war auf dieses Anerbieten seines Sohnes gefaßt gewesen; doch wollte er weder ja noch nein antworten; man kann nicht wissen ... Buteau versicherte sich, daß sein Bruder am andren Ende des Weingartens arbeitete; dann sprach er weiter:

»Nicht wahr? Dein Platz ist nicht bei diesem Lumpen, dem Hyacinth. Wer weiß, eines Tages ermordet man dich dort vielleicht ... Und dann: ich nähre dich, ich gebe dir ein anständiges Bett, und außerdem zahle ich dir noch deine Pension ...«

Verdutzt blickte der Vater ihn an. Da der alte Mann immer noch nichts entgegnete, ward jener dringender:

»Und alle Annehmlichkeiten, deinen Kaffee, deinen Schnaps, vier Sous Tabak, mit einem Wort, was du nur wünschest.«

Das war zuviel; Fouan bekam Furcht. Gewiß fühlte er sich nicht mehr wohl bei Jesus. Doch wenn das Elend bei Buteau wieder beginnen sollte wie vordem?

»Wollen sehen,« begnügte er sich zu erwidern, indem er aufstand, um die Unterredung abzubrechen.

Die Weinlese währte bis zum Abend. Ohne Unterlaß fuhren die Wagen mit den gefüllten Tonnen zum Dorfe und brachten sie entleert wieder zurück. Bertha widerfuhr ein Unfall: sie wurde von einer solchen Kolik ergriffen, daß sie nicht einmal laufen konnte. Ihre Mutter und Lequeu mußten einen Wall vor ihr bilden, während sie sich zwischen den Gängen erleichterte. Im benachbarten Weingarten bemerkte man sie. Viktor und Delphin wollten ihr Papier bringen; doch Flora und die Bécu hinderten sie daran; es gebe gewisse Grenzen der Schicklichkeit, die ein wohlerzogener Mensch nicht überschreiten dürfe. Endlich gab der Aufbruch der Delhommes das Zeichen zum Feiern; alles machte sich auf den Heimweg. Die Große zwang Hilarion, sich neben dem Pferde vor den Wagen zu spannen. Die Lengaignes und die Macquerons einigten sich in dem Halbrausche, der sie ihre Gegnerschaft vergessen ließ. Der Abbé Madeline und Suzanne gingen nebeneinander. Er hielt sie augenscheinlich für eine Dame, weil sie so reich gekleidet war, und erschöpfte sich in achtungsvollen Artigkeiten; sie tat sehr süß und fragte, um welche Stunde er am Sonntag die Messe lese. Hinter ihnen ging Jesus, der wütend über die Kutte seine ekelhaften Späße trieb. Alle fünf Minuten hob er ein Bein und ließ einen fahren. Suzanne biß sich in die Lippen, um nicht aufzulachen. Der Priester tat, als höre er nichts; von dieser Musik begleitet, tauschten sie sehr ernst ihre frommen Gedanken aus.

In der nächsten Woche wurde bei den Buteaus der junge Wein gekostet. Das Ehepaar, Fouan, Jesus, vier oder fünf andere wurden um sieben Uhr abends erwartet; es gab eine Hammelkeule, Nüsse, Käse, ein vollständiges Mahl. Im Laufe des Tages hatte Buteau seinen Wein in Fässer abgezogen; sechs Stückfaß wurden aus dem am Maischbottich angebrachten Sperrhahn gefüllt. Die Nachbarn waren noch nicht so weit; der eine war noch mit der Lese beschäftigt und trat seit früh morgens vollkommen nackt die Trauben; ein zweiter überwachte mit einer Stange bewaffnet die Gärung, zerhieb die Tresterdecke und mengte sie wieder mit dem Most; ein dritter, der eine Weinpresse besaß, preßte die gemostelten Trauben und warf dann den übrigbleibenden Stock auf seinen Hof, wo er sich in einen rauchenden Berg häufte. So ging's in allen Häusern; aus den heißen Bottichen aber, aus den triefenden Pressen, aus den übervollen Fässern quoll ein starker Weindunst empor, der sich durch ganz Rognes verbreitete.

Als Fouan an jenem Abend das Schloß verließ, hatte er eine Vorahnung, die ihn bewog, seine Wertpapiere aus dem Linsentopf zu nehmen und zu sich zu stecken. Er hatte einige seltsame Blicke von Jesus und Dreckbatzen aufgefangen; immerhin war das Geld an seinem Leibe am sichersten. Alle drei brachen gemeinschaftlich auf und kamen bei Buteau gleichzeitig mit dem Ehepaar Karl und Elodia an.

Der volle Mond war so groß und schien so hell, daß er den Abend wie ein Sonnenlicht beglänzte. Als Fouan in den Hof trat, wo man jedes Sandkorn unterschied, bemerkte er unter dem Schuppen den Esel Gideon, der mit dem Kopfe in einem kleinen Kübel steckte. Es wunderte den Alten nicht, das Tier so frei außerhalb seines Stalles zu finden, denn der schlaue Patron öffnete gar oft die Türklinken mit der Schnauze. Aber dieser Kübel machte Fouan neugierig; er trat hinzu und entdeckte, daß es ein Gefäß aus dem Keller war, das Fouan mit Wein angefüllt hatte. Gideon soff diesen Wein in vollen Zügen.

»He! Buteau, komm!«

Buteau erschien in der Tür der Küche.

»Was gibt's?«

»Der hat dir deinen Wein ausgetrunken.«

Während die Männer so hin und wieder schrien, schlürfte der Esel mit Gemütsruhe den letzten Rest auf: Möglichenfalls lag er schon eine Viertelstunde lang dieser Beschäftigung ob, denn der kleine Kübel enthielt gewiß seine zwanzig Liter. Alles war verschwunden. Gideons Bauch war gespannt wie ein Luftballon; und wie er jetzt endlich den Kopf hob, troff ihm der Wein aus der Säufernase, über der dicht unter den Augen ein roter Streif anzeigte, wie tief er den Schädel hineingesteckt.

»Der verfluchte Kerl!« rief Buteau herbeistürzend. »Das sieht ihm ähnlich!«

Wenn man dem Esel seine Unarten vorwarf, pflegte er gewöhnlich mit den abstehend sich öffnenden Ohren eine Fratze zu machen, als gehe ihm die Sache nicht sonderlich nahe. Diesmal aber verlor er in seiner Betäubung alle Achtung: er wiegte den Kopf, wie um das riesige Vergnügen auszudrücken, das er genossen; er lachte seinen Herrn förmlich aus. Buteau puffte den Unhold; doch da stolperte er; Fouan mußte ihn stützen, sonst wäre er gestürzt.

»Das verfluchte Luder ist besoffen wie ein Schwein!«

»Besoffen wie eine Kanone!« bestätigte Jesus herzutretend, indem er mit brüderlicher Rührung das betrunkene Vieh betrachtete. Ein Kübel in einem Zug, dazu gehört eine gute Kehle!«

Buteau lachte nicht, ebensowenig wie die herbeieilenden Lise und Franziska. Zunächst war der Wein verloren; doch noch schlimmer war, daß die Sache im Beisein von Herrn und Frau Karl passiert. Beide kniffen die Lippen zusammen und blickten sehr verletzt drein, denn auch Elodia war Zeuge von des Esels ungebührlichem Betragen gewesen. Um das Unglück voll zu machen, wollte der Zufall, daß Suzanne und Bertha, die des Weges daherkamen, gerade vor der Tür dem Abbé Madeline begegneten. Die drei bleiben vor dem Hofe stehen. Das war eine schöne Bescherung, wo all die feinen Leute zuschauten.

»Vater, schieb ihn,« sagte Buteau leise. »Wir müssen ihn schnell in den Stall bringen.«

Fouan schob. Doch Gideon fühlte sich sehr wohl dort, wo er sich befand, und wollte nicht vom Fleck. Er war nicht bösartig dabei; wie ein gutmütiger Säufer stand er da verschleierten und schelmischen Auges, das geifernde Maul zu einer lachenden Grimasse verzogen. Er spreizte seine vier Beine und stemmte sich mit aller Kraft; rückte man ihn auch nur eine Spanne weit vorwärts, so nahm er im nächsten Augenblick den früheren Standpunkt wieder ein, als mache ihm die Sache ein ungemeines Vergnügen. Als auch Buteau sich drein legte und ebenfalls zu stoßen begann, dauerte der Spaß nicht lange: der Esel stürzte, reckte alle vier Füße empor und wälzte sich auf dem Rücken, wobei er so laut zu schreien begann, als sage er all den Leuten, die ihn betrachteten, seine Meinung.

»Vermaledeite Bestie, ich werde dich lehren dich besaufen!« schrie Buteau und hieb mit den Füßen nach dem Vieh.

Nachsichtsvoll legte sich Jesus ins Mittel.

»Aber! aber! ... Wenn er doch nun mal betrunken ist, darf man keine Vernunft von ihm erwarten. Er hört dich ja nicht mal; es ist gescheiter, daß er wieder in seinen Stall zurückkommt.«

Das Ehepaar Karl trat beiseite, ganz empört über das Benehmen des Tieres, während Elodia errötend das Gesicht abwandte, als habe sie einem unanständigen Schauspiele beigewohnt. Vor der Tür protestierten der Geistliche, Suzanne und Bertha durch ihr finsteres Schweigen. Nachbarn kamen herbei, einige machten sich laut über den Vorfall lustig. Lise und Franziska hätten weinen mögen vor Scham.

Buteau verbiß seinen Ingrimm und bemühte sich, mit Hilfe Fouans und Jesus' den Esel wieder auf die Füße zu bringen. Es war nicht leicht, denn der Strick war schwer wie hunderttausend Teufel mit dem Kübel Wein, der ihm im Bauche herumplumpste. Sobald man ihn auf der einen Seite erhoben hatte, kollerte er nach der anderen wieder zu Boden. Die drei Männer stemmten und stützten ihn mit Knien und Ellbogen; endlich stand er aufrecht, man brachte ihn sogar ein paar Schritte vorwärts. Doch plötzlich duckte er sich rückwärts und lag im Augenblick von neuem im Sande. Man mußte über den ganzen Hof, um den Stall zu erreichen. Wie das anfangen?«

Die drei fluchten, schauten das Tier von allen Seiten an und wußten nicht, an welchem Ende es packen.

Jesus hatte den Gedanken, den Esel an die Wand des Schuppens zu lehnen und ihn so das Haus entlang bis zum Stall zu schieben. Dies gelang anfangs, obwohl er sich an dem Maueranwurf das Fell zerschund. Die Reibung mochte ihm unerträglich werden. Mit einemmal befreite er sich aus den Händen, die ihn an dem Hause stützten, schlug aus und machte ein paar Sätze mitten in den Hof.

Der Vater wäre auf ein Haar zu Boden gestürzt; die beiden Brüder riefen:

»Aufhalten! aufhalten!«

Jetzt sah man in dem grellen Mondlicht, wie Gideon in wahnsinnigem Zickzack herumstolperte, die beiden großen Ohren wackelten am Kopfe. Man hatte ihm den Leib zuviel hin und her geschaukelt, es wurde ihm übel. Jetzt stand er still, schluckste, im nächsten Augenblick lag er, die vier Beine gerade von sich gestreckt, auf dem Bauche. Sein Hals dehnte sich würgend, ein mächtiges Wogen durchwühlte seinen Leib; er spie wie ein Mensch und streckte bei jedem Guß den Kopf vor; wie ein roter Strom, wie eine Schleuse stürzte es über den Hof und floß bis zum Misthaufen hinüber.

Die Bauern an der Pforte schlugen ein schallendes Gelächter an, während der schwächliche Abbé plötzlich blaß wurde; mit Worten der Entrüstung entführten ihn Suzanne und Bertha. Doch am meisten drückte die beleidigte Haltung des Ehepaares Karl aus, wie grob diese Schaustellung eines betrunkenen Esels gegen Sitte und Anstand verstoße. Elodia warf sich an die Brust der Großmutter und fragte weinend, ob das Tier sterben müsse. Herr Karl rief mit jener Stimme, vor der einst das ganze Haus der Judengasse gezittert: »Genug! genug!« Der Esel kehrte sich nicht an diesen gebieterischen Ton: er spie und spie, der ganze Hof war überschwemmt. Dann glitt er auf die Seite und wälzte sich mit gespreizten Hinterfüßen in dem roten Schlamm; niemals noch hat ein Saufbold in diesem Maße Ekel und Abscheu erweckt. Man hätte meinen sollen, der Elende tue es absichtlich, um seine Herren mit Schande zu bedecken. Es war zuviel. Lise und Franziska liefen mit den Händen vor den Augen ins Haus.

»Genug, tragt ihn fort!«

Es blieb nichts anderes übrig; denn Gideon, der weich und kraftlos geworden war wie ein Lappen, schloß die Augen und schlief ein. Buteau holte eine Tragbahre; sechs Männer halfen den Esel hinaufladen, dann trug man ihn zum Stall; die Beine hingen schlaff herab, der Kopf schlenkerte; dabei schnarchte der Patron so laut, daß es sich anhörte, als mache er sich wieder mit seinem Geschrei über alle Welt lustig.

Selbstredend verdarb dieses Abenteuer zum Teil den Festabend. Doch später schlug die Stimmung in die beste Laune um, und man sprach dem neuen Weine so reichlich zu, daß gegen elf Uhr alle so volltrunken waren wie Gideon. Alle fünf Minuten verschwand jemand in den Hof hinaus.

Papa Fouan war sehr gut aufgelegt. Vielleicht tue er doch nicht übel, wieder zu seinem Jüngsten zu ziehen; der Wein versprach dies Jahr sehr gut zu werden. Er mußte ebenfalls einen Augenblick ins Freie gehen; er dachte über diese Sache nach, während er draußen in dem jetzt finstern Hofe Luft schöpfte. Plötzlich hörte er Lise und Buteau. Sie waren auch hinausgetreten, jetzt saßen sie nebeneinander an der Wand des Hauses und stritten: der Mann warf seiner Frau vor, daß sie nicht freundlich genug mit dem Vater tue. »Verdammte Gans! man muß ihm schön tun, damit er herkommt und wir ihm seine Sparpfennige herausziehn können.« Der Alte ward mit einemmal nüchtern, er betastete sich, wie um sich zu versichern, ob man ihm nicht seine Papiere schon genommen.

Als sich alle Lebewohl gesagt, als der Alte wieder oben im Schlosse war, nahm er sich fest vor, niemals dort auszuziehen. Doch in derselben Nacht sah er etwas, das ihm das Blut erstarren machte. Dreckbatzen schlich zu seinem Bett heran, kramte in seinen Hosen, seiner Bluse und suchte selbst unter dem Nachtgeschirr. Vermutlich hatte Jesus den Schatz vergeblich in dem Linsentopf gesucht und schickte jetzt seine Tochter, darnach zu fahnden.

Fouan vermochte nicht im Bette zu bleiben, die Gedanken arbeiteten zu heftig in seinem Schädel. Er erhob sich und öffnete das Fenster. Die Nacht war schwarz, der Dunst des Weines kam von Rognes herauf, durchtränkt von dem Gestank des frischen Unrats hinter den Hecken. Was sollte aus ihm werden? Wohin sollte er sich flüchten? Sein armes Geld sollte ihn nicht mehr verlassen, er wollte sich's an dem Leibe annähen. Wie ihm der Wind jenen Geruch, welcher der Woche der Weinlese eigen ist, ins Gesicht blies, dachte er unwillkürlich an Gideon: solch ein Vieh ist verteufelt fest gebaut, das genießt zehnmal soviel Vergnügen wie ein Mensch und geht nicht daran zugrunde! ... Beraubt bei seinem Jüngsten, beraubt bei dem Ältesten, ihm blieb keine Wahl. Das Beste war, im Schloß bleiben und die Augen offen behalten. Seine alten Knochen erschauerten.


 << zurück weiter >>